Kitabı oku: «Menschen im Krieg – Gone to Soldiers», sayfa 17

Yazı tipi:

Die Szene verfolgt mich mit ihrer Eruption von Unvernunft, der in uns beiden entfesselten Gewalt – wie sie mich schlägt und die Kartoffeln hinwirft – und der Heftigkeit unserer Gefühle. Ich weiß nicht, warum ich nicht so ruhig bleiben konnte, wie ich es mir vorgenommen hatte, aber je mehr sie außer sich geriet, desto mehr wiederum geriet ich außer mich vor Zorn, ein böser Kreislauf. Jedes Mal, wenn ich an diese hässliche Szene denke, bin ich entsetzt, wie wir uns benommen haben, wie wir unsere Würde verloren haben und wie wir aneinander vorbeigeredet haben. Ich bin entschlossen, wieder in Frieden mit ihr zu leben, aber zu vernünftigen Bedingungen.

16 juillet 1942

Ich kann fast nicht schreiben. Ich habe so lange geweint, dass meine Augen geschwollen sind und brennen und meine Nebenhöhlen völlig verstopft sind.

Maman und Rivka sind von der Polizei in einem Bus abgeholt worden – nicht allein, sondern mit abertausend anderen. Die Polizei hat gestern fünf Arrondissements abgeriegelt und macht heute weiter, die französische Polizei – annähernd tausend Polizisten, soweit ich erfahren konnte – hat zahllose Juden verhaftet, Männer, Frauen, Kinder, alte Leute, kleine Babys, schwangere Frauen, einfach alle. Die Polizei zwang die Menschen mitzukommen, nur mit dem, was sie gerade tragen konnten, und verlud sie in alte grüne Busse. Eine Zeitung schreibt, zehntausend Juden wurden verhaftet, eine andere Zeitung schreibt achtzehntausend, wieder eine andere schreibt achtundzwanzigtausend. Aber alle Zeitungen finden es eine wunderbare Idee und sind voll des Lobes, dass das Neue Europa von solchen Läusen wie uns befreit wird.

Mir ist übel, und ich fühle mich zu elend, um noch etwas zu schreiben.

18 juillet 1942

Ich habe all meine Kraft darauf verwandt herauszufinden, wo Maman und Rivka festgehalten werden und was mit ihnen geschehen wird. Mir will nicht in den Kopf, wie sie Rivka etwas anhaben können, schließlich ist sie hier geboren, eine französische Jüdin von Geburt an. Und Maman ist vor zwanzig Jahren naturalisiert worden. Es erweist sich als sehr gefährlich, nach Maman und Rivka zu forschen, denn natürlich steht auch mein Name auf der Liste, die sie benutzen, um Leute abzuholen, und ich bin nur durch den Streit entkommen. Wäre ich doch bloß bei ihnen, dann könnte ich meinen kühlen Kopf einsetzen und mir die beste Strategie überlegen.

Es ist unglaublich heiß diese Woche, la canicule. Paris ist nicht geschaffen für derartige Sommerhitze. Henris Zimmer ist einfach zu heiß, um darin zu schlafen. Wir sind sehr früh aufgestanden und hinausgegangen, hinunter an den Fluss, wo es ein bisschen kühler ist. Es ist nicht ungefährlich, auf der Straße zu sein, wenn so wenige unterwegs sind. Henri hat begonnen, seine Schwarzmarktbeziehungen anzuzapfen, um mir einen neuen Ausweis zu besorgen – einen arischen, wie es jetzt heißt.

Aber neue Ausweise kosten sehr viel, und ich habe überhaupt kein Geld. Ich entdecke, dass ich äußerst ungern von Henri abhängig bin, und Henri ist ebenfalls überrascht davon, wie schnell sich die Situation zugespitzt hat. Ich habe das Gefühl, er möchte nicht, dass ich bei ihm wohne, obwohl er nichts gesagt hat. Anfangs fand er es toll, aber jetzt beginnen ihm die Folgen der Situation aufzugehen. Nun hat er mich am Hals, eine Jüdin, die sich verstecken muss, keinerlei Einkünfte hat, von der Universität geflogen ist und ständig weint.

19 juillet 1942

Ich habe herausbekommen, wo Maman und Rivka eingesperrt sind. Sie haben alle mit Kindern ins Vel d’Hiv gebracht, eine glasüberdachte Rennbahn mit großen Tribünen, wo im Winter Fahrradrennen stattfinden. Ich habe erfahren, dass tausende dort festgehalten werden. Vielleicht überprüfen sie ja bei allen die Ausweise. Rivka ist hier geboren, und Maman wurde mit achtzehn naturalisiert und hat obendrein einen hier geborenen französischen Juden geheiratet. Ich rechne damit, dass sie auf freien Fuß gesetzt werden, aber bisher scheint noch niemand entlassen worden zu sein. Ich kann nicht in Erfahrung bringen, weswegen sie festgehalten werden.

20 juillet 1942

Ich bin zufällig Daniela begegnet, sie ist auch entkommen. Sie sagte, sie sei durch das Netz gewarnt worden, unmittelbar bevor es passierte, so dass sie und ihre Eltern um drei Uhr früh mit nichts aus der Wohnung flohen. Sie sind gerade noch durchgeschlüpft, bevor der Polizeikordon sich geschlossen hat. Sie sagt, mit guten Papieren könnte ich durchkommen und sie wüsste, wo welche zu kriegen sind. Aber dafür brauche ich unbedingt Geld. Sobald ich nicht-jüdische Ausweispapiere habe, kann sie mir Arbeit in einem Krankenhaus besorgen, schlecht bezahlt, aber genug für den Lebensunterhalt. Ich muss mir das Geld für die Papiere besorgen, und zwar schnell.

Ich ging nach Hause und bat Henri, seinem Vater zu sagen, er habe ein junges Mädchen geschwängert und brauche Geld für eine Abtreibung. Denn ich denke, sein Vater wird es ihm geben, zusammen mit einer Moralpredigt, von der beide kein Wort glauben werden. Henri bekam es mit der Angst, war aber einverstanden. Das wächst ihm alles über den Kopf. Er wollte nicht einmal mit mir schlafen. Nach meiner Einschätzung ist das keine stabile Situation.

Daniela ist meiner Meinung, dass wir herausbekommen müssen, was mit unserem Volk im Vel d’Hiv geschieht. Wir haben unsere Privatuni in aller Form aufgelöst. Wir glauben beide, sichtbare jüdische Organisationen ins Leben zu rufen bedeutet nur, sich in Reih und Glied zum Abschuss aufzustellen. Daniela sagt, dass wir Widerstand leisten müssen, aber bis jetzt hat sie noch nicht gesagt, wie. In meinen Augen ist das nichts als heiße Luft, als sagte ein machtloses, zorniges Kind zu jemandem, der ihm wehgetan hat: Dich kriege ich. Dir werd ich’s zeigen.

21 juillet 1942

Das wenige, was ich in Erfahrung bringen konnte, ist erschreckend. Man erzählt sich, dass mindestens einhundertdreißig Tote dort hinausgetragen worden sind, darunter zwei schwangere Frauen, die offenbar in den Wehen gestorben sind. Wir hören, dass dort mindestens fünfzehntausend Menschen, darunter fünftausend Kinder, ohne Wasser oder Nahrung eingesperrt sind. Ich kann das nicht glauben, ich kann nicht glauben, dass die französische Polizei meiner Mutter und meiner Schwester das antut, und doch muss ich es glauben. Ich kann nicht essen oder schlafen. Ich halte Nachtwache.

Henri wird heute mit seinem Vater reden. In diesem Moment ist es mir gleichgültig, ob ich lebe oder sterbe. Hätte ich doch nur nicht Henri nachgegeben, hätte ich mich doch nur nicht mit Maman gestritten und wäre jetzt bei ihr! Ich fühle mich so schuldig wie die Nazis, ich fühle mich, als hätte irgendwie ich Maman das angetan. Ich habe nur noch den Wunsch, ein großer Lastwagen würde mich auf der Straße überfahren.

Maman hat recht. Ich bin nichts als eine Hure, die für ein paar Kartoffeln und Eier fickt, und für ein paar freundliche Worte inmitten einer Stadt, die vor Hass überkocht. Von all den Menschen, die auf den Straßen waren und sahen, wie ganze Familien von der Polizei weggeschleppt wurden, versuchte niemand zu helfen, versuchte niemand, die Polizei aufzuhalten. Ich habe gehört, dass einige Nachbarn die Polizisten angefeuert haben, darunter auch die Laroques, deren Hund wir immer gefüttert haben, wenn sie verreist waren.

Sechs Tage ohne Wasser und ohne einen Bissen zu essen, wie können sie das überleben? Maman ist stark, aber sie ist neununddreißig und auch nur aus Fleisch und Blut. Rivka ist zäh, aber noch ein Kind und jetzt schon unterernährt.

Wenn ich ihnen mein Blut zu trinken geben könnte, ich würde es ohne ein Wort tun.

Abra 3
Welch geräumige Kammer

Wollen wir einen Spaziergang machen?«, sagte Oscar Kahan, als wäre das ein ganz normaler Vorschlag. »Es ist so ein schöner Tag. Sozusagen«, setzte er lächelnd hinzu, denn es war heiß und feucht, die Sorte Tag, die Abra voll Heimweh an die Sommer in Maine denken ließ. In der Hitze von New York zu bleiben mutete manchmal wie Masochismus an.

Sie folgte ihm und sah sich selbst als Figur in einem Comicstrip, eine Daisy Mae mit einem riesigen Fragezeichen, das in einer Blase über ihrem Kopf schwebte. Noch nie hatte Oscar Kahan sie zu einem Spaziergang aufgefordert. Sie hatte sich in letzter Zeit bei erotischen Träumereien über ihn ertappt und mit dem Gedanken gespielt, von ihrem Grundsatz abzugehen, sich niemals mit jemandem von der Arbeit sexuell einzulassen. Schließlich beruhte dieser Grundsatz nur auf Vorsicht und nicht auf Moral. Aber was hatte es für einen Sinn, ihren eigenen Kodex umzuwerfen, wenn Oscar Kahan sie lediglich mit der gleichen unerschöpflichen, ja nahezu allumfassenden Wärme behandelte, mit der er alle seine Studenten bedachte? Sie merkte, dass sie sich neuerdings angewöhnt hatte, Posen einzunehmen, die die Rundung ihrer Waden betonen sollten, ihr Profil, ihren Busen, aber wenn Oscar Kahan es wahrnahm, so ließ er seinen Beobachtungen keine Taten folgen. Bis jetzt.

Sie verließen sein Büro und wandten sich nach Westen, zum Fluss. Während sie dahinschlenderten, erkundigte er sich nach den letzten Befragungen und gab Kommentare zu anderen ab. Wieder einmal beeindruckte sie, wie er beides erfasste, die großen Muster und die kleinen Einzelheiten. Vielleicht wollte er einfach an die frische Luft, obwohl sie bezweifelte, dass näher als Connecticut welche zu haben war. Vielleicht machte ihn das warme Wetter ruhelos. Vielleicht hatte seine Kindheit in Pittsburgh ihn an den Smog gewöhnt, und er fand die stinkende Luft von Manhattan im Sommer tatsächlich erfrischend.

Im Riverside Park nahm er eine Bank, die etwas abseits stand, mit Blick auf den Fluss und ein Paar, das sich im Gras umarmte. Er schaute sich um und nahm die Szenerie in sich auf, dann musterte er sie mit durchdringendem, prüfendem Blick. »Ich werde im Herbst nicht unterrichten.«

Und meine Stelle ist futsch, dachte sie. »Wo gehen Sie hin, wenn ich fragen darf?«

»Haben Sie je in Betracht gezogen, sich stärker an den Kriegsanstrengungen zu beteiligen?«

Ich wette, er hat es geschafft, einberufen zu werden. »Ich dachte an die WAVES, an die Reservemarinehelferinnen – die Marine ist die Militärgattung meiner Familie –, aber ich sehe mich nicht salutierend herummarschieren. Ich bin zu verwöhnt für militärische Disziplin.«

»Dennoch führen Sie Befehle aus.«

»Das ist nicht das Gleiche, das wissen Sie.«

Er starrte gebannt auf einen Schlepper, der ein ungefüges graues Frachtschiff flussaufwärts bugsierte. »Ich habe vor, Sie anzuwerben. Aber nicht für die WAVES.«

Sie sah ihn scharf an. Er lächelte. »Sehen Sie nicht so schockiert drein. Das steht Ihnen nicht. Sie wissen sehr gut, dass Sie mit Geheimdienstarbeit befasst sind. Das haben Sie sich längst zusammengereimt. Jetzt trete ich offiziell OSS bei – dem Amt für Strategische Dienste. Und ich würde Sie gern mitnehmen.«

Endlich war es auf dem Tisch. »Was ist OSS?«

»Ein bisschen von allem. Propaganda, Geheimdienst, Spionage. Ich kenne hauptsächlich Leute von der Abteilung Recherche & Analyse.«

»Wo würden wir hingehen?«

»Für den Augenblick nirgendwohin außer in ein anderes Büro. Später, wer weiß? Ich möchte nicht über Einzelheiten sprechen, bevor Sie sich nicht entschieden haben. Ich werde ein kleines Projekt leiten, und ich habe carte blanche, so viele von meinen Mitarbeitern mitzubringen, wie ich will.«

»Aber klar!«, sagte Abra. »Klar mache ich es.«

»Sie wissen doch gar nicht, worauf Sie sich einlassen.«

»Ach, es wird sicher interessant. Ich habe Vertrauen zu Ihnen.«

»Sind Sie nun eigentlich mit Ihrer Doktorprüfung fertig?«

»Nicht ganz. Ich habe alle Seminare abgeschlossen und meine mündliche Prüfung bestanden, aber meine Dissertation schreibe ich immer noch gemäß Professor Blumenthals kritischen Einwänden um.«

»Sie werden das auf Kriegsdauer zurückstellen müssen.«

»Ich bin sowieso nicht begeistert, sie zum vierten Mal umzuschreiben. Spielt es eine Rolle, dass ich meinen Doktortitel nicht habe?«

»Das bezweifle ich.« Er stand auf. »Das Missliche ist, dass ich Ihnen so wenig sagen kann, bevor ich Sie dort vorstelle, und doch müssen Sie sich zuvor entscheiden. Ich hoffe, Sie machen sich keine romantischen Vorstellungen.«

Hatte er sie im Verdacht, für ihn zu schwärmen? Vielleicht war ihre Beinschau doch ein wenig zu durchsichtig gewesen. »In welcher Hinsicht?«

»Das ist keine Angelegenheit von Mantel-und-Degen-Intrigen, feschen Spionen und schneidigen Helden, sondern nichts als akademische Analyse. Wir werden versuchen, Sinn in die ungeheuren Informationsmengen zu bringen, und die Arbeit wird oft eher statistisch als stimulierend sein.«

»Ich verlasse mich auf Ihr Urteil, dass sie wichtig ist. Ich denke, Sie haben Ihre politischen Prioritäten klar gesetzt, und ich hoffe, ich auch.«

»Wir müssen einen kleinen Ausflug zu einem Büro im Rockefeller Plaza machen, der Sie ansonsten nicht weiter zu kümmern braucht. Ihre Dienstverpflichtung, die Prozedur in Gang bringen.« Er bot ihr mit seltener Ritterlichkeit den Arm, um ihr von der Bank aufzuhelfen. »Es wurde Zeit, dass man mich stärker einbindet. Die langwierigen Eintrittsformalitäten haben mich verrückt gemacht«, sagte er mit einem Aufblitzen unterdrückten Zorns. »Jetzt legen wir los.«

Im Juli erschien Ready nach monatelanger Abwesenheit. Er war gerade zum Korvettenkapitän befördert worden und erwartete, einem Flugzeugträger zugeteilt zu werden. Am nächsten Morgen sollte er mit dem Zug nach Hause fahren.

Ihr Lieblingsbruder sah älter aus, dachte sie, seine Haut ledrig und zerfurcht, Netze neuer Falten um die dunkelblauen Augen, sein Haar noch blonder als das ihre. Er war guter, übermütiger Stimmung. Als sie verschiedene Freundinnen vorschlug, wollte er sie alle. Nach italienischem Essen, auf das Ready immer versessen war, in einem nahe gelegenen Lokal im Village, das Abra bevorzugte, weil dort auch vor dem Krieg nie Bilder von Mussolini gehangen hatten, trafen sie sich mit Djika, Karen Sue und Karen Sues neuer Mitbewohnerin Eveline, einer Kusine zweiten Grades mütterlicherseits aus Beaufort, North Carolina, die mit einem auf einem Begleitzerstörer stationierten Fähnrich zur See verheiratet war. Karen Sue betrachtete das Teilen ihrer Wohnung als ihr äußerstes Opfer für die Kriegsanstrengungen.

Nachdem sie sich durch ein paar Bars im Village getrunken hatten, fuhren sie hinauf zum Onyx Club und dann zum Famous Door, lauschten dem Swing und tanzten bis zwei Uhr morgens. »Sweet Georgia Brown«, sang Abra und tanzte Lindy mit ihrem Bruder. Als sie Karen Sue und Ready in dem rauchigen, schummrigen Raum auf dem überfüllten Tanzboden zu »That Old Black Magic« Wange an Wange tanzen sah, stellte sie sich plötzlich vor, wie es sich anfühlte, in jemanden verliebt zu sein und ihn in den Krieg zu verabschieden. Sich zu verlieben war etwas, das anderen Frauen passierte, niemals ihr selbst, und während sie ihre Fähigkeit, Männer zu genießen, bisher darauf zurückgeführt hatte, dass sie nicht von ihnen individuell besessen war, fragte sie sich nun, ob sie unfähig dazu war und stets vermeiden würde, was andere so leidenschaftlich zu suchen schienen.

Eveline tanzte mit einem Leutnant, den Ready an ihren Tisch gebeten hatte. Karen Sue und Ready legten einen geschmeidigen, koketten Lindy hin. »In the Mood« war laut, die Blechbläser waren aufgestanden, um ihre Hymne zu schmettern, doch Djikas leise, schneidende Stimme neben ihr drang deutlich an ihr Ohr.

»Wenn man dich mit diesem Bruder sieht, versteht man allmählich, worauf sich deine Abneigung gegen Männer deines Aussehens und deiner Herkunft gründet.«

»Aber Ready ist mein Lieblingsbruder. Wir haben uns immer nahe gestanden.«

»Eben.« Djika nickte, als hätte sie gesagt: matt in zwei Zügen. »Ihr seht euch sogar ungewöhnlich ähnlich. Als Jugendliche fandest du ihn natürlich attraktiv, deshalb suchst du dir aus Furcht vor dem lauernden Inzest Männer aus, die auf gar keinen Fall zu deiner Familie gehören könnten.«

»Ah, die zweifelhaften Freuden von Freud«, witzelte Abra. »Beweise, dass du mit vier in deinen Vater verliebt warst, und was bringt dir das? Immer noch das gleiche Bündel gegenwärtiger Probleme. Ich hoffe sehr, dass ich den guten Geschmack hatte, Ready zu begehren und nicht meinen schauderhaft langweiligen Bruder Roger oder Vater.«

Djika belehrte sie zum dreißigsten Mal, Freud zu missachten sei naiv, doch Abra war überzeugt, dass ihr Männergeschmack sich weit mehr aus Neugier speiste, aus Leidenschaft, aus Lebenslust, aus Erfahrungshunger denn aus dem Inzesttabu, das Djika postulierte. Zurzeit waren derlei Überlegungen ohnehin reine Theorie, da sie für mehr als eine gelegentliche Nacht mit einem alten Verehrer zu viel zu tun hatte und ihre Neugier auf Oscar Kahan nach wie vor ungesättigt blieb.

Bei diesem Tanz war ein Funke übergesprungen, denn als Ready zum Tisch zurückkam, murmelte er Abra zu, dass er den Rest der Nacht mit Karen Sue verbringen würde. Am nächsten Tag erzählte er ihr, Karen Sue habe darauf bestanden, dass er so tat, als schliefe er auf dem Sofa, bis Eveline ins Bett gegangen war. Er hielt das für die Südstaatenart, erklärte Karen Sue ansonsten aber zu einem Rasseweib. Dann setzte Abra ihn in den Zug nach Maine.

An jenem Mittwoch saßen Djika, Karen Sue, Eveline und Abra zusammen und teilten sich ein von Karen Sues Haushälterin zubereitetes Hühnerfrikassee, eine Bowle und eine Honigmelone. Sie hatten die Schuhe ausgezogen, die Fenster ganz hochgeschoben und zwei Ventilatoren angestellt. Stanley Beaupere war mit Frau und Kindern an den Strand von Jersey in Urlaub gefahren und ließ Djika in der Stadt schmoren.

Die Sonne ging über New Jersey unter, und die grauen Schiffe versammelten sich auf dem Fluss. »Jeden Abend kommen sie hier zusammen«, sagte Karen Sue träumerisch. »Am Morgen sind sie alle fort. Das ist doch bestimmt irgendein Sinnbild, Schiffe, die in der Nacht verschwinden.«

»Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie verheerend es draußen auf Kap Hatteras aussieht«, sagte Eveline und schüttelte ihre Locken. »Der Strand ist übersät mit Wrackteilen und ölverschmierten Leichen.«

»Ich habe gehört, Blumenthal hat dir ab Herbst eine Assistentenstelle angeboten, und du hast sie abgelehnt, Abra.« Djika maß sie mit strengem Blick. »Was ist denn mit dir los? Wenn wir nicht Krieg hätten, müsstest du vierzig Jahre auf solch eine Chance warten.«

»Ich habe eine Ganztagsstellung bei einem Informationsdienst der Regierung.«

»Was machst du da?«

»Ach, Nachforschungen anstellen und Broschüren schreiben.«

»Was für Broschüren?«, fragte Djika.

Abra holte aus ihrer Schultertasche eine Broschüre mit dem Titel Kartoffeln fürs Vaterland. Sie reichte sie Djika und wusste nur zu gut, was ihre Freundin lesen würde:

Durch den Verzehr von Kartoffeln anstelle von Weizen können die Bürger der Vereinigten Staaten den Krieg gewinnen helfen. Wir haben nicht genug Weizen für unsere Verbündeten und uns selbst. Kartoffeln dagegen haben wir in Hülle und Fülle. Weizenmehl ist ein konzentriertes Nahrungsmittel und daher zur Verschiffung geeignet; Kartoffeln sind sperrig und demgemäß ungeeignet für die begrenzten Frachtkapazitäten …

Der Einleitung folgten seitenweise einfache Rezepte. Nach gekochten, gedämpften, geschnetzelten, gestampften, gebackenen, gefüllten Kartoffeln, Kartoffeln in Puffern oder Knödeln oder Aufläufen oder Salaten oder Kabeljauklößchen kamen die verzweifelteren Angebote: Kartoffelbrot mit gemahlenen Erdnüssen und eingeweckten Tomaten. Quetschkartoffeln als Ersatz für aufgeweichte Semmeln in falschem Hasen aus Kochfisch oder Hackfleisch. Fischkartoffelbraten. Fischhaschee mit kaltem Kartoffelpüree. Kartoffelnudeln. Kartoffeln im Schlafrock. Kartoffelwecken. Kartoffelplätzchen. Kartoffelkrapfen. Und dann das Finale: Kartoffeltorte.

Abras Erfahrung war, dass keine Neugier auf ihre neue Stellung überlebte, wenn sie der Kartoffelbroschüre ausgesetzt wurde. Schmunzelnd hatte Oscar einen Vermerk über ihre Pfiffigkeit weitergeleitet. Alle Frauen prüften nacheinander die Broschüre und sahen sie dann mit einer Mischung aus Mitleid und Bestürzung an. Das Thema wurde augenblicklich gewechselt.

Abgesehen von Djika, die immer noch in zerfleischter Treue im Schatten von Stanley Beauperes offenbar solide gebauter Ehe verweilte, entbehrten sie alle die Gesellschaft von Männern. Ihre männlichen Kollegen verschwanden nach und nach vom Campus. An der Columbia verwandelte sich das Gelände zwischen den Gebäuden und unter den Bäumen, das immer gesellschaftlicher Treffpunkt gewesen war, in Exerzierplätze für Marinekadetten, die unter militärischer Disziplin standen und viel zu jung für sie waren. Das normale Muster ihres gesellschaftlichen Lebens sah jetzt so aus, dass sie die meisten Abende, die nicht von Arbeit oder freiwilligen Diensten in Anspruch genommen waren, mit ihren Freundinnen verbrachten. Wenn dann ein früherer Freund oder Bekannter Urlaub bekam, ließen die Frauen alles fallen, blieben bis zum Morgengrauen aus und holten sich ihren Schlaf nach dem hektischen Wochenende.

»Abra, komm mal ein Minütchen her«, bat Karen Sue. »Ich habe etwas, da möchte ich mal sehen, ob es dir passt, Kind.«

Was Karen Sue ihr anpassen wollte, war das Versprechen, Ready nichts davon zu sagen, dass sie schon einmal verheiratet war. »Schließlich war es gar keine richtige Ehe. Ich meine, es ist fast nichts passiert, und eine annullierte Ehe ist eine, die eigentlich gar nicht stattgefunden hat.«

Abra stöhnte. »Aber, Karen Sue, Ready denkt doch nicht, dass du Jungfrau warst, oder?«

»Was er in der Hinsicht denkt, braucht uns im Moment nicht zu beschäftigen, Abra, und so wahr du meine Freundin bist, möchte ich nicht, dass du über Dinge aus meinem vergangenen Leben sprichst, über die du sowieso nicht die ganze Wahrheit weißt, und deswegen schafft solches Gerede nur Verdruss. Ein loser Mund setzt Schiffe auf Grund.«

Abra ging grantig nach Hause. Sie wurde nicht gern vor die Wahl gestellt, Ready eine Wahrheit zu verschweigen, die ihn interessieren mochte oder auch nicht, oder aber Karen Sue zu verärgern, die sie wirklich mochte. Verflixte Karen Sue, hatte sie vielleicht die Absicht, Abras Schwägerin zu werden? Sie konnte sich das Bild nicht recht vorstellen, aber vielleicht konnte es Karen Sue, in einem goldenen Rahmen.

Wenn sie ihren Freundinnen genau erzählt hätte, was sie tat, hätte ihnen das ebenso sehr Rätsel aufgegeben, wie die Kartoffelbroschüre sie langweilte. Im Moment schienen Oscar und sie im Altkleiderhandel tätig zu sein. Nach wie vor sammelten sie mündliche Geschichten von neu angekommenen Emigranten, insbesondere von solchen, deren vormalige Adressen oder Geburtsorte von militärischer oder industrieller Bedeutung waren. Außerdem sammelten sie Armbanduhren, Füllfederhalter, Rasierapparate, Brieftaschen, Koffer, Unterwäsche, Mäntel, Hemden. Sie bezahlten für alles und hatten eine entfernt plausible Erklärung: Sie ermittelten den Zustand der deutschen Wirtschaft, und die Verarbeitung und die Metalle einer Uhr oder die Stoffqualität eines Anzugs konnten nützliche Informationen liefern. Alles wurde in ein Lagerhaus in Washington verfrachtet, wo dieses zusammengeraffte Material Agenten ausstattete, die hinter den feindlichen Linien abgesetzt werden sollten.

Die Informationen, die sie sammelten, die Erinnerungen, gingen ebenfalls nach Washington. Der Agent, der vor ihnen diese Sammlung von Informationen und Flohmarktfutter durchgeführt hatte, war nach London versetzt worden, wo er wahrscheinlich an etwas arbeitete, das mehr nach Oscars Geschmack war. So nahm nun Oscar jede Woche den Zug nach Washington, nicht nur, um die verknautschten Beutestücke der Woche auszuliefern, sondern auch, um sich in die eigentliche Recherche- und Analyse-Arbeit hineinzutricksen und hineinzuintrigieren. Die R & A-Abteilung von OSS in Washington, knurrte Oscar, wimmele von brillanten Köpfen. Sie mussten es schaffen, nach Washington abkommandiert zu werden.

Oscar verzehrte sich vor unterdrücktem Groll. Sie arbeiteten bis spät in die Nacht, versuchten, ihr Bestes zu geben, an sechs, oft sieben Tagen in der Woche, doch Oscar trat auf der Stelle. Er hatte die Columbia nicht verlassen, um alte Kleider zu sammeln, und er gab akademischen Rivalitäten die Schuld an dem, was er als sinnlose Vergeudung seiner Talente sah. Mit wachsender Frustration geschah es, dass er sie bat, ihn Oscar zu nennen, und in der Tat begann er, sich vertraulich bei ihr zu beklagen wie bei einer Ehefrau oder Geliebten. Abra, die die Berichte der Flüchtlinge immer noch faszinierend fand, litt weniger an Ungeduld. New York war ihr Zuhause, genau wie Oscars. Obwohl sie sich mit einem möglichen Umzug nach Washington abgefunden hatte, brannte sie nicht darauf, dorthin zu kommen.

Sie beobachtete amüsiert, wie sich unter dem Druck, den er erzeugte, die Förmlichkeit zwischen ihnen nach und nach abschliff. Sie war Abra, er war Oscar. Mittags aßen sie zusammen im Deli unten auf der Madison Avenue, oder sie ging ein paar Sandwiches holen. An dem Tag, an dem Oscar einen Kommunisten befragte, der bei der Handelsmarine gewesen war und daher voller Einzelheiten über den deutschen Schiffsbestand steckte, so dass ein ganzes Dossier über ihn zu OSS nach Washington gehen konnte, an dem Tag führte er sie in ein spanisches Restaurant in der Vierzehnten Straße zum Essen aus. Dort schien der Kellner ihn zu kennen, und der Geschäftsführer kam und brachte eine Platte mit kleinen Leckereien als Geschenk des Hauses, die sie zu ihrem Amontillado knabberten.

Von dem Essen und dem Wein blühte Oscar auf. Nicht, dass er auch nur im Leisesten beschwipst wurde, er entspannte sich einfach, und Entspannen hieß bei ihm, sie mit Beschlag zu belegen, zu bezaubern, sich für Privates zu öffnen, wie er es in den neun Monaten ihrer Arbeitsbeziehung bisher vermieden hatte.

»Wir waren vier«, sagte er. »Ich bin der Älteste. Als Nächster kam mein Bruder Ben, er ist immer noch in Pittsburgh und hat eine chemische Reinigung. Dann die beiden Mädchen, Bessie, die mit einem Zahnarzt verheiratet ist und so dick wie wir beide zusammen, eine wundervolle, warmherzige Mutter von fünf Kindern. Dann meine jüngste Schwester Gloria.« Er schaute finster auf seinen Teller mit Meeresfrüchten.

»Was macht sie?«

»Wenn ich das wüsste. Sie ist in Paris.«

»Immer noch? Warum ist sie nicht weggegangen, bevor der Krieg ausbrach?«

»Der Krieg hat dort zwei Jahre früher als hier angefangen, müssen Sie bedenken. Sie hat einen Franzosen aus dem niederen Adel geheiratet, und sie ist Modejournalistin. Ihr Metier, das sind die neuesten Kreationen der französischen Couturiers. Ich glaube, sie kam gar nicht auf den Gedanken, dass der Krieg Auswirkungen auf ihr Leben haben könnte. Und ich weiß nicht, ob er es tatsächlich hat.« Er rieb sich die Nase, als müsste er sie blankpolieren, und runzelte leicht die Stirn.

»Hat sie Kinder?«

»Nein, vereinbarungsgemäß nicht. Er ist ein ganzes Stück älter und hat Kinder aus einer früheren Ehe, die erbberechtigt sind.«

»Wenn er reich und adelig ist, muss er doch in der Lage sein, sie zu schützen, meinen Sie nicht?«

»Das hoffe ich. Es ist hart, nichts zu hören. Wir haben immer alle miteinander in Verbindung gestanden. Ich werde im September für die Hohen Feiertage nach Pittsburgh fahren, zu meiner Mutter. Gloria ist immer alle zwei Jahre herübergekommen, und ich habe sie in Paris besucht.« Er neigte den Kopf und schenkte von dem herben Rotwein nach. »Wie ist Ihre Familie? Stehen Sie sich nahe?«

Im Laufe der Mahlzeit bekam sie das Gefühl, dass Oscar schon andere Frauen hierher gebracht hatte und dass ein Teil des persönlicheren Tons dieses Abends nicht Berechnung oder Absicht von seiner Seite war, sondern einfach die Beibehaltung eines bereits bestehenden und angenehmen Musters. Sie musste innerlich schmunzeln. Genau wie sie war er es wahrscheinlich gewohnt, am Tisch irgendwelchen Liebsten gegenüberzusitzen, so dass beide die gewohnte Innigkeit auch an diesen Tisch mitbrachten. Dennoch wurde ihr die Zeit nicht lang wie so oft, wenn Männer über sich selbst redeten, denn ihre Neugier war von den Monaten unpersönlicher, aber tatkräftiger Zusammenarbeit gewetzt worden.

Sie erzählte ihm gerne von Ready, von Roger, von ihrem Hintergrund, der für ihn so exotisch war wie der seine für sie. Er kam aus einer Familie, die offenbar mit wenig Geld hatte auskommen müssen, in der aber seine Ausbildung an erster Stelle gestanden hatte. Vielleicht waren die mittleren Kinder ein wenig geopfert worden, oder vielleicht hatte ihnen einfach seine Begabung oder sein Ehrgeiz gefehlt. Dann, bei Gloria, waren die Zeiten einfacher gewesen und die anderen untergebracht, so dass alles nur Mögliche für sie erübrigt wurde und sie, die Schönheit, sich aufmachte, um die Welt zu erobern.

Doch die Verbindung aller untereinander, Zahnarztfrau, Reinigungsbesitzer, Akademiker und Dame von Welt, schien zu halten, unter lebhafter gegenseitiger Anteilnahme. Sie fing aus dieser Familie den würzigen Duft heftiger Gefühle auf, von verwickelten Hasslieben und Gebrüll und tränenreichen nächtlichen Telefonaten. Dennoch schien sich Oscar seiner Rangstellung ganz sicher zu sein, der Älteste, der Liebste, der ferne Mittelpunkt. Seine Mutter lebte noch und spielte eine Rolle in seinem Leben. Sein Vater war vor drei Jahren an einem Herzanfall gestorben. Seine Mutter, die offenbar die Familienschönheit besaß, erwog, wieder zu heiraten, und alle Geschwister bis auf die abgeschnittene Gloria intrigierten leidenschaftlich, um die Heirat mit einem Witwer zu fördern oder zu verhindern.

Er sprach gerade von seiner geschiedenen Frau, aber anders, als es Männer gewöhnlich taten. »Louise ist sehr stark, sehr intelligent, sehr begabt. Man sollte sie nicht nach diesen abstrusen Geschichten beurteilen, die sie am laufenden Band produziert. Sie hat einen blitzgescheiten Kopf und keinerlei Hemmungen, ihn zu benutzen. Sie ist sehr politisch und denkt sehr progressiv.«