Kitabı oku: «Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat?», sayfa 5
Wirtschaftliche »Grenzmoral« und Volksernährung
Der Krieg war vorbei, die Probleme der Kriegswirtschaft hielten an. Der für die Volksernährung zuständige Reichsminister Robert Schmidt (SPD), dessen Ressort 1919/20 kurzzeitig mit dem Reichwirtschaftsministerium zusammengelegt wurde, unterstrich rückblickend, wie kritisch die Ernährungslage das ganze Jahr 1919 über war. Angesichts der akuten Notlage galt es zu improvisieren. Die Gesetze des Marktes waren außer Kraft gesetzt, alle möglichen Stellen, einschließlich des Militärs, versuchten Nahrungsmittel zu beschaffen, auch illegal. So habe man vielfach »ein Auge zugedrückt und auch beide Augen«.56 Es gab Konflikte mit den Niederlanden und Dänemark, die die deutsche Regierung zur Bekämpfung des illegalen Grenzhandels aufforderten, an dem sich Tausende beteiligten und damit die Preise in den Nachbarländern in die Höhe trieben. Viele »faule Geschäftsleute« und »Spekulanten« aus den USA und England boten ihre zweifelhaften Dienste an. Vor allem aber: Eine akute Devisenknappheit des Reiches erschwerte Importe jeder Art.
Die Probleme erschienen so dringlich, dass im Mai 1919 ein interministerieller »Diktatorischer Ausschuss« unter Leitung des früheren Direktors der Ostafrikanischen Eisenbahngesellschaft Eugen Pritschow eingerichtet wurde. Im Streit um die knappen Devisen sollte sich diese Organisation über Partikularinteressen von Behörden, aber auch Wirtschaftsinteressen hinwegsetzen. Markige Rufe nach Diktatoren, insbesondere Wirtschaftsdiktatoren im Bereich der Volksernährung, waren seit dem Krieg sehr populär. Aber es war eine andere Sache, sich diktatorischen Beschlüssen auch unterzuordnen. Denn Diktatur setzt bekanntlich nicht auf komplizierte Verfahren, schon gar nicht auf Transparenz, sondern auf Dezisionismus. So waren Ressentiments und Widerstände nicht nur bei den betroffenen Ressorts des Reiches, der Länder und der Kommunen, welche die auseinanderfallende Lebensmittelzwangswirtschaft organisierten, sondern auch bei Unternehmern im In- und Ausland vorprogrammiert.57 Dass überall »geschoben« wurde, gehörte zu den Gemeinplätzen mit vielen, meist unbewiesenen, ins Kraut schießenden Unterstellungen und Vermutungen, die zweifellos auch einen wahren Kern hatten. Ausgestochene Unternehmer waren schnell dabei, Konkurrenten mit Vorwürfen zu diskreditieren.
Der Lebensmittelhändler Julius Barmat geriet dabei wie kein anderer in die Schusslinie. Wofür es 1919/20 aber nur in Ansätzen eine kritische mediale Öffentlichkeit gab – stattdessen aber viele Gerüchte und Geschichten –, ließ sich wenige Jahre später im Zuge des Barmat-Skandals auf breiter Ebene thematisieren. Viele der früheren Akteure, darunter Handeltreibende und Vertreter großer Lebensmittelimportfirmen wie Alnari oder Schwoon in Hamburg, von denen nicht wenige in den Kriegswirtschaftsbehörden eine maßgebliche Rolle gespielt hatten, traten 1925 in gleich drei parlamentarischen Ausschüssen auf, im Reich, in Preußen und in Sachsen, um sich zu den Lebensmittelgeschäften und Geschäftspraktiken Julius Barmats samt der beteiligten Personen in der unmittelbaren Nachkriegszeit zu äußern. Es ging um die Qualität von Butter und Speck, sophistische Debatten über Brutto- und Nettoinhalte von Milchdosen, »(un)angemessene Preise«, Lieferkonditionen und Finanzierungsfragen, dann aber auch im Zusammenhang mit allen diesen Themen um den Verdacht der Korruption, namentlich die Verbindungen von Julius Barmat zu führenden Sozialdemokraten.
Verhandelt wurden Fragen der wirtschaftlichen »Grenzmoral« als »Wirtschaftsmoral« des Kapitalismus. Diesen Begriff hatte Götz Briefs, ein Ökonom aus dem Umfeld der katholischen Soziallehre, 1921 in die Diskussion eingeführt. Er meinte damit die Verkehrsmoral »der am wenigsten durch moralische Hemmungen im Konkurrenzkampf behinderte[n] Wirtschafter, die auf Grund ihrer Mindestmoral unter im Übrigen gleichen Umständen die stärksten Erfolgsaussichten haben und sohin die übrigen konkurrierenden Gruppen bei Strafe der Ausschaltung vom Wettbewerb zwingen, allmählich in Kauf und Verkauf sich dem jeweilig tiefsten Stand der Wirtschaftsmoral (›der Grenzmoral‹) anzugleichen«. Dieser »submarginale […] Druck« war, wie Briefs in späteren Zusammenhängen formulierte, nach allgemeiner Anschauung auf der einen Seite höchst verwerflich, weil mit dieser Wirtschaftsmoral kein wirtschaftlicher Nutzen erzeugt würde, was in zeittypischen Bezeichnungen wie Schieber, Kettenhändler und Schwindelunternehmer zum Ausdruck komme. Zugleich sah der Ökonom aber sehr wohl, dass sich in diesem Begriff der »Grenzmoral« immer auch Reaktionen auf dynamische Prozesse »schöpferischer Vernichtung« (Josef Schumpeter) widerspiegelten: auf neue Produktionsformen und innovative Unternehmer, die durch ihr wirtschaftliches Handeln etablierte und auch moralische Normen unterliefen.58
Vor allem der in der ersten Reichsregierung für die Volksernährung zuständige Minister Robert Schmidt (SPD) sah sich bei den Ermittlungen heftigen Angriffen ausgesetzt. War er für das »Festsetzen der Spinne Barmat in der gesamten Lebensmittelversorgung Deutschlands 1919/20 verantwortlich«, wie 1925 auch der bayerische Gesandte in seinem Bericht aus der Reichshauptstadt unterstellte? Das Verhör des Ex-Ministers im Reichstagsausschuss wurde dementsprechend mit großer Spannung erwartet, doch kam er »leidlich unlädiert« aus den Befragungen heraus, da selbst »die Rechte geneigt scheint, ihm das beneficium des Ehrenmanns nicht abzustreiten«.59 Ähnliches wiederholte sich bei den Aussagen Schmidts im Preußischen Untersuchungsausschuss.
Schmidt wusste bereits beim ersten Zusammentreffen mit Barmat, dass der Amsterdamer Kaufmann im Krieg auf der deutschen Seite gestanden hatte – die Tatsache, dass er auf der Schwarzen Liste der Briten stand, war für ihn, wie er betonte, »eine Empfehlung«, ebenso wie die Lieferungen nach Deutschland, vor allem als die Niederlande 1919 zeitweise die Exporte stoppten. Mehr als alles andere zählte aber für den einstigen Minister, dass Barmat 1919 zu denjenigen gehörte, die auf dem leer gefegten und blockierten Weltmarkt überhaupt Lebensmittel beschaffen konnten, und das offenbar in großen Mengen. Der Kaufmann machte auf ihn den Eindruck eines »vertrauenswürdigen und tüchtigen Geschäftsmanns«, auch wenn ihm seine etwas »aufdringliche Art« missfiel, was aber nicht nur für Barmat kennzeichnend gewesen sei.60
Schmidt traf Barmat nur zwei Mal. Dieser habe bei ihm weniger vorgesprochen, um sich über Geschäfte zu unterhalten, wofür ganz andere Stellen und Personen zuständig waren. Vielmehr habe er sich darüber beschwert, dass er, der Sozialdemokrat und Jude Barmat, von den alten Beamten benachteiligt werde. Nach Schmidts Eindruck hatte er »mit dieser Beschwerde nicht ganz unrecht«, zumal renommierte Banken, darunter die Diskontogesellschaft oder das Bankhaus Mendelssohn, seine Person ausgesprochen günstig beurteilten.61 Der Vorsitzende des Diktatorischen Ausschusses Pritschow erklärte später, wie er die Anweisung Schmidts, Barmat anzuhören, verstand: Man solle Barmat nicht vor den »Kopf stoßen«, ihn »nicht hinauswerfen« (wie das offenbar bei vielen Kaufleuten, die vorsprachen, der Fall war) und ihn »in den Formen des kaufmännischen Verkehrs anständig behandeln«.
Eine Reihe von damaligen Beamten des Reichswirtschaftsministeriums, darunter zahlreiche Unternehmer aus Industrie und Handel, die hohe Positionen in Kriegswirtschaftsstellen eingenommen hatten, sahen das anders. Ihr Vorwurf lautete, der SPD-Sympathisant Barmat sei systematisch protegiert worden. Zwar sei bei der Vergabe von Aufträgen kein direkter Druck ausgeübt worden; passive oder aktive Bestechung, also Formen von Korruption, ließen sich, wie sie auf Nachfrage zugeben mussten, nicht nachweisen. Sie empfanden Barmat aber als »politischen Faktor«, mit dem man rechnen musste. Man fügte sich, weil man dem Freund der »maßgeblichen Herren«, sprich: Schmidt und der Regierung Gustav Bauer (SPD), eben zu Gefallen sein wollte.62 Solche Aussagen lassen deutlich das Misstrauen gegen »die neuen Männer« erkennen, die nun in der Politik wie in der Wirtschaft ein Wort mitzusprechen hatten. Barmat, ein Konkurrent, schien sich überall breitzumachen.
Barmat war in der Lage zu liefern, und zwar nicht nur an das Reich, sondern auch an staatliche Stellen in Württemberg und Sachsen. In den Niederlanden verfügte der Kaufmann über ein weitverzweigtes Netz von Agenten und konnte im Gegensatz zu anderen deutschen Importeuren nicht nur in Rotterdam, sondern auch im belgischen Antwerpen einkaufen. Außerdem bot er günstige Finanzierungsmodalitäten an. Auf einem anderen Blatt stand, ob seine Preise wirklich so günstig und die Qualität immer einwandfrei waren. Schmidt und andere frühere Beamte der einschlägigen Reichsbehörden wussten zu berichten, dass Barmat mehr versprochen, als er dann geliefert habe, was ihn aber ebenfalls nicht von anderen Auslandslieferanten unterschieden habe.
Der Umfang der Lieferungen nach Deutschland in der Nachkriegszeit war beachtlich, wenn auch bei Weitem nicht so umfangreich, wie gern berichtet wurde.63 Der Vorsitzende des Diktatorischen Ausschusses schätzte, dass sich die mit den Reichsernährungsstellen abgeschlossenen Geschäfte Barmats auf 20 Mio. Gulden beliefen, was 30 Mio. Goldmark entsprach – bei insgesamt 3,7 Milliarden Goldmark für Einfuhren aller Reichsstellen also einem Anteil von gerade einmal einem knappen Prozent.64 Hinzu kamen die Nahrungsmittellieferungen der Amexima an andere Stellen, allein 1919/1920 nach Sachsen in Höhe von 211 Mio. Papiermark (wegen der fortschreitenden Inflation entsprach das etwa 22 Mio. Goldmark). Hinzu kamen Geschäftsbeziehungen nach Österreich, die 1920/21 ausgebaut wurden und bald den Handel mit Deutschland überflügelten. Neben Nahrungsmittelvereinbarungen hatte die Amexima 1919 Kontrakte mit den einschlägigen Stellen des Reiches wie der Länder über große Lieferungen von Textilien aus den Niederlanden, darunter solche für Lumpen, die für die Papierproduktion gebraucht wurden, für die Barmat im Gegenzug Papier für sozialistische Zeitungen nach Holland lieferte (worin manche einen Verstoß gegen die Bewirtschaftungsgesetze und Ausfuhrbestimmungen sahen).65
Finanzierungsfragen
Die Beschaffung und Lieferung von Lebensmitteln war aber nur die eine Seite des Geschäfts. Wichtiger für das Reich waren die – damals wie später heftig umstrittenen – Finanzierungskonditionen. Die Reichsbank und die einschlägigen Großbanken wollten oder konnten 1919 keine Devisen für Nahrungsmittelimporte zur Verfügung stellen. Erst als nach längerem Hin und Her die Finanzierungsmodalitäten geklärt waren, kamen die Reichsstellen mit der Amexima ins Geschäft. Barmats Angebot war insofern attraktiv, als er mit einer Kreditfrist von sechs bis neun Monaten, in Sachsen sogar bis zu zwölf Monaten, lieferte, d.h., er übernahm die Vorfinanzierung. Dazu besorgte sich die Amexima mittels der Auftragsbescheinigungen bei niederländischen und deutschen Banken die erforderlichen Kredite.66 Die fluktuierenden Devisenkurse machten darüber hinaus komplizierte Finanztransaktionen in Form von Sicherungsgeschäften notwendig. Die politisch umstrittene Frage lautete, ob das legal war, vor allem aber, ob Barmat »übermäßige Gewinne« erzielte. Lieferte er zu überhöhten Preisen, die durch seine Finanzierungskonditionen nicht gerechtfertigt waren? Es ging um viel Geld. Barmat stach Konkurrenten aus, darunter etablierte Geschäftshäuser. Der Höhepunkt der deutschen Lebensmittelgeschäfte mit Barmat fiel in die ersten Monate nach 1919 bis in den Sommer 1920. Ab dem Winter 1919/20 schloss das Reichswirtschaftsministerium direkt mit amerikanischen Schlachthäusern Lieferungsverträge über Fleisch, Speck und Schmalz in hohen Dollar-Millionenbeträgen ab, sodass man nicht länger auf Vermittlungen von Personen wie Barmat angewiesen war.67
Barmats günstige Konditionen provozierten Neid und Missgunst, zunächst weil viele alteingesessene deutsche Firmen auch in den Niederlanden keine ähnlichen Finanzierungsmodi anbieten konnten oder sich vom Handel ausgeschlossen sahen. Barmats Antwort auf die Frage, wie ihm das alles gelang, war einfach. Nicht nur, dass er im Gegensatz zu seinen Konkurrenten in den Niederlanden und Deutschland bis weit nach Belgien und in die USA über Händlerkontakte verfügte; sein Verfahren habe darin bestanden, dass er seinen Zulieferern die gleichen Konditionen anbot wie die Reichsstellen ihm: »Wenn ich einen Kontrakt in Holland gemacht habe, wir wollen einmal sagen: mit Cohen van der Laan in Margarine, Schmalz und Fett, dann habe ich dem Lieferanten gesagt: Das sind die Bedingungen, die ich mir dabei mache, und du mußt dich an diese Bedingungen halten; ich will dir aber als Sicherheit von mir aus 100000 Gulden einzahlen […] und […] den Rest auf der Basis, wie ich das mit der Reichsstelle machte, kannst du das mit mir machen.«68 Auf diese Weise habe er die Lieferanten an den Risiken beteiligt und sein eigenes Risiko minimiert. Das war für alle Beteiligten unsicher, ein System von Zusagen und Versprechungen, die oft nicht eingehalten werden konnten, was möglicherweise auch erklärt, dass Barmat der Ruf vorauseilte, dass man mit ihm vorsichtig sein müsse.
Offen blieb die Frage, ob sich Barmat mit den Nachweisen über die deutschen Lieferungsaufträge Gulden beschaffte und diese dann für Währungsspekulationen benutzte. Seine Konkurrenten versuchten das zu skandalisieren, stand damit doch der Verdacht im Raum, »der Kriegsgewinnler« habe auf den Niedergang des Markkurses spekuliert und sei damit auch ein Inflationsgewinnler. Beweisen ließ sich das nicht. Und ob solche spekulativen Währungsabsicherungen wirklich strafbar gewesen wären, war, wie auch der Vorsitzende des preußischen Untersuchungsausschusses Eugen Leidig (DVP) bezweifelte, eine ganz andere Frage.69
Viele andere Punkte blieben offen, darunter der, wie es dem Kaufmann gelingen konnte, unter den Bedingungen der Markabwertung 1919/20 – erst im Frühjahr 1920 zog der Markkurs wieder an – den deutschen Stellen auf relativ lange Dauer Kredit zu geben und zugleich einen Gewinn zu erwirtschaften. Außer Frage stand dagegen, dass Barmat ein geschickter Finanzjongleur mit einem offenbar phänomenalen Zahlengedächtnis war, der in den Ausschüssen aus dem Stegreif über die kompliziertesten Details, Zusammenhänge und Namen Auskunft geben konnte, was offensichtlich auch den Vorsitzenden Leidig, selbst Jurist und Syndikus verschiedener Firmen, beeindruckte. Klar war aber auch, dass es offenbar Unregelmäßigkeiten gab, wobei sich jedoch die Behörden und Beamten, welche die Geschäfte abwickelten (und nicht die Politiker), an die eigene Nase fassen mussten.70
Der niederländische Hafenarbeiterstreik 1919
Ein Coup besonderer Art gelang Barmat anlässlich des großen Streiks der niederländischen Hafenarbeiter, der sich über zwei Monate bis Anfang Mai 1920 hinzog und mit einer Niederlage der Streikenden endete. Gelöschte, schon bezahlte Waren im Wert von fast einer Milliarde Goldmark allein nach Deutschland und weitere Lieferungen nach Österreich (Geschäfte, die aber offenbar so gut wie gar nicht von der Barmat’schen Amexima, sondern oft direkt mit den amerikanischen Packern getätigt worden waren) konnten nicht abtransportiert, sondern mussten zu hohen Kosten gelagert werden; verderbliche Lebensmittel wie Butter und Fleisch drohten zu verrotten. Abgesehen davon, dass es um extrem knappe Devisen-Millionen ging, musste der Streik Rückwirkungen auf die öffentliche Ernährung haben, und das ausgerechnet in der Zeit des Kapp-Putsches, als die politische Lage in Deutschland außerordentlich angespannt war und insbesondere in den Industrieregionen eine große Lebensmittelnot herrschte. Die syndikalistische Federatie von Nederlandsche Transportarbeitere propagierte im Gegensatz zum gemäßigten, sozialdemokratischen Centraale Bond von Transportarbeideres einen politischen und nicht nur einen wirtschaftlichen Kampf. Die erklärte Solidarität mit der revolutionären Bewegung im Ruhrrevier als Reaktion auf den Kapp-Putsch spielte dabei eine wichtige Rolle. Die Parole der radikalen Linken lautete Generalstreik.71
Barmat versprach Hilfe, indem er Reichswirtschaftsminister Schmidt zusicherte, er könne bei den niederländischen Gewerkschaften für den Abtransport der Warenlieferungen sorgen. Dazu reiste eine eigens zusammengestellte Abordnung aus Deutschland an, darunter der Vertreter der deutschen Transportarbeitergewerkschaft Johannes Döring, der mittlerweile aus dem Dienst beim Reichspräsidenten ausgeschiedene Reichstagsabgeordnete und gute Bekannte Barmats Franz Krüger (SPD) sowie Wilhelm Koenen (USPD, später KPD). Vom 7. bis 13. April fanden in Amsterdam und Rotterdam die Verhandlungen statt – in Amsterdam zeitweise im Geschäftshaus Julius Barmats, der zusammen mit seinem Vertrauten Matthijsen als Vertreter der holländischen Sozialisten bei den Verhandlungen anwesend war, ohne dass er dabei aber eine direkte Rolle spielte.
Die Verhandlungen, in die eine Reihe anderer Personen involviert war, gestalteten sich langwierig und kompliziert. Das dabei erzielte Arrangement mit den niederländischen sozialdemokratischen und syndikalistisch-kommunistischen Gewerkschaften war jedoch ein Erfolg – zumindest für die deutsche Regierung, da die Arbeiter zügig die Löschung der Lieferungen nach Deutschland und Österreich durchführten. Der Kompromiss bestand darin, dass die Hafenarbeiter als Gegenleistung dafür eine Erhöhung des Tageslohns von 6,60 Gulden auf den geforderten Lohnsatz von 8 Gulden erhielten. Doch der Teufel lag im Detail der Vereinbarung: Denn tatsächlich bekamen die Arbeiter weiterhin nur den bisherigen Tagessatz; der Differenzbetrag zu den 8 Gulden wurde offenbar stattdessen den Gewerkschaften zur Verfügung gestellt. Es ist nicht klar, wie das genau gehandhabt wurde: Vermutlich übernahm die Deutsche Transportzentrale in Rotterdam die Zahlung dieser Gelder; aber auch Barmat will als »Belohnung« für die Freigabe einen Beitrag für den Unterstützungsfonds der Streikenden geleistet haben, so jedenfalls erklärte er das später.72
Wer für das für Deutschland günstige Arrangement schließlich verantwortlich war, blieb ungeklärt (auch wenn einiges für die aktive Rolle der deutschen Delegation und Barmats spricht). Noch 1925 polterte Reichswirtschaftsminister Schmidt, die »Herren der Gesandtschaft« hätten gewusst, »was für einen Rock die Gräfin X oder Y in einer Gesellschaft angehabt hat, aber nichts über Arbeiterverhältnisse und Gewerkschaftsfragen«; wenig Ahnung schrieben er und andere in der Regierung auch den, so der Vorwurf Schmidts, inaktiven Reichsernährungsstellen zu, deren Beamte aus der Kaufmannschaft gemeinsame Sache mit ihren niederländischen Unternehmerkollegen gemacht hätten.73
Das schließlich gefundene Arrangement war aber auch in Gewerkschaftskreisen umstritten. Edo Fimmen, der bekannte linke Führer der Internationalen Transportarbeitergewerkschaft, wandte sich in der Folgezeit scharf gegen Barmat: Der Kaufmann sei »immer nur ein Schieber gewesen, wie es deren in der kapitalistischen Gesellschaft in unbegrenzter Anzahl gibt«.74 Der Verdacht stand im Raum, dass der Reichswirtschaftsminister aus Dank für Barmats Einsatz bei der Lösung des Streiks diesem ein »großes Lebensmittelgeschäft« zugeschanzt habe. Beweisen ließ sich dieser Vorwurf nicht.75
Wie bereits erwähnt, fiel der niederländische Streik in die Zeit des Kapp-Lüttwitz-Putsches. Die Republik war bedroht, die Koalitionsregierung unter Gustav Bauer (SPD) kurzzeitig aus der Hauptstadt geflohen. Die Antwort der Gewerkschaften war ein – erfolgreicher – Generalstreik, der jedoch in Teilen des Landes in eine revolutionäre Aufstandsbewegung der Arbeiter mündete. Stockende Nahrungslieferungen aus den Niederlanden waren das Letzte, was die Regierung brauchte; dies wäre Wasser auf die Mühlen der radikalen Rechten wie der Linken gewesen. Barmat gab auf seine Weise eine Loyalitätsbekundung für die Republik ab, indem er der verfassungsmäßigen deutschen Regierung ohne jede Sicherheitsleistung Lebensmittel und Kredite zur Verfügung stellte. Reichkanzler Gustav Bauer lehnte diesen »Beweis des Vertrauens« angesichts der sich bald klärenden politischen Entwicklungen dankend ab. Aber der Sache haftete ein Beigeschmack an. War das einmal mehr ein Beispiel für die opportunistische »Vielseitigkeit« Barmats, wie der Abgeordnete Joseph Kaufhold (DNVP) meinte? Vor allem war das nicht ein Indiz dafür, wie eng Barmat und die Sozialdemokratie kooperierten?