Kitabı oku: «Haloperidol oder vom Ende der Luftschlösser», sayfa 2

Yazı tipi:

Ob sie schon schlief? Oder schwamm sie womöglich schon als Einlage in einer Suppe?

Tief ein- und ausatmen, redete ich mir ein. In einer Zeitschrift hatte ich gelesen, dass wenn ich mir nur lang genug „tief ein- und ausatmen“ einreden würde, ich wie von selbst einschliefe.

Tief ein- und ausatmen, wiederholte ich immer wieder. Autosuggestion nannten sie das.

Eine leckere Suppe mit Bambussprossen wäre jetzt genau das Richtige. Mein Magen knurrte. Was bin ich doch für ein Geizhals gewesen? Wenn ich sie nur gekauft hätte, könnten wir jetzt in ein hübsches Restaurant gehen. Natürlich müsste sie noch lernen, mit Messer und Gabel zu essen.

Tief ein- und ausatmen.

Und wenn ich morgen noch einmal in die Gosset ging? Ich könnte versuchen, sie zu befreien, wenn Hawkins nicht im Geschäft war, oder ihr wenigstens meine Telefonnummer zustecken. Sie würde mich nicht anrufen, wie sollte sie auch, wahrscheinlich wusste sie nicht einmal, was ein Telefon ist. Die Sache war viel zu gefährlich für mich. Lust auf Labor? Lust auf endlose Versuche, fragte ich mich und drehte mich auf die andere Seite. Tief ein- und ausatmen.

Hellwach lag ich da. Ja, ich hatte den Eindruck, dass ich durch diese Atemübung, nur noch wacher geworden war.

Ich stand auf und zog mich an, mit leerem Magen konnte ich einfach nicht einschlafen. Die nassen Schuhe hinterließen auf dem Teppichboden einen feuchten, schmutzigen Fleck. Mit dem Fahrstuhl fuhr ich nach unten und lief so schnell ich konnte zur Haltestelle Buckhurst Hill. Der Regen wurde nun wieder stärker, und ich erwischte gerade noch die letzte Bahn. Durchnässt fuhr ich zum Trocadero. Schwerer Dunst hing über Soho, auf dem Trottoir breiteten sich mächtige Pfützen aus. Langsam schlenderte ich in die grelle Leuchtreklame. Sogar bei diesem nasskalten Wetter, waren die Straßen überfüllt mit Touristen und Nachtschwärmern. Ein endloser Brei aus Menschen schob sich die Straßen entlang.

An einem Imbiss bestellte ich mir einen Salat und trank einen Mangolimettensaft. Schräg gegenüber lag das „Old Marys.“ Dort hatten wir unsere ersten Auftritte gehabt. „Wer will schon Musiker in Affenkostümen sehen?“ hatte der Manager gefragt. Wir bekamen keinerlei Honorar und übernahmen das volle Risiko. Dann erschienen die ersten Kritiken und von da an war die Hütte voll. Wir wären so ein Ding zwischen Blues und Jazz, nur dass unsere Beats mit einem Stakkato vorgetragen würden, die an die Grenze des Hörbaren gingen. Wir wären hervorragende Musiker, die nur den Spleen hatten, in Affenkostümen aufzutreten. Die Presse wollte einfach nicht glauben, dass wir echte Schimpansen waren. Bis auf Bob, der war ein Bonobo. Bob hatte einen helleren Teint und war der Kleinste von uns, aber an den Drums war er eine Macht.

Endlich kam der Salat. Maniok, Süßholz und Bambussprossen angemacht mit einem Dressing aus Minze und Koriander.

Es ging mir nicht nur darum, Musik zu spielen, die Zeit war reif für soziale Veränderungen. Ich wollte die Welt vom Kopf auf die Füße stellen. Nach einem Konzert erläuterte ich den Kollegen meine Pläne.

Louis, der Bassist, wäre gern mit von der Partie gewesen, nur wollte er nichts ohne seinen Agenten entscheiden. Bob spielte mit seinem Ring und sagte, dass so ein Sozialprojekt nicht zu unserem Image passen würde.

Ich sprang auf den Billardtisch: „Leute, wir müssen unsere Popularität nutzen und den Menschen endlich klarmachen, dass wir echte, hundertprozentige Primaten sind! Wirklich eigenständige Subjekte!“

Ich würde nicht nur meine Sicherheit, sondern die Sicherheit

aller meiner Kollegen aufs Spiel setzen, entgegnete Louis.

„Wann, wenn nicht jetzt?“ rief ich, hüpfte vom Tisch und schlug vor lauter Aufregung einen Salto rückwärts – wie fit ich damals doch noch war!

„Ihr redet über Imageprobleme, während ich die Welt verändern will!“

Chuck, der Saxofonist, schlug mir auf die Schulter: „Pedro“, sagte er, „nutze deine Bekanntheit und setz’ dich für eine bedrohte Art ein, kämpfe gegen Laborversuche oder gegen das Abholzen der Regenwälder, aber fordere die Menschen nicht heraus. Es darf den Menschen nicht wirklich wehtun, verstehst du. Wenn sie sich bedroht fühlen, werden sie es dich fühlen lassen.“

„Nein, nein, nein und nochmals nein! Blues, Rock and Roll, HipHop, das sind doch alles Zeichen. Die Welt braucht Veränderung! Wir können etwas bewegen! Versteht ihr das denn nicht?“

Bob saß schweigend da und betrachtete seinen Ring. Von Zeit zu Zeit hielt er ihn in den Strahl eines Scheinwerfers, der eine Ecke des Hinterzimmers ausleuchtete. „Ich schenke dir diesen Ring, sieh dir dieses herrliche Feuer an, diesen Berg des Lichts.“ Er stand auf und kam auf mich zu. „Ich schenke ihn dir, wenn du von deinem Vorhaben ablässt. Ich habe Angst um dich. Verstehst du das?“ sagte er und nahm mich in die Arme. Oh, wie schön es ist, von den langen, kräftigen Armen eines Freundes gehalten zu werden. Wie habe ich es genossen.

„Verstehst du das?“ fragte er erneut. Wenn er doch nur nicht so eindringlich gefragt hätte. Bestimmt wäre alles ganz anders gekommen.

Er schob mich von sich und fragte erneut.

Was sollte die Fragerei? Glaubte er wirklich, dass ich nicht verstehen würde, dass ihn nichts weiter als Musik interessierte?

„Das ist nichts für dich. Verstehst du das?“ fragte er schon wieder, trat auf mich zu und begann mich zu schütteln.

„Ja“, gab ich ihm recht, „aber versuch’ bitte nicht, mich zu belehren!“ antwortete ich und wand mich aus seinem Griff.

„Du setzt aber nicht nur deine Sicherheit aufs Spiel, sondern unser aller! Warum willst du das denn nicht begreifen?“

„Bin ich etwa begriffsstutzig? Bin ich dein dummes kleines Äffchen, das du belehren kannst?“ entgegnete ich patzig. Steck dir deinen Brillianten sonst wo hin, kaufen lasse ich mich nicht!“

Der Salat war hervorragend. Ich nahm mir eine Serviette, wischte mir den Mund und bestellte ein Thunfischsandwich. Es schmeckte bitter mit einem öligen, fauligen Beigeschmack. Den Fisch spuckte ich auf die Straße und kaute nur das Brot. Ob Sue schon schlief? Warum fuhr ich nicht zu ihr? Vielleicht war sie noch wach? Es musste doch möglich sein, ihr ein Zeichen zu geben. Mit einer Taschenlampe oder Klopfzeichen.

„Oh nein“, den hatte ich ja ganz vergessen. Ich zog das feuchte Taschentuch aus meiner Manteltasche und wickelte es auseinander. Reglos lag mein kleiner Freund darin. „Das hab’ ich nicht gewollt. Wirklich nicht.“

Ich kaufte eine Flasche Mineralwasser, steckte ihn hinein und schüttelte alles ordentlich durch, die Kohlensäure würde ihn schon wieder zum Leben erwecken. Ich trat an einen Gully und goss den Inhalt in die Kanalisation. Mit ein bisschen Glück würde er den Weg in die Themse finden und wäre in Freiheit. Wir kämpfen doch alle um unsere Freiheit und niemand kann uns eine Garantie dafür geben, dass wir sie jemals erlangen werden. Warum sollte es ihm anders gehen? sinnierte ich vor mich hin und trank noch einen Orangensaft.

Aber hatte ich ihn nicht einfach nur aus seiner sicheren Umgebung entführt und damit dem sofortigen Tod überantwortet? Redete ich mir nicht alles nur schön? Von wegen Freiheit. Selbstbestimmtes Leben und so. Ich musste Vernunft annehmen Jetzt sofort!

Es war nicht zum Aushalten: ich wurde immer menschlicher.

Ich zahlte, lief zum nächsten Taxistand, fuhr nach Hause und legte mich aufs Ohr.

Es war halb acht, als ich erwachte. Ich drückte mich in den Handstand, ging kopfüber ins Bad, setzte mich aufs Klo und nahm anschließend eine heiße Dusche. Genüsslich frottierte ich mich ab, putzte mir die Zähne, ging kopfüber zum Telefon und wählte mit den Füßen Lilis Nummer. Um diese Zeit machte sie immer ihr Morgenyoga, indische Turnübungen, und dabei wollte ich sie ein bisschen stören. Ich hörte das Freizeichen.

„Wer da?“ Ich traute meinen Ohren nicht. „Wer ist denn da?“ fragte der Teilnehmer am anderen Ende der Leitung. Ich ließ mich auf die Füße fallen. Das war doch nicht etwa? Ich meldete mich besser nicht. „Bist du es, Pedro? Wenn du es bist, ruf hier bloß nicht mehr an! Sonst gibt’s Ärger, verstanden!“ Dann legte er auf. Seit wann können Katzen ans Telefon gehen? Und woher wusste er, dass ich der Anrufer war?

Wenn ich unterwegs noch etwas frühstücken wollte, musste ich los, denn in der Kantine gab es nur Donuts und Spiegelei mit Speck und ähnliches, ungenießbares Zeug. Ein typisch englisches Frühstück eben.

Ich warf mir meinen Mantel über, er war vom Regen noch feucht, zog die triefend nassen Schuhe an und verließ meine Wohnung. Kalter Morgennebel hüllte mich ein und machte mich unsichtbar. Gut so.

Ich fuhr durch die halbe Stadt bis Holborn, schaute kurz aus dem Bahnhof heraus, ob nicht irgendwo ein Gemüsehändler zu sehen war, bestieg die Tube Richtung Cockfosters, wechselte Kings Cross in den Bus und fuhr ein paar Minuten später durch die Gosset Street. „Was sollte das?“ fragte ich mich. Mit fast schlafwandlerischer Sicherheit landete ich in der Gosset. Ich wollte mir einen Salatkopf zum Frühstück kaufen, in London gab es Tausende Gemüsehändler und ich fuhr durch die halbe Stadt, um in einer abgelegenen Nebenstrasse einen Salat zu kaufen. Mein Puls beschleunigte sich, als ich an Hawkins Geschäft vorbeiging. Um diese Zeit war es, wie üblich, noch geschlossen und das Ladeninnere nicht einzusehen. Vor einem Gemüsehändler blieb ich stehen, kaufte mir Chicoree und biss hinein.

Sprühregen setzte ein. Ich ging zur Tierhandlung zurück und versuchte durch die beschlagene Scheibe in das Geschäft zu sehen. Ich klopfte dagegen, nichts war zu hören oder zu sehen. Ich klopfte heftiger und, war das nicht etwa Hawkins? Ich sprang einen Schritt zurück, er musste mich gesehen haben und war sofort wieder verschwunden. Unsinn, die Scheibe war verdreckt und beschlagen und es war unmöglich, etwas zu erkennen. Ich lief auf die andere Straßenseite, betrat einen chinesischen Imbiss und bestellte mir einen Tee. Ich riss ein paar Blätter vom Salat ab und stopfte sie mir in den Mund. Ich schaute auf die Uhr. Es war bereits neun, ich musste zur Arbeit. Ich bestellte den Tee wieder ab und eilte zur Untergrundbahn.

Klamm und schwer hing mein Mantel an mir herunter, als ich eine Stunde zu spät das rot verputzte Gebäude der Krankenkasse betrat. Ich grüßte den Pförtner mit einem Kopfnicken und fuhr mit dem Fahrstuhl in die vierte Etage. Auf dem Gang traf ich den Bürovorsteher: „Guten Morgen, Mister Salomon, ich werde die Stunde nacharbeiten.“

„Schon gut, schon gut.“

Auf meinem Arbeitsplatz lag noch ein Stapel unerledigter

Veränderungsmitteilungen und gleich würde der Bote einen neuen bringen. Aber mehr als das tägliche Pensum von 9 bis 15 Uhr hielt ich einfach nicht aus. Dazu verbrachte ich die meiste Zeit mit dösen. Wozu sollte ich mich auch anstrengen? Mein Gehalt war mir sicher, denn wir wurden nicht nach Leistung bezahlt. Manchmal zischte Lili: „Pedro, Mister Salomon“, dann stürzte ich mich für ein paar Minuten in die Arbeit und setzte, sowie er vorüber war, mein Nichtstun fort. Meistens aber ging ich in der Mittagspause von Tisch zu Tisch und mischte den Kollegen meine Arbeiten unter oder ich spülte sie einfach in der Toilette runter. Wenn Lili fertig war, spielten wir „Vier gewinnt“ oder Rommé. In „Rommé“ hatte sie keine Chance.

Lili musterte mich von oben bis unten, als sie mich kommen sah. „Du holst dir noch eine Erkältung? Soll ich dir einen Tee machen?“

„Danke, aber ich muss mit dir reden“, antwortete ich und entdeckte, dass ich eine feuchte Spur, auf dem billigen Teppichboden, hinterlassen hatte.

„Klar, du kannst mit mir über alles reden.“

„Ich habe vor einer Woche einen Allergietest gemacht und du darfst das jetzt auf gar keinen Fall persönlich nehmen“. Ich machte eine lange bedeutungsvolle Pause. „Ich habe eine Katzenallergie und deshalb halte ich es hier nicht mehr aus. Verstehst du, wegen deines Katers halte ich es hier einfach nicht mehr aus.“

„Aber er war doch nur einmal hier!“

„Einmal war eben schon einmal zu viel!“

„Das tut mir so leid“, sagte sie und wendete sich wieder ihren Karteikarten zu. Sie ging einfach so zur Tagesordnung über? Ich hatte mir schon eine stärkere Entschuldigung gewünscht. Wenigstens hätte sie einen Teil meiner Arbeit übernehmen können.

„Pedro“, sagte sie und zog mich völlig unerwartet mit meinem Drehstuhl zu sich heran: „ich habe für alles Verständnis, du kannst mit mir über alles reden. Wenn du ein Problem hast, sprich mit mir, denn dass du etwas auf dem Herzen hast, das sieht man dir doch an.“

Ich wendete meinen Kopf ab, denn normalerweise hätte ich ihr für diese Frechheit meine Zähne gezeigt, instinktmäßig zur Abschreckung, aber sie roch irgendwie angenehm. Sie roch nach einer Blume, überlegte ich und schnupperte unwillkürlich an ihrem Busen.

„Du bist ja komisch“, sagte sie und drehte mich kurz hin und her.

Sie roch nach einer Blume, die bei uns im Busch wächst und nach der auch meine Mutter roch. Ganz unwillkürlich legte ich meinen Kopf an ihren Busen.

„Aber das geht doch nicht. Nicht hier im Büro.“

„Vielleicht sollten wir uns einmal auf einen Drink verabreden?“ schlug ich vor. „Wir arbeiten schon so lange zusammen und kennen uns noch kein bisschen.“

Punkt 15 Uhr saß ich in dem chinesischen Imbiss gegenüber der Tierhandlung. Ich hatte das Büro eine Stunde früher verlassen. „Wichtige Erledigungen!“ hatte ich Mister Salomon zugerufen. Für heute war die Sklaverei beendet. Ich bestellte mir eine Glasnudelsuppe. Wie konnte ich am Computer sitzen, während Sue gefangen war? Hinter der Eingangstür klemmte ein Schild „Open.“ Licht war im Geschäft wie üblich nicht zu sehen. Wahrscheinlich schlief Hawkins in seinem Sessel. War jetzt die Gelegenheit gekommen, sie zu befreien? Ein Held zu werden? Unsterblich zu werden? Aber Helden leben bekanntlich nicht allzu lange und was, wenn sie gar nicht mitkommen wollte oder schon längst verkauft worden war? Wenn sie sich wehrte und um Hilfe schrie? Schließlich hatte sie sich mit dem Fremden prima verstanden. „A Clockwork Orange ist auch mein Lieblingsfilm“, hatte sie gesagt und mich ignoriert. Zuerst einmal würde ich meine Suppe essen und dann weitersehen.

Ein Blitz zuckte durch die Wolkendecke, dass ich zusammenfuhr und wenn Hawkins recht haben sollte, meine Lebenserwartung rapide sank. Der Verkäufer sagte: „Keine Angst mein Herr, wir haben Blitzableiter.“

Da war sie wieder, die menschliche Arroganz, die Machtdemonstration. „Wir haben Blitzableiter.“ Ich klammerte mich an meinem Stuhl. „Ganz ruhig Pedro, ganz ruhig. Es ist nichts als ein Gewitter. Auch Menschen haben Angst vor Gewittern“, sprach ich zu mir selbst. Es blitzte wieder. Ich zitterte am ganzen Körper, rutschte von meinem Stuhl herunter und nahm unter dem Tisch Deckung.

„Sie haben große Angst.“

„Nein, hab ich nicht.“

Schon zuckte der nächste Blitz auf. Ich durfte aber nicht unter dem Tisch hocken bleiben und versuchte aufzustehen, versuchte halbwegs normal zu wirken, lässig das Gewitter zu betrachten und dabei entspannt zu essen. Ich umschloss die Schüssel, aber meine Hände zitterten so, dass ich den Inhalt verschüttete. Leck jetzt bloß nicht die Suppe auf, befahl ich mir. Dann der ohrenbetäubende Donner. Ich nahm den Löffel und versuchte so ruhig wie möglich, den Rest der Suppe zu verzehren. Der Verkäufer hinter seinem Tresen beobachtete mich, das konnte ich spüren. Wir Primaten fassen solch ein Angestarrtwerden als Bedrohung auf, und genau das war es auch, da gab ich mich keiner Illusion hin. Noch ein paar Minuten Blitz und Donner und der Verkäufer würde mich gefangen nehmen und mir das Fell abziehen - schließlich galt ich bei seinem Volk als Delikatesse.

So wie der nächste Blitz aufzuckte, zuckte auch ich zusammen und stieß dabei die Schüssel um. Ich sprang auf, und mit einem Satz war ich bei dem aufdringlichen Verkäufer. Was er mich so anglotze, schrie ich ihn an. Er solle sich gefälligst um seinen Job kümmern und seine Gäste in Ruhe lassen. Er verschwand, kam mit Eimer und Lappen zurück und wischte den Boden auf.

Ich hatte meine Angst besiegt und einen Menschen in die Flucht geschlagen. Ich verließ den Imbiss, lief durch den einsetzenden Regen und begann von Gehwegplatte zu Gehwegplatte zu hüpfen. Dancing in the rain, sang ich vor mich hin und betrat eine Telefonzelle. Musste ich jetzt noch Angst vor Hawkins haben? Ich sollte den Laden mal ein bisschen auseinandernehmen, auf den Kopf stellen. Es würde sicher so einiges an illegalen Machenschaften dabei herauskommen.

Ich hob ab und rief ihn an.

„Thatcher und Hawkins.“

Ich sei auf der Suche nach etwas Ausgefallenem, sprach ich, „Hätten Sie nicht einen Bewohner der Regenwälder, ein seltenes Exemplar, irgendwie eine schillernde Persönlichkeit?“

„Eine Persönlichkeit? Hm, ich könnte Ihnen ein paar Meerschweinchen anbieten. Fische und Kanarienvögel haben wir natürlich auch, alles erstklassige Ware.“

„Fische und Kanarienvögel interessieren mich nicht!“

In welche Richtung denn mein Interesse ginge, erkundigte er sich.

Ich sei auf dem Gebiet der Verhaltensforschung tätig und auf der Suche nach einer Gefährtin, einer Freundin.

Hawkins schwieg.

Ob er eine Äffin im Angebot habe?

„Nein Sir, ich bin doch keine Partnervermittlung. Das Artenschutzgesetz erlaubt den Handel mit Primaten auch nicht mehr. Ja früher, das waren noch Zeiten!“ sagte er und kicherte, „aber diese Zeiten sind vorbei!“

Sollte ich diesem Lügner nicht die Tierschützer auf den Hals hetzen? Aber wenn Sue noch im Geschäft war, würden die sie zwar befreien, aber wiedersehen würde ich sie dann garantiert nicht mehr, denn Tierschutz bedeutete im besten Fall, dass sie zurück geschickt wurde.

„Kann ich noch etwas für sie tun?“

„Danke“, antworte ich und hängte ein, als ich- der verfluchte Schrecken fuhr mir in die Glieder und kostete mich schon wieder ein Jahr Lebenszeit- den Staffordshire Bullterrier sah. Schnüffelnd, die Nase dicht über dem Trottoir, lief er direkt auf mich zu. Er hatte doch nicht etwa meine Witterung aufgenommen? Ich ging in die Hocke und suchte Schutz hinter der Sichtblende. Wenn ich Glück hatte, lief er vorbei. Lief er aber nicht, sondern blieb direkt vor der Telefonzelle stehen. „Hab’ ich dich endlich aufgespürt“, knurrte er und versuchte, mit seinen Pfoten die Tür zu öffnen.

„Lass uns reden.“

„Zum Reden war genug Zeit.“

Ich setzte mich auf die Ablage, hielt mit den Füßen die Tür zu und wählte den Notruf.

„Du erkältest dich bei dem Wetter.“

„Red keinen Unsinn und komm raus!“

„Ich weiß ja nicht einmal deinen Namen.“

„Brauchst du auch nicht. Komm raus, du Feigling.“

„Hallo“, meldete sich eine freundliche Stimme am anderen Ende der Leitung.

„Ich werde von einem Kampfhund bedroht und habe mich in eine Telefonzelle geflüchtet.“

„Du alarmierst doch nicht etwa die Polizei, wuff?“

„Wo befindet sich die Telefonzelle?“

„In der Gosset Street.“

„Wie viele Hunde sind es denn?“

„Es ist nur einer.“

„Aber es können mehr werden. Seien Sie vorsichtig! Ich schicke ihnen vorsichtshalber eine Streife vorbei.“

Ich hängte ein und wählte den Taxiruf. Der Staffordshire Bullterrier war nicht mehr da, er hatte sich bestimmt, was blieb ihm auch weiter übrig, versteckt. Ein paar Minuten später hielt ein Taxi vor der Telefonzelle und kaum hatte ich sie verlassen, sprintete er auch schon los. Hinter einem Papierkorb hatte er gewartet, wie einfallslos, doch bevor er seine Zähne in meine Waden schlagen konnte, schlug ich ihm die Türe vor der Nase zu. Glück gehabt. „Fahren Sie mich nach Chelsea zum Sloane Square und wenn Sie unterwegs ein Blumengeschäft sehen, halten Sie bitte.“ Sein mieses Gekläff interessierte mich nicht, ist es nicht wert, auch nur ein Wort darüber zu verlieren.

Mit einem Strauß Margariten stand ich vor Lilis Tür. Es roch penetrant nach Kater, überall hatte er seine Duftmarken gesetzt.

In einem gelben Sari, eine Art seidiger Morgenmantel, öffnete sie die Tür. Der Kater tat ahnungslos und strich ihr um die Beine. Sie bedankte sich für die Blumen und presste mich freudig an ihren Busen. Sie roch wieder so gut und so drückte ich meine Nase dazwischen und sog den Duft tief ein.

Lili hatte ein kleines, orange gestrichenes Ein-Zimmer-Appartement. In einer Vitrine standen Fotos. Sie mit ihren Eltern, mit Kater, als kleines Mädchen mit Schulklasse und Freunden. Ich würde mir vom Flohmarkt auch ein paar Familienfotos zulegen müssen, der besseren Tarnung wegen. Sie bot mir Tee an und sagte, dass sie froh sei, dass ich gekommen bin, denn ich mache ihr wirklich Sorgen. Sie streckte ihre Arme aus und drückte mich erneut an sich. Nur zu gern ließ ich es geschehen.

Wir kochten Mangos in Kokosnuss. Natürlich knackte ich die Kokosnuss mit meinen bloßen Händen. Lili staunte nicht schlecht und erzählte mir, dass sich Mister Salomon in der Kantine das Hemd bekleckert hatte und da er in den vergangen Tagen nicht dazu gekommen war, seine Wäsche zu bügeln und folglich nichts zum Wechseln dabei hatte, er den ganzen Nachmittag im schmutzigem Hemd herumlaufen musste.

Beim Essen erzählte ich ihr- sie hatte extra für mich ihr kostbares Porzellan, ein Erbstück, wie sie sagte, aufgedeckt-, dass mein Vater an Ebola gestorben sei und meine Mutter nach einem schweren Verkehrsunfall im Rollstuhl sitze, ich sie deshalb unterstützen müsse und später einmal, wenn ich genug Geld gespart hätte, Kunst studieren wollte.

Lili hörte aufmerksam zu, sagte aber kein Wort.

„Kann ich noch eine Tasse Tee haben?“ fragte ich. Schweigend schenkte sie mir nach. Das Wetter, versuchte ich ein bisschen Konversation, sei nicht schön, aber zeitgemäß. Langsam leerte sie ihre Tasse. „Von deinen Lügen wird mir ganz schlecht und wenn du nicht sofort aufhörst, sondern auspackst, endlich sagst, was mit dir los ist, setze ich dich sofort vor die Tür. Damit das klar ist!“

Schön, dachte ich und trank, um etwas Zeit zu gewinnen, einen Schluck. „Aber ob du aber auch die Wahrheit vertragen kannst?“ begann ich verhalten.

„Das lass mal meine Sorge sein“, unterbrach sie mich energisch.

Gut, du willst es nicht anders haben, dachte ich und erzählte ihr, dass ich Musiker und Fernsehstar war. Dass ich in einer Tierhandlung Sue kennen gelernt, ich mich wahrscheinlich verliebt hatte und von einem Kampfhund verfolgt wurde. Ich weiß nicht, wie lange sie mich schweigend ansah, aber schließlich, nachdem ich meinen Nachtisch verdrückt hatte, es war kein Pudding, sondern Vanilleeis mit Erdbeeren, nahm sie mich wieder in die Arme und drückte mich an sich. Natürlich nutzte ich die Gelegenheit aus und steckte meine Nase zwischen ihren Busen. Sie hatte eben diesen Geruch an sich und so saßen wir und hielten uns in den Armen.

Am nächsten Morgen erwachte ich in der Küche. Sie hatte mich auf eine hölzerne Bank gelegt. Keine Zudecke, kein Kopfkissen, nichts. Ich stand auf, inspizierte den Kühlschrank und aß einen Apfel.

„Schmeckt es Dir? Lili stand in der Tür. Sie kam herein und setzte Wasser auf.

Aufrichtigkeit sei für sie das A und O, sagte sie, nahm ein Sieb und füllte Tee hinein. Ich hätte ihre Gastfreundschaft missbraucht und sie den ganzen Abend über belogen. Das Parfüm sei ein Geschenk ihrer Mutter gewesen und jetzt wäre es wirklich besser, wenn ich gehen würde.

„Was denn für ein Parfüm?“

„Tu doch nicht so!“

Ich wusste es wirklich nicht, hatte aber eine böse Ahnung.

„Das Parfüm, das ich heute früh benutzen wollte, eine halbe Stunde gesucht, und schließlich in deiner Manteltasche gefunden habe.“

Das konnte nur der Kater gewesen sein. Wie auf Kommando erschien er in der Küche, setzte sich auf die Hinterbeine und leckte sich seine Vorderpfote.

Ich weiß auch nicht, aber auf einmal hatte ich so ein komisches Bild: Ich trage eine eiserne Uniform, eine Rüstung vielleicht, ich schwinge ein Schwert und hacke dem Katzenvieh die Pfote ab. Die Diebespfote.

Sollte ich Lili die Wahrheit sagen? Würde sie mir glauben, dass das miese Katzenstück den Flakon in meine Manteltasche gesteckt hatte? Ziemlich unwahrscheinlich.

Ob sie mir den Blumenstrauß zurückgeben könnte, fragte ich. Bekam aber keine Antwort.

Margariten schmecken sehr gut, erklärte ich, und da ich von ihr ja wohl kein Frühstück zu erwarten hatte, würde ich gern die Margariten essen. Sie holte die Blumenvase und stellte den Strauß auf den Tisch.

„Hast du Erdnussbutter im Haus?“

Sie stellte ein Glas dazu.

Ich schmierte die Margariten damit ein und ließ es mir schmecken.

Schweigend starrte sie mich an.

Auf dem Weg zur Tube fing es zu schneien an. Ich hatte Schnee ja noch nie gesehen und hüpfte den Flöckchen entgegen. Sie schmeckten bitter, doch ich mochte es, wenn sie auf der Zunge schmolzen. Ein Passant warf mir eine Münze vor die Füße, wahrscheinlich hielt er mein Hüpfen für Straßentheater, eine Art Performance.

Vor einer Pfütze wartete ich, bis ein paar Passanten vorbeikamen, und spritzte sie nass. Sie regten sich furchtbar darüber auf und einer lief mir sogar nach und drohte mir mit dem Regenschirm, aber ihr Schimpfen bereitete mir keine Freude mehr.

Wozu und für wen sollte ich mich in der Krankenkasse noch weiter abmühen? Für den Fall, dass ich einen menschlichen Freund fand, er mir Glauben schenkte, war das doch die größte Gefahr für mich. Es machte alles keinen Sinn mehr, überlegte ich. Ich war allein und meine Sachen bis auf die Unterwäsche durchnässt. Frierend stellte ich mich an den Straßenrand, musste Husten, hielt ein Taxi an und fuhr zu Hawkins.

Er war gerade mit Fischefüttern beschäftigt und machte große Augen als er mich sah.

„Welche Ehre für mich, Sie in meinem Geschäft begrüßen zu dürfen!“

Er kam auf mich zu und streckte mir, indem er seinen Oberkörper leicht zurückschob, seine Rechte entgegen.

„Ist sie noch hier.“

„Ich verstehe nicht ganz!“

„Die Primatin, dort hinten im Käfig. Ist sie noch hier?“

„Ach so. Nein, sie ist leider abgereist.“

„Machen Sie doch keine Witze.“

„Es war ihre freie Entscheidung, ich habe sie nicht gezwungen. Aber nehmen Sie doch bitte Platz, ich bin gleich zurück, ich muss nur kurz telefonieren.“

„Warten Sie“, rief ich ihm nach und musste schon wieder Husten, „Sie brauchen die Polizei nicht zu verständigen, sie brauchen mich auch nicht einzufangen, zu betäuben oder sonst wie kampfunfähig zu machen, denn ich mache Ihnen ein Angebot, das Ihnen gefallen dürfte.“