Kitabı oku: «Anele - Der Winter ist kalt in Afrika», sayfa 6

Yazı tipi:

„Mit diesen Dingen kann man sich abfinden, wie es die meisten Menschen tun, oder man kann irgendwann die Entscheidung treffen, dass man das in seiner Macht stehende in Bewegung setzt, um an diesen Zuständen etwas zu ändern. Hier in dieser Organisation habe ich zum ersten Mal Menschen getroffen, die dasselbe Problem hatten wie ich und denen es auch nicht mehr möglich war, einfach wegzusehen und die Dinge laufen zu lassen. Viele sagen, man könne ohnehin nichts machen, alles, was man tut, sei nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.“

Plötzlich fiel mit hörbarem Klirren ein Schlüsselbund zu Boden. Als Ursache stellte sich Sarah heraus, die etwas in ihrer Tasche gesucht hatte und mit leichter Verlegenheit die kurzfristig in ihre Richtung gelenkten Blicke quittierte. Dr. Schuster ließ sich dadurch allerdings nicht aus dem Konzept bringen.

„Dazu möchte ich nur fragen: Kann die Rettung eines Menschenlebens ein Tropfen auf dem heißen Stein sein? Kann es ein Tropfen auf dem heißen Stein sein, dem Leben eines jungen Menschen in Afrika Perspektiven zu geben? Wer so etwas sagt, zeigt nur, dass er nicht bereit ist, etwas gegen diese Zustände zu tun. Sie, liebe Freunde, haben gezeigt, dass Sie etwas tun wollen, schon dadurch, dass sie hierher kommen und wissen wollen, wie die Arbeit eines Mitarbeiters von D.C. aussieht. Und dafür darf ich Ihnen jetzt schon danken, im Namen der gesamten Organisation und ich weiß, auch im Namen aller Menschen, die wir betreuen. Und jetzt bitte ich Sie, sich kurz vorzustellen, damit wir alle uns untereinander kennen lernen.“

Es trat ein Moment der Stille ein. Die Zuhörer, die der engagierten, nach Philipps Meinung allerdings recht dick aufgetragenen Rede gefolgt waren, wurden durch die letzte Aufforderung ziemlich unvorbereitet genötigt, aktiv zu werden. Dr. Schuster erkannte schnell, dass er jemanden bitten musste, zu beginnen, da er sonst eine längere Pause riskierte.

„Vielleicht beginnen wir auf dieser Seite“, setzte er hinzu und zeigte auf den jungen Mann, der als letzter vor Sarah gekommen war und zwei Plätze links von Philipp saß, „würden Sie sich bitte kurz vorstellen!“

Der junge Mann, der um die dreißig sein mochte und mit seinem dunkelbraunen Haar und dem ebenmäßigen Gesicht ein sehr ansprechendes Äußeres hatte, setzte sich auf seinem Platz zurecht, um dann sehr ruhig, aber freundlich und aufgeschlossen zu sprechen: „Mein Name ist Helmut Stachl, ich habe vor dreieinhalb Jahren mein Medizinstudium abgeschlossen und mittlerweile auch den Turnus hinter mir. Jetzt bin ich fertiger Allgemeinmediziner und frage mich seit längerem, wie es weitergehen soll. Das sozusagen „Normale“ wäre, entweder zu versuchen, eine Praxis als praktischer Arzt zu eröffnen oder nach einer Ausbildungsstelle zum Facharzt – welche Richtung auch immer – Ausschau zu halten. Beide Varianten sind mir aber in meiner momentanen Lebensphase in gewisser Weise zu endgültig. Da ich noch einigermaßen jung bin, habe ich den Wunsch, meinen Horizont zu erweitern, Neues kennen zu lernen und, was ja auch Sie sehr deutlich angesprochen haben, dort tätig zu werden, wo meine Arbeit dringend gebraucht wird.“

Philipp hatte von dem jungen Mann einen recht guten Eindruck und auch Dr. Schuster hörte interessiert zu. Seine ruhige und deutliche Sprechweise erweckte den Eindruck, dass er seine Worte sehr genau überlegte.

„Deshalb möchte ich gerne eine Zeit lang in einem Entwicklungsland als Arzt tätig sein, wobei ich nebenbei auch glaube, dass eine solche Arbeit in jedem Fall eine ganz gute Schule für einen angehenden Mediziner ist.“ Er verstummte, da er alles gesagt hatte, was zu sagen war.

„Danke, ich freue mich sehr über Ihr Interesse, da wir, wie ich ihnen ohnehin schon im Zweiergespräch gesagt habe, derzeit gerade Ärzte benötigen, egal ob es sich um Afrika, Indien oder Südamerika handelt. Ich würde Sie sogar bitten, dass Sie unter Ihren Kollegen Werbung für diese Idee machen, vielleicht findet sich ja noch der eine oder andere, der sich so etwas auch vorstellen könnte.“

Im nächsten Moment sah Dr. Schuster zu Philipp hin, worauf dieser zu reden begann, ohne auf eine Aufforderung zu warten.

„Ja, also, mein Name ist Philipp, ich bin neununddreißig Jahre alt, geschieden und lebe allein. Warum ich nach Afrika gehen möchte? Ja, wenn ich eine ehrliche Antwort geben soll, ist es nicht so einfach: Zum Teil spielen die Umstände eine Rolle, zum Teil ist es der Wunsch, etwas anderes, Sinnvolleres als meine bisherige Arbeit zu machen und den Rest haben Sie schon gesagt, Herr Doktor Schuster. Bei mir kommt einiges zusammen. Die eine Antwort, den einen Grund für alles, habe ich nicht. Aber vielleicht ist das auch gar nicht so entscheidend. Wichtig ist, dass man weiß, was man möchte.“

Dr. Schuster, der bei dieser Eröffnungsrunde eine Art Moderatorenrolle einnahm, hakte dort ein, wo Philipp geendet hatte. „Sie haben recht, uns allen geht es manchmal so, dass wir etwas tun, ohne hundertprozentig zu wissen, ob es das Richtige ist. Bei einer Sache wie dieser, die für jeden eine einschneidende Veränderung im Leben bedeutet, kann man nicht vorher alles genau abschätzen. Da ist es oft das Beste, sich auf sein Gefühl zu verlassen und einmal ein Risiko einzugehen, denn tut man es nicht und entschließt sich anders, kann es leicht sein, dass man diese Entscheidung irgendwann bereut, dann aber meist für den Rest seines Lebens.“

Philipp war klar, dass Dr. Schuster nicht zuletzt in eigener Sache sprach, da er natürlich berufliches Interesse daran hatte, dass Leute, in die das Geld für diese Schulung investiert wurde, dann auch der Organisation als Mitarbeiter zur Verfügung standen.

„Etwas möchte ich noch sagen“, fuhr Philipp nach Dr. Schusters Denkanstößen fort, „ich arbeite im Moment noch in einer Bank, kenne mich aus im Kreditwesen, Buchhaltung, Bilanzierung, und alles, was damit zusammen hängt. Da in der Entwicklungshilfe auch Leute aus der Wirtschaft eingesetzt werden, habe ich die Arbeit in Afrika als Gelegenheit gesehen, meine beruflichen Erfahrungen für etwas wirklich Sinnvolles einzusetzen, eine Möglichkeit, die mir derzeit leider versagt wird, weil das Profitdenken heute offenbar mehr zählt als Anstand und Fairness gegenüber langjährigen Mitarbeitern.“

Das Schweigen nach diesem etwas verschwommen gehaltenen Bekenntnis weckte in Philipp die Vermutung, mit seiner Bemerkung das allgemein akzeptierte Ausmaß innerer Selbstentblößung überschritten zu haben. Er blickte zu Sarah, die ihn mit großen Augen ansah. Wegen ihr hatte er sich ohne Familiennamen vorgestellt. Er wollte keinen der Anwesenden auf die zwischen ihnen bestehende Verbindung hinweisen.

„Ich danke Ihnen“, unterbrach schließlich Dr. Schuster das Schweigen, „mit Ihrer Beschreibung der Arbeitswelt von heute haben Sie sicherlich recht. Ich bin schon seit vielen Jahren in verschiedensten Positionen auch im Personalbereich tätig und kann ihre Meinung nur bestätigen. In den letzten Jahren hat sich einiges geändert, und leider nicht nur zum Besseren. Aber beschäftigen wir uns mit Erfreulicherem. Darf ich Sie bitten, sich vorzustellen.“

Damit war Sarah gemeint. Philipp bemerkte, dass ihre Ohren leicht gerötet waren, wodurch sie der Farbe ihrer Haare sehr nahe kamen. Zu seiner eigenen Überraschung war er ziemlich gespannt darauf, was er nun noch von ihrem Leben erfahren würde.

„Also, dann bin ich wohl dran“, sagte Sarah mit ihrer eigentümlich zart und zerbrechlich wirkenden Heiterkeit, „mein Name ist Sarah, ich bin siebenunddreißig Jahre alt und geschieden. Die Arbeit, die ich bis vor einigen Jahren gemacht habe – es war ein nicht besonders interessanter Job als Sprechstundenhilfe –, hat mich nicht befriedigt und deshalb habe ich vor vier Jahren eine Schwesternausbildung absolviert. Die dauerte drei Jahre, daher war ich – schwierige Rechnung – voriges Jahr fertig.“

Allgemeines Lächeln.

„Nach meiner Ausbildung habe ich in einem Krankenhaus angefangen. Das war am Anfang sehr interessant. Es gab dann allerdings Probleme mit einer Kollegin, die rangmäßig über mir stand und glaubte, sie müsse mir alles neu erklären, was ich schon seit der Schwesternschule im Schlaf konnte. Das größte Problem war aber, dass sie mich dauernd mit vollkommen sinnlosen Arbeiten beschäftigte und so vom Dienst an den Patienten abhielt. Überhaupt herrschte auf ihrer Station ein Regiment, das alles war, nur nicht patientenfreundlich.

Ich habe dann mit dem verantwortlichen Arzt darüber gesprochen. Da er das Ganze aber als unerheblich abtat, habe ich gewusst, dass ich dort nicht bleiben möchte. Nachdem ich einige Zeit überlegt hatte, was ich mit meiner Ausbildung machen möchte, erfuhr ich von jemandem, der in die Entwicklungshilfe gehen möchte.“

Philipp wurde hellhörig.

„Als ich mich selbst daraufhin mit dem Gedanken beschäftigte, so etwas zu machen, wurde mir klar, dass es in meiner derzeitigen Stellung nichts gibt, was mich dort hält. Und eines wusste ich schon, als ich mit der Krankenpflege begonnen habe, nämlich, dass für eine Krankenschwester eine Tätigkeit im Rahmen der Entwicklungshilfe in Afrika, wo sie wirklich gebraucht wird, die denkbar interessanteste Aufgabe wäre.“

Dr. Schuster und alle im Raum schwiegen. Philipp, der Sarah in gewisser Weise besser kannte als sich selbst – zumindest hatte er das einmal geglaubt –, konnte nachvollziehen, dass sie, die immer alles so perfekt wie möglich machen wollte, es unter einer solchen Person, wie sie sie beschrieben hatte, nie und nimmer aushalten konnte. Auf einmal ging Philipp durch den Kopf, dass Dr. Schuster die Namensgleichheit zwischen Sarah und ihm ja ohnehin aufgefallen sein musste, er hatte ja alle Daten von den Teilnehmern. Ob er Sarah danach gefragt hatte? Auf der anderen Seite wusste Philipp nicht einmal, ob Sarah diesen Namen überhaupt noch verwendete.

„Ich glaube, diesen Ausführungen ist nichts hinzuzufügen. Vielen Dank!“ schloss Dr. Schuster schließlich Sarahs Worte ab.

Als nächstes war ein Mann an der Reihe, der etwa in Philipps Alter oder etwas älter sein mochte und schräg hinter ihm saß. Er lachte sehr freundlich und war offensichtlich ein Typ, dem es nicht unangenehm war, im Mittelpunkt zu stehen und von sich selbst zu erzählen.

„Ja, dann bin wohl ich an der Reihe“, begann er. Man hörte sofort, dass er nicht aus Österreich kam, sondern einen holländischen Einschlag hatte, woraus er auch kein Hehl machte.

„Wie sie hören, komme ich von ein bisschen weiter oben auf der Landkarte, als Holländer kann man seine Wurzeln nicht verleugnen. Aber mittlerweile bin ich schon seit fast zehn Jahren Österreicher. Die ganze Geschichte war so: Ich habe in Holland Bodenkultur studiert und dann bei einer großen Firma gearbeitet, die landwirtschaftliche Maschinen produziert und vertreibt. Weil wir sehr erfolgreich waren, haben wir auch in anderen Ländern Niederlassungen eröffnet, unter anderem in Österreich. Da sie hier Leute für führende Positionen gesucht haben, bin ich nach Wien gegangen. Außerdem zieht es uns Holländer ja ohnehin in den Süden. Ich war verheiratet gewesen. Mein Frau ist aber gestorben, bevor ich die Arbeit in Österreich angenommen habe. Ich habe zwei mittlerweile erwachsene Kinder, einen Jungen und ein Mädchen. Ach ja, ich heiße Piet, und mein Alter – wissen Sie, wir Holländer sind ein bisschen eitel und sagen nicht gern unser Alter, aber weil wir hier ja unter uns sind – ich bin jetzt fünfundvierzig. Der Rest ist nicht viel anders als bei Philipp. In meiner Firma gefällt es mir nicht mehr – interne Veränderungen, andere Vorstände und so weiter -, deshalb will ich etwas anderes machen und habe schließlich die Idee geboren, dass ein paar Jahre Entwicklungshilfe in Afrika in meinem Lebenslauf noch fehlen. Das möchte ich so schnell wie möglich nachholen.“

„Und wir freuen uns, dass Sie für uns arbeiten wollen“, sagte Dr. Schuster.

Der letzte, der sich vorstellte, war ein etwas jüngerer Mann, der auf Philipp einen ziemlich nervösen Eindruck machte. Dr. Schuster, dem dies ebenfalls auffiel, sagte deshalb so behutsam wie möglich, ob er sich kurz vorstellen möge. Der Mann dachte kurz nach, dann sagte er: „Ich heiße Alfred und bin fünfunddreißig. Ich bin Pflegehelfer und arbeite in einem Wiener Sanatorium. Meine Abteilung wird aber in einem Monat zugesperrt, ich glaube, sie ist zu teuer. Deshalb kann ich dort nicht mehr lange arbeiten, und während ich etwas anderes gesucht habe, lernte ich Dr. Schuster kennen. Er hat gesagt, dass ich in der Entwicklungshilfe arbeiten könnte, deshalb bin ich heute hier.“

Philipp fragte sich insgeheim, ob dieser Job wirklich das richtige für Alfred war, dachte aber, dass Dr. Schuster schon wissen werde, was er tut. So Vertrauen erweckend, wie Alfred auf ihn wirkte, hätte er ihn nicht einmal seinen Pferdestall ausmisten lassen, wenn er einen gehabt hätte. Vielleicht, überlegte er, war Dr. Schuster in dieser Sache irgend jemandem verpflichtet.

Da von Alfred nichts mehr kam, setzte Dr. Schuster fort.

„Wir haben uns nun alle kennengelernt und ich möchte, dass wir ein Team werden, das durch dick und dünn geht. Deshalb mache ich den Anfang und möchte Ihnen allen das Du-Wort anbieten. Es würde mich freuen, wenn Ihr es annehmt und gegenseitig das gleiche tut.

Auf das Angebot von Dr. Schuster setzte ein allgemeines Händeschütteln ein. Zu Philipps Überraschung hielt Sarah ihm ihre Hand hin: „Ich bin Sarah.“ Um kein Aufsehen zu erregen, spielte er das Spiel mit, fragte sich aber dabei, was sie im Schilde führte. Vor ein paar Wochen hatte er plötzlich wieder von ihr gehört, indem sie ihm über Julia ausrichten ließ, dass sie ihn gerne treffen würde. Er hielt das damals für keine gute Idee, aber dann ereignete sich auf einmal dieses eigenartige Zusammentreffen im Café und jetzt würde er offenbar den ganzen Kurs mit ihr verbringen. War das alles Zufall? Etwas in ihm konnte es nicht glauben. Auf der anderen Seite sprach die Sturheit, mit der sie vor neun Jahren ihre Ehe abgewürgt hatte, gegen den Gedanken, dass sie plötzlich wieder seine Nähe suchte. Es war alles sehr verworren. Sein größtes Problem mit all dem war, dass er sehr lange daran gearbeitet hatte, sich Sarah nach der Scheidung endgültig aus dem Kopf zu schlagen. Deshalb wollte er jetzt, nachdem es ihm einigermaßen gelungen war, nicht wieder in den bedauernswerten Zustand davor zurückfallen. Etwas abwesend wegen seiner Gedanken hatte er fast übersehen, dass alle wieder Platz genommen hatten, aber Sarah unterstützte ihn bei seiner Rückkehr, indem sie ihn am Ärmel zupfte, worauf er sich schnell hinsetzte.

Dr. Schuster verteilte als nächstes die Unterlagen, die er mitgebracht hatte. Es war eine zusammengeheftete Sammlung aller Unternehmungen, die D.C. derzeit weltweit durchführte. Insgesamt waren es über zehn Entwicklungsprojekte, davon allein fünf in Afrika. Die meisten waren auf unmittelbare Entwicklungshilfe ausgerichtet, andere nahmen spezielle Probleme ins Visier. So zum Beispiel die Straßenkinderhilfe in Indien oder das Haus für Opfer der Kinderprostitution in Thailand. Fritz beschrieb alles sehr detailliert und gab umfassende und genaue Informationen zu den einzelnen Ländern. Man merkte, dass er überall schon selbst gewesen war, sonst hätte er die Arbeit in den einzelnen Gebieten nicht so lebensnah schildern können. Leider blieb viel zu wenig Zeit, um mit allem fertig zu werden. Gerade irgendwo in Vietnam angelangt, ging es gegen halb neun und er musste seine Zuhörer auf die nächste Woche vertrösten. Die Teilnehmer hatten den Schilderungen voll Interesse zugehört und nur gelegentlich Zwischenfragen gestellt.

Am Ende der zweieinhalb Stunden waren alle mit Informationen überfrachtet, aber auch fasziniert über die Vielfältigkeit der Projekte. Philipp bewunderte Fritz dafür, wie sehr er andere mitreißen konnte, wenngleich ihm ein gewisser Hang zur Pathetik nicht abzusprechen war. Er selbst hatte ob der interessanten Schilderungen seine verwickelten Gedanken an Sarah eine Zeit lang völlig vergessen. Am Ende kündigte Fritz noch an, was die angehenden Entwicklungshelfer an den nächsten Abenden erwarten würde. Zunächst die Beschreibung der Projekte, für die am heutigen Abend nicht genug Zeit gewesen war. Anschließend die detaillierte Darstellung des Projektes in Swasiland, die einige Abende in Anspruch nehmen würde und bei der auch mehrere vor Ort tätige Betreuer zu Wort kommen sollten. Außerdem ein Erste-Hilfe-Kurs und als Abschluss weiterführende Informationen über das Land, in dem sie tätig wurden, die dortigen Sprachen und Gebräuche. Die erste Zeit vor Ort in Swasiland würde dann auch der Einschulung und Einarbeitung gewidmet sein. Es musste also niemand Angst haben, zu sehr ins kalte Wasser geworfen zu werden. Zeitlich war es so geplant, dass der Kurs drei Monate dauern sollte, also bis Ende März. Anfang April würde dann das Abenteuer Afrika beginnen.

Nach diesem Abend hatte für alle das ungewisse Etwas, das vor ihnen lag, klarere Konturen bekommen. Fritz machte den Vorschlag, noch gemeinsam etwas trinken zu gehen. Philipp entschuldigte sich schnell mit der Ausrede, er habe noch einen Termin, allerdings nur, um nicht auch noch den Rest des Abends mit Sarah verbringen zu müssen. Wenngleich er das Problem der künftig bevor stehenden Begegnungen mit ihr irgendwie für sich selbst lösen musste, wollte er heute doch so schnell wie möglich von ihr loskommen. Der Schuss ging allerdings nach hinten los. Fast im selben Moment wie Philipp entschuldigte sich auch Sarah. Während sie dann im Eingangsbereich Mantel und Schal anzogen, fragte sie ihren wehrlos daneben stehenden Ex-Mann, ob sie ihn noch ein kleines Stück begleiten dürfe, was er nicht gut abschlagen konnte.

Als sie kurze Zeit später ins Freie traten, schlug ihnen die Kälte ohne Gnade entgegen. Im ersten Moment hatte Philipp Probleme beim Einatmen. Die Mütze, die er aufgesetzt hatte, zog er noch fester über den Kopf. Als er den Blick nach oben richtete, bemerkte er, dass es eine sternenklare Nacht war.

„Puh, ist das kalt“, sagte Sarah. Bei jedem Wort dampfte es aus ihrem Mund, was die Eiseskälte noch unterstrich. Sie trug eine hellbraune wattierte Steppjacke mit einem etwas dunkleren Schal und eine dunkelblaue Wollmütze, die sie sich wegen der Kälte ebenfalls tief ins Gesicht zog. Auf der Straße holte sie noch ein paar Wollhandschuhe aus ihren Jackentaschen und zog sie über ihre Hände.

„So ein Zufall“, begann Philipp, „da sehen wir uns jahrelang nicht, und plötzlich begegnen wir uns im Kaffeehaus und so, wie es aussieht, werden wir uns jetzt sehr oft sehen. Lustig, nicht?“

„Na, ja, im Leben passieren oft die seltsamsten Dinge“, antwortete Sarah und gab Philipp damit keinen Hinweis, ob es sich beim jetzigen Zusammentreffen wirklich um einen Zufall handelte.

„Wie geht es dir so?“ fragte Philipp, der das schweigsame Gehen offenbar schwerer aushielt als Sarah.

„Danke, es geht“, antwortete sie.

„Wie bist du gerade darauf gekommen, nach Afrika zu gehen, du warst doch nie besonders erpicht darauf, die Welt zu sehen?“ fragte er weiter.

„Du hast ja gehört, was ich gesagt habe, jemand hat mich darauf gebracht und da mich hier nichts hält, war es eigentlich ganz naheliegend, oder glaubst du das etwa nicht?“, erwiderte Sarah.

„Doch, doch, es ist nur so komisch, dass wir uns so lange nicht mehr gesehen haben und jetzt laufen wir uns praktisch dauernd über den Weg“ bemerkte Philipp.

„Jetzt übertreib‘ aber nicht“, sagte Sarah, „nur weil wir uns zwei Mal gesehen haben.“ Nach einer Pause sagte sie: „Philipp, ist es dir eigentlich unangenehm, mich zu treffen?“

„Wie kommst du darauf“, fragte Philipp und tat irgendwie überrascht.

„Es kommt mir so vor“, antwortete sie.

„Ich habe nicht vergessen, was vor neun Jahren passiert ist“, sagte er.

„Weißt du überhaupt, was passiert ist?“ fragte sie.

„Ich weiß, was für mich passiert ist, und dich habe ich hundertmal gefragt, was dich dazu getrieben hat, so zu handeln, aber du hast es mir nie gesagt.“ Bei den letzten Worten war Philipp langsamer geworden, trotz der Kälte.

„Willst du es wissen?“ fragte Sarah.

„Ich weiß nicht, ob ich jetzt noch irgend etwas wissen will, was damit zusammen hängt. Es ist viel Zeit vergangen, und irgendwann, sehr, sehr langsam, habe ich mit dem damaligen Geschehen abgeschlossen. Hätte ich das nicht geschafft, dann hätte ich wohl nicht normal weiter leben können. Heute weiß ich nicht, ob ich diese Büchse der Pandora, die da irgendwo in mir schlummert, wieder öffnen möchte, denn noch einmal würde ich das Ganze nicht ertragen.“ Sie waren an die Straßen- und U-Bahnhaltestelle bei der Oper gekommen, wo sich ihre Wege trennten. „Aber vielleicht ist es auch gut, dass wir uns getroffen haben und dass wir wieder reden können“, ergänzte Philipp. Er wollte noch etwas sagen, fand aber keine Worte.

„Bis bald!“, verabschiedete sich Sarah und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Dann ging sie die Treppe zur U-Bahn hinunter, während Philipp auf seine Straßenbahn wartete und ihr nachsah.

In dieser Nacht lag Philipp bis ein Uhr wach in seinem Bett, starrte in die Dunkelheit der Decke und dachte über den Abend nach. In seinem Herzen hatte sich eine Tür einen Spalt breit geöffnet, die er für immer verschlossen geglaubt hatte. Alles in ihm wehrte sich aber dagegen, sie auch nur ein klein wenig weiter zu öffnen, da er fürchtete, dass sich am Ende wieder nur Leid, Schmerz und Hoffnungslosigkeit dahinter verbargen.