Kitabı oku: «Future Angst», sayfa 2
Wie schön wäre Technik ohne Menschen
Wer in den USA mit dem Auto unterwegs ist, wird rasch bemerken, dass die Kreuzungen anders geregelt sind als in Europa. Besonders in der Nacht wird das deutlich, wenn die Ampeln auf der leeren Straße rasch auf Grün für die eigene Fahrtrichtung schalten. An den meisten Kreuzungen sind unter dem Asphalt Induktionsschleifen angebracht, die auf den einzelnen Fahrspuren erkennen, ob sich dort ein Auto befindet. Damit werden die Ampeln je nach Bedarf geschaltet und dies verringert die Wartezeit. Die Technik reagiert hier in eingeschränktem Maße auf das Verhalten und die Bedürfnisse von Menschen.
Plötzliche Verhaltensänderungen können ganze Systeme aus dem Gleichgewicht bringen, wenn sie nicht flexibel angepasst werden können. Viele Onlineplattformen, die künstliche Intelligenz zur optimalen Steuerung von Inhalten und Vorschlägen einsetzen, sahen sich 2020 mit dem Covid-Lockdown konfrontiert – und mit stark veränderten Verhaltensweisen der Menschen. Die Algorithmen, die durch große Datenmengen und viel Arbeit der letzten Jahre zu optimierten Vorschlägen führen sollten, konnten mit Bestellungen zu Klopapier, Desinfektionsmitteln oder der Bestellung von Gütern, die üblicherweise nicht online vorgenommen wurden, nichts anfangen und waren mehr als verwirrt. Und die Ampeln an den nun fast leeren Straßen fuhren tagsüber ihre langen Schaltzyklen nach wie vor so, als ob es das sonst übliche Verkehrsaufkommen gäbe.
Wir Menschen haben mehr Einfluss auf Technologien, als wir annehmen. Sehr zum Leidwesen der Ingenieure, die solche Technologien entwickeln. Für sie stehen wir im Mittelpunkt und dort stehen wir im Weg. Um einen Liedtext des seligen österreichischen Liedermachers und Humoristen Georg Kreisler über Wien und die Wiener etwas holprig umzumünzen und stattdessen das Wehklagen von Ingenieuren auszudrücken:
Wie schön wäre Technik ohne Menschen!
Wir vergessen leicht, dass Technologie von Menschen für Menschen geschaffen wird. Auch wenn wir manchmal denken, sie wird gegen unser Wohl eingesetzt, so ist sie zumeist zu unserem Wohle gedacht. Keine Ingenieurin, die ich kenne, kein Naturwissenschaftler, mit dem ich das Vergnügen hatte zu plaudern, kam in diese Profession, weil sie oder er Übles vorhatten. Kein Arzt ergreift den Beruf, weil er Menschen mit Impfstoffen töten möchte. Auch ich studierte Chemieingenieurwesen deshalb, weil ich besser verstehen wollte, wie Chemie die Umwelt negativ beeinflusst und was dagegen getan werden kann. Dass Technologie nicht immer das tut, wofür sie ursprünglich gedacht war, kann die Menschen zu der Ansicht verleiten, dass das Übel von Anfang an das Ziel gewesen war.
Das hat vielleicht auch mit dem Phänomen der „Unsichtbarkeit von gut funktionierender Technologie“ zu tun. Eine Kaffeemaschine oder ein Fahrstuhl, die ihre Dienste klaglos verrichten, nehmen wir nicht wahr. Wehe aber, sie tun einmal nicht das, was sie sollen. Es funktioniert überraschend viel Technologie so reibungslos, dass wir gar nicht wahrnehmen, wie sie unser Leben vereinfacht oder gar erst in dieser Qualität ermöglicht.
Dabei ist Technologie nicht etwas, das zu uns via Gottes Gnaden „herabsteigt“, unser Leben schonungslos bestimmt und unabänderlich ist. Das ist die Meinung und Furcht der Technikdeterministen.5 Für sie ruft Technologie soziale, politische und kulturelle Anpassungen hervor, die einen sozialen und kulturellen Wandel zur Folge haben, ohne dass wir Menschen Einfluss darauf oder ein Mitbestimmungsrecht haben. Technologie wird von Menschen geschaffen, bestimmt und durch Menschen beeinflusst.
Was die Technikdeterministen – also diejenigen, die an eine aktuelle oder kommende Vormundschaft der Menschheit durch Technologie glauben und davor warnen – gerne übersehen, ist, dass auf Technologie selbst sozialer, politischer und kultureller Einfluss ausgeübt wird. Technologie steht und entsteht nicht in einem Vakuum. Sie kann erst dann zum Ausdruck und zur Anwendung kommen, wenn diese Rahmenbedingungen es erlauben. Tun sie es nicht, dann muss entweder die Technologie angepasst werden oder die Rahmenbedingungen müssen sich ändern. Geschieht das nicht, dann setzt sich die Technologie nicht durch und verschwindet. Manchmal für immer, manchmal nur vorübergehend.
Nehmen wir als Beispiel die heilige Kuh in unserem Land, das Automobil. Dessen Erfindung und Einführung am Ende des 19. Jahrhunderts hat sicherlich zu vielen Veränderungen sozialer und kultureller Natur geführt. Wir, die wir damals nicht gelebt haben, können uns den Gestank und den permanenten hygienischen Ausnahmezustand in den Städten angesichts der Tonnen von Pferdekot und tagelang liegen gebliebenen toten Gäulen in den Straßen nicht vorstellen. Trotz seines Ölgestanks und Lärms galt da das Automobil als Verbesserung. Autos erforderten bessere Straßen, die zu mehr Verkehr und damit intensiveren Beziehungen zwischen Regionen und Städten führten. Die Transportkosten für Waren und Personen sanken drastisch, das Einzugsgebiet für Produzenten erweiterte sich stark. Das schuf Gelegenheiten für Unternehmer und brachte Arbeitsplätze, die wiederum zu vermehrtem Wohlstand und mehr Austausch zwischen Regionen und Ländern führten.
Doch der Feind des Guten ist nicht das Bessere, sondern zu viel des Guten. Die Probleme, die uns zu viele Autos gebracht haben, scheinen uns fast schon wieder als vorherbestimmt und damit unabänderlich. Zumindest dachten wir das bis vor Kurzem. Und dann kommt eine Krise, die uns einen neuen Denkansatz erlaubt. Plötzlich ergreifen Städte während einer Pandemie die Chance eines zum Erliegen gekommenen Autoverkehrs und gestalten Straßen zu Fußgängerzonen und Fahrradspuren um. Die Leute entdecken die Fahrbahnmitte und das Fahrrad wieder für sich. Wie es ein Fahrradhändler mir gegenüber ausgedrückt hat, weil es weltweit zu einer Fahrradknappheit gekommen war: „Fahrräder sind das neue Klopapier.“
Dieser und andere sich seit einiger Zeit abzeichnenden Trends zum Automobil zeigen, dass nicht die Technik allein bestimmt, wie wir leben, sondern ein komplexes Wirken aus sozialen, politischen, kulturellen und natürlich technologischen Faktoren unsere Lebensqualität schafft. Die Technikdeterministen und -warner setzen auf unsere Hilflosigkeit angesichts dieser Technologien, um sie für ihre Zwecke auszunutzen. Genauso wie die Profiteure von Technologien die Alternativen verhindern. Technologie wird immer weniger als etwas zum Menschsein Beitragendes und stattdessen als etwas uns davon Entfernendes betrachtet.
In der BBC-Dokumentation „The Pleasure of Finding Things Out“ („Das Vergnügen, Dinge herauszufinden“) aus dem Jahr 1981 schildert Physiknobelpreisträger Richard Feynman, wie die Wissenschaften zum Wissen beitragen und nicht davon ablenken oder sogar etwas wegnehmen:
Ich habe einen Freund, der Künstler ist und manchmal eine Ansicht vertritt, mit der ich nicht so ganz einverstanden bin. Er hält eine Blume hoch und sagt: „Schau, wie schön sie ist.“ Und ich stimme zu. Dann sagt er: „Ich als Künstler kann sehen, wie schön das ist, aber du als Wissenschaftler nimmst das alles auseinander und es wird eine langweilige Sache.“ Und ich denke, dass er irgendwie verrückt ist. Zunächst einmal ist die Schönheit, die er sieht, auch für andere Menschen zugänglich und für mich auch, glaube ich …
Ich kann die Schönheit einer Blume schätzen. Gleichzeitig sehe ich viel mehr von der Blume, als er sieht. Ich kann mir die Zellen darin vorstellen, die komplizierten Vorgänge im Inneren, die auch eine Schönheit haben. Ich meine, es ist nicht nur Schönheit in dieser Dimension, auf einem Zentimeter; es gibt auch Schönheit in kleineren Dimensionen, die innere Struktur, auch die Prozesse. Die Tatsache, dass sich die Farben in der Blume entwickelt haben, um Insekten zur Bestäubung anzulocken, ist interessant; das bedeutet, dass die Insekten die Farbe sehen können. Daraus ergibt sich die Frage: Gibt es diesen ästhetischen Sinn auch bei den niederen Formen? Warum ist er ästhetisch? Alle Arten von interessanten Fragen, die das wissenschaftliche Wissen nur zu der Aufregung, dem Geheimnis und der Ehrfurcht vor einer Blume hinzufügt. Es fügt nur hinzu. Ich verstehe nicht, wie es subtrahieren kann.
Als Menschen scheinen wir zwischen diesen beiden Seiten eingekeilt. So wie eingesperrte Hunde durch Elektroschocks so lethargisch gemacht werden, dass sie selbst bei der Gelegenheit, diesem Schicksal zu enteilen, diese nicht ergreifen, genauso hält uns die „erlernte Hilflosigkeit“ davon ab, die Chancen der Technologien zu ergreifen und die Risiken zu vermeiden. Die Technikdeterministen und -warner wollen aller Technologie entsagen, die Technologieprofiteure uns diese alternativlos aufdrängen. Warum aber sollten wir wählen müssen und nicht mehr von den Chancen und dafür weniger von den Risiken haben? Das allerdings erfordert einen mündigen Technologienutzer. Und diese Erziehung beginnt bei uns selbst und bei unseren Kindern.
Sind wir zu dekadent geworden?
Meine Reaktion, wenn das deutsche LinkedIn erst mal
wieder jahrelang diskutiert über die Frage:
„Darf man jetzt eigentlich auch am Wochenende posten?“
Leute – Stock aus’m Rücken, machen!
Dina Brandt (Trotziger Millennial)6
Wir befinden uns im Zeitalter der Dekadenz, wie es Ross Douthat, der Autor von „The Decadent Society: How We Became the Victims of Our Own Success“ („Die dekadente Gesellschaft: Wie wir Opfer unseres eigenen Erfolges wurden“), schreibt. Dekadenz definiert er dabei als das Resultat einer Mischung aus wirtschaftlicher Stagnation, institutionellem Verfall und kultureller und intellektueller Erschöpfung. Wiederholung wird zur Norm, Innovation zur Ausnahme – und sie befällt alle öffentlichen und privaten Einrichtungen gleichermaßen. Das geistige und intellektuelle Leben scheint sich dabei im Kreis zu drehen und liefert weniger, als zu erwarten wäre. Die Stagnation und der Verfall sind dabei – ganz wichtig – ein Ergebnis des eigenen signifikanten Erfolgs.
Ich sage dazu immer, dass Zürich, Hamburg, Wien, Köln oder München „zu schön für Innovation“ seien. In welchen Regionen finden wir die innovativsten Gesellschaften? In Gegenden, wo Verfall und Funktionieren in einer inspirierenden Balance stehen. Nicht dort, wo zu viel nicht funktioniert. Auch nicht dort, wo zu viel gut funktioniert. Wenig überraschend, dass das Silicon Valley, Tel Aviv, Berlin oder Shenzhen offensichtlich dieses Gemisch aus gut und schlecht, verfallen und aufgeräumt, Chaos und Ordnung, Licht und Schatten bieten. All diese Orte sind einzigartig in der Art, wie der inspirierende Mix zusammenkommt.
Besucher im Silicon Valley sind oft erstaunt über die Rückständigkeit der hiesigen Infrastruktur. Stromkabel, die auf Holzmasten gespannt sind, Straßen, bei denen die Aufgabe des Asphalts rein im Verbinden der Schlaglöcher zu liegen scheint, und selbst Schecks – jawohl, auf Papier – sind nach wie vor übliche Zahlungsmittel im Land der Hochfinanz. Uber oder Lyft konnten nur dort entstehen, wo es zwar öffentlichen Nahverkehr gab, der aber gleichzeitig genau die richtige Prise schlecht ist, um eine Chance für innovative Unternehmer zu bieten. In der Schweiz mit ihrem perfekten und pünktlichen Eisenbahnsystem käme niemand auf die Idee, Alternativen dazu zu entwickeln. Man fände auch keine Investoren.
Mein Leben in Kalifornien, wo ich seit 2001 meinen Wohnsitz habe, gestattet die Sicht auf unsere deutschsprachige europäische Gesellschaft von außen. In seinem Buch „Psychotherapy East and West“ schrieb der Philosoph Alan Watts, dass man die starren Gesellschaftsstrukturen seiner Region als gegeben hinnimmt, ohne sie zu hinterfragen. Um zu erkennen, wie verrückt gewisse Einschränkungen und Regeln sind, müsse man „rausgehen“. Mit zwei Jahrzehnten Erfahrung in Kalifornien, wo die Gesellschaft von Immigranten aus aller Herren Ländern geprägt wird und das geografisch genauso weit weg von Asien liegt wie von Europa, ist mein Blick auf meine Herkunftsgesellschaft und Kultur einer von außen und zugleich von innen. Und das erlaubt einen an manchen Stellen schärferen, an anderen einen oberflächlicheren Blick auf die Besonderheiten, aber immer einen, der den Vergleich erlaubt, die Schwächen und Stärken aller „Philosophien“ zu sehen. Meine Verbundenheit mit dem Kulturkreis meiner Herkunft ist nicht in Zweifel zu ziehen und deshalb will ich mit den folgenden Kapiteln dazu beitragen, den Menschen hier und dort eine Hilfestellung zu geben. Genauso, wie ein Vater oder eine Mutter manchmal ihre Kinder schelten müssen, weil sie deren Bestes wollen, wird es auch in diesem Buch an kritischen Aussagen und schmerzhaften Erkenntnissen nicht mangeln. Wäre mir die Zukunft meiner Familie, meiner Freunde und Bekannten in Europa egal, würde ich die kritischen Stellen auslassen. Den Stress, mich der Kritik auf meine Kritik zu stellen, könnte ich mir ersparen. Doch die Zukunft Europas und meines Kulturkreises ist mir nicht egal und ich hoffe, meine Leserinnen und Leser sehen das genauso.
In „Future Angst“ sehen wir uns in den folgenden Hauptkapiteln zuerst mit „Present Angst“ den aktuellen Status quo an. Welche aktuellen Ängste prägen uns? Im dritten Kapitel „Past Angst“ begeben wir uns auf eine Zeitreise in die Vergangenheit und werden mit den Ängsten der Menschen vor den Technologie-Innovationen der Vergangenheit konfrontiert. Der Spiegel, der Fahrstuhl oder der Container waren auch einmal neu für die Menschen und die Sicht auf die Reaktionen der Menschen lässt uns unsere Reaktionen auf heutige Innovationen besser verstehen und einordnen. Im vierten Kapitel verbringen wir noch etwas mehr Zeit in der Vergangenheit, in der wir die „Past Chance“, von denen wir heute so profitieren und auf die wir stolz sind, zeigen und beweisen, dass wir es konnten. Und nichts hält uns davor zurück, es nicht auch heute wieder zu können. Im fünften Kapitel „Present Angst“ analysieren wir die Gründe und Verhaltensweisen, die uns heute davor zurückhalten, im Wettbewerb der Kulturen um neue Technologien zum positiven Nutzen der Menschheit ganz vorne mitzumischen. Es soll auch hilfreiche Begrifflichkeiten vermitteln, denn wenn wir die Ängste und Gründe nicht in Worte fassen können und kein Vokabular dafür haben, dann stehen wir hilflos davor. Versteht man diese, hält uns nichts davon ab, im sechsten Kapitel die „Future Chances“ zu ergreifen. Welche Maßnahmen müssen wir ergreifen, um die Dekadenz zu überwinden und neue Technologien nicht als etwas Beängstigendes und Feindseliges zu betrachten, sondern als Mittel zur Lösung der großen Probleme der Menschheit? Das siebte Kapitel „Past the Future“ erweitert den Betrachtungszeitraum über die nächsten 15 bis 20 Jahre hinaus zum Ende des Jahrhunderts. Bis dahin könnten sich heute als Problem identifizierte Trends ins Gegenteil verkehren und zu noch größeren Bedrohungen werden. Das klingt widersprüchlich, doch man lasse sich überraschen. Den Abschluss bietet „Design the Future“ mit einem unkonventionellen und transformativen Ansatz zu einem neuen Mindset.
Letztendlich geht es bei Technologie und Fortschritt nicht um diese selbst, sondern vor allem um den Menschen. Menschen entwickeln die Technologien, verwirklichen den Fortschritt und sollten deshalb auch Nutznießer davon sein. Nicht nur ein kleiner Teil der Menschheit, sondern möglichst alle. Technologie ohne Menschen ist nur Entropie ohne Wärme, niemandem nützlich und für niemanden schön.
KAPITEL 2
Present Angst – Status quo
Fortschritt wäre wunderbar – würde er einmal aufhören.
Robert Musil
Vor einiger Zeit postete eine Freundin eines dieser Fotos, die auch ich zu schießen pflege: von einem Büchertisch in einer Buchhandlung mit dem eigenen, neu erschienenen Sachbuch zwischen einer Reihe anderer Sachbücher. Die Nachbarschaft zu anderen Büchern erhöht die Bedeutung des eigenen. Michaela Ernst zeigte mit dem Bild, mit welchen anderen Titeln ihr absolut empfehlenswertes Buch „Error 404: Wie man im digitalen Dschungel die Nerven behält“ auf dem Tischchen vereint ist.
Was mir allerdings gleich ins Auge stach, war der Tenor der anderen Buchtitel zu digitalen Technologien und Systemen. Die auf dem Tischchen vereinigten Büchertitel waren:
•„Die große Zerstörung: Was der digitale Bruch mit unserem Leben macht“
•„Der Preis des Profits: Wir müssen den Kapitalismus vor sich selbst retten“
•„Revolte: Der weltweite Aufstand gegen die Globalisierung“
•„Alles könnte anders sein: Eine Gesellschaftsutopie für freie Menschen“
•„Facebook: Weltmacht am Abgrund“
•„Das Leben nach Google: Der Absturz von Big Data und der Aufstieg der Blockchain“
•„Der Spion in meiner Tasche: Was das Handy mit uns macht und wie wir es trotzdem benutzen können“
•„Mindf*ck: Wie die Demokratie durch Social Media untergraben wird“
•„Weltsystemcrash: Krisen, Unruhen und die Geburt einer neuen Weltordnung“
•„Der größte Crash aller Zeiten: Wirtschaft, Politik, Gesellschaft. Wie Sie jetzt noch Ihr Geld schützen können“
•„Nach dem Kollaps: Die sieben Geheimnisse des Vermögenserhalts im kommenden Chaos“
•„Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus“
•„Wer schützt die Welt vor den Konzernen? Die heimlichen Herrscher und ihre Gehilfen“
Lässt sich erkennen, was mir ins Auge stach? Welches der Bücher spricht von hoffnungsfrohen Zukunftsszenarien und beschreibt die Gegenwart positiv? Die Antwort lautet: keines. Ich denke, es wird klar, worauf ich hinauswill. Die Prämisse jedes einzelnen abgebildeten Buchtitels ist, dass wir entweder bereits in einer digitalen, technologischen Dystopie leben oder diese unmittelbar bevorsteht, weil das bestehende System kollabieren wird. Kein einziger Titel behandelt die Sichtweise, wie Technologien bereits unser Leben verbessert haben oder es zukünftig verbessern könnten. Man beachte auch, dass jeder der Autoren genau diese Technologien verwendet, um solch ein Buch zu schreiben, zu recherchieren, anzupreisen und zu Vortragsrunden zu reisen.
Es ist mir schon klar, dass dieser eine Büchertisch in einer Wiener Buchhandlung nicht repräsentativ für alle Buchhandlungen im deutschsprachigen Raum ist und der Buchhändler die Auswahl selbst getroffen hat. Doch solch eine Auswahl kommt nicht von ungefähr. Zuerst einmal müssen die Verlage selbst solche Bücher zur Veröffentlichung bestimmen. Hätte der Buchhändler die Wahl, Sachbücher mit den Chancen zu diesen Themen aufzulegen, hätte er es vermutlich gemacht. Und die Verlage publizieren und die Buchhändler legen Bücher auf, die verstärkt gekauft werden. Und da gilt nach wie vor: „Only bad news are good news!“
Je reißerischer der Titel, je dystopischer das Szenario, je böser die Bösewichte, je bunter ausgemalt wird, dass wir in der größten Katastrophe der Menschheitsgeschichte leben, desto eher greifen wir danach und desto besser ist es für die Verkaufszahlen. Menschen sind evolutionär darauf konditioniert, Bedrohungen größere Aufmerksamkeit zu widmen als den positiven Dingen. Ignorierte Bedrohungen können uns das Leben kosten, verpasste gute Dinge holen wir bei nächster Gelegenheit nach.
Und genau das ist das Problem bei uns. Zwar gibt es im Silicon Valley, wo ich seit fast zwei Jahrzehnten wohne, auch Buchtitel dieser Art, doch behandelt ein Drittel bis die Hälfte der Sachbücher die positive Seite und die Chancen dieser Themen. Diese Negativität im deutschsprachigen Raum – und, wenn ich dazusagen darf, auch im französischen – ist ein mentales Hindernis für uns, um Chancen zu ergreifen und Großes zu leisten.
Es ist klar, dass mit jeder Technologie und jedem System Gutes und Schlechtes vollbracht werden kann. Doch Schuld daran hat der Mensch, nicht die Technologie selbst. Dennoch nutzen uns diese Technologien und Systeme mehr, als sie uns schaden. Und die Lösungen auf die geschaffenen Probleme sind zumeist weitere Technologien und Systeme. Das scheint allerdings hier nicht der Tenor zu sein. Der Tenor ist, sich davon zu lösen oder etwas völlig Utopisches zu erwarten: nämlich, dass die Menschen plötzlich alle gut werden, das Beste für andere im Sinne haben und generell radikale Änderungen vornehmen. Doch wie soll eine Gesellschaft, die dem Fortschritt skeptisch gegenübersteht, sich plötzlich radikal wandeln?
Es gibt keine alternative Sicht auf die Zukunft als diese negative, dystopische. Und genau das eine Bild zeigt unsere Zukunftsangst. Zukunft ist eine Bedrohung. Digitale und sonstige Technologien sehen wir vor allem als etwas, was unser Leben und unseren Lebensstil bedroht. Fast alle diese Technologien stammen aus anderen Ländern und wurden nicht von uns daheim erschaffen. Und vielleicht ist das der wahre Grund für unsere Zukunftsangst: Wir gestalten sie nicht mit, wir werden von ihr überrollt, wir haben das Gefühl, keine Kontrolle darüber zu haben, und wir sind vielleicht ein wenig neidisch auf diejenigen, die sie erschaffen. Der einzige Ausweg, den viele von uns zu sehen scheinen, ist, diese Technologien und Systeme schlechtzureden.