Kitabı oku: «Pechwinkel», sayfa 3

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»Klar, unser Mirko, der lässt sich ja beim Duschen zuschauen, wenn …«, sagte der zahnlose Sepp und Blondschopf Jerzy grinste.

»Halts Maul, Sepp«, antwortete der junge Mann, der Mirko hieß, und trank einen Schluck aus seiner Augustiner-Flasche.

»Frage an Sie alle, außer natürlich an Sie, junger Mann«, sagte Max Pfeffer. »Ist Ihnen in der Wohnung von Frau Kubelik irgendetwas aufgefallen? Hatte sie Wertgegenstände? Schmuck? Irgendetwas Wertvolles?«

Alle lachten. Pfeffer fiel auf, dass der blonde Jerzy immer erst dann lachte oder grinste, wenn die anderen es taten. Der Einäugige wurde zuerst wieder ernst. »Was denken Sie, Herr Kriminalmeister. Sie hatte ihre Rente und ein Dach über dem Kopf. Das ist schon verdammt wertvoll.«

»Und wie oft waren Sie bei ihr?«

»Selten, viel zu selten.«

»Wann zuletzt?«

»Keine Ahnung. Im Oktober oder so. Du, Jerzy?« Er rempelte seinen Nebenmann erneut an. Der Blondschopf zuckte mit den Schultern und lachte.

»Sie verstehen gar nicht, was ich sage, oder?«, fragte Pfeffer den Blondschopf direkt.

Der sah ihn erschrocken an. »Nix deutsch«, sagte er dann.

»Dachte ich mir schon«, murmelte Pfeffer. Jerzy setzte wieder ein breites Grinsen auf.

Der zahnlose Sepp lachte. »Schlau kombiniert, Meister. Na, dann hatte ich ja wohl als Letzter das Vergnügen. Ich war Anfang Dezember bei ihr. Fichtenschaumbad. Herrlich. Und sie hatte eine Flasche echten Glühwein vom Nürnberger Christkindlmarkt.« Er sah versonnen in die Ferne.

»Eine Frage noch, meine Herren«, sagte Max Pfeffer. »Warum nennen Sie sie denn Paloma?«

»Na, wegen dem Auto«, sagte der Einäugige.

»Blödsinn! Ihr Lieblingslied. La Paloma, ade, auf, Matrosen, ohé!«, fing der Zahnlose an zu singen und der Einäugige stimmte sofort erstaunlich textsicher in den Hans-Albers-Klassiker mit ein. »Ein Wind weht von Süd und zieht mich hinaus auf See, mein Kind, sei nicht traurig, tut auch der Abschied weh. Mein Herz geht an Bord und fort muss die Reise gehn, dein Schmerz wird vergehn und schön wird das Wiedersehn …«

Jerzy sang »la la la« mit. Mirko schüttelte amüsiert den Kopf und tippte sich an die Stirn.

06

»Ich weiß nix«, sagte der alte Mann und schüttelte energisch den Kopf. Er nippte an seinem Bier und sah Max Pfeffer mit wässrig blauen Augen misstrauisch an. Ein Mix aus lange abgestandenem Zigarettenqualm und altem Bratfett machte die Räume stickig. Bei dem mit einer grauen Plane eingerüsteten Haus in der Pestalozzistraße hatte Max Pfeffer vorhin bei Xylander lange Sturm geklingelt und hatte schon gehen wollen, weil niemand öffnete. Da war eine Frau aus dem Haus gekommen und hatte auf Pfeffers Frage nach Bertram Xylander gesagt: »Den finden Sie vorne in der Stehkneipe in der Westermühlstraße, wenn er nicht da ist.«

Die Stehkneipe hatte Pfeffer schnell gefunden. Countrymusik dudelte aus den Lautsprechern. Pfeffer stellten sich die Nackenhaare auf. Die dicke Wirtin hatte wortlos mit einer Kopfbewegung auf den alten Mann gewiesen, der alleine auf einem Barhocker an einem der Stehtische saß. Neben ihm stand eine große Plastiktüte eines Elektromarkts. Außer ihm befand sich noch ein weiterer alter Mann im Raum, der aus dem Fenster starrte und dabei unablässig mit dem Unterkiefer mahlte.

»Wollen Sie sich setzen?« Xylander deutete auf einen abgewetzten Barhocker.

Pfeffer setzte sich. »Herr Xylander, Sie haben Frau Kubelik als vermisst gemeldet.«

»Na ja, ich hab sie halt gekannt, die Erna.« Er zuckte mit seinen gebeugten Schultern. Bertram Xylander rieb sich mit schwieligen Händen über das faltige Gesicht. Seine Haltung und seine Hände verrieten, dass er sein Leben lang körperlich schwer gearbeitet haben musste. »Sie war früher ein lebenslustiger Mensch. Wir haben oft mal was unternommen. Der Alkohol. Ja, dann kam der Alkohol, und sie wurde immer launischer in all den Jahren.« Er warf die Hände in die Luft.

»Wie lange kannten Sie sich denn?«

»Ewig. Ewig und drei Tage. Schon als Kinder kannten wir uns. Wir sind im selben Haus aufgewachsen. Vorne in dem Haus, in dem sie immer noch gewohnt hat. Sie ist dort aufgewachsen und gestorben. Ich bin als junger Mann ausgezogen. In meine Wohnung. Gleich ums Eck. Und jetzt soll ich raus. Wird luxussaniert. Wie alles hier.« Er deutete zu den Fenstern. »Presslufthammer und so Zeugs. Bumm, bumm, bumm. Seit letztem Oktober geht das schon so. Fast alle Wohnungen sind mittlerweile fertig. Sie haben mir eine Wohnung im Hasenbergl angeboten! Im Hasenbergl! Was soll ich da? Dann noch eine in Laim. Da will ich auch nicht hin. Ich bleibe hier. Ich wohne hier seit fünfzig Jahren. Ich habe vorne bei Hurth gearbeitet, Sie wissen schon, und als die dichtgemacht haben, dann bei Zettler.«

Pfeffer nickte. Er kannte die alten Firmen, die hier im Viertel einst große Produktionsstätten unterhalten hatten. Hurth stellte bis in die 1980er-Jahre an der Holzstraße Zahnräder und Getriebe her, seitdem stand hier eine riesige Wohnanlage. Zettler produzierte bis 1999 elektrische Anlagen aller Art auf einem großen Areal zwischen Jahn- und Klenzestraße, wo sich nun eine Seniorenluxusresidenz befand. Bald würde auch der Brillenfabrikant Rodenstock, der letzte große Betrieb in der Isarvorstadt, seine Produktion in die Peripherie verlagern, dann wäre es endgültig vorbei mit dem alten Industrieviertel.

»Die müssen mich schon mit den Füßen voran hier raustragen«, fuhr Xylander fort. »Ich bleibe, bis es gar nicht mehr geht. Und vor den Scheißpolacken hab ich schon gleich gar keine Angst!«

»Polen?«

»Na, die Schwarzamseln, die sie eingemietet haben.« Er deutete nach oben, als sei die Bar seine Wohnung, und die Bauarbeiter direkt über ihnen. »Die den Innenausbau machen. Lauter Verbrecher. Allen voran der Gorilla mit seinem debilen Bruder. Hausen da oben in einer Wohnung und machen nur Lärm und Dreck, statt zu arbeiten.« Er machte verächtlich »Pfffhhh« und winkte mit beiden Händen ab.

»Sie sagten, Sie kennen Erna Kubelik schon seit Kindesbeinen«, sagte Pfeffer, um wieder aufs Thema zurückzukommen.

Bertram Xylander sah ihn müde an. »Jetzt ist sie tot.«

»Sie haben sie offensichtlich vermisst und sind dann zur Polizei gegangen.«

»Wir hatten losen Kontakt. Man traf sich oft beim Einkaufen, vorne im Tengelmann. Dann haben wir über alte Zeiten geratscht. Nix Besonderes. Wie man es halt so macht. Im Sommer hab ich sie oft vorne am Pissoir bei den Grattlern sitzen sehen. Sie ist in schlechte Gesellschaft gekommen, die Erna.«

»Nur weil sie bei den Obdachlosen saß?«

»Ist das eine gute Gesellschaft? Ich denke nicht.« Zum ersten Mal lachte er ein wenig. »Sie hatte ihre Rente, und diese asozialen Schmarotzer haben sich bei ihr durchgefuttert. Na, was soll ich sagen … Ich habe sie mein Lebtag ein bis zwei Mal die Woche gesehen und dann plötzlich eben nicht mehr. Da bin ich dann zu ihr, habe geklingelt, aber es hat niemand aufgemacht. Drei Tage lang. Dann bin ich kurz vor Silvester zur Polizei. Sie hat ja sonst niemand.«

»Waren Sie jemals bei ihr in der Wohnung?«

»Gelegentlich. Früher öfter. Warum?«

»Würden Sie in der Wohnung feststellen können, ob etwas fehlt, und wenn ja, was?«

Bertram Xylander starrte den Kriminaler an, dann lachte er lauthals los. »In der Bruchbude? Von Ordnung hat die Erna noch nie viel gehalten. Aber das ist in den letzten Jahren immer schlimmer geworden. Ich kanns ja mal probieren. Aber versprechen Sie sich nicht allzu viel davon, Herr Rat.«

Max Pfeffer ließ seinen Blick durch den Raum wandern, auch auf die Tüte neben Xylander. Die Tüte stand offen. Pfeffer entdeckte darin eine moderne Spielkonsole.

Bertram Xylander war Pfeffers Blick gefolgt und beeilte sich zu sagen: »Das Zeug da ist für meinen Neffen. Er besucht mich öfter, und dann langweilt er sich schnell. Er hat sich das Ding gewünscht. Ich bin zu blöd für diese modernen Sachen. Das geht alles so schnell und bumm, bumm, zack, zack … Aber mein Neffe kann den ganzen Tag davor verbringen. Die Jugend halt.«

Max Pfeffer lächelte verbindlich. »Kenn ich von meinen Jungs.«

»Sie haben Söhne?«

»Zwei.«

»Wie schön. Dann haben Sie viel Remmidemmi im Haus.«

»Es geht.« Pfeffer lächelte. »Der Ältere macht dieses Jahr Abitur und der Jüngere geht auf ein Internat in England.«

»Wie schön.« Bertram Xylander bekam glänzende Augen. »Kinder. Das blieb mir leider versagt. Wir waren fünf Kinder zu Hause. Erst zwei. Mein Vater ist im Krieg geblieben. Meine Mutter hat später neu geheiratet. Dann waren wir fünf Kinder. Alle tot, bis auf mich. Vier blieben unverheiratet. Nur eine Halbschwester, Gott hab sie selig, hatte Nachwuchs. Ich bin nur ein alter Mann. Ich werde bestimmt so einsam sterben wie Erna.«

»Was ist mit Ihrem Neffen?«

»Ach der!« Xylander winkte ab. Er schwieg.

Pfeffer fragte nach einer Weile: »Sagt Ihnen der Name Verena Klein etwas?«

»Verena? Klar. Die besucht mich ab und zu. Sie hat mich zumindest früher oft besucht. Jetzt hat sie keine Zeit mehr, sie macht ihren Doktor. Ein liebes Kind. Oh, jetzt versteh ich.« Er lächelte verschmitzt. »Nein, Herr Rat. Die Verena hat sicher nichts mit dem Tod von Erna zu tun. Die hat sich rührend um die Erna gekümmert. Hat zwei Mal die Woche versucht, diese Müllhalde, die Erna eine Wohnung nannte, wenigstens ein bisschen in Ordnung zu bringen. Vergebene Liebesmüh.«

»Und Sie, Herr Xylander, hätten Sie einen Grund gehabt, Erna Kubelik zu ermorden?« Zwei neue Gäste, wohlbeleibte Männer, die ihre besten Jahre schon hinter sich hatten, betraten den Raum und orderten lautstark Fleischpflanzerl und zwei Halbe.

»Ich, Herr Rat?« Xylander keuchte ungläubig und schüttelte den Kopf. »Bestimmt nicht.«

»Könnte ja sein. Vielleicht waren Sie früher mal ein Liebespaar und …«

Der alte Mann lachte dröhnend. »Bestimmt nicht.«

»Eine Frage noch, Herr Xylander, dann sind Sie mich los: Fällt Ihnen ein Grund ein, warum man Erna Kubelik hätte ermorden wollen? Oder fällt ihnen jemand ein, der einen Grund gehabt hätte?«

»Nein.« Der Alte schüttelte den Kopf.

07

»Die Mutter Teresa der Obdachlosen?« Annabella Scholz zog die linke Augenbraue hoch. »Bei der sah es doch so aus, als hätte sie selbst eine Mutter Teresa nötig.«

Pfeffer und seine Kollegin saßen vor dem Aroma-Café in der Pestalozzistraße in der Frühlingssonne. Die niedrigen Holzstühlchen stammten aus einer Grundschule und waren für Erwachsene absolut unbequem, aber hip. Fast alle anderen Plätze waren von Müttern mit Kleinstkindern oder von Schwangeren besetzt. Eine Armada von wild abgestellten Kinderwagen verstellte den Passanten den Weg. Pfeffer fragte sich, wie ausgerechnet aus einem Schwulenviertel ein Schwangerenviertel werden konnte. Wo noch vor zehn Jahren Schwule händchenhaltend das Straßenbild prägten, trugen heute Schwangere ihre Bäuche zur Schau. Schick gekleidete Mütter mit schicken Kinderwägen pilgerten tagsüber von einer der unzähligen neuen Latte-Macchiato-Tankstellen zur nächsten. Hatten früher in jedem frei werdenden Laden Friseure neu aufgemacht, so gab es seit einiger Zeit den Trend zum Tagescafé für Latte-Macchiato-Mütter, gerne mit angeschlossener Baby-Designermode-Boutique. Und in den restlichen Läden, in die keine Tagescafés zogen, nisteten sich ausnahmslos Architekturbüros ein, in denen dann die Männer der Latte-Macchiato-Mütter arbeiteten.

Die Hauptkommissarin schüttete in ihren Latte Macchiato etwas Zucker nach und rührte um. Max Pfeffer zündete sich eine Zigarette an.

»Was sagen die Kollegen?«, fragte er dann.

»Die Küche ist wirklich der Tatort. Deine Freundin Gerda hat nun sicher festgestellt, dass die alte Frau erwürgt wurde. Also muss sie beim Umfallen gegen die Anrichte gestoßen sein, daher das Blut. Der Täter hat mit einem Schwammtuch, das wir noch im Müll gefunden haben, den Boden notdürftig gereinigt. Unprofessionell. Vermutlich in Panik schnell mal drübergewischt. Alle weiteren Laborergebnisse bekommen wir dann beizeiten. Ebenso von dem Keller. Der Spurenlage nach hast du recht, sie haben Fasern vom Seil, mit dem die Leiche verzurrt war, an der Tür zum Bach gefunden.«

Pfeffer nickte und löffelte Milchschaum von seinem Cappuccino. »Und die Nachbarn?«

»Gibt nur noch wenige«, fasste Annabella Scholz ihre Recherchen zusammen. »Das Haus wurde letzten Herbst verkauft und wird gerade entmietet …«

Pfeffer stöhnte.

»Mei, Chef, ist so, hier in der Gegend.« Sie sah wehmütig die Straße hinunter. Sie hatte vor nicht allzu langer Zeit selbst hier gewohnt, genau in dieser Straße. Sie konnte das Haus sehen. Dann war die Sache mit Levent ernster geworden, und schließlich hatten sie sich gemeinsam eine Wohnung gesucht. Manchmal bereute sie diesen Schritt. Annabella Scholz war seit einigen Jahren mit dem türkischstämmigen Schauspieler Levent Demir liiert. Sie hatten sich über einen ehemaligen Kollegen aus Pfeffers Team, der Levents Schwester Aische geheiratet hatte, kennengelernt. Demir hatte es zu gewissen Ruhm als taffer Held einer billigen Krimi-Action-Serie gebracht und war dann zum ersten »Tatort«-Kommissar mit Migrationshintergrund aufgestiegen. Seitdem bekam er immer öfter größere Rollen in TV-Produktionen, nicht selten als rassiger Liebhaber. Mit steigender Popularität ging die stetig steigende Zahl weiblicher Fans einher und damit die stetig steigende Zahl von Annabellas Eifersuchtsanfällen. Ausgerechnet jetzt, wo sie … Sie verscheuchte den aufkeimenden Wutanfall mit einem Kopfschütteln. Aber er hatte ihre Beförderung zur Hauptkommissarin am Telefon neulich nur mit einem »Glückwunsch, Maus« abgetan und dann sofort wieder von den Dreharbeiten erzählt. ›Schauspieler sind Egomanen, nicht hineinsteigern‹, sagte sie zu sich selbst, und dann sagte sie zu Pfeffer: »Die alte Eigentümerin ist gestorben, und die Erben haben das Haus verkauft. Es leben noch drei Parteien drin, die lassen sich den Auszug mit viel Geld versüßen. Nächste Woche soll das Gerüst aufgestellt werden und der Umbau beginnen. Alle haben mir gesagt, dass sie mit der alten Kubelik wenig bis gar nichts zu tun haben, nichts zu tun haben wollten, weil sie sie … nun ja … eben asozial fanden. Sie haben sich gegenseitig ignoriert. Eine Nachbarin sagte mir, dass sie lange gegrüßt hat und es dann irgendwann aufgegeben hat, weil die Alte nie zurückgegrüßt hat. Sie hat immer weggeschaut, wenn sie jemand aus dem Haus traf. Und mit dem Begriff Himmelhaus konnte übrigens keiner was anfangen.«

»Entmietung brutal?«, fragte Pfeffer unvermittelt. Seine Kollegin brauchte einen Moment, um das zu verstehen.

»Kann sein. Du meinst, die Kubelik hat sich geweigert auszuziehen, und die neuen Eigentümer wollten sie schnellstmöglich loswerden? Klar, Chef, das ist eine Idee.«

»Nur eine Idee.« Pfeffer trank einen Schluck und zog danach an der Zigarette. Die Latte-Macchiato-Mutter neben ihm setzte ihre laktosefreie Latte ab, lüpfte etwas die riesige Sonnenbrille, die ihr die Optik einer Stubenfliege gab, und fächelte demonstrativ den Rauch weg. Pfeffer lächelte ihr verbindlich zu. »Schwachsinn. Blöde Idee«, wandte er sich wieder an Annabella Scholz. »Passt gar nicht. Die Alte wurde um Weihnachten herum ermordet. Wenn die neuen Eigentümer den verbliebenen Mietern jetzt noch Geld anbieten, dann laufen die Verhandlungen also noch. Warum hätten sie dann schon vor vier Monaten die Kubelik töten sollen? Ergibt keinen Sinn.«

»Ich hake trotzdem mal nach.«

»Tu das. Weißt du, wenn an meiner Theorie was dran sein sollte, dass die ermordeten alten Damen irgendwie in einem Zusammenhang stehen, dann wäre ja unsere Erna Kubelik die erste Tote. Wir haben sie zwar als letzte gefunden, aber sie wäre das erste Opfer.«

Annabella Scholz kannte ihren Chef lange genug. Sie mochte ihn, arbeitete gerne mit ihm zusammen, und sie liebte es besonders, wenn er anfing herumzuspinnen. Oft kam er auf die abstrusesten Ideen, fand Zusammenhänge, auf die sonst keiner gekommen wäre. Manchmal gelangte er damit zwar schnurstracks in den Wald und verhedderte sich im Dickicht seiner Gedankenspiele. Jedoch war er Manns genug, Kritik von anderen anzunehmen. Und er konnte auch selbstkritisch sein. Häufig genug hatte er höchst erfolgreich quer gedacht und mit seinen Theorien letztlich ins Schwarze getroffen. In diesem Fall aber merkte sie, dass er sich nur warmlief und noch längst nicht seine Höchstform erreicht hatte.

»Warum erwürgt jemand alte Damen?«, sinnierte Pfeffer weiter.

»Um sie auszurauben«, antwortete Annabella.

»Warum durchsucht er dann nicht die Wohnungen nach weiteren Wertsachen, mal abgesehen von Helene Schneider. Warum so viele so kurz nacheinander?«

»Weil sie arme Frauen waren und der Täter viel Geld brauchte.«

»Möglich. Ach«, Pfeffer winkte ab, »konzentrieren wir uns auf Erna Kubelik. Hast du irgendwas in ihrer Wohnung gefunden, das auf entwendete Wertgegenstände hinweisen könnte?«

Die Hauptkommissarin schüttelte den Kopf.

Ein junger Kerl schlenderte vorbei. Die Schultern so breit, dass das eng geschnittene Hemd ein wenig spannte. Der Hintern knackig und fest wie ein frischer Apfel. Er schenkte Pfeffer ein kurzes Lächeln. Pfeffer lächelte zurück. Der junge Mann ging weiter, drehte den Kopf ein wenig und zwinkerte noch einmal im Gehen.

»Wird Zeit, dass der Sommer kommt«, seufzte Pfeffer lächelnd. Sein Handy klingelte.

08

Therese Obermeier stützte sich schwer auf ihren Gehstock, den sie in der gichtigen Linken hielt. Das Gehen fiel ihr jeden Tag noch ein bisschen schwerer. Trotzdem machte sie sich täglich auf, die vier Stockwerke hinunterzusteigen und ihre kleinen Einkäufe zu erledigen. Am Sonntag ging sie einfach nur die Treppen hinunter und dann wieder hinauf. In Bewegung bleiben. Wer rastet, rostet – und landet schließlich im Pflegeheim. Davor hatte sie am meisten Angst. So lange sie es noch konnte, würde sie die vier Stockwerke packen. Therese Obermeier machte eine kleine Verschnaufpause und stellte ihr Einkaufsnetz mit dem Liter Milch, dem halben Brot, den drei Tomaten und der Cervelatwurst ab. Ein Rollator, nein, den würde sie auch weiterhin ablehnen. Selbst wenn ihr den ihr Sohn bei jedem Telefonat aufs Neue ans Herz legte. Was wusste schon ihr Sohn … Der lebte fern in Berlin und besuchte sie sowieso nur ein bis zwei Mal im Jahr. Öfter konnte er es sich nicht leisten, seit er seinen Job verloren hatte und nun auf die Verrentung wartete, weil niemand einem Neunundfünzigjährigen eine neue Stelle anbot. Noch dazu in Berlin, wo es sowieso keine Arbeit gab. Und die Enkel hatte sie das letzte Mal vor zwei Jahren gesehen. Therese Obermeier seufzte und zupfte ihren Wintermantel aus dunkelblauem Plüsch, der an manchen Stellen zu abgewetzt war, um noch kuschelig zu sein, zurecht. Ihre Perücke juckte. Sie nahm ihr Einkaufsnetz hoch. Noch um die Ecke von der Augusten- in die Rottmannstraße, dann war sie da.

Die alte Frau stieg bedächtig die knarzenden Stiegen hinauf. Einen Fuß auf die nächsthöhere Stufe, dann den anderen daneben. Mit der rechten Hand zog sie sich am Treppengeländer hoch. Ihr begegnete niemand. Wie auch. Sie war die letzte alte Mieterin im Haus. Außer ihr wohnten nur noch junge Leute hier, die gute Jobs hatten, weshalb sie von denen praktisch nie jemand tagsüber zu Gesicht bekam. Eigentlich schade, denn sie ratschte gerne ein bisschen, vor allem mit den beiden netten jungen Frauen, die sich die Wohnung im zweiten Stock teilten. Eine von denen kam ab und an abends bei ihr vorbei auf einen Plausch und um nach dem Rechten zu sehen. Und die Frau vom ambulanten Pflegedienst, die jeden Abend ihr offenes Bein versorgte, war immer zu sehr in Eile für einen Schwatz. Schwer atmend erreichte Therese Obermeier den vierten Stock und wühlte in der Manteltasche nach dem Schlüssel. Sie öffnete das Türschloss und das Sicherheitsschloss, nahm ihre Einkäufe hoch und wollte eben den ersten Fuß in die Wohnung setzen, als sie von hinten ein Stoß traf. Therese Obermeier taumelte vorwärts, ließ das Netz fallen und versuchte, sich irgendwie abzufangen. Noch bevor sie auf dem Boden aufschlug, fingen kräftige Hände sie auf. Es war das Letzte, was Therese Obermeier spürte.

Max Pfeffer schlenderte die Backsteinmauer entlang durch den Schlachthof. Kindheitserinnerungen wurden wach. Er schob sie beiseite. Weiter vorne in der Zenettistraße hatten seine Eltern ihre Reinigung betrieben. Das Letzte, an das er denken wollte, waren seine Eltern. Er bog beim Wirtshaus links in den Teil, der längst nicht mehr als Schlachthof genutzt wurde, sondern an verschiedene Gewerbe vermietet war, meist an Lebensmittelgroßhändler. Aber auch die Kunstgroßhandlung Menzl. Verena Klein hatte ihm vorhin am Telefon den Weg beschrieben. Pfeffer fand das Gebäude sofort. Verena Klein erwartete ihn vor dem Eingang.

»Tut mir leid, dass ich Sie hierher bemühen musste«, sagte sie zur Begrüßung.

»Kein Problem«, antwortete Pfeffer. Die junge Frau fror augenscheinlich. Sie verschränkte sofort nach dem Händeschütteln die Arme und begrub die Hände unter den Achseln. Sie war Ende zwanzig, hübsch und zierlich, aber sie strahlte Durchsetzungskraft aus. Sie sah tief in Pfeffers kuschelbraune Augen und ein feines Lächeln umspielte ihren Mund. Sie versuchte, ein wenig zu flirten. Pfeffer ging darauf ein, ließ sie augenkuscheln und lächelte. Aber er ließ sich nicht täuschen. In ihren Augen lag etwas Hartes, Berechnendes. Die beiden betraten die Kunsthandlung, die Tür führte direkt ins elegant und sehr reduziert gestaltete Büro. Verena Klein begleitete den Kriminalrat zu einem Schreibtisch.

»Kaffee?«, fragte sie.

»Nein danke.« Pfeffer ließ den Blick schweifen. »Einen Kunstgroßhandel habe ich mir etwas anders vorgestellt.«

Die Studentin lachte. »Die Kunst ist hinten im Lager.« Sie deutete auf eine schwere Metalltür, die mit einem Zahlencodeschloss gesichert war. »Hier ist nur Büro. Glauben Sie mir, wir haben eine Menge, eine wirkliche Menge Kunst.« Ein Telefon klingelte. »Entschuldigung, da muss ich kurz rangehen.« Sie hob ab und drehte beim Telefonat dem Kriminaler den Rücken zu. Pfeffer ließ unterdessen seinen Blick über die Titel der Auktionskataloge schweifen, die auf dem Schreibtisch lagen. ›Münchner Malerei des späten 19. Jh.‹ und ›Meisterwerke des Blauen Reiters‹ und ›Meister der Moderne‹ und Ähnliches. Offenbar wollte jemand den Chef sprechen und Verena Klein beendete das Gespräch schnell.

»Stress, hmm?«, fragte Pfeffer.

Die Studentin seufzte. »Das können Sie laut sagen. Heute hat die Sekretärin einen freien Tag. Vormittags Uni, dann zwei Tage die Woche der Job hier … Ich brauche das Geld. Und natürlich meine Dissertation.«

»Ihr Lebensgefährte hat uns erzählt, dass Sie promovieren.«

»Alex«, sagte sie nüchtern. »Der kommt auch zu kurz.« Es klang wie eine einstudierte Antwort, nicht wie der bedauernde Satz einer Liebenden. Sie fuhr sich durch die kastanienbraunen Haare und lächelte Pfeffer gewinnend an. »Sie wollten mich sicher wegen Erna Kubelik sprechen. Ich kann Ihnen nicht viel zu ihr sagen. Sie haben ihre Wohnung gesehen. Sie verwahrloste zunehmend. Sie hatte keinen Antrieb mehr. Wenn das so weiter gegangen wäre, wäre sie noch in ihrem Dreck erstickt. Schlimm.« Verena Klein schüttelte den Kopf. »Und diese seltsamen Freunde, die sie hatte.« Bei Freunde machte sie mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft. »Diese Penner, mit denen sie sich eingelassen hat. Nun ja, immerhin Gesellschaft, nicht wahr?«

»Sie sind sehr direkt, Frau Klein.«

»Ich weiß. Aber ich verurteile niemanden. Die armen Kerle haben es schwer genug. Die soziale Organisation, für die ich mich engagiere beziehungsweise engagiert habe, als ich noch etwas mehr Zeit hatte, macht auch Obdachlosenarbeit.« Sie kniff die Augen zusammen und rieb mit der linken Hand darüber. »Ich rede zu viel. In meinem Kopf fährt gerade alles Karussell.«

»Ich möchte nur ein paar Sachen zu Erna Kubelik wissen.«

»Ich war Mittwoch vor Weihnachten, also ein paar Tage vor Weihnachten, das letzte Mal bei ihr. Da war sie noch quicklebendig. Als ich dann zum nächsten vereinbarten Termin erschienen bin, hat niemand aufgemacht. Ich habe mir zunächst nichts gedacht und bin immer wieder mal bei ihr vorbeigegangen. Nach zwei Tagen, an denen ich zu allen möglichen Uhrzeiten bei ihr geklingelt habe, habe ich dann den Schlüssel genommen und bin mit Alex in die Wohnung. Aber da war niemand.«

»Waren Sie in allen Räumen?«

»Ja.«

»Küche? Bad? Schlafzimmer?«

»Ja, sicher doch. Alex hat sogar unter dem Bett nachgesehen.«

»Und es ist Ihnen nichts aufgefallen?«

»Nein. Hätte uns etwas auffallen sollen?«

»Zum Beispiel Blut.«

»Wo?«

»Das würde ich gerne von Ihnen wissen.«

»Nein. Nichts. Wir haben allerdings auch nicht gezielt nach Blut oder so gesucht.«

»Hatten Sie den Eindruck, dass etwas aus der Wohnung fehlt?«

Verena Klein zuckte mit den Achseln. »Wie sollte man bei der Wohnung einen Überblick haben, was fehlen könnte?«

»Hatte sie irgendwelche Wertgegenstände? Etwas, von dem sie vielleicht dachte, es sei wertvoll?«

»Keine Ahnung.«

Ein Bulle von einem Mann mit teurem italienischen, aber schlecht sitzenden Anzug stürmte durch die Eingangstür und rief noch im Gehen: »Klein, was macht die Sache mit …« Er stockte, denn er hatte Pfeffer gesehen. Sein Ton wurde umgehend geschäftsmäßig freundlich. »Oh, entschuldigen Sie. Menzl.« Er schüttelte Pfeffer die Hand. »Hat Ihnen Frau Klein nichts zu trinken angeboten? Was kann ich für Sie tun? Sind Sie an etwas Bestimmtem interessiert?« Er lächelte verbindlich. Seine Haare waren für sein Alter viel zu dunkel gefärbt und schimmerten rötlich.

»Das ist kein Kunde«, sagte Verena Klein. »Kriminalrat Max Pfeffer von der Kriminalpolizei.«

»Haben Sie etwas verbrochen, Frau Klein?« Der Kunsthändler zog die Stirn kraus.

»Ich hatte nur ein paar Fragen an Ihre Mitarbeiterin«, sagte Pfeffer. »Bin auch schon fertig. Hat mich gefreut, Sie kennenzulernen.« Der Kriminalrat verabschiedete sich.

»Was wollte er?«, fragte Hans-Albert Menzl, nachdem Pfeffer das Büro verlassen hatte. Sein Anzug spannte, als er sich mit beiden Fäusten und durchgestreckten Armen auf dem Schreibtisch aufstützte.

»Er kam wegen der Kubelik.« Verena Klein sah nicht zu ihm auf, sondern schaltete den Computer an.

Menzl atmete scharf ein. Seine Augen wurden zu Schlitzen. »Und?«, fragte er scharf.

»Nichts. Ich habe sie betreut, und dazu hat er mich befragt. Das war alles.«

»Sicher?« Er beugte sich drohend vor. Verena Klein sah zu ihm auf und wich nur ein wenig zurück.

»Ich lüge nicht«, sagte sie bestimmt.

»Gut, das will ich dir auch nicht geraten haben. Wir haben eine Vereinbarung.« Er tippte den Code in die Tastatur und öffnete die Tür zum Kunstlager.

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