Kitabı oku: «Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat?», sayfa 4

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Sozialdemokrat und Freund der Zweiten Internationale

Nach Kriegsende hatten Beobachter den Eindruck, dass sich der »Sympathisant der Bolschewiki« plötzlich als Förderer der niederländischen wie der deutschen Sozialdemokraten gerierte. Passte sich Barmat opportunistisch den jeweiligen Machtverhältnissen an?26 Es bleibt im Dunkeln, wann genau Barmat, der sich selbst als überzeugter Sozialdemokrat bezeichnete, erstmals Kontakte zu niederländischen und wohl auch belgischen Sozialisten knüpfte. Er selbst gab an, schon seit 1908 Mitglied der niederländischen sozialdemokratischen Partei zu sein. Andere, darunter sein deutscher Freund Ernst Heilmann, meinten, er sei weder in Deutschland noch in den Niederlanden jemals Parteimitglied gewesen.27

Zu Barmats engeren Bekannten zählte der weit über sein Heimatland Belgien hinaus bekannte Sekretär der Sozialistischen Internationale Camille Huysmans. Infolge der deutschen Besetzung Belgiens war das Büro der Internationale 1914 nach Amsterdam verlegt worden. Anfang 1919 wurde sie in Bern neu gegründet und war als Sozialistische (»Zweite«) Internationale die Konkurrenzorganisation zur im März 1919 gegründeten Kommunistischen Internationale. Mit der Wiederaufnahme der Arbeit nach dem Krieg war Huysmans auf der Suche nach zusätzlichen Büros, die er – provisorisch und offenbar kostenlos – für kurze Zeit in den Amsterdamer Geschäftsräumen Barmats fand. Vermittelt wurde dieses Arrangement vom niederländischen Sozialdemokraten Troelstra, der schon während des Krieges Bekanntschaft mit Barmat gemacht hatte und ebenfalls als Sympathisant der deutschen Seite bekannt war.

Diese politischen Verbindungen baute Barmat in der Folgezeit systematisch aus. Auf dem ersten großen internationalen Sozialistentreffen in Amsterdam nach dem Krieg im April 1919 kam er mit weiteren europäischen Sozialisten in Kontakt. Anwesend waren von deutscher Seite nur Hugo Haase und Luise Kautsky von der USPD, während der Vorsitzende der SPD Otto Wels sowie Hermann Müller sich infolge von Visumproblemen verspäteten und erst nach Abschluss der viertägigen Zusammenkunft eintrafen. Die meisten Delegierten waren inzwischen abgereist. Nicht ohne Stolz berichtete Barmat später, dass in seinem Haus in Amsterdam bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal nach dem Krieg Deutsche und Engländer zusammengekommen seien. Die neue republikanische Reichsregierung hatte allen Grund, auf ihn und andere ihm nahestehende Personen zu setzen: Huysmans und Troelstra nahmen mit Blick auf den Friedensvertrag deutschlandfreundliche Positionen ein, was in den Reihen der Internationale alles andere als unumstritten war. Insbesondere versprach Barmat, zwischen Deutschland und Belgien zu vermitteln. Die »Stimmung in Belgien [war] kolossal erregt, man wollte alles, was deutsch ist, verhaften«, erinnerte er sich.28 Ob der Geschäftsmann im April die Delegierten des Kongresses der Zweiten Internationale auf seine Kosten bewirtete, gar zu einem Empfang in seinen Büros einlud, ist nicht belegt. Es ist aber sehr wahrscheinlich, präsentierte er ihnen doch stolz seine Geschäftsräume.29

All das bot in der Folgezeit reichlich Stoff für alle möglichen Vermutungen und Unterstellungen. Für die Kommunisten war klar: Der »Spekulant Barmat« knüpfte damals nicht nur die entscheidenden politischen Kontakte nach Deutschland, sondern hatte auch die Sozialisten der Zweiten Internationale, die damit einem Kapitalisten hörig wurden, »gekauft«. Für die Konservativen und Völkischen standen die Sozialdemokraten im Sold eines Ostjuden. Die Unterstellungen gingen so weit, dass sich der SPD-Politiker Ernst Heilmann im Preußischen Untersuchungsausschuss veranlasst sah, mit Blick auf erste Kontakte seiner Partei mit Barmat, die erst im April 1919 stattfanden, die Behauptung zurückzuweisen, Barmat habe den »Dolchstoß finanziert«.30

Der konkrete Grund für Barmats geplante Reise nach Berlin schon im Januar 1919 waren Zeitungspläne. Tatsächlich ermöglichte er die Gründung und den Betrieb der Rotterdamer sozialdemokratischen Zeitung Voorwaarts, indem er zwischen 1917 und 1924 215000 Gulden in das Unternehmen seines guten Bekannten Troelstra steckte.31 Im Gegensatz zum zentralen Organ der holländischen Sozialdemokraten Het Volk war der Voorwaarts explizit der deutschen Seite zugeneigt – zumindest versprach das Barmat, der mit diesem Projekt zweifellos ein geschäftliches Kalkül verband, nämlich sich über solche politischen Kontakte in den Niederlanden wie in Deutschland zu etablieren. Der in Den Haag für die Presse zuständige deutsche Gesandte wusste zu berichten, dass nicht nur der deutsch-niederländische Austausch intensiviert werden sollte, sondern dass es weiterreichende Pläne gebe, wonach »sozialdemokratische Presse- und Telegraphenagenturen in allen Hauptstädten« eingerichtet werden sollten.32 Gespräche über solche Pressevorhaben führte Barmat mit dem befreundeten und in die Zeitungspläne involvierten niederländischen sozialistischen Politiker Jan Willem Matthijsen – und darüber wollte er im Winter und Frühjahr 1919 auch in Deutschland im Auswärtigen Amt und mit einzelnen Politikern, u. a. dem Reichspräsidenten, sprechen. Dementsprechend gab er bei der Antragsstellung für das Visum nicht Geschäftsbeziehungen, sondern »politische Gründe« an, konkret: »Informatorische Arbeit für die Niederländische Soz. Dem. Arb. Partei beim Parteivorstand der deutschen Soz. De. Partei. Redaktion Vorwärts«.33

Trotz eines Einreisevisums wurde aus den Reisen zu Beginn des Jahres nichts. Erfolgreicher waren erneute Bemühungen im März und Ende April. Inzwischen gab es konkrete Kontakte zu den Sozialdemokraten Otto Wels und Hermann Müller sowie zu Beamten des Auswärtigen Amtes, darunter zu dem Barmat wohlgesonnenen, aus Protest gegen den Versailler Vertrag bald aus dem Auswärtigen Amt ausscheidenden Unterstaatssekretär und Industriellen Helmuth Toepffer.

Im Rahmen seines Aufenthalts fand Barmat am 4. Mai in Begleitung von mehreren SPD-Politikern, darunter Otto Wels, Hermann Müller und Ernst Heilmann, auch den Weg zum Reichspräsidenten Friedrich Ebert und übergab diesem ein Empfehlungsschreiben des belgischen Ministers Huysmans. Ebert lud die Gruppe daraufhin zum geselligen Abendessen ein. Etwa sechs Tage später kam es zu einem erneuten, kurzen (und letzten) Zusammentreffen, da Ebert Barmat ein Antwortschreiben übergab. Bei den Gesprächen ging es primär um politische Fragen, wobei das Thema der Lebensmittelversorgung angesichts der kritischen Versorgungslage sicherlich ebenfalls angesprochen wurde.34

Dieses kurze und eher belanglose Treffen sollte ein großes Nachspiel haben. Denn Barmat lernte den für Friedrich Ebert als Privatsekretär arbeitenden Franz Krüger kennen, der dem Kaufmann in der Folgezeit eine ganze Reihe von Freundschaftsdiensten erwies, angefangen von der Ermöglichung eines Telefongesprächs aus den Büroräumen des Reichspräsidenten nach Amsterdam bis hin zu Briefen auf offiziellem Briefpapier, in denen sich Krüger für erleichterte Grenzkontrollen auch für Angestellte der Barmat’schen Amexima einsetzte. Im Auswärtigen Amt machte sich Toepffer, selbst ein Großindustrieller, mehrmals für das von Barmat nun beantragte Dauervisum stark, am 6. Mai mit der, wie Toepffer später konsterniert selbst bemerkte, problematischen, weil in der Presse aufgebauschten Formulierung, wonach Barmat »in intimsten Beziehungen zum Reichspräsidenten Ebert« stehe. Der Unternehmer habe sich bitter darüber beschwert, dass man ihm ein Dauervisum verweigere.35

Notorische Berühmtheit sollte aber ein Telegramm Barmats an den Parteivorsitzenden Otto Wels erlangen, das dieser wiederum Ebert vorlegte, der sich mit einem handschriftlichen Vermerk auf dem Schriftstück für das von Barmat beantragte Dauervisum einsetzte. Daraufhin instruierte die Botschaft das Generalkonsulat am 22. Mai, Barmat »auf persönlichen Wunsch des Reichspräsidenten« den geforderten Dauersichtvermerk für drei Monate auszustellen, eine Order, der man in Amsterdam zähneknirschend Folge leistete, so wie man im Herbst 1922, nach Barmats Übersiedlung zusammen mit seiner Familie nach Berlin, nicht umhin kam, die zeitlich begrenzten Visen in Dauervisen umzuwandeln.36 Wie noch zu sehen sein wird, versuchte die radikale Opposition daraus dem Reichspräsidenten einen Strick zu drehen. Dabei ging es aber vor allem um einen zentralen Punkt, der alle folgenden Debatten überschattete: die Verantwortung für die große Zahl von Ostjuden, die nach Deutschland flohen.

Grenzsicherung und Ostjuden

Viele konnten es nicht gewesen sein, die in den Niederlanden von der Zusammenarbeit Barmats mit deutschen Diplomaten wussten. Im Amsterdamer Generalkonsulat war man auf jeden Fall einigermaßen konsterniert darüber, dass unter anderem von Maltzan und der Botschafter Alfred von Rosen Barmats Visumanträge befürworteten – auch wenn die beiden intern ein sehr ambivalentes Bild der Person Barmats zeichneten. Von Rosen meinte im Januar 1919, Barmat sei ein »sehr gewandter wortreicher russischer Jude, der nötigenfalls auch die ukrainische Staatsangehörigkeit für sich in Anspruch nimmt und der den persönlichen Ehrgeiz hat, konsularischer und lieber diplomatischer Vertreter der Ukraine oder auch der Sowjet-Regierung im Haag zu werden«. Außerdem verwies er darauf, dass das Amsterdamer Generalkonsulat die »besonders ›glücklichen‹ Geschäfte« Barmats mit »gewisser Skepsis« betrachte, vor allem aber, dass er trotz »gewisser Dienste« für Deutschland offenbar ein »skrupelloser Opportunist« sei.37 Das hinderte von Maltzan jedoch nicht daran, Barmat zwischen Januar und April insgesamt vier befristete Visa, sogenannte Passvisen, auszustellen.38 Schon im Januar wurde dem Staatenlosen ein erster Personalausweis ausgefertigt. Bei manchen seiner Kollegen in Den Haag, vor allem aber beim Generalkonsul Hans Paul von Humboldt und dem Legationsrat Graf Waldbott von Bassenheim in Amsterdam, führte das zu starken Irritationen, und sie opponierten vehement. Die Reise im Januar trat Barmat aber nicht an, wahrscheinlich, weil die vorgesehenen Termine platzten. Auch von Maltzan hatte im Januar das Auswärtige Amt in Berlin vorsorglich instruiert, dass bei dem »jüdischen Ukrainer Barmat«, der demnächst in der Reichskanzlei und dem Auswärtigem Amt auftauchen werde, »wohlwollende Zurückhaltung« geboten sei.39

Grenzübertritte waren nach dem Krieg eine aufwendige Angelegenheit. Bürokratische Hemmnisse erschwerten die vormals relativ freie Bewegung von Menschen und die Zirkulation von Waren und Geld über Grenzen. Es herrschte ein tiefes Misstrauen, dass mit den Migranten auch Spione und revolutionäre bolschewistische Ideen einsickern könnten. Dass die nationalen Grenzen vielfach ungesichert waren, vermittelte ein Gefühl der Verwundbarkeit. Besonders brisant war die Situation im Osten, wo es mit der Gründung des Staates Polen zu konfliktreichen Grenzziehungen kam. Hunderttausende Flüchtlinge, die vor der Gewalt der Russischen Revolution, der Bürgerkriege sowie der blutigen Pogrome flohen, überschritten unkontrolliert die deutsch-polnische Grenze und ließen sich im Reich nieder. Schätzungen gehen von 600000 russischen Staatsbürgern aus, von denen sich 360000 allein in Berlin aufhielten. Umstritten war die Anzahl der jüdischen Migranten. 1924 hieß es, dass bis zu 400000 Ostjuden nach Deutschland gekommen seien. Tatsächlich ließen sich zwischen 1914 und 1921 nur etwa 105000 jüdische Migranten im Reich nieder, viele von ihnen vorübergehend auf ihrem Weg in den Westen. Erste Regelungen noch aus dem Jahr 1918, die jüdische Migration aus dem Osten einzuschränken, wurden unmittelbar nach der deutschen Revolution zunächst einmal aufgehoben. Humanitäre Motive standen im Vordergrund. Antisemiten sprachen bald von einer »Ostjudenplage«, und der Ruf nach effektiven Grenzsperren und Deportation insbesondere der ostjüdischen Flüchtlinge wurde laut.40

Barmats Bemühungen, im Jahr 1919 nach Deutschland einzureisen, hatten mit dieser ostjüdischen Fluchtbewegung wenig zu tun. Tatsächlich hätte die Ausgangssituation nicht konträrer sein können. Hier der wohlhabende Kaufmann mit seinem Geschäftssitz an der noblen Keizersgracht in Amsterdam, der legal die Grenze überschreiten wollte, dort die vielen, überwiegend bettelarmen Flüchtlinge, die vielfach illegal die »grüne Grenze« überquerten. Hier ein Mann, der über »vorzügliche Manieren« verfügte, »als Israelit ein sehr gutes Äußeres« hatte und zudem »angenehm im Umgang war, sodass man allgemein geradezu von ihm eingenommen ist und ihm Vertrauen schenkt«,41 dort die vielen Jiddisch sprechenden, teils in einen Kaftan gekleideten Juden, die auch ihren deutschen Glaubensgenossen vielfach als exotisch und fremd, ja als Vertreter einer anderen, rückständigen Welt des Ostens galten. Julius Barmat teilte nicht das Schicksal dieser vielen ostjüdischen Migranten, die auf den infolge der Demobilisierung des Heeres übervollen deutschen Arbeits- und Wohnungsmarkt drängten, auf öffentliche und konfessionelle Fürsorgeleistungen angewiesen waren und sich aus purer Not in wirtschaftlich marginalen Nischen zu etablieren versuchten. Während er bald in den teuersten Berliner Hotels logierte, die seinem sozialen Status entsprachen, zwängten sich die meisten Flüchtlinge in die ärmeren Stadtquartiere wie das Berliner Scheunenviertel oder in improvisierte Notunterkünfte, wenn sie nicht gar in auf Militärgelände gelegenen Übergangslagern »konzentriert«, isoliert und drangsaliert wurden – mit der unverhohlenen Absicht, die Neuankömmlinge möglichst schnell wieder abzuschieben.

Und doch: Ob aus dem Westen oder Osten kommend, wohlhabend oder arm – allen, auch Julius Barmat, haftete das Stigma des Ostjuden an. Dass sich hinter seinen geschliffenen Manieren ein russischer oder polnischer, sprich: jüdischer Kriegsgewinnler verberge, insinuierte bezeichnenderweise auch der in der kommunistischen Roten Fahne abgebildete Cartoon aus der Hochphase des Skandals (siehe Abb. 1, S. 48): Er zeigt Barmat als »Schieber«, der nach Kriegsende – in Polen – mit Sack und Pack darauf wartet, in das sozialdemokratische »Schieberparadies« Deutschland aus »humanitären Gründen« eingelassen zu werden. Ganz ähnlich sahen das viele Konservative, allemal aber die Völkischen, für die mit der Republikgründung das »Ostjudenproblem« begann. Konkret hieß das: Verschärfung der Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit, Kosten für die Wohlfahrt, (Wirtschafts-)Kriminalität und nicht zuletzt un-überwindbare kulturelle Fremdheit.42 Dahinter standen – idealisierte – Vorstellungen einer »wertvollen« Migration, wie die der Hugenotten (siehe auch Abb. 2, S. 51).

Der Familiennachzug war ein anderes Thema. In den Jahren zwischen 1919 und 1924 verließen auch die Barmat-Geschwister Herschel, David, Isaak, Salomon sowie Rosa und Dora Barmat Russland bzw. die Ukraine, und die Brüder stiegen in das verzweigte Geschäft zwischen Amsterdam, Berlin und Wien ein. An erster Stelle zu erwähnen ist der 1893 geborene Herschel oder Henri bzw. Henry (Letzteres seine eigene Schreibweise). Henry hatte die Mittelschule besucht und dann das Abitur gemacht, aber keine »Lust zum Studium«. Der Vater schickte ihn und seinen jüngeren Bruder Isaak ebenfalls in die Niederlande, damit sie nach dem Tode einer geliebten älteren Schwester »auf andere Gedanken« kämen. Der Zufall wollte es, dass sich Henry just bei Kriegsausbruch 1914 auf einer Geschäftsreise in Russland aufhielt, sodass ihm die Rückkehr nach Holland versperrt war. Nach seiner Rückkehr 1919 trat er als Angestellter in das Geschäft von Julius ein, zunächst in Amsterdam und Wien, dann in Berlin, wo er den Lebensmittelhandel organisierte.43 Er war Julius’ linke Hand, eine Verbindung, die auch dadurch gestärkt wurde, dass Henry 1920 die Schwester von Barmats Frau, Helena de Winter, heiratete.


Abb. 1 Skandalisierung der Einreise Julius Barmats durch die KPD. Erster Teil eines Cartoons, Die Rote Fahne Nr. 48, 22. 2. 1925

Bundesarchiv, Bibliothek, Signatur: Z D 678-si

Ging es in den späteren Debatten im Zusammenhang mit der Einreise der Brüder meist um Wohnungsfragen – die Verteilung von Wohnraum unterstand kommunalen Behörden –, entwickelte sich die Einreise der Eltern zu einem Politikum. Über den 1867 im russischen Uman geborenen Abraham Barmat wissen wir genauso wenig wie über seine drei Jahre ältere, in Tolschin, ebenfalls in Russland, geborene Frau Schewa Barmat-Pechowitsch, die aus einer russischen Industriellenfamilie gestammt haben soll. Barmats Anwälte bezeichneten Abraham Barmat als Rabbiner, andere Quellen sprechen von einem Kaufmann und »Talmud-Gelehrten«, andere von einem »sehr religiösen orthodoxen Israeliten«.44 Auch in Uman, wo die Familie lebte, kam es während des Bürgerkriegs zwischen 1917 und 1920 zu brutalen, gegen Juden gerichtete Pogrome mit Zehntausenden Toten, die auch die Barmats zur Flucht veranlassten. Im Herbst 1920 kontaktierte Julius Barmat den damaligen Reichskanzler Gustav Bauer (SPD) und berichtete ihm von einem Brief seines Vaters, der wie so viele andere Flüchtlinge mit Frau und Kindern an der bessarabisch-rumänischen Grenze ausgeplündert und mittellos gestrandet war. Er bat um Hilfe, um seinen Familienangehörigen die Übersiedlung nach Holland zu ermöglichen. Bauer erwies ihm diesen Freundschaftsdienst und verwandte sich für die Familie sowohl bei der Niederländischen Botschaft, dem Auswärtigen Amt als auch beim preußischen Innenminister Carl Severing, damit die preußischen Behörden den Barmats keine Schwierigkeiten bei der Durchreise in die Niederlande bereiteten.45

Severing sah sich schon damals wie dann auch im Zuge des Skandals 1925 massiven politischen Angriffen ausgesetzt. Trotz der repressiven Politik seines preußischen Innenministeriums wurde er andauernd mit Vorwürfen konfrontiert, nicht scharf genug gegen die ostjüdischen Flüchtlinge vorzugehen. Er galt als »Beschützer der galizischen Juden«46, für den, wie der Abgeordnete Wilhelm Kähler (DNVP) 1922 im Preußischen Landtag meinte, alles, »was mit dem Judentum zusammenhängt, ein Blümchen Rührmichnichtan« sei.47 Die offizielle Linie Severings war es, humanitäre Erwägungen bei der Aufnahme von Flüchtlingen auch mit Blick auf den Völkerbund und die kritische Beobachtung Deutschlands durch das Ausland in den Vordergrund zu stellen. Dennoch versuchte man, ihm in der rechten Presse wie im preußischen Untersuchungsausschuss wegen der Einreise der Eltern Barmats einen Strick zu drehen (auch mit der ziemlich absurden Implikation, dass dabei Korruption vorgelegen habe).48


Abb. 2 Kontrastierung der hugenottischen mit der jüdischen Einwanderung nach dem Ersten Weltkrieg

CC-BY-SA 3.0 Universitätsbibliothek Heidelberg, Kladderadatsch, 73.1920, Seite 284

Umstrittener Großlieferant von Lebensmitteln ins hungernde Deutschland

Julius Barmats Lebensmittelgeschäfte während der Kriegszeit übertrafen bei Weitem die der unmittelbaren Nachkriegszeit, und doch waren Letztere von Anfang an heftig umstritten. Das hat gleichermaßen mit dem Geschick zu tun, mit denen der niederländische Kaufmann im Gegensatz zu vielen Konkurrenten eine akute Notmarktlage bedienen konnte, wie mit seinen politischen Verbindungen zur neuen republikanischen Regierung, die seine Geschäfte zu befördern schienen. In diesem Kontext interessiert zunächst einmal Barmats Geschäftstätigkeit in der unmittelbaren Nachkriegszeit – die Voraussetzung für den Aufbau des späteren Barmat-Konzerns.

Ankunft in einer Hungergesellschaft

Seit dem Frühjahr 1919 pendelte Julius Barmat zwischen Amsterdam und Berlin. Die Grenzübertritte in Bentheim waren mühsam. Die Passagiere wurden genauestens unter die Lupe genommen. Der Schmuggel von Devisen und Waren aller Art blühte. Ob sogenannte Grenzempfehlungen Barmat in irgendeiner Weise den Übergang erleichtert haben, war 1925 ein großes Thema. Die auf Papier des Reichspräsidentenamtes geschriebenen Empfehlungen, die, wie später aufgeklärt wurde, Friedrich Eberts Privatsekretär Franz Krüger (SPD) ausgestellt hatte, zeigten auf jeden Fall ihre Wirkung.49

Bei seinen Besuchen in Berlin wohnte der Kaufmann standesgemäß im Central Hotel, später dann im Hotel Bristol, die zu den besten der Reichshauptstadt gehörten. Zunächst reiste er mit befristeten Visen nach Deutschland ein; erst 1922 beantragte er in Berlin für sich, seine Frau und seinen Sohn erfolgreich eine Aufenthaltsbewilligung, wobei er auf seine Firmen und ein Empfehlungsschreiben des damaligen Reichsschatzministers Gustav Bauer (SPD) verwies.50 Als sich Barmat Anfang 1923 dann dauerhaft in Berlin niederließ, wählte er als Domizil ein Landhaus auf der Havelhalbinsel Schwanenwerder. Wenngleich es sich dabei keineswegs um ein »Schloss« handelte, wie später vielfach behauptet wurde, wohnten auf dieser »Insel der Seligen«, einem Villenviertel im Südwesten Berlins mit Bootsanlegestellen für die Seegrundbesitzer, all diejenigen, die von sich sagen konnten, finanziell wohlauf zu sein. Das waren kaum mehr als zehn Familien, deren Haushaltsvorstände zumeist im Finanzwesen tätig waren.51

Barmats Ex- und Importgeschäfte mit Lebensmitteln, Textilien und Lumpen liefen prächtig. Nicht nur Deutschland, sondern auch die Nachfolgestaaten der österreichisch-ungarischen Habsburgermonarchie waren, wie man damals norddeutsch zu sagen pflegte, ausgepowert. Die Stimmung war schlecht. In der Nachkriegsgesellschaft mangelte es an allem, an Nahrungsmitteln nicht weniger als an Kleidung, Kohle und Papier. Zudem waren Geschäftskontakte unterbrochen, es herrschte eine extreme Devisenknappheit und es gab, wie im Falle der Niederlande, zum Schutz der einheimischen Bevölkerung Exportverbote.

Der Waffenstillstand hatte für die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung zunächst nicht die erhoffte große Wende gebracht. Großbritannien hielt die Seeblockade aufrecht. Zugleich war seit der Novemberrevolution 1918 das ohnehin prekäre System der öffentlichen Versorgung mit Nahrungsmitteln ins Wanken geraten. Landwirte unterliefen aus eigennützigen, viele meinten auch aus politischen Gründen die öffentliche Lebensmittelzwangswirtschaft mit ihren Preisregulierungen zugunsten der Konsumenten; der Handel hortete Waren, um sie später teurer zu verkaufen. So lautete jedenfalls der nicht ganz unbegründete öffentliche Generalverdacht gegen Produzenten und Handeltreibende. Zugleich blühte der von Produzenten wie Konsumenten gleichermaßen in Gang gehaltene Schwarzmarkt, auf dem Preise gefordert wurden, die weit über die festgesetzten Höchstpreise hinausgingen. Viele halfen sich selbst. Männer, Frauen und Kinder zogen aufs Land und beschafften sich, wenn nicht legal, dann vielfach durch Diebstahl, darunter Feldplünderungen, was sie sich vor allem in den Großstädten für Papier- und blechernes Notgeld nicht mehr oder nur im Tausch gegen andere Sachwerte beschaffen konnten. Der Fotograf Felix Römer hat diese Berliner Hungergesellschaft in eindringlichen Bildern dokumentiert.52

Ernährungsfragen waren das Tagesgespräch. Hunger, exzessive, »unangemessene Preise« und die realen wie vermeintlichen Ausschweifungen von »Schlemmern« empörten, so wie das Schlangestehen und die Jagd nach Fett, Zucker und anderen knappen Waren entnervten. War das der Boden für die politische Radikalisierung, ja für die Anfälligkeit der Städter für den Bolschewismus? Die fatalen revolutionären Ereignisse in Russland standen als Menetekel im Raum. So sahen es jedenfalls viele Mitglieder der sozialdemokratischen Regierungen der jungen Republik, die mit spartakistischen Aktionen und Aufständen im Winter 1918/19 zunächst in Berlin und seit dem Frühjahr auch in anderen Teilen des Reiches konfrontiert waren. Die Devise hieß: Sicherstellung der Volksversorgung – egal was es koste.53 Schon aus diesem Grund war der offenkundig finanzkräftige Amsterdamer Kaufmann Julius Barmat ein gefragter Mann.

Barmat nutzte die Gunst der Stunde. Zupass kam ihm dabei die von seinen Brüdern, Freunden und auch von seinen Feinden vielfach bekundete soziale Gabe, auf Menschen zuzugehen, sie zu bereden, auch zu überreden und an sich zu binden. Einige waren davon abgestoßen, zumal sie hinter der menschlichen Geste blankes Kalkül witterten. Andere waren dagegen von ihm angezogen, wobei schwer zu entscheiden ist, was ihn so attraktiv machte: seine weltoffene Persönlichkeit, die großzügig aus Holland mit der Post verschickten »Liebesgabenpakete« oder andere kleine Geschenke, Zuwendungen und kleine »Privatkredite«, die er Freunden und Bekannten geradezu aufdrängte. Wann kam es schon vor, dass ein »Guldenmillionär«54 auch mit einfachen Leuten sprach? Barmat wirkte aber auch deshalb anziehend, weil er ganz offensichtlich etwas bewegte und über Verbindungen verfügte, von denen auch andere profitierten. Zweifellos war er ein Genie wirtschaftlicher und finanzieller Betriebsorganisation, in den durchaus pejorativ gemeinten Worten der niederländischen Polizei: »buitensporig handig« und »an geheel juist«, was soviel heißt wie »ungeheuer clever« und »geölter Jude«.55

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