Kitabı oku: «Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat?», sayfa 6

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Korruptionsdebatten im Übergang vom Kaiserreich zur Republik

Die Geschäftstätigkeit Barmats wurde von Anfang an kritisch beäugt und seit 1919 skandalisiert. Korruptionsdebatten waren nicht neu. Vor dem Krieg hatten insbesondere Sozialdemokraten immer wieder versucht, das Thema auf die politische Tagesordnung zu setzen.76 Seit der Revolution sah das anders aus: Viele der früheren Kritiker und die republikanischen Parteien wurden zur Zielscheibe massiver, vielfach schmutziger Korruptionsvorwürfe. Diese verbanden sich mit zahlreichen anderen Debatten, u. a. darüber, dass »die Juden« ihre schützende Hand über die Republik legten, ja dass sie die »Schutztruppe der Sozialdemokratie« seien.77

Öffentliche Skandalisierungen

Barmats große Lebensmittelgeschäfte mit dem Reich und dem Land Sachsen sowie die Amsterdamer Ereignisse im Zusammenhang mit dem Hafenarbeiterstreik hatten zur Folge, dass Schmidts Nachfolger als Ernährungsminister, der Zentrumspolitiker Andreas Hermes, sich weigerte, auch nur Gespräche mit Barmat zu führen, und das obwohl sich der Ex-Reichskanzler und Gewerkschafter Gustav Bauer sowie der sächsische Wirtschaftsminister Albert Schwarz für den Amsterdamer Unternehmer verwandten. Es stand die Behauptung im Raum, »Barmat sei ein Schieber«. Hermes wich aus, verwies auf die Verdächtigungen von Beamten der Reichsfettstelle, die sowohl Preise wie Qualität moniert hätten.78

Die Angelegenheit hatte ein Nachspiel. Hegte der bei dem Gespräch Bauers mit Hermes anwesende und außerordentlich erregte Barmat Rache und mobilisierte die SPD gegen den Zentrums-Minister? Der Leiter der Einfuhrgesellschaft des Reiches für Getreide und Futtermittel, ein bekannter Hamburger Kaufmann auf dem Gebiet des internationalen Getreidehandels, unkte rückblickend, dass die ablehnende Haltung von Minister Hermes der Grund für die in dieser Zeit von der SPD gegen ihn und sein Ministerium erhobenen Misswirtschafts- und Korruptionsvorwürfe gewesen sei. Absurd ist dieser Verdacht nicht. Auch Barmats Freund Ernst Heilmann (SPD) engagierte sich in der Angelegenheit und titulierte Hermes als »Volksschädling«.79

Hermes’ Verhalten gegenüber Barmat und dessen heftige Reaktionen lassen sich damit erklären, dass der Kaufmann seit dem Spätsommer 1919 massiven Angriffen ausgesetzt war. Die Spuren führen in die Niederlande, wo seit dem September ein anonymer Bericht mit dem Titel »Was man sich in eingeweihten Kreisen an der Börse in Rotterdam erzählt« zirkulierte. In leicht veränderter Form veröffentlichte die Handelskammer Bochum diesen Bericht in ihren Mitteilungen, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem Autor um einen »Vertrauensmann der deutschen Regierung« handle: »Während zahllose deutsche Gemeinden und Fachverbände seit Monaten vergeblich versuchen, Einfuhrgenehmigungen für den Bezug von Lebensmitteln aus dem Auslande zu erhalten, während die zuständigen Reichsstellen das ihnen Mögliche aufbieten, Kredite im Ausland zu erlangen, weil ihnen die zur Bezahlung der gekauften Lebensmittel notwendigen Devisen nicht mehr zur Verfügung stehen, gibt es auch heute noch einzelne Bevorrechtete, die Einfuhrgenehmigungen in scheinbar unbegrenztem Umfange in Händen haben, die sich viele Millionen in ausländischer Währung mit leichter Mühe verschaffen und auf Kosten des deutschen Volkes ungezählte Summen in ihre Taschen strecken.«

In dem Bericht wurde Barmat erstmals einem größeren Leserkreis explizit vorgestellt. Dabei ging es um seine vermeintlichen Sympathien für die Bolschewiki wie »seine persönlichen Beziehungen zu den höchsten Regierungsstellen in Berlin« und in diesem Zusammenhang auch um den angeblichen Besitz eines Schreibens aus der Kanzlei des Reichspräsidenten, »wonach ihm bei allen Behörden jede gewünschte Unterstützung zu gewähren ist«. Vermerkt wurden auch Privilegien bei der Revision seines Gepäcks an der Grenze, überhöhte Preisabsprachen mit den Reichsbehörden und andere zweifelhafte Geschäfte, alles Themen, die dann später in der Presse und den Ausschüssen verhandelt wurden. Explizit antisemitische Formulierungen aus dem Rotterdamer Bericht strich die Bochumer Handelskammer, darunter den Hinweis, dass derjenige, der die Amexima in Amsterdam betrete, »die Bekanntschaft mit den Herren Cohn, Isaak oder Veilchenduft« mache.80 Andere Zeitungen fügten neue und schärfere hinzu: Der »Bolschewist Barmat« war demnach der »Millionennutznießer der deutschen Bettelarmut«, der sich zusammen mit anderen Glaubensgenossen auf Kosten der deutschen Bevölkerung bereicherte. Bis in die 1930er Jahre sollten immer wieder Passagen aus dieser Mitteilung der Bochumer Handelskammer abgedruckt oder zitiert werden.81

Alles deutete darauf hin, dass diese Skandalisierung der Geschäfte Barmats vom deutschen Generalkonsulat in Amsterdam gezielt gefördert, wenn nicht gar sogar betrieben wurde. Für den Generalkonsul von Humboldt war Barmat »ein wirtschaftlicher Schädling der schlimmsten Sorte für das deutsche Volk«, den er nicht begünstigen wollte.82 Der Ärger über die umstrittene Visumsvergabe im Frühjahr 1919 saß tief, zumal sich dieser Prozess nach Ablauf des Dreimonatsvisums im August in weniger spektakulärer Form wiederholte. Für noch mehr Unmut sorgten Gerüchte, Barmats Einfluss auf die deutschen Dienststellen in den Niederlanden sei so groß, dass sich der Kaufmann angeblich rühme, »dass er jedem, der es wollte, seinen Pass für die Reise nach Deutschland mit einem Visa versehen oder umgekehrt verweigern konnte«.83 Not amused waren die deutschen Diplomaten, wenn die linke Zeitung Het Volk im Oktober 1919 mit Blick auf Barmats Einfluss stichelte, man könne ihn ja zum neuen deutschen Gesandten in den Niederlanden machen.84 Zudem irritierte die Diplomaten, dass, so ihr Eindruck, eine Privatperson auf eigene Faust (Wirtschafts-)Diplomatie betrieb, etwa indem sie eine sächsische Delegation unter Führung des früheren Ministerpräsidenten Georg Gradnauer (SPD) mit belgischen sozialistischen Politikern wie Camille Huysmans und dem Minister für öffentliche Arbeit Edward Anseele miteinander in Kontakt brachte.85

Im Kreis konservativer Sozialdemokraten:
Gesellige Runden in Berlin und Schwanenwerder

Ein zentraler Grund für die beschriebenen Verdächtigungen war die Tatsache, dass sich Barmat seit seiner Ankunft in Deutschland im sozialdemokratischen Milieu der Stadt Berlin bewegte. Der Sozialdemokrat Wilhelm Keil, der 1920 im Auftrag des württembergischen Ernährungsministers Verhandlungen mit ihm in Berlin führte, berichtete in seinen Erinnerungen über einen Besuch bei dem Unternehmer, dem der Ruf vorauseilte, »gewaltige Mengen Fett«, »Fett, wonach die Bevölkerung lechzte«, aus Holland nach Berlin und Sachsen einzuführen. Er habe sich bei Barmat im Hotel Bristol angemeldet und »eine wunderbar ausgestattete Hotelwohnung« betreten. Barmat sei sofort auf sein Anliegen eingegangen, habe aber die geschäftlichen Bedingungen nicht direkt besprechen wollen. Er habe ihn zunächst zu einem »solennen Abendessen« eingeladen, bei dem führende Parteigenossen um die Tafel versammelt gewesen und edle Weine, Zigarren und Sekt serviert worden seien. Dabei wurde es wohl spät, und der Württemberger verabschiedete sich unter irgendeinem Vorwand »zu einer Stunde, als die Gesellschaft noch nicht daran dachte, sich aufzulösen«. Am folgenden Tag habe er zwar die ihm angebotene Zigarre und den Cognac angenommen, aber die Einladung zum Mittagessen abgelehnt; den Geschäftsabschluss über eineinhalb Millionen Mark überließ er seinem württembergischen Ernährungsminister, ebenfalls einem Sozialdemokraten.86

Diese Essen Barmats mit Parteifreunden wurden später genau unter die Lupe genommen. Stimmte es, dass sich der Amsterdamer Unternehmer privat mit Hausmannskost, gebratenen Heringen und Rindfleisch begnügte, wie sein Freund Ernst Heilmann im preußischen Untersuchungsausschuss den ungläubigen bis belustigten Zuhörern mitteilte? Oder wurde bei Barmat doch »geschlemmt«, wie das auch Keil insinuierte und was in einer Zeit mit »Schlemmereigesetzen« besonders verwerflich war? Das später verhörte Hotelpersonal des »Bristol« konnte das nicht bestätigen: Barmat lebte offenbar tatsächlich eher bescheiden und verhielt sich ansonsten nicht anders als die meisten anderen »Devisenausländer«, was vielen Deutschen in dieser Zeit aber verwerflich genug erschien.87 Von einem kommunistischen Abgeordneten auf die »glänzende Bewirtung« bei Barmat angesprochen, meinte der Gesandte Sachsens in Berlin, Georg Gradnauer (SPD), mit einem Augenzwinkern, dass das wohl stimmen möge – aber dass die Bewirtung »nicht so glänzend« wie etwa in der sowjetischen Vertretung gewesen sei.88

Barmat prahlte zweifellos mit seinen politischen Kontakten zur neuen republikanischen Regierung und versuchte, seine politischen Beziehungen gezielt auszuspielen. Für ihn, den Aufsteiger und Ausländer, der über keine langjährigen Verbindungen zu Politik und Bürokratie verfügte, waren diese Kontakte wichtiges soziales Kapital. Fast alle, die mit ihm in Berührung kamen, zogen solche Schlüsse – spätestens 1925. Einigen dämmerte dabei auch, dass Barmat die vielen Liebesgabenpakete, die er von Holland an Bedürftige sowie alte und neue Bekannte verschicken ließ, die Spenden wie die für ein Kinderheim im sächsischen Pirna, das er auf Bitte des sächsischen Ministerpräsidenten Schwarz unterstützte, oder die bescheidenen finanziellen Zuwendungen für das sozialdemokratische Köpenicker Tageblatt, gezielt als Werbekosten für seine eigene Sache einsetzte (was dann dem Vorwurf der Bestechung und Korruption Auftrieb gab). Barmat verstand solche Anschuldigungen nicht: Er, der über Geld verfügte, lud selbstverständlich seine Freunde und Geschäftskollegen ein, aus welchen Parteien auch immer sie stammten, egal ob bürgerlich oder von der Zweiten oder Dritten (kommunistischen) Internationale.89

Mehr als alles andere beflügelte Barmats wohnräumliche Nähe zu dem früheren Vordenker der russischen Linken, Geschäftsmann, Spekulanten und 1916 eingebürgerten »Ostjuden« Israil Lasare-witsch Helphand, genannt Alexander Parvus-Helphand, Verschwörungstheorien. Beide wohnten 1923 in Schwanenwerder, wohin Barmat Anfang des Jahres gezogen war. Wilhelm Keil kannte Helphand noch als Hungerleider aus den 1890er Jahren, als sich der aus Preußen ausgewiesene Sozialdemokrat zeitweise in Stuttgart niedergelassen hatte. Der russische Revolutionär und linke Theoretiker, der mit seinen Moralvorstellungen seit jeher seine deutschen Genossen zu schockieren vermocht hatte und vor dem Krieg aus der Partei ausgeschlossen worden war, hatte sich als Handeltreibender neu erfunden. Ab 1910 lebte er dank seiner Kontakte zu Jungtürken und türkischen sowie armenischen Sozialisten im Osmanischen Reich, wo er sich als Autor politischer und ökonomischer Schriften sowie als Unternehmer, genauer: als internationaler Waffenhändler, der mit deutschen und englischen Rüstungsfirmen wie Krupp und Vickers zusammenarbeitete, betätigte. Die Balkankriege und dann der Weltkrieg entwickelten sich für ihn zu einem großen Geschäft. Im Kontakt mit dem jungtürkischen Nationalismus wurde Helphand selbst ein glühender Nationalist, der schon vor dem Krieg Kontakte zu deutschen militärischen und diplomatischen Stellen pflegte. Wie bei Barmat saß sein Hass auf das Zarenreich tief. Gleich nach Kriegsausbruch 1914 befasste er sich mit Insurrektionsplänen für Russland, die zur Einschleusung Lenins nach Russland im Jahr 1917 führten. Die Revolution in Russland sollte den Weg nicht für die Bolschewiki, sondern für ein neues sozialdemokratisches Zeitalter ebnen. In diesem Zusammenhang hatte der Ex-Revolutionär große Pressepläne, ganz ähnlich denjenigen, die offenbar auch Barmat 1919 ventilierte.

1920 war Helphand wieder in Berlin, nachdem die Schweizer Behörden den politisch verdächtigen Revolutionär aus seinem noblen Domizil am Zürichsee und dem Land verwiesen hatten.90 Wilhelm Keil war auf jeden Fall erstaunt, als er Helphand, den er noch mit zerfransten Hosen in Erinnerung hatte, nun nach dem Krieg in Schwanenwerder »wohlgepflegt im eleganten Anzug« und mit einer jüngeren Frau an der Seite wiederbegegnete. Weitere Einladungen Barmats schlug Keil aus, und zwar nicht nur, weil er, wie er vermerkte, von den delikaten Speisen nicht satt wurde: »Die ganze Atmosphäre sagte mir nicht zu. Ich mochte nicht Stipendiat eines Kriegsgewinnlers sein. Wenn Parteifreunde von Rang sich hier wohl fühlten, so fand ich damit das Wort bestätigt: Über den Geschmack läßt sich streiten.«91 Leider enthält Keil in seinen Erinnerungen dem Leser vor, wer die »führenden Parteigenossen« waren, die er beim Essen mit Barmat wie dann auch bei Helphand antraf. Beide hatten offenbar denselben Bekanntenkreis, auch wenn es keine Hinweise darauf gibt, dass Julius Barmat und Helphand miteinander in geschäftlichen Verbindungen standen, ja nicht einmal, dass sie persönliche Kontakte pflegten. Zum gemeinsamen Bekanntenkreis zählten neben dem Ex-Reichskanzler Philipp Scheidemann der SPD-Parteivorsitzende Otto Wels, dessen Sohn Sekretär von Helphand war, der preußische Kultusminister Konrad Haensch, der zeitweilige sächsische Ministerpräsident (1919), Reichsinnenminister (1921) und sächsische Gesandte in Berlin Georg Gradnauer und neben Ulrich Rauscher und Victor Neumann wahrscheinlich auch der spätere Reichskanzler Hermann Müller sowie der Politiker Ernst Heilmann und der Journalist Erich Kuttner.92 Wie der Berliner Polizeipräsident Richter (SPD) später aussagte, verabredete man sich meist »zwang- und formlos« im Reichstag oder Landtag und begab sich dann oft ins Hotel Bristol, wo Barmat logierte: »Wenn wir zu Herrn Barmat hinkamen, lud er in der Regel zum Abendessen ein«, das in den Zimmern eingenommen wurde. Der »Hauptzweck« für die Besuche war, so Richter, »daß ich dort in der Regel politische Freunde traf, mit denen ich meine Meinungen über politische Fragen austauschen konnte«.93

Der aus der Partei ausgeschlossene Helphand war in der SPD zwar umstritten, aber nicht ohne Einfluss. Im Gegenteil: Seit dem Krieg sammelte sich um ihn, besser gesagt um Helphands Presseorgane, eine Gruppe von stark nationalistisch orientierten Sozialdemokraten, die den Kriegskurs des Deutschen Reiches vorbehaltlos unterstützten, sei es aus Patriotismus, sei es, weil sie mit Krieg und Kriegssozialismus eine neue sozialdemokratische Ära heraufziehen sahen. Diese Gruppe verband die 1915 von Helphand zunächst als Halbmonats-, dann als Wochenschrift ins Leben gerufene und finanzierte Zeitschrift Die Glocke. Sie erschien im Verlag für Sozialwissenschaft, in den 1917 auch die erworbene Internationale Korrespondenz über Arbeiterbewegung, Sozialismus und ausländische Politik sowie die Sozialdemokratische Feldpost integriert wurden.94 Der Verlag für Sozialwissenschaft war insofern von – heute weithin unterschätzter – Bedeutung, als darin bis 1925/26 zahlreiche republikanisch-staatstragende Publikationen, darunter auch Schriften, die Barmat verteidigten, erschienen.

Viele Autoren, darunter bekannte Parteiführer der Republik, die seit dem Krieg zum Teil von anderen Zeitschriften wie den Sozialistischen Monatsheften abgeworben worden waren, kamen dank Helphand in Lohn und Brot. Ein Linker wie Karl Radek hatte denn auch nur Spott und Verachtung für diese Gruppe von Sozialdemokraten übrig, die sich auf die Seite Ludendorffs und der »Reaktion« stellten. Mit diesem Urteil unterschied er sich wenig von dem aus dem Eulenburg-Skandal der Vorkriegszeit bekannten Enthüller homosexueller Beziehungen der Entourage um den Kaiser, dem Publizisten Maximilian Harden. Höhnend zitierte Radek den von Parvus-Helphand schon im Krieg »gemietheten Redakteur« der Glocke, Conrad Haenisch, dass es das Ziel sein müsse, »die deutsche Arbeiterschaft zum deutschen Staatsgedanken zu erziehen«. Die Zukunft des deutschen Kapitalismus und damit die Zukunft der deutschen Arbeiterbewegung zu gefährden, hieße auch die Zukunft des internationalen Sozialismus zu gefährden, hatte der 1918 zum preußischen Kultusminister ernannte Haenisch zu Beginn des Krieges geschrieben. Andere, wie die Sozialdemokraten Paul Lensch und Heinrich Cunow, in deren Umfeld sich auch Barmats Freund, der Vorsitzende der preußischen SPD Ernst Heilmann bewegte, hatten sich, wie andere Autoren im Umfeld der Glocke, vehement auf die Seite der Verfechter eines Siegfriedens Deutschlands geschlagen und sich zudem auch für Annexionen ausgesprochen.95

Es war allgemein bekannt, dass die Publikationen des Verlags für Sozialwissenschaft nicht nur auf hohe Zuschüsse des »Kriegsgewinnlers« Helphand angewiesen waren, sondern dass er auch außergewöhnlich gute Honorare bezahlte. Über die politischen Einflüsse im Hintergrund mochte man spekulieren: Der Herausgeber der Feldpost, der preußische Sozialdemokrat Erich Kuttner, der im Skandal 1925 als Verteidiger Barmats eine zentrale Rolle spielen sollte, hatte die Zeitung auf einem strammen Kriegskurs gehalten, wobei die Heeresleitung einzelne Artikel Kuttners offenbar als Flugblätter in Massenauflage verbreitet hatte. Wie etwa Ernst Heilmann war auch er ein rabiater Antibolschewist.96

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich um Barmat wie Helphand konservative Sozialdemokraten gruppierten. Ein – seriöser – Insider wusste zu berichten, dass eine mit dem Verlag für Sozialwissenschaft räumlich verbundene Wohnung in der in der Nähe des Reichstags gelegenen Regentenstraße SPD-Führern während des Kriegs und während der Revolutionsphase als »neutraler Boden für Besprechungen« gedient hatte. Andere, von den Gesprächen Ausgeschlossene, sahen das anders: Es kam der Verdacht auf, dass an diesem Ort konspirative Pläne der Partei-Rechten der SPD gegen die Linke geschmiedet worden waren.97

Der Fall Sklarz

Personen aus dem informellen politischen Kreis, die sich gelegentlich in Schwanenwerder um Helphand versammelten, standen erstmals 1919/20 im Mittelpunkt scharfer Angriffe und von Skan-dalisierungsversuchen – also zur gleichen Zeit, als auch die Lebensmittelgeschäfte Barmats erstmals Gegenstand öffentlicher Empörung wurden.98 Im Zentrum befand sich mehr noch als Helphand sein Kompagnon, der in Breslau geborene Georg Sklarz, der ebenfalls jüdischer Konfession war.

Anfang 1920 erschien in der deutsch-völkischen Buchhandlung Fr. Warthemann in Berlin die Broschüre Der Rattenkönig. Revolutions-Schieber und ihre Helfer. Die Wahrheit über den Fall Sklarz. Der anonyme Autor publizierte unter dem Pseudonym Sincton Upclair, dem verballhornten Namen des bekannten sozialkritischen Schriftstellers Upton Sinclair, mit dem Zeitgenossen das »muckraking«, das Aufwirbeln von Mist und Dreck, d. h. die Anprangerung von sozialen und politischen Missständen verbanden. Dem Verfasser des Rattenkönigs ging es um die »Reptilien aus dem roten Sumpf«, die Korruption der Republik und der Sozialdemokraten.99 Die auf dem Titelblatt abgedruckte Lexikonnotiz evoziert darüber hinaus ein anderes, nicht minder drastisches Bild, nämlich das einer Verschwörung: »Der Rattenkönig ist eine Gesellschaft von Ratten, die im Nest durch eigenen Schmutz und Unrat derart verknüpft und verfilzt sind, daß sie nicht mehr auseinander können.«

Im Mittelpunkt des Rattenkönigs standen dubiose Import- und Exportgeschäfte Helphands und Georg Sklarz’, die allesamt auf deren Involvierung in die Russische Revolution, und zwar in Verbindung mit dem Auswärtigen Amt, verwiesen. In Berlin pfiffen die Vögel von den Dächern, dass Helphand und Georg Sklarz im Zusammenhang mit den Plänen zur Revolutionierung Russlands Handelsprivilegien erhalten hatten und zahlreiche Geschäfte nach der Revolution weiterführen konnten; einige wussten zweifellos auch, dass Georg Sklarz für den militärischen Geheimdienst gearbeitet hatte. Im Mittelpunkt des Pamphlets standen aber vor allem Sklarz’ Aktivitäten während der deutschen Revolution, bei denen sich Politik und Geschäft tatsächlich auf eklatante Weise verquickt hatten. Sklarz hatte nicht nur Export- und Importgenehmigungen, sondern auch Vollmachten zum Aufkauf von Lebensmitteln erhalten, und zwar im Zusammenhang mit der Marketenderei für die Versorgung von republikanischen Truppen mit Lebensmitteln in Berlin (wie dann auch für das Freikorps Lüttwitz im Frühjahr 1919). Diese Lebensmittellieferungen wurden im Nachhinein aus der Reichskasse bezahlt. Im Rattenkönig war die Rede von »Koffern«, ja »ganze[n] Droschken voll« Nahrungsmitteln und »Fässern von Margarine«, die Sklarz zur Bestechung republikanischer Politiker gedient hätten, um an diese öffentlichen Aufträge zu gelangen.100 Neben dem Reichspräsidenten Friedrich Ebert wurde vor allem der Reichskanzler Philipp Scheidemann (SPD), dessen Schwiegersohn Fritz Henk für Sklarz arbeitete, unflätig beschimpft, und Scheidemanns Ruf sollte im Zuge der Kampagne nachhaltig beschädigt werden.

Von den Russlandgeschäften abgesehen, waren die erhobenen Vorwürfe ziemlich absurd. Mit Blick auf unsere weitere Geschichte sind aber verschiedene Punkte von Bedeutung, und das nicht nur, weil in der Folgezeit im Zusammenhang mit Barmat immer auch auf den Fall Sklarz Bezug genommen werden sollte.

1. Mehr noch als in der bisherigen Geschichte Barmats taucht im Fall Sklarz der Topos von »den Juden« auf, die Helfershelferdienste für die Sozialdemokratie leisteten. Das hatte bei Sklarz einen realen Hintergrund, denn er war maßgeblich an der Gründung der privaten Berliner Wachdienst G.m.b.H beteiligt, aus der noch im Dezember 1918 der sogenannte Helferdienst der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands hervorging. Im Zusammenhang mit dem »Spartakusaufstand« und den nachfolgenden Unruhen in Berlin im Januar 1919 wurde diese Truppe zur Besetzung und Sicherung des Reichstags abkommandiert, wobei sich einmal mehr der Name änderte: Die Bezeichnung lautete nun Republikanische Schutztruppe, die aus zwei Regimentern namens »Reichstag« und »Liebe« bestand. Georg Sklarz spielte dabei die eigentümliche Rolle nicht nur eines privaten Unternehmers und Kriegsfinanziers, sondern auch eines Marketenders (was nun alles ganz der Weber’schen Definition des »vormodernen«, »politischen Kapitalismus« entspricht). Als der Wache der Reichskanzlei und den übrigen Truppeneinheiten, darunter das Regiment »Reichstag«, im Zuge des Spartakusaufstands der Proviant ausging, griff die Provisorische Reichsregierung auf die von Sklarz angebotene Hilfe zurück: »[F]ür Überlegen war keine Zeit«, so Friedrich Ebert rückblickend; ohne Sklarz, so Scheidemann, »hätten (wir) totsicher [sic!] die spartakistische Herrschaft bekommen«.101 Sklarz hatte offenbar einen Blankokredit über 750000 Mark vom Berliner Bankhaus S. Bleichröder aufgenommen und will, wie er später – wohl etwas vollmundig – versicherte, zusammen mit eigenen Mitteln über »1,200 000 Millionen [sic!] ausgegeben [haben], ohne Sicherheit oder auch nur ein Versprechen zu haben, dass ich jemals einen Pfennig zurückerhalten würde«.102 Dafür erhielt Sklarz von Ebert und Scheidemann unterschriebene Vollmachten, die ihm und seinen Helfern unter Umgehung der öffentlichen Stellen den Ankauf von Lebensmitteln ermöglichten.

Revolutionäre Profitgier schien über politische Moral und Sauberkeit zu siegen – so sahen es auf jeden Fall die Kritiker. Und nicht nur das: Den einen war es ein Gräuel, wie sich die angeheuerten republikanischen Soldaten im Reichstag aufführten und Inventar zerstörten und entwendeten. Aber das war nur die eine Seite. Andere – nicht unbegründete – Vorwürfe reichten von Misshandlungen bis Mord an in Haft genommenen spartakistischen Soldaten; das betraf auch den später loyalen Barmat-Gefährten Erich Kuttner, der einen Spartakisten in Notwehr erschossen hatte, was ihm noch Jahre später die Kommunisten, aber auch Nationalsozialisten vorwerfen sollten.103 Tatsächlich herrschte in den Reihen der republikanischen Truppen eine ausgeprägte anti-spartakistische Stimmung. Einer seiner früheren Mitstreiter aus dem militärischen Geheimdienst charakterisierte den Anti-Bolschewisten Georg Sklarz folgendermaßen: »Er [Sklarz – MHG] wolle nicht, dass in Deutschland auch die Kinder mit dem Schädel gegen die Wand geschlagen werden und jeder, der mit einem Stehkragen herumlaufe, auf der Straße ermordet wird.«104 Überdies gab es Gerüchte, dass Sklarz eine Kopfprämie für die Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg ausgelobt habe.105 Kein Wunder, dass die radikale Linke den Verrat der Sozialdemokratie an der Revolution skandalisierte.

2. Die Revolution als »großes Geschäft«, und zwar in Tateinheit mit Korruption, tauchte zunächst in konservativen Polemiken gegen die »A[rbeiter]- und S[oldatenräte]-Wirtschaft« auf. Bald war in der konservativen Presse die Rede von »Revolutionsgewinnlertum«. Von hier war es kein großer Schritt mehr zum Vorwurf der »revolutionären Miß- und Korruptionswirtschaft«, auf welcher die junge Republik angeblich beruhte.106 Hier setzten die Korruptionsdebatten ein, mit denen zunächst insbesondere der erste Finanzminister der Republik Matthias Erzberger (Zentrum), ein scharfzüngiger Kritiker der kaiserlichen Eliten, überzogen wurde.

Den ersten massiven Angriff lancierte im Sommer 1919 der frühere Staatssekretär im Reichsfinanzministerium Karl Helfferich (DNVP) mit seinem Pamphlet Fort mit Erzberger!. Helfferich attackierte den vom anfänglichen Annexionisten zum Mitinitiator der Friedensresolution 1917 mutierten Politiker und Unterzeichner des Waffenstillstandsvertrags als »Reichsverderber«. Neben Meineid und Landesverrat warf er Erzberger auf jedem Schritt seiner Karriere »eine unsaubere Vermischung politischer Tätigkeit und eigner Geldinteressen« vor. Helfferichs Leitmotto »Korruption« als »Schwester von Demokratie und Parlamentarismus« wurde von »Sincton Upclair« im Rattenkönig nicht nur zitiert, sondern auch systematisch, gegen die Sozialdemokratie gerichtet, weitergesponnen.107 In die gleiche Richtung zeigten zwei weitere mit Sincton Upclair gezeichnete Schriften: Die Korruptionszentrale und Erzberger kommt wieder!!!.108 Die ersten öffentlichen Angriffe auf Barmat zur gleichen Zeit sind in diesem Kontext des aufblühenden Korruptionsdiskurses zu sehen.

3. Der Rattenkönig erschien in einem deutsch-völkischen Verlag. Das verweist auf die spätere Skandalisierung Barmats im Umfeld der Völkischen und der Deutschnationalen. Tatsächlich führt die Autorenschaft des Rattenkönigs aber zunächst in die Reihen der Linken, namentlich zu Personen, die aus privaten wie aus grundsätzlichen Gründen ein Interesse an der Skandalisierung von Sklarz und der SPD-Führung hatten. Triviales vermischte sich mit politischen Motivationen: Der ursprüngliche Initiator war der sozialdemokratische Journalist Hermann Sonnenfeld, dessen Sohn nicht nur für Sklarz gearbeitet hatte, sondern samt der Sklarz’schen Sekretärin mit einer beträchtlichen Summe Geld aus der Betriebskasse und entwendeten Geschäftsdokumenten ins Ausland geflohen war, woraus sich ein Fall von Erpressung entwickelte (der auf Betreiben von Sklarz ein gerichtliches Nachspiel haben sollte).

Als Erster griff Maximilian Harden, der Herausgeber der Zeitschrift Die Zukunft, den Fall auf. Dieser über Deutschland hinaus bekannte, bei der politischen Rechten auch wegen seiner jüdischen Konfession verhasste deutsche Publizist und muckraker hatte vor dem Krieg eine wichtige Rolle beim bereits erwähnten Eulenburg-Skandal gespielt. Harden stand in der Causa Sklarz in engem Kontakt mit seinem alten Bekannten Georg Davidsohn, einem promovierten Philosophen und Journalisten, der seit 1912 für die SPD im Reichstag und in der Nationalversammlung saß, wo sich der Vertreter der Anti-Alkoholbewegung und sozialistischen Eugenik auf dem eher trockenen Feld der Geschäftsordnung hervorgetan hatte.109 Davidsohn zählte zu den Zukurzgekommenen der Revolution, die überall die Ausbreitung eines krassen Materialismus sahen und Ressentiments gegen »Kriegsgewinnler« wie Georg Sklarz und Parvus-Helphand hegten, wobei neben politischen Bedenken wahrscheinlich auch seine Abneigung gegen Ostjuden eine Rolle spielte. Das vermischte sich bei Davidsohn mit einer genuinen Kapitalismuskritik, die in der Form einer Korruptionskritik vorgetragen wurde. Die SPD müsse sich von zwielichtigen Gestalten wie Sklarz distanzieren, lautete die Parole.

Enttäuscht von der Ablehnung, auf die sie in der Partei stießen, gingen Sonnenfeld und Davidsohn mit dem Enthüllungsmaterial bei der Berliner Presse hausieren und landeten schließlich bei dem den Deutschnationalen nahestehenden Pressedienst von Vater und Sohn Sochaczewski, die gleichermaßen politisches wie kommerzielles Interesse an der Geschichte hatten. Vater Martin Sochaczewski war als Mitarbeiter und Chefredakteur mehrerer Zeitungen im konservativen Umfeld gut vernetzt; bei der Gründung 1921 trat er dem Verband nationalkonservativer Juden bei. Seit dem 25. November 1919 verteilte sein Pressedienst hektografierte Berichte mit Titeln wie »Revolutionsschieber«, »Geschichte der Glocke« (bei der Glocke handelte es sich um die oben erwähnte, von Parvus-Helphand lancierte Zeitschrift, der vorgeworfen wurde, gegen gute Honorare Politiker zu kaufen), »Gefälschte Dokumente« und »Roßfleisch statt Rindfleisch«.110 Diese journalistischen Handreichungen fanden zusammen mit später erzählten Geschichten den Weg in den Rattenkönig.

Diese Zusammenhänge sind nicht nur von Bedeutung, weil Transferprozesse zwischen linker und rechter Korruptionskritik deutlich werden. Aufmerksamkeit verdient dabei zunächst besonders das Engagement der Linken, die in der Vorkriegszeit Skandale und Korruption als Mittel der Herrschaftskritik eingesetzt hatte. Seit der Revolution wurde diese Kritik nun vom linken Flügel stark zugespitzt und richtete sich nicht zuletzt gegen Personen, die vormals zu scharfen Kritikern des Kaiserreichs gehört hatten. Auch vor diesem Hintergrund erklärt sich das Engagement der Linken im Fall Sklarz, wie später dann auch im Fall Barmat. Die zu dieser Zeit weitverbreitete USPD-Zeitung Die Freiheit und Franz Pfemferts Die Aktion. Zeitschrift für revolutionären Sozialismus schossen sich auf das Thema »Sklarz« ein, und den Widerhall finden wir in den folgenden Jahren bei so unterschiedlichen Personen wie dem KPD-Reichstagsabgeordneten und Historiker Arthur Rosenberg sowie dem Theaterregisseur Erwin Piscator, die beide aus der radikalen Antikriegsbewegung stammten.111 Immer ging es um »Kriegsund Revolutionsgewinnlerei«, um Profitgier, die über politische Moral triumphierte und einen Beigeschmack von Niederträchtigkeit, Gemeinheit und »Brudermord« hatte. Eine gute Illustration ist die private Anklageschrift gegen Sklarz, die Sonnenfels sen. in Form des Gedichts Protest gegen den 9. November formulierte, worin die Revolution als eine Verfallsgeschichte infolge von politischem Schieberund Gaunertum beschrieb wird:

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