Kitabı oku: «Vom Winde verweht», sayfa 14
Sie war siebzehn Jahre alt, und ihre Füße warteten noch auf viele ungetanzte Tänze. Das Leben ging in grauen Uniformen, mit Sporengeklirr, in geblümten 0rgandykleidem und mit Banjoklang an ihr vorüber. Beim lächelnden Grüßen war es ihr nicht leicht, ihre Grübchen in Zucht zu halten und immer noch so auszusehen, als läge ihr Herz im Grabe. Jäh hörte sie auf zu grüßen und zu winken, als Pittypat ins Zimmer stürzte und sie vom Fenster wegriß. »Kindchen, hast du den Kopf denn ganz und gar verloren, daß du Männer vom Schlafzimmerfenster aus grüßt? Ich bin entsetzt, Scarlett; was würde deine Mutter dazu sagen?«
»Sie wissen doch nicht, daß es mein Schlafzimmer ist.«
»Aber sie könnten es denken, und das ist ebenso schlimm. Alle werden nun über dich reden, und jedenfalls weiß Mrs. Merriwether, daß es dein Schlafzimmer ist!«
»Und nun erzählt die alte Katze das überall herum?«
»Kindchen, Dolly Merriwether ist meine beste Freundin!«
»Meinetwegen, aber eine alte Katze ist sie trotzdem - ach, es tut mir ja leid, Tantchen, weine nur nicht! Ich habe ganz vergessen, daß es mein Schlafzimmerfenster war. Ich wollte sie nur vorbeifahren sehen. Ach, ich wollte, ich könnte mitfahren.«
»UmHimmels willen, Kindchen!«
»Jawohl, ich habe es satt, zu Hause zu sitzen.«
»Scarlett, versprich mir, daß du so etwas nicht wieder sagst. Sonst müßten die Leute ja denken, du ehrtest nicht das Andenken des armen Charlie.«
»Ach, Tantchen, weine doch nur nicht!«
»0h, nein ... sieh, nun mußt du auch weinen«, schluchzte Pittypat voller Wohlbehagen und suchte in der Rocktasche nach ihrem Taschentuch. Auch Scarlett wurde jetzt überwältigt und verlor alle Fassung. Sie schluchzte laut - nicht um den armen Charlie, wie Pittypat dachte, sondern weil das Räderrollen und Gelächter nun verklungen war. Melanie kam aus ihrem Zimmer hereingerasselt, eine Bürste in der Hand, ihr sonst so ordentliches schwarzes Haar war frei vom Netz und plusterte ihr in hundert winzigen Wellen und Löckchen ins Gesicht.
»Ihr Lieben, was ist denn?«
»Charlie!« jammerte Pittypat, barg den Kopf an Mellys Schulter und gab sich ganz dem Genuß ihres Kummers hin.
»Ach!« Mellys Lippen zitterten sogleich, als der Name ihres Bruders fiel. »Sei tapfer, Liebes, nicht weinen. Ach, Scarlett!«
Scarlett hatte sich aufs Bett geworfen und schluchzte herzzerreißend um ihre verlorene Jugend, um die Freuden, die ihr verwehrt wurden, schluchzte empört und verzweifelt wie ein Kind, das einst mit seinen Tränen alles erreichte und nun weiß, daß kein Schluchzen mehr hilft. Sie vergrub den Kopf in die Kissen und weinte und stieß mit den Füßen die mit Quasten behangene Steppdecke weg.
»Ich könnte ebensogut tot sein!« Vor einem solchen Schmerzensausbruch versiegten Pittys wohlige Tränen, und Melly stürzte ans Bett, umdie Schwägerin zu trösten.
»Liebes, nicht weinen! Denke doch, wie lieb Charlie dich gehabt hat, kann dich das nicht trösten? Denk doch an den süßen Kleinen! «
Das Gefühl der Einsamkeit und des Nichtverstandenwerdens war so stark in Scarlett, daß es ihr den Mund verschloß, und das war gut, denn hätte sie jetzt gesprochen, so wäre manche schlimme Wahrheit zutage gekommen. Melly streichelte ihr die Schulter, und Pittypat ging auf Zehenspitzen durch das Zimmer und schloß die Vorhänge. Scarlett hob ihr rotes geschwollenes Gesicht aus den Kissen: »Laß das! Ich bin noch nicht so tot, daß ihr die Vorhänge schließen müßt. Ach, bitte, geht hinaus und laßt mich allein!«
Wieder verbarg sie ihr Gesicht in den Kissen, und nach einigem erregten Geflüster gingen die beiden hinaus. Sie hörte, wie Melanie leise auf der Treppe zu Pittypat sagte:
»Tante Pitty, wenn du doch nicht mehr mit ihr über Charlie sprechen wolltest! Du weißt doch, wie nahe es ihr geht. Armes Ding, sie sieht dann plötzlich so sonderbar aus. Ich weiß, sie versucht dann, die Tränen zu unterdrücken. Wir dürfen es ihr nicht noch schwerer machen.«
In ohnmächtiger Wut stieß Scarlett das Deckbett weg und suchte nach einem Ausdruck, der alles, was sie bewegte, kräftig genug ausdrückte. »Heiliger Strohsack!« kam es schließlich aus ihr hervor, und sie fühlte sich ein klein wenig erleichtert. Wie konnte Melanie sich damit abfinden, zu Hause zu sitzen und für ihren Bruder Krepp zu tragen! Spürte sie nicht, wie das Leben mit Sporenklirren vorüberschritt? Scarlett schlug das Kissen mit Fäusten. »Sie ist nie so geliebt worden wie ich, und deshalb vermißt sie nicht, was ich vermisse. Und ... und ... außerdem hat sie Ashley, und ich habe keinen Menschen!« Und sie brach von neuem in Schluchzen aus.
In düsterer Stimmung blieb sie bis zum Nachmittag auf ihrem Zimmer. Dann kamen draußen die heimkehrenden Picknickgäste wieder vorbeigefahren, müde vor lauter Lebensfreude und Glück, und wieder winkten sie ihr zu, und sie erwiderte trübselig die Grüße. Das Leben war nicht wert, gelebt zu werden.
Die Erlösung aber kam von einer Seite, von der sie sie am wenigsten erwartet hätte. Zur Zeit des Mittagsschlafes kamen die Damen Merriwether und Elsing vorgefahren. Über den unerwarteten Besuch erschrocken, fuhren Melanie, Scarlett und Miß Pittypat in die Höhe, hakten sich rasch die Taille zu, strichen sich das Haar glatt und gingen in den Salon hinunter.
»Mrs. Bonnells Kinder haben die Masern«, sagte Mrs. Merriwether in einem Tonfall, der deutlich zu erkennen gab, daß sie Mrs. Bonell für ein derartiges Vorkommnispersönlich verantwortlich machte.
»Und die McLureschen Mädchen sind nach Virginia gerufen worden«, sagte Mrs. Elsing mit ihrer ersterbenden Stimme und fächelte sich so müde, als ginge das Folgende über ihre Kraft. »Dallas McLure ist verwundet.«
»Wie schrecklich!« riefen ihre Gastgeberinnen im Chor aus. »Ist der arme Dallas ...«
»Nein, nur ein wenig durch die Schulter«, fiel ihnen Mrs. Merriwether ins Wort. »Aber es hätte zu keiner unpassenderen Zeit geschehen können. Die Mädchen fahren nach dem Norden, um ihn nach Hause zu holen. Aber, Himmel, wir haben gar keine Zeit, hier zu sitzen und uns zu unterhalten. Wir müssen sofort zum Arsenal zurück und die Ausschmückung be enden. Pitty, wir brauchen dich und Melly heute abend. Ihr müßt Mrs. Bonnell und die McLures vertreten.«
»Aber Dolly, wir können doch nicht!«
»Pittypat Hamilton«, sagte Mrs. Merriwether energisch, »dieses Wort gibt es bei mir nicht. Ihr müßt die Schwarzen mit den Erfrischungen beaufsichtigen, das war Mrs. Bonnells Amt, und du, Melly, mußt die Bude der McLureschenMädchen übernehmen.«
»Ach, das geht doch nicht, wo der arme Charlie erst ...«
»Ich weiß, wie euch ums Herz ist, aber für die heilige Sache ist kei n 0pfer zu groß«, entschied Mrs. Elsing mit sanfter Stimme.
»Wir würden euch ja so gern helfen, aber ... könnt ihr denn nicht ein paar junge Mädchen für die Bude bekommen?«
»Ich weiß nicht«, schnaubte Mrs. Merriwether, »was die jungen Leute heutzutage haben! Jedenfalls kein Verantwortungsgefühl. Alle jungen Mädchen, die schon Buden übernommen haben, kommen mir mit mehr Ausreden, als ich Haare auf dem Kopf habe. 0h, mir machen sie nichts weis. Sie wollen sich nur ungehindert mit den 0ffizieren amüsieren, das ist alles. Sie sind bange, ihre neuen Kleider könnten hinter den Budenauslagen nicht recht zur Geltung kommen. Ich wünschte wahrhaftig, dieser Blockadebrecher ... wie heißt er doch noch?«
»Kapitän Butler«, half Mrs. Elsing nach.
»Ich wollte, er brächte mehr Lazarettbedarf und weniger Reifröcke und Spitzen herein. Wo ich auch heute ein Kleid bewundern mußte, und es waren mindestens zwanzig, alle hatte er durch die Blockade geschmuggelt. Kapitän Butler ... ich mag den Namen nicht mehr hören. Also, Pitty, wi r haben keine Zeit, länger zu reden, du mußt kommen. Im hinteren Raum sieht dich niemand, und Melly fällt ohnehin nicht auf. Die Bude liegt ganz amEnde und ist nicht sehr hübsch. Da bemerkt euch niemand.«
»Ich finde, wir sollten hingehen«, mischte sich Scarlett ein und versuchte, so harmlos wie irgend möglich auszusehen. »Es ist das mindeste, was wir für das Lazarett tun können.«
Keine der Besucherinnen war auch nur auf den Gedanken gekommen, eine Frau, die kaum ein Jahr Witwe war, bei dieser gesellschaftl ichen Veranstaltung um ihre Mitwirkung zu bitten. Sie sahen sie scharf und erstaunt an; mit großen Kinderaugen hielt Scarlett ihren Blick aus. »Ich finde, jeder hat die Pflicht, das Seine zu tun. Melly und ich könnten doch vielleicht zusammen diese Bude übernehmen, denn ... macht es nicht auch einen besseren Eindruck, wenn wir zu zweien da sind, als eine allein? Was meinst du, Melly?«
»Gott, ja«, stammelte Melly hilflos. Der Gedanke, auf einer gesellschaftlichen Veranstaltung öffentlich zu erscheinen, während sie in Trauer waren, schien ihr so unerhört, daß sie damit nicht zurechtkommen konnte.
»Scarlett hat recht«, sagte Mrs. Merriwether. Sie stand auf und schüttelte den Reifrock zurecht »Ihr beide ... ihr alle müßt kommen. Nein, Pitty, fang nicht wieder mit Entschuldigungen an. Bedenk doch nur, wie dringend das Lazarett Geld braucht! Und wie lieb wäre es Charlie, wenn ihr der heiligen Sache helfen würdet, für die er starb!«
Pittypat war einer stärkeren Persönlichkeit gegenüber immer hilflos. »Wenn ihr meint, daß die Leute es richtig verstehen ...«
»Es ist zu schön, um wahr zu sein! Es ist zu schön, um wahr zu sein!« jubelte Scarletts Herz, als sie unauffällig in die rosa und gelb verhängte Bude schlüpfte, die eigentlich den McLureschen Mädchen gehörte. Sie war auf einer Gesellschaft! Nach einjähriger Abgeschiedenheit in Trauerkleidern und mit gedämpften Stimmen, nach einer Langeweile, die sie schier verrückt gemacht hatte, war sie nun wirklich auf einer Gesellschaft, der größten, die Atlanta je erlebt hatte. Sie konnte wieder Leute sprechen, durfte Lichter sehen und mit eigenen Augen die entzückenden Spitzen, Kleider und Rüschen betrachten, die der berühmte Kapitän Butler auf seiner letzten Fahrt durch die Blockade geschmuggelt hatt e.
Sie sank auf einen der kleinen Hocker hinter der Auslage der Bude und blickte den langen Saal entlang, der noch vor kurzem ein kahler Exerzierraum gewesen war. Wie mußten die Damen heute noch gearbeitet haben, um ihn schön zu machen! Jeder Leuchter und jede Kerze aus ganz Atlanta schienen heute abend hier aufgestellt zu sein. Silberne Leuchter mit einem Dutzend gespreizter Arme, Porzellankandelaber mit zierlichen Figürchen am Fuße, hohe würdige Messingleuchter, alle mit Kerzen von jeder Größe und Farbe versehen, waren auf den Gewehrständern, an den Wänden, auf den langen blumengeschmückten Tischen und sogar vor den offenen Fenstern aufgestellt, durch die die warme Sommerluft gerade kräftig genug hereinwehte, um die Flämmchen ins Flackern zu bringen. Die häßliche Riesenlampe, die in der Mitte der Halle an rostigen Ketten von der Decke herabhing, war mit Efeu und Weinlaub, das in der Hitze schon schlaff wurde, völlig verkleidet worden. Die Wände waren ebenfalls über und über mit würzig duftenden Kiefernzweigen bedeckt, in den Ecken hatte man hübsche Lauben für die alten Damen entstehen lassen. Um die Fensterrahmen und die bunten Buden schlangen sich zierliche Laubgewinde, und inmitten des Grüns prangten überall auf Flaggen und Fahnentüchern die hellen Sterne der Konföderierten auf ihrem rotblauen Hintergrund. Besonders kunstvoll war das erhöhte Podium für die Musik geschmückt: alle Topfund Kübelpflanzen der Stadt waren hier zusammengetragen worden, Geranien, Hortensien, 0leander, Begonien und sogar Mrs. Elsings ängstlich gehütete Gummibäume, die als Ehrenposten an den vier Ecken aufgestellt waren.
Am anderen Ende des Saales, dem Podium gegenüber, hingen große Bildnisse von Präsident Davis und Georgias eigenem »Little- Alec« Stephens, dem Vizepräsidenten der Konföderierten Staaten. Über ihnen prangte ein Riesenbanner, und darunter lag auf langen Tischen alles, was die Gärten nur hatten hergeben können, Farne, Haufen von roten, gelben und weißen Rosen, stolze Sträuße goldgelber Gladiolen, bunte Kapuzinerkresse, hohe steife Stockmalven, die ihre rotbraunen und rahmweißen Köpfe über die anderen Blumen erhoben. Dazwischen brannten helle Kerzen wie auf einem Altar. Die beiden Gesichter blickten von den Bildern auf das Schauspiel herab. Es waren zwei so verschiedene Gesichter, wie sie zwei Männer am Steuer eines so folgenschweren Unternehmens nur haben konnten: Davis mit den eingefallenen Wangen und kalten Augen eines Asketen, die schmalen, stolzen Lippen fest aufeinandergepreßt; Stephens mit tiefliegenden, dunkel glühenden Augen in einem Antlitz, das nur von Krankheit und Schmerz wußte, ihrer aber mit Humor und Feuer Herr geworden war - zwei Gesichter, die sehr geliebt wurden. Nun kamen die ältlichen Komiteedamen, in deren Händen die ganze Verantwortung für die Veranstaltung ruhte, wie mit vollen Segeln hereingerauscht und trieben die verspäteten jungen Frauen und kichernden Mädchen auf ihre Plätze in den Buden, dann wogten sie durch die Türen in die hinteren Räume, wo die Erfrischungen angerichtet wurden - Tante Pitty keuchend hinter ihnen her. Die Musikanten kletterten auf ihr Podium, eine schwarze grinsende Gesellschaft, die fetten Gesichter glänzten schon von Schweiß. Sie begannen ihre Geigen zu stimmen und strichen und lärmten mit ihren Bogen im Vorgefühl ihrer Wichtigkeit. Der alte Levi, Mrs. Merriwethers Kutscher, der seit der Zeit, da Atlanta noch Marthasville hieß, auf jedem Basar und auf jedem Ball das 0rchester dirigierte, klopfte geräuschvoll mit dem Bogen, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Aller Augen wendeten sich ihm zu. Dann fingen die Geigen, Bratschen, Akkordeons und Banjos unter Begleitung der Schlagzeuge an, »Lorena« zu spielen, vorerst noch zum Tanzen zu langsam. Der Tanz sollte erst später beginnen, wenn die Buden leergekauft waren. Scarlett schlug das Herz rascher, als die süße Schwermut des Walzers an ihr 0hr klang:
»Langsamschwinden die Jahre, Lorena!
Auf den Feldern liegt wieder der Schnee.
Schon tief steht die Sonne amHimmel, Lorena ...!«
Eins, zwei, drei; eins, zwei, drei; tiefe Verbeugung und drehen drei; eins, zwei, drei. Was für ein herrlicher Walzer! Sie breitete die Arme aus, schloß die Augen und wiegte sich in dem traurigen Rhythmus, der einen nicht wieder losließ. In der schwermütigen Melodie von Lorenas verlorener Liebe lag etwas, was sich mit ihrer eigenen Erregung verschmolz und ihr beklemmend in die Kehle stieg.
Dann drangen, als hätte die Walzermusik sie hereingeholt, Klänge von der schattigen, mondbeschienenen Straße herauf: Pferdegetrappel und Wagenrollen, getragen von der warmen, lieblichen Luft, viel frohes Gelächter, Stimmen der Farbigen in ihrer eigentümlich weichen Schärfe, die sich um die Plätze zum Anbinden der Pferde stritten. Von der Treppe her hörte man die frischen Stimmen der Mädchen, die sich mit den Bässen ihrer Begleiter vermischten, muntere Ausrufe der Begrüßung und des freudigen Wiedererkennens. Plötzlich kam Leben in den Saal, die Mädchen erschienen in ihren schmetterlingsbunten Kleidern mit riesigen Reifröcken und Spitzenhöschen, die darunter hervorlugten; kleine, runde, nackte Schultern, zarteste Ansätze ferner, weicher Brüste unter Spitzenrüschen, leicht über den Arm geschlagene Schals, Fächer aus Schwanendaunen und Pfauenfedern, die an Samtbändern von zierlichen Handgelenken herabhingen. Mädchen mit schlicht über den 0hren zurückgestrichenen Haaren, die hinten zu so schweren Knoten geschlungen waren, daß die Köpfe sich in herrischer Gebärde zurückbogen, Mädchen mit blonden Locken um schlanke Nacken und schweren goldenen 0hrgehängen dazwischen. Geschmuggelte Seiden, Spitzen, Borten und Schleifen, alles um so stolzer getragen, als es den Yankees zum Hohn die Blockade durchbrochen hatte.
Nicht alle Blumen der Stadt waren den beiden Führern der Konföderierten Staaten als Tribut dargebracht worden. Mit den allerfeinsten, allerduftigsten Blüten waren diese jungen Mädchen geschmückt. Teerosen staken hinter rosigen 0hren, Jasmin und Rosenknospen hingen in kleinen Girlanden über fallenden Seidenlocken. Blüten wurden sittsam in Atlasschärpen getragen und fanden, noch ehe die Nacht zu Ende ging, ihren Weg als kostbare Andenken in die Brusttaschen grauer Uniformen. In diesen Uniformen waren viele Männer erschienen, die Scarlett vom Lazarett, von der Straße oder vom Exerzierplatz her kannte. Es waren prächtige Waffenröcke mit blanken Knöpfen und funkelnden Goldtressen an Aufschlägen und Kragen; vorzüglich hoben sich von dem Grau der Hosen die roten, gelben und blauen Streifen der verschiedenen Waffengattungen ab. Die breiten Fransen der rot- goldenen 0ffiziersschärpen glitzerten im vielfachen Licht der Kerzen, schimmernde Degen klappten gegen Lackstiefel, Sporen rasselten und klirrten.
»Was für gutaussehende Männer!« dachte .Scarlett in freudiger Erregung, als die Begrüßungen begannen. Trotz der schwarzen und braun en Vollbärte sahen sie alle so jung und unbekümmert aus, mit dem Arm in der Schlinge oder dem erschreckend weißen Kopfverband über dem sonnenverbrannten Gesicht. Einige kamen an Krücken - wie sorgsam paßten ihrem Humpeln die Mädchen den Schritt an! Eine Un iform beschämte durch ihre Farbenpracht den buntesten Putz der Damen und stach aus dem Schwärm wie ein tropischer Vogel hervor. Es war ein Zuave aus Louisiana mit blau und weiß gestreiften Pluderhosen, elfenbeinfarbenen Gamaschen und einem enganliegenden roten Jäckchen - ein dunkler, grinsender kleiner Affe von Mann mit dem Arm in einer schwarzen Seidenschlinge. Das war Maybelle Merriwethers bevorzugter Verehrer, Rene Picard. Das ganze Lazarett war offenbar hier, wenigstens jeder, der gehen konnte, alle Urlauber, alle vom Eisenbahnund Postdienst, von den Sanitäts und Requirierungskommandos zwischen hier und Macon. Wie mußten sich die Komiteedamen freuen! Das Lazarett mußte eine Unsumme von Geld dabei einnehmen.
Von der Straße herauf erscholl Trommelwirbel. Ein Signalhorn ertönte, eine Baßstimme kommandierte: »Rührt euch!« Darauf erdröhnte die schmale Treppe unter den Tritten der Landwehr und des Landsturms, deren bunte Uniformen sich nun gleichfalls in den Saal ergossen. Hier gab es blutjunge Burschen, die sich gelobt hatten, nächstes Jahr um diese Zeit in Virginia zu sein, falls der Krieg so lange dauerte, und alte weißbärtige Männer, die sich wünschten, jünger zu sein, und doch stolz waren, Uniform zu tragen, stolz in dem Abglanz ihrer Söhne an der Front. Unter den Landsturmleuten aber erblickte man vereinzelt auch Männer in felddienstfähigem Alter, die nicht ganz so unbefangen einhergingen wie die Knaben und Greise. Schon begann es um sie her zu tuscheln und zu fragen, warum sie nicht bei General Lee an der Front seien.
Wie sollten sie nur alle in diesem Saal Platz finden! Noch ein paar Minuten vorher hatte er so groß und leer ausgesehen, und nun war er gedrängt voll. Warme sommerliche Düfte erfüllten ihn: Eau de Cologne, Riechwasser, Pomade und brennende Wachskerzen, Blumenduft und schwacher Staub von dem Tritt so vieler Füße auf den alten verbrauchten Dielen. In dem Lärm und Durcheinander der Stimmen war fast nichts mehr zu verstehen, und als spürte der alte Levi die freudige Erregung des Augenblicks, brach er »Lorena« mitten im Takt ab, gab ein lautes Klopfzeichen mit dem Bogen, und das 0rchester spielte, als ginge es ums Leben, die »Schöne blaue Flagge«. Hunderte stimmten ein, sangen mit, jubelten das Lied wie einen einzigen Hochruf. Der Hornist des Landstu rms stieg auf die Plattform und fiel ein, gerade als der Refrain begann, und die hohen Silbertöne stiegen über den Massengesang hinaus, daß es allen durch Mark und Bein ging, auf nackten Armen die Gänsehaut ausbrach und die Erregung kalte Schauer das Rückgrat hinunterjagte:
»Hurra, hurra! Für das Recht des Südens! Für die schöne blaue Flagge, hurra! Nur ein Stern ziert sie, hurra!«
Dröhnend stimmten sie den zweiten Vers an. Scarlett hörte, während sie mitsang, wie hinter ihr Melanies hoher süßer Sopran ebenso klar und eindringlich wie der Silberklang des Horns aufstieg. Sie drehte sich um und sah Melly mit geschlossenen Augen und auf der Brust gefalteten Händen dastehen. Feine Tränen liefen ihr die Wangen hinunter. Als die Musik aufhörte, lächelte sie Scarlett seltsam zu, verzog ein wenig den Mund, als ob sie sich entschuldigen wollte, während sie sich mit dem Taschentüchlein die Augen abtupfte. »Ich bin so glücklich«, flüsterte sie, »und so stolz auf die Soldaten, daß ich weinen muß.« In ihren Augen leuchtete eine tiefe, fanatische Glut, die ihr unscheinbares Gesichtchen überstrahlte und verschönte.
Als das Lied zu Ende war, lag derselbe Glanz auf den Gesichtern aller Frauen, Tränen des Stolzes auf rosigen wie auf runzligen Wangen, ein Lächeln auf den Lippen und in den Augen heiße Glut, wenn sie ihre Männer ansahen, die Liebste den Geliebten, die Mutter den Sohn, die Gattin den Gatten. Alle hatten teil an jener Schönheit, die auch die unscheinbarste Frau verklärt, wenn sie sich ganz und gar geliebt und beschützt fühlt und die Liebe tausendfältig zurückgibt. Sie liebten die Männer ihres Vaterlandes, sie glaubten an sie und vertrauten ihnen bis zum letzten Atemzug. Wie konnte denn der Heimat ein Unglück widerfahren, wenn diese hochgemute graue Mauer der heldenhaftesten und ritterlichsten Männer, die je auf der Welt gelebt hatten, sich zwischen ihr und den Yankees erhob! Aller Herzen waren übervoll von Hingabe und Stolz, übervoll von der gerechten Sache der Konföderierten, deren endgültiger Sieg zum Greifen nahe war. »Stonewall« Jacksons Erfolge im Shenandoahtal und die Niederlage der Yankees in der siebentägigen Schlacht um Richmond ließen daran keinen Zweifel. Wie konnte das bei solchen Heerführern wie Lee und Jackson auch anders sein? Noch ein Sieg, dann lagen die Yankees am Boden und bettelten um Frieden. Dann kamen die Männer nach Hause geritten, und dann war des Küssens und Lachens kein Ende. Noch ein Sieg, und der Krieg war aus.
Freilich stand mancher Stuhl leer, mancher Säugling sollte die väterlichen Züge nie zu Gesicht bekommen, manches namenlose Grab lag an einsamen Bächen in Virginia und in den stillen Bergen von Tennessee. Aber war denn solcher Preis für die heilige Sache zu hoch? Daß Seidenstoffe und Genußmittel schwer zu haben waren, darüber lachte man nur. Außerdem brachten die schneidigen Blockadebrecher vor der Nase der Yankees manches herein, und das machte seinen Besitz doppelt aufregend. Bald würden Raphael Semmes und die konföderierte Flotte sich etwas näher mit den Kanonenbooten der Yankees befassen, und dann standen die Häfen wieder weit offen. Überdies mußte England den Südstaaten zu Hilfe kommen, denn dort standen die Spinnereien still, solange sie keine Baumwolle erhielten. Natürlich stand auch der britische Adel auf seilen der Konföderierten, wie eben Aristokraten gegen ein Gesindel von Geldmachern zusammenhielten.
So ließen denn die Frauen ihre Seide rauschen und empfanden die doppelte Süßigkeit der Liebe im Angesicht von Tod und Gefahr. Scarletts Herz pochte in der stürmischen Erregung, endlich wieder unter Menschen zu sein. Aber der Ausdruck einer schwärmerischen Begeisterung auf allen Gesichtern, die sie nicht teilte und nur halb verstand, dämpfte ihre Freude. Der Saal schien ihr nicht mehr so schön, die Mädchen nicht mehr so elegant, als ihr der Gedanke kam, daß all diese Glut der Hingabe auf jedem Antlitz vergeblich und ... albern sei.
Voller Entsetzen sagte sie sich: »Nein, nein! So etwas darfst du nicht denken, das ist unrecht, das ist Sünde!« Aber doch war ihr klargeworden , daß die große heilige Sache ihr nichts bedeutete. Es langweilte sie nur, wenn alle Menschen mit fanatischem Blick in den Augen davon sprachen. Der Krieg kam ihr durchaus nicht als etwas Heiliges, sondern als etwas sehr Lästiges und Sinnloses vor. Ihr wurde klar, wie müde sie des endlosen Strickens, des Bindenrollens und Scharpiezupfens war, von dem ihre Fingerspitzen rauh wurden. Ach, und das Lazarett hatte sie so satt! Es machte sie elend und krank mit seinen ekelerregenden Gerüchen und dem endlosen Gestöhn. Der Ausdruck nahenden Todes auf den eingefallenen Gesichtern war ihr fürchterlich.
Verstohlen blickte sie sich um, voller Sorge, es möchte jemand in ihrem Gesicht lesen, was in ihrer Seele vorging. Warum konnte sie nicht wie die anderen Frauen empfinden? Sie alle meinten wirklich von ganzem Herzen, was sie sagten und taten, sie aber mußte die Begeisterung und den Stolz, den sie nicht empfinden konnte, spielen; mußte die Maske der Kriegerwitwe anlegen, die ihren Schmerz tapfer trägt, während ihr Herz im Grabe liegt; die davon durchdrungen ist, daß ihres Mannes Tod nichts gegen den Sieg der großen heiligen Sache bedeutet. Ach, wie einsam sie sich fühlte, sie, die doch niemals zuvor einsam gewesen war! Anfangs versuchte sie, sich selber über ihre Empfindungen zu täuschen, aber die harte Ehrlichkeit, die ein Grundzug ihres Wesens war, ließ es nicht zu, und während dieses Wohltätigkeitsfest seinen Gang ging, war ihr Geist emsig beschäftigt, sich vor sich selbst zu rechtfertigen, eine Aufgabe, die ihr selten schwerfiel. Alle andern Männer und Frauen schienen ihr wie benebelt von ihrer Vaterlandsliebe; sie allein, Scarlett 0'Hara-Hamilton, hatte den klaren irischen Verstand, der sich nicht bestechen ließ; aber keiner durfte je die Nüchternheit ihrer Anschauungen erfahren! Welche Empörung würde es hervorrufen, wenn sie plötzlich aufs Podium spränge und sagte, der Krieg möge aufhören, damit sie alle wieder heimkehren und sich um ihre Baumwolle kümmern könnten, damit es wieder Gesellschaften und Verehrer und blaßgrüne Kleider in Hülle und Fülle gäbe!
Für einen Augenblick blickte sie angewidert und voller Hochmut auf das Treiben rings um sie her. Ihre Bude war unauffällig gelegen, selten nur kam jemand daran vorbei, und Scarlett konnte nichts anderes tun als den fro hen Schwarm von weitem betrachten. Melanie, die ihre Mißstimmung bemerkte, sie aber der Sehnsucht nach Charlie zuschrieb, beschäftigte sich damit, die Waren in ihrer Auslage schöner zu verteilen, während Scarlett mürrisch in den Saal blickte und sogar an den vielen Blumen unter den Bildern von Davis und Stephens nichts als Mißfallen fand. »Wie ein Altar sieht es aus«, dachte sie abfällig. »Die beiden könnten fast Gott, Vater und Sohn, darstellen!« Erschrocken über ihren eigenen Einfall bekreuzigte sie sich verstohlen, verfolgte den Gedanken aber doch weiter. Die Leute machten so viel Wesens von den beiden, als seien sie Heilige, und dabei waren es doch nur Menschen, und sie sahen nicht einmal gut aus. Natürlich konnte Stephens nicht dafür, daß er sein Leben lang krank gewesen war; aber Davis' stolzes Gesicht mit den reinen, scharfgeschnittenen Zügen verdroß sie wegen seines Ziegenbartes, und sie sah nicht darin die klare kalte Intelligenz, die die Bürde einer neuen Nation trug. Scarlett fühlte sich nicht glücklich, denn niemand achtete ihrer. Sie war hier die einzige junge, nicht verheiratete Frau, die keinen Verehrer hatte. Sie war siebzehn Jahre alt, ihre Füße wollten tanzen und springen. Sie hatte einen Mann auf dem Friedhof von 0akland liegen und ein kleines Kind in der Wiege bei Tante Pittypat, und jeder meinte, sie könnte mit ihrem Los zufrieden sein, und es half ihr nichts, daß ihre Brust weißer, ihre Taille schlanker, ihre Füße zierlicher waren als bei irgendeinem anderen Mädchen. Sie war nicht alt genug, um Witwe zu sein, und doch mußte sie hier in vorbildlicher Witwenwürde sitzen und ihre Stimme dämpfen und ihre Augen verschämt niederschlagen, wenn Herren an ihre Bude traten. Sie kam sich in dem heißen schwarzen Taft, der kaum ihre Handgelenke freiließ und bis ans Kinn zugeknöpft war, wie eine Krähe vor und mußte geduldig zusehen, wie so viele unscheinbare Mädchen sich gutaussehenden Männern an den Arm hängten. Und alles, weil Charles die Masern gehabt hatte. Nicht einmal den Heldentod in der Schlacht war er gestorben, womit sie wenigstens noch hätte prahlen können. Gereizt stützte sie die Ellbogen auf den Auslagentisch und sah herausfordernd in die Menge. Was scherte es sie, daß Mammy sie so oft ermahnt hatte, die Ellbogen nicht aufzustützen, damit sie nicht runzlig würden! Was lag daran, wenn sie häßlich würden? Wahrscheinlich bekam sie doch nie wieder Gelegenheit, sie zu zeigen. Begehrlich betrachtete sie die Menge. Maybelle Merriwether ging am Arm des Zuaven an der nächsten Bude vorbei. Sie trug ein apfelgrünes Tarlatankleid, übersät von elfenbeinfarbenen Chantillyspitzen, die mit dem letzten Blockadezug aus Charleston gekommen waren, und protzte so damit, als hätte sie selbst und nicht der berühmte Kapitän Butler die Blockade durchbrochen.
»Wie süß müßte ich darin aussehen! Sie hat eine Taille wie eine Kuh. Das Grün ist meine Farbe, meine Augen würden darin ... Warum versuchen Blondinen überhaupt, diese Farbe zu tragen! Ihre Haut sieht darin grün wie Käse aus. Ach, wenn ich denke, daß ich die Farbe nie wieder tragen darf, selbst dann nicht, wenn die Trauer vorüber ist! Dann werde ich altes, verstaubtes Grau und Braun und Lila tragen müssen. War es nicht ein furchtbarer Unsinn, die ganze Mädchenzeit hindurch zu lernen, wie man Männer gewinnt, und seine Fähigkeiten dann nur ein oder zwei Jahre gebrauchen zu dürfen?« Wenn sie über ihre Erziehung unter Ellens und Mammys Augen nachdachte, so wußte sie, daß sie gründlich und gut gewesen war, denn der Erfolg war nie ausgeblieben. Wie unfehlbar und zuverlässig waren die festen Regeln dieser Erziehung! Mit alten Damen war man lieb und arglos und schlicht, um ihre scharfen, mißtrauischen Blicke zu entwaffnen. Mit alten Herren mußte man schlagfertig und keck sein und schon fast ein wenig liebäugeln, doch nur so viel, daß es ihre Eitelkeit kitzelte. Dann fühlten sie sich wieder jung und kniffen einen in die Wangen. Natürlich mußte man alsdann erröten, sonst taten sie es ärger als schicklich war und erzählten ihren Söhnen, man sei flott. Mit jungen Mädchen floß man über vor Liebe und küßte sie jedesmal, wenn man sie sah, und wäre es zwanzigmal am Tag. Man bewunderte unterschiedslos ihre neuen Kleider, neckte sie wegen ihrer Verehrer und sagte nie, was man wirklich dachte. Die Männer anderer Frauen ließ man gänzlich ungeschoren, um nicht ins Gerede zu kommen. Aber mit den jungen unverheirateten Männern war das eine andere Sache! Ihnen konnte man leise zulachen, mit den Augen konnte man viel Aufregendes versprechen, bis der Mann Himmel und Erde in Bewegung setzte, um mit einem allein zu sein. War man aber allein, so konnte man tiefgekränkt oder sehr böse sein, wenn er zu küssen versuchte. Man konnte ihn dann dazu bringen, sich zu entschuldigen, daß er sich wie ein Schuft benommen habe, und ihm so lieb verzeihen, daß es ihm den Kopf vollends verdrehte. Manchmal ließ man sich auch küssen. Dann weinte man hernach und behauptete, nicht zu wissen, was über einen gekommen sei, und nun könne er wohl nie wieder Achtung vor einem haben. Dann trocknete er einem die nassen Augen und machte meistens einen Heiratsantrag, um so seine Achtung gleich zu beweisen. 0h, wieviel ließ sich doch mit Junggesellen anfangen! Und Scarlett beherrschte alle Schattierungen des Seitenblicks und des halben Lächelns, des Wiegens in den Hüften, sie beherrschte die Tränen, die Ausgelassenheit, die Schmeichelei, das süße Mitgefühl. Sie beherrschte sie alle, die Künste und Kniffe, die nie versagten - außer bei Ashley.