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Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Quellen
Luther, Martin: Von der Freiheit eines Christenmenschen (1520), in: ders.: Ausgewählte Schriften, Bd. 1: Aufbruch zur Reformation, hg. von Karin Bornkamm/Gerhard Ebeling, Frankfurt a.M. 1995, 238–263.
Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph: Urfassung der Philosophie der Offenbarung, hg. von Walter E. Ehrhardt, Hamburg 1992.
|19|2. Sekundärliteratur
Patterson 2005: Patterson, Orlando: Freiheit, Sklaverei und die moderne Konstruktion der Rechte, in: Joas, Hans/Wiegandt, Klaus (Hgg.): Die kulturellen Werte Europas, Frankfurt a.M. 2005, 164–218.
Schockenhoff 2007: Schockenhoff, Eberhard: Theologie der Freiheit, Freiburg i.Br. 2007.
|21|Altes Testament
Uwe Becker
Zwischen Befreiung und Autonomie.
Freiheitsvorstellungen im Alten Testament
1. Sprachlicher Befund
Einen Begriff für »Freiheit« kennt das hebräisch-aramäische Alte Testament nicht. Die mit ihm bezeichnete Sache aber ist in vielen Textbereichen gegenwärtig, auch wenn man die vorwiegend neuzeitlich geprägte Vorstellung von Freiheit als Willensfreiheit oder als politische und soziale Autonomie nicht unmittelbar auf das Alte Testament übertragen kann. Auf den griechischen Begriff von ἐλευθερία (»Freiheit«) stößt man kaum zufällig in den späteren, teilweise bereits griechisch verfassten Weisheits- und Geschichtsbüchern des Alten Testaments (Jesus Sirach, 1–2Makk), in denen die Begegnung mit dem griechischen Geist – etwa mit dem Freiheitsverständnis der Stoa oder mit den aus der griechischen Polis stammenden Vorstellungen von politischer Autonomie – mit Händen zu greifen ist. So beziehen sich die wenigen Belege des Begriffs ἐλευθερία in der Septuaginta, der griechischen Bibel, entweder auf die Freiheit als Gegenbegriff zur Sklaverei (Lev 19,20; Sir 7,21; 33,26) oder aber auf den politischen Befreiungskampf der Makkabäer (1Makk 14,26). Der ἐλεύθερος (»Freie«) steht entsprechend dem Sklaven gegenüber (so in Ex 21,2–6.26f.; Dtn 15,12.13.18), kann aber auch den »Vornehmen« bezeichnen, der zu den Notabeln einer Stadt oder eines Landes gehört (vgl. 1Kön 20,8.11; Neh 13,17; Koh 10,17). Die unter der Herrschaft der Seleukiden im 2. vorchristlichen Jahrhundert geknechtete Stadt Jerusalem war einst eine »freie« Stadt (1Makk 2,11), zu der sie wieder werden |22|soll (1Makk 15,7; 2Makk 9,14); die aus Judäa verschleppten Juden sollen zu »freien« Bürgern werden (1Makk 10,33). Insoweit trifft das berühmte Diktum Rudolf Bultmanns, das Alte Testament habe »kein Wort, das dem griechischen Begriff von Freiheit entspricht« (Bultmann 1959: 44), nur sehr eingeschränkt zu, wenn man die Spätschriften des Alten Testaments einbezieht.
Blickt man nun auf die hebräischen Begriffe für das Wortfeld »Freiheit« oder »Befreiung«, so lassen sich mehrere Verben und Wendungen zusammentragen, die vornehmlich aus dem politisch-sozialen Bereich stammen. So wird die Befreiung aus dem »Sklavenhaus« Ägypten in der Überlieferung vom Exodus mit den Verben אצי (hif. jṣʾ/»herausführen«) (Ex 20,2), הלע (hif. ʿlh/»heraufführen«) und לצנ (nṣl/»retten«) (Ex 3,8) sowie לאג (gʾl/»auslösen«) (Ex 6,6) beschrieben. Allein drei der vier genannten Verben sind in der priesterschriftlichen Mose-Berufung Ex 6,6 versammelt. Mit der Übertragung des juristischen Terminus הדפ (pdh/»loskaufen«) auf das Exodusgeschehen im spät-deuteronomistischen Literaturbereich erhält die Herausführung aus Ägypten geradezu soteriologische Dimensionen (Dtn 7,8; 9,26; 13,6; 15,15; 24,18; vgl. 2Sam 7,23; Mi 6,4). In jedem Fall zeigt sich bereits am Sprachgebrauch, dass mit dem Exodus mehr anvisiert ist als ein rein politisch zu verstehendes Befreiungsgeschehen.
Speziell aus dem Sklavenrecht kommt das relativ selten belegte Nomen ישִׁפְחָ (ḥŏpšî/»Freigelassener«), das folglich in den Sklavengesetzen Ex 21,1–6.26f. sowie (davon abhängig) in Dtn 15,12–18, erstaunlicherweise aber nicht in der Exodusüberlieferung begegnet. Vielleicht war der Begriff aufgrund seiner engen sozialen Konnotation soteriologisch zu wenig anknüpfungsfähig. Er tritt dann noch einmal in dem späten Kapitel Jer 34,8–22 über den Widerruf der Sklavenfreilassung auf, das auf die Regelung in Ex 21 Bezug nimmt. Ob man bei den »Freigelassenen« mit einer sozial niederen Schicht der gerade aus der Sklaverei Entlassenen rechnen kann, ist umstritten und wohl eher zu verneinen (vgl. Lohfink 1982: 125). Theologisch interessant ist schließlich die Aufnahme des Begriffs in dem Klagelied Ps 88, wo es in V. 6 (textlich und inhaltlich freilich äußerst schwierig) heißt: »unter den Toten (bin ich) ein Freigelassener«, was wohl mit einer negativen Färbung verbunden ist (Neue Zürcher |23|Bibel: »ausgestoßen unter die Toten«). Die Septuaginta übersetzt den Begriff an dieser Stelle mit ἐλεύθερος (Ps 87,5), hält aber an der negativen Grundaussage im Sinne von »vogelfrei« fest.
Der hier skizzierte sprachliche Befund deckt jedoch nur einen Teil dessen ab, was das Alte Testament zum Thema »Freiheit« zu sagen hat, wie der folgende Überblick über die wichtigsten Themenfelder veranschaulichen soll.
2. Soziale Freiheit
Dass man in einer antiken vorderorientalischen Gesellschaft mit erheblichen sozialen Differenzierungen und damit auch mit dem Phänomen der Sklaverei zu tun hat, bedarf keiner weiteren Begründung. Die beiden Königtümer Israel und Juda partizipierten nicht nur religiös, sondern auch in ihrer gesellschaftlichen Verfasstheit an der altorientalischen Mitwelt. So ist es kein Wunder, dass die alttestamentliche Sklavengesetzgebung, soweit sie in der ältesten Gesetzessammlung, dem sogenannten Bundesbuch (Ex 20,22–23,33), enthalten ist, im Großen und Ganzen dem altorientalischen Gewohnheitsrecht entspricht, wie es etwa im berühmten Kodex Hammurapi (um 1700 v.Chr.) niedergelegt ist. Sklaven waren Unfreie, die ihre Herren nicht verlassen durften und rechtlich den Sachen gleichgestellt waren. Man durfte sie schlagen, verkaufen und sogar töten (vgl. mit Einschränkungen Ex 21,20f.). Die Freilassung von Sklaven ist demnach ein Rechtsakt, der der besonderen Regelung bedarf.
So legt Ex 21,2–6 fest, dass ein »hebräischer Sklave«, der möglicherweise durch Schuldsklaverei in seine Lage gekommen ist (um Kriegsgefangene geht es hier offensichtlich nicht), im siebten Jahr seines Dienstes freigelassen werden soll, aber auf eigenen Wunsch auch bei seinem Herrn verbleiben kann, dann freilich dauerhaft. In Ex 21,7–11 sind Regelungen über die Sklavin angefügt, die grundsätzlich nicht unter die Pflicht zur Freilassung im siebten Jahr fällt, jedoch unter bestimmten Bedingungen ausgelöst werden kann. Diese Regelungen zur Sklavenfreilassung fallen übrigens in gewisser Hinsicht hinter die viel älteren Bestimmungen des Kodex |24|Hammurapi zurück, der für den Fall, dass eine Frau, ein Sohn oder eine Tochter als Schuldsklave verkauft wird, eine Freilassung bereits im vierten Jahr vorsieht (§ 117, vgl. TUAT I, 56f.).
Es mag für heutige Leser überraschend sein, dass die alttestamentlichen Rechtstexte die Institution der Sklaverei nicht nur nicht kritisieren, sondern sie überhaupt nicht in Frage stellen. Sie gehörte offenbar zur gesellschaftlichen Realität, die indes in der Literatur- und Theologiebildung des Alten Testaments zunehmend vom Gedanken eines einheitlichen Gottesvolkes her umfassend relativiert oder gar missbilligt wird. Man muss demnach unterscheiden zwischen der empirischen sozio-ökonomischen Lage der Sklaven im antiken Israel und Juda, wie sie sich aus den besprochenen Rechtstexten, aber auch aus archäologischen Quellen rekonstruieren lässt, und der sich in den alttestamentlichen Texten niederschlagenden religiösen Theoriebildung. Letztere konnte und sollte zwar normsetzend auf die Realität einwirken und sie verändern, blieb aber dennoch in vielen Fällen nur Programm und Idee.
So ist die Vermutung nicht abwegig, dass die Freilassung eines Sklaven im siebten Jahr etwas mit dem Sabbat zu tun hat, es also auf eine schöpfungstheologische Verankerung der Sozialgesetze ankommt. Ob und inwieweit diese Gesetze jemals angewendet wurden, entzieht sich unserer Kenntnis. Deutlich ist jedenfalls, dass die Regelungen des Bundesbuches Ex 20–23 – unbeschadet älterer in ihm enthaltener Rechtsüberlieferungen – in ihrer vorliegenden Gestalt von einem gemeinsamen Bewusstsein des Gottesvolkes bestimmt sind. Bekräftigt wird dies maßgeblich durch ihre jetzige literarische Position im Exodusgeschehen. Denn der im Sklavengesetz angeredete Israelit (vgl. das »du« in Ex 21,2) wird im Horizont der vorliegenden Exoduserzählung als der eben erst aus der ägyptischen Knechtschaft Herausgeführte und Befreite angesprochen, und er wird aufgrund dieser kollektiven Erfahrung sogleich in die soziale Pflicht genommen. Die Sklavengesetze enthalten also in ihren konkreten Formulierungen und in ihrer jetzigen literarischen Einbettung weniger tatsächlich praktiziertes Recht als vielmehr theologisches Programm: Sie dienen der Grundlegung der spezifisch israelitischen Bruderethik. Insoweit spiegeln sie auch die theologische Verarbeitung und Bewertung einer offenbar nicht erst aus |25|heutiger Sicht problematischen sozialgeschichtlichen Realität wider, wie man sie auch anderwärts im Alten Orient antreffen konnte.
Illustrieren lässt sich diese zunehmende Theologisierung ursprünglich profanen Sozialrechts durch einen Blick auf die innerbiblische Rezeptionsgeschichte der Sklavengesetze im deuteronomischen Gesetz (Dtn 12–26) einerseits und im Heiligkeitsgesetz (Lev 17–26) andererseits (vgl. dazu insgesamt Otto 1994). So wird das Sklavengesetz aus Ex 21 in seiner rechtstheologischen Revision in Dtn 15,12–18 im Horizont der deuteronomischen Bruderethik verschärft: Der Sklave soll bei seiner Entlassung reichlich belohnt werden. Und nach Lev 25,39–55 darf es einen »hebräischen Sklaven« gar nicht mehr geben: »Wenn dein Bruder (!) neben dir verarmt und sich dir verkaufen muss, sollst du ihn nicht als Sklaven arbeiten lassen« (V. 39). Nur ein Status als »Tagelöhner« ist »bis zum Jobeljahr«, also bis zur Freilassung im siebten Jahr, erlaubt. Auch hier steht die spezielle israelitische Bruderethik im Hintergrund, bei der man wiederum fragen kann, ob und inwieweit sie überhaupt über ein theologisches Programm hinausgekommen ist. Immerhin zeigen Texte wie Jer 34,8–22, dass es sich bei der in Ex 21 vorgesehenen allgemeinen Sklavenfreilassung im siebten Jahr kaum um eine allgemein anerkannte Praxis gehandelt haben kann.
Es ist schon notiert worden, dass die alttestamentlichen Gesetze über die Freilassung von Sklaven nicht zufällig im literarischen und sachlichen Zusammenhang der Herausführung des Gottesvolkes Israel aus Ägypten stehen: Weil Israel Sklave war im Land Ägypten und von Jahwe befreit worden ist, soll es sich – so explizit in der Geschichtstheologie des Deuteronomiums – um eine gute Behandlung der Sklaven (Dtn 15,15), ja der sozial Schwachen überhaupt bemühen. Hierin spiegelt sich eine besondere Hermeneutik der Erinnerung (zu diesem Phänomen vgl. Assmann 1992): Der Exodus als das Israel allererst konstituierende Befreiungshandeln Jahwes wird erinnernd vergegenwärtigt und aktualisiert, als sei jeder Israelit, auch Hunderte von Jahren später, selbst dabei gewesen. Erst durch diesen hermeneutischen Kunstgriff wird die Erfahrung des Exodus in ethisches Handeln transformiert. Damit ist bereits angedeutet, wie vielschichtig das Alte Testament die Überlieferung vom Exodus versteht.
|26|3. Exodus und Befreiung
Nach dem Zeugnis des Alten Testaments steht die Befreiung aus der ägyptischen Knechtschaft und Sklaverei am Anfang der Geschichte des Volkes Israel: In der Fremde konstituiert sich das Gottesvolk, und in der Fremde wird Jahwe zum Gott Israels (vgl. Hos 12,10), so dass der Ägyptologe Jan Assmann formulieren konnte: »Exodus und Sinaioffenbarung als die zentralen Ursprungsbilder Israels beruhen auf dem Prinzip der Exterritorialität« (Assmann 1992: 201). Was Assmann als »Ursprungsbild« der israelitischen Religion bezeichnet, nennt man in der alttestamentlichen Wissenschaft das »Urbekenntnis«: Jahwe hat Israel aus Ägypten heraus- oder heraufgeführt (vgl. zum Folgenden mit unterschiedlicher Akzentuierung Crüsemann 2001 und Becker 2006).
Am Anfang war der Exodus, man könnte auch sagen: Am Anfang war die Befreiungstat Jahwes! Aber wie ist das genauer zu verstehen? Zwar gab und gibt es immer wieder Versuche, den Exodus historisch genauer zu fassen und überdies mit einem sozialrevolutionären Impuls zu versehen. So stand für Rainer Albertz am Beginn der Glaubensgeschichte Israels, noch in vorstaatlicher Zeit, »die Religion der befreiten Großgruppe« (Albertz 1992: 68–104). Sie setzte sich zusammen aus Kriegsgefangenen und gesellschaftlich Entwurzelten, die als Fronarbeiter im ramesidischen Ägypten tätig waren, dort ihrem Gott Jahwe, dem »Gott der Hebräer« (Ex 3,18) begegneten, unter der Führung Moses in die Freiheit zogen und ihren Freiheitsgedanken in die Stämme Israels einbrachten. Sieht man einmal von den heute problematisch gewordenen »befreiungstheologischen« Nebentönen dieses Konzeptes ab, kommt man bei einer kritischen Prüfung der Belege nicht um die Einsicht herum, dass die Exoduserzählung in Ex 1–14 kaum vor dem 7. Jahrhundert v.Chr. entstanden sein kann (vgl. Otto 2006: 27–42) und das sogenannte Urbekenntnis vom Auszug aus Ägypten weder alt noch umfassend ist. Denn die Glaubensformel findet sich fast ausnahmslos in späten, vor allem deuteronomistisch geprägten Literaturbereichen, ist also kaum vor dem 6. Jahrhundert v.Chr. belegt. Am häufigsten findet man sie im Buch Deuteronomium.
Nun ist das, was das Alte Testament über den Exodus zu erzählen |27|weiß, sicherlich nicht gänzlich erfunden oder fiktiv; einen Anhalt an der Geschichte der ausgehenden Spätbronzezeit (ca. 1400–1200 v.Chr.) hat die Überlieferung durchaus. Denn in dem geographischen Raum, aus dem das spätere Israel hervorging, verband man mit dem Namen »Ägypten« vor allem zwei Dinge: Nahrung und Fronarbeit. In den Quellen gibt es Hinweise auf Fronarbeiter aus dem semitischen Raum; sie werden dort Hapiru genannt. Doch um im Dienste der Ägypter zu stehen, musste man nicht in Ägypten sein: Palästina selbst stand, wie die Amarna-Korrespondenz zwischen dem ägyptischen Hof und den kanaanäischen Stadtkönigen aus dem 14. Jahrhundert belegt (vgl. Weippert, Historisches Textbuch zum Alten Testament 125–147), in der damaligen Zeit unter der Oberherrschaft der Pharaonen, und selbstverständlich hatte die einheimische Bevölkerung – gewissermaßen die Vorfahren der späteren Israeliten – Frondienste zu leisten. Der allgemeine Erfahrungshintergrund für das, was einmal zur Exodustradition geworden ist, war also seit dem 13./12. vorchristlichen Jahrhundert durchaus gegeben. Mehr wissen wir freilich nicht. Denn allein darauf kommt es an: Wo immer und wann immer das Alte Testament vom Exodus redet, redet es im Modus des Bekenntnisses, und dies geschieht eher in späteren als in älteren Texten.
So ist der Exodus in der Geschichtstheologie des Deuteronomismus, also des Buches Deuteronomium und der davon inspirierten Literatur des Alten Testaments, zu einem grundlegenden Credo ausgestaltet worden, das Jahwes Gabe und Israels Aufgabe zugleich beschreibt. Seinen beispiellosen Aufstieg verdankt das Credo offenbar der Tatsache, dass mit ihm ein Lebens- und Glaubensgrund formuliert werden konnte, der in der jüdischen Gemeinde des zweiten Tempels, die auf den Zusammenbruch des Staates und der traditionellen Nationalreligion der Königszeit zurückblickte, neuen Halt bot. Dass man dabei auf die vorstaatliche Urzeit zurückgriff und den Gedanken der »Freiheit« in den Vordergrund rückte, ist kein Zufall. Man wird sicher nicht so weit gehen dürfen, die mit dem Exoduscredo evozierten Vorstellungen von »Freiheit« und »Befreiung« unmittelbar zeitgeschichtlich auszudeuten. Aber es ist doch mehr als auffällig, dass die jüdische Gemeinde in Zeiten der äußeren Bedrängnis und inneren Bescheidung verstärkt von einem |28|befreienden Gott spricht, der sein Volk aus der Knechtschaft erlöst hat – und, so die Erwartung, auch künftig erlösen wird.
So wird Ägypten – namentlich im Buch Deuteronomium – nach und nach zu einem Symbol, zu einer Chiffre für Not, Unfreiheit und Elend jeglicher Art. Hier hat die Rede vom »Sklavenhaus« Ägypten (vgl. den Dekalog: Ex 20,2; Dtn 5,6) ihren Ort, die – wie oben bereits gesehen – sogar als Grundlegung der Ethik dienen kann: »Denkt daran, dass ihr selbst einst Sklaven in Ägypten wart!« (Dtn 5,15). Aus der kollektiven Erinnerungserfahrung der Befreiung folgt, wie der Dekalog im Einzelnen veranschaulicht, die Verpflichtung zum Einhalten der göttlichen Gebote (vgl. Hermisson 1985: 141–145; Köckert 2007: 44–48, 68–72). Befreiung und Verpflichtung gehören untrennbar zusammen; eine bindungslose Freiheit ist ausgeschlossen.
Doch die Reflexions- und Aktualisierungsleistung des Deuteronomismus geht noch weiter. Ein Beispiel aus einer späten literarhistorischen Stufe im Buch Deuteronomium: »Nicht weil ihr zahlreicher wärt als alle Völker, hat sich Jahwe an euch gehängt und euch erwählt – denn ihr seid das kleinste unter den Völkern –, sondern weil Jahwe euch liebt und seinen Eid hält, den er euren Vätern geschworen hat, hat Jahwe euch mit starker Hand aus Ägypten herausgeführt und dich freigekauft aus dem Sklavenhaus, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten« (Dtn 7,7f.). Mit einem geschickten Kunstgriff gelingt es dem Verfasser, Vergangenheit und Gegenwart eins werden zu lassen, zur Deckung zu bringen. Die jüdische Glaubensgemeinde wird mit der Exodusgeneration gleichzeitig. Und dieser Gemeinde wird Unerhörtes ins Stammbuch geschrieben: Das Gottesvolk ist gewiss erwählt, doch es darf sich darauf nichts einbilden, denn vorzuweisen hat es rein gar nichts, weder Größe noch eigenes Verdienst. Es war nichts als die freie Gnade Gottes, der das Volk seine Sonderstellung unter den Völkern verdankt. Ja, nicht einmal auf die Befreiungstat Gottes im Exodus darf sich Israel etwas einbilden. Denn der Exodus wird hier in charakteristischer Weise neu ausgelegt und aktualisiert: Er gibt die Richtung an, aus der das Heil kommt; es kommt ohne eigenes Verdienst und von außen, gewissermaßen sola gratia (»allein aus Gnade«), auf Israel zu. Die Befreiung, die der Exodus gewährt, steht |29|damit nicht mehr für ein äußerliches Auszugsgeschehen, sondern für das extra nos (»außerhalb von uns«) des Heils.
Das Alte Testament ist, so wird hier erkennbar, von einem wörtlichen, unmittelbaren Verständnis des Exodus weit entfernt. Wo es in theologisch produktiver Weise von ihm redet, redet es von der Freiheit als dem Lebensgrund des jüdischen Menschen, ja der jüdischen Gemeinde überhaupt. Und von der Freiheit Gottes zu reden, heißt, dem Menschen das extra nos seines Heils vor Augen zu führen. Dies geschieht explizit dort, wo »Ägypten« zur austauschbaren Chiffre für Bedrängnis jeglicher Art geworden ist: »Führe mich heraus aus dem Gefängnis, damit ich deinen Namen preise!« (Ps 142,8; vgl. auch Ps 25,15.17; 31,5; 66,12; 107,28). Hier sind nicht die Gefängnismauern aus Stein gemeint, sondern der Kerker des »in sich selbst verkrümmten Menschen« (homo incurvatus in se), der keinen Ausweg mehr weiß und deshalb aus seiner geistigen Not »herausgeführt« wird. In eine ähnliche Richtung weist der eschatologische Ausblick in Jes 61,1, wo den Elenden und Gefangenen die frohe Botschaft der »Befreiung« und »Freilassung« zugesprochen wird (vgl. Jes 35,10; 51,11; Ps 146,7). Die »Befreiungstheologie« des Exodus ist damit vollends von einem Ereignis der erinnerten Vergangenheit zum Signum einer sehnsüchtig erwarteten Zukunft geworden.
4. Politische und religiöse Freiheit
Dass sich die Exoduserzählung Ex 1–14 in ihrer vorliegenden Gestalt auch als eine politische Befreiungsgeschichte lesen lässt, belegt die jüngere Auslegungsgeschichte (vgl. Crüsemann 2001). Zu denken ist hier nicht nur an die lateinamerikanische Befreiungstheologie und ihre Rezeption in Mitteleuropa, sondern auch an die sozialgeschichtliche Wende in der Bibelwissenschaft in den 1970er Jahren, die Jahwe primär als einen Gott der politischen und sozialen Befreiung verstanden wissen wollte und in der Exodusüberlieferung ihren Schlüsseltext fand. Ja, der Exodus wurde in seiner Bedeutung nicht selten mit dem Bekenntnis zur Auferstehung Jesu im Neuen Testament verglichen und damit zu einem Leitmotiv des Alten Testaments erhoben. Eine nüchterne Betrachtung der Texte zeigt |30|indes, wie vielschichtig die Rede vom Exodus ist. Ohne Zweifel hat die Überlieferung – zumal die Erzählung Ex 1–14 – auch eine politische Dimension. So ist es eine ansprechende These, dass sich die Erzählung vom Exodus und seiner Leitfigur Mose kritisch und »subversiv« auf aktuelle politische Konstellationen beziehe. Mose etwa könnte bewusst als Gegenbild zum neuassyrischen Großkönig des 7. Jahrhunderts gezeichnet sein; auch die persische Reichsideologie des 5. und 4. Jahrhunderts mag ihre Spuren hinterlassen haben (vgl. Otto 2006: 35–64). In jedem Fall präsentiert die Exodusgeschichte eine, wenn man so will, theokratische Alternative zu bestehenden Herrschaftsformen, die natürlich auch herrschaftskritisch verstanden sein möchte. Die »Idee« von Freiheit als Befreiung von Fremdherrschaft ist in der Exoduserzählung also durchaus angelegt. Damit ist das griechische Verständnis von Freiheit als politischer Autonomie zwar noch nicht erreicht, aber doch in gewisser Weise vorbereitet.
Politische Freiheit als Unabhängigkeit von fremder Herrschaft wird erst in der Geschichtsschreibung der jüdisch-hellenistischen Zeit – namentlich in den ersten beiden Makkabäerbüchern – zu einem eigenen Thema ausgestaltet. Nach der Darstellung dieser beiden Geschichtsbücher kam es im 2. Jahrhundert v.Chr. infolge massiver Hellenisierungsbestrebungen der seleukidischen Herrscher (vor allem durch Antiochos IV.) in Judäa zu einer national-religiösen Revolte gegen die Fremdherrschaft (seit 166 v.Chr.). Sie wurde angeführt von der Familie der Makkabäer (bzw. später Hasmonäer), der es in teils zermürbenden militärischen Auseinandersetzungen gelang, nicht nur die Wiedereinweihung des Tempels (»Chanukkah«, 164 v.Chr.) zu erreichen, sondern im Laufe der Zeit Schritt für Schritt ein eigenständiges und autonomes Königtum in Judäa (faktisch seit 129 v.Chr.) zu errichten (vgl. 1Makk 14,26; 15,7). Auch wenn sich die Freiheitskämpfe der Makkabäer nach der Darstellung der beiden Bücher primär gegen die hellenistische Politik der Seleukiden, aber auch der liberalen, hellenistisch gesinnten Juden in den eigenen Reihen richteten, so ist nicht zu übersehen, dass sich das Freiheitsverständnis ganz dem griechischen Denken verdankt (vgl. Kaiser 2003: 195–198). Dies lässt sich etwa an 1Makk 2,7–13, einer Klage darüber, dass Jerusalem von einer »Freien« zu einer »Sklavin« |31|geworden ist, ablesen, aber auch an der feierlichen Abschiedsrede des Priesters Mattatias an seine Söhne in 1Makk 2,49–68. Der Kampf um das Gesetz wird hier als ein heroischer Befreiungskampf stilisiert, der unsterblichen Ruhm zeitigen wird. Judas, der Anführer der Makkabäer, erscheint in der Erzählung beinahe wie ein antiker Freiheitsheld. Im 2. Makkabäerbuch schließlich wird erstmals die Sammlung und Heimführung der Diaspora mit dem griechischen Verb ἐλευθερόω (»befreien«) bezeichnet und als göttliche Befreiungstat verstanden: »Befreie die unter den Völkern Versklavten« (2Makk 1,27). Politische Autonomie und religiöse Freiheit bilden in den Makkabäerkämpfen also eine untrennbare Einheit, was sich nicht zuletzt darin zeigt, dass die hasmonäischen Könige zeitweise zugleich das Hohepriesteramt in Jerusalem ausübten.
Als eine ideengeschichtlich gesehen milde Vorstufe der hier skizzierten politisch-religiösen Freiheit kann man das Konzept der persischen Reichsautorisation betrachten (vgl. Frei/Koch 1996). Darunter versteht man eine bestimmte religionspolitische Rechtspraxis im Perserreich, nach der lokales und partikulares Recht der abhängigen Völker (vor allem im religiösen Bereich) als persisches Reichsrecht anerkannt und autorisiert werden konnte. Auch die Formierung des Pentateuch, der Tora, wird gern von diesem Modell her interpretiert: Danach habe der Priester und Schriftgelehrte Esra gemäß einem Edikt des Königs Artaxerxes (Esr 7,12–26) um 400 v.Chr. in der kleinen Provinz Jehud die Tora eingeführt und mit persischer Sanktionsgewalt belegt. Damit hätte die persische Provinz Jehud im 4. Jahrhundert einen teilautonomen Status in Gestalt einer Bürger-Tempel-Gemeinde erreicht (vgl. zur Diskussion Karrer 2001). Indes lässt sich diese These, so ansprechend sie auf den ersten Blick erscheint, nicht halten: Weder ist die Tora auf direkte persische Einflussnahme hin entstanden, noch lässt sich das Edikt Esr 7 als historisches Zeugnis der Perserzeit auswerten (vgl. umfassend Grätz 2004). Vielmehr ist dieser Text als ein – wohl schon aus hellenistischer Zeit stammendes – theologisches Konzept zu verstehen, hinter dem sich letztlich eine Aufteilung von politischer und religiöser Herrschaft verbirgt: Die Perser als Oberherren garantieren – von Gott selbst dazu eingesetzt (Esr 1,1–4) – den Bestand der religiösen Gemeinschaft in Jehud, die sich um die |32|Tora versammelt und insoweit religiöse Autonomie besitzt. Dieses Konzept hat, wie man leicht erkennen kann, nur wenig mit dem griechischen Begriff der Freiheit zu tun, der sich gerade auf die Polis, die politische Gemeinde, bezog und sich nicht auf die rein religiösen Belange beschränkte.