Kitabı oku: «Wirtschaftsvölkerrecht», sayfa 11

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Anmerkungen

[1]

BGBl. 1994 II, S. 1625; ABl. 1994 L 336/3 = Sartorius II, Nr. 500 = WTO Beck-Texte, Nr. 1 = Völker- und Europarecht, C.F. Müller, Nr. 100.

[2]

Dazu unten Rn. 438 ff.

[3]

Dazu unten Rn. 497 ff.

[4]

Dazu oben Rn. 175 ff.

[5]

Vereinbarung zur Auslegung des Artikels II Absatz 1 Buchstabe b) des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens 1994, Vereinbarung zur Auslegung des Artikels XVII des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens 1994 (Staatshandelsunternehmen), Vereinbarung über Zahlungsbilanzbestimmungen des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens 1994, Vereinbarung zur Auslegung des Artikels XXIV des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens 1994, Vereinbarung über Befreiungen von Verpflichtungen nach dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen 1994 („waiver“), Vereinbarung zur Auslegung des Artikels XXVIII des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens 1994, Vereinbarung zur Auslegung des Artikels XXXV des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens 1994.

[6]

Dazu unten Rn. 366 ff.

[7]

Dazu unten Rn. 384 ff.

[8]

Dazu unten Rn. 403 ff.

[9]

Dazu unten Rn. 414 ff.

[10]

Dazu unten Rn. 425 ff.

[11]

Dazu oben Rn. 207.

[12]

Dazu unten Rn. 240 ff.

[13]

Das DSU gilt für plurilaterale Übereinkommen nur, wenn die Mitglieder dieser Übereinkommen einen dahingehenden Beschluss gefasst haben (siehe Appendix 1 des DSU).

[14]

Dazu Teil 1 Rn. 70.

Teil 2 Welthandelsrecht › IV. Allgemeines WTO-Recht › 2. Institutionelles Recht

2. Institutionelles Recht

Ausgangsfall

Zur Vorbereitung für die nächste WTO-Ministerkonferenz soll im Allgemeinen Rat der Entwurf für ein Abschlussdokument verabschiedet werden. Über weite Teile des Textes besteht Einigkeit unter den Mitgliedern der WTO. Eine Reihe von Entwicklungsländern äußern jedoch Bedenken und Kritik an einer Textpassage zu den Verhandlungen im Landwirtschaftssektor. Nach ihrer Meinung wird darin zu wenig auf die Belange der Entwicklungsländer Rücksicht genommen. Nach informellen Konsultationen mit einigen der Kritiker schlägt der Vorsitzende des Allgemeinen Rates eine Kompromissformulierung vor, die in der folgenden Aussprache allerdings immer noch von vier Ländern, darunter Indien, kritisiert wird.

Am Ende der Aussprache fragt der Vorsitzende die Mitglieder des Allgemeinen Rates, ob über seinen Vorschlag Konsens bestehe. Mit Ausnahme von Indien äußert sich kein anwesendes WTO-Mitglied ablehnend.

Der Vorsitzende stellt darauf hin fest, dass ein Konsens nicht erreicht werden könne und schlägt vor, über seinen Vorschlag abstimmen zu lassen. Dagegen protestiert Indien in scharfer Form, weil dadurch die geltende Praxis der Entscheidungsfindung im Konsens verletzt würde. Gleichwohl ordnet der Vorsitzende eine Abstimmung an. Der Vorschlag wird mit 75 gegen 3 Stimmen bei 2 Enthaltungen angenommen.

War das Verhalten des Vorsitzenden rechtmäßig?

a) Rechtsstellung und Mitglieder der WTO

219

Die WTO ist eine internationale Organisation, die nach Artikel VIII des WTO-Übereinkommens Rechtsfähigkeit besitzt. Sie ist somit ein eigenständiges Völkerrechtssubjekt.[1] Der Sitz der WTO ist in Genf.

220

Die WTO ist keine UN-Sonderorganisation. Die Verhandlungsführer der Uruguay-Runde haben bei Gründung der WTO – aus politischen Gründen – darauf verzichtet, die WTO formell in die UN-Familie zu integrieren. Damit sind sie der Tradition des GATT 1947 gefolgt, das ebenfalls außerhalb der UN-Familie stand. Während diese Entscheidung zu Zeiten des GATT noch mit dessen umstrittener Organisationseigenschaft und einer bis Mitte der 1980er Jahre begrenzten Mitgliederzahl gerechtfertigt werden konnte, steht nunmehr eine globale Wirtschaftsorganisation außerhalb des rechtlichen Rahmens der Vereinten Nationen. Die WTO unterhält allerdings besondere Beziehungen zur UN und zu einigen UN-Sonderorganisationen, insbesondere zum IWF, zur Weltbank und zur UNCTAD. Aus diesem Grunde dürfte die Stellung der WTO außerhalb des UN-Systems eher von symbolischer Bedeutung sein, da sich durch den formalen Charakter einer UN-Sonderorganisation kaum praktische Veränderungen gegenüber der gegenwärtigen Situation ergäben.

221

Zurzeit zählt die WTO 164 Mitglieder (Stand Oktober 2020).[2] Mitglieder der WTO können nicht nur Staaten sein, sondern auch selbstständige Zollgebiete, sofern sie volle Autonomie über ihre Außenwirtschaftsbeziehungen besitzen (z.B. Hong Kong), Art. XII:1 WTO-Übereinkommen.

222

Die Europäische Union (ursprünglich: die Europäischen Gemeinschaften)[3] ist neben ihren 28 Mitgliedstaaten gem. Art. XI:1 WTO-Übereinkommen ebenfalls eigenständiges Mitglied der WTO. Bei Abstimmungen[4] übt entweder die EU ihr Stimmrecht aus, die dann über so viele Stimmen verfügt, wie sie Mitgliedstaaten hat oder die EU-Mitgliedstaaten stimmen selbst ab, was eine Stimmabgabe durch die EU ausschließt (Art. IX:1 WTO-Übereinkommen).

223

Bei Abschluss der Uruguay-Runde war zwischen den Mitgliedstaaten und der damaligen EG, insbesondere der Kommission, umstritten, ob die EG die ausschließliche Kompetenz zum Beitritt zur WTO hatte oder ob eine geteilte Kompetenz von EG und Mitgliedstaaten bestand. Im Wesentlichen drehte sich der Streit um den Umfang des Begriffs „gemeinsame Handelspolitik“ in Art. 207 AEUV (ex-Art. 133 EGV). Der EuGH entschied in Gutachten 1/94 (WTO), dass die EG und ihre Mitgliedstaaten das WTO-Übereinkommen gemeinsam abschließen und unterzeichnen mussten, da die EG zwar ausschließlich für den Warenhandel zuständig sei, im Bereich der Dienstleistungen und den handelsbezogenen Aspekten des geistigen Eigentums die Mitgliedstaaten jedoch in erster Linie zuständig waren.[5] Es handelt sich bei dem WTO-Übereinkommen somit um ein gemischtes Abkommen.[6]

224

Die WTO-Amtssprachen sind Englisch, Französisch und Spanisch. Das WTO-Übereinkommen ist auch nur in diesen Sprachen verbindlich. Die im Bundesgesetzblatt und im Amtsblatt der EU verwendete deutsche Fassung ist keine amtliche Übersetzung. Da die deutsche Fassung der WTO-Texte auch teilweise fehlerhaft und missverständlich ist, sollten für eine exakte Lösung von Rechtsfragen stets die authentischen Fassungen herangezogen werden.

Anmerkungen

[1]

Siehe dazu Teil 1 Rn. 54 f.

[2]

https://www.wto.org/english/thewto_e/whatis_e/tif_e/org6_e.htm.

[3]

Sowohl die Europäische Union (EU) als auch die Europäische Atomenergiegemeinschaft sind formal WTO-Mitglieder. Aus Praktikabilitätsgründen wird im Folgenden jedoch nur von der EU gesprochen.

[4]

Zu Bedeutung von Abstimmungen siehe unten Rn. 236.

[5]

EuGH, Gutachten 1/94, Slg. 1994, I-5267. Mit der früher gültigen Fassung des Art. 133 EGV (Fassung des Vertrags von Nizza) haben die Mitgliedstaaten auf diese Entscheidung reagiert und grundsätzlich eine ausschließliche Zuständigkeit der EG für alle drei Bereiche begründet. Im Dienstleistungshandel besteht allerdings eine gemischte Kompetenz für einige besonders sensible Sektoren (Gesundheit, Bildung, Soziales, Kultur und audiovisuelle Dienstleistungen). Der Vertrag von Lissabon hat diese Ausnahme aufgegeben und überträgt alle Bereiche des Dienstleistungshandels und der handelsbezogenen Aspekte des Schutzes geistiger Eigentumsrechte in die ausschließliche Kompetenz der EU, Art. 207 Abs. 1 AEUV.

[6]

Dazu Streinz, Europarecht, 11. Aufl., 2019, Rn. 1279.

b) Organe der WTO

225

Die WTO verfügt über eine relativ einfache Organstruktur, die sich aus der Organstruktur des GATT 1947 entwickelt hat.[1] An ihrer Spitze steht die Ministerkonferenz. Der Allgemeine Rat ist das ständig tagende Beschlussorgan. Daneben existieren verschiedene weitere Räte, Ausschüsse und Arbeitsgruppen. Die WTO verfügt auch über ein Sekretariat unter Leitung des Generaldirektors, das sich aus organisationseigenen Bediensteten zusammensetzt. Ein Exekutivausschuss oder Lenkungsgremium existiert in der WTO ebenso wenig wie eine parlamentarische Versammlung.

226

Die Ministerkonferenz (= Ministerial Conference) ist das höchste Organ der WTO und tritt mindestens alle zwei Jahre zusammen, um die Entwicklung des Welthandels politisch zu koordinieren, Art. IV:1 WTO-Übereinkommen.[2] Sie setzt sich regelmäßig aus den Wirtschafts- oder Handelsministern der WTO-Mitglieder zusammen. Die Ministerkonferenz ist für alle Fragen, die multilaterale Übereinkommen betreffen, zuständig und kann hierzu Beschlüsse fassen. Die Ministerkonferenz ernennt den Generaldirektor der WTO und legt dessen Amtszeit, Aufgaben und Befugnisse fest. Die Ministerkonferenz entscheidet über die Aufnahme neuer Mitglieder (Art. XII:2 WTO-Übereinkommen). Sie hat schließlich die Kompetenz, das WTO-Übereinkommen und die multilateralen Handelsübereinkommen verbindlich auszulegen (Art. IX:2 WTO-Übereinkommen).

Figur 3:

Organstruktur der WTO[3]


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227

Der Allgemeine Rat (General Council) nimmt die Aufgaben der Ministerkonferenz zwischen deren Tagungen wahr (Art. IV:2 WTO-Übereinkommen) und kommt regelmäßig einmal monatlich zusammen. Er ist das zentrale Organ der WTO und kann über alle die Organisation betreffenden Fragen (Beitritte, Ausnahmegenehmigungen, Beziehungen zu den zwischenstaatlichen und nichtstaatlichen Organisationen) entscheiden. Der Allgemeine Rat genehmigt den Jahreshaushalt der WTO (Artikel VII WTO-Übereinkommen) und kann ebenfalls verbindliche Auslegungsentscheidungen treffen (Art. IX:2 WTO-Übereinkommen). Er tritt außerdem als Streitbeilegungsgremium (Dispute Settlement Body, DSB) bzw. als Organ zur Überprüfung der Handelspolitiken (Trade Policy Review Body, TPRB) zusammen, Artikel IV:3 und 4 des WTO-Übereinkommens.

228

Unter Leitung des Allgemeinen Rats sind drei weitere, spezielle Räte tätig, die den drei „Säulen“ des WTO-Übereinkommens zugeordnet sind (Rat für den Handel mit Waren, Rat für den Handel mit Dienstleistungen und Rat für handelsbezogene Aspekte der geistigen Eigentumsrechte). Gemäß Artikel IV:5 des WTO-Übereinkommens überwachen sie die Wirkungsweise der jeweiligen Übereinkommen. Die Aufgaben der Haupträte ergeben sich aus den jeweiligen Abkommen oder werden vom Allgemeinen Rat festgelegt.

229

Dem Allgemeinen Rat, dem Rat für Warenhandel und dem Rat für Dienstleistungshandel sind eine Reihe von Ausschüssen (committees) und Arbeitsgruppen (working groups/working parties) untergeordnet. Einige haben thematisch übergreifende Aufgabenfelder (z.B. Ausschuss für Handel und Umwelt, Ausschuss für Handel und Entwicklung), andere sind auf bestimmte Aspekte eines Übereinkommens beschränkt (z.B. die Arbeitsgruppe zu innerstaatlicher Regulierung nach Art. VI:4 GATS). Sie erarbeiten Empfehlungen und Vorschläge für die Ministerkonferenz, den Allgemeinen Rat und die speziellen Räte.

230

In allen Organen der WTO sind sämtliche WTO-Mitglieder vertreten (Plenarorgane). Die WTO verfügt über keine Organe mit begrenzter Mitgliederzahl, wie z.B. die Vereinten Nationen. Dieses Prinzip dient einer egalitären Repräsentation in den WTO-Organen und ist von den Organen des GATT 1947 übernommen worden. Es entspricht dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten.[4]

231

In der Realität zeigt sich allerdings, dass nicht alle Mitglieder an der Entscheidungsfindung in den Organen in gleichem Umfang teilnehmen können, weil ihnen die personellen Ressourcen dazu fehlen. Insbesondere die am wenigsten entwickelten Entwicklungsländer (LDCs) verfügen nicht über ausreichend Personal in ihren diplomatischen Vertretungen, um an allen Sitzungen der verschiedenen WTO-Organe teilnehmen zu können. Einige Staaten verfügen nicht einmal über eine ständige diplomatische Vertretung am Sitz der WTO in Genf.

232

Das WTO-Sekretariat besteht aus ca. 620 Bediensteten und ist für eine internationale Organisation ein eher kleines Sekretariat (zum Vergleich: Das UN-Sekretariat hat ca. 44.000 Bedienstete in aller Welt). Die Aufgabe des Sekretariates besteht in der technischen und organisatorischen Unterstützung der WTO-Organe einschließlich der Streitbeilegungsorgane bei der Erfüllung ihrer Aufgaben und in der Sicherstellung der organisatorischen Struktur der WTO. Eine besondere Einheit des Sekretariats dient der Unterstützung des Appellate Body.

233

Das Sekretariat wird von einem Generaldirektor geleitet.. Dem Generaldirektor kommen einige Funktionen im Rahmen der Streitbeilegung zu. Im Übrigen ist sein formeller Einfluss auf die WTO-Praxis gering. Durch persönliches Engagement kann er jedoch insbesondere bei Verhandlungen eine wichtige praktische Rolle spielen. So kann er z.B. versuchen, in schwierigen Verhandlungssituationen neue Impulse zu geben oder die Kompromisssuche zu erleichtern. Sowohl der Generaldirektor als auch das Sekretariat sind gemäß Artikel VI:4 WTO-Übereinkommen an Weisungen nicht gebunden. Von 2013 bis 2020 bekleidete der brasilianische Diplomat Roberto Azevêdo das Amt des Generaldirektors der WTO. Nach langwierigen Verhandlungen einigten sich die WTO-Mitglieder Anfang 2021 auf die ehemalige nigerianische Finanzministerin Ngozi Okonjo-Iweala als seine Nachfolgerin.

Anmerkungen

[1]

Dazu oben Rn. 178 ff.

[2]

Vgl. die Übersicht über die bisherigen Ministerkonferenzen oben Rn. 194 ff.

[3]

Organigramm nach einer Darstellung auf der Internetseite der WTO. Siehe http://www.wto.org/english/thewto_e/whatis_e/tif_e/org2_e.htm.

[4]

Dazu Teil 1 Rn. 92.

c) Entscheidungsfindung und Beschlussfassung

234

Grundregel der Beschlussfassung in der WTO ist, dass eine Entscheidung im Konsens gefasst werden soll, Art. IX:1 WTO-Übereinkommen. Diese Praxis hat die WTO vom GATT 1947 übernommen (vgl. dazu auch Art. XVI:1 WTO-Übereinkommen[1]).

Artikel IX: Beschlussfassung

(1) Die WTO setzt die nach dem GATT 1947 übliche Praxis der Beschlussfassung durch Konsens fort. Falls ein Beschluss nicht durch Konsens gefasst werden kann, wird über die strittige Angelegenheit durch Abstimmung beschlossen, sofern nichts anderes vorgesehen ist. (…)

235

Der Begriff des Konsenses ist in einer Fußnote zu Art. IX WTO-Übereinkommen legaldefiniert. Danach gilt ein Beschluss als durch Konsens gefasst, „wenn kein auf der beschlussfassenden Tagung anwesendes Mitglied gegen den vorgeschlagenen Beschluss förmlich Einspruch erhebt.“ Diese Definition macht deutlich, dass der Begriff Konsens im WTO-Recht nicht mit Einstimmigkeit gleichgesetzt werden kann. Zum einen wird nur auf die anwesenden Mitglieder abgestellt. Zum anderen werden alle Stimmen als „Ja“-Stimmen gezählt, die sich nicht ausdrücklich gegen einen Vorschlag aussprechen.

Merke:

Konsens im WTO-Recht bedeutet nicht Einstimmigkeit, sondern lediglich, dass kein anwesendes Mitglied förmlich Einspruch erhebt.

236

Kann kein Konsens gefunden werden, wird gem. Artikel IX:1 S. 2 WTO-Übereinkommen durch Abstimmung beschlossen. Jedes Mitglied hat in der Ministerkonferenz und im Allgemeinen Rat je eine Stimme.[2] Bei Abstimmungen wird grundsätzlich durch einfache Mehrheit entschieden. Allerdings gelten teilweise besondere Mehrheiten: So ist für die authentische Interpretation des WTO-Rechts und die Befreiung von einer WTO-Verpflichtung durch einen waiver eine Dreiviertelmehrheit erforderlich (Art. IX:2 und 3 WTO-Übereinkommen). Die Aufnahme neuer Mitglieder bedarf einer Zweidrittelmehrheit (Art. X:1 WTO-Übereinkommen). Trotz der ausdifferenzierten Abstimmungsregeln finden in der WTO faktisch keine Abstimmungen statt. Vielmehr werden alle Entscheidungen grundsätzlich im Konsens getroffen. Die WTO folgt auch darin der Praxis des GATT 1947.

237

Auf den ersten Blick scheint das Konsensverfahren Mitglieder vor Entscheidungen gegen ihren Willen zu schützen und daher dem Souveränitätsprinzip zu dienen. Allerdings ist zu beachten, dass das Verfahren nur die tatsächlich anwesenden Mitglieder schützt. Kleinere Entwicklungsländer, die aufgrund einer geringen personellen Kapazität, nicht an allen Sitzungen teilnehmen können, sind an Konsensentscheidungen oft nicht beteiligt und können sie damit auch nicht verhindern.

238

Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass den Entscheidungen oft informelle Verhandlungen und Konsultationen vorausgehen (sog. „green room“-Prozesse), welche die Entscheidung faktisch vorwegnehmen. Diese informellen Verfahren sind problematisch, weil an ihnen oft nur wenige WTO-Mitglieder teilnehmen, deren Auswahl zudem wenig transparent ist. Auch insoweit sind kleinere Staaten und Entwicklungsländer in den tatsächlichen Entscheidungsverfahren der WTO benachteiligt.[3]

Lösungshinweise zum Ausgangsfall

Der Vorsitzende des Allgemeinen Rats hat zu Recht festgestellt, dass kein Konsens vorlag, da Indien förmlich gegen den Vorschlag Stellung bezog und somit seinen Einspruch dagegen deutlich machte. Ob er eine Abstimmung durchführen durfte, ist nicht eindeutig zu beantworten. Für die Rechtmäßigkeit des Vorgehens des Vorsitzenden könnte man argumentieren, dass Art. IX:1 S. 2 WTO-Übereinkommen gerade für derartige Fälle geschaffen worden sei. Abstimmungen sollen danach möglich sein, wenn auch nach intensivem Bemühen kein Konsens erzielt werden konnte. Unter Hinweis auf die die im GATT 1947 übliche Praxis (Art. XVI:1 WTO-Übereinkommen) könnte Indien dagegen argumentieren, dass eine einmalige Konsultation nicht ausreicht, sondern dass verstärkte Bemühungen um einen Konsens notwendig sind. Tatsächlich handhabt es die WTO in der Praxis so, dass bei fehlendem Konsens erneut informell beraten wird. Wie bei unüberbrückbaren Gegensätzen zu verfahren ist, ist nicht endgültig geklärt. In der Praxis vermeiden die WTO-Mitglieder in einem solchen Fall eine förmliche Entscheidung.

Anmerkungen

[1]

Siehe oben Rn. 165.

[2]

Zur Stimmenzahl der EU siehe oben Rn. 222.

[3]

Zu Reformüberlegungen siehe Rudisch, Die institutionelle Struktur der Welthandelsorganisationen (WTO): Reformüberlegungen, Halle 2002. Im Internet unter http://telc.jura.uni-halle.de/sites/default/files/altbestand/Heft2.pdf.

Teil 2 Welthandelsrecht › IV. Allgemeines WTO-Recht › 3. WTO-Streitbeilegung

3. WTO-Streitbeilegung

Ausgangsfall

Die EU-Bananenmarktordnung sieht Präferenzzölle und andere Sonderkonditionen für Bananen aus den sog. AKP-Staaten vor. Ecuador, Guatemala, Honduras, Mexiko und die USA sehen darin eine Verletzung verschiedener Bestimmungen des GATT und des GATS. Nach erfolglosen Konsultationen beantragen sie daher die Einsetzung eines Panels.

Die EU widerspricht dem Antrag der USA, da es den USA an einem berechtigten Interesse für ein Verfahren gegen die EU mangele. Die USA produzierten kaum einheimische Bananen. Jedenfalls exportierten sie derzeit keine einheimischen Bananen in die EU und hätten auch nicht behauptet, dies in absehbarer Zeit zu tun. Insofern mangele es ihnen an der Befugnis, eine Beschwerde zu erheben. Die EU begründet dies mit einem allgemeinen Grundsatz des Völkerrechts, wonach ein Staat vor einem internationalen Gericht oder Schiedsgericht stets eine besondere Klagebefugnis geltend machen müsse.

An dem Verfahren möchte Japan als Drittbeteiligter teilnehmen. Die EU widerspricht auch diesem Begehren. Wenn schon eine klagende Partei ein berechtigtes Interesse nachweisen müsse, gelte dies erst recht für einen Drittbeteiligten. Japan habe aber auch kein aktuelles Interesse an der Einfuhr eigener Bananen in die Gemeinschaft.

Ist die Beschwerde der USA zulässig und kann sich Japan als Dritter an dem Verfahren beteiligen?

Fall nach European Communities – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas, WT/DS27.

239

Die Streitbeilegung in der WTO wird von vielen Autoren als eigentlicher Erfolg der WTO gefeiert und als „Herzstück“ des WTO-Rechts bezeichnet.[1] Die Bilanz der WTO-Streitschlichtung ist in der Tat eindrucksvoll: Zwischen Januar 1995 und Dezember 2018 wurden insgesamt 573 Streitgegenstände anhängig gemacht.[2] In knapp 250 Fällen kam es zu einer rechtsverbindlichen Entscheidung des Panels oder Appellate Body. Die übrigen Verfahren wurden einvernehmlich gelöst, eingestellt oder dauern noch an. Die WTO-Streitschlichtung dürfte derzeit das effizienteste und effektivste völkerrechtliche Streitbeilegungsverfahren sein. Der Internationale Gerichtshof (IGH) hatte sich z.B. in der Zeit zwischen 1995 und Mitte 2020 lediglich mit 80 Streitfällen zu befassen.

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