Kitabı oku: «Menschen im Krieg – Gone to Soldiers», sayfa 16
Er lernte, Waffen zu benutzen, die nicht zur Grundausbildung gehörten, lernte, lautlos zu töten, mit einem Messer, mit den Fingern und sogar mit einer zusammengefalteten Zeitung, die als Behelfsdolch in den Bauch oder direkt unter dem Kinn in den Hals gestoßen wurde. Er lernte, Funkgeräte zu bedienen, mit Codes umzugehen, Karten zu lesen, zu beobachten. Wo waren die Arsenale? Die Depots für Waffen und Munition und Öl? Die Treibstofflager? Welche Eisenbahnlinien waren in Betrieb und was wurde wann darauf transportiert? Die Flugabwehrstellungen? Jeff war ein schlechter Funker, seine Funksprüche langsam und voller Fehler. Er hasste den Morsecode.
Er tat sich jedoch in einem Test hervor, bei dem ihnen auf einer Leinwand zwanzig Sekunden lang Personenfotos gezeigt wurden, unter deren Gesicht Name, Alter, Beruf und Adresse eingeblendet waren. Dann wurden ihnen die Fotos noch einmal dreißig Sekunden lang ohne den Text und in willkürlicher Reihenfolge gezeigt, und sie mussten alles aufschreiben, was sie sich von dieser Person noch ins Gedächtnis rufen konnten. Jeff brachte die Gesichter nicht durcheinander. »Ihr schaut hin, aber ihr seht nichts!«, schimpfte der Ausbilder, aber zu Jeff sagte er das nicht.
Er begann, mit Aquarellfarben zu malen, eine Zwischenstation. Er malte an den Ufern des Potomac. Er wanderte durch die Landschaft Virginias und merkte, wie er wieder in Ölfarben zu denken begann, den Farbtönen, der Struktur.
Allmählich bekam Jeff einen Eindruck von der OSS-Struktur. OSS hatte als völlig andere Dienststelle begonnen, als COI – Coordinator of the Office of Information, Koordinator des Informationsdienstes –, aber weil Robert Sherwood und Wild Bill Donovan nicht miteinander ausgekommen waren, gab es jetzt ein Office of War Information, ein Amt für Kriegsinformation, zuständig für Propaganda, und den Dienst, dessen langer Arm ihn aus dem Sumpf gezogen hatte, OSS.
OSS hatte eine Abteilung SI – Secret Intelligence –, den Geheimdienst, der Spione führte. Jeffs Abteilung war Special Operations – Sonderoperationen –, und er ging davon aus, dass er bald genug herausfinden würde, was genau die tat und mit wem und wo. R & A war die Abteilung für Recherche und Analyse und voller Akademiker. MO – Moraloperationen – erzeugte sogenannte schwarze Propaganda, die die Kampfmoral des Feindes unterminieren sollte. X-2 war die Spionageabwehr. Eine weitere Abteilung arbeitete an Geheimwaffen, unsichtbaren Tinten, Agentenschnickschnack.
Seine zwei Ausbildungsmonate vergingen rasch. Dann erhielt er achtundvierzig Stunden Urlaub, bevor er sich nach England einzuschiffen hatte. In New York musste er umsteigen, und als er von der Pennsylvania Station zur Grand Central hastete, überlegte er, ob es nicht Blödsinn war. Vielleicht sollte er sein letztes Wochenende lieber mit einer Frau verbringen, wie er sie in New York bestimmt fand. Doch nein, er wollte Brachvogel sehen, und er wollte sogar seinen Vater sehen.
Die Temperatur pendelte um achtunddreißig Grad; Schweiß durchweichte seine Uniform. Er musste den größten Teil der Fahrt nach Boston stehen, aber im Bus nach Bentham bekam er endlich einen Sitzplatz. OSS war lockerer als die übrige Armee, und er hatte schon früher aufbrechen können, mit einem Vorsprung auf sein Wochenende.
Er hatte nach Hause telegrafiert. Der Professor und Bernice warteten beide am Busbahnhof. Er fühlte sich schmuddelig und halb gekocht, aber Bernice reichte ihm seine Badehose und warf sein Zeug auf die Ladefläche des geliehenen Kastenwagens. »Was ist mit dem Austin?«
»Der ist auf Kriegsdauer aufgeblockt. Bernice hat diese absurde idée fixe, dass du sofort im Teich baden möchtest«, sagte der Professor.
»Das ist das Einzige, was mich wiederbeleben kann. Wessen Wagen ist das?«
Bernice, die am Steuer saß, antwortete. Sie war braungebrannt und grinste. »Er gehört einem Freund vom Flugplatz. Du ahnst gar nicht, wie vorteilhaft es für ihn ist, uns das Ding mit Benzin und allem zu borgen. Dafür werde ich die Tragfläche seines Flugzeugs reparieren, an der die Bespannung beschädigt ist.«
»Bernice fliegt an drei Tagen in der Woche für die Regierung«, sagte der Professor so griesgrämig, wie er nur konnte. Sie schuckelten dahin, auf der Sitzbank der Fahrerkabine zusammengezwängt.
Bernice hatte ihm alles über ihre Flüge geschrieben. »Ich kriege meine Verkehrspilotenlizenz, Jeff, ja, wirklich. Aber ich habe nicht genug Flugstunden für WAF, Women in the Air Force. Sie nehmen nur die besten Pilotinnen, Frauen mit Hunderten von Stunden mehr als ich. Aber diesen Herbst kriege ich meine Verkehrspilotenlizenz.«
Als er auf dem Rücken im Round Pond lag und die Schreie der Kinder wie eine Schar bunter Sittiche im seichten Wasser hörte, strömten die Erinnerungen auf ihn ein. Er war an diesen Teich gewöhnt, und dieses Bad war eines einer endlosen Reihe, bildete mit Hunderten anderer über die Jahre hin eine Kontinuität. Er war der siebenjährige Jeff und planschte mit Mutter und Schwester. Er war der dreizehnjährige Jeff und tauchte vom Pier und schnitt sich an einer zerbrochenen Flasche die Hand klaffend auf. Er war der sechzehnjährige Jeff und lag mit Zach und zwei Mädchen vom Smith College auf einem Floß und trank seine ersten Martinis, von Zach gemixt. Er war der einundzwanzigjährige Jeff und bumste am vierten Juli, dem Nationalfeiertag, Harriet Hacker unterm Viertelmond, während über dem Wasser das Feuerwerk verpuffte. Er war der fünfundzwanzigjährige Jeff und erholte sich zu Hause von einem Tripper und einer Prügelei.
Werde ich sterben?, fragte er und antwortete sich dann: Aber ja. Jeder stirbt. Er versuchte sich seinen Tod vorzustellen, und ihm wollte nur ein Gefühl einfallen, in tiefes Wasser zu sinken, einzuschlafen und dabei wach zu bleiben.
Er dachte wieder kurz daran, mit einer Frau zu schlafen, und hatte schon begonnen, eine Liste möglicher Kandidatinnen in der Stadt durchzugehen, da drehte er sich um und kraulte zielstrebig auf das Floß zu, auf dem Bernice sich sonnte. Der Professor saß am Ufer an einem Campingtisch und las. Die Gesellschaft von Brachvogel war es, die er brauchte, aber hier konnte er nicht richtig mit ihr reden. Er wusste noch, wie Stimmen über das Wasser trugen, und erinnerte sich, wie er aus dem Wasser kam und die kleine Rothaarige draußen auf dem Floß zu Zach sagen hörte, sie habe Angst, sie sei schwanger.
»Lass uns nach Hause gehen«, sagte er. »Ich habe Hunger. Du musst mich aufpäppeln.« Er wollte sich mit ihr in die Küche zurückziehen, damit er ihr davon erzählen konnte, wie er in Alabama fast gestorben war, wie ihn hirnlose Trägheit verschluckt hatte. Wie demoralisierend es gewesen war, seine Energie, seine Vision, sich selbst zu verlieren. Wie er erst mit dem Malen aufgehört hatte, dann mit dem Zeichnen und zuletzt sogar damit, wie ein Maler zu denken. Wem sonst durfte er gestehen, dass er drauf und dran gewesen war, alles zu verlieren, was er in sich wertschätzte, dass er sich schließlich als ein zerbrechliches Gefüge über einem Sumpf belangloser Triebe und äußerst belangloser Bedürfnisse und Ärgernisse gesehen hatte?
Wenn er mit dem Malen aufhörte, verlor er seine Vergangenheit, die dann nicht mehr die Wanderschaft eines verkannten und zurzeit nicht gefragten Malers war, sondern einfach das leere Umherirren eines Tippelbruders. Wenn er mit dem Malen aufhörte, verlor er seine Zukunft, denn wer wollte sich schon ein Leben aus Gelegenheitsarbeiten in elenden Nestern vorstellen? Er hatte nie geglaubt, dass er je mit dem Malen aufhören könnte, doch er hatte es getan. Das machte ihm Angst.
Er überlegte, ob er seine französische Staffelei mit aufs Schiff nehmen sollte. OSS war großzügig beim Schiffsgepäck der Offiziere. Wahrscheinlich zu sperrig. Er wollte lieber die teureren Farben mitnehmen. Wenn er mit ihr redete und ihr klarer Kopf sein Leben umfing, wahrhaft sah, dann gelang ihm sicher, es zu verstehen. Und anzunehmen. Und weiterzuleben. Dann fühlte er sich zweifellos wieder als ein Kind des Schicksals, der günstigen Fügung, und das Glück, das ihn aus dem Morast der Trägheit und dem Sumpf der Verzweiflung gezogen hatte, das Glück, das im Augenblick den Namen Zach trug, würde irgendwann andere Gestalt annehmen und ihn voranwinken.
Jacqueline 3
Ein schmerzförmiger Stern
31 mai 1942
Sie haben uns befohlen, von nun an ständig einen gelben Stern zu tragen. Wir müssen unsere kostbaren Textilcoupons für die Sterne hergeben, als wollten wir so etwas haben oder wären bereit, Kälte zu erdulden und in Lumpen zu gehen, um uns solch einen Stern leisten zu können. JUIF steht darauf in großen, schwarzen, hässlichen Buchstaben, für den Fall, dass jemand zu begriffsstutzig ist, um den Sinn dieser Spitze zu erfassen – dieser sechsfachen, sechszackigen Spitze. Der Gelbton ist besonders grell – und ich trage nie Gelb. Alle von uns, die älter als sechs Jahre sind, müssen ihn auf der Straße und überall tragen.
Ich habe vermieden, mehr als unbedingt nötig nach draußen zu gehen, aber heute bin ich fest entschlossen, mein sogenanntes normales Leben wiederaufzunehmen. Wir sind von den Lehrveranstaltungen der Sorbonne ausgeschlossen, also ist es aus mit meinem Studium. Ein Brief kam. Die Regierung Frankreichs hat im Interesse rassischer Reinheit und so weiter. Ich schreibe das am Frühstückstisch vor einem großen Becher mit Gebräu aus irgendeinem Unkraut, an das wir ein bisschen Magermilch getan haben. Es schmeckt wie die Grassuppe, die die Zwillinge in den Sommerferien immer für ihre Puppen gemacht haben. Gleichgültig, wie mich die Leute auf der Straße anstarren, ich werde tun, was ich tun muss und was ich für richtig halte.
Am gleichen Tag: Ich fühlte mich entsetzlich auffällig, als trüge ich ein Schild: LEPRA, und so verhalten sich auch die Leute. Ich habe noch nie das Gefühl gehabt, dass so viele Menschen von mir wegschauen, so tun, als sähen sie mich nicht. Das ist nicht das Schlimmste. Das Schlimmste waren die, die auf mich losgingen und mich entweder beschimpften oder bedrohten oder in einem Falle – ein widerlicher Kerl von einem Mann – vom Bürgersteig stießen. Wenn der Lastwagen, der entgegenkam, nicht ausgewichen wäre, er hätte mich überfahren, denn ich stürzte direkt vor die Räder.
5 juin 1942
Zeiten wie diese lehren einen die Freunde schätzen. Gerade wenn ich mir Vorwürfe machen will, dass ich mich mit meinen zazou-Freunden herumtreibe, nur weil ich mich nicht ins Ghetto verbannen lassen will und sie als Einzige tolerant genug sind, sich mit einer Jüdin abzugeben, dann tun sie etwas, das mir zeigt, wie echt die Freundschaft zumindest von Céleste und Henri ist. Sie erschienen gestern im Café Le Jazz Hot und trugen große sechszackige gelbe Sterne mit GOJ darauf. Dann wurden sie auf dem Heimweg von einer Rotte dieser faschistischen PPF-Jugend überfallen. Sie haben Céleste die Kleider zerrissen, sie auf die Straße geworfen, getreten und ihr zwei Rippen gebrochen. Henri haben sie mitgeschleppt und kahlgeschoren und zusammengeschlagen, dass er nur noch ein Haufen blauer Flecke ist.
Sie verprügeln die zazous sowieso ständig. Viele junge Leute kleiden sich wie meine Freunde, Sonnenbrille, weites Jackett und enge Hosen, das Haar lang und voller Pomade, um die Faschisten auf die Palme zu bringen. Die behaupten, die zazous sind der Gipfel der Entartung und der Grund für Frankreichs Niederlage im Krieg, weil wir alle degeneriert und korrupt sind und der Jazz unseren Geist zerstört hat.
Heute Morgen stand ich von fünf bis acht nach Brot an. Ich bin völlig fertig und habe beschlossen, mich nach meiner Philosophiestunde ein bisschen hinzulegen. Ein paar von uns, die wir von der Universität relegiert worden sind, treffen sich dreimal in der Woche. Eine Studentin im sechsten Semester unterrichtet uns aus ihren Vorlesungsnotizen, und Daniela Rubin organisiert weitere Dozenten. Professor Moussat, der gerade als Jude denunziert und aus der École des Études Orientales entfernt worden ist, wird über die Ideenwelt des Buddhismus lesen. Ich bin nicht so fasziniert, wie ich es vielleicht noch vor einem Jahr gewesen wäre, aber zumindest ist es eine Ausbildung in etwas anderem als dem Ergattern von etwas Essbarem. Daniela und ich sind die treibende Kraft hinter diesem Bemühen, eine kleine Lehranstalt zu errichten, vermittels deren wir den Versuch zu durchkreuzen hoffen, uns in Unwissenheit zu halten! Sie ist ein Jahr älter als ich und wollte Ärztin werden. Ach, Daniela hat mir erzählt, was dem jüdischen Pfadfinder geschehen ist, der uns die neuen Ausweise verschaffen wollte: erschossen. Er war Teil eines Netzes, das Juden aus Frankreich heraus in Sicherheit schmuggelt. Jetzt tut es mir leid, dass wir nicht netter zu ihm waren, aber wir waren misstrauisch.
Nach meinen Stunden werde ich Henri besuchen gehen, obwohl es mir sehr seltsam vorkommt, den Hügel hinauf an der Sorbonne vorbeizugehen, von der ich vertrieben worden bin. Unsere »Kom«-militonen reagierten nach dem Motto: Ach, ich wusste gar nicht, dass du Jüdin bist. Sie hätten die Universität stilllegen können, wenn sie sich die Mühe gemacht hätten, wegen unseres Ausschlusses zu streiken. Ich würde Henri so gern ein Geschenk mitbringen, aber wir haben die Leckerbissen von Naomi längst aufgegessen.
Gestern auf der Straße kam mir plötzlich der Gedanke, in welchem Maße man jetzt den Menschen ihre politische Gesinnung am Gesicht ablesen kann. Das heißt, die, die mit den Deutschen kollaborieren, sehen alle wohlgenährt und blühend aus. Sie bekommen etwas Richtiges zu essen – Butter, Eier, Hühnchen, manchmal sogar Fleisch –, und sie haben Seife, um sich damit zu waschen, und manche sogar Heißwasser. Wir Übrigen werden immer dünner und ausgemergelter und schmutziger. Wir Juden sind die Dünnsten und Schäbigsten von allen. Es ginge uns noch viel schlimmer, wenn ich nicht durch Henri und Céleste meine Schwarzmarktbeziehungen hätte.
6 juin 1942
Wenn ich auch nur etwas weniger Vertrauen zu Maman hätte, würde ich nicht wagen, heute etwas einzutragen. Aber sie ist noch nie in die Privatsphäre meines Tagebuchs eingedrungen, und ich glaube auch nicht, dass sie es je tun würde. Trotzdem halte ich es für eine gute Idee, es nach dieser Eintragung immer mitzunehmen, für alle Fälle.
Ich war bei Henri in der Rue Royer Collard. Er saß im Bett mit einem großen Verband um den Kopf, sein Auge war blau und schwarz und scheußlich geschwollen, und seine Backe war auch geschwollen, wo ihm die Schläger von der PPF einen Zahn ausgebrochen haben.
Diese Faschistenspiele, in Rudeln Leute auf der Straße zu verprügeln, sind für manche wie eine Droge. Es ist eine Genehmigung, ungestraft Schmerz zuzufügen. Henri sagt, es ist eine Form von amoklaufendem Infantilismus, aber ich halte es für etwas Böseres. Henri besteht darauf, es gäbe nichts Böseres als bewaffnete Kleinkinder in Horden, die wollen, was sie wollen und wann sie es wollen, und es sich nehmen. Er sagt, dass viele Leute auf der Straße vorbeigingen und niemand eingriff, und dass ein flic vorbeikam, aber als er sah, wer da prügelte und wer da verprügelt wurde, wandte er sich ab und schlenderte unauffällig davon.
Albert war heute Nachmittag weg, um auf dem Schwarzmarkt Eier zu besorgen. Henri und Albert teilen sich ein Zimmer, das zum größten Teil von Henris Vater bezahlt wird. Sein Vater, der einen Nachtclub besitzt und Henris Mutter nie geheiratet hat, gibt ihm Geld. Henri sagt, der Nachtclub ist voller Deutscher, nicht nur die hier stationierten Wehrmachtsoldaten, sondern Soldaten, die auf Fronturlaub aus ganz Europa hierher kommen, um zu erleben, was sie »Paris bei Nacht« nennen. Die Nazis haben die Namen vom Théâtre Sarah Bernhardt und von jeder Straße in Paris geändert, die nach einem Juden benannt ist, und jeden Verleger in Paris (mit Leichtigkeit) überredet, keine jüdischen Schriftsteller mehr zu veröffentlichen und die Kataloge zu bereinigen, und da sitzen sie nun im Club von Henris Vater und fünfzig anderen und schlürfen Champagner und stopfen sich voll, während immer wieder Offenbachs Cancan gespielt wird und sie die feschen Tänzerinnen beglotzen. Sie können Cancan nicht ohne die Musik von einem Juden kriegen, also tun sie, als wüssten sie von nichts. Henri und ich haben eine Vorliebe für diese Art billiger Ironie, das ist wie eine Schwäche für zu süße, aber unwiderstehliche Bonbons.
Dann nahm er meine Hand und sah mir in die Augen, wie er es immer tut, und sagte, er hätte den Stern für mich getragen. Er sagte, dass er es nicht mehr ertragen kann, und wenn ich jetzt, wo sein Kopf kahlrasiert und er entstellt ist, nicht mit ihm schlafen will, dann kann er ebenso gut aufgeben und nach Deutschland gehen wie Albert, der zur Arbeit zwangsverpflichtet worden ist, aber er wird sich dann freiwillig melden und wenigstens etwas Geld verdienen.
»Du versuchst mich zu erpressen«, sagte ich.
»So weit ist es gekommen«, sagte er. »Sag mir, was ich tun soll, und ich tue es. Ich würde dich sogar heiraten, nur ist das leider verboten.«
»Wenn es erlaubt wäre, würdest du mir den Antrag nicht machen, Henri, aber davon abgesehen finde ich die Ehe ungefähr so attraktiv wie das Dasein einer Prostituierten, und ich lasse mir meine Gunst nicht gerne bezahlen.«
»Dein Hang zur Romantik und zur Sentimentalität macht mich noch wahnsinnig«, sagte er.
»Wie kannst du an Beischlaf denken?«, fragte ich ihn und benutzte absichtlich das vulgäre Wort. »Du kannst dich kaum aufsetzen, du schaffst nicht einmal, die Treppe hinunter auf die Straße zu gehen, und du bist wild darauf, mich zu deflorieren!«
»Das könnte ich noch, wenn mir die Beine amputiert wären. Gib mir eine Chance.« Er zerrte weiter an mir.
Mir wurde klar, was ich schon seit einiger Zeit weiß, dass ich entweder aufhören muss, mich mit Henri zu treffen, oder mit ihm ins Bett gehen muss. Ich habe ihn über ein Jahr lang hingehalten, aber er wird immer zudringlicher. Ich bin nicht in ihn (oder sonst jemand) verliebt, aber ich mag ihn. Ich fürchte, ich bin im Grunde eine kalte Person, was romantische Liebe und romantisierten Sex angeht. Ich halte beides für Selbsthypnose. Ich schaue zu, wie Frauen um mich herum sich in Lebewesen verlieben, die ebenso gut große verspielte oder kleine rauflustige Hunde sein könnten, und bin verblüfft, wie das Gehirn sich einfach abschaltet, wenn die Hormone durch den Körper gepumpt werden.
Marie Charlotte, die früher meine beste Freundin war und einmal irrtümlich für eine Jüdin gehalten wurde, weil sie immer mit mir herumlief, ist jetzt in einen deutschen Leutnant verliebt. Da er zu den herrschenden Eroberern gehört und Offizier ist, gestattet ihre Familie ihm, ihr den Hof zu machen. Sie sagen, das ist ehrenwert. Ich weiß das alles, weil Marie Charlotte immer noch auf mich wartet und mir Zeichen gibt, ihr an unsere alte Schwatzstelle im kleinen Park Georges Cain gleich bei unserem alten lycée zu folgen. Da sitzen wir dann zwischen den zerbrochenen Statuen oder unter dem alten Feigenbaum, wie wir es früher taten. Ich nehme mir immer wieder vor, sie links liegen zu lassen, aber wenn ich sie sehe, erinnere ich mich, wie nah wir uns waren, und kann nicht mit ihr brechen.
Ich schiebe vor mir her aufzuschreiben, was ich getan habe. Ich wand mich aus Henris ziemlich enger Umarmung, bemüht, ihm nicht wehzutun. Dann setzte ich mich von ihm weg auf einen Stuhl. Ich versuchte mir darüber klar zu werden, ob ich ihn verlassen und nie wiedersehen soll, aber ich mag Henri sehr, und ohne ihn und meine anderen Freunde müssten wir noch viel mehr hungern. Rivka ist so dünn, dass es mir Sorge macht. In ihrem Alter hat bei mir die Menstruation angefangen, und so war es auch bei Maman, aber bei Rivka hat sie noch nicht angefangen, und ihre Brüste sind so winzig wie Erdbeeren. Sie braucht das zusätzliche Essen, das ich nach Hause bringe. Was macht es schließlich schon? Wir können alle fortgeschafft werden in unbekannte Gefahren. Ich mag Henri mehr als jeden anderen Mann, den ich kennengelernt habe, also warum nicht er? Sonst werde ich mich immer fragen, wie das wohl ist, und es nie erfahren.
Ich saß also auf dem Stuhl und sagte geradeheraus: »Gut, Henri, hör zu. Ich werde mit dir schlafen. Aber nicht heute. Erhol dich erst von deiner Schlägerei.«
»Ich habe mich schon genug erholt, ich schwöre es, dafür habe ich mich genug erholt.«
»Aber ich schwöre, für mich wäre es kein Genuss, mit einem Mann zu schlafen, wenn ich jeden Augenblick Angst haben müsste, ihm mehr wehzutun als das Faschistengesindel. Willst du, dass ich es genieße, oder ist dir das egal?« Ein billiges Argument, aber eines, dessen Wirkung ich nicht bezweifelte.
Er versicherte mir, ihm läge nichts mehr am Herzen als mein Genuss, und er sei fest entschlossen, mich in einen Taumel der Lust zu versetzen, sobald ich mich in sein Bett begäbe. Ich erinnerte ihn daran, dass Albert erst am Monatsende zum Arbeitseinsatz eingezogen wird. Ich möchte ungern Albert zum Zeugen haben. Die Intimsphäre ist mir wichtig.
»Du willst mich nur abwimmeln.«
»Henri, habe ich dir je versprochen, mit dir zu schlafen?«
Er gab zu, dass ich das immer abgelehnt hatte.
»Jetzt verspreche ich es. Wenn Albert nach Deutschland abgereist ist. Bis dahin wirst du wieder heile Haut und Haare haben –«
»Du liebst mich nicht ohne Haare.«
»Im Moment siehst du aus wie eine Zwiebel. Aber dann werde ich tun, was du verlangst.«
»Das ist nicht mal mehr einen Monat hin.«
Ich wusste, ich hatte ihn überredet. Ich fand auch, ich hatte Gott eine Chance gegeben, mich zu retten, wenn er es will, und dem Schicksal, wenn es mir geneigt ist. Und so, mein Tagebuch, habe ich mein Versprechen gegeben. Nicht, dass ein simples, recht lästig platziertes Häutchen mir irgendetwas bedeutet. Es geht mir eher darum, dass ich für mein Empfinden eine gewisse Klarheit besitze, die mir bei den meisten Frauen nicht begegnet. Ständig tun oder lassen sie etwas oder glauben oder bezweifeln etwas oder kommen oder gehen, weil der Mann, an dem sie hängen geblieben sind, es so will. Wenn ich nun in Zukunft mit Henri schlafen muss, so will ich versuchen, gelassen zu bleiben und einen klaren Kopf zu bewahren und nie zu glauben, nur weil wir unsere Körper zusammentun, mache ihn das intelligenter, als er ist, oder zu einer Art Genie.
6 juillet 1942
Heute habe ich mein Versprechen eingelöst. Am Tag, als Albert abreiste und wir ihn zum Zug brachten, bekam ich meine Regel. Ich sehe das als den letzten Versuch meines Körpers, das Unvermeidliche abzuwenden. Heute hatte ich keine Ausrede mehr. Wie es schließlich auch Scheherazade ergangen sein muss, mir fiel nichts mehr ein, und mein Moment der Wahrheit kam, doch mein König Henri zeigte keine Gnade.
Ich war zu ängstlich, um viel zu spüren außer Unbehagen und etwas Schmerz, aber ich denke, ich werde mich an den Geschlechtsakt gewöhnen und ihn genießen lernen. Es wäre dumm von mir, es nicht zu tun, da ich genötigt bin, ihn zu vollziehen; ich kann mir ebenso gut einige Techniken und ein wenig Hingabe aneignen. Ich habe viele Fragen, die ich Henri stellen möchte, aber mir ist aufgefallen, dass intelligente Fragen oder auch nur der Wunsch, Beobachtungen während des Aktes zur Sprache zu bringen, ihn schrumpfen lassen, also werde ich warten, bis er sich mir gegenüber selbstsicherer fühlt.
Ich wollte besonders seinen Penis sorgfältig untersuchen, doch er wollte zwar, dass ich ihn in die Hand nahm, schien aber nicht angenehm berührt von meinem Wunsch, ihn als unbekannten Gegenstand zu erkunden. Ich denke, es wird die Zeit kommen, um auch diese Neugier zu befriedigen.
Ich empfand keine Verzückung, und der eigentliche Verkehr war eher schmerzhaft. Ich blute stark, als hätte meine Regel wieder eingesetzt, was genau das war, was ich Maman gesagt habe. Unsere Körper sind in dieser Zeit so sonderbar, bei der Ernährung oder vielmehr dem Mangel daran, dass uns keine ungewöhnlichen Wehwehchen oder Schmerzen oder Unregelmäßigkeiten überraschen.
Ich freue mich, dass ich in mir keine Veränderung meiner Gefühle für Henri ausmachen kann. Ich fühle mich nicht von Liebe heimgesucht wie von einem herabgestiegenen Engel, ich träume nachts nicht von ihm (ich habe neulich von Papa und ständig vom Essen geträumt, und gestern Nacht träumte ich, ich nähme ganz allein ein riesiges, heißes Schaumbad), und ich habe nicht mehr Verlangen danach, ihn zu sehen, als sonst auch. Ich bin so gern mit ihm zusammen wie vorher. Vielleicht erweisen sich meine schlimmsten Ängste als unbegründet.
Ich habe ihn gezwungen, ein Kondom zu benutzen, obwohl er protestierte, es reiche aus, wenn er sich zurückzöge, bevor er käme, und er sei darin geübt, diesen Zeitpunkt abzuschätzen. Ich erinnere mich an all die Geschichten in der Schule über Mädchen, die schwanger wurden, weil ihre Freunde einen Coitus interruptus praktizieren wollten, aber nicht schnell genug unterbrachen. Ich werde in diesem Punkt nicht mit mir reden lassen.
14 juillet 1942
Ich hatte gerade mit Maman den schlimmsten Streit meines Lebens. Henri hat mir seit letzter Woche alle möglichen Geschenke gegeben, sechs Eier, zwei Kilo Kartoffeln und eine ganze Einkaufstasche voll frischem Gemüse vom Bauernhof seines Onkels und schließlich ein Huhn. Ich dachte, Maman und Rivka würden sich riesig freuen. Das taten sie bestimmt auch, aber dann fing Maman gestern davon an, wieso uns plötzlich solche Großzügigkeit zuteil wird. Ich wehrte sie mit einem Witz ab und zog mich in meine Studien zurück.
Dann stand sie heute Morgen vor mir, die Hände in die Hüften gestemmt, und sagte: »Yakova, lüg mich nicht an. Schläfst du mit diesem Henri?«
»Mutter«, sagte ich, »erstens ist mein Name Jacqueline. Das ist mein gesetzlicher Name, das ist der Name, den ich benutze, und das ist der einzige Name, auf den ich höre. Mich Yakova zu nennen ist nur ein Trick, damit ich mir wie ein Kind vorkomme. Zweitens lüge ich dich nie an. Ich habe zu viel Achtung vor beiden von uns. Wenn du mich in der Vergangenheit gefragt hast, habe ich dir immer wahrheitsgemäß geantwortet. Es wäre mir lieber, du würdest mich zu diesem Thema nicht befragen, da das meine eigene, private Entscheidung ist.«
»Schläfst du mit ihm?«, wiederholte sie.
»Jawohl«, sagte ich.
Sie ohrfeigte mich und nannte mich eine Hure! Sie sagte, sie wolle solches Essen nicht, und ging so weit, Kartoffeln auf den Fußboden zu werfen. Sie sagte mir, ich hätte ab sofort Hausarrest und dürfe Henri und keinen dieser zwielichtigen Freunde je wiedersehen. Ich sagte, das sei völliger Unsinn und ich hätte eine Verabredung mit ihm, die ich auch einzuhalten gedächte. Er sei mein Freund, der wegen seiner Solidarität zu mir zusammengeschlagen worden sei, und wir könnten alle Freunde brauchen, die wir nur hätten. Ich sagte ihr nicht, dass Céleste und Henri und ich heute Exemplare einer neuen Untergrundzeitung abholen wollen, als Beitrag zu den ungesetzlichen Feiern zum Tag der Bastille.
Sie ohrfeigte mich wieder, mehrmals, und verlor, glaube ich, völlig die Beherrschung. Wir begannen beide, uns anzukreischen wie die Straßenhuren. Schließlich habe ich mich eine halbe Stunde lang ins Badezimmer eingeschlossen, bis ich meine Beherrschung wiedergefunden hatte, und die ganze Zeit über hämmerte sie an die Tür, so dass alle Nachbarn es gehört haben müssen. Dann habe ich ein paar Sachen in meinen alten Rucksack gepackt und bin in die Rue Royer Collard gekommen, wo ich ab jetzt bleibe.
Ich bin wütend auf sie. Sie hat überhaupt keinen Versuch unternommen, meinen Standpunkt zu verstehen, und so einen völligen Mangel an Achtung vor meinem Urteilsvermögen und meinem Charakter gezeigt. Ihre Schimpfkanonade war hässlich und gefühllos. Die simple Wahrheit ist, wenn ich nicht die Sorge um Rivka und Maman am Hals gehabt hätte, hätte ich mich wahrscheinlich nie mit Henri eingelassen. Dabei fällt mir ein, ich muss verhindern, dass Henri dieses Tagebuch liest, da ich ihn in solchen Dingen nicht für so gewissenhaft halte, wie ich es von Maman immer angenommen habe. Jetzt bin ich mir offen gestanden nicht mehr so sicher.
Ab morgen haben sich diese Ungeheuer übrigens etwas Neues ausgedacht, wie sie uns peinigen können. Es ist uns verboten, in Restaurants, Cafés, Bibliotheken und Museen zu gehen oder öffentliche Fernsprecher zu benutzen, und wir dürfen nur im letzten Wagen der Metro fahren. Viele Läden sind uns gänzlich untersagt, und wir dürfen nur zwischen vier und fünf einkaufen, wenn sowieso alles ausverkauft ist, und nur an bestimmten Tagen. Solange ich bei Henri bleibe, habe ich meinen gelben Stern abgelegt, da unser Zusammenleben natürlich verboten ist, und ich werde nicht eher nach Hause zurückkehren, als bis Maman sich für die rohen Schimpfwörter entschuldigt hat und dafür, wie sie mich geohrfeigt hat (mehrmals). Darin bleibe ich fest. Ich habe nichts Schändliches getan, und ich schäme mich nicht – außer dafür, wie sie mich behandelt!
Eine gute Lösung ist das nicht, denn wenn ich bei Henri bleibe, muss ich den gelben Stern entfernen, aber mein Ausweis – den wir zwanzigmal am Tag vorzeigen müssen – trägt in großen roten Buchstaben den Stempel JUIVE.
Ich habe mich etwas mehr daran gewöhnt, mit Henri zu schlafen. Er fragt mich immer, ob ich gekommen bin, und ich sage wahrheitsgemäß, dass ich das bezweifle, aber dass ich gar nicht weiß, was das für ein Gefühl ist. Ich fange jedoch an, das Vorspiel zu genießen. Küssen und Streicheln müssen nicht notwendig als sentimentaler Zeitvertreib angesehen werden, sondern haben aufgrund ihres sinnlichen Gehalts durchaus ihre Berechtigung, finde ich.
Mit Henri zusammenzuleben ist jedoch nicht sonderlich gemütlich. Mit Maman und Rivka habe ich meine gewohnten Regeln. Es ist einfacher, zu Hause für mein Studium zu lernen, und ich habe nur mitgenommen, was ich auf dem Rücken tragen konnte. Ich vermisse meine Bücher, meinen Sessel, meine café au lait-Tasse mit den Möwen drauf, die Papas copain Georges aus Dänemark mitgebracht hat. Henri hat keinerlei hausfrauliche Talente, und das WC auf dem Flur ist widerwärtig. Das Haus besteht aus winzigen Ein- und Zweizimmerwohnungen, wovon mehrere an Prostituierte vermietet sind, deren Kunden die ganze Nacht lang die Treppe hinunterpoltern. Ich werde Maman ein oder zwei Tage geben, um sich abzuregen, und dann werde ich erscheinen, wieder ganz die Alte, und sehen, ob wir Frieden schließen können.