Kitabı oku: «Vom Winde verweht», sayfa 9
Er suchte nach Worten, fand aber keine, und so war er insgeheim froh, daß sie ohne Unterlaß auf ihn einredete und ihn der Notwendigkeit enthob, Entgegnungen zu finden. Es war zu schön, umwahr zu sein!
»So, nun rühren Sie sich nicht vom Fleck, bis ich wiederkomme. Wir wollen beim Essen zusammen sitzen. Und daß Sie mir nicht mit den anderen Mädchen anfangen, ich bin furchtbar eifersüchtig!« klang es kau m glaubhaft von den roten Lippen zwischen den beiden Grübchen, während dichte schwarze Wimpern sich sittsam über grüne Augen senkten.
»0 nein«, brachte er schließlich leise heraus und ahnte nicht, daß sie ihn dabei wie ein Kalb aussehend fand, das auf den Metzger wartet.
Sie schlug ihm leicht mit dem zusammengefalteten Fächer auf den Arm und wandte sich die Treppe hinauf. Da fiel ihr Blick noch einmal auf den Mann namens Rhett Butler, der ein paar Schritte von Charles entfernt allein stand. 0ffenbar hatte er die ganze Unterhaltung gehört, denn tückisch wie ein Kater lachte er sie an, und wieder schweiften seine Augen, völlig bar der Ehrerbietung, die sie gewohnt war, über sie hin.
»Heiliger Strohsack!« In ihrer Entrüstung gebrauchte Scarlett im stillen Geralds Lieblingsfluch. »Er tut, als ob er wüßte, wie ich ohne Hemd aussehe!« Damit warf sie den Kopf zurück und ging nach oben. In dem Schlafzimmer, wo die Damen abgelegt hatten, fand sie Cathleen Calvert, die sich vor dem Spiegel putzte und auf die Lippen biß, damit sie röter aussähen. An ihrem Gürtel steckten frische Rosen, die zu ihren Wangen paßten, und ihre kornblumenblauen Augen sprühten vor Erregung.
»Cathleen«, sagte Scarlett und versuchte, sich die Taille höher hinaufzuziehen, »wer ist eigentlich dieser gräßliche Butler da unten?«
»Ja, weißt du denn das nicht?« flüsterte Cathleen aufgeregt und hatte dabei ein scharfes Auge auf das Nebenzimmer, wo Dilcey mit der Mammy der Wilkesschen Mädchen schwatzte. »Es muß für Mr. Wilkes ein peinliches Gefühl sein, ihn hier zu haben, aber er war gerade zu Besuch bei Mr. Kennedy in Jonesboro, ich glaube in Baumwollgeschäften, und da mußte Mr. Kennedyihn natürlich mit hierherbringen.«
»Was ist denn mit ihm?« »Man verkehrt nicht mit ihm.« »Wahrhaftig?«
Scarlett hatte daran ein Weilchen schweigend zu kauen. Noch nie war sie mit jemandem, mit dem man nicht verkehrt, unter einem Dach zusammen gewesen. Das war sehr aufregend.
»Was hat er denn getan?«
»0 Scarlett, er hat einen ganz schrecklichen Ruf. Er heißt Rhett Butler und stammt aus Charleston. Seine Eltern gehören da zu den besten Familien, aber mit ihm verkehren sie nicht mehr. Caro Rhett hat mir vorigen Sommer von ihm erzählt. Er ist aus West-Point rausgeschmissen worden. Stell dir vor! Wegen etwas so Schummeln, daß Caro es nicht wissen darf, und dann war da noch die Geschichte mit dem Mädchen, das er nicht geheiratet hat. Ja, weißt du denn gar nichts davon? Also, dieser Mr. Butler ist in Charleston mit einem Mädchen im Einspänner spazierengefahren. Ich weiß nicht, wer sie war, aber ich habe so meinen Verdacht. Aus sehr guter Familie kann sie nicht gewesen sein, sonst wäre sie nicht so spät nachmittags ohne Begleitung mit ihm ausgefahren, und denk mal, sie blieben beinahe die ganze Nacht und gingen schließlich zu Fuß nach Hause. Sie behaupteten, das Pferd sei ihnen durchgegangen und hätte den Wagen zertrümmert und sie hätten sich im Walde verirrt. Und nun rate, was geschah!«
»Das kann ich nicht raten, erzähle!« sagte Scarlett begeistert und machte sich auf das Schlimmste gefaßt.
»Den nächsten Tag hat er sich geweigert, sie zu heiraten.«
»Ach!«Scarlett war enttäuscht.
»Er sagte, er habe ihr nichts getan und sehe nicht ein, warum er sie heiraten sollte. Natürlich hat ihr Bruder ihn gefordert, und Mr. Butler hat gesagt, lieber ließe er sich totschießen, als eine dumme Gans zu heiraten. Und dann kam das Duell, und Mr. Butler hat den Bruder des Mädchens getötet und mußte aus Charleston weg, und nun kann er nirgends mehr verkehren«, schloß Cathleen triumphierend und eben noch rechtzeitig, denn Dilcey kam zurück, um das Kleid ihrer Schutzbefohlenen einer Prüfung zu unterziehen.
»Hat sie ein Kind gekriegt?« flüsterte Scarlett Cathleen ins 0hr.
Cathleen schüttelte heftig den Kopf. »Aber ruiniert war sie trotzdem«, zischelte sie zur ück.
Wenn doch nur Ashley mich kompromittieren wollte, dachte Scarlett plötzlich. Er wäre zu sehr Gentleman, ummich dann nicht zu heiraten.
Und doch hatte sie das uneingestandene Gefühl, man müsse vor Rhett Butler Achtung haben, weil er sich geweigert hatte, eine dumme Gans zu heiraten.
Scarlett saß auf einem hohen Liegestuhl aus Rosenholz im Schatten einer riesigen Eiche hinter dem Hause, umwogt von Falten und Rüschen, unter denen zwei Zoll ihrer grünen Maroquinschuhe - das Äußerste, was eine Dame zeigen durfte - zum Vorschein kamen. Einen kaum berührten Teller hatte sie in der Hand und sieben Kavaliere um sich herum. Das Gartenfest war auf seinem Höhepunkt angelangt. Gelächter und lustige Worte, das Geklirr von Silber und Porzellan und würzige Bratendüfte erfüllten die warme Luft. Wenn der leichte Wind sich drehte, zogen Rauchwolken von den Feuerstellen über die Gesellschaft hin und wurden von den Damen mit lustigem Schreckensgeschrei und heftigem Gewedel ihrer Palmenfächer begrüßt.
Die meisten jungen Damen saßen mit ihren Herren auf den Bänken an den langen Tischen. Aber Scarlett hatte erkannt, daß ein Mädchen nur zwei Seiten und auf jeder nur Platz für einen einzigen Mann hat, und deshalb hatte sie vorgezogen, sich abseits zu setzen und soviel Männer wie möglich umsich zu versammeln.
Auf dem Rasen in der Laube saßen die verheirateten Damen, ehrbar in ihren dunklen Kleidern inmitten all der Lustigkeit und Buntheit ringsum. Wer verheiratet war, einerlei in welchem Alter, fand sich für immer von den helläugigen Mädchen, den Kavalieren und all ihrer Jugendlichkeit geschieden. Verheiratete Frauen, die noch umworben wurden, gab es im Süden nicht. Von Großmama Fontaine, die von dem Vorrecht ihres Alters, aufzustoßen, unbekümmerten Gebrauch machte, bis zu der sieb zehnjährigen Alice Munroe, die gegen die Übelkeit einer ersten Schwangerschaft ankämpfte, hatten sie zu endlosen genealogischen und gynäkologischen Gesprächen ihre Köpfe zusammengesteckt, was solche Gesellschaften zu sehr willkommenen, unterhaltsamen Lehrkursen machte. Scarlett sah von oben auf sie herab und fand, sie sähen aus wie ein Schwärm fetter Krähen.
Verheiratete Frauen durften sich nie amüsieren. Daß sie selbst, wenn Ashley sie heiratete, auch ohne weiteres in die Lauben und in die Salons verbannt würde, zu den gesetzten Matronen in glanzloser Seide, ausgeschlossen von Spaß und Spiel - der Gedanke kam Scarlett nicht. Ihre Phantasie trug sie, wie die meisten Mädchen, nur bis an den Altar und keinen Schritt darüber hinaus. Außerdem war sie jetzt zu unglücklich, um solchenVorstellungen nachzuhängen.
Sie senkte die Augen auf den Teller und aß zierlich von einem angebrochenen Biskuit mit einer Eleganz und einem so völligen Mangel an Appetit, daß Mammy ihre Freude daran gehabt hätte. Bei allem Überfluß a n Verehrern hatte sie sich noch nie im Leben so unglücklich gefühlt wie jetzt. Alle ihre Pläne von gestern abend waren gescheitert. Zu Dutzenden hatten sich die Kavaliere zu ihr gesellt, nur Ashley nicht, und all die Befürchtungen von gestern kamen wieder über sie. Ihr Herz schlug bald rasch, bald träge, ihre Wangen waren einmal flammenrot, dann wieder weiß. Ashley hatte keinerlei Anstalten gemacht, in ihren Bannkreis zu treten, und seit ihrer Ankunft hatte sie keinen Augenblick unter vier Augen mit ihm gehabt, ja, seit der ersten Begrüßung hatte sie überhaupt noch nicht mit ihm sprechen können. Als sie den Hintergarten betrat, war er auf sie zugekommen, aber mit Melanie am Arm, die ihm kaum bis zur Schulter reichte.
Melanie war ein zartgebautes, zierliches Mädchen, gleich einem Kind, das mit den viel zu großen Reifröcken der Mutter Verkleiden spielt, eine Vorstellung, die durch den scheuen, fast furchtsamen Blick ihrer großen Augen noch verstärkt wurde. Die Wolke ihres dunklen lockigen Haares war unter einem Netz streng gefaßt, eine dunkle Masse, die auf der Stirn in eine Spitze wie eine Witwenhaube auslief und das herzförmige Gesichtchen noch herzförmiger erscheinen ließ. Mit den zu breiten Backenknochen und dem allzu spitzen Kinn war es ein süßes, schüchternes, aber keineswegs schönes Gesicht, und Melanie verstand nicht durch weibliche Verführungskünste über seine Unscheinbarkeit hinwegzutäuschen. Sie sah aus, wie sie war, schlicht wie die Erde, gut wie das Brot, durchsichtig wie Quellwasser. Aber trotz dieser Unansehnlichkeit und der Kleinheit ihrer Gestalt lag in ihren Bewegungen, eine gelassene Würde, die sie weit über ihre siebzehn Jahre hob und ihr etwas seltsam Eindrucksvolles verlieh. Ihr graues 0rgandykleid mit der kirschroten Atlasschärpe verhüllte in Rüschen und duftigen Stoffwolken den kindlich unentwickelten Körper. Der gelbe Hut mit den langen kirschroten Bändern ließ ihre elfenbeinfarbene Haut erglühen. In ihren braunen Augen war etwas von dem stillen Glanz eines winterlichen Waldsees, aus dessen Tiefe die dunklen Gewächse durch das ruhigeWasser heraufschimmern.
Sie hatte Scarlett mit schüchterner Zuneigung angelächelt und ihr gesagt, wie hübsch ihr grünes Kleid sei, und es war Scarlett schwergefallen, auch nur höflich zu antworten, so heftig war ihr Verlangen, mit Ashley allein zu sein. Seitdem hatte Ashley auf einem Hocker zu Melanies Füßen gesessen, fern von den anderen Gästen, hatte sich ruhig mit ihr unterhalten und dabei das leichte, versonnene Lächeln gezeigt, das Scarlett so sehr an ihm liebte. Unter seinem Lächeln war ein kleiner Funken in Melanies Augen aufgesprungen, und das machte die Sache noch schlimmer, denn nun mußte sogar Scarlett zugeben, daß sie beinahe hübsch aussah. Als Melanie zu Ashley aufblickte, war ihr Gesicht wie von innen erleuchtet. Hatte je ein liebendes Herz sich auf einem Antlitz gezeigt, so jetzt bei Melanie Hamilton.
Scarlett gab sich Mühe, die Augen von den beiden abzuwenden, aber es gelang ihr nicht. Nach jedem Blick dorthin war sie mit ihren Kavalieren doppelt lustig. Sie lachte und sagte gewagte Dinge, neckte und warf den Kopf zurück, daß die 0hrringe klirrten. Wohl hundertmal sagte sie »Ach Unsinn, dummes Zeug!« und schwur, sie wolle nie etwas von alldem glauben, was Männer ihr sagten. Ashley aber bemerkte es nicht, er blickte nur zu Melanie hinauf und sprach weiter, und Melanie sah zu ihm hinab mit einem Ausdruck, der strahlend bewies, daß sie sein war.
So kam es, daß Scarlett sich unglücklich fühlte. Wer nur das Äußere wahrnahm, mochte meinen, nie habe ein Mädchen weniger Grund dazu gehabt. Unbestritten war sie die Königin des Tages. Zu jeder anderen Zeit hätte ihr das Aufsehen, das sie bei den Männern erregte, zusammen mit dem Herzweh der anderen Mädchen, ungeheures Vergnügen bereitet.
Charles Hamilton wich trotz der vereinten Bemühungen der Zwillinge Tarleton nicht von ihrer Seite. Er hielt ihren Fächer in der einen Hand und seinen unberührten Teller in der andern und vermied es hartnäckig, Honeys Blick zu begegnen, der die Tränen nahe waren. Cade hatte es sich zu ihrer Linken bequem gemacht und sah Stuart mit glimmenden Augen an.
Schon schwelte die Glut zwischen ihm und den Zwillingen, schon waren gereizte Worte hin und her gegangen. Frank Kennedy scharwenzelte um Scarlett herum wie eine Henne um ein Küken und rannte zwischen den Eichen und den Tischen hin und her, um Scarlett mit Leckerbissen zu versorgen, als ob nicht schon ein Dutzend Diener zu diesem Zweck da wären. Suellens dumpfer Groll begann ihre vornehme Zurückhaltung zu durchbrechen, und sie schoß feindselige Blicke auf Scarlett. Die kleine Carreen hätte weinen mögen. Trotz Scarletts ermutigenden Worten von heute morgen hatte Brent nur »Hallo, Schwesterchen« zu ihr gesagt und sie am Haarband gezupft, ehe er seine volle Aufmerksamkeit Scarlett zuwandte. Gewöhnlich war er doch so nett zu ihr und behandelte sie mit einer heiteren Ehrerbietung, bei der sie sich ganz erwachsen vorkam; und Carreen träumte insgeheim von dem Tage, da sie ihr Haar aufstecken und einen langen Rock anziehen und ihn wirklich als Verehrer betrachten konnte. Aber nun sah es aus, als gehörte er Scarlett ganz und gar. Die Munroemädchen verbargen mühsam ihren Kummer über die Unaufmerksamkeit der beiden dunklen Fontaines, die mit im Kreise um Scarlett standen und sich an sie heranzuschlängeln suchten, sobald einer der andern Miene machte aufzustehen. Mit erhobenen Augenbrauen funkten sie ihre Mißbilligung über Scarletts Benehmen zu Hetty Tarleton hinüber. »Schamlos« war das einzig richtige Wort dafür. Alle drei zugleich nahmen die jungen Damen ihre Spitzenschirmchen in die Hand, sagten, sie hätten nun genug gegessen, berührten mit leichtem Finger den Arm des zunächststehenden Herrn und begehrten in holden Tönen den Rosengarten, den Brunnen und das Sommerhaus zu sehen. Dieser strategische Rückzug in guter 0rdnung entging keiner der anwesenden Damen und jedem der anwesenden Männer.
Scarlett kicherte in sich hinein, als sie drei Männer ihren Zauberkreis verlassen sah, um den Damen Dinge zu zeigen, die ihnen von Kindheit auf vertraut waren, und warf einen scharfen Blick auf Ashley, um zu sehen, ob er es bemerkt habe. Der aber spielte mit den Enden von Melanies Schärpe und lächelte zu ihr hinauf. Scarletts Herz zog sich vor Weh zusammen. Sie hätte Melanies Elfenbeinhaut bis aufs Blut zerkratzen mögen.
Als ihre Blicke weiterschweiften, begegneten ihre Augen denen Rhett Butlers, der abseits mit John Wilkes sprach. Er hatte sie beobachtet, und jetzt lachte er sie an. Scarlett hatte das unbehagliche Gefühl, daß unter allen Anwesenden nur dieser Mann, mit dem man nicht verkehrte, ihre wilde Lustigkeit durchschaute und sein hämisches Vergnügen daran fand. Auch ihn hätte sie mit Wonne zerkratzen mögen. »Wenn ich nur dieses Fest bis heute mittag überstehe«, dachte sie, »dann gehen alle Mädels zu einem Schläfchen hinauf, und ich bleibe hier und komme endlich dazu, mit Ashley zu reden. Er muß doch bemerkt haben, wie begehrt ich bin.« Noch mit einer anderen Hoffnung suchte sie ihr Herz zu trösten: »Natürlich muß er gegen Melanie aufmerksam sein, denn schließlich ist sie seine Cousine, und so unbeliebt, wie sie ist, wäre sie ohne ihn ein Mauerblümchen. «
Sie schöpfte wieder Mut und verdoppelte ihre Bemühungen um Charles, dessen glühende braune Augen nicht von ihr abließen. Es war ein wundervoller Tag, ein Traumtag für ihn. Er hatte sich in Scarlett verliebt. Vor diesem neuen Gefühl wich Honey wie in einen dichten Nebel zurück.
Honey war ein laut zwitschernder Spatz, Scarlett ein schillernder Kolibri. Sie zog ihn vor, stellte Fragen an ihn und gab selbst Antworten darauf, so daß er gescheit wirkte, ohne selbst ein Sterbenswörtchen zu erfinden. Die anderen ärgerten sich und wußten nicht, was sie dazu sagen sollten. Sie mußten sich ernstlich anstrengen, um höflich zu bleiben und die wachsende Wut hinunterzuschlucken. Überall glomm es unter der Asche, und wäre Ashley nicht gewesen, Scarlett hätte einen richtigen Triumph gefeiert.
Als der letzte Bissen aufgegessen war, hoffte Scarlett, India werde nun aufstehen und den Damen vorschlagen, sich ins Haus zurückzuziehen. Es war zwei Uhr, und die Sonne schien warm, aber India war nach den dreitägigen Vorbereitungen so müde, daß sie froh war, sitzen zu dürfen und dabei einem tauben alten Herrn aus Fayetteville ihre Bemerkungen ins 0hr schreien zu können.
Eine träge Schläfrigkeit legte sich über die Gesellschaft. Die Farbigen gingen herum und deckten die langen Tische, an denen man gespeist hatte, ab. Gelächter und Gespräch wurden stiller, alle warteten darauf, daß die Gastgeberin das Zeichen zum Ende der Festlichkeit geben möge. Palmenfächer wedelten auf und ab, und einige alte Herren waren vor Hitze und Sattheit eingenickt. In dieser Pause zwischen der Geselligkeit des Morgens und dem abendlichen Ball machten sie alle den Eindruck von gemessenen, friedlichen Leuten. Nur die jungen Männer hatten immer noch etwas von der ruhelosen Kraft, die bis vor kurzem die ganze Gesellschaft belebt hatte. Unter der Schlaffheit des Mittags lauerten Leidenschaften, die jeden Augenblick tödlich aufflammen und ebenso schnell ausbrennen konnten. Die Unterhaltung wollte eben völlig einschlafen, als plötzlich alles durch Geralds zornig erhobene Stimme aus dem Halbschlummer geschreckt wurde. Er stand in einiger Entfernung von den Speisetischen und war auf demHöhepunkt eines Streites mit John Wilkes angelangt.
»Heiliger Strohsack, Mann! Für friedliche Einigung mit den Yankees beten? Nachdem wir die Schufte aus Fort Sumter hinausgefeuert haben? Friedlich? Die Südstaaten sollten mit den Waffen in der Hand zeigen, daß sie sich nicht beleidigen lassen und daß sie sich nicht mit gütiger Erlaubnis der Union von ihr trennen, sondern aus eigener Kraft befreien!«
»Mein Gott«, dachte Scarlett, »nun können wir alle bis Mitternacht hier sitzen bleiben.«
Im Handumdrehen hatte sich alle Schläfrigkeit verflüchtigt. Die Männer sprangen von Bänken und Stühlen auf, die Stimmen begannen einander zu überschreien. Den ganzen Morgen hatte auf Mr. Wilkes' Bitte, die Damen nicht zu langweilen, niemand von Politik und Kriegsgefahr gesprochen. Aber nun hatte Gerald das Eis gebrochen, und alle anwesenden Männer vergaßen die Ermahnung.
»Natürlich wollen wir kämpfen ...« »Diese verfluchten Yankees, diese Spitzbuben ...« »Wir verhauen sie in einem einzigen Monat...« »Einer von uns prügelt zwanzig von ihnen windelweich ...« »Friedlich? ... Sie lassen uns ja nicht in Frieden!« »Wie Mr. Lincoln unsere Unterhändler beleidigt hat ... Wochenlang hat er sie warten lassen und versprochen, Fort Sumter zu räumen!« »Sie wollen den Krieg, nun, er soll ihnen bald zum Halse heraushängen!« Lauter als alle anderen donnerte Gerald. Scarlett hörte ihn brüllen: »Die Rechte der Südstaaten, Teufel noch mal!« Er ereiferte sich gewaltig und kam endlich auf seine Kosten, seine Tochter aber durchaus nicht. All dies Gerede war ihr gründlich verhaßt, weil sich die Männer nun stundenlang damit beschäftigen und sie vorläufig keine Gelegenheit mehr finden würde, Ashley unter vier Augen zu sprechen. Natürlich gab es keinen Krieg, das wußten die Männer alle. Sie redeten nur gern und hörten sich so gern reden.
Charles Hamilton war nicht mit den andern aufgesprungen und fand sich plötzlich mit Scarlett allein. Da lehnte er sich enger an sie und flüsterte mit der Kühnheit neugeborener Leidenschaft: »Miß 0'Hara ... Ich ... ich hatte schon beschlossen, daß ich nach Südcarolina zur Truppe gehen wollte, falls es Krieg gäbe. Mr. Wade Hampton stellt eine Reitertruppe auf, und da wollte ich natürlich dabeisein. Er ist ein großartiger Kerl und war der beste Freund meines Vaters.«
Scarlett sah ihn verwundert an und dachte: »Wie können Männer nur so dumm sein, zu glauben, daß ein Mädchen sich für so etwas interessiert.« Er meinte, sie finde vor lauter Begeisterung keine Worte, und fuhr immer kühner fort:
»Wenn ich nun gehe, sind ... sind Sie dann traurig ... Miß 0'Hara?«
»Dann weine ich jede Nacht mein Kissen naß.« Es sollte schnippisch klingen, er aber nahm es ernst und errötete vor Freude. Sie hatte die Hand in den Falten ihres Kleides verborgen, er tastete sich heran und drückte sie fest, von seiner eigenen Kühnheit und ihrer Zuneigung überwältigt.
»Wollen Sie dann für mich beten?«
»Der Schafskopf!« dachte Scarlett bitter und schaute sich verstohlen um, ob nicht jemand sie von dieser Unterhaltung erlöse.
»Wollen Sie es tun?«
»Ja ... gewiß, mindestens drei Rosenkränze jeden Abend!«
Rasch blickte Charles umher, hielt den Atem an und straffte die Muskeln. Sie waren so gut wie allein. Eine solche Gelegenheit bot sich vielleicht nie wieder. Und wenn Gott sie ihm noch einmal bescheren sollte, vielleicht versagte ihm dann die Kraf t.
»Miß 0'Hara ... ich muß Ihnen etwas sagen. Ich ... ich liebe Sie!«
»Hmmm?« machte Scarlett und versuchte durch die Menge der Streitenden zuAshley hindurchzublicken.
»Ja!« flüsterte Charles, außer sich vor Entzücken, daß sie weder gelacht hatte noch in 0hnmacht gefallen war. »Ich liebe Sie! Sie sind das ... das ...«, zum erstenmal in seinem Leben löste sich ihm die Zunge, »das schönste Mädchen, das ich je gekannt habe, das süßeste und gütigste, so lieb wie Sie war noch niemand zu mir. Ich liebe Sie von ganzem Herzen. Ich kann ja nicht annehmen, daß Sie jemand wie mich lieben können, aber wenn Sie mir ein ganz klein wenig Mut machen, will ich alles tun, damit Sie mich lieben. Ich will...«
Charles hielt inne, er konnte sich nichts ausdenken, das stark genug wäre, Scarlett die Tiefe seines Gefühls zu beweisen, und so sagte er dann einfach: »Ich möchte Sie heiraten.«
Mit einem Ruck war Scarlett wieder auf der Erde, als das Wort »heiraten« an ihr 0hr schlug. Gerade hatte sie an Heiraten und an Ashle y gedacht und blickte Charles mit schlecht verhehlter Gereiztheit an. Was mußte auch dieses Kalb ihr gerade jetzt seine Gefühle aufdrängen, da ihr vor lauter eigenen Gedanken und Gefühlen fast der Kopf platzte? Sie blickte ihm in die braunen Augen und sah nicht die Schönheit der ersten scheuen Knabenliebe, die darin lag, nicht die Verzückung eines Traumes, der Wirklichkeit werden will, nicht die wilde, selige Zärtlichkeit, die ihn wie eine Flamme durchfuhr. Scarlett war es gewöhnt, daß Männer ihr einen Heiratsantrag machten, sehr viel anziehendere Männer als Charles Hamilton, die Lebensart genug besaßen, ihr nicht gerade bei einem Gartenessen, wenn sie wichtigere Dinge im Kopf hatte, damit zu kommen. Sie sah nur den zwanzigjährigen Jungen, der rot wie eine Rübe geworden war und sich sehr tölpelhaft ausnahm. Sie hätte ihm das gern gesagt, aber ganz von selbst kamen ihr die Worte, die Ellen sie für solche Fälle gelehrt hatte. Sie schlug gewohnheitsmäßig die Augen nieder, und leise ging es über ihre Lippen:
»Mr. Hamilton, ich bin mir der Ehre wohl bewußt, die Sie mir dadurch erweisen, daß Sie um meine Hand anhalten, aber es kommt alles so plötzlich, daß ich nicht weiß, was ich darauf antworten soll.«
Auf diese Weise vermied man es geschickt, die Eitelkeit eines Mannes zu kränken, und behielt ihn doch am Bändel. Charles biß darauf an, als wäre solcher Köder etwas Neues und ihm als erstem zugeworfen.
»Ich kann ewig warten! Ich möchte Sie nur haben, wenn Sie Ihrer selbst ganz sicher sind. Bitte, Miß 0'Hara, sagen Sie mir, daß ich hoffen darf!«
Scarletts scharfe Augen erblickten Ashley, der bei Melanie sitzen geblieben war und zu ihr emporlächelte. Wenn nur dieser Dummkopf, der nach ihrer Hand tastete, einen Augenblick still sein wollte, vielleicht konnte sie dann verstehen, worüber die beiden sprachen. Charles' Worte verwischten die Stimmen, denen sie so angestrengt lauschte.
»Seht«, zischte sie ihn an und kniff ihn in die Hand, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen.
Charles fuhr zusammen, im ersten Augenblick fühlte er sich zurückgestoßen und errötete, dann sah er ihren Blick auf seiner Schwester ruhen und wurde wieder froh. Scarlett fürchtete, jemand möchte seine Worte vernehmen. Natürlich war sie verlegen und in Todesangst, belauscht zu werden. Charles fühlte eine Männlichkeit in sich aufwallen, wie er sie noch nie gespürt hatte. Er hatte ein Mädchen in Verlegenheit gebracht. Das war berauschend, und er suchte seinem Gesicht einen unbekümmerten Ausdruck zu geben und erwiderte vorsichtig Scarletts Händedruck, um zu zeigen, daß er ein Mann von Welt sei und ihre Bedenken verstünde.
Sie fühlte es nicht einmal, denn deutlich hörte sie jetzt Melanies süße Stimme, die ihr höchster Zauber war: »Ich fürchte, über Mr. Thackerays Werke bin ich anderer Meinung als du. Er ist ein Zyniker. Ich glaube, er ist weniger Gentleman als Mr. Dickens.«
Wie kann man nur so etwas Albernes sagen! Scarlett hätte vor Erleichterung lachen mögen. Sie ist eben doch ein Blaustrumpf, und was Männer von einem Blaustrumpf denken, weiß ja jeder. Das Interesse eines Mannes kann man doch nur dadurch wecken, daß man von ihm spricht und allmählich die Unterhaltung auf sich selber lenkt. Hätte Melanie gesagt: »Du bist doch fabelhaft!« oder »Wie du nur auf solche Gedanken kommst! Mein dummer Kopf würde platzen, schon allein bei dem Versuch, über so etwas nachzudenken!« - dann hätte Scarlett Grund gehabt, sich zu ängstigen. Nun fühlte sie ihre Aussichten so sehr steigen, daß sie Charles ein strahlendes Gesicht zuwandte und vor Freude lächelte. Dieser Bewe is ihrer Zuneigung beseligte ihn. Er griff nach ihrem Fächer und fächelte sie so stürmisch, daß ihr Haar in Unordnung geriet.
»Ashley, wie denkst du darüber?« klang es aus der Gruppe der erhitzten Männer heraus. Er stand auf und entschuldigte sich. Keiner von den anderen sieht doch so gut aus, dachte Scarlett, als sie sah, wie gut ihm seine lässige Bewegung stand. Sogar die älteren Männer hielten inne, umihm zuzuhören.
»Nun, meine Herren, wenn Georgia kämpft, gehe ich mit. Warum wäre ich sonst in die Truppe eingetreten?« sagte er, die grauen Augen weit geöffnet. Alles Verträumte war daraus verschwunden, und eine Spannkraft lag darin, wie Scarlett sie nie zuvor an ihm wahrgenommen hatte. »Aber ich hoffe wie Vater, daß es nicht zum Kampf kommt und die Yankees uns in Frieden lassen ...« Er hob lächelnd die Hand, als die Fontaines und Tarletons durcheinanderzureden begannen wie weiland die Leute beim Turmbau zu Babel. »Ja, ja, ich weiß, wir sind beleidigt und betrogen worden. Hätten wir aber in der Haut der Yankees gesteckt und wollten sie sich ihrerseits von der Union lossagen, wie hätten wir uns dann wohl verhalten? Ungefähr ebenso!«
»Das sieht ihm wieder einmal ähnlich«, dachte Scarlett. »Immer muß er sich in die anderen hineinversetzen.« Für sie hatte alles nur eine einzige Seite. Manchmal war Ashleyeinfach unverständlich.
»Wir wollen nicht so hitzköpfig sein und uns zum Krieg hinreißen lassen. Das meiste Elend in der Welt ist vom Krieg gekommen. Und jedesmal, wenn ein Krieg glücklich vorbei war, wußte niemand mehr so recht, umwas es eigentlich gegangen war.«
Scarlett rümpfte die Nase. An Ashleys Mut zweifelte zum Glück niemand, sonst wäre die Sache bedenklich gewesen. Schon erhob sich um ihn herum ein unwilliges, gefährliches Lärmen leidenschaftlich widerstreitender Stimmen.
Auf dem Rasenplatz unter den Bäumen stieß der taube alte Herr aus Fayetteville India an. »Was geht da eigentlich vor? Worüber reden sie?«
»Über Krieg!« trompetete ihm India durch die hohle Hand ins 0hr. »Sie wollen mit den Yankees kä mpfen!«
»Krieg, sagen Sie?« Er suchte nach seinem Spazierstock und erhob sich mühsam aus seinem Stuhl, aber mit so viel Energie, wie er seit Jahren nicht gezeigt hatte. »Ich will ihnen sagen, was Krieg ist. Ich habe ihn mitgemacht.« Mr. McRae kam selten dazu, vom Krieg zu erzählen, meistens brachten ihn seine Frauensleute vorzeitig zum Schweigen. Eilig stapfte er auf die Gruppe zu und schwenkte mit erhobener Stimme den Stock. Da er die anderen nicht hören konnte, war er bald unbestrittener Herr desSchlacht feldes.
»Ihr jungen Eisenfresser, hört mich an. Wir wollen keinen Krieg. Ich war im Kriege und weiß, wie das ist. Ich bin im Seminolenkrieg gewesen und war dumm genug, auch noch in den mexikanischen zu gehen. Ihr meint, da reitet man ein hübsches Pferd, die Mädchen streuen euch Blumen und ihr kommt als Held nach Hause. Nein, meine Herren! Hunger hat man und bekommt Masern und Lungenentzündung, weil man im feuchten Gras liegen muß. Und sind es nicht Masern und Lungenentzündung, so ist es das Gedärm. Ja, meine Herren, was der Krieg einem da nicht alles antut ... Durchfall und so was ...«
Die Damen wurden rot bis unter die Haarwurzeln. Mr. McRae war das Überbleibsel eines rauheren Zeitalters. »Hole rasch deinen Großvater«, zischte eine seiner Töchter einem jungen Mädchen zu. »Wahrhaftig!« flüsterte sie den aufgeregten Matronen um sie her zu, »jeden Tag wird es schlimmer mit ihm. Wollen Sie mir glauben, heute morgen sagte er zu Mary - sie ist erst sechzehn -: >Nun, kleines Fräulein ...<« Der Rest wurde noch leiser geflüstert, während die Enkelin sich entfernte, um Mr. McRae auf seinen schattigen Platz zurückzuführen.
Unter all den aufgeregt lächelnden Mädchen und leidenschaftlich debattierenden Männern war offenbar nur einer, der nicht aus der Ruhe zu bringen war. Scarlett sah Rhett Butler an einen Baum gelehnt dastehen, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Seit Mr. Wilkes ihn verlassen hatte, war er allein und hatte, als das Gespräch sich erhitzte, kein Wort mehr gesprochen. Unter dem kurz geschnittenen schwarzen Schnurrbart verzogen sich spöttisch die roten Lippen, ein Strahl belustigter Geringschätzung glomm in den schwarzen Augen, als höre er prahlenden Kindern zu. Ein unangenehmes Lächeln, fand Scarlett. Er hörte ruhig zu, bis Stuart Tarleton mit zerzaustem Haar und blitzenden Augen wiederholte: »In einem Monat haben wir sie verprügelt! Gentlemen kämpfen immer besser als der Pöbel. Ein Monat ... nein, eine einzige Schlacht ...«
»Meine Herren«, sagte Rhett Butler in der klingenden, verschliffenen Mundart von Charleston, ohne sich aus seiner bequemen Haltung zu rühren oder die Hände aus den Hosentaschen zu nehmen. »Darf ich ein Wort dazu sagen?« Sein Tonfall war ebenso geringschätzig wie seine Blicke, aber verschleiert durch eine Höflichkeit, mit der er sich gleichsam über sich selbst lustig machte. Man wandte sich ihm mit jener Verbindlichkeit zu, die man immer für einen Außenseiter bereit hatte.