Kitabı oku: «Das geschenkte Mädchen», sayfa 3
05 Eisiger Wind peitschte den Schneeregen über die Straße. Der Wetterdienst hatte Fön und Sonnenschein mit »für die Jahreszeit zu warmen Temperaturen« vorausgesagt. Von wegen! Pfeffer schlug den Kragen seines Mantels hoch, als sie sich dem Haus näherten. Es war noch früh am Morgen und er war schon seit Stunden auf den Beinen. Frühstück für die Kinder machen, eine halbe Stunde Joggen und ins Büro hetzen – so sah seit Monaten sein Sportprogramm aus – dann den Tagesablauf mit den Kollegen absprechen und die paar Personen abklappern, deren Namen in Westphals Filofax zu finden waren. Außer zwei Tassen Espresso und einem halben Päckchen Zigaretten hatte er noch nichts gefrühstückt. Wie fast jeden Morgen. Auch eine Möglichkeit, schlank zu bleiben.
Pfeffer zündete sich eine neue Zigarette an und sah zwei Gestalten nach, die durch die Graupelschauer die Straße hinunterwankten. Sie waren als Afrikaner verkleidet, schwarze Trikots mit Baströckchen und Lockenperücken. Vermutlich gab es die Kostüme beim Schnäppchenmarkt zum Sonderpreis. Die beiden erinnerten Pfeffer daran, dass Faschingszeit war. Das war an ihm bisher völlig vorbeigerauscht. War Weihnachten nicht erst vorgestern gewesen?
Er hatte sich noch nie etwas daraus gemacht, auch damals nicht, als er noch eine funktionierende Familie gehabt und seinen kleinen Kindern beim Kostümebasteln geholfen hatte. Nun fanden seine halbwüchsigen Söhne Fasching krass ätzend und konkret uncool. Gott sei Dank, dass sie nicht im Rheinland lebten, wo man dem Grauen nicht entgehen konnte.
»Gehst du mit deiner Irene auf Fasching?«, fragte er seinen Kollegen Freudensprung, während er auf die Klingel am Tor des gutbürgerlichen Einfamilienhauses drückte.
»Nö«, antwortete Freudensprung schlecht gelaunt.
»Nicht? Du bist doch mit deiner Frau all die Jahre immer …«
»Dieses Jahr eben nicht«, raunzte Freudensprung.
»Entschuldige, dass ich mit dir spreche«, sagte Pfeffer gereizt und klingelte noch einmal. »Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen, Paul? Seit Tagen bist du unausstehlich.«
»Nix ist mir über die Leber gelaufen«, brummelte Freudensprung und fuhr sich durchs Haar, das auf seinem Kopf immer mehr die Flucht nach hinten antrat. Seine Frau Irene hatte ihm regelmäßig alle möglichen und unmöglichen Haarwachstumsmittelchen mitgebracht. Kollegin Annabella Scholz nannte seine Geheimratsecken stets »dramatisch«. Freudensprung konnte Anspielungen auf seine schwindende Haarpracht nicht leiden. Genauso wenig konnte er es leiden, wenn er wegen seines Namens »Gaudihupf« oder der Kürze halber meist nur »Gaudi« genannt wurde. Bella zog ihn damit ständig auf. »Na los, Frese-Mayer, mach endlich die Tür auf! Mir frieren die Eier ab.«
Wie auf Kommando krächzte eine Stimme aus der Gegensprechanlage: »Ja bitte?«
»Frau Sabine Frese-Mayer? Können wir bitte kurz mit Ihnen sprechen? Kripo München.«
»Was wollen Sie? Ist meinem Mann etwas passiert, oder hat er wieder etwas angestellt?«, quäkte die Stimme.
»Keine Sorge«, sagte Pfeffer betont freundlich. »Wir haben nur ein paar Fragen an Sie und Ihren Mann. Lassen Sie uns bitte für einen Moment rein.« Pfeffer spürte, wie seine Zehen vor Kälte taub wurden.
»Warten Sie«, antwortete die Frauenstimme. »Mein Mann ist nicht da und ich muss zu einem Businesstermin nach Berlin. Ich komme gleich raus, mein Taxi müsste jeden Moment da sein.«
»Scheiße!«, fluchte Freudensprung und hüpfte von einem Bein auf das andere.
Es dauerte noch einige Minuten, bis sich endlich die Eingangstür öffnete und eine perfekt gestylte Frau im dunklen Kaschmirmantel auf den Waschbetonweg trat. Ein kuscheliger Pelzkragen umschmeichelte ihr Gesicht. In den warm behandschuhten Händen trug sie einen kleinen Koffer und eine Aktentasche aus Krokolederimitat.
»Worum geht es?«, fragte sie die beiden Kriminalbeamten und winkte mit einem »Jajaja« gelangweilt ab, als Pfeffer ihr seinen Ausweis- unter die Nase hielt.
»Frau Frese-Mayer, kennen Sie einen Doktor Sönke Westphal?«
»Nicht, dass ich wüsste. Sollte ich?«, entgegnete sie leicht schnippisch. Der Wind brachte keine Strähne ihres betont auf lässig frisierten Haares durcheinander.
»Er war Experte für afrikanische Kunst«, sagte Freudensprung.
»War?« Frau Frese-Mayer zog eine Augenbraue hoch. Es sah nach einer lange und sorgfältig einstudierten Mimik Marke »Sag mir lieber gleich, was du zu verheimlichen versuchst« aus.
»Er wurde gestern tot aufgefunden, Frau Frese-Mayer. Ermordet, um genauer zu sein.« Pfeffer bemühte sich genauso gelangweilt zu reden wie sein Gegenüber.
Keine Reaktion bei der Frau. »Bedauerlich«, sagte sie mit einem Schulterzucken. »Doch leider kann ich Ihnen beim besten Willen nicht weiterhelfen. Ich kannte ihn nicht. Ah, da kommt ja endlich mein Taxi.« Ein zartbeiger Mercedes hielt an.
»Und Ihr Mann? Könnte er Doktor Westphal gekannt haben?«, fragte Pfeffer und half der Frau beim Verstauen des Koffers auf der Taxirückbank.
»Schon möglich. Georg kennt die seltsamsten Menschen. Aber das müssen Sie ihn selbst fragen.« Sie stieg in den Wagen.
»Wann ist Ihr Mann denn mal zu Hause?« Pfeffer musste sich beherrschen, um nicht noch »Lassen Sie sich halt nicht alles aus der Nase ziehen« hinzuzufügen.
»Mein Mann ist gestern für zwei Tage zum Skifahren nach Zürs gefahren. Da müssen Sie sich also noch ein wenig gedulden. Und wenn er wieder da ist, dann erreichen Sie ihn am besten bei seiner Großtante. Da kann er sich durchschmarotzen und nach Herzenslust besaufen. Seine beiden Lieblingsbeschäftigungen.« Sie zog mit einem Ruck die Autotüre zu. Pfeffer wollte sie schon fast wieder aufreißen, als Frau Frese-Mayer das Fenster einen Spalt herunterließ und »Emmy Frese, Palmstraße 7. Glockenbachviertel. Schönen Tag noch!« rief, während das Taxi losfuhr.
»Jetzt schließ endlich das verdammte Auto auf, ich habe schon Frostbeulen«, grummelte Paul Freudensprung.
»Hör zu, Paul«, sagte Pfeffer, als sie endlich im warmen Wagen saßen. Er steckte den Schlüssel ins Zündschloss, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. Freudensprung sah seinen Chef verwundert an. »Deine Laune geht uns allen auf den Sack. Entweder du sagst mir jetzt, was los ist, oder ich werde dich auf irgendeinen popeligen Fall ansetzen. Dann kannst du dich alleine am Schreibtisch austoben und vermiest uns anderen nicht das Leben.«
Freudensprung verschränkte auch die Arme, lehnte sich zurück und schwieg.
»Wie lange kennen wir uns jetzt?« Pfeffer bemühte sich um einen versöhnlichen Ton und zündete sich eine Zigarette an. »Wir sind schon zu lange befreundet, als dass wir uns noch was vormachen könnten, oder? Du hast mir damals sehr geholfen, als ich vor den Trümmern meiner Ehe stand. Du weißt alles über mich, ich weiß mit Sicherheit viel über dich, oder irre ich mich? Was ist los mit dir?« Freudensprung schwieg. »Du kannst mir zigmal erzählen, dass du nur schlecht geschlafen hast. Mann, ich sehe doch, dass es dir beschissen geht. Ist es wegen Irene? Habt ihr Krach?«
Freudensprung schwieg trotzig. »Sie hat mich rausgeschmissen«, brach es letztlich aus ihm heraus. Er kaute auf seiner Unterlippe. »Am Neujahrsmorgen. Einfach rausgeschmissen.« Er schluchzte kurz. »Entschuldige. Sie sagt, dass sie es mit mir nicht mehr aushält. Dass ich ein verlogener Hallodri sei, der jedem Rock hinterherrennt. Dass ich sie gleichzeitig einenge, ihr die Luft zum Atmen nehme. Aber ich bin mir sicher, dass sie in Wahrheit einen Neuen hat. Da muss ein anderer Kerl dahinterstecken.«
»Meine Güte!« Pfeffer legte seinem Kollegen die Hand auf die Schulter. »Sag ganz ehrlich: Hatte vielleicht dein Aufriss von neulich etwas damit zu tun?«
»Da war doch nix! Man wird doch noch flirten dürfen. Verdammt, die Kleine neulich hat mir doch gar nichts bedeutet! Irene bauscht immer alles so auf! Sie wirft mir immer vor, dass ich sie mit meiner Eifersucht einenge, dabei ist sie auf jedes weibliche Wesen eifersüchtig, das irgendwo am Horizont auftaucht.«
»Alles bedeutungslos, was du mit den Mädels machst. Und Irene hat dafür seltsamerweise kein Verständnis, hm? Und jetzt? Wo wohnst du?«
»Nirgends«, sagte Freudensprung und schniefte. Er nahm Pfeffer unvermittelt die Zigarette aus der Hand, inhalierte lange und tief und gab seinem Chef den Glimmstengel zurück. Freudensprung, der Nichtraucher aus Passion, hustete erbärmlich. »Ich hatte noch keine Zeit, mir eine neue Wohnung zu suchen. Ich wollte nicht, dass jemand erfährt, dass ich … na ja, dass ich auf der Straße stehe. Meine Freunde und so, die sind alle so etabliert und gesetzt. Nein, Scheißspießer sind sie und eigentlich sind es alles Irenes Freunde. Wenn die erfahren, dass ich rausgeschmissen wurde, würden die nur sagen: ›Selbst schuld‹. Ich hab eine ganz passable Pension gefunden, wo ich zumindest ein Bett habe. Ist billig und sauber.«
Pfeffer reichte Freudensprung eine Packung Tempos und fasste einen Entschluss. »Du kannst bei mir wohnen. Vorerst. Bis du was gefunden hast«, sagte er und startete den Wagen.
»Nein, nein, schon okay.« Freudensprung winkte ab und schneuzte sich.
»Stell dich nicht so an«, antwortete Pfeffer. »Wir fahren später bei der
Pension vorbei, holen deine Sachen und dann kriegst du die Schlafcouch in meinem Gästezimmer. Du wohnst bei mir.«
»Was sollen denn deine Jungs sagen?«
»Die sind Männer im Haus gewohnt.« Die beiden Polizeibeamten lachten. »Und jetzt schau mich nicht so dankbar an, sonst nenne ich dich auch Gaudihupf. Sag mir lieber, ob wir an der nächsten Ampel rechts oder links müssen. Wieso muss diese Aische Demir auch ausgerechnet in Ramersdorf wohnen? Da kennt sich doch keine Sau aus.«
Freudensprung holte das Filofax des Ermordeten aus seinem Rucksack und blätterte darin. »Glück gehabt, dass er so kurz nach dem Jahreswechsel noch den Vorjahreskalender drin hatte.« Freudensprung schlug die Seite mit Mitte Oktober auf, in der am Montag und am Donnerstag der Name Frese-Mayer eingetragen war, blätterte dann weiter zur zweiten Novemberwoche. Wieder Frese-Mayer, diesmal rot umringelt. Dazwischen kaum Einträge, überhaupt enthielt der ganze Kalender nur sehr wenig Einträge. Zwei Messetermine sowie ab und zu mal ein Name, hinter dem meistens Sotheby’s oder Christie’s oder der Name einer Universität stand, dreimal waren in den letzten Wochen des Jahres auch die Kürzel PU verzeichnet.
Westphal hatte sein Filofax kaum genutzt. Vor allem der Adressenteil war regelrecht jungfräulich. Kein Stift schien seine Seiten je berührt zu haben. Sicherlich hatte der Tote ein gesondertes Adressbüchlein, das der oder die Täter hatten mitgehen lassen. Keine Visitenkarten befanden sich in den Taschen, nur eine Zeitungsseite war kleingefaltet hinter dem Kalenderteil eingeschoben. Freudensprung faltete sie zum x-ten Mal auf. Eine Seite aus der Süddeutschen Zeitung vom 24. August, Wirtschaftsteil auf der einen, ganzseitige Werbung vom Media Markt auf der anderen Seite. Freudensprung seufzte, er spürte ein Kratzen im Hals. Jetzt würde er bestimmt auch noch krank werden. Selbstmitleid stieg in ihm auf. Er fühlte sich elend. Sicherheitshalber warf er ein Hustenbonbon ein, als sie auf den gesichtslosen Wohnblock im Stadtteil Ramersdorf zugingen, in dem Aische Demir wohnte, die ehemalige Zugehfrau des Toten.
»Meine Tante hat mir schon alles erzählt«, begrüßte Aische die Polizisten an der Wohnungstür. Sie war eine hübsche junge Frau mit dunklen ernsten Augen und frecher Kurzhaarfrisur. Sie entsprach überhaupt nicht dem, was Pfeffer erwartet hatte. Statt Kopftuch und Kittel wie ihre Tante trug sie modische schwarze Hosen und ein enges grasgrünes Oberteil aus flauschigem Kunststoff. In ihrem Einzimmerappartement sah es aus wie in der Wohnung einer Studentin. Ein wenig Design, ein wenig Ramsch, aber weit und breit kein orientalischer Kitsch. Dann hörte Pfeffer leise türkische Musik. Also doch.
»Entschuldigen Sie«, sagte Aische. »Aber meine Nachbarn haben immer so laute Musik. Es ist ziemlich hellhörig hier. Wie kann ich Ihnen helfen? Ich muss gleich zur Uni.«
Statt »Was studieren Sie?« zu fragen, rief Freudensprung erstaunt: »Sie studieren?!«
»Natürlich«, entgegnete die junge Frau gelassen. »Hat Ihnen das meine Tante nicht erzählt? Kommunikationswissenschaft im fünften Semester, wenn Sie es genau wissen wollen.«
»Und da finden Sie keinen besseren Job als putzen?«, fragte Pfeffer ungläubig.
»Putzen? Das habe ich nur nebenbei gemacht. Und auch nur für Doktor Westphal. Leicht verdientes Geld. Da musste man nur jeden Tag rauswischen und ab und zu die Regale entstauben. Für die Schaufenster kam immer ein anderes Putzteam.«
»Hört sich nicht nach einem tollen Job an.«
»Ich habe ja auch hauptsächlich im Laden gearbeitet. Zwei halbe Tage pro Woche als Mädchen für alles. Verkaufen, Ware katalogisieren und so weiter. War ganz interessant. Er hatte schöne Ware.«
»Interessieren Sie sich für Afrikanika?«
»Anfangs nicht besonders.« Aische lachte kurz. »Ich habe den Job durch eine Freundin bekommen. Mittlerweile kenne ich mich auch ganz gut damit aus.« Sie nahm einen kleinen Nagelfetisch vom Bücherregal. »Den hat er mir mal geschenkt. Völliger Ramsch. Aber ein Verkaufsschlager.«
»Hatte Doktor Westphal auch sehr wertvolle Ware? Ware, die eventuell einen Raubmord rechtfertigen würde?«
Die junge Türkin zog die Stirn kraus. »Natürlich, was denken Sie denn. Er hat antike Kunst der Benin und Nok sowie einige Kostbarkeiten der Ife. Exquisite Arbeiten, echte Museumsstücke, für die Sammler ein Vermögen hinlegen würden. Aber mit Afrikanika ist es mittlerweile wie mit europäischer Kunst. Gestohlene Arbeiten lassen sich nur sehr schwer auf dem Markt veräußern, wenn sie bekannt sind. Da gab es doch vor kurzem diesen Vorfall mit den gestohlenen Nok-Figuren in Frankreich …«
»Sie meinen die Geschichte mit Jacques Chirac und dem Ankauf für den Louvre?«, unterbrach Pfeffer und nötigte Aische damit ein bewunderndes Lächeln ab.
»Eine Blamage für den französischen Präsidenten. Ich sehe, Sie kennen sich auch aus«, sagte die Frau.
Pfeffer tat verlegen, dann holte er aus seiner Tragetasche die Holzfigur, die in Westphals Blutlache gestanden hatte. »Kennen Sie diese Figur, Frau Demir? Können Sie mir darüber etwas sagen?«
Aische Demir zuckte mit den Schultern. »Nein, keine Ahnung. Nie gesehen. Könnte vom Stil her Bamun oder Ndjamele sein. Aber da hätte Ihnen Doktor Westphal sicher genauere Auskunft geben können. Wenn es antikes Ndjamele ist, ist sie einiges wert.« Die Frau nahm die Figur in die Hände, drehte und wendete sie. »Ich kann mich, wie gesagt, täuschen, aber ich glaube, dass dieses Teil ziemlicher Ramsch ist. Kein halbes Jahr alt. Künstlich patiniert. Also ein paar Monate irgendwo vergraben und schon siehts echt antik aus. Wert gleich Null. Obwohl – na ja, ach, keine Ahnung!« Sie roch an der Figur, drehte sie herum und strich mit dem Daumen zart über die äußeren Unterkanten der Füße. »Hmm, vielleicht doch echt. Sehen Sie, Fälschungen erkennt man meist daran, dass die Unterseite noch recht scharfkantig ist. Bei echt alten Figuren sind die Unterkanten durch Witterung, Beopferung oder einfach durch Gebrauch immer weich abgeschliffen. Diese hier sind weich abgeschliffen. Wenn es eine Fälschung ist, dann hat der Fälscher selbst auf solche Kleinigkeiten geachtet. Ein Top-Profi.«
»Und welches Interesse sollte jemand haben, so eine Figur zu fälschen?« Pfeffer nahm die Statuette wieder an sich. »Ist die besonders selten?«
»In diesem konkreten Fall bin ich überfragt.« Aische lächelte entschuldigend. »Sie sollten sich an einen Fachmann wenden. Bei den Afrikanika ist es wie bei Autoersatzteilen, Designerklamotten oder Uhren – es wird gefälscht, was gutes Geld bringt.«
»Ihre Tante sagte uns, dass Doktor Westphal Ihnen nachgestellt haben soll«, sagte Freudensprung. Aische zog erstaunt die Augenbrauen hoch. »Stimmt das nicht? Es soll der Grund gewesen sein, warum Sie Ihren Job im Laden aufgegeben haben.«
»Ich arbeite nicht mehr in der Galerie, weil ich jetzt in einer PR-Agentur jobben kann«, antwortete Aische.
»Sie haben die Frage nicht beantwortet«, hakte Pfeffer nach. »Ist Doktor Westphal Ihnen zu nahe getreten?«
Aische sah aus dem Fenster und sagte nach einigen Sekunden bestimmt: »Nein! Ist er nicht.«
»Was wissen Sie über sein Privatleben? Hatte er eine oder mehrere Freundinnen? Können Sie uns seine Geschäftspartner nennen? Sagt Ihnen die Abkürzung PU etwas? Kurz, mit wem hatte er Kontakt und wer hätte ein Motiv für so eine grausame Tat?«, fragte Pfeffer.
»Wissen Sie was?« Aische zog sich eine dicke Daunenjacke an. »Ich muss jetzt wirklich zur Uni, wenn ich die Klausur nächste Woche verbocke, kann ich das Semester vergessen. Falls ich heute Nachmittag etwas Zeit habe, werde ich Ihnen eine Liste von allen Personen machen, mit denen Westphal zu tun hatte. Zumindest von den Personen, die ich kenne. Ist das ein Vorschlag?«
»Na, Chef! Alles klar, Gaudihupf?!«, begrüßte Annabella Scholz ihre Kollegen im Büro und schwenkte ihre modische Brille mit der linken Hand. »Wohl doch kein so leichter Fall. Das hier ist die Kiste mit allem, was wir an Unterlagen auf, neben und unter seinem Schreibtisch gefunden haben. Ziemlicher Chaot.«
Pfeffer wühlte kurz in dem Umzugskarton. Rechnungen, Schriftverkehr, zwei englische Lexika über afrikanische Kunst, ein paar ältere Bücher. Er nahm die Bücher heraus und legte sie sich auf den Schreibtisch.
»Was hast du rausgefunden, Bella?«
»Ich habe mit Westphals Mutter gesprochen und mit seiner letzten festen Freundin. Zumindest mit der letzten Freundin, von der seine Mutter wusste«, antwortete Annabella Scholz. »Nicht sehr ergiebig. Die Ex ist schon seit einem halben Jahr verheiratet und hat nur gesagt, dass unser Opfer tatsächlich ein ziemlicher Schürzenjäger gewesen sein muss. Die Mutter weiß von seinen Geschäften gar nichts.«
»Hast du sie gefragt, ob sie mit PU etwas anfangen können?«, fragte Pfeffer.
»Nein. Kann ich aber noch nachholen«, antwortete Annabella. »Und zu einer gewissen Figur konnte ich nichts recherchieren, da gewisse Kollegen besagte Figur einfach mitgenommen haben.« Sie sah Pfeffer frech an.
»Und die Gerichtsmedizin? Wie weit sind die?«
»Deine Freundin Gerda Pettenkofer hat mich rausgeschmissen. Sie sagt, dass ihre Abteilung momentan von einer Grippewelle heimgesucht wird. Sie war sogar so reizend, mich mit ihrem Nikotinatem demonstrativ anzuhusten. Du möchtest dich bitte noch etwas gedulden, denn die verbrannte Leiche aus der Isar ginge vor.«
»Gerda bekommt nie wieder eine Zigarette von mir.«
06
»Sansibar war immer mein Traum. Sansibar – schon der Name allein verheißt die süßesten Träume von Exotik«, pflegte ich immer zu sagen, wenn mich jemand fragte, warum ich nach Afrika gekommen war. Sansibar, allein der Klang des Namens! Nun, es hatte nicht sollen sein. Sansibar sollte immer ein unerreichter Traum für mich bleiben. Ein Traum, der allmählich weiter und weiter in Vergessenheit gerät, seit ich hier bin. Hier in dem Land, das für mich eine zweite Heimat geworden ist, obwohl es mit meiner geliebten Heimat im fernen Königreich Bayern rein gar nichts gemein hat. Absolut gar nichts. Ich habe Sansibar gegen Kamerun eingetauscht. Wie konnte ich ahnen, daß ein primitiver Negerstamm und ein kleines Negerpüppchen mir das vollkommene Glück bringen würden? Doch ich greife vor und muß nun von vorne beginnen. Im Jahre 1890, in dem alles seinen Anfang fand:
Mit einem kräftigen »Patsch« erschlug ich bestimmt die tausendste Mücke. Ihr zerdrückter Körper und die paar Tropfen Blut, die sie mir abgezapft hatte, bildeten ein pittoreskes Muster auf meinem Handrücken. Mich ekelte, so schnippte ich den toten Plagegeist in das Urwalddickicht. »Patsch«, die nächste, und »patsch«, wieder eine. Warum tat ich mir nur diese Hölle an?! Wie hatte ich je so wahnsinnig sein können, Bertram Jacobsens Drängen nachzugeben? Oh ja, die unermeßlichen Reichtümer lockten, doch dafür mußte ich durch die Hölle gehen. Doch was für eine! Zwar heiß, aber nicht lavarot, sondern dschungelgrün. Trotz allem die schönste und verführerischste, die man sich vorstellen kann. Eine Hölle, die süchtig macht, die mich gefangenhält. Und ich bin gerne ihr Gefangener.
Sansibar war einst der Grund für mich, München und meine heißgeliebten Eltern zu verlassen, und in Bremen in die Dienste des Handelshauses Jacobsen & Co. einzutreten. Vermutlich hatte ich das gleiche Fernweh geerbt, das meinen Bruder Josef weiland in die Marine eintreten ließ, um die weite Welt zu sehen. Mich trieben die faszinierenden Berichte der berühmten deutschen Afrikaforscher Gerhard Rohlfs und Gustav Nachtigal, die dem dunklen Kontinent mutig Geheimnis um Geheimnis entrissen. Doch meine Hoffnung, die während meiner Lehrjahre in Bremen ständig neu genährt wurde, nach der Ausbildung in die Niederlassung nach Sansibar versetzt zu werden, zerschlug sich an dem Tag, als der Seniorchef Jacobsen beschloß, eine weitere Niederlassung in Kamerun zu eröffnen. Der Kautschuk-, Elfenbein- und Palmölhandel verhieß größte Gewinnspannen. Also wurde ich gemeinsam mit seinem jüngsten Sohn Bertram nach Duala geschickt, zwei weitere Faktoreien zu den bereits seit langem betriebenen drei Faktoreien der Firma Jacobsen & Co. aufzubauen und zu leiten.
So wurde mein afrikanischer Traum in Kamerun Wirklichkeit. Jacobsen & Co. besaß an der Westküste Afrikas Niederlassungen an den Gestaden Gabuns, die älteste bereits seit 1867, in Liberia und in Dahomey und galt neben den Firmen C. Woermann und Jantzen & Thormählen als eines der wichtigsten Handelshäuser für die reichen Schätze dieses fernen Erdteils. Jacobsen sen. selbst hatte einst an jenen historischen Tagen im Juli 1884 gemeinsam mit den Herren Woermann, Jantzen und Thormählen den Vertrag ausgehandelt, in dem die Könige Bell, Dido und Akwa die Hoheitsrechte ihrer Länder an die deutschen Firmen übertrugen.
Als das Schiff im Jahr 1887 in Duala eintraf, das Bertram Jacobsen und mich in die neue Heimat brachte, war Sansibar für mich mit einem Schlag in weite Ferne gerückt. Der beeindruckende Berg der Götter, der Kamerunberg, dessen scharf umrissener duftiger Gipfel mit einem Mal aus der blauen Flut auftaucht und schon weit vom Meer aus sichtbar den Seefahrer zu sich lockt! Mächtige Gebirgszüge mit schneebedeckten Kuppen, die sich über dem dichten Grün wildwachsender Gebüsche und Wälder erheben. Welch gigantisches Eingangstor hat die Natur hier zum Herzen Afrikas erschaffen! Freilich – das überwältigende Panorama, das man von See aus hat, weicht beim Näherkommen einem öden Küstenbild. Dichtes Mangrovengebüsch bedeckt die Landschaft, die nur selten durch die aus dem Buschwerk herauslugenden Hütten eines Fischerdorfes belebt wird. Ab und an kreischt irgendwo ein Papagei. Nach gut zwei Stunden Fahrt wurde das Bild für uns Neulinge endlich anziehender, der Regierungssitz am rechten Ufer des Kamerunflusses kam in Sicht, ebenso mehrere europäische Anlagen und einige Negerdörfer.
Diese betörende Üppigkeit der Tropen, die den Ankommenden begrüßt! Der augenscheinliche Überfluß an Nahrungsmitteln und wertvollen Rohstoffen überstieg schon damals alle unsere Erwartungen. Dazu noch die uns Deutschen freundlich gesinnten Neger.
Doch wir mußten auch schnell lernen, daß sich die Natur niemals nur gütig zeigt. Die Tropen warten mit Gefahren auf, die uns Europäer nur allzuoft bis ins Mark erschüttern. Das Klima, die Hitze und die Feuchtigkeit setzten uns bald schwer zu. Ebenso manch Ungeziefer und Gewürm. Und nie werde ich unseren panischen Schrecken vergessen, der uns bei dem ersten tropischen Gewitter überfiel. Dieses Krachen, als würde sofort die Welt untergehen. Man erwartet, in wenigen Sekunden vor dem Schöpfer zu stehen. Auch heute noch bereitet mir ein besonders heftiges Gewitter Unbehagen. Doch wie wunderbar sind dann wieder die von mildestem Sternenlicht durchflossenen Nächte, erfüllt mit dem verschwenderischen Duft märchenhafter Blüten. Nächte, in denen allerlei rätselvolle Stimmen an dein Ohr dringen, in denen gelegentlich eine kleine Negermusik aufbrummt, oder wie Geisterspuk das Schlagen einer Nachrichtentrommel ertönt und wieder verebbt. Wer je den Zauber einer solchen Nacht erlebt hat, vergißt Sansibar gerne.
»Massa Frese!« Mein Boy Robert kam zu mir gelaufen. »Hier, das Essen ist fertig.« Er hielt mir einen Teller mit gebratenem Fleisch und zwei gekochten Bananen sowie einen Becher unvergorenen Palmenweines hin. »Ich habe für Sie Lendenfleisch ergattert«, sagte er stolz. Er strahlte mich an und erwartete Lob, das ich ihm eigentlich nicht geben konnte, denn mir graute vor dem Essen.
»Gut, Robert«, sagte ich trotzdem und nahm ihm den Teller ab. »Das hast du gut gemacht. Danke.« Müde lehnte ich mich an den Baumstamm eines Urwaldriesen und betrachtete das Fleisch. Die Soldaten hatten an diesem Tag nichts anderes vor ihre Gewehre gekriegt als Schimpansen. Affenlende als Abendessen. Ich hatte mir meine erste Reise ins Landesinnere schlimm vorgestellt, aber nicht so schlimm. Ach, Sansibar – nur, wenn man im tiefsten Dschungel sitzt und ein Schimpansenschnitzel auf den Knien balanciert, überwältigen einen die Sehnsüchte nach der paradiesischen Gewürzinsel vor der Küste Deutsch-Ostafrikas. Vor vier Tagen waren wir in Duala aufgebrochen und steckten nun in der grünen Hölle.
»Na, Herr Handlungsreisender, schon an den Urwald gewöhnt?« Mein Expeditionsleiter gesellte sich zu mir und setzte sich auf seinem Klappstuhl neben mich. In Minutenschnelle war stockfinstere Nacht hereingebrochen.
»Wie soll man sich daran gewöhnen?« fragte ich zurück und deutete auf seinen Teller. Unser Expeditionsleiter, dessen Namen ich hier verschweigen möchte, um seine Familie zu schonen, da er sich im Laufe unserer Reise wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert hat, hatte offenbar ein weniger gutes Teil vom Schimpansen abbekommen als ich. Es sah mir sehr nach einer verkohlten Hand aus.
»Ach, ich habe schon Schlimmeres gegessen«, antwortete er mit einem Achselzucken und knabberte an einem Affenfinger herum.
»Wann erreichen wir endlich das Hochland?« fragte ich und begann mit dem Verzehr der Affenlende. Nach afrikanischer Sitte tunkte ich das Fleisch in einen Topf mit dampfender, würziger Pfeffersauce. Wider Erwarten schmeckte die Mahlzeit köstlich und mein Ekel legte sich ebenso schnell wie damals, als ich das erste Mal in Palmöl gesottene Maden vorgesetzt bekam. Schimpanse schmeckt erstaunlicherweise einem Schwein nicht unähnlich.
»Schon ungeduldig? Wir sind erst vier Tagesmärsche von Duala entfernt. Ich bin diese Strecke noch nie gegangen.« Unser Führer hatte das Innere von Kamerun bereits in mehreren Expeditionen erkundet. Er sprach zudem einige Eingeborenendialekte und kannte sich bei den Gepflogenheiten mancher Stämme aus. Deshalb hatte ihn das Handelshaus Jacobsen & Co. für gutes und vor allem teures Geld angeworben. Es konnte nicht angehen, daß fast alle bisherigen Versuche, das Landesinnere für den Handel zu erobern, fehlgeschlagen waren, ob es nun deutsche, englische oder französische Expeditionen waren. Nun hatten sich seit unserem Aufbruch erhebliche Zweifel an den tatsächlichen Qualitäten unseres Expeditionsleiters eingeschlichen. Statt den bekannten Weg über Malimba und dann den Lauf des Flusses Sanaga entlang durch den Urwald zu ziehen, hatte er darauf bestanden, eine »Abkürzung« quer durch das grüne Dickicht zu nehmen.
»Geben Sie ruhig zu, daß Sie nicht wissen, wo wir sind«, sagte ich deshalb scharf. »Sie haben uns in die Irre geführt.«
»Solche Expeditionen sind nichts für Händler, Herr Frese«, sagte der Mann schmatzend. »Sie haben mich als Führer bestellt, also werde ich Sie führen. Vertrauen Sie mir. Quer durch den Urwald kommen wir schneller nach Balinga. Sie werden staunen, das ist kein Dorf, das ist eine richtige Negerstadt. Von da aus können wir eine Karawanenstraße nehmen und im Handumdrehen sind wir in Jokó.«
»Sie tun so, als sei das ein Spaziergang!«
»Herr Frese, diese Expedition ist ohnehin mit zu wenig Mitteln ausgerüstet! Soll ich Wunder vollbringen? Sie können froh sein, daß ich ein paar gute Krieger vom Volk der Wute habe, die uns vor den schlimmsten Gefahren beschützen können. Sie sollten beten, Frese, daß das hier gut geht, nur weil die im fernen Deutschland meinen, man könne für ein paar Pfennige schnell mal durch wildes Gebiet ziehen! Gehen Sie rüber zu den Frömmlern und beten Sie. Oder kehren Sie um, Frese! Bitte sehr. Und dann sollten Sie warten, bis der Reichstag endlich mehr Mittel für Militärexpeditionen locker macht und das Hinterland von räuberischem Pack gesäubert wird.«
»Sie wissen wie ich, daß der Reichstag mit Mitteln für die Schutzgebiete geizt. Außerdem, mein Lieber, waren es wir Kaufleute, die das Gebiet dem Reich gesichert haben! Wir bringen Frieden und Wohlstand …«
»Und füllen nebenbei die Geldsäcke. Na, wie Sie wollen, Herr Frese. Aber passen Sie mal schön auf, daß Sie mit Ihren Geschäften nicht den Haussa in die Quere kommen. Die haben es gar nicht gerne, wenn man ihnen ins Handwerk pfuscht.« Er lachte ekelhaft.
»Lassen Sie die Haussa mal mein Problem sein«, erwiderte ich scharf. Die Haussa, ein Mischlingsvolk zwischen Fulbe und Sudannegern, das einst so mächtige Königreiche wie das berühmte Sokoto hervorgebracht hatte, beherrschen seit Jahrhunderten den Handel in ganz Zentralafrika. Fast alle Haussa-Stämme sind zwar mittlerweile Vasallen der edlen Fulbe-Fürsten, doch die Fulbe haben nur die Macht, die Haussa den Reichtum. Nicht zuletzt deshalb nennt man diese Meister des Schacherns auch die Juden Afrikas. Doch das afrikanische Handelsprinzip ist noch erheblich vielschichtiger und komplizierter, als es sich unser Expeditionsleiter vorstellen konnte. Ich selbst hatte in den drei Jahren meines Hierseins erhebliche Mühe aufgewandt, um dieses verwirrende Geflecht von Warentausch zu begreifen.