Kitabı oku: «Vom Winde verweht», sayfa 13
»Ich habe schon Miß Pitty gesagt, Sie müssen in mein Lazarett kommen«, rief Mrs. Merriwether lächelnd. »Daß Sie mir nicht etwa Mrs. Meade und Mrs. Whiting Zusagen machen!«
»0 nein!« Scarlett hatte keine Ahnung, wovon Mrs. Merriwether sprach, aber das Gefühl, willkommen zu sein und gebraucht zu werden, erwärmte sie. »Ich hoffe, Sie bald wiederzusehen.«
Der Wagen pflügte sich weiter durch den Morast und hielt einen Augenblick, damit zwei Damen mit Körben voll Verbandzeug über dem Arm sich auf Schrittsteinen einen halsbrecherischen Weg über die Straße suchen konnten. Da fiel Scarletts Blick auf eine Gestalt, die für die Straße zu bunt gekleidet war, mit einem schottischen Schal, dessen Fransen ihr bis auf die Absätze herabhingen. Es war eine große, hübsche Frau, mit einem kecken Gesicht und üppigem rotem Haar, zu rot, um echt zu sein. Zum erstenmal sah Scarlett eine Frau, die ohne Zweifel >etwas mit ihrem Haar aufgestellt hatte<, und konnte den Blick nicht von ihr abwenden.
»Wer ist das, 0nkel Peter?«
»Weiß nicht.«
»Natürlich weißt du es, ich sehe es dir an. Wer ist das?«
»Sie heißt Belle Watling.« 0nkel Peters Unterlippe schob sich langsam mißbilligend vor. Es entging Scarlett nicht, daß er weder »Miß« noch »Mrs.«gesagt hatte.
»Wer ist das denn?«
»Gnädige Miß Scarlett«, sagte Peter geheimnisvoll, »Miß Pitty liebt es nicht, daß Sie nach etwas fragen, das Sie nichts angeht. Es gibt hier in der Stadt ein Pack von Leuten, die nicht mitzählen, und über die zu reden, hat überhaupt keinen Zweck.«
Scarlett schwieg auf seinen Verweis. »Das muß bestimmt ein schlechtes Frauenzimmer sein!«
Noch nie zuvor hatte sie ein schlechtes Frauenzimmer gesehen. Sie drehte sich umund starrte der Frau nach, bis sie sich in der Menge verlor.
Endlich hatten sie die Geschäftsgegend hinter sich, die Wohnhäuser kamen in Sicht. Einzelne davon begrüßte Scarlett als alte Freunde, das würdige, stattliche Leydensche Haus, das Bonnellsche Haus mit den kleinen weißen Säulen und den grünen Fensterläden, das unnahbare Barockhaus aus rotem Backstein hinter niedrigen Hecken, das der Familie McLure gehörte. Sie kamen immer langsamer vorwärts. Aus den Haustüren, aus Gärten und vom Fußweg aus wurden sie von Damen angerufen. Einige kannte sie flüchtig, an andere hatte sie eine unbestimmte Erinnerung, die meisten waren ihr völlig unbekannt. Pittypat hatte anscheinend ihre Ankunft überall angekündigt. Immer wieder mußte sie den kleinen Wade in die Höhe halten, damit Damen, die sich durch den Straßenschlamm bis zu den Prellsteinen vorwagten, ihn bewundern konnten. Jede rief Scarlett zu, sie dürfe nur in ihren Strickund Nähzirkel, nur in ihr Lazarettkomitee eintreten, und unbekümmert sagte sie nach rechts und nach links zu.
Als sie an einem weitläufigen grünen Fachwerkhaus vorbeikamen, rief ein kleines schwarzes Mädel: »Da kommt sie!«, und Dr. Meade, seine Frau und der kleine dreizehnjährige Phil kamen heraus und begrüßten sie. Scarlett erinnerte sich daran, sie auch auf ihrer Hochzeit gesehen zu haben . Mrs. Meade trat auf den Prellstein ihres Hauses und reckte den Hals, um das Baby zu sehen. Aber der Doktor achtete nicht auf den Schmutz und stapfte bis an den Wagen heran. Er war groß und hager und hatte einen eisgrauen Spitzbart, die Kleidungsstücke hingen an seiner dürren Gestalt, als habe ein 0rkan sie darangeweht. Atlanta betrachtete ihn als die Wurzel aller Kraft und aller Weisheit, und es war nicht zu verwundern, daß etwas von dem allgemeinen Glauben in ihn selbst übergegangen war. Aber bei all se inen 0rakelsprüchen und seiner etwas pathetischen Art war er einer der gütigsten Männer der Stadt.
Nachdem er Scarlett die Hand geschüttelt und Wade die Wange gestreichelt hatte, verkündete er, Tante Pittypat habe ihm unter Eid versprochen, daß Scarlett keinem anderen Lazarett und keinem anderen Verbandzeugkomitee angehören dürfe als demvon Mrs. Meade.
»0 je, das habe ich doch schon tausend Damen versprochen!« sagte Scarlett.
»Natürlich auch Mrs. Merriwether! Das verflixte Frauenzimmer läuft ja wohl an jeden Zug!«
»Ich habe es ihr versprochen, weil ich keine Ahnung hatte, was das alles bedeutet«, gestand Scarlett. »Wassind denn überhaupt Lazarettkomitees?«
Der Doktor und seine Frau waren beide über ihre Unwissenheit befremdet.
»Nun ja, Sie sind natürlich auf dem Lande vergraben gewesen und können es nicht wissen«, entschuldigte Mrs. Meade sie. »Wir haben Pflegekomitees für verschiedene Lazarette und für verschiedene Arbeitstage. Wir pflegen die Verwundeten, wir helfen den Ärzten und nähen Bandagen und Anzüge, und wenn die Leute so weit wiederhergestellt sind, daß sie entlassen werden können, nehmen wir sie zu uns ins Haus und pflegen sie so lange weiter, bis sie wieder an die Front können. Wir sorgen auch für die Frauen und Kinder der mittellosen Verwundeten - einige sind wahrhaftig noch elender als mittellos. Doktor Meade ist am Institutslazarett tätig, für das auch mein Komitee arbeitet, und alle sagen, er sei großartig und ...«
»Nun, nun«, sagte der Doktor, »du darfst vor den Leuten nicht mit mir prahlen. Ich kann ja nur so wenig tun, da du mich durchaus nicht an die Front lassen willst.«
»Ich lasse dich nicht? Ich?« Sie war empört. »Die Stadt läßt dich nicht, das weißt du sehr gut. Denken Sie, Scarlett, als die Leute hörten, daß er als Militärarzt nach Virginia wollte, haben alle Damen eine Bittschrift unterzeichnet, er möge hierbleiben. Die Stadt ist es, die dich nicht entbehren kann.«
»Nun, nun, Mrs. Meade.« Der Doktor sonnte sich sichtlich in ihrem Lob. »Vielleicht haben wir mit einem Jungen an der Front fürs erste genug getan.«
»Nächstes Jahr gehe ich ins Feld!« rief der kleine Phil voller Aufregung. »Als Trommler! Ich lerne jetzt trommeln. Wollen Sie es hören? Ich hole rasch meine Trommel.«
»Nein, jetzt nicht«, sagte Mrs. Meade und zog ihn mit einem plötzlich gespannten Gesichtsausdruck an sich. »Nächstes Jahr noch nicht, Liebling, vielleicht übernächstes.«
»Aber dann ist der Krieg vorbei!« Ungeduldig riß der Kleine sich von ihr los. »Du hast es mir doch versprochen.«
Über seinen Kopf hinweg sahen die Eltern einander ins Auge. Scarlett gewahrte den Blick. Darcy Meade stand in Virginia, und um so fester klammerte sich die Liebe der Eltern an den Kleinen, der noch im Hause war.
0nkel Peter räusperte sich. »Miß Pitty hatte ihren Zustand, als ich wegfuhr, und wenn ich nicht bald wiederkomme, liegt sie ohnmächtig da.«
»Auf Wiedersehen, ich komme heute nachmittag hinüber!« rief Mrs. Meade ihnen nach. »Und bestellen Sie Miß Pitty von mir, wenn Sie nicht in mein Komitee eintreten - dann wehe ihr!«
Der Wagen glitt und rutschte die schmutzige Straße hinunter. Scarlett lehnte sich in die Kissen zurück und lächelte. Sie fühlte sich glücklicher als seit Monaten. Atlantas Lebendigkeit munterte sie auf.
Wieviel schöner war es hier als auf der einsamen Plantage vor den Toren von Charleston, wo die Alligatoren durch die stillen Nächte bellten! Schöner als in Charleston selbst, das in seinen Gärten hinter hohen Mauern träumte. Schöner als in Savannah mit seinen breiten Palmenstraßen und mit seinem schlammigen Fluß. Vielleicht schöner sogar als Tara, mochte sie Tara auch noch so liebhaben. Diese Stadt mit ihren engen und schmutzigen Straßen mitten im welligen Hügelland hatte etwas Erregendes, Rohes und Ungeschliffenes, verwandt jenem Rohen unter der feinen Politur, mit der Ellen und Mammy Scarlett versehen hatten. Plötzlich hatte sie das Gefühl, hierher gehöre sie und nicht in die ruhigen, abgeklärten alten Städte, die flach an den gelben Flüssen lagen.
Die Zwischenräume zwischen den Häusern wurden immer größer, und als Scarlett sich aus dem Wagen lehnte, sah sie Miß Pittypats rotes Backsteinhaus mit seinem Schieferdach auftauchen. Es war fast das letzte Haus im Norden der Stadt. Weiterhin wurde die Pfirsichstraße schmäler und verlor sich in die stillen dichten Wälder hinein. Der saubere weiße Lattenzaun war frisch gestrichen. In dem Vorgarten, den er einschloß, blühten die letzten Narzissen des Jahres. Auf der Haustreppe standen zwei Frauen in Schwarz, hinter ihnen eine große braune Frau mit den Händen unter der Schürze und einem breiten Lächeln, das die weißen Zähne entblößte. Die rundliche Miß Pittypat wippte aufgeregt auf ihren winzigen Füßen. Die eine Hand hielt sie an den vollen Busen gepreßt, um ihr klopfendes Herz zu beruhigen. Neben ihr stand Melanie. In Scarlett regt e sich der Widerwille, und ihr wurde klar, daß diese feine kleine Person im schwarzen Trauerkleid mit den fraulich geglätteten, widerspenstigen Locken und dem herzförmigen Gesicht, das jetzt ein liebevolles glückliches Willkommenlächeln erhellte, in Atlanta das Haar in der Suppe für sie sein würde.
Wenn jemand aus den Südstaaten einmal seinen Koffer packte und zwanzig Meilen auf Besuch reiste, so dauerte ein solcher Besuch selten kürzer als einen Monat, meist aber länger. Die Leute waren ebenso begeistert Gast wie Gastgeber, und es war nichts Ungewöhnliches, daß Verwandte zu den Weihnachtsferien kamen und bis in den Juli hinein blieben. Junge Paare, die auf der Hochzeitsreise ihre übliche Besuchsrunde machten, blieben oft, wenn es ihnen irgendwo gefiel, bis zur Geburt des zweiten Kindes. Häufig kamen ältere Tanten und 0nkel am Sonntag zum Mittagessen und blieben, bis sie Jahre später begraben wurden. Ein Gast war kein Problem. Das Haus war groß, die Dienstboten waren zahlreich, und einige Mäuler mehr zu sättigen war in dem Lande des Überflusses eine Kleinigkeit. Jedes Alter, jedes Geschlecht fuhr auf Besuch, Hochzeitsreisende, junge Mütter, die ihre Kleinen herumzeigten, Erholungsreisende, Trauernde, Mädchen, deren Eltern Wert darauf legten, sie den Gefahren einer törichten Heirat zu entrücken, andere Mädchen, die unverlobt das gefährliche Alter erreicht hatten und nun unter Führung auswärtiger Verwandten eine passende Partie machen sollten. Gäste brachten Anregung und Abwechslung in das langsam fließende Leben des Südens und waren immer willkommen.
So war auch Scarlett ohne eine Ahnung, wie lange sie bleiben würde, nach Atlanta gekommen. War es dort so langweilig wie in Savannah und Charleston, so kehrte sie nach einem Monat wieder nach Hause zurück. War es aber schön, so konnte sie unendlich lange bleiben. Aber kaum war sie angekommen, so begannen Tante Pitty und Melanie einen Feldzug, um sie zu überreden, sich für die Dauer bei ihnen niederzulassen. Jeden nur erdenklichen Grund führten sie an. Um ihrer selbst willen wollten sie sie dabehalten, weil sie sie liebhätten. Sie wären so einsam und fürchteten sich oft nachts in dem großen Hause; sie aber sei tapfer und mache ihnen Mut. So reizend sei sie, daß sie sie in ihrem Kummer richtig aufmuntern könne. Seitdem Charles nicht mehr lebe, sei ihr und ihres Sohnes Platz bei seinen Verwandten. Außerdem gehöre ihr jetzt laut Charles' Testament die Hälfte des Hauses. Und schließlich brauche die Bundesregierung jede Hand zum Nähen, Stricken, Scharpiezupfen und zur Verw undetenpflege.
Auch Henry Hamilton, Charles' 0nkel, der als alter Junggeselle im Hotel neben dem Bahnhof wohnte, sprach ernsthaft mit ihr darüber. Er war ein untersetzter, unzugänglicher alter Hagestolz mit dickem Bauch, rosigem Gesicht und vollem Silberhaar. Für weibliche Schamhaftigkeiten und Grillen war er ohne jegliches Verständnis. Deshalb sprach er auch kein Wort mit seiner Schwester Pittypat. Von der Kinderzeit an waren die beiden in ihrem ganzen Naturell Gegensätze gewesen und hatten sich dann durc h seine Einwendungen gegen ihre Art, Charles aufzuziehen, noch weiter entfremdet. »Einen richtigen Waschlappen machst du aus einem Soldatenkind!« Vor Jahren hatte er Pitty dermaßen beleidigt, daß sie seitdem nur mit solcher Scheu und so verstohlen von ihm sprach, daß ein Fremder den armen alten Rechtsanwalt mindestens für einen Mörder halten mußte. Zu dieser Beleidigung war es gekommen, als Miß Pitty von ihrem Vermögen, das er verwaltete, fünfhundert Dollar abzuheben und in einem gar nicht vorhandenen Goldbergwerk anzulegen wünschte. Er hatte darauf hitzig erklärt, daß sie nicht mehr Verstand als ein Maikäfer habe, und es mache ihn nervös, länger als fünf Minuten mit ihr zusammen sein zu müssen. Seitdem sah sie ihn nur noch einmal im Monat, wenn sie in seine m Büro ihr Hausstandsgeld in Empfang nahm. Nach diesen kurzen, förmlichen Besuchen mußte sie sich jedesmal für den Rest des Tages unter Tränen und mit Riechsalz ins Bett legen. Melanie und Charles, die ausgezeichnet mit ihrem 0nkel standen, hatten sich oft erboten, ihr diese Prüfung abzunehmen, aber sie hatte stets ihre Kinderlippen fest zusammengepreßt und es abgelehnt. Henry war ihr Kreuz, und ihr Kreuz mußte sie tragen. Daraus konnte man nur schließen, daß sie an solchen gelegentlichen Aufregungen, den einzigen in ihrem behüteten Leben, eine wahre Herzensfreude hatte.
0nkel Henry hatte Scarlett sofort gern; er sehe ohne weiteres - so sagte er -, daß sie trotz all ihrer albernen Ziererei doch ein paar Gran Verstand habe. Er verwaltete nicht nur Pittys und Melanies Vermögen, sondern auch Scarletts Erbteil von Charles. Für Scarlett war es eine angenehme Überraschung, daß sie jetzt eine wohlhabende junge Frau war. Charles hatte ihr nicht nur die Hälfte von Tante Pittys Haus hinterlassen, sondern auch Ländereien und städtischen Grundbesitz. Und die Speicher und Lagerhäuser längs des Schienenstranges beim Bahnhof, die sie ebenfalls geerbt hatte, waren jetzt dreimal soviel wert wie bei Ausbruch des Krieges. Als 0nkel Henry ihr die Abrechnung vorlegte, warf er die Frage auf, ob sie nicht ihren dauernden Wohnsitz in Atlanta aufschlagen wolle.
»Wenn Wade Hampton mündig wird, ist er ein reicher junger Mann«, sagte er. »Wächst Atlanta in diesem Tempo weiter, so steigt der Wert seines Vermögens in zwanzig Jahren um das Zehnfache, und es ist nur richtig, daß der Junge dort aufwächst, wo sein Besitz ist. Dort lernt er am besten, sich um ihn und auch um Pittys und Melanies Vermögen zu kümmern. Und bald ist er der einzige männliche Hamilton, denn ich lebe ja nicht ewig.«
Was nun 0nkel Peter betraf, so war es für ihn beschlossene Sache, daß Scarlett gekommen sei, um zu bleiben. Ihm war es ein Unding, daß Charles' einziger Sohn irgendwo anders als unter seiner, 0nkel Peters, Erziehung aufwachsen sollte.
Scarlett wollte sich nicht entscheiden, ehe sie nicht wußte, wie es ihr hier auf die Dauer gefallen würde. Außerdem mußten erst Gerald und Ellen gefragt werden, und Tara war so fern! Sie verspürte Heimweh nach den roten Feldern, den aufspringenden grünen Baumwollknospen und den sanften schweigenden Dämmerungen. Zum erstenmal ging ihr leise auf, was Gerald gemeint hatte, als er sagte, die Liebe zur Heimat läge auch ihr im Blut.
So vermied sie denn einstweilen mit geschickter Höflichkeit, eine bestimmte Zusage zu geben, und suchte sich zunächst in das Leben des roten Backsteinhauses am Ende der Pfirsichstraße einzufügen. Sie lebte mit Charles' Verwandten zusammen und begann den Mann, der sie so rasch hintereinander zur Frau, zur Witwe und zur Mutter gemacht hatte, ein wenig besser zu verstehen. Sie begann zu begreifen, warum er so schüchtern und so reinen Gemüts gewesen war. Hatte Charles überhaupt etwas von der harten, heißblütigen Soldatenart seines Vaters geerbt, so war das in der vornehm damenhaften Atmosphäre seiner Kindheit bald untergegangen. Er hatte an der kindlichen Tante Pitty gehangen und seine Schwester Melanie mehr geliebt, als es sonst Geschwisterart ist, und zwei sanftere, weltfremdere Frauen konnte man sich kaum vorstellen,
Tante Pittypat war vor sechzig Jahren auf die Namen Sarah Jane Hamilton getauft worden, aber seit dem längst vergangenen Tage, da ihr spaßesfroher Vater ihr wegen ihrer trippelnden, trappelnden Füße den Kosenamen angehängt hatte, wurde sie nie mehr anders genannt. Seither hatte sich vieles an ihr verändert, und der Name wollte nicht mehr recht passen. Von dem wilden frischen Kind war nichts übriggeblieben als zwei überaus zierliche Füßchen, die ihr Gewicht kaum tragen konnten, und eine Neigung, verloren und ziellos vor sich hin zu schwatzen. Sie war d ick, rotwangig und weißhaarig geworden und hatte einen kurzen Atem, weil sie sich immer zu fest schnürte. Weiter als einen Häuserblock vermochte sie auf ihren winzigen Füßchen, die sie obendrein immer in zu kleine Schuhe preßte, nicht zu gehen. Bei jeder Erregung geriet ihr Herz aus dem Takt, denn sie verhätschelte es sehr. Bei jedem Anlaß schwanden ihr die Sinne, aber jeder wußte, daß ihre 0hnmachten nichts weiter waren als zimperliche Posen; und jeder hatte Miß Pittypat zu gern, um es ihr zu sagen. Jeder hatte sie gern, verzog sie wie ein Kind und nahm sie nicht ernst - mit der einzigen Ausnahme ihres Bruders Henry. Mehr noch als alles andere auf der Welt, sogar als die Freuden der Tafel, liebte sie harmlosen Klatsch. Stundenlang schwatzte sie freundlich über die Angelegenheiten anderer Leute. Weder für Namen noch für Daten und 0rte hatte sie ein Gedächtnis, und alle handelnden Personen wurden von ihr hoffnungslos miteinander verwechselt. Das störte aber niemanden, denn niemand war so töricht, ernst zu nehmen, was sie sagte, niemand erzählte ihr je etwas wirklich Anstößiges; ihre altjüngferliche Zimperlichkeit mußte auch mit sechzig Jahren noch geschont und behütet werden, und ihre Freunde waren im allgemeinen Wohlwollen miteinander verschworen, sie als verzogenes und umhegtes Kind zu erhalten.
Melanie war ihrer Tante in manchen Zügen ähnlich. Sie hatte etwas von ihrer Schamhaftigkeit, ihrer Bescheidenheit und ihrer Neigung zum plötzlichen Erröten; aber sie besaß daneben einen gesunden Menschenverstand. »In gewissem Sinne, das muß ich zugeben«, meinte Scarlett mit einigem Widerstreben. Melanie hatte wie Tante Pitty die Miene eines umhegten, herzensguten und einfältigen Kindes, welches das Böse nie mit Augen gesehen hat und es nicht erkennen würde, wenn es ih m begegnete. Sie war immer glücklich gewesen und wollte, daß auch alle um sie herum glücklich und zufrieden seien. Sie betrachtete alles von der besten und freundlichsten Seite. Kein Dienstbote war so dumm, daß sie nicht irgendeinen ausgleichenden Zug der Treue und Herzensgüte an ihm entdeckte, kein Mädchen so häßlich, daß sie nicht seine Gestalt anmutig oder seinen Charakter edel fand, kein Mann so ohne Wert und Bedeutung, daß sie ihn nicht dennoch im Lichte seiner besten Möglichkeiten zu sehen versuchte. Um dieser gutherzigen Züge willen scharte sich alles um sie, denn wer könnte der Anziehungskraft eines Menschen widerstehen, der an allen anderen so hohe Eigenschaften entdeckt, wie sie selber sich niemals träumen lassen! Sie hatte mehr Freundinnen als irgend jemand sonst und auch mehr Freunde, wenn auch nur wenige Verehrer. Ihr fehlten der Eigensinn und die Eigenliebe, die den Männerherzen ein gut Stück voranzuhelfen pflegen.
Melanie tat nur das, was allen Mädchen aus den Südstaaten anerzogen wurde: sie sorgte unentwegt für allgemeine Unbefangenheit und Selbstzufriedenheit. Diese segensreiche Verschwörung der Frauen machte das gesellige Leben in den Südstaaten so angenehm. Ein Land, wo die Männer zufrieden waren, wo ihnen nicht widersprochen und sie in ihr er Eitelkeit nicht verletzt wurden, mußte ein angenehmer Aufenthaltsort für Frauen sein. Das wußten sie und richteten sich danach. Die Männer vergalten es ihnen reichlich mit Ritterlichkeit und Verehrung. Sie gönnten den Damen von Herzen alles in der Welt, nur nicht ihren Verstand. Scarlett ließ dieselben Künste wie Melanie spielen, jedoch mit vollendeter Geschicklichkeit. Der Unterschied zwischen den beiden Mädchen bestand darin, daß Melanie die Menschen, Scarlett aber sich selber glücklich machen wollte.
Charles hatte in diesem Hause keinerlei stählenden Einfluß erfahren und nichts von der rauhen Wirklichkeit des Lebens zu spüren bekommen. Verglichen mit Tara war dies Heim ein weiches, altmodisches Nest. Scarlett fand, es schreie förmlich nach Branntwein und Tabakduft, nach lauten Stimmen und Flüchen, nach Bärten und Gewehren, nach Jagdhunden, die einem zwischen den Beinen herumliefen. Sie vermißte den Klang streitender Stimmen, der auf Tara immer zu hören war, sobald Ellen den Rücken gekehrt hatte. Hier war alles still, jeder fügte sich den Wünschen der andern, und am Ende hatte stets der schwarze grauhaarige Selbstherrscher in der Küche seinen Willen. Scarlett hatte, fern von Mammys Aufsicht, die Zügel lockerer zu Enden gehofft. Zu ihrem Leidwesen mußte sie aber feststellen, daß 0nkel Peters Ansichten über vornehmes Betragen, besonders wo es sich um Master Charles' Witwe handelte, noch strenger waren als Mammys.
Scarlett war erst siebzehn Jahre und von prachtvoller Gesundheit und Lebenskraft, und Charles' Familie tat das Menschenmögliche, um sie glücklich zu machen. Wenn es nicht ganz gelang, so war das nicht ihre Schuld, denn niemand konnte die Wunde in ihrem Herzen heilen, die zu schmerzen begann, sobald Ashleys Name genannt wurde. Und Melanie nannte ihn so oft! Aber Melanie und Pitty waren unermüdlich, immer neue Linderungsmittel für den Kummer herauszufinden, mit dem sie sich nach ihrer Meinung herumquälte. Sie taten alles, um sie zu zerstreuen. Sie nahmen es peinlich genau mit ihrer Ernährung, mit ihrer Ruhe und ihren Spazierfahrten. Sie bewunderten nicht nur über die Maßen Scarletts Temperament, ihren schlanken Wuchs, ihre zierlichen Hände und Füße, ihre weiße Haut, sondern sagten es ihr auch oft und streichelten und umschmeichelten und küßten sie immer aufs neue. An Liebkosungen lag Scarlett nichts, aber sie sonnte sich in den Schmeicheleien. Auf Tara hatte ihr niemand so viel Schmeichelhaftes gesagt; im Gegenteil, Mammy hatte ihre Tage damit verbracht, an ihr herumzumäkeln. Der kleine Wade war ihr keine Last mehr. Die Familie und alles, was an Schwarzen und Weißen dazugehörte, auch alle Nachbarn, vergötterten ihn, und es war eine unaufhörliche Eifersüchtelei im Gange, wem er gerade auf dem Schoß sitzen durfte. Besonders Melanie war in ihn vernarrt. Noch wenn er am durchdringendsten kreischte, fand Melanie ihn himmlisch und schmachtete: >Ach,dusüßer Liebling! Wärstdudochmein! <
Manchmal fiel es Scarlett schwer, ihre wahren Gefühle zu verbergen. Tante Pitty war ihr noch immer die albernste unter allen alten Damen. Ihre Fahrigkeit und ihre Grillen fielen ihr unerträglich auf die Nerven. Scarletts eifersüchtige Abneigung gegen Melanie wuchs mit jedem Tag, und manchmal mußte sie unvermittelt das Zimmer verlassen, wenn Melanie strahlend von Ashley sprach und aus seinen Briefen vorlas. Aber es lebte sich hier doch so glücklich, wie es unter den Umständen nur möglich war. Atlanta bot ihr so viel neuartige Ablenkung, daß ihr zum Denken und Trauern wenig Zeit blieb. Nur manchmal, des Abends, wenn sie das L icht ausgeblasen hatte, seufzte sie, den Kopf im Kissen vergraben: »Wäre Ashley doch nicht verheiratet! Wenn ich nur nicht in diesem schrecklichen Lazarett zu pflegen brauchte! Was gäbe ich nicht umein paar Verehrer!«
Der Krankendienst war ihr vom ersten Tag an abscheulich, aber sie konnte sich der Pflicht nicht entziehen, weil sie sowohl in Mrs. Meades wie in Mrs. Merriwethers Komitee saß.
Viermal in der Woche hatte sie, vom Hals bis zu den Füßen in einer viel zu warmen Schürze steckend und ein Tuch fest um den Kopf gebunden, den ganzen Vormittag in dem stickigen Lazarett Dienst. Jede Frau in Atlanta, ob alt oder jung, pflegte mit einer Begeisterung, die in Scarletts Augen an Fanatismus grenzte. Ihnen allen war es selbstverständlich, daß auch sie von glühendem Patriotismus erfüllt sei; hätten sie gewußt, wie wenig inneren Anteil sie am Kriege nahm, sie wären empört gewesen. Das einzige, was Scarlett beschäftigte, war die ununterbrochene Seelenangst, Ashley könnte fallen.
Romantisch war die Tätigkeit der Krankenschwestern durchaus nicht. Stöhnen, Delirium, Tod und Gestank! Das Lazarett war übervoll von verschmutzten, bärtigen Männern voller Ungeziefer, die abstoßend rochen und so scheußliche Verletzungen am Körper hatten, daß einem Christenmenschen wohl übel davon werden konnte. Der Geruch der brandigen Wunden schlug ihr schon weit vor der Tür in die Nase, ein ekler süßlicher Gestank, der ihr am Haar und an den Händen haftenblieb. Über den Patienten summten Schwärme von Fliegen, Moskitos und Mücken und quälten sie, daß sie fluchten oder matt aufschluchzten. Scarlett kratzte die eigenen Moskitostiche und schwenkte Palmenwedel, bis ihr die Arme schmerzten und sie allen Verwundeten den Tod wünschte.
An Melanie hingegen schienen die Gerüche, die Wunden und die Nacktheit der Männer spurlos vorüberzugehen, was Scarlett an dieser schüchternsten, verschämtesten aller Frauen wundernahm. Manchmal sah Melanie allerdings sehr bleich aus, wenn sie Dr. Meade die Schalen und Instrumente reichte, während er brandiges Fleisch wegschnitt. Einmal fand Scarlett sie nach einer solchen 0peration in der Wäschekammer, wie sie sich heimlich erbrach. Aber solange die Verwundeten sie sehen konnten, war sie sanft, verständnisvoll und froh, und die Leute nannten sie einen Engel des Erbarmens. Diesen Titel hätte Scarlett auch gern gehabt, aber damit war verbunden, daß man verlauste Männer anfaßte, mit dem Finger im Hals von bewußtlosen Patienten nachfühlte, ob sie nicht etwa an einem verschluckten Priem erstickten, daß man Stümpfe verband und faules und eitriges Fleisch säuberte. Nein, sie mochte durchaus nicht pflegen! Vielleicht wäre es hier erträglicher gewesen, wenn sie bei den Genesenden ihren weiblichen Zauber hätte spielen lassen dürfen. Aber als Witwe konnte sie sich derlei nicht erlauben. Die Genesenden waren in der Hut der jungen Mädchen aus der Stadt, die nicht pflegen durften, damit ihre jungfräulichen Augen nichts Unziemliches zu sehen bekamen. Unbeschwert von Ehe und Witwenschaft konnten sie sich ausleben, und auch die Unscheinbar sten unter ihnen hatten, wie Scarlett mißmutig beobachtete, keine Schwierigkeiten, einen Bräutigam zu finden. Abgesehen von den schwerverletzten und sterbenden Männern im Lazarett, lebte Scarlett ganz und gar in einer Welt von Frauen. An drei Nachmittagen in der Woche mußte sie an den Nähzirkeln von Melanies Freundinnen teilnehmen. Alle Mädchen waren sehr freundlich und zuvorkommend gegen sie, besonders Fanny Elsing und Maybelle Merriwether, die Töchter der beiden städtischen Machthaberinnen. Sie kamen ihr mit solcher Ehrerbietung entgegen, als wäre sie alt und zähle nicht mehr mit. Ihr ständiges Gerede über Bälle und Verehrer erfüllte Scarlett mit Bitterkeit, weil ihre Witwenschaft sie davon ausschloß. War sie nicht dreimal so anziehend wie Fanny und Maybel le? Ach, wie ungerecht war das Leben! Wie ungerecht, daß jeder dachte, ihr Herz läge im Grabe, und es war doch in Virginia bei Ashley!
Aber trotz aller Kümmernisse gefiel Atlanta ihr gut. Die Wochen vergingen, und ihr Besuch dauerte länger und länger.
An einem Hochsommermorgen saß Scarlett am Fenster ihres Schlafzimmers und sah betrübt die Leiterwagen und Equipagen voller Soldaten und Mädchen mit ihren Chaperons fröhlich die Pfirsichstraße hinunterfahren, um Blätterschmuck für den Basar zu holen, der am Abend zum Besten der Lazarette stattfinden sollte. Auf die schattige rote Straße fielen helle Sonnenflecken durch das Laubgewölbe der Bäume. Die Hufe wirbelten kleine Staubwolken auf. In einem Leiterwagen, der den anderen voranfuhr, saßen vier dicke Farbige mit Äxten, während sich hinten im Wagen die mit Servietten bedeckten Frühstückskörbe und Dutzende von Wassermelonen häuften. Zwei der schwarzen Gesellen waren mit Banjo und Harmonika ausgerüstet und gaben schwungvoll »Wenn ihr es gut haben wollt, kommt zur Kavallerie!« zum besten. Hinter ihnen her strömte die lustige Kavalkade, die Mädchen in leichten geblümten Waschkleidern mit feinen Schals, Häubchen, Handschuhen und Sonnenschirmchen. Alte Damen lächelten zufrieden unter Scherzen und Anrufen von Wagen zu Wagen. Genesende Soldaten, eingekeilt zwischen dicken Chaperons und schlanken Mädchen, die viel Lärm und Wesens um sie machten, 0ffiziere zu Pferde im Schneckenschritt neben den Equipagen, Rädergequietsch und Sporengeklirr, schimmernde goldene Tressen, Fächergewedel und dem Gesang der Farbigen. Ganz Atlanta fuhr über die Pfirsichstraße hinaus, um Laub zu pflücken und ein Picknick zu feiern. »Ganz Atlanta« dachte Scarlett, »nur ich nicht.«
Man winkte ihr fröhlich im Vorbeifahren zu. Sie suchte mit fröhlicher Miene zu antworten, aber es wurde ihr schwer. Mit einem Stich im Herzen hatte es begonnen und stieg nun langsam zum Halse herauf. Jeder ging zum Picknick, nur sie nicht. Und heute abend ging jeder zum Basar und zum Ball, nur sie nicht. Das heißt, nur sie, Pittypat und Melly und all die anderen Unglücksvögel in der Stadt, die Trauer hatten, nicht. Melly machte sich nichts daraus und kam gar nicht auf den Gedanken, daß sie gern hingegangen wäre. Aber Scarlett fühlte den brennenden Schmerz der Entsagung.
Es war ungerecht. Sie hatte doppelt so schwer wie andere Mädchen in der Stadt gearbeitet, um mit allem für den Basar fertig zu werden, hatte Socken, Babykappen und Halsbinden gestrickt und zahllose Meter Spitzen geklöppelt. Viele Kissenbezüge hatte sie mit der Konfö deriertenflagge bestickt. Die Sterne waren wohl ein wenig schief geworden, einige beinahe rund, andere sechsund sogar siebeneckig, aber es machte sich doch gut. Gestern hatte sie bis zur Erschöpfung in dem alten verstaubten Schuppen eines Waffenarsenals gearbeitet, um die Verkaufsbuden, die an den Wänden entlang errichtet waren, mit buntem Stoff zu verkleiden. Das war rechtschaffene Arbeit und kein Spaß gewesen. Den Damen Merriwether und Elsing zur Hand zu gehen, war niemals ein Spaß, sie sprangen mit ihr u m, als wäre sie eine Schwarze. Dazu mußte sie auch noch mit anhören, wie sie mit der Beliebtheit ihrer Töchter prahlten. Was aber das Schlimmste war, sie hatte sich, als sie Pittypat und Cookie bei den Schichttorten für die Tombola half, zwei Blasen in die Finger gebrannt. Sie hatte gearbeitet wie eine Magd und sollte sich jetzt, wo das Vergnügen anfangen sollte, zurückziehen. Ach, es war hart, daß sie einen toten Mann und ein Kind hatte und von allem Schönen ausgeschlossen war! Noch vor einem Jahre hatte sie getanzt und statt der dunklen Trauer bunte Kleider getragen und war mit drei Burschen so gut wie verlobt gewesen.