Kitabı oku: «Erinnerungen an Andrew Taylor Still», sayfa 3
Obwohl Andrew sich selbst als einen guten Arzt betrachtete, wurde er entmutigt durch jene, denen er nicht helfen konnte. Er fing an, die existierenden Methoden der Medizin infrage zu stellen, wozu insbesondere das Aderlassen, das Abführen und der ausgiebige Gebrauch von Arzneimitteln gehörten, von denen viele giftig waren oder abhängig machten. Er fand, dass die Wirkungen der Arzneimittel oftmals schlimmer waren als die der Krankheit. Zudem wurden Operationen unter unhygienischen Verhältnissen durchgeführt. Er schrieb über seinen Wunsch, mehr über den Körper zu lernen, in seinen autobiografischen Aufzeichnungen:
„In den anfänglichen Tagen im windgepeitschten Kansas begann mein Durst nach mehr Wissen. Ich musste auf jede Art chirurgischer Operation vorbereitet sein (Gliedmaßen amputieren etc.). […] Deshalb musste ich über Zahl, Form, Lage und Verbindung aller Knochen im Körper Bescheid wissen. Daher besuchte ich in Begleitung von Pascal Fish (Häuptling der Shawnee-Indianer) Friedhöfe, auf denen ich bestens erhaltene Skelette fand.“12
Er trug die Knochen in Jutesäcken nach Hause und setzte sie mit Drahtstücken wieder zusammen, um Skelette zu bilden. Er lernte, jeden Knochen mit verbundenen Augen zu erkennen. Er las alle seine medizinischen Bücher erneut, worin er jedoch keine Antworten fand, sodass er sich am Kansas City College of Physicians and Surgeons anmeldete. Rasch war er unzufrieden mit der Qualität der Ausbildung. Er fand, dass er bereits so viel wusste wie seine Lehrer. In einem Brief, der im Ladies Home Journal veröffentlicht wurde, schrieb er: „Ich bestand alle Prüfungen, doch aufgrund des vielen Whiskeys, der verwendet wurde, sowie Opium, Morphium und anderen Arzneimitteln, war ich gründlich angewidert, sodass ich jedes Verlangen, den Abschluss zu machen, verlor und nie zurückkehrte, um mein Diplom entgegenzunehmen.“13
Andrews wissbegieriger Verstand14 brachte ihn auch dazu, Sachen zu erfinden. Oft half er dabei, Butter zu rühren, und scherzte, dass sein Geist zwar willig sei, sein schmerzender Arm aber nicht. Er entwickelte eine Antriebswelle, die an einer Stange mit Armen befestigt war, die den Rahm mit größerer Geschwindigkeit an die Wand des Butterfasses schleuderten als in dem alten Butterfass mit einer Stange, die hoch- und runtergeschoben wurde. Das reduzierte die Zeit für die Butterherstellung von einer Stunde auf etwa zehn Minuten. Sein Butterfass gewann einen Preis bei einem Jahrmarkt. Er versuchte, örtliche Geschäftsleute dafür zu gewinnen, es zu produzieren, aber ohne Erfolg. Dennoch wurde ein Butterfass, das das gleiche Prinzip benutzte, bald auf den Markt gebracht.
Er erfand auch eine Verbesserung für eine Mähmaschine, indem er ein Gestell baute, das das herabfallende Getreide mithilfe langer stählerner Arme auffing, nachdem es geschnitten worden war. Wenn 50 Pfund zusammen waren, ruckte ein Hebel und warf das Getreide in einem zum Verbinden fertigen Bündel auf den Boden. Andrew nahm Kontakt mit der Wood Mowing Company auf, um seine Idee zu patentieren und weiterzuentwickeln, und Vertreter des Unternehmens besuchten ihn. Obgleich sie Interesse zu haben schienen, hörte er nie wieder von ihnen. Doch zur nächsten Erntezeit hatten alle Mähmaschinen der Wood Company lange Finger, um das Getreide aufzufangen. Still erfand außerdem eine Feder-Wäscheklammer und ein Umschaltgerät, das von den Eisenbahnen verwendet wurde. Nie profitierte er materiell von irgendeiner seiner Erfindungen, obwohl er es gerne hätte. Sein einziger Lohn lag in der Befriedigung, ein Problem durchgearbeitet zu haben.15
In einem Jahr fiel eine furchtbare Heuschreckenplage über die Ebenen von Kansas herein und verschlang alles, was in Sicht war. Alle Nutzpflanzen und Gärten waren vernichtet. Die Heuschrecken waren so dick, dass die Leute kaum mehr aus dem Haus gehen konnten. Sie verstopften die Fenstersimse mit Lumpen, damit die Tiere nicht in die Häuser kamen. Aufgrund der dramatischen Nahrungsknappheit machte Andrew eine Reise nach Missouri und kam mit einigen Wagenladungen mit Vorräten für seine Familie sowie für die Leute aus Baldwin zurück.16
Während des Bürgerkriegs diente Andrew in der Unionsarmee. Im September 1861 verpflichtete er sich in der Neunten Kansas-Kavallerie unter dem Kommando von James H. Lane. Nachdem General Price, der die Westarmee der Konföderierten kommandierte, bei Lexington, Missouri einen Sieg errungen hatte, marschierte seine Armee südwärts nach Arkansas. Lanes Armee, Andrews Regiment eingeschlossen, folgte ihnen weit nach Süden bis nach Springfield. Im November wurde Lane nach Fort Scott zurückbefohlen bzw. weiter nach Harrisonville ins Winterquartier, wo Dr. Still als Hilfskraft im Krankenhaus der Unionsarmee diente.17 Er verabscheute die zahlreichen Toten im Feldlager infolge von Krankheiten und Dysenterie, und er hasste die vielen Amputationen. Er schrieb von einem Fall, in dem er das Bein eines Mannes gerettet hatte. Der Mann war angeschossen worden und die Chirurgen wollten sein Bein sofort amputieren. Doch Andrew stellte fest, dass die Arteria femoralis nicht verletzt worden war, und er überredete sie, ihn das Bein zu retten versuchen zu lassen. Er baute eine Holzwanne und richtete mit Federn, einem Seil und einem Fass Wasser ein Drainagesystem ein. Binnen weniger Wochen lief der Mann wieder auf Krücken.
Andrew nahm dies als ein frühes Beispiel für das „Gesetz der Arterie“ in Anspruch. In seiner Autobiografie schrieb er später: „Das Gesetz der Arterie ist absolut, universal und darf nicht gestört werden, sonst folgt Krankheit.“18 Gegen Ende April 1862 wurde Stills Bataillon aufgelöst und der Doktor kehrte nach Hause zurück.19
Kurz darauf wurde Still durch den Gouverneur darum gebeten, eine milizionär geführte Heimatreserve zu organisieren. Die Kompanie D der 18. Kansas-Miliz wurde aufgestellt und Dr. A. T. Still wurde als Captain bestellt. Einige Monate später wurde die Einheit mit anderen Bataillons zur 21. Kansas-Miliz zusammengelegt, in der Andrew in den Rang eines Majors befördert wurde. Deren wichtigste Aufgabe war es, zu patrouillieren und Schutz zu bieten gegenüber den Grenzüberfällen von William Quantrill. An dem Tag, als Quantrills Guerillas Lawrence niederbrannten und ausplünderten, sah die Familie Still schwarzen Rauch den Himmel erfüllen. Andrew griff nach seinem Gewehr und eilte fort zur Miliz. Die Frauen der Familie versteckten ihre Wertsachen, nahmen die Kinder und verbargen sich im Maisfeld. Glücklicherweise wählte Quantrill einen anderen Weg, zurück nach Missouri.20
Achtzehnhundertvierundsechzig erwies sich als katastrophales Jahr für die Familie. Im Januar gebar Mary ein gesundes kleines Mädchen und sie waren voller Freude, weil sie zuvor einen kleinen Jungen verloren hatten, der krank zur Welt gekommen war und nur wenige Monate lebte. Im Februar jedoch fegte eine Epidemie von spinaler Meningitis über die Prärie und brachte viele ums Leben. Zwei von Andrews Kindern aus seiner ersten Ehe sowie ein Adoptivkind starben an der furchtbaren Krankheit. Seine älteste Tochter Marusha war zu dieser Zeit zu Besuch bei ihren Großeltern und blieb verschont. Einige Wochen später verstarb Andrews und Marys Baby an Lungenentzündung. Andrew verlor so nicht nur seine erste Frau, sondern auch sechs seiner sieben Kinder. Er war tief verzweifelt. Als er die Körper seiner toten Kinder sah, fragte er sich selbst:
„Hat Gott den Menschen bei Krankheit in einer Welt des Ratens verlassen? Soll man raten, was der Fall ist? Was man geben soll, wie das Ergebnis sein wird? Und wenn sie gestorben sind, bleibt nur zu raten übrig, wo sie bleiben? Ich entschied damals, dass Gott kein Gott des Ratens, sondern ein Gott der Wahrheit sei. Alle seine Werke, spirituelle und materielle, sind harmonisch. Sein Gesetz des animalischen Lebens ist absolut. Der weise Gott hat daher die Arzneimittel sicher in das materielle Haus gelegt, das der Geist des Lebens bewohnt. Mit diesem Gedanken hisste ich das Segel und stieß mein Boot als Entdecker in die See.“21
Das Haus, in dem sie gelebt hatten, hatte auf der Vorderseite ein großes Fenster, an dem die Kinder zu stehen pflegten und schauten, wann ihr Vater nach seinen Hausbesuchen zurückkam. Wenn sie ihn sahen, liefen sie hinaus und umarmten ihn. Die Vorstellung, wie sie am Fenster standen und auf ihn warteten, verfolgte ihn derart, dass er es zunagelte.22
In jenem Herbst nahmen die Kampfhandlungen im Westen zu und die Kansas-Miliz wurde erneut mobilisiert. Ungeachtet seiner Verzweiflung folgte Major Still dem Ruf der Pflicht und schloss sich seiner Kompanie an, als sie auszog, um die Grenze zwischen Kansas und Missouri bei Westport zu verteidigen. Sie wurden durch die konföderierten Kräfte von Joe Selby, die unter dem Kommando von General Price standen, angegriffen und hielten den Bereich, bis Price seinen Kräften den Rückzug befahl. Obwohl Still eine Einheit befehligte, half er auch bei der Versorgung der Kranken und Verletzten im Feldlager und auf dem Schlachtfeld. Einmal behandelte er Jim Lane wegen einer Schusswunde am Bein. Während dieses Gefechts war es auch, dass Still sich einen Leistenbruch zuzog und außerdem ein Herzproblem bekam. Er genas nie wieder völlig. Nach dem Krieg entwickelte er ein Bruchband, das half, die Schmerzen infolge der Hernie zu lindern. Er beantragte eine Pension; dies wurde aber abgelehnt, da das Kriegsministerium geltend machte, dass die Kansas-Miliz eigentlich kein Teil der US-Streitkräfte gewesen sei. Am 27. Oktober 1864 erhielt Major Still den Befehl, seine Einheit aufzulösen. Froh kehrte er nach Hause zurück.23
Doch durch den Verlust seiner Kinder und den Schrecken angesichts der toten und verwunderten Soldaten hatte er jeden Glauben an die traditionelle Medizin verloren. Statt sich aber von seinem erwählten Beruf und von Gott abzuwenden, wie er es vielleicht hätte tun können, nahm er seine „Forschungen mit erneuerter Begeisterung“ wieder auf. Wiederum grub er Gräber aus, um sich die für seine Untersuchungen notwendigen Körper zu beschaffen, und erneut studierte er die Knochen und ihre Beziehungen untereinander. Auch analysierte er die Muskeln und die Nerven und den Blutkreislauf, den er den „Fluss des Lebens“ nannte. Er stellte fest, dass alle Systeme miteinander verbunden waren, sodass, wenn ein Teil betroffen war, er andere Teile beeinträchtigen konnte. Er bemerkte, dass man die ganze Person behandeln musste, statt nur ein Symptom, und er glaubte auch, dass der Körper ein eigenes Immunsystem umfasste. Er sagte, dass „ein liebender intelligenter Schöpfer des Menschen die Arzneimittel in genügender Menge im menschlichen Körper bereithält, an einem bestimmten Ort oder im ganzen System, um alle Krankheiten zu heilen. Die Gesetze Gottes sind absolut.“24
Dr. Stills Patienten bildeten nun sein Versuchslabor. Weil sie eine medikamentöse Behandlung erwarteten, stellte er mit Marys Hilfe Zuckersirup und Pillen aus Brot her, um sie ihnen zu verabreichen. Zugleich experimentierte er mit seinen Händen und versuchte zu korrigieren, was er als Defekte im Körper erfühlte.25 Er kam so zu dem Schluss, “dass alle Krankheiten nur Wirkungen sind, deren Ursache im teilweisen oder ganzen Versagen der Nerven liegt, die Lebensflüssigkeiten vernünftig zu leiten.“ Er entwickelte ein System von Manipulationen, das Krankheiten vorbeugen oder sie heilen konnte. Nach 25 Jahren des Forschens und Experimentierens glaubte er, dass seine Philosophie der Gesundheitsfürsorge richtig sei. Am 22. Juni 1874, so sagte er, “pflanzte ich schließlich das Banner der Osteopathie in die Brise.“26 Er war nun bereit, seine Entdeckungen in die Welt zu tragen, und doch dauerte es noch einmal 18 Jahre, ehe er sich sicher genug war, um die erste Osteopathieschule und also den osteopathischen Beruf zu begründen.
ABB. 7: DR. A. T. STILL MIT KNOCHEN
Er wollte seine wissenschaftlichen Entdeckungen an der Baker University vorstellen, die er zu gründen geholfen hatte. Doch weil seine Methoden so anders waren als die üblichen Verfahren seiner Zeit, wurde er abgewiesen. Der methodistische Pastor predigte von der Kanzel aus gegen ihn, verurteilte ihn und sagte, er ahme Jesus nach, indem er den Leuten die Hände auflege, um sie zu heilen. Der Pastor verkündete, dass er in der Hölle landen werde, und Andrew wurde offiziell aus der methodistischen Kirche ausgeschlossen. Obwohl er seinen Glauben nie verlor, schloss er sich nie wieder einer Kirche an. Zu dieser Zeit war Andrew T. Still der Erste Würdige Meister der Freimaurerloge in Baldwin. Auch die Freimaurer überlegten, ihn auszustoßen, aber es fehlte eine Stimme, um diese Drohung auszuführen. Er behielt seine Mitgliedschaft dort bis zu seinem Tod. Von der Ärzteschaft wurde er unterdessen diskriminiert; ihre Vertreter brandmarkten ihn als Quacksalber und Heuchler, dem es an ärztlichem Geschick fehle. Seine Freunde und Nachbarn wandten sich von ihm ab. Schließlich musste jemand, der daheim Skelette aufhängte und in seinen Taschen Knochen mit sich herumtrug, etwas verrückt sein, meinten sie. Einst eine Stütze der Gemeinschaft war Still nun gesellschaftlich und beruflich ein Außenseiter.27 Selbst sein Bruder James, ein im nahen Eudora lebender allopathischer Arzt, war enttäuscht und beschämt durch sein Handeln. Er gab ihm den Rat, seine neuen Vorstellungen aufzugeben und zur traditionellen Medizin zurückzukehren. A. T. Still jedoch war entschlossen, zu beweisen, dass seine neue Philosophie der Medizin den Körper tatsächlich heilen konnte.28 Als Dr. Still und seine Schule dann erfolgreich waren, wurden seine Brüder, James eingeschlossen, schließlich alle D.O.s.
ABB. 8: DR. ANDREW TAYLOR STILL
DER LEHRER
In Kansas geächtet, entschloss sich Dr. Still, in den Nordosten Missouris zurückzukehren. Zunächst ging er nach Macon, wo sein Bruder Edward lebte, doch dort wurde er ebenso wenig akzeptiert. Der örtliche methodistische Pastor sagte, er sei ein „hoffnungsloser Sünder,“ und andere meinten, er sei „vom Teufel besessen.“ Von dort zog er weiter nach Kirksville, wo ihm einige Leute halfen und ihn ermutigten. Im Ivy Hotel bekam er für einen Monat freie Kost und Logis und Charlie Chinn bot ihm zwei Zimmer über seinem Lebensmittelgeschäft als Praxis an, obwohl er wusste, dass der Doktor nicht bezahlen konnte.1
Stills Praxis war anders als die anderer Ärzte. Ein langer, schmaler, stabiler und mit Leder gepolsterter Tisch war zentral darin aufgestellt; der Patient legte sich darauf. Sodann begann eine körperliche Untersuchung, wie sie niemand jemals erfahren hatte. Dr. Still platzierte seine Finger auf dem Rücken des Patienten und suchte nach schmerzempfindlichen Punkten. Wenn er sie gefunden hatte, versetzte er dem Körper eine rasche Drehung und der Schmerz verschwand. Viele Leute waren skeptisch angesichts dieses Arztes, der stieß und zog, statt Arzneimittel auszuteilen, die sie einnehmen sollten.2
Obwohl sich seine Praxis sehr langsam anließ, ließ Dr. Still im kommenden Frühjahr, Mai 1875, seine Familie nachkommen. Bis zu diesem Zeitpunkte hatte er vier weitere Kinder bekommen, alles Jungen. Da war Charles, der älteste, dann die Zwillinge Herman und Harry sowie schließlich Fred. Eine Tochter, Blanche, wurde später in Kirksville geboren. Seine älteste Tochter Marusha war bereits verheiratet und blieb in Kansas.
In seinem Denken und Verhalten war Still unorthodox, und er tat oft Dinge, die ungewöhnlich waren. Viele der Leute des Ortes verstanden ihn nicht und hatten daher Angst vor ihm. Das folgende Zitat stammt aus Booths Geschichte der Osteopathie:
„Stellen Sie sich jemanden vor, der in der Stadt herumläuft oder der durch den Wald streift, der sich vielleicht auf einem Randstein niederlässt, einen von mehreren Knochen hervorzieht, die er bei sich trägt, und diesen ganz selbstvergessen studiert, als hinge seine ganze Zukunft von der genauen Herkunft oder der Befestigung eines bestimmten Muskels ab, und der vielleicht sogar vor sich hin murmelt. Stellen Sie sich so jemanden vor und Sie sehen Dr. Still.“3
Für die Familie war es eine schwierige Zeit. Seine Kinder wurden für ihren seltsamen Vater gehänselt und Mrs. Still wurde in der Gesellschaft gemieden. Erwachsene querten die Straße, um eine Begegnung mit ihm zu vermeiden, und Kindern wurde geraten, sich von diesem Doktor fernzuhalten, der merkwürdig sei und vielleicht ein wenig verrückt. Dr. Still fing damit an, Vorträge in Schulhäusern auf dem Land und in nahegelegenen Orten zu halten, wo er seine neuen Ideen vorstellte. Dann behandelte er ohne Honorar die, die bereit waren, es mit ihm auszuprobieren. Jeder, den er behandelte und dem er half, wurde ein Freund. Manchmal nannte man ihn einen Wunderheiler, einen magnetischen Heiler oder einen Spiritisten bzw. Geistheiler. Er gleichwohl bevorzugte die Bezeichnung „Blitzeinrenker“ und hatte Visitenkarten, auf denen er sich selbst als solcher vorstellte.
Dr. Still wollte einige große anatomische Schaubilder erwerben, um sie für seine Vorträge und Demonstrationen zu nutzen, doch er hatte kein Geld. Eine Freundin, Mrs. Conner, lieh im 25 Dollar, mit denen er sie kaufen konnte. Er zahlte ihr das Geld zurück, sobald er konnte. Er war so dankbar dafür, dass sie ihm geholfen hatte, als er in Not war, dass er ihr, als er erfolgreich war, eine lebenslange monatliche Pension zahlte. Außerdem ließ er zwei ihrer Söhne seine Schule besuchen.4
Dr. Still fing gerade erst damit an, eine Praxis aufzubauen und genug Geld zu verdienen, um seine Familie zu ernähren und seine Miete zu bezahlen, als er im September 1877 an Typhus erkrankte. Über mehrere Monate befand er sich in sehr ernster Verfassung. Nach seiner Genesung war er so ausgezehrt und erschöpft, dass er gezwungen war, drei weitere Monate im Bett zuzubringen.5 Seine Haare und sein Bart ergrauten während dieser Tortur, und er stand so unsicher auf seinen Beinen, dass er jemanden brauchte, um sich zu stützen, während er lief. Einige Leute fingen an, ihn den „Alten Doktor“ zu nennen. Aufgrund seiner Arbeitsunfähigkeit war seine finanzielle Situation düster, seine Familie packte mit an. Die Zwillinge machten abwegige Jobs, Charlie arbeitete nach der Schule in einem Lebensmittelgeschäft und Mary Elvira verkaufte Zeitschriftenabonnements.
Im Frühling 1878 war er wieder in der Lage, einige Patienten einzeln aufzusuchen. Die finanzielle Situation der Familie verbesserte sich, blieb aber instabil. Während er sich weiterhin erholte, fing er an, darüber nachzudenken, wie er seine Vorstellungen von Gesundheitsfürsorge weiterentwickeln und auch etwas mehr Geld verdienen konnte.6
Im Jahr 1880, als er vollkommen wiederhergestellt war, traf er den Entschluss, ein umherziehender Arzt zu werden und im Staat herumzureisen, um Patienten zu finden, an denen er seine neuen Methoden versuchen konnte. Ehe er Kirksville verließ, ließ er Plakate drucken, aus denen hervorging, zu welchen Terminen Dr. Still, der „Blitzeinrenker,“ in einer bestimmten Stadt sein würde. Er ließ die Zettel rechtzeitig anbringen und wenn er ankam, warteten die Leute bereits auf ihn. Diejenigen, denen die traditionelle Medizin nicht geholfen hatte, waren gespannt darauf, Dr. Still auszuprobieren. Und wenn er Leuten mit Erfolg half, hinterließ er einen guten Eindruck, sodass ihm der Ruf von seinen Heilungen vorauszueilen begann. Bald erwarteten, wo immer er hinkam, viele Leute seine Ankunft. Er bildete seine älteren Söhne aus, ihm zu assistieren; einer von ihnen begleitete ihn für gewöhnlich auf seinen Reisen. Sein Sohn Harry schrieb später:
„Leute kamen über weite Strecken, um ihn aufzusuchen, den erstaunlichen Wunderheiler. […] Es war wie in einem altmodischen Camp Meeting, wie jedermann, der behandelt worden war, fröhlich und laut rufend davon ging. […] Mein Vater behandelte Leute aller Klassen, die keine Angst hatten, zu ihm zu kommen. […] Die Armen erhielten ihre Behandlung stets kostenfrei und wenn sie kein Fahrgeld und keine Verpflegung hatten, erhielten sie diese von meinem Vater, wenn er sie hatte. Er war zu dieser Zeit selbst sehr arm, da er die Anwendung von Medizin aufgegeben und den größten Teil von fünfzehn Jahren mit harter Arbeit und Studien zugebracht hatte, ohne einen Freund, der ihn ermutigte. […] Trotz all dieser Hindernisse konnte ihn nichts erschüttern. Seine Überzeugungen und sein Glaube waren dauerhaft fest in seinen grauen Zellen.“
J. O. Hatten, D.O., der einige Male während Dr. Stills Zeit als umherwandernder Arzt mit diesem herumreiste, gibt an, dass sie durch den gesamten Süden und Westen Missouris gereist seien und so viele Informationen wie möglich sammelten, dass sie Krankheiten, Behinderungen und Missbildungen aller Art studiert hätten. Hatten gibt dazu den folgenden Bericht:
„In Eldorado Springs, Missouri, behandelte er einen Mann der sehr unter seinem Asthma litt. Bald war er von seinem Problem erlöst und die Leute kamen zu Hunderten. Es waren solche Mengen an Leuten, dass wir sie nicht alle ansehen konnten, geschweige denn behandeln. Wir belegten sechzehn Zimmer im St. James Hotel und der Gehsteig war so überfüllt, dass wir gezwungen waren, uns in die Vororte der Stadt zurückzuziehen, um Platz für die Leute und ihre Neugier zu haben.“7
Sie gingen nach Nevada City, Missouri, wo sich die Irrenanstalt des Staates8 befand. Harry zufolge heilte sein Vater etwa 100 Patienten. Einer davon war eine junge Dame, deren Vater Dr. Still darum gebeten hatte, bei ihr vorbeizusehen. Er fand sie derart tobsüchtig vor, dass sie nicht einmal ihre Eltern kannte. Es fiel schwer, sie auf das Bett zu legen, sodass sie untersucht werden konnte. Er stellte eine Läsion des dritten Halswirbels fest, die Folge eines Sturzes. Er beseitigte sie und nachdem sie sich beruhigt hatte, erinnerte sie sich wieder an ihre Eltern.9
Bei einem seiner Aufenthalte in Hannibal zog Dr. Still so viele Patienten an, dass die anderen Ärzte eifersüchtig waren. Ein orthodoxer Arzt zeigte ihn bei den Behörden an und Dr. Still wurde festgenommen, weil er ohne Lizenz praktiziert habe. Er verteidigte sich und erbrachte den Beweis, dass er als Arzt in Macon County eingetragen war. Er wies außerdem darauf hin, dass nicht halb so viele seiner Patienten auf dem Friedhof lägen als im Falle des Arztes, der sich über ihn beschwert hatte. Er gewann den Prozess.10
Nach mehreren Jahren des Herumziehens im Land traf Dr. Still den Entschluss, in Kirksville zu bleiben und die Leute zu sich kommen zu lassen. Und sie kamen, mit dem Wagen und mit dem Zug. Eine bekannte Familie aus Kirksville erzählt die Geschichte ihrer Großmutter, Josie May Beard aus Bismarck, Missouri, die seit vielen Jahren von einer schweren Arthritis in ihrer Schulter geplagt wurde. Als sie von den außergewöhnlichen Ergebnissen hörte, die Dr. Still erzielte, zog die Familie nach Kirksville, damit sie behandelt werden konnte. Sie luden alle ihre Besitztümer, das Vieh eingeschlossen, auf einen Flachwagen und zogen mit dem Zug nach Kirksville um, wo ihre Arthritis durch die Behandlungen wunderbar gelindert wurde.11
Das Haus der Stills befand sich an der Ecke Jefferson Street/Fifth Street. Der Rasen vor dem Haus war oft voll von Leuten, die darauf warteten, ihn zu sehen. Obwohl er zu Hause zwei Behandlungstische hatte, behandelte er die Patienten manchmal auch in einem Gartenstuhl oder zur Stützung gegen einen Baum gelehnt.12 Er behandelte die Leute, wo immer er sie traf. Eine ältere Dame aus Kirksville berichtete, dass Dr. Still sie als Kind auf dem Tresen im Lebensmittelgeschäft behandelt habe.13 Eines Tages begegnete er einer alten schwarzen Wäscherin in der Nähe der Gleise der Wabash-Linie. Er konnte erkennen, dass sie einen gekrümmten Hals und ein Stechen im Rücken hatte. Er setzte seinen Fuß auf die zweite Sprosse eines Zauns und legte eine Hand auf ihren Hals und die andere auf ihren Kopf, während die alte Dame zwischen seinen Knien saß. Mittels einer vorsichtigen Drehung korrigierte er die Läsion und die Frau war von den Schmerzen befreit. Sie fragte ihn nach seinem Preis und er sagte, dieser betrage zehn Dollar. Sie sagte ihm, dass sie nach Hause gehen und einige Kleider waschen müsse, ehe sie ihn bezahlen könne. Da steckte er die Hand in seine Tasche und zog einen Zehndollarschein heraus. Indem er ihn gab, bemerkte er: „Die Rechnung ist bezahlt, gehe nach Hause und sei glücklich.“14
ABB. 9: ANDREW UND MARY STILL AUF IHRER VERANDA IN JEFFERSON; ECKE FÜNFTE STRASSE IN KIRKSVILLE
Über etliche Wochen lief er immer wieder viele Meilen hin und zurück durch den Schnee, um einen Farmer gegen Ischias zu behandeln, die schmerzhafte Entzündung des Ischiasnervs. Als es dem Farmer besser ging, fragte er Dr. Still, wie viel er ihm schulde. Dr. Still sagte, “ich kann nicht erkennen, wie ein Mann mit zwei Gespannen im Stall, die ihm die Haare vom Kopf fressen, in der Lage wäre, eine Arztrechnung zu bezahlen. Aber wenn Sie es haben, können Sie mir vielleicht einen Dollar oder zwei geben.“15
Ungeachtet seiner Erfolge waren viele Leute in Kirksville immer noch argwöhnisch angesichts des Doktors, der so anders war. Wenn sie ihn öffentlich besuchten, machten sich andere über sie lustig. Einige baten ihn, zur Hintertür zu kommen, damit andere es nicht sähen. Akzeptiert wurde er schließlich dank eines jungen Mädchens, der Tochter des örtlichen presbyterianischen Pastors. Sie war von einem Pferd abgeworfen worden und seit sechs Monaten war sie gelähmt, hatte Schmerzen und lief auf Krücken. Die regulären Ärzte waren gerufen worden, doch es nützte nichts. Ihre Mutter wollte es mit Dr. Still ausprobieren, doch ihr Vater lehnte es ab, ihn hinzuzuziehen. Eines Tages, als der Vater außerhalb der Stadt war, überzeugte das junge Mädchen seine Mutter, nach Dr. Still schicken zu lassen, der dann gebeten wurde, nach Einbruch der Dunkelheit zu kommen, damit niemand ihn sehen konnte. Er untersuchte das Mädchen und stellte eine dislozierte Hüfte fest, die er sodann behandelte. Als er ihr sagte, sie solle aufstehen und laufen, tat sie es, ohne ihre Krücken. Und als ihr Vater dann nach Hause zurückkehrte, lief sie zu ihm ins Zimmer. Er war verblüfft. Man sagte ihm, dass es Dr. Still gewesen sei, der sie geheilt habe. Am nächsten Sonntag führte er seiner Gemeinde auf der Kanzel seine Tochter vor und sagte: „Ich will ein Gebet darbringen, in das ich alle Herzen leidenschaftlich einzustimmen bitte. Ich will den Segen des Allmächtigen für Dr. Still erbitten, der meine Tochter von ihrer Lähmung befreit hat, sowie einen Segen für seine Arbeit, die Leiden lindert und die Bedrängnis der Menschheit erleichtert. Lasset uns beten.“ Danach zögerten viele Stadtbewohner nicht, Hilfe von Dr. Still in Anspruch zu nehmen.16
Bald hatte er so viele Patienten, dass er zwei kleinere Hütten nahe seines Hauses erwarb. Eine diente als Wartezimmer und die andere als Behandlungsraum. Etwa zu dieser Zeit beschloss er, dass er seinem neuen Beruf einen Namen geben sollte. Als ihn sein Sohn Charles fragte, wie er sein Behandlungssystem nennen wolle, antwortete Dr. Still: „Osteopathie.“ Charles wandte ein, dass das Wort nicht im Wörterbuch zu finden sei. Dr. Still antwortete: „Ich weiß, aber wir werden es da hineinsetzen.“17 Er war der Meinung, Osteopathie würde gut zu Allopathie und Homöopathie passen, jeweils medizinische Begriffe, die damals benutzt wurden. Der Begriff war zusammengesetzt aus den griechischen Worten „osteon,“ Knochen, und „pathos,“ Krankheit oder Leiden. Seine Studien hätten mit den Knochen angefangen, sagte er, und ihre richtige Ausrichtung sei die Grundlage seiner Arbeit.18
„Was soll ich mit all diesen Patienten machen?“ Er begriff, dass er Hilfe brauchen würde und dass er, damit seine Entdeckung weiterbestehen könne, andere in ihrer Anwendung zu unterrichten hätte. Sein Leben hatte ihn auf diesen nächsten Schritt vorbereitet. Im Jahr 1891 fing er damit an, seine vier Söhne, seine Tochter und einige andere, die den Wunsch hatten, die Manipulationen zu lernen, zu instruieren. Nach sechs Monaten allerdings bemerkte er, dass diese Ausbildung unzureichend war; sie war nicht umfassend genug. Er schrieb: „Dieser Gedanke: ‚Osteopathie für kommende Generationen‘ machte auf mich solchen Eindruck, dass […] ich mich entschloss, eine Schule zu eröffnen, da ich wollte, dass meine vier Söhne und meine Tochter diese Wissenschaft gut kennenlernten.“19
Am 10. Mai 1892 erhielt er die Nachricht aus Jefferson City, dass eine Satzung bewilligt worden sei, die ihm das Recht verlieh, Osteopathie zu unterrichten. Während des Sommers wurde ein Gebäude mit zwei Zimmern auf der Nordseite der West Jefferson Street errichtet, gegenüber von seinem Haus. Nach zehn Jahren der Forschung und 18 Jahren Praxis, um sein System der Heilkunde zu vervollkommnen, gründete er die American School of Osteopathy (ASO). Er war 64 Jahre alt.
ABB. 10: DAS ERSTE GEBÄUDE DER AMERICAN SCHOOL OF OSTEOPATHY MIT DR. STILL AUF DER VERANDA
Der erste Kurs fand am 3. Oktober 1892 statt. Liberaler, der er war, öffnete Dr. Still seine Schule sowohl für Frauen als auch für Schwarze. Obwohl es bis 1970 dauerte, ehe sich ein Afroamerikaner einschrieb, waren Frauen bereits im ersten Jahrgang vertreten. Dr. Still ermutigte sie, sagte, sie seien natürliche Heiler der Kranken. Ein Reporter des St. Louis Globe besuchte Kirksville im Oktober 1892, um Nachforschungen betreffend der vielen Geschichten anzustellen, die sich um den ungewöhnlichen Arzt, der Leute heilte und eine neue Schule gründete, drehten. Gekommen, um Kritik zu üben, war er derart beeindruckt, dass der Kirksville „Missouris Mekka der Kranken“ nannte.
Die erste Schule hatte ein zweiköpfiges Kollegium – Dr. Still, der Manipulation unterrichtete, und Dr. William Smith, der Anatomie und Physiologie lehrte. Dr. Smith hatte das Medical College der University of Edinburgh, Schottland, absolviert und war Mitglied des Royal College of Physicians and Surgeons of England. Er war in Kirksville und verkaufte Sanitätsartikel, als er Dr. Still zum ersten Mal traf, und er war von diesem und seinen neuen Methoden derart fasziniert, dass er versprach, Anatomie zu unterrichten, falls Dr. Still ihm in der Manipulation unterwiese. Es gab ungefähr zehn Studenten, als die Schule eröffnet wurde, Stills vier Söhne sowie seine Tochter eingeschlossen, aber die Zahl wuchs rasch auf 17.20 (Die genaue Zahl ist verschiedentlich dokumentiert worden. In seinen persönlichen Aufzeichnungen sprach A. T. Still von etwa zwölf.)21 Der Satzung entsprechend konnte den Absolventen der Grad eines M.D. verliehen werden, doch Dr. Still dachte, er habe etwas anderes, eigenständiges, und so wählte er den D.O., das Diplom in Osteopathie. Bald wurde es in Doctor of Osteopathy geändert. Still aber sagte seinen Studenten: „D.O. bedeutet Dig On.“22