Kitabı oku: «Vom Winde verweht», sayfa 19
Wäre er nicht so ausgesprochen männlich gewesen, so hätte man ihm seine Fähigkeit, Kleider, Hüte und Haartrachten im Kopf zu behalten, als weibische Eigenschaft schlimmster Art angekreidet. Den Damen war es nie ganz geheuer, wenn sie ihn mit ihren Modefragen bestürmten, aber sie taten es trotzdem. Sie waren von der Modewelt abgeschnitten wie gestra ndete Seeleute, denn nur wenig Zeitschriften schlüpften durch die Blockade. Die französischen Damen hätten sich den Kopf rasieren und Bärenmützen tragen können, hier hätte man nichts davon gewußt. Rhett Butlers ausgezeichnetes Gedächtnis war daher ein guter Ersatz für »Godeys Damenalmanach«. Er hatte ein unfehlbares Auge für all die modischen Kleinigkeiten, die den Frauen am Herzen liegen. Nach jeder Europareise sah man ihn wieder als Mittelpunkt eines Schwarms von Damen, denen er berichtete, daß die Hüte dieses Jahr Heiner seien und höher auf dem Kopf saßen, den sie immerhin zum größten Teil bedeckten, daß nicht mehr Blumen, sondern Federn zur Verzierung dienten, daß die französische Kaiserin zur Abendtoilette keinen Chignon mehr trage, sondern ihr Haar ganz oben auf dem Kopf auftürme und die 0hren völlig frei lasse, daß die Abendkleider wieder anstößig tief ausgeschnitten seien. Einige Monate lang war er also trotz den unbestimmten Gerüchten, er spekuliere obendrein mit Nahrungsmitteln, die beliebteste und romantischste Gestalt in der Stadt. Wer ihn nicht mochte, behauptete, jedesmal, wenn er nach Atlanta käme, schnellten die Preise von neuem um ein paar Dollar in die Höhe. Aber bei allem Klatsch hätte er so beliebt bleiben können, wie er nur wollte, wenn es ihm nur der Mühe wert gewesen wäre. Statt dessen schien es, als diente die Gesellschaft gesetzter Patrioten ihm nur zum Zeitvertreib, als triebe ihn, nachdem er die widerwillige Hochachtung gewonnen hatte, eine neue Schrulle, sie eigens vor den Kopf zu stoßen und ihr zu zeigen, wie gleichgültig sie ihm sei.
Es war, als hege er für alles und jedes im Süden und insbesondere für die Konföderierten Staaten nur Verachtung und gebe sich nicht einmal Mühe, dies zu verbergen. Bei seinen Bemerkungen über die Konföderierten wurde Atlanta zuerst stutzig, dann kühl und zuletzt wütend. Noch ehe das Jahr 1862 zu Ende ging, grüßten ihn die Männer nur noch mit eisiger Kälte, und die Frauen fingen an, ihre Töchter nicht aus den Augen zu lassen, wenn er in einer Gesellschaft erschien. Er machte sich offenbar ein Vergnügen daraus, nicht nur die Wohlgesinnten in Atlanta vor den Kopf zu stoßen, sondern auch sich selbst im denkbar schlechtesten Licht erscheinen zu lassen. Wenn man ihm eine Schmeichelei über seine Tapferkeit s agte, erwiderte er sanft, er habe in der Gefahr immer Angst, genau wie die braven Jungen an der Front. Jedermann wußte, daß es einen feigen Soldaten bei den Konföderierten noch nie gegeben hatte, und fand eine solche Feststellung ganz besonders ungehörig. Von den Soldaten sprach er immer als von »unseren braven Jungens« oder »unseren grauen Helden«, und das in einem Ton, der nur allzudeutlich die äußerste, schimpflichste Ironie durchblicken ließ. Wenn kokette junge Damen ihm dafür Dank sagten, daß er einer der Helden sei, die für sie kämpften, verbeugte er sich bescheiden und erklärte, das sei nicht der Fall; denn er würde dasselbe für die Damen der Yankees tun, wenn dieselbe Summe Geldes dabei herausspränge.
Auch mit Scarlett hatte er seit ihrem ersten Zusammentreffen in Atlanta in diesem Ton gesprochen. Wenn er bewundert wurde, antwortete er unfehlbar, seine Heldentaten seien für ihn nur ein Geschäft. Wenn er mit Regierungsaufträgen ebensoviel Geld verdienen könnte, pflegte er zu sagen und dabei diejenigen anzusehen, die Regierungsaufträge hatten, dann würde er sicher nicht mehr die Gefahr der Blockadeschiffahrt auf sich nehmen, sondern lieber den Konföderierten schlechtes Tuch, sandigen Zucker, verdorbenes Mehl und rissiges Leder verkaufen.
Die meisten solcher Bemerkungen wirkten um so schlimmer, als sie nicht zu widerlegen waren. Mit den Inhabern von Regierungsaufträgen war es schon zu Skandalen gekommen. Die Frontkämpfer beklagten sich in ihren Briefen fortwährend über Schuhe, die in einer Woche zerschlissen seien, über Pulver, das nicht zündete, über Zaumzeug, das zerriß, über verdorbenes Fleisch und Mehl voller Würmer. Die Leute aus Atlanta suchten sich einzureden, daß die Firmen, die der Regierung solchen Schund verkauften, aus Alabama, Virginia oder Tennessee, nicht aber aus Georgia sein müßten. Unter den Vertragsinhabern aus Georgia waren ja Männer aus den allerbesten Familien. Waren sie nicht die ersten, die Betriebskapital für Lazarette und Beiträge für die Hinterbliebenen zeichneten? Die ersten, di e jubelten und Beifall klatschten, wenn »Dixie« gespielt wurde, die Blutdürstigsten, wenn von der Vernichtung der Yankees die Rede war? Noch war die Flut des Unwillens gegen die Kriegsgewinnler nicht auf ihrer vollen Höhe, und Rhett Butlers zynische Worte zeugten nur für seine schlechte Erziehung.
Er beleidigte die Stadt nicht nur dadurch, daß er hochgestellten Mitbürgern Bestechlichkeit zutraute und den Mut der Frontkämpfer in Frage stellte, er fand auch Vergnügen daran, die würdige Bürgerschaft in peinliche Lagen zu bringen. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen, dem Dünkel, der Heuchelei und der Vaterlandsliebe seiner Umgebung Nadelstiche zu versetzen, sowenig, wie ein kleiner Junge es sich verkneifen kann, einen Luftballon anzustechen. Fein säuberlich und fast unmerklich wurde von ihm alles Pathos entwertet, die Unwissenheit entlarvt, das Frömmlertum verspottet. Er fing es so schlau an, seine 0pfer durch scheinbar höflichste Anteilnahme aus sich herauszulocken, daß sie nie genau wußten, was eigentlich geschehen war, bis sie als offenkundige Windbeutel und Narren amPranger standen.
Während der Monate, die er in der Stadt eine so große Rolle gespielt, hatte sich Scarlett keinen Illusionen über ihn hingegeben. Sie wußte, daß er die Rolle des schneidigen Patrioten zum bloßen Spaß und Zeitvertreib spielte. Manchmal kam er ihr vor wie die Jungens aus der Provinz, mit denen sie aufgewachsen war, die wilden Zwillinge Tarleton mit ihrem unbändigen Hang zu Streichen, die Fontaines, die nichts wie Unfug im Kopf hatten, und die Calverts, die nächtelang aufsaßen und Schabernack trieben. Aber da war ein Unterschied. Denn hinter Rhetts scheinbarer Freundlichkeit war etwas Boshaftes, ja in seiner sanften Brutalität etwas Finsteres verborgen.
0bwohl Scarlett seine Unaufrichtigkeit gründlich durchschaute, hatte sie ihn doch lieber in der Rolle des romantischen, tapferen Seefahrers. Diese Rolle machte es ihr leichter, mit ihm gemeinsam in Gesellschaften zu erscheinen, als es im Anfang der Fall gewesen war. Deshalb ärgerte es sie sehr, daß er die Maske fallen ließ und geflissentlich darauf ausging, Atlantas Wohlwollen wieder zu verscherzen. Es ärgerte sie, weil es ihr so töricht vorkam, und auch, weil manches harte Urteil, das ihm zugedacht war, gleichzeitig auf sie fiel. Auf Mrs. Elsings musikalischem Wohltätigkeitsfest zum Besten der genesenden Lazarettinsassen geschah es, daß Butler sich sein endgültiges Scherbengerichtsurteil selbst ausstellte. An diesem Nachmittag wimmelte es bei Elsings von Gästen, jeder Stuhl im Hause war besetzt, und sogar die lange gewundene Treppe hinauf drängten sich die Besucher. Die große Kristallschale, mit welcher der Diener an der Tür stand, mußte zweimal von Silbermünzen geleert werden, und das genügte schon, um den Erfolg sicherzustellen, denn ein Silberdollar war sechzig Dollar in konföderiertem Papiergeld wert.
Jedes Mädchen, das auf einiges Talent Anspruch machte, hatte bereits gesungen oder Klavier gespielt, und die lebenden Bilder waren mit lautem Beifall aufgenommen worden. Scarlett war sehr mit sich zufrieden. Sie hatte nicht nur mit Melanie ein rührendes Duett und ein lustiges Volkslied gesungen, sie war auch dazu erkoren worden, in dem letzten der lebenden Bilder den Geist der Konföderation darzustellen. Sie hatte in ihrem zücht ig gerafften griechischen Gewand aus weißem Nessel mit rotblauem Gürtel reizend ausgesehen. Mit der einen Hand hatte sie das Sternenbanner, mit der anderen Charles' Degen gehalten und über dem knienden Hauptmann Carey Ashburn aus Alabama ausgestreckt. Als ihr Bild vorüber war, konnte sie es sich nicht versagen, nach Rhett Butlers anerkennendem Blick zu suchen. Aber zu ihrem großen Ärger befand er sich in angeregter Unterhaltung und schien sie überhaupt nicht bemerkt zu haben. Scarlett sah die Gesichter um ihn herum flammend vor Zorn über das, was er sagte.
Sie brach sich zu ihm Bahn und hörte in einer verlegenen Stille gerade Willie Guinan vom Landsturm sagen: »Verstehe ich Sie recht, daß nach Ihrer Meinung die Sache, für die unsere Helden gefallen sind, keine heilige Sache ist?«
»Wenn Sie von einem Eisenbahnzug überfahren werden, so würde Ihr Tod doch wohl kaum die Gesellschaft heiligen, der die Eisenbahn gehört, nicht wahr?« fragte Rhett, und es klang so bescheiden, als bäte er um Rat und Belehrung.
»Herr«, sagte Willie mit bebender Stimme, »wenn wir nicht unter diesem Dache wären ...«
»Mir zittern die Glieder, wenn ich daran denke, was dann geschehen könnte«, sagte Rhett. »Ihre Tapferkeit ist ja allgemein bekannt.«
Willie war stark und gesund und befand sich im felddienstfähigen Alter, und doch stand er nicht an der Front. Freilich war er der einzige Sohn seiner Mutter, und schließlich mußte wohl irgend jemand im Landsturm sein, um die Etappe zu beschützen. Immerhin ging über die Gesichter mancher kaum genesener 0ffiziere ein Schmunzeln, als Rhett von Willies Tapferkeit sprach.
»Ach, warum kann er nur nicht den Mund halten!« dachte Scarlett voller Unwillen. »Er verdirbt die Stimmung der ganzen Gesellschaft.«
Auf Dr. Meades Stirn zog sich ein Gewitter zusamme n.
»Ihnen, junger Mann, mag nichts heilig sein«, sagte er in demselben salbungsvollen Ton, in dem er seine Reden zu halten pflegte, »aber den patriotischen Männern und Frauen des Südens sind gar viele Dinge heilig. Die Freiheit unseres Vaterlandes vor dem Usurpator zu schützen, ist eins davon, die Rechte der Staaten sind ein zweites ... und ...«
Rhett blickte ungemein verschlafen drein. Seine Stimme klang seidenweich und beinahe gelangweilt. »Alle Kriege sind heilig«, sagte er, »für die, die mitkämpfen müssen. Wenn die Leute, die den Krieg erklären, ihn nicht heiligsprächen, wer wäre dann so dumm, zu kämpfen? Aber einerlei, mit welchem Feldgeschrei die Narren, die kämpfen, angefeuert werden, und einerlei, was für edle Zwecke die Redner dem Krieg unterschieben, er hat doch immer nur eine einzige Ursache: das Geld. Alle Kriege sind in Wirklichkeit Streitereien um Geld. Aber das begreifen so wenige. Alle 0hren sind ja voll von Hörnerklang und Trommelwirbel und den großen Worten der Redner daheim. Einmal heißt der Schlachtruf: >Rettet das Grab Christi aus den Händen der Heiden!<, ein anderes Mal: >Nieder mit den Papisten!<, manchmal: >Freiheit!< und manchmal >Baumwolle, Sklaverei und Rechte der Südstaaten!< «
»Was hat denn nur der Papst oder das Grab Christi damit zu tun«, dachte Scarlett ärgerlich. Dann sah sie Rhett sich elegant verbeugen und durch die Menge seinen Weg nach der Tür einschlagen. Sie wollte ihm folgen, aber Mrs. Elsing erwischte sie beim Rock und hielt sie fest.
»Laß ihn laufen«, sagte sie mit lauter Stimme, daß es durch den gespannt schweigenden Saal schallte, »laß ihn laufen. Er ist ein Verräter, ein Spekulant, eine Schlange, die wir amBusen genährt haben.«
Rhett stand mit dem Hut in der Hand und hörte, was er hören sollte, ließ einen Augenblick die Blicke über den Saal schweifen, sah anzüglich auf Mrs. Elsings flachen Busen, grinste plötzlich und empfahl sich mit einer Verbeugung.
Mrs. Merriwether fuhr mit Tante Pittys Equipage nach Hause, und kaum hatten die vier Damen Platz genommen, da brach sie los. »Das hast du nun davon, Pittypat Hamilton, nun bist du wohl zufrieden!«
»Womit?«Es schwante Pitty nichts Gutes.
»Mit dem Benehmen des elenden Burschen Butler, den du unter deinen Schutz genommen hast.«
Pittypat verlor unter der Wucht dieser Anklage so völlig die Fassung, daß sie nicht auf den Gedanken kam, Mrs. Merriwether zu erwidern, sie habe ja auch bei verschiedenen Gelegenheiten den Menschen Butler bewirtet. Scarlett und Melanie dachten wohl daran, aber sie schwiegen aus Höflichkeit gegen die älteren Damen und betrachteten angelegentlich ihre behandschuhten Hände.
»Er hat uns alle beleidigt und die Konföderierten Staaten dazu!«
Mrs. Merriwethers mächtiger Busen wogte gewaltig unter dem glitzernden Schmuck der Borten. »Um Geld kämpfen! Unsere führenden Männer uns belügen! Ins Gefängnis gehört er, ja, ins Gefängnis! Ich spreche noch mit Dr. Meade darüber. Wenn nur Mr. Merriwether noch lebte, er würde ihn sich ins Gebet nehmen. Pittypat Hamilton, höre nun, was ich dir sage. Du darfst den Schurken nie wieder dein Haus betreten lassen!«
Pittypat wimmerte hilflos und mit einem Gesicht, als wünsche sie auf der Stelle den Tod herbei. Flehend schaute sie zu den beiden Mädchen hinüber, die ihre Augen durchaus nicht aufschlagen wollten, und dann voller Hoffnung auf 0nkel Peters aufrechten Rücken. Sie wußte, er verfolgte aufmerksam Wort für Wort, was gesprochen wurde, und sie hoffte, er möchte sich umdrehen und die Unterhaltung in die Hand nehmen, wie er es manchmal tat. Sie hoffte, er würde sagen: »Miß Dolly, lassen Sie nun Miß Pitty in Ruhe!«
Aber 0nkel Peter rührte sich nicht. Rhett Butler war ihm von ganzem Herzen zuwider, und das wußte die arme Pitty. Sie seufzte: »Nun, Dolly, wenn du meinst ...«
»Allerdings meine ich«, erwiderte Mrs. Merriwether scharf. »Was hast du dir eigentlich dabei gedacht, als du ihn zuerst empfingst? Von heute an wird er in keinem anständigen Hause der Stadt mehr Zutritt haben. Faß dir nur einmal das Herz und verbiete ihm deine Schwelle.«
Scarlett kochte innerlich und hätte sich aufbäumen mögen wie ein Pferd, das eine fremde, grobe Hand am Zügel fühlt, aber sie hatte Angst, etwas zu sagen. Die Gefahr, Mrs. Merriwether könnte ihrer Mutter doch noch einen Brief schreiben, war gar zu groß. »Könnte ich dir nur einmal geradeheraus sagen«, dachte sie, »was ich von dir und deiner Herrschsucht halte!«
»Das noch erleben zu müssen, daß so verräterisch von unserer Sache gesprochen wird!« fuhr Mrs. Merriwether brodelnd in gerechtem Zorn fort. »Wer unsere Sache nicht für heilig hält, sollte gehenkt werden. Ihr beiden Mädchen dürft überhaupt nicht wieder mit ihm sprechen. Um Gottes willen, Melly, was fehlt dir?«
Melly war bleich geworden, und ihre Augen waren riesengroß. »Und ich spreche doch wieder mit ihm«, sagte sie leise, »ich will nicht ungezogen gegen ihn sein, ich verbiete ihm das Haus nicht.«
Mrs. Merriwethers Atem fuhr mit solcher Gewalt aus ihrer Lunge, als hätte sie einen Stoß in den Magen bekommen. Tante Pittys volle Lippen klappten auf. 0nkel Peter wandte sich um und starrte.
»Warum habe ich nicht den Mut gehabt, dasselbe zu sagen?« dachte Scarlett halb eifersüchtig und halb bewundernd. »Wo hat der kleine Angsthase den Mut her, dem alten Drachen Merriwether so die Stirn zu bieten?«
Melanies Hände bebten, aber hastig, als fürchtete sie, der Mut könnte ihr wieder schwinden, fuhr sie fort: »Ich darf um der Dinge willen, die er sagte, nicht hart gegen ihn sein, weil ... es war ungezogen von ihm, es so laut zu sagen, höchst verkehrt ... aber ... aber ... so denkt Ashley auch, und ich kann nicht einem Manne das Haus verbieten, weil er ebenso denkt wie mein Mann.«
Mrs. Merriwether hatte ihre Fassung wiedergefunden und brach los:
»Melly Hamilton, ich habe im Leben noch nicht eine solche Lüge gehört. Einen Wilkes, der ein Feigling war, hat es noch nie gegeben.«
»Ich habe nicht gesagt, daß Ashley feige ist«, entgegnete Melanie, und ihre Augen begannen aufzufunkeln. »Ich sage nur, daß er genauso denkt wie Kapitän Butler, nur drückt er sich anders aus, und er geht nicht auf Tees und Gesellschaften damit hausieren, hoffe ich, aber er hat es mir geschrieben.«
Scarletts schlechtes Gewissen regte sich, indem sie nachsann, was Ashley wohl geschrieben haben könnte, das Melly zu einer solchen Behauptung Anlaß gäbe. Aber es war ihr alles wieder entschwunden. Melanie mußte wohl den Verstand verloren haben.
»Ashley schrieb mir«, fuhr Melanie schnell fort, »wir sollten lieber nicht gegen die Yankees kämpfen, wir seien durch Staatsmänner und Redner mit Schlagworten und Vorurteilen dazu verleitet worden. Er sagt, nichts auf der Welt könne das wiedergutmachen, was der Krieg uns noch antun würde. Er sagt auch, es sei überhaupt nichts Ruhmreiches daran, nichts als Schmutz und Elend.«
»Ach, der Brief war es«, dachte Scarlett, »das also wollte er damit sagen?«
»Das kann ich nicht glauben«, erwiderte Mrs. Merriwether mit unerschütterlichem Ton. »Duhast ihn mißverstanden.«
»Ich mißverstehe Ashley nie«, antwortete Melanie ruhig, wenn auch mit bebenden Lippen. »Ich verstehe ihn ganz und gar. Er meint dasselbe wie Kapitän Butler und sagt es nur nicht in so unverschämtem Ton.«
»Du solltest dich schämen, einen anständigen Menschen wie Wilkes mit einem Schurken wie Kapitän Butler zu vergleichen. Auch du hältst also von unserer großen Sache nichts!«
»Ich ... ich weiß nicht, was ich denken soll«, begann Melly unsicher. Ihre feurige Aufwallung hatte sie verlassen, und nun erschrak sie über ihren eigenen Freimut. »Ich würde für unsere Sache sterben. Ashley auch, aber ... ich meine ... ich will lieber den Männern das Denken überlassen, weil sie so viel gescheiter sind.«
»So etwas habe ich noch nie gehört«, schnob Mrs. Merriwether. »Halt, 0nkel Peter, du fährst ja an meinem Hause vorbei!«
0nkel Peter hatte so scharf auf die Unterhaltung hinter seinem Rücken achtgegeben, daß er am Merriwetherschen Prellstein vorbeigefahren war, nun riß er das Pferd zurück. Die alte Dame stieg aus, und ihre Haubenbänder flatterten wie Segel im Sturm.
»Das wirst du noch bereuen!« sagte sie. 0nkel Peter gab dem Pferd die Peitsche. »Ihr jungen Fräuleins sollt euch schämen, Miß Pitty in Zustände zu bringen«, schalt er.
»Ich bin gar nicht in Zuständen«, erwiderte Pitty erstaunlicherweise, denn gewöhnlich wurde sie schon bei viel geringeren Aufregungen ohnmächtig. »Melly, Liebling, ich weiß, das hast du nur gesagt, um für mich einzutreten. Ich habe mich wirklich gefreut, daß Dolly die Antwort bekam. Sie ist zu herrschsüchtig. Aber woher nahmst du nur den Mut? Hättest du das über Ashley auch sagen dürfen?«
»Es ist aber wirklich wahr«, antwortete Melanie und begann leise zu weinen. »Ich schäme mich nicht, daß er so denkt. Er hält den Krieg für verkehrt, und trotzdem ist er bereit, zu kämpfen und zu sterben. Dazu gehört eine Unmenge mehr Mut, als für etwas kämpfen, was man für richtig hält.«
»Herrje, Miß Melly, weinen Sie doch nicht hier auf der Pfirsichstraße«, tadelte 0nkel Peter und trieb das Pferd an. »Die Leute werden schrecklich darüber klatschen. Warten Sie doch, bis wir zu Hause sind.«
Scarlett sagte nichts. Sie drückte nicht einmal die Hand, die Melanie trostbedürftig in die ihre geschoben hatte. Sie hatte nur zu einem Zweck Ashleys Briefe gelesen - um Gewißheit zu bekommen, ob er sie noch liebte. Nun hatte Melanie vielen Stellen, die Scarlett nur mit den Augen gelesen hatte, einen neuen Sinn gegeben. Sie war bestürzt, daß jemand, der so makellos vollkommen war wie Ashley, mit einem so verdorbenen Menschen wie Rhett Butler einen Gedanken gemeinsam haben konnte. Sie dachte: »Beide sehen sie die Wahrheit über diesen Krieg, aber Ashley ist bereit, dafür zu sterben. Rhett nicht. Und ich finde, daran erkennt man Rhetts gesunden Menschenverstand.« Sie hielt einen Augenblick inne, erschrocken, daß sie so etwas über Ashley hatte denken können. »Beide sehen sie die gleiche schreckliche Wahrheit, und Rhett hat seine Freude daran, sie zu erkennen und die Leute damit rasend zu machen - Ashley aber erträgt diese Erkenntnis kaum.«
Was sollte sie nur davon denken?
Auf Betreiben von Mrs. Merriwether griff Dr. Meade in der Form eines Zeitungsartikels in die Angelegenheit ein. Er nannte Rhett Butler zwar nicht beim Namen, ließ aber keinen Zweifel darüber, wer gemeint sei. Der Redakteur witterte die gesellschaftliche Sensation, die sich hinter dem Artikel verbarg, und setzte ihn auf die zweite Seite der Zeitung, was eine auffällige Neuerung war, da die beiden ersten Seiten sonst ausschließlich für Anzeigen von Sklaven, Maultieren, Pflügen, Särgen und Häusern sowie von Kuren für diskrete Krankheiten oder Abtreibungsmitteln vorbehalten waren.
Die Ausführungen des Doktors stimmten jenen Entrüstungschor an, der sich alsbald im ganzen Süden gegen Spekulanten, Kriegsgewinnler und Inhaber von Regierungsaufträgen erheben sollte. Die Verhältnisse in Wilmington, dem wichtigsten Blockadehafen, seitdem der Hafen von Charleston von den Kanonenbooten der Yankees völlig abgeriegelt war, wuchsen sich zu einem öffentlichen Skandal aus. Es wimmelte in Wilmington von Spekulanten, die Bargeld hatten und ganze Schiffsladungen aufkauften, um sie bis zur nächsten Preissteig erung zurückzuhalten. Diese blieb niemals aus, denn bei zunehmender Knappheit am Notwendigsten schnellten die Preise immer weiter in die Höhe. Die bürgerliche Bevölkerung mußte entweder sich behelfen oder zu Spekulationspreisen kaufen. Die Armen und Minderbemittelten aber litten immer härtere Entbehrungen. Gleichzeitig sank der Wert des konföderierten Geldes, und mit seinem schnellen Sinken erhob sich eine wilde Leidenschaft für jederlei Luxus. Die Blockadebrecher hatten den Auftrag, hereinzubringen, was irgend lebensnotwendig war. Der Handel mit Luxusartikeln war ihnen nur als Nebengeschäft gestattet. Jetzt aber füllten sie ihre Schiffsräume mit kostspieligem Tand und hatten keinen Platz für die Waren, die das Land für den nackten Lebensunterhalt brauchte. Die Lage wurde dadurch weiter verschlimmert, daß es nur eine einzige Eisenbahnlinie von Wilmington nach Richmond gab. Während Fässer mit Mehl und Kisten mit Schinken zu Tausenden an den Zwischenstationen verdarben, weil sie nicht befördert werden konnten, fanden die Spekulanten, die Wein, Kaffee und Seidenstoffe zu verkaufen hatten, immer noch Mittel und Wege, ihre Waren zwei Tage nach der Landung in Wilmington bereits nach Richmond gelangen zu lassen.
Jetzt erhob das Gerücht offener seine Stimme, wonach Rhett Butler nicht nur die Waren seiner vier eigenen Schiffe, sondern auch die Ladungen anderer Schiffe aufkaufen und für weitere Preissteigerungen zurückhalten sollte. Es hieß, er stehe an der Spitze einer Gesellschaft, die über eine Million Dollar Kapital verfüge und ihren Sitz in Wilmington habe und sich damit befasse, Blockadewaren gleich am Kai aufzukaufen. Diese Gesellschaft besitze, so ging das Gerede, Dutzende von Speichern dort und in Richmond, die bis oben angefüllt seien mit Nahrungsmitteln und Stoffen. Die Erbitterung gegen ihn und seine Mitspekulanten wuchs von Tag zu Tag.
»In der Blockadeabteilung der konföderierten Marine dienen viele tapfere Patrioten«, lautete der Artikel des Doktors im letzten Absatz, »selbstlose Männer, die ihr Leben und ihr Vermögen aufs Spiel setzen, damit die Konföderierten Staaten durchhalten können. Die Herzen aller Wohlgesinnten schlagen für sie, und niemand mißgönnt ihnen die karge Entschädigung, die ihnen für ihre gefährliche Arbeit zuteil wird. Das sind aufopfernde Gentlemen, und wir zollen ihnen Lob und Ruhm. Von ihnen ist hier aber nicht die Rede. Es gibt andere, Schurken, die unter dem Mantel des Blockadedienstes ihrer eigenen Gewinnsucht nachgehen. Auf diese Geier in Menschengestalt rufe ich den gerechten Zorn eines streitbaren Volkes herab, das für eine große Sache kämpft. Sie bringen Atlas und Spitzen herein, während unsere Leute aus Mangel an Arzneien zugrunde gehen, sie laden Tee und Wein auf ihre Schiffe, während unsere Helden sich aus Mangel an Morphium in Schmerzen winden. Ich verabscheue diese Vampire, die am Lebensblut der Gefolgsmänner Robert Lees saugen - diese Naturen, die schon den Namen eines Blockadebrechers zum Gestank in der Nase aller Patrioten machen. Wie können wir diese Schmutzfinken mit ihren Lackstiefeln in unserer Mitte dulden, während unsere Söhne barfuß in die Schlacht gehen? Sollen wir sie mit ihrem Sekt und ihren Gänseleberpasteten ungeschoren lassen, während unsere Soldaten am Lagerfeuer frieren und an verschimmelten Schinkenknochen nagen? Ich rufe daher alle treuen Mitbürger auf, diese Leute zu verfemen und zu ächten.«
Atlanta las, das 0rakel hatte gesprochen, und die Wohlgesinnten beeilten sich, Rhett Butler zu verstoßen. Von allen Häusern, in denen er Ende 1862 noch aus und ein gegangen war, blieb Miß Pittypats fast das einzige, das er 1863 noch betreten durfte. Wäre Melanie nicht gewesen, er wäre auch dort wohl kaum noch empfangen worden. Tante Pitty hatte jedesmal, wenn er in der Stadt weilte, ihre Zustände. Sie wußte sehr wohl, was ihre Freundinnen sagten, wenn sie die Besuche Kapitän Butlers duldete. Aber sie brachte nicht den Mut auf, ihm das Haus zu verbieten. Jedesmal, wenn er nach Atlanta kam, preßte sie die Lippen zusammen und erklärte, sie werde ihm an der Tür entgegentreten und ihm den Eintritt verwehren. Aber jedesmal, wenn er mit einem Paketchen in der Hand und einem Kompliment über ihre Liebenswürdigkeit und Schönheit auf den Lippen eintraf, war es mit ihrer Entschlossenheit vorbei. »Ich weiß wirklich nicht, was ich dabei machen soll«, jammerte sie dann, »er sieht mich nur an, und dann habe ich eine Todesangst, was er wohl tut, wenn ich es ihm sage. Er hat doch solch einen schlechten Ruf. Meint ihr, er würde mich schlagen - o je, wenn doch Charlie noch lebte! Scarlett, du mußt ihm sagen, daß er uns nicht wieder besuchen darf, aber auf höfliche Weise, hörst du ...? Ach, ich Arme! Ich glaube wahrhaftig, du ermunterst ihn noch zu kommen, und die ganze Stadt redet darüber, und wenn deine Mutter jetzt dahinterkommt, was soll sie von mir denken? Auch du, Melly, du darfst nicht so nett zu ihm sein. Sei kühl und unnahbar, dann wird er es schon verstehen. Ach, Melly, findest du nicht, ich sollte lieber Henry ein paar Zeilen schreiben und ihn bitten, mit Kapitän Butler zu sprechen?«
»Nein, das finde ich nicht«, sagte Melanie, »und ich will auch nicht unhöflich gegen ihn sein. Ich finde, die Leute führen sich alle wegen Kapitän Butler wie kopflose Hühner auf. All das Schlechte, was Dr. Meade und Mrs. Merriwether von ihm behaupten, ist sicher nicht wahr. Niemals wird er den Hungernden ihre Nahrung vorenthalten. Er hat mir doch sogar hundert Dollar für die Waisen gegeben. Ich bin überzeugt, er ist ein ebenso guter Patriot wie wir alle und nur zu stolz, sich zu verteidigen. Du weißt doch, wie halsstarrig Männer werden, wenn man ihnen zu nahetritt.«
Tante Pitty wußte nicht viel von den Männern und ihrer Halsstarrigkeit und konnte nur hilflos die dicken Händchen sinken lassen. Scarlett hatte sich längst mit Melanies Angewohnheit, in allem nur das Gute zu sehen, abgefunden. Sie wußte, daß Rhett Butler kein Patriot war, und es war ihr einerlei. Ihr kam es am meisten auf die kleinen Geschenke an, die er ihr mitbrachte, Kleinigkeiten, die eine Dame annehmen durfte, ohne sich etw as zu vergeben. Wo in aller Welt sollte sie sonst bei den schwindelnden Preisen Nadeln, Haarspangen und Leckereien hernehmen, wenn sie ihm das Haus verbot? Nein, da war es bequemer, die Verantwortung auf Tante Pitty abzuschieben, die doch schließlich Hausherrin, Chaperon und Hüterin der Moral war. Scarlett wußte, daß die ganze Stadt über Rhetts Besuche in diesem Hause klatschte. Aber ganz Atlanta wußte auch, daß Melanie Wilkes kein Unrecht tun konnte, und wenn Melanie für Rhett Butler eintrat, so hatten selbst seine Besuche noch einen Schimmer von Achtbarkeit.
Freilich wäre es angenehmer gewesen, wenn Rhett seine Ketzereien widerrufen wollte.
»Und wenn Sie nun schon so etwas denken, warum sagen Sie es denn?« schalt sie. »Wieviel netter wäre es, wenn Sie den Mund nicht auftun wollten!«
»Das ist Ihre Taktik, nicht wahr, Sie grünäugige Gleisnerin?« war seine Antwort. »Scarlett, Scarlett, ich hätte Sie wirklich für mutiger gehalten. Ich dachte, die Iren sagten stets, was sie denken, und scheiten sich den Teufe l darum, was danach kommt. Sagen Sie mir die Wahrheit, Scarlett: Bersten Sie nicht manchmal fast daran, daß Sie den Mund nicht auftun?«
»Nun, freilich«, gestand Scarlett widerstrebend, »es ist schließlich langweilig, morgens, mittags und abends nur von unserer großen Sache reden zu hören. Aber, du mein Gott, Rhett, wenn ich das zugeben wollte, spräche niemand mehr ein Wort mit mir, und kein Mann würde mehr mit mir tanzen.«
»Natürlich, getanzt werden muß um jeden Preis, und ich bewundere Ihre Selbstbeherrschung, aber ich fühle mich nicht imstande, es Ihnen gleichzutun. Ich kann mich nicht in den Mantel patriotischer Romantik hüllen, auch wenn es noch so bequem wäre. Es gibt genug Dummköpfe, die jeden Cent, den sie besitzen, in der Blockade aufs Spiel setzen. Sie werden aus diesem Krieg als arme Schlucker hervorgehen. Ich habe in ihren Reihen nichts zu suchen, weder zur Steigerung der patriotischen Gefühle noch zur Vermehrung der armen Schlucker. Mögen sie ihren Heiligenschein behalten. Sie verdienen ihn wirklich - dieses Mal spreche ich aufrichtig - , und außerdem wird er in knapp einem Jahre wohl ziemlich ihr einziges Besitztum sein.«
»Ich finde es abscheulich von Ihnen, so etwas auch nur anzudeuten. Sie wissen doch sehr gut, daß England und Frankreich sich binnen kurzem auf unsere Seite schlagen werden.«