Kitabı oku: «Saat der Rache», sayfa 2

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TEIL I – Der Verrat

Die frühen Jahre

Er war anders, ganz anders! Das Knäblein, das da in den Armen seiner Mutter lag, konnte unmöglich sein Bruder sein! Er hatte eine rosige Haut, einen weißblonden Schopf aus seidig weichen Haaren, ein rundes Gesicht und eine kleine Stupsnase. Hagen kannte mit seinen vier Jahren sein Spiegelbild gut. Eben war er wieder von einer Schlägerei heimgekehrt, weil sie ihn wegen seines Äußeren geneckt hatten – wie so oft. Schon vielmals hatte er im Teich oder im Silberspiegel der Mutter sein Gesicht betrachtet.

Er hatte schwarze strähnige Haare, die Haut war bleich und sein Blick, trotz der kindlich-großen Augen stechend. Und zwischen diesen saß eine gebogene, für ein Kind ungewöhnlich scharfkantige Nase, die seinem Antlitz den Ausdruck eines kleinen Raubvogels gab.

Eines Tages hatte ihm Oda erzählt, dass er ein Geschwisterchen bekommen würde. Lange hat es gedauert und seine Geduld auf eine arge Probe gestellt. Das Einzige, was sich verändert hatte, war Mutters Bauch, der anschwoll, dass er langsam befürchtete, sie würde bald platzen. Aber als er nun zerrissen und zerschrammt von einem Kampf mit seinen Spielkameraden nachhause kam, riefen ihn die Mägde in die Kammer der Mutter, er könne jetzt den Bruder ansehen.

Ein Bruder! So hatte er gehofft, dass es ein Bruder werden würde! Er wüsste wirklich nicht, was er mit einem Mädchen anfangen hätte sollen. Und so trat er in Erwartung eines ausgewachsenen Spielkameraden an das Bett seiner Mutter. Diese begrüßte ihn lächelnd:

„Mein Kind, heiße dein Geschwisterchen Gunter willkommen!“

Aber was war das!

Ein kleines Bündel mit zappelndem und schreiendem Inhalt, der aber sicher nicht zum Spielen geeignet war. Und vor allem: Er war anders! Hagen hatte so gehofft, dass sein Bruder wäre wie er selbst, aber er glich eher seinen Spielkameraden als ihm. Er fühlte sich verraten; in seiner Enttäuschung schrie er die Mutter an:

„Wieso ist er so anders?“

Vielleicht war es die Erschöpfung nach der Geburt, möglicherweise schien es Oda auch der richtige Augenblick zu sein ihm die Wahrheit zu sagen. Wie auch immer, es fuhr aus ihr heraus:

„Weil ihr nicht dieselben Väter habt, mein Sohn!“

Hagen hörte zwar die Antwort und gab sich damit zufrieden, aber er verstand sie nicht in ihrer vollen Bedeutung. Irgendwie dämmerte es ihm jedoch, dass nicht sein Bruder, sondern er anders geartet war. Gunter war wie alle anderen Kinder, aber er stand allein da. Die Erwiderung seiner Mutter bezüglich ‚der Väter‘ war nicht vollständig bei ihm angekommen.

Es wunderte Hagen nur, was für ein Aufheben um seinen Bruder gemacht wurde. Wie der Häuptling kurz nach ihm die Kammer betrat, Oda den Säugling aus dem Arm nahm und das Bündel, wie ein rohes Ei haltend, in die Halle trug. Dort waren alle aus Vernica zusammengerufen worden. Der Saal war brechend voll. Aldrian stellte sich vor seinen Hochsitz, hob das Neugeborene in die Höhe und rief:

„Ich habe einen Sohn! Ehrt Gunter! Er wird einmal euer Häuptling sein!“

Die Menge schrie:

„Heil Gunter! Heil Aldrian!“ Und die Edlen schlugen mit den Schwertern auf die Schilde. Der Lärm verschreckte den Säugling in Aldrians Arm und er begann fürchterlich zu schreien. Rasch gab der Häuptling Gunter einer Magd, welche ihn zurück zu seiner Mutter in die Kammer brachte.

Hagen wunderte sich aber, warum sein Vater der Menge zugerufen hat, er habe einen Sohn, wo seine Mutter ihm eröffnet hatte, sie hätten nicht ein und denselben Vater. Und wieso Gunter Häuptling werden sollte, wo er doch nach ihm geboren worden war. Seine Verwirrung konnte nicht größer sein und dies beschäftigte ihn lange. Er hatte dazu jedoch genügend Zeit, denn es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bevor sein Bruder halbwegs als Spielkamerad zu gebrauchen war. Erst nachdem sie noch eine Schwester, welche den Namen Grimhild erhielt, bekommen hatten und die Obsorge der Eltern und Mägde sich auf das neugeborene Mädchen konzentrierte, war Gunter so weit, dass Hagen ihn auch einmal etwas fester anpacken konnte, ohne dafür gleich eine Rüge der Erwachsenen einstecken zu müssen. Aber es blieb eine für ihn unverkennbare und rätselhafte Tatsache, dass Gunter mehr Aufmerksamkeit bekam, als er. In anderen Familien war das nicht so. Immer der Älteste der Knaben war der Bevorzugte.

Als Hagen sechs Lenze zählte und aus der Obhut seiner Mutter, in die eines Lehrmeisters gekommen war, wollte er endlich Antworten auf die Fragen bekommen, die ihn beschäftigten. Er trat hin zu der Magd seiner Mutter und bat, Frau Oda sprechen zu dürfen. Die Zeiten, wo er ungerufen und unangemeldet zur Mutter in die Kammer stürmen durfte, waren vorbei – das hatte der Knabe schon gelernt. Als er vorgelassen wurde, setzte er sich neben sie und kam unmittelbar auf den Grund seines Besuches zu sprechen:

„Mutter, wer ist Gunters Vater?“

Verdutzt sah ihn Oda an und antwortete:

„Hagen, das weißt du doch. Aldrian, unser Häuptling, ist sein Vater.“

„Aber du hast gesagt, er und ich hätten nicht denselben Vater!“ Die Verwirrung des Knaben konnte kaum noch größer werden.

„Das ist richtig.“ Jetzt erkannte Oda, was den Jungen in den letzten Monden so beschäftigt hatte. „Hör mir zu, ich erzähle dir eine Geschichte. Es ist die Saga unserer Familie und sie wird dir auch deine Frage beantworten. Manches wirst du zurzeit noch nicht verstehen, aber höre dennoch zu und versuche dir die Worte zu merken.

Dein Großvater Irian, mein Vater, war der Häuptling unseres Stammes. Wir sind Ubier, aber er war auch in den Diensten der römischen Legion im Rang eines Dux. Das bedeutete, dass er und seine Männer Teil der Legion waren. Das nannte man Foederaten. Er hatte ein Mädchen aus der römischen Sippe des Mutius Scaevola geheiratet, meine Mutter – sie starb früh – und er residierte in Irianiacum, der Villa rustica nicht weit von hier. Du kennst sie – sie ist jetzt verlassen, wie auch die Römer schon vor Jahren aus dieser Gegend abgezogen sind.

Der Häuptling, Aldrian, aber ist ein Franke und kam als junger Krieger mit einer kleinen Gruppe Auswanderer aus Gallien in unser Land und bot deinem Großvater Irian seine Dienste an. Im Gegenzug erhielt er dafür die Erlaubnis, im alten Römerkastell Verniacum siedeln zu dürfen. Schon bald hatte er sich sehr verdient um das Land gemacht. Viele unserer Edlen mochten Aldrian, denn er kam mit fast allen gut aus. Aber es gab auch einige Neider in unserem Volk, die ihm seine Stellung beim Häuptling nicht gönnten.

In dieser Zeit war Aldrian oft bei uns in Irianiacum, denn er war ja in meines Vaters Diensten. Dabei lernten wir einander kennen und es dauerte nicht lange, da hatte Aldrian das Brautgeld zusammen. Ich war noch sehr jung, gerade einmal zwölf Jahre alt, aber mein Vater war schon alt und sah seine Kräfte schwinden. Daher gestattete er Aldrian, als dieser ihn um Erlaubnis bat, mit mir Brautlauf zu feiern. Am Tag als die Vermählung stattfand, schlug dein Großvater Aldrian den Edlen unseres Stammes als seinen Nachfolger vor und ein daraufhin einberufenes Thing bestätigte ihn. Bald darauf starb Irian.“

Oda hielt in Gedenken an ihren Vater inne, aber Hagen drängte sie weiterzuerzählen. Eine Antwort auf seine Fragen hatte er aus dem bisherigen Bericht nicht heraushören können. Er liebte Geschichten, aber diese dauerte ihm zu lange.

„Und …“, riss er seine Mutter aus ihren Gedanken.

„Der neue Häuptling reiste viel durchs Land, wie es ein Landesherr tun muss. Ich war damals oft allein. Eines Tages, etwa ein Jahr nach unserem Brautlauf, lag ich im Garten und hatte etwas getrunken. Plötzlich wurde mir übel und alles drehte sich. Dann weiß ich nichts mehr, bis mich meine Magd weckte, weil es dunkel zu werden begann. Ich wusste lange Zeit nicht, wo ich war, aber ich glaubte, mich zu erinnern, dass Aldrian bei mir gewesen wäre. Aber das hatte nicht sein können, denn der Häuptling war, wie ich dir schon erzählt habe, im Land unterwegs. Nach zwei, drei Monden war mir klar, dass ich ein Kind in mir trug.

Eines Tages, es ging mir nicht gut und ich saß am Fenster, tauchte vor diesem ein fremder Mann auf. Er war vom Gürtel aufwärts nackt, bis zur Unkenntlichkeit mit Zeichen und Ornamenten in blauer Farbe bemalt, trug einen schweren Torq aus Messing um den Hals und gab sich als ‚ein Albe‘ zu erkennen. In einem halb gereimten Singsang eröffnete er mir, er wäre der Vater des Kindes, das ich in mir tragen würde.“ Hier machte Oda wieder eine Pause, von der Erinnerung an diesen Vorfall überwältigt. Hagens Interesse an der Geschichte begann deutlich zuzunehmen. Er rückte auf der Bank nach vorne und drängte mit bohrendem Blick seine Mutter, weiter zu berichten.

„Dann gebot er mir noch“, fuhr Oda schließlich fort, „niemanden von unserer Begegnung zu erzählen, aber dass er dem Kind, wenn es denn in Not gerate, beistehen würde. Danach verschwand er so plötzlich, wie gekommen.

Ich war verschreckt und verängstigt“, Odas Stimme zitterte wieder in Erinnerung an damals. „Weder wusste ich, was da mit mir geschah, noch wie ich es dem Häuptling beibringen sollte. Eine qualvolle Zeit folgte, bis du auf die Welt kamst. Als du dann geboren warst, wurde es offensichtlich, dass Aldrian nicht dein Vater sein konnte.“

Oda standen bei der Erinnerung an dieses Geschehen aufs Neue die Tränen in den Augen, aber Hagen war wie vom Donner gerührt. Nie wäre er auf die Idee gekommen, dass Aldrian nicht sein Vater wäre! Wieder machte Oda eine kleine Pause, die aber von Hagen nicht geduldet wurde:

„Wer war er? Was passierte weiter“, drängte er.

„Wer er war? Vermutlich einer der Neider des Häuptlings. Aldrian war fürchterlich zornig, als er dich gesehen hatte und die Geschichte von mir erfuhr. Er fragte mich über alles aus, was ich zu berichten wusste; was wenig genug war: Ein Albe, also ein Mann aus Albiniacum, mit einem Torq um den Hals. Er hatte seltsam gesprochen, in Reimen und in einem eigenartigen Singsang. Mit diesen Informationen ritt der Häuptling mit zwanzig Kriegern nach Albiniacum. Es war der dortige Gode gewesen, ein fanatischer Ubier, der das Blut seines Volkes weiterhin an der Macht sehen wollte. Aldrian fand ihn. Als er mit ihm fertig war… Nun, die Strafe dafür, dass er sich an der Familie des Häuptlings vergriffen hatte, war Vierteilen. Erwarte nicht die Hilfe von ihm, die er dir versprochen hatte, als er sich mir am Fenster als dein Vater zu erkennen gab, denn er wird sie dir nie geben können. Die Strafe hat ihn ereilt und seine Leichenteile baumelten schließlich an der Wegkreuzung nach Anis-amina, den Vögeln zum Fraß“, schloss Oda trocken.

„Er ist viel zu schnell gestorben. Ich hätte ihn tagelang leiden lassen, diesen Frevler“ schrie Hagen empört. „Aber kann der Häuptling nicht trotzdem mein Vater sein?“

„Nein, mein Sohn, das kann er nicht. Das erste was er tat, als er nach dem Gericht über den Goden wieder nach Vernica kam, war, meine Zofe ebenfalls zu verurteilen. Ich hatte sie so gern, sie war mir wie eine Mutter. Ich flehte und bettelte um ihr Leben, aber Aldrian war unerbittlich. Er sagte, wenn sie das Leid, das über seine Familie gekommen war, auch nicht verursacht hatte, so hatte sie es auch nicht verhindert, wie es ihre Aufgabe gewesen wäre. Sie wurde unmittelbar nach dem Urteilsspruch vor der Halle erdrosselt. Vor allen Versammelten verkündete Aldrian sodann, dass du nicht sein Sohn bist und ihm nicht als Häuptling nachfolgen wirst. Das Erbe ist nur dem Blut vorbehalten und du bist nun einmal nicht seines Blutes.“ Tröstend strich Oda über sein Haar.

„Er ist gut zu dir, wie ein Vater.“ Sie fasste Hagen am Kinn, hob seinen Kopf und sah ihm direkt in die Augen. „Was willst du mehr? Du hast keinen Nachteil daraus, außer dass du nie Häuptling werden wirst. Aber auf einen Schild erhoben zu werden allein bedeutet noch nicht, ein Land auch zu regieren.“

Diese Worte brannten sich Hagen ins Gedächtnis ein und bestimmten von da an sein Handeln. Nun wusste er, warum er anders war und er nie würde die Stellung des Erstgeborenen einnehmen dürfen.

Gunter war ein schönes Kind; mit blonden Locken und wohlgeformten Gesichtszügen das exakte Gegenteil von seinem älteren Halbbruder Hagen. Er wurde von allen Frauen geliebt und verhätschelt und mit Aufmerksamkeiten bis zum Überdruss bedacht. Dadurch wurde der Knabe ein etwas verwöhntes Kind; ein netter Junge zwar, aber schwach. Schon bald stand er unter dem Einfluss Hagens. Der hatte einen Weg gefunden, sich den Bruder gefügig zu machen. Er stachelte immer wieder die Spielkameraden gegen Gunter auf und wenn dieser in Bedrängnis war, eilte er ihm zu Hilfe. Dafür verehrte, ja vergötterte sein kleiner Bruder ihn.

Zwei Jahre nach Gunters Geburt wurde Oda neuerlich schwanger und gebar nach der Zeit dem Häuptling ein Mädchen. Das Kind bekam den Namen Grimhild. Auch sie war ein entzückendes Kind mit braunem Haar, großen Augen und einer Stupsnase. Sofort wurde Grimhild der Liebling der gesamten Sippe. Sie wurde verwöhnt und mit Zuwendungen bedacht, mehr noch als Gunter und viel mehr, als ihrem Charakter förderlich war.

Vor allem die ständigen Begeisterungsrufe der Frauen „Oh, wie bist du heute wieder hübsch“ oder „Wer kommt denn da? Ist das nicht die wunderschöne Grimhild“, ließen sie in der Sicherheit heranwachsen, allein durch ihre Schönheit alles bekommen zu können, was sie sich erträumte. Aber wehe, es ging etwas nicht nach ihrem Willen. Die Tobsuchtsanfälle der Kleinen waren legendär in Vernica.

Vernica! Die Burg, die Aldrian sich gebaut hatte, war sein ganzer Stolz…

„Aber das wirst du selbst wissen; du kamst mit der Familie deines Vaters ja ebenfalls von dort.“ Hagen unterbrach seine Schilderung, um einen Schluck Wasser zu trinken.

„Nein, bitte!“ Märeth beugte sich vor und goss ihm den Becher neuerlich voll. „Ich weiß nicht viel. Mein Vater war nie zuhause und meine Mutter hat sich immer nur um Alltäglichkeiten gekümmert. Berichte mir alles, was dir einfällt. Nimm keine Rücksicht auf das, was ich schon wissen könnte oder nicht.

Aber eine Frage habe ich: Hätte Aldrian, der Häuptling, Oda nicht töten müssen, als er von der Schändung erfuhr? Dankrun, meine Lehrerin sagte mir nach meiner Vergewaltigung, ich müsse darüber schweigen, sonst drohe mir der Tod?“

„Nach dem alten Stammesrecht wohl“, antwortete Hagen, „aber als die Römer über Jahrhunderte unser Land besetzt hielten, galt deren Recht. Nach ihrem Abzug hatte Irian die römische Rechtsprechung beibehalten und Aldrian sie weitergeführt. Daher kam meine Mutter und wahrscheinlich auch ich mit dem Leben davon.“

„Ich verstehe. Bitte, fahre fort.“

Nach einem weiteren Schluck Wasser begann Hagen wieder zu erzählen und Märeth versank neuerlich in der Geschichte.

In den Anfängen aus den Resten des römischen Kastells Verniacum, aus dem ersten Lager der Einwanderer in ihrer neuen Heimat errichtet, wuchs die Burg Vernica nach und nach, bis sie sich zu einer ansehnlichen Festung entwickelt hatte. An wichtigen Verbindungsstraßen gelegen, flossen die Schatzungen reichlich und der Häuptling nutzte diese, nicht zuletzt, um sein Domizil zu erweitern. Die Anlage bestand nun aus dem Wohnturm, welchen Aldrian mit Oda bewohnte. In dessen unmittelbarer Umgebung befanden sich die Halle und das Kochhaus, daneben die Brunnenstube und nahebei die Schmiede. Die Langhäuser, in denen die Sippen der Edlen wohnten, waren im umfriedeten Areal inzwischen auf sechs Gebäude angewachsen und so verteilt, dass sie einen großen Platz einschlossen, an dessen Scheitelpunkt die Halle und der Turm standen. Und noch ein weiteres Gebäude wurde nach Aldrians Idee hinter der Schmiede errichtet. Die Burg bekam einen gedeckten Stall für die Reitpferde der Edlen mit einem Stallmeister. Damit mussten sich die Recken nicht mehr selber und im eigenen Langhaus um die Tiere kümmern, sondern dies nahm ihnen der Stallmeister mit seinen Knechten ab.

All das, umgeben von einem Wallgraben, wurde von einem Palisadenzaun gesichert. Dieser hatte beidseits des Haupttores zwei Wachtürme und an der Rückseite der Burg befanden sich zusätzlich drei überdachte Podeste für einen besseren Überblick rund um die ganze Festung. Ein Wehrgang auf der Innenseite des Zaunes vervollständigte die Verteidigungsanlage.

Außerhalb der Burg, entlang der Ausfallstraße, siedelten die Unfreien in ihren Behausungen und die Niederlassung war bereits zu beträchtlicher Größe angewachsen. Die Rodungsarbeiten für das Baumaterial der Burg und des Dorfes hatten den Waldrand aus der näheren in die weitere Umgebung zurückgedrängt. An seine Stelle traten neben den Wiesen, die schon die Römer vor ihren Palisaden frei von Bäumen hielten, um Angreifern keine Deckung zu bieten, auch beackerte Felder, die nun das Landschaftsbild um Vernica prägten.

Schließlich wurde die gesamte Anlage so groß, dass sie einen Nährhof benötigte, dessen Gründung mit der Geburt Gunters zusammengefallen war. Als dieser fertig war, nannte Aldrian das Gut voll Stolz ‚Gunters Meierei‘ und setzte seinen Truchsess als Verwalter des Gehöfts ein. Das bewog Hagen ihn zu fragen, wo denn ‚seine Meierei‘ stünde? Der Häuptling sah den Jungen nur an, verzog keine Miene und wandte sich ab. Hagen dachte damals, die Frage wäre zu kindisch gewesen und Aldrian wäre die Beantwortung derselben den Aufwand nicht wert. Wie falsch er seinen Stiefvater einschätzte! Im Gegenteil hatte sie ihn tief getroffen.

Nach und nach verteilte Häuptling Aldrian die Gutshöfe seines Landes unter den Edlen aber auch unter den verdienten und loyalen Recken der Einheimischen. Manche Familien zogen fort aus Vernica und einige neue kamen durch Brautläufe dazu. Die Volksgruppen durchmischten sich und weil das Land gedieh, sprachen mit der Zeit immer weniger Menschen von ‚den Alteingesessenen‘ und ‚den Fremden‘, sondern fühlten sich bald alle als ein Volk. Aldrian gab dem Land den Namen ‚Niflunga‘, nach dem Bach Nifl. Dieser wiederum wurde so genannt, weil oft Nebel über den sauren Wiesen und Auen lag, durch die er floss. So war es naheliegend, dass sich das Volk von da an die Niflungen nannte. Der Ruf von dem kleinen, aufstrebend Reich verbreitete sich und sogar in Gallien erzählte man von den ‚Franci nebulones‘.

Hagen war zehn, als Oda einen dritten Knaben gebar, der den Namen Gernholt erhielt. Als er noch an der Brust der Mutter saugte, bekam er eines Tages hohes Fieber. Es hielt drei Tage an und während dieser Zeit schüttelte es den Säugling nahezu ununterbrochen. Dabei verdrehte er die Augen und es trat ihm milchweißer Schaum aus dem Mund. Oda und Aldrian holten den Goden, damit er Hilfe brächte, aber der zuckte nur mit den Achseln, als er den krampfenden Knaben sah und sagte:

„Das Kind wird sterben“. Der heilige Mann behielt Unrecht, denn Gernholt starb nicht, jedoch die Fallsucht blieb ihm zeit seines Lebens. Aber etwas Gutes tat der Gode doch an dem Kind. Als er die Verzweiflung der Mutter sah, empfahl er, dem Säugling einen Sud vom Kraut der weißbeerigen Mistel einzuflößen. Schaden könne er ihm nicht, meinte er. Tatsächlich brach dieses Konzentrat die Anfälle ab oder verkürzte sie deutlich. Seither trug Gernholt immer eine Phiole des Saftes mit sich. Und seine Geschwister lernten, ihm die heilbringende Tinktur zu verabreichen, wenn er wieder einmal zuckend zusammenbrach.

Gernholt war ein unscheinbares Kind, kaum, dass ihn die Familie und die Gesellschaft wahrnahmen. Meistens lief er nur den anderen spielenden Sprösslingen hinterher, aber holte sie sprichwörtlich nie ein. Wenn er fiel, sich wehtat und weinte, nahm keiner von seinen Spielkameraden Notiz davon; oft nicht einmal die Erwachsenen. Zwar stand er als Sohn des Häuptlings in der Rangfolge hinter Gunter, wurde aber von der Umgebung kaum registriert.

Die Kinder wuchsen gemeinsam auf, selbst Hagen war ein vollwertiges Mitglied der Familie. Aldrian mochte ihn, weil er eher seiner Vorstellung von einem Thronerben entsprach, als dies Gunter tat. Aber es war ihm nicht möglich, die Umstände seiner Zeugung zu vergessen. Die Blutlinie zu wahren ging für ihn als Häuptling über die persönlichen Vorlieben. Ihm eine Erziehung zukommen zu lassen, als wäre er ein gebürtiger Häuptlingssohn, war das Einzige, was er für den Ziehsohn tun konnte.

Im Zuge seiner Unterweisungen sandte Aldrian Hagen, im Alter von zehn Jahren – Gernholt war gerade geboren – nach Susat, ins Land der Hunen, um die restliche Lehrzeit bis zur Mannbarwerdung abzuschließen.

Susat! Diese Siedlung inmitten Germaniens, war die erste, die den Namen Stadt rechts des Rhins verdiente. Nicht zuletzt, weil sie auch aus Stein gefügte Bauwerke hatte. Attalo, der dort residierende König, legte seinen Ehrgeiz darein, sich damit ein Ansehen zu schaffen. Als Hagen nach Susat kam, war die Burg schon fast fertig.

König Attalo herrschte damals über eines der größten Reiche rechts des Rhins. Er selbst stammte aus Frisia, von wo er, da zweitgeboren, mit einem Teil seines Stammes ausgezogen war, um sich eigenes Land zu erobern. Die Region um Susat wurde sein Stammesgebiet und über die Jahre erweiterte er seinen Machtbereich in zahlreichen Schlachten und Heerzügen.

Solcher Reichtum und solche Machtfülle weckten Begehrlichkeiten unter den Nachbarn, weswegen sich Attalo einer Methode besann, die immer schon geeignet war, diese an ihre Loyalität zu erinnern. Er nahm Mitglieder aus den Familien der benachbarten Häuptlinge und Vasallen an seinem Hof auf. Dort erhielten sie einen Teil ihrer Ausbildung, waren aber auch Geiseln, denn ihr Wohlergehen auf Attalos Hof hing vom Wohlverhalten ihrer Heimatländer ab. Diese Art der Bindung von nächstgelegen oder untergebenen Stämmen war für alle dennoch von Vorteil. Die jungen Leute lernten, über ihren Tellerrand hinauszublicken, und bekamen eine Unterweisung, wie sie nur ein solches Machtzentrum bieten konnte. Außerdem hatten sie Gelegenheit, Bande zu knüpfen, die oft noch viel länger hielten, als die Zeit der Geiselnahme in Susat dauerte. Nur wenn man die geforderte Loyalität nicht zeigte, zog man sich Attalos Zorn zu.

Und so ein Mangel an Wohlverhalten spielte auch bei dem Ereignis eine Rolle, welches für Hagen einschneidende Auswirkungen haben sollte: sein erster bedeutender Kampf nach der Mannbarwerdung. Dieser kostete ihn beinahe das Leben und dessen Folgen bestimmten sein weiteres Schicksal.

An dem großen Hof Attalos gab es noch zahlreiche andere Edle, die dort ihre Ausbildung erhielten. Mit einem jungen Mann namens Waltar von Waldsken freundete er sich bald an, obwohl dieser um einiges älter und schon für mannbar erklärt worden war, kurz nachdem Hagen nach Susat kam. Fast zur selben Zeit wie er traf dort ein sehr junges Mädchen ein: Hildegund, die Tochter eines tributpflichtigen Grafen.

Schließlich hatte auch Hagen seine Mannbarwerdung erhalten und Attalo ernannte ihn zum Führer einer Rotte. Der Jüngling war überaus stolz auf die Beförderung und nahm die Aufgabe sehr ernst. Endlich einmal sah er sich legitim an der Spitze einer Schar und keiner konnte ihm diese Stellung streitig machen.

Eines Tages herrschte große Aufregung in Attalos Burg. Waltar war verschwunden und mit ihm Hildegund. Nachdem ganz Susat erfolglos nach dem Paar abgesucht worden war, wurde klar, dass sie durchgebrannt waren. Attalo wurde zornig und schickte Hagen mit seiner Rotte aus, die beiden zurückzuholen. Er war nicht gewillt hinzunehmen, von einem jungen Recken gleich um zwei Geiseln gebracht zu werden.

Zu sechst galoppierten sie dem fliehenden Paar hinterher. Dieses hatte es eilig gehabt; an einem Tag konnte die Truppe die Flüchtenden nicht einholen. Als Hagen und seine Rotte sie fanden und Waltar sah, dass er nicht mehr ausweichen konnte, gebot er dem Mädchen, in Sicherheit zu bleiben, und stellte sich den Verfolgern. Als Rottenführer trat Hagen ihm zuerst entgegen.

„Muss so unsere Freundschaft enden“, fragte Waltar, als sie sich mit gezückten Schwertern gegenüberstanden.

„Du hast den König mit deiner Flucht und Hildegunds Entführung beleidigt, obwohl du ihm Dank geschuldet hättest“ entgegnete ihm Hagen.

„Ich habe Hildegund nicht entführt. Sie ist freiwillig mit mir gekommen, denn wir lieben uns. Und ich schulde Attalo nichts. Ich habe ihm so manches Jahr treu gedient.“

„Aber Attalo hat dich nicht aus seinen Diensten entlassen. Und er hat das Recht über Hildegund. Ihr werdet daher mit uns zurückkehren.“

„Dann wirst du mich und sie töten müssen.“

„So sei es“, rief Hagen und stürzte sich auf Waltar.

Hagen war kein schlechter Kämpfer, aber im Vergleich zu seinem Gegner doch recht unerfahren. Denn dieser war einer der Besten, älter und eben dadurch schon erfahrener. Aber Waltar war ihm immer noch freundschaftlich zugetan und wollte ihn nicht töten. Daher hieb er ihm lediglich mit der Breitseite seines Schwertes auf den Kopf. Hagen sah nur mehr, wie sein Gegner langsam hinter einem schwarzen Nebel verschwand, dann fiel er bewusstlos zur Erde.

Als er wieder zu sich kam, waren Waltar und Hildegund verschwunden. Sein Trupp bestand nicht mehr. Er lag zwar benommen und mit Kopfschmerzen, aber bis auf eine große Beule an der Schläfe unverletzt, inmitten von fünf Leichen. Damit wurde die Sache aber für Hagen persönlich. Waltar hatte ihm ‚seine‘ Rotte erschlagen! Zornig konnte der junge Mann immer schon werden, aber nun packte ihn die schiere Wut. Er bestieg sein Pferd und galoppierte den beiden Fliehenden hinterher. Am Ende des Tages holte er sie neuerlich ein. Waltar, in der Meinung seinen Verfolger abgeschüttelt zu haben, hatte ein Lager errichtet und war dabei, die Keule eines Ebers herzurichten, um sie über dem Feuer zu braten.

Hagen war von seinem Pferd abgestiegen und pirschte sich an. Hildegund bemerkte ihn als erste und schrie entsetzt auf, um ihren Liebsten zu warnen. Da sprang Hagen aus der Deckung hervor und lief, brüllend wie ein wildes Tier, die letzten Schritte auf Waltar zu. Dieser, unbewaffnet, wusste sich nicht anders zu wehren, als reflexartig die Wildschweinkeule zu packen und sie ihm ins Gesicht zu schmettern. Diesmal sah Hagen keinen schwarzen Nebel, sondern sein rechtes Gesichtsfeld explodierte buchstäblich in unsäglichem Schmerz. Dann versank er in absoluter Dunkelheit.

Die ganze Nacht lag Hagen bewusstlos dort, wo ihn Waltars Schlag niedergestreckt hatte. Erst als der Morgen graute, kam er wieder zu sich. Ihn fröstelte und sein Kopf pulsierte in wahnsinniger Pein. Er öffnete die Augen und sofort durchzuckte ihn ein zusätzlicher Schmerz, als ob jemand ihm ein Messer durchs rechte Auge ins Gehirn stoßen und dort umrühren würde. Panik erfasste ihn! Er tastete seinen Kopf ab – die rechte Gesichtshälfte war zu Brei geschlagen. Durch verkrustetes Blut griff er in eine große klaffende Wunde, welche sich von der Stirn über das rechte Auge zu seiner Wange zog. Die Lippe war weit eingerissen und er hatte rasende Schmerzen im Kiefer, der zweifellos gebrochen war. Im Mund hatte er das Gefühl, als würden dort Steine liegen – es waren jedoch nur sechs ausgeschlagene Backenzähne, die er jetzt langsam und vorsichtig ausspuckte. Am meisten aber irritierte ihn sein Auge. Er hatte erwartet, dass es zugeschwollen wäre, aber im Gegenteil – die Augenhöhle war leer. Hagen hatte sein rechtes Auge verloren!

Nun war ihm die Lust auf eine weitere Verfolgung von Waltar und Hildegund vergangen. Er suchte sein Pferd, saß mühsam auf und machte sich auf den Heimweg nach Susat. Am ersten Tag musste er sich viele Male übergeben, denn sein Kopf dröhnte und pochte wie wild. Diese Kopfschmerzen und das Schaukeln auf dem Rücken seines Pferdes erregten eine furchtbare Übelkeit in ihm. Er versuchte daher, ob es im Gehen leichter sein würde. Aber die Beine knickten ihm ein, sodass er wieder aufsaß und den Brechreiz in Kauf nahm. Am schlimmsten waren allerdings die Brechattacken, da er dabei den Mund aufmachen musste, was ihm extreme Schmerzen im gebrochenen Kiefer verursachte.

Die Blutung aus der Wunde quer über sein Gesicht, war zwar nach dem Zustand seiner Kleidung und seines Lagers auf dem Waldboden offenbar heftig gewesen. Aber schon am Morgen, als er das Bewusstsein wiedererlangt hatte, war sie zum Stillstand gekommen. Was ihn aber während des Heimrittes mächtig irritierte, war ein seltsamer Fluss aus der Nase. Es rann ununterbrochen zunächst reichlich Blut, dann aber nur mehr eine gelbliche Flüssigkeit aus dem rechten Nasenloch. Als er sich daraufhin schnäuzte, flatterten die Lider der leeren Augenhöhle im Luftstrom, begleitet von einem unmittelbar einsetzenden Schmerz hinter seiner Stirn. Das kam derart unerwartet und war ihm so unerklärlich, dass er dieses unheimliche Vorkommnis nicht noch einmal erleben wollte und es künftig unterließ, sich die Nase zu putzen und den Fluss daraus ignorierte.

So saß er bald nur mehr dahindämmernd auf seinem Pferd, hoffend, dass dieses den Heimweg allein finden würde. Als das Ross in Susat im Hof der Burg schließlich stehen blieb, merkte Hagen gerade noch, wie er hoch fiebernd seitlich vom Pferd fiel, dem ihn empfangenden Stallknecht in die Arme. Dann umfing ihn gnädige Bewusstlosigkeit.

Fast einen ganzen Mond lang lag er auf seinem Lager und war kaum ansprechbar. Wenn er manchmal das Bewusstsein für kurze Zeit erlangte, litt er immer unter rasenden Kopfschmerzen, erbrach zwei oder drei Mal und versank bald darauf wieder in einen Dämmerzustand. Der Wundarzt des Königs hatte die entstellende Platzwunde über seiner rechten Gesichtshälfte versorgt und die leere Augenhöhle verschlossen. Dem König berichtete er, dass Hagen zeit seines Lebens entstellt bleiben würde, vorausgesetzt er überlebte das Wundfieber, das ihn gepackt hatte. Und dieses wäre, aufgrund der Schwere sowohl der Verletzung als auch des Fiebers, äußerst fraglich. Das einzig Gute, das er zu berichten wusste, war, dass der gebrochene Kiefer bis zu seiner möglichen, wenn auch unwahrscheinlichen Genesung wieder geheilt sein würde. Frau Ercha, die Königin, kümmerte sich aufopfernd um ihn. Sie stellte ihre besten Zofen zu seiner Pflege ab und saß sogar selbst das eine oder andere Mal an seinem Lager, um die fiebernde Stirn des jungen Mannes mit feuchten Tüchern zu kühlen.

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