Kitabı oku: «Vom Winde verweht», sayfa 18

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Die Ehe hatte sie hinter sich, nicht aber die Liebe. Ihre Liebe zu Ashley war etwas anderes, das nichts mit Leidenschaft und Ehe zu tun hatte, war etwas Heiliges und atemberaubend Schönes, ein Gefühl, das in den langen Tagen der ihr aufgezwungenen Stille heimlich anwuchs und sich von süßen und schmerzlichen Erinnerungen nährte. Und wie immer entglitt die Lö sung der Frage, warum sie denn eigentlich Ashley liebe, ihrem allzu ungeübten Verstand. Sie legte die Briefe in die Schatulle zurück und schloß den Deckel. Aber plötzlich fiel ihr der letzte Teil, den sie gelesen hatte, wieder ein. Wie sonderbar, daß etwas, was dieser Kapitän Butler vor einem Jahre gesagt hatte, Ashley noch immer nachging! Kapitän Butler war unleugbar ein Schuft, wenn er auch noch so göttlich tanzte. Nur ein Schuft konnte so etwas über die Konföderierten Staaten sagen wie er damals auf dem Basar.

Sie ging durch das Zimmer an den Spiegel und ordnete voller Zufriedenheit ihr glattes Haar. Ihre Stimmung hob sich wie immer beim Anblick ihrer schönen weißen Haut und ihrer schrägen grünen Augen, und sie lächelte, um ihre reizenden Grübchen zu erproben. Während sie so beglückt ihr Spiegelbild betrachtete, vergaß sie alles andere und dachte nur noch daran, wie gern Ashley immer ihre Grübchen gehabt hatte. Nichts trübte ihre Freude an dem eigenen jugendlichen Zauber und der erneuten Gewißheit von Ashleys Liebe. Sie schloß die Tür auf und ging leichten Herzens die halbdunkle gewundene Treppe hinunter, und nach wenigen Stufen fing sie an, den Walzer vor sich hin zu trällern: »Wenn der grause Krieg zu Ende.«Der Krieg nahm, mit manchen Erfolgen, seinen Fortgang. Aber die Leute sagten nicht mehr: »Noch ein Sieg, und der Krieg ist aus«, und sie sagten auch nicht mehr, daß die Yankees Feiglinge seien. Es war allmählich allen klargeworden, daß die Yankees alles andere als Feiglinge waren und daß mehr als ein Sieg dazu gehörte, sie zu bezwingen. Immerhin hatte man die Siege in Tennessee, die die Generale Morgan und Forrest gewonnen hatten, und den Triumph der zweiten Schlacht bei Bull Run zu verzeichnen, um sich daran zu weiden wie an sichtbar aufgehängten Yankeeskalps. Aber diese Skalps waren teuer bezahlt worden. Die Lazarette in Atlanta wimmelten von Kranken und Verwundeten, und immer mehr Frauen erschienen in Schwarz. Die einförmige Reihe der Soldatengräber auf dem 0aklandfriedhof wurde von Tag zu Tag lä nger.

Das konföderierte Geld war beängstigend im Werte gesunken, und die Preise für Nahrungsmittel und Kleidung stiegen entsprechend. Die Requirierungen rissen solche Lücken in die Vorräte, daß man in Atlanta bei den Mahlzeiten sich schon einschränken mußte. Weißes Mehl war so knapp, daß man Maisbrot statt der gewohnten Semmeln, Waffeln und Zwiebacke aß, die Schlächterläden führten fast überhaupt kein 0chsenund Hammelfleisch mehr, und das wenige vorhandene kostete so viel, daß nur die Reichsten es sich leisten konnten. Immerhin gab es noch genug Schweinefleisch, Hühner und Gemüse.

Die Blockade hatte die Häfen der Konföderierten immer enger umschlossen, und Luxuswaren wie Tee, Kaffee, Seide, Parfüms, Modezeitschriften und Bücher wurden knapp und teuer. Selbst die billigsten Baumwollwaren stiegen schwindelnd im Preise, und die Damen machten voller Trübsal die alten Kleider für das neue Jahr noch einmal zurecht. Webstühle, auf denen sich der Staub vieler Jahre gesammelt hatte, wurden vom Boden geholt und in fast jedem Salon in Gebrauch genommen. Soldaten, Zivilisten, Frauen, Kinder und Farbigen, alle trugen handgewebte Stoffe. Das Grau verschwand als Farbe der Uniformen fast völlig. An seiner Stelle erschien das Nußbraun der handgewebten Stoffe. Zuzeiten war in den Lazaretten die Knappheit an Chinin, 0pium, Chloroform und Jod besorgniserregend. Leinene und baumwollene Binden waren jetzt zu kostbar, um nach Gebrauch fortgeworfen zu werden. Die Damen brachten aus den Lazaretten Körbe blutiger Stoffstreifen mit nach Hause, um sie für weiteren Gebrauch zu waschen und zu bügeln.

Für Scarlett aber, die nun frisch aus der Puppe ihrer Witwenschaft geschlüpft war, bedeutete der Krieg eitel Fröhlichkeit und Erregung. Nicht einmal die kleinen Entbehrungen an Kleidung und Ernährung bekümmerten sie, so glücklich war sie, wieder in der Welt zu sein. Wenn sie an die stumpfsinnigen Zeiten des vergangenen Jahres dachte, kam ihr das neue Leben wie eine einzige Zerstreuung vor. Jeder Tag kündigte sich als aufregendes Abenteuer an, als eine Gelegenheit, wieder neue Männer kennenzulernen, die sie mit Anträgen bestürmten und ihr sagten, wie hübsch, sie sei und welche Ehre es wäre, für sie zu kämpfen und womöglich zu sterben. Sie konnte Ashley lieben und tat es, aber das hinderte sie nicht, an anderen Männern ihre Reize zu erproben.

Die Allgegenwart des Krieges gab dem ganzen gesellschaftlichen Leben eine angenehme Formlosigkeit, die die älteren Leute beunruhigte. Mütter trafen bei ihren Töchtern fremde Männer an, die ohne Empfehlungsbriefe zu Besuch gekommen waren und von deren Vorleben und Herkunft niemand etwas wußte. Zu ihrem Entsetzen mußten die Mütter ihre Töchter sogar Hand in Hand mit solchen Männern dasitzen sehen. Mrs. Merriwether, die ihren Mann nicht ein einziges Mal vor der Hochz eit geküßt hatte, traute ihren Augen nicht, als sie Maybelle dabei erwischte, wie sie sich von dem kleinen Zuaven Rene Picard umarmen ließ, und ihre Bestürzung wuchs, als Maybelle sich nicht einmal deswegen schämte. Selbst die Tatsache, daß Rene auf der Stelle um ihre Hand anhielt, besserte für sie an der Sache nichts. Mrs. Merriwether hatte das Gefühl, daß der Süden einem vollständigen moralischen Zusammenbruch entgegenging, und ließ das auch des öfteren verlauten. Viele andere Mütter waren von Herzen derselben Meinung und gaben dem Kriege die Schuld an allem.

Männer, die darauf gefaßt sein mußten, binnen einer Woche zu sterben, konnten nicht ein Jahr lang darauf warten, ein Mädchen auch nur mit Vornamen nennen zu dürfen. Sie hatten auch keine Lust, sich d en umständlichen festgelegten Formen des Werbens zu unterwerfen, die vor dem Kriege unumstößliche Geltung hatten. Sie hielten womöglich schon nach drei bis vier Monaten um ein Mädchen an, und die Mädchen, die doch wußten, daß eine Dame dem Herrn mindestens die ersten drei Male einen Korb zu geben hatte, stürzten sich schon beim ersten Antrag kopfüber in das Jawort.

Durch diese Formlosigkeit bereitete der Krieg Scarlett viel Freude. Wäre nicht das schreckliche Pflegen und Scharpiezupfen gewesen, so hätte der Krieg für sie ewig dauern können. Sie nahm das Lazarett mit Gleichmut in Kauf, weil es einen unschätzbaren Jagdgrund abgab. Die hilflosen Verwundeten unterlagen kampflos ihren Reizen. Wenn sie ihnen den Verband erneuerte, das Gesicht wusch, die Kissen aufschüttelte und die Fliegen verscheuchte, waren sie auf der Stelle in sie verliebt.

Ja, es war wie im Himmel, und Scarlett fühlte sich wieder wie vor ihrer Hochzeit mit Charles. Es war, als hätte sie ihn nie geheiratet und verloren und als wäre keine Geburt und keine Witwenschaft über sie hingegangen. Nichts hatte sich in ihr verändert. Sie besaß ein Kind, aber die anderen Frauen in dem roten Backsteinhaus nahmen sich seiner so liebevoll an, daß sie selber es fast vergaß. Sie war wieder Scarlett 0'Hara, die Königin der Provinz. Ihr Denken und Tun war dasselbe wie früher, nur ihr Betätigungsfeld hatte sich unendlich erweitert. 0hne der Mißbilligung von Tante Pittys Freundinnen und anderen alten Damen zu achten, benahm sie sich wie vor ihrer Ehe, ging auf Gesellschaften und Tanztees, ritt und flirtete wie ein junges Mädchen. Nur ihre Trauer legte sie nicht ab, denn dies hätte bei Pittypat und Melanie das Faß zum Überlaufen gebracht. Sie war eine ebenso reizende Witwe, wie sie ein reizendes Mädchen gewesen war: liebenswürdig, wenn man ihr den Willen tat, zuvorkommend, solange es ihr nicht unbequem wurde, und voller Stolz auf ihre Schönheit und Beliebtheit; und selbst der Gedanke, daß Ashley einer anderen gehörte, war leichter zu ertragen, wenn er fern war. Über die Hunderte von Meilen Entfernung hinweg war es ihr manchmal, als gehörte sein Herz ihr nicht weniger als Melanie.

So flogen die Herbstmonate dieses Jahres 1862 dahin. Dann und wann fuhr sie zu einem kurzen Besuch nach Tara. Diese Besuche waren für sie eine Enttäuschung. Zu den langen Gesprächen mit ihrer Mutter, auf die sie sich in Atlanta gefreut hatte, war wenig Gelegenheit vorhanden. Sie hatte keine Muße und Geduld, dabeizusitzen, wenn Ellen nähte, den schwachen Zitronenund Verbenenduft, der ihre Mutter umgab, einzuatmen und ihre weichen Hände mit sanfter Liebkosung auf der Wange zu fühlen.

Ellen war von früh bis spät auf den Beinen. Sie war mager geworden und immer ganz mit ihren Gedanken beschäftigt. Die Requisitionen für die konföderierten Truppen wurden von Monat zu Monat größer, und Ellen hatte alle Hände voll zu tun, größere Erträgnisse aus Tara herauszuwirtschaften. Sogar Gerald hatte zum erstenmal seit langen Jahren wieder reichlich zu tun. Er hatte keinen Ersatz für den Aufseher Jonas Wilkerson finden können und ritt nun selbst über seine Felder und sah nach dem Rechten. Auch Scarletts Schwestern steckten tief in ihren eigenen Angelegenheiten. Suellen war jetzt mit Frank Kennedy zu einem Einverständnis gekommen und sang das Lied »Wenn der grause Krieg zu Ende« so aufdringlich und anzüglich, daß Scarlett es kaum noch ertragen konnte. Carreen war zu sehr in Träumereien über ihren Brent versunken, um selber eine teilnehmende Gefährtin zu sein.

0bwohl Scarlett sich jedesmal freute, wenn sie nach Tara ging, kamen ihr die unvermeidlichen Briefe Pittys und Melanies, worin sie um ihre Rückkehr baten, doch niemals ungelegen. Ellen seufzte dann jedesmal, denn immer wieder wurde es ihr schwer, ihre älteste Tochter und ihr einziges Enkelkind herzugeben. »Ich darf nicht selbstsüchtig sein«, sagte sie, »wenn du in Atlanta im Lazarett gebraucht wirst. Kaum daß ich begriffen habe, mein Liebling, daß du da bist und wieder mein kleines Mädchen bist und ich vieles mit dir reden müßte, so fährst du schon wieder davon.«

»Ich bin immer dein kleines Mädchen«, sagte dann wohl Scarlett und legte den Kopf an Ellens Brust. Sie verschwieg ihrer Mutter, daß Tanz und Verehrer sie nach Atlanta zurückholten und nicht der Dienst an der Sache der Konföderierten. Sie hatte viel vor ihrer Mutter zu verheimlichen. Vor allem aber verschwieg sie ihr, daß Rhett Butler so häufig bei Tante Pittypat aus und ein ging.

In den Monaten nach dem Basar kam Rhett Butler jedesmal, wenn er in der Stadt war, bei Tante Pittypat zu Besuch, fuhr Scarlett mit seiner Equipage spazieren, begleitete sie auf Tanzereien und Basare und wartete draußen vor dem Lazarett, um sie nach Hause zu bringen. Allmählich schwand in ihr die Angst, er würde ihr Geheimnis verraten. Aber nie kam in ihr die beunruhigende Erinnerung zum Schweigen, daß er wußte, wie es in Wahrheit um ihr Herz stand. Dies lahmte ihr die Zunge, wenn er sie ärgerte, und er ärgerte sie häufig.

Er war Mitte der Dreißiger, also älter als irgendein Verehrer, den sie bislang gehabt hatte, und sie fühlte sich ihm gegenüber hilflos wie ein Kind und völlig unfähig, mit ihm so umzuspringen, wie sie es mit den Verehrern, die ihr im Alter näher standen, gewohnt war. Er wirkte so, als habe ihn im Leben noch niemals etwas überrascht, vieles dagegen belustigt, und wenn er sie so weit hatte, daß sie innerlich kochte, so schien er dies wie ein ergötzliches Schauspiel zu genießen. 0ft brach bei ihr der offene Zorn über die gerissenen Winkelzüge, mit denen er sie quälte, hervor. Denn bei aller Sanftmut des Antlitzes, Ellens täuschendem Erbteil, hatte sie Geralds leicht aufbrausendes irisches Blut in den Adern. Bisher hatte sie sich nie Mühe gegeben, sich zu beherrschen, außer in Ellens Gegenwart. Jetzt aber tat es weh, sich aus Angst vor seinem spöttischen Grinsen beherrschen zu müssen. Wenn er doch nur ein einziges Mal selber in Zorn hätte geraten wollen, dann wäre sie nicht mehr gar so sehr im Nachteil gegen ihn gewesen!

Nach all diesen Wortgefechten, aus denen sie selten als Siegerin hervorging, schwor sie, nichts mehr mit ihm zu tun haben zu wollen, weil er unmöglich, ungezogen und kein Gentleman sei. Aber nach einiger Zeit kehrte er nach Atlanta zurück, machte seinen Höflichkeitsbesuch bei Tante Pitty und überreichte Scarlett mit übertriebener Liebenswürdigkeit ei ne Schachtel mit Konfekt, die er ihr aus Nassau mitgebracht hatte. Hin und wieder belegte er bei einem Konzert einen Platz neben ihr, oder er forderte sie zum Tanz auf, und seine sanfte Unverschämtheit machte ihr meistens so viel Spaß, daß sie lachend über seine verflossenen Missetaten hinwegsah, bis er die nächste beging.

Trotz all seiner höchst ärgerlichen Eigenschaften freute sie sich von Mal zu Mal mehr auf seine Besuche. Er hatte etwas Aufregendes an sich, das sie sich nicht erklären konnte und das ihn von allen Männern unterschied, die sie bisher kennengelernt hatte. Die Anmut seines athletischen Körpers hatte etwas Atemberaubendes, so daß schon sein Eintreten in ein Zimmer ihr etwas wie einen körperlichen Stoß versetzte. Seine Frechheit und der unbeirrbare freundliche Spott in seinen dunklen Augen forderte ihren heißen Wunsch heraus, ihn zu besiegen.

»Es ist fast, als wäre ich in ihn verliebt!« dachte sie erschrocken, »aber das bin ich nicht, und ich begreife es einfach nicht.«

Aber das aufregende Gefühl wollte nicht weichen. Wenn er zu Besuch kam, nahm sich Tante Pittys wohlausgestattetes vornehmes Heim neben seiner unbändigen Männlichkeit klein, blaß, ja geradezu muffig aus. Scarlett war nicht das einzige Mitglied des Haushaltes, das widerwillig in K apitän Butlers Bann gezogen wurde. Auch Tante Pitty hielt er in ständiger Gärung und Erregung.

Pitty wußte ganz genau, daß Ellen diese Besuche bei ihrer Tochter mißbilligen würde, und ebenfalls, daß die Acht, die von der guten Gesellschaft Charlestons über ihn verhängt war, nicht leichtfertig übersehen werden durfte. Aber seinen klugen Höflichkeiten konnte sie sowenig widerstehen wie die Fliege dem Honigtopf. Überdies brachte er ihr häufig ein kleines Geschenk aus Nassau mit, das er, wie er ihr versicherte, eigens für sie gekauft und unter Lebensgefahr durch die Blockade geschmuggelt hatte: Kärtchen mit Nähund Stecknadeln, Knöpfe, Spulen mit Seide und Haarspangen. Diese kleinen Luxusartikel zu bekommen, war jetzt fast unmöglich. Die Damen trugen handgeschnitzte Haarspangen aus Holz und überzogen Eicheln mit Stoff, um sie als Knöpfe zu verwenden. Pitty hatte nicht die Kraft, diese Geschenke auszuschlagen. Überdies hatte sie eine kindische Freude an eingepackten Überraschungen und konnte der Versuchung niemals widerstehen, sie auszuwickeln. War dies aber einmal geschehen, so hatte sie das Recht verwirkt, das Geschenk noch zurückzuweisen. Alsdann aber brachte sie wiederum den Mut nicht mehr auf, ihm zu sagen, daß es bei seinem schlechten Ruf unschicklieh sei, dre i alleinstehende Damen, die ohne männlichen Schutz lebten, zu besuchen. Tante Pitty hatte immer das Gefühl, sie brauche einen männlichen Schutz, wenn Rhett Butler im Hause war.

»Ich weiß nicht, was es mit ihm ist«, seufzte sie dann wohl hilflos. »Er könnte wirklich ein so netter, anziehender Mann sein, wenn man nur einmal das Gefühl haben dürfte ... nun, ja, daß er im tiefsten Herzen die Frauen achtet!«

Melanie aber hielt, seit sie ihren Ehering wiederbekommen hatte, Rhett Butler für einen Gentleman von ungemein feinem Zartgefühl und war über Pittys Bemerkung entrüstet. Gegen sie versagte seine Ritterlichkeit niemals; wenn sie ihm gegenüber zaghaft war, so war sie es, weil nun einmal jeder Mann, den sie nicht von Kindheit auf kannte, sie einschüchterte. Ins geheim tat Kapitän Butler ihr sehr leid, was ihm, wäre er es gewahr geworden, größten Spaß bereitet hätte. Sie war überzeugt, daß irgendein romantischer Kummer ihm das Leben zerstört und ihn hart und bitter gemacht habe, und sie glaubte, daß ihm nur die Liebe einer guten Frau fehle. In ihrem ganzen umhüteten Dasein hatte sie nie das Böse gesehen und hielt es überhaupt kaum für möglich. Wenn etwa über Rhett und das bewußte Mädchen in Charleston getuschelt wurde, so war sie ungläubig und voller Empörung. Es nahm sie keineswegs gegen ihn ein, sondern ihre Entrüstung über das große Unrecht, das man ihm antat, erhöhte nur ihre schüchterne Huld.

Scarlett dagegen war insgeheim derselben Ansicht wie Tante Pitty. Auch sie hatte das Gefühl, daß er für keine Frau Achtung empfände, außer vielleicht für Melanie. Sie fühlte sich noch immer nackend ausgezogen, wenn sein Blick ihre Gestalt von oben bis unten abmaß. Nicht, daß er jemals etwas Ungezogenes gesagt hätte. Dann hätte sie ihn mit hitzigen Worten zurechtweisen können. Es war die Art, wie seine Augen mit ihrer sanften Unverschämtheit aus seinem gebräunten Piratengesicht hervorschauten, als wären alle Frauen sein Eigentum und nach Belieben zu seinem Genüsse geschaffen. Nur Melanie schaute er niemals so an. Ihr gegenüber hatte er nie den kühlen Ausdruck des abschätzenden Kenners, seine Augen waren dann frei von jeder Spöttelei. Er sprach zu ihr in einem ganz besonderen Ton, höflich, ehrerbietig und dienstbeflissen.

»Ich kann nicht einsehen, warum Sie gegen Melanie soviel höflicher sind als gegen mich«, bemerkte Scarlett eines Nachmittags unzufrieden, als Melanie und Pitty sich zur Mittagsruhe zurückgezogen hatten und sie mit Rhett Butler allein war. Eine Stunde lang hatte sie zugesehen, wie Rhett geduldig das Garn hielt, das Melanie zum Stricken aufwickelte. Sie hatte den gleichmütigen und undurchdringlichen Ausdruck auf seinem Gesicht bemerkt, als Melanie voller Stolz von Ashley und seiner Beförderung erzählte. Scarlett wußte ja, daß Rhett keine sonderlich hohe Meinung vo n Ashley hatte und daß ihm seine Beförderung zum Major ganz gleichgültig war.

Dennoch antwortete er höflich und murmelte etwas geziemend Beifälliges über Ashleys Tapferkeit.

»Wenn aber ich nur Ashleys Namen nenne«, dachte sie unwillig, »zieht er die Braue in die Höhe und setzt sein widerliches, wissendes Lächeln auf!«

»Ich bin viel hübscher als sie«, fuhr sie fort, »ich sehe nicht ein, warum Sie gegen sie soviel höflicher sind.«

»Darf ich zu hoffen wagen, daß Sie eifersüchtig sind?«

»0h, bilden Sie sich das nur ja nicht ein!«

»Wieder eine Hoffnung zertrümmert! Wenn ich gegen Mrs. Wilkes höflicher bin, so deshalb, weil sie es verdient. Sie ist einer der ganz wenigen gütigen, aufrichtigen und selbstlosen Menschen, die ich je gekannt habe. Aber möglicherweise sind diese Eigenschaften Ihrer Aufmerksamkeit entgangen. Außerdem ist sie bei all ihrer Jugend eine der wenigen wirklich vornehmen Damen, die zu kennen ich den Vorzug gehabt habe.«

»Wollen Sie damit sagen, daß Sie mich nicht für eine vornehme Dame halten?«

»Ich meine, wir wären schon bei unserer ersten Begegnung übereingekommen, daß Sie überhaupt keine Dame sind.«

»Nun besitzen Sie wieder die Ungezogenheit, hiervon anzufangen! Wie können Sie eine kleine kindische Aufwallung so ernst nehmen! Es ist schon so lange her, ich bin seitdem erwachsen geworden und hätte es längst vergessen, wenn Sie nicht immerfort mit Ihren Andeutungen wieder daran rühren würden.«

»Nach meiner Ansicht war das gar keine kleine kindische Aufwallung, und ich glaube auch nicht, daß Sie sich inzwischen geändert haben. Sie sind jetzt genau wie damals imstande, Vasen zu zerschmeißen, wenn etwas nicht nach Ihrem Kopfe geht. Nur bekommen Sie jetzt meistens Ihren Willen, und deshalb besteht zu Wutanfällen kein Grund mehr.«

»Ach, Sie sind ein ... Wäre ich doch ein Mann! Dann würde ich Sie fordern und ...«

»... und für Ihre Mühe totgeschossen werden. Ich kann auf fünfzig Schritt ein Zehncentstück durchschießen. Halten Sie sich nur lieber an Ihre eigenen Waffen - Augen, Grübchen, Vasen und derglei chen.«

»Sie sind ganz einfach ein Schuft.«

»Soll ich nun deswegen in Wut geraten? Es tut mir leid, Sie da enttäuschen zu müssen. Sie können mich nicht dadurch in Wut bringen, daß Sie mir die Wahrheit sagen. Ich bin ein Schuft - warum auch nicht? Wir wohnen in einem freien Lande, da darf man ein Schuft sein, wenn man dazu Lust hat. Nur Heuchler wie Sie, meine liebe Dame, die Sie nicht minder schwarz von Herzen sind als ich, aber es zu verbergen suchen, fahren aus der Haut, wenn man sie bei ihrem rechtmäßigen Namen nennt.«

Seinem gelassenen Lächeln und seinen sanften unbeirrbaren Bemerkungen gegenüber war sie hilflos. Noch nie zuvor hatte sie solch einen Menschen getroffen, und alle ihre gewohnten Waffen - Verachtung, Kälte und Beschimpfungen - wurden ihr unter den Händen stumpf. Es gab nichts, dessen dieser Mensch sich je schämen würde. Nach ihrer Erfahrung verteidigte der Lügner am leidenschaftlichsten seine Aufrichtigkeit, der Feigling seinen Mut, der Flegel seine Wohlerzogenheit und der Schuft seine Ehre. Bei Rhett Butler war das alles anders. Er lachte über alles und forderte sie nur dazu heraus, noch mehr zu sagen.

In diesen Monaten ging er bei ihr nach Belieben ein und aus, kam unangemeldet oder blieb weg, ohne sich zu verabschieden. Nie kam Scarlett dahinter, welche Geschäfte ihn eigentlich nach Atlanta führten. Nur wenige Blockadebrecher hielten es für nötig, sich so weit von der Küste zu entfernen. Sie brachten ihre Ladung in Wilmington oder Charleston an Land, wo Schwärme von Händlern und Spekulanten sie erwarteten, die aus dem ganzen Süden dort zusammenströmten, um die durchgeschmuggelten Waren zu ersteigern. Gern hätte Scarlett sich dem Glauben hingegeben, er mache diese Reisen eigens, um sie zu besuchen. Aber selbst ihre ausgeprägte Eitelkeit gestattete es ihr nicht. Hätte er ihr nur jemals eine Liebeserklärung gemacht oder sich eifersüchtig auf andere Männer, die sie umschwärmten, gezeigt, hätte er auch nur versucht, ihre Hand zu drücken, oder um ein Bild oder ein Taschentuch zum Andenken an sie gebeten, sie hätte triumphiert und an ihren Sieg zu glauben begonnen. Aber zu ihrem Ärger war er mit keinem Mittel zu dieser Rolle zu bewegen, und, was das schlimmste war, er schien all die kleinen Machenschaften, mit denen sie ihn auf die Knie zwingen wollte, zu durchschauen. Jedesmal, wenn er in die Stadt kam, geriet die gesamte Weiblichkeit in Aufruhr. Ihn umschwebte nicht nur die Romantik des Blockadebrechers, um ihn war auch der Kitzel des Bösen und Verbotenen. Sein Ruf wurde jedesmal, wenn die Matronen von Atlanta zum Klatsch zusammenkamen, noch ein bißchen schlechter, aber damit freilich wurde sein Nimbus für die jungen Mädchen nur immer noch größer. Die meisten von ihnen waren ganz unschuldige Kinder und hatten wohl einmal gehört, er benähme sich »locker mit Frauen« ; wie aber ein Mann das eigentlich machte, war ihnen keineswegs klar. Auch hörten sie raunen, daß kein Mädchen vor ihm sicher sei. Bei einem solchen Ruf war es immerhin verwunderlich, daß er seit seinem ersten Erscheinen in Atlanta keinem Mädchen auch nur die Hand geküßt hatte. Aber das machte ihn nur immer noch geheimnisvoller und aufregender.

Abgesehen von den Helden an der Front war er in Atlanta derjenige, von dem am meisten die Rede war. Jedermann kannte alle Einzelheiten darüber, wie er wegen Trunkenheit und einer »Geschichte mit einer Frau« aus West Point ausgewiesen worden war. Der grauenhafte Skandal mit dem Mädchen aus Charleston, das er kompromittiert, und dem Bruder, den er totgeschossen hatte, war offenes Geheimnis. Durch Briefwechsel mit Leuten aus Charleston kam ferner zutage, daß sein Vater, ein reizender alter Herr mit eisernem Willen und einem Rückgrat wie ein Ladestock, ihn mit zwanzig Jahren ohne einen Cent aus dem Hause gejagt und sogar seinen Namen aus der Familienbibel gestrichen hatte. Darauf war er in dem Goldfieber von 1849 nach Kalifornien und von dort nach Südamerika und Kuba gegangen. Die Berichte über seine Wirksamkeit in jenen Gegenden waren ebenfalls nicht erbaulich. Frauengeschichten, Schießereien, Waffenschmuggel und Aufruhr in Mittelamerika und endlich, als Ärgstes, berufsmäßiges Kartenspiel zierten diesen Lebenslauf, wie er in Atlanta von Mund zu Mund ging.

Fast jede Familie in Georgia hatte zu ihrem Leidwesen irgendein männliches Mitglied oder einen Verwandten, der Geld, Häuser, Ländereien und Sklaven verspielte. Aber das war etwas anderes. Ein Mann konnte sich arm spielen und trotzdem Gentleman bleiben. Ein berufsmäßiger Spieler aber blieb immer ein Ausgestoßener.

Nur infolge der zerrütteten Kriegsmoral und der Dienste, die Rhett Butler den Konföderierten Staaten erwies, wurde er überhaupt in Atlanta empfangen. Jetzt hatten auch die beschränktesten Geister das Gefühl, sie könnten dem Vaterland zuliebe etwas weitherziger sein. Die Sentimentalen neigten zu der Ansicht, das schwarze Schaf der Familie Butler kehre reuig von seinen Abwegen zurück und sei willens, seine Sünden zu büßen. Daraufhin fühlten sich die Damen verpflichtet, besonders bei einem so verwegenen Blockadebrecher, ein Auge zuzudrücken. Jeder wußte genau, daß das Schicksal der Südstaaten ebensosehr von der Geschicklichkeit der Blockadekapitäne abhing, der Flotte der Yankees zu entrinnen, wie von den Soldaten, die im offenen Kampf an der Front standen.

Das Gerücht wußte zu melden, Kapitän Butler sei einer der geschicktesten Seefahrer des Südens, furchtlos und ohne eine Spur von Nerven. Er war in Charleston aufgewachsen und kannte in der Umgebung des Hafens jede Bucht, jede Fahrrinne, Untiefe und Klippe der Küste Carolinas, und ebenso war er in den Gewässern um Wilmington zu Hause. Noch nie hatte er ein Schiff verloren oder auch nur eine Ladung versenken müssen. Zu Beginn des Krieges war er mit genug Geld aus der Verborgenheit aufgetaucht, um sich ein kleines, schnelles Boot zu kaufen, und jetzt, seitdem an jeder Ladung geschmuggelter Waren von ihm zweitausend Prozent verdient wurden, war er Eigentümer von vier Booten. Er hatte gute Lotsen und bezahlte sie anständig. In dunklen Nächten verließen sie Charleston und Wilmington mit Baumwolle für Nassau, England und Kanada. Die englischen Baumwollspinnereien waren stillgelegt, und die Arbeiter hungerten; jeder Blockadefahrer, der durch die Flotte der Yankees gelangte, konnte in Liverpool seine Preise diktieren. Rhett Butlers Schiff hatte ein erstaunliches Glück, sowohl bei der Ausfuhr von Baumwolle wie beim Einbringen von Kriegsmaterial, woran im Süden bitterer Mangel herrschte. Ja, die Damen meinten, diesem tapferen Mann müsse man viel vergeben und nachsehen.

Er war eine blendende Erscheinung - einer, nach dem die Leute sich umsahen. Er warf mit Geld um sich, ritt einen prachtvollen Rappenhengst und war mit seinem Anzug immer auf der Höhe der Eleganz. Schon das genügte, um die Aufmerksamkeit auf ihn zu lenken; denn die Waffenröcke der Soldaten waren abgetragen und schmutzig. Die Anzüge der Zivilisten wiesen Flicken und Stopfstellen auf. Scarlett meinte, sie habe nie so elegante Hosen gesehen, wie er sie trug, rehfarben, schwarz-weiß in schottisch oder kariert. Seine Westen waren unbeschreiblich schick, besonders die aus weißem Moire mit winzigen gestickten Rosenknospen darauf. Alle diese Kleidungsstücke überbot er noch durch die elegante lässige Art, sie zu tragen, als wisse er von ihrer Erlesenheit nichts.

Wenige Frauen konnten seinen Reizen widerstehen, wenn er geruhte, sie spielen zu lassen, und schließlich gab sogar Mrs. Merriwether klein bei und lud ihn eines Sonntags zum Mittagessen ein.

Maybelle Merriwether sollte den kleinen Zuaven heiraten, wenn er das nächste mal auf Urlaub kam, und weinte jedesmal, wenn sie daran dachte. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, sich in einem weißen Atlaskleid trauen zu lassen, aber in den ganzen Südstaaten war kein weißer Atlas mehr aufzutreiben. Auch borgen konnte sie keinen, denn die Atlaskleider früherer Jahre waren zu Regimentsfahnen verarbeitet worden. Es fruchtete auch nichts, daß die patriotische Mrs. Merriwether ihre Tochter ausschalt und ihr vorhielt, daß nur handgewebter Stoff sich für das Hochzeitskleid einer konföderierten Braut zieme. Maybelle wollte durchaus Atlas. Bereitwillig und stolz verzichtete sie auf Haarnadeln, Knöpfe und schöne Schuhe, auf Zucker und Tee um der heiligen Sache willen, aber ein Brautkleid aus Atlas wollte sie haben. Rhett Butler erfuhr durch Melanie davon, brachte aus England etliche Meter schimmernden weißen Atlas sowie einen Spitzenschleier mit und überreichte ihr die Kostbarkeiten als Hochzeitsgeschenk. Er richtete es so ein, daß es undenkbar war, dabei von Bezahlung zu sprechen. Maybelle war so selig, daß sie ihn beinahe geküßt hätte. Mrs. Merriwether wußte gut, daß ein so wertvolles Geschenk - und nun gar Kleidung - höchst unschicklich war. Aber ihr fiel durchaus keine passende Erwiderung ein, als Rhett Butler ihr in blumenreichen Ausdrücken versicherte, nichts sei zu gut und kostbar als Schmuck für die Braut eines unserer tapferen Helden. Mrs. Merriwether lud ihn also zum Essen ein in dem Gefühl, ein solches Zugeständnis sei eine mehr als angemessene Bezahlung für das kostbare Geschenk.

Nicht nur den Atlas brachte er Maybelle mit, sondern auch noch den unbezahlbaren Rat, wie sie das Brautkleid am modernsten anfertigen lassen sollte. In Paris wurden diese Saison die Reifen breiter und die Röcke kürzer getragen, nicht mehr gefältelt, sondern in Bogen gerafft, unter denen litzenbesetzte Unterröcke hervorschauten. Auch sagte er, er habe auf der Straße keine Spitzenhöschen mehr unter den Reifröcken herauslugen sehen und glaube deshalb, sie seien aus der Mode gekommen. Mrs. Merriwether erzählte ihrer Freundin Mrs. Elsing später, wenn sie ihn auch nur im geringsten dazu ermuntert haben würde, so hätte er ihr genauestens beschrieben, was für Leibwäsche die Pariserinnen trügen.

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