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Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Sekundärliteratur
Frettlöh 2005: Frettlöh Magdalene L.: Theologie des Segens. Biblische und dogmatische Wahrnehmungen, Gütersloh 20055.
Häusl/Ostmeyer 2009: Häusl, Maria/Ostmeyer, Karl-Heinrich: Art. Segen und Fluch, in: Frank Crüsemann u.a. (Hgg.): Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, Gütersloh 2009, 515–518.
Hartenstein 2013: Hartenstein, Friedhelm: Ein zorniger und gewalttätiger Gott? Zorn Gottes, »Rachepsalmen« und »Opferung Isaaks« – neuere Forschungen, VF 58 (2013), 110–127.
Homolka 2004: Homolka, Walter: Segen und Segnen nach jüdischem Glaubensverständnis, JCR 476 (2004) (http://www.jcrelations.net/de/?id=2376).
Janowski 2014: Janowski, Bernd: Ein Gott, der straft und tötet? Zwölf Fragen zum Gottesbild des Alten Testaments, 2., durchges. und um einen Literaturnachtrag erw. Aufl., Neukirchen-Vluyn 2014.
Kluge 2012: Kluge, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, bearb. von Elmar Seebold, Berlin 201225.
|23|Kluger 2011: Kluger, Florian: Benediktionen. Studien zu kirchlichen Segensfeiern (Studien zur Pastoralliturgie 31), Regensburg 2011.
Lübbe 1998: Lübbe, Hermann: Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewältigung, in: Gerhart von Graevenitz/Odo Marquard (Hgg.): Kontingenz (Poetik und Hermeneutik 17), München 1998, 35–47.
Lübbe 2004: Lübbe, Hermann: Religion nach der Aufklärung, München 20043.
Luhmann 1982: Luhmann, Niklas: Funktion der Religion (stw 407), Frankfurt a.M. 1982.
Schmid 2012: Schmid, Konrad: Schöpfung (Themen der Theologie 4), Tübingen 2012.
Wagner-Rau 2008: Wagner-Rau, Ulrike: Segensraum. Kasualpraxis in der Moderne, Stuttgart 20082.
Westermann 1968: Westermann, Claus: Der Segen in der Bibel und im Handeln der Kirche, München 1968.
2. Literaturhinweise zum vertiefenden Studium
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Hangartner, Li/Vielhaus, Brigitte (Hgg.): Segnen und gesegnet werden. Reflexionen, Impulse, Materialien, Düsseldorf 2006.
Rosenau, Hartmut: Auf der Suche nach dem gelingenden Leben. Religionsphilosophische Streifzüge, Neukirchen-Vluyn 2000.
[Zum Inhalt]
|25|Religionswissenschaft
Andreas Feldtkeller
Segen aus Sicht der Religionswissenschaft
1. Theoretische Vorüberlegungen
Wenn aus der Sicht der Religionswissenschaft zu einem Begriff wie ›Segen‹ ein Überblick über verschiedene religionsgeschichtliche Zusammenhänge gegeben werden soll, dann stellt sich dabei die grundsätzliche Frage nach der Vergleichbarkeit von religiösen Vorstellungen und Praktiken in unterschiedlichen kulturellen und historischen Kontexten. Die Religionswissenschaft hat in ihrer Geschichte den Spielraum zu solcher Vergleichbarkeit sehr unterschiedlich groß eingeschätzt.
In den Anfängen der Religionswissenschaft im ausgehenden 19. Jahrhundert und beginnenden 20. Jahrhundert gab es zunächst eine Tendenz dazu, über die Unterscheidung zwischen ›Magie‹ und ›Religion‹ einen großen Teil der damals in den Kolonialgebieten Afrikas, Südostasiens und Ozeaniens vorgefundenen Vorstellungen und Praktiken als ›Magie‹ einzustufen und sie damit aus dem Begriff der Religion auszugrenzen. Als ›Religion‹ wurde nur anerkannt, was in einem engeren Sinn mit dem Christentum und seiner schriftlich fixierten Reflexivität vergleichbar erschien. So wäre aus der Perspektive dieser Epoche äußerst fraglich gewesen, ob es sich bei ›Segen‹ überhaupt um eine religiöse Vorstellung im engeren Sinne handelte, oder nicht vielmehr um eine eigentlich ›magische‹ Auffassung, von der dann allerdings Relikte auch in den schriftlichen Überlieferungen und in den gottesdienstlichen Praktiken von Judentum, Christentum und Islam aufzufinden wären.
Dem gegenüber wurde in der Religionsphänomenologie, die in |26|den 1930er bis 1950er Jahren zur vorherrschenden Richtung der Religionswissenschaft wurde, der Begriff der Religion wesentlich weiter gefasst. Den Ausgangspunkt dazu bildete der von Rudolf Otto (1869–1937) geprägte Begriff des Heiligen bzw. des Numinosen. Darauf aufbauend ging man davon aus, dass es einen gemeinsamen Grund für alle religiösen Vorstellungen in der Menschheitsgeschichte gäbe, und man betrachtete es als eine Aufgabe der Religionsforschung, diesen Grund aus der Vielzahl der religiösen Überlieferungen und Praktiken herauszudestillieren. Die eigene religiöse Erfahrung der Forschenden wurde dabei als ein wichtiges Instrument verstanden, um ein Gespür für den gemeinsamen Grund aller Religion entwickeln zu können. Weiter ging man davon aus, dass die Wirksamkeit des gemeinsamen Grundes aller Religion sich zeigen würde in einer Vielzahl von religiösen ›Phänomenen‹. Von diesen nahm man an, dass sie zwar hinsichtlich ihrer Einzelheiten in verschiedenen kulturellen und historischen Kontexten von Religion verschiedene Gestalten annehmen konnten, dass sie aber dennoch über Wesensmerkmale verfügten, die unabhängig von kulturellen Prägungen immer dieselben seien und ihren Ursprung letztlich im ›Heiligen‹ als dem gemeinsamen Grund aller Religion hätten. Unter diesem wissenschaftlichen Paradigma rückte das Konzept von ›Segen‹ sehr weit in das Zentrum dessen, worum es in der Religionsforschung ging, denn wie kaum ein anderer religionsvergleichend angewandter Begriff ist ›Segen‹ dazu geeignet zu veranschaulichen, was man unter einem religiösen ›Phänomen‹ im beschriebenen Sinne verstand.
Ab 1960 begann die Religionswissenschaft sich als eine kulturwissenschaftliche Disziplin neu zu formieren, die Religionen als zwischen Menschen kommunizierte Systeme von Bedeutungen versteht. Damit verbunden ist einerseits eine scharfe Abgrenzung gegenüber der Art, wie die Religionsphänomenologie den Grund aller Religion zum Gegenstand der Religionsforschung gemacht hatte, andererseits eine große Skepsis, was die Möglichkeit des Vergleichs zwischen religiösen Traditionen anbelangt. Unter dem neuen Paradigma wurde und wird die Bedeutung von religiösen Überlieferungen nur in Bezug auf den jeweils spezifischen kommunikativen Zusammenhang für interpretierbar gehalten, zu dem |27|sie gehört, während es als äußert problematisch gilt, Zusammenhänge dort herzustellen, wo sie von den Trägern der religiösen Überlieferung selbst nicht gezogen werden.
Wenn im Folgenden einige religiöse Bedeutungszusammenhänge vorgestellt werden, die sich für einen Vergleich mit israelitischen, jüdischen und christlichen Verständnissen von Segen anbieten, dann versteht sich dabei vor dem Hintergrund der Forschungsgeschichte, dass dies nicht bedeuten kann, nach einem über die verschiedenen religiösen Überlieferungen hinweg sich zeigenden ›Phänomen‹ zu suchen, das religionswissenschaftlich als ›Segen‹ bezeichnet werden könnte. Nach dem gegenwärtigen Selbstverständnis der Religionswissenschaft kommt der Begriff Segen für sie nicht mehr als ein wissenschaftssprachlicher Begriff in Frage, sondern nur noch als ein Begriff, der zur religiösen Sprache einiger Religionsgemeinschaften gehört, insbesondere derjenigen Gemeinschaften, die mit der Religion des alten Israel in einem Überlieferungszusammenhang stehen: Judentum, Christentum und Islam sowie einige der aus diesen hervorgegangenen neueren Religionsgemeinschaften.
Nach dem in diesem Kapitel verwendeten Verständnis von Religionsvergleich ist es über solche überlieferungsgeschichtlichen Zusammenhänge hinaus möglich, die Bedeutungen von religiösen Überlieferungen unter dem Gesichtspunkt miteinander zu vergleichen, welche Stellung und Funktion sie innerhalb der religiösen Interpretation von menschlicher Wirklichkeitserfahrung einnehmen. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass die menschlich kommunizierten Bedeutungszusammenhänge, die wir gemeinhin als ›Religionen‹ bezeichnen, zumindest dies miteinander gemeinsam haben, dass sie zwischenmenschliche Verständigungen sind über das, was von Menschen als Wirklichkeit erfahren wird, und zwar insbesondere im Hinblick auf solche Erfahrungen, die es für Menschen möglich machen, Wirklichkeit als eine Ganzheit zu deuten.
Als Bezugsrahmen für das jüdische und christliche Konzept von ›Segen‹ kann die Erfahrung betrachtet werden, dass Menschen nur teilweise dazu in der Lage sind, für ihr eigenes Wohlergehen und für die Sicherung der Grundlagen ihres Lebens selbst Vorkehrungen zu treffen. Zum anderen Teil erfahren Menschen ihr Leben als abhängig |28|von Bedingungen, über die sie nicht selbst verfügen. Die Grenze zwischen beidem hat sich im Verlauf der Menschheitsgeschichte durch den technischen Fortschritt zwar verschoben, zugleich aber hat der technische Fortschritt neue Aspekte von Unverfügbarkeit erfahrbar werden lassen.
2. Befunde aus der frühesten menschlichen Religionsgeschichte
Die Vorstellung, dass es außerhalb der Gemeinschaft lebender Menschen Mächte oder Wesen geben könnte, die Einfluss auf menschliches Wohlergehen auch in für Menschen unverfügbaren Bereichen hätten, gehört wohl mit zu den ältesten religiösen Vorstellungen überhaupt.
Für die Zeit seit etwa 40000 Jahren (d.h. die Epoche des ›Spätpaläolithikum‹) lässt sich archäologisch belegen, dass Menschen tierische oder pflanzliche Nahrung, die für sie eine wichtige Lebensgrundlage hätte darstellen können, verbrannten oder willentlich an Plätzen deponierten, wo sie der menschlichen Nutzung entzogen war (Müller-Karpe 1998, Bd. 1: 20). Ein solcher freiwilliger Verzicht auf Lebensressourcen ist nur erklärbar, wenn die handelnden Menschen sich davon zugleich einen Gewinn an Lebensressourcen versprachen.
Natürlich ist eine genaue Interpretation solcher Befunde problematisch, solange sie nicht durch einen Kontext von schriftlichen oder zumindest ikonographischen Quellen begleitet werden, die bei der Deutung mit herangezogen werden können. Dennoch legt die Kontinuität zu späteren weltweit verbreiteten Opferritualen es nahe, bereits für diese frühe Zeit Vorstellungen von Mächten oder Wesen anzunehmen, die durch eine Übertragung von Lebensressourcen dazu bewegt werden sollten, einen positiven Einfluss auf menschliche Lebensgrundlagen zu nehmen. Dies würde zumindest in einem weiten Sinne eine Analogie zu dem darstellen, was die jüdisch-christliche religiöse Terminologie als ›Segen‹ bezeichnet.
Ikonographische Quellen, die für die menschliche Religionsgeschichte ausgewertet werden können, gibt es seit ungefähr |29|30000 Jahren. Dabei sind die ältesten Funde einerseits Malereien, die vor allem im Schutz der Dunkelheit von Höhlen die Zeit überdauert haben, andererseits plastische Kunstwerke. Auffällig ist, dass sich die Themen dieser frühesten Kunst genau auf Aspekte konzentrieren, die für menschliches Leben und Überleben von grundlegender Bedeutung sind: Bei den frühesten bekannten Malereien begegnen als das häufigste Motiv Tiere, die von Menschen gejagt werden können und so eine wichtige Nahrungsgrundlage für sie bedeuten. Teilweise sind die Tiere in expliziten Jagdszenen dargestellt. Bei den Funden von Skulpturen aus derselben Epoche spielt daneben das Motiv menschlicher Fruchtbarkeit eine wichtige Rolle, indem Schwangerschaften zur Darstellung gebracht werden oder Geschlechtsmerkmale besonders hervorgehoben werden.
All diesen Funden fehlen allerdings ikonographische Hinweise auf ein Gegenüber, mit denen die Menschen in Austausch getreten wären, um eine Förderung der Grundlagen ihres Lebens zu erlangen. Die forschungsgeschichtlich ältesten Funde von frühgeschichtlichen Skulpturen in Menschengestalt wurden zwar im 19. Jahrhundert nach der Analogie von antiken Kultbildern selbstverständlich als Repräsentationen von Gottheiten gedeutet, doch mittlerweile besteht ein breiter Konsens darüber, dass sich figürliche Darstellungen erst sehr viel später in der Religionsgeschichte als Abbildungen von personalen Gottheiten deuten lassen (Ohlig 2002: 51f.). Thema der Darstellung selbst sind offenbar die Aspekte menschlicher Lebenserfahrung und menschlicher Lebensgrundlagen, in denen Menschen sich als angewiesen erlebten, ohne darüber verfügen zu können. Welche möglichen Vorstellungen über Wege der Unterstützung oder Förderung in diesem Angewiesen-Sein sie dabei hatten, lässt sich jedoch nicht näher definieren. Die Gleichzeitigkeit mit dem Befund von Opfergaben legt es jedoch nahe, dass auch die bildlichen Darstellungen in einem religionsgeschichtlichen Kontext stehen, in dem Menschen sich von einem Gegenüber eine Förderung erhofften.
|30|3. Vorstellungen von Interdependenz
Auf festerem Grund befindet sich die Interpretation von religiösen Vorstellungen überall dort, wo sie sich auf eigene Aussagen der betreffenden Religionsgemeinschaft stützen kann, d.h. wo schriftliche Traditionen vorhanden sind oder wo noch lebendige mündliche Überlieferungen erfragt werden können. Unter den religiösen Überlieferungen, für die dies der Fall ist, bieten sich besonders die für das neuzeitliche Afrika südlich der Sahara beschriebenen dafür an, das Grundgefühl menschlicher Angewiesenheit und Interdependenz zu verstehen, das in den Segensvorstellungen und ihren näheren oder weiteren Analogien in der menschlichen Religionsgeschichte variiert wird.
In der Tradition der Herero in Namibia – und analog bei zahlreichen anderen Ethnien in Afrika – steht menschliches Leben in enger Verbindung mit der Rinderzucht. Die Milch der Rinder ist eine wichtige Nahrungsgrundlage. Aus ihrem Fell bzw. ihrer Haut werden wichtige Gegenstände des täglichen Gebrauchs und Kleidungsstücke gemacht. Der Dung der Rinder wird in den Lehm gemischt, der zum Hausbau verwendet wird. Geschlachtet werden Rinder nur zu ganz besonderen Anlässen – nicht zur alltäglichen Nahrungsversorgung. Zu diesen besonderen Anlässen wird das Fleisch des geschlachteten Rindes so verteilt, dass es zur ›Landkarte‹ der sozialen Beziehungen in der menschlichen Gemeinschaft wird. Jeder Körperteil des Rindes ist einer bestimmten Person oder Personengruppe in der Gemeinschaft zugeordnet und bildet deren Stellung im Ganzen ab. Die enge Beziehung zwischen Mensch und Rind kommt auch in Handlungen zum Ausdruck, in denen Menschen sich mit Rindern identifizieren. Den Herero-Jungen werden in einem gewissen Alter die Zähne so geschliffen, dass sie einem Rinder-Gebiss nachempfunden erscheinen. Frauen werden bei den Herero so sozialisiert, dass ihr Gang den ruhigen und wiegenden Gang der Kuh imitieren soll (Sundermeier 1988: 129f.).
Die Symbiose von Mensch und Rind hat zur Folge, dass das Wohlergehen der menschlichen Gemeinschaft unmittelbar an ihrem Bestand an Rindern abgelesen werden kann. Nur ein Kraal mit |31|Rindern ist eine wirkliche menschliche Siedlung, und nur dort kann die Beziehung zu den Ahnen gepflegt werden.
Die Ahnen sind die dritte wichtige Größe neben Menschen und Rindern im Geflecht gegenseitiger Abhängigkeit nach den Vorstellungen der Herero. Den Ahnen wird es zugeschrieben, dass sie für das Wohl der Rinderherde sorgen, so dass von ihrem Wohlwollen auch das Wohlergehen der menschlichen Gemeinschaft unmittelbar abhängt. Gleichzeitig repräsentiert ein bestimmter Teil der Rinderherde die Gegenwart der Ahnen und wird deshalb dafür gebraucht, dass die Ahnen die ihnen zustehende Zuwendung der Menschen empfangen können. Ohne die Rinderherde würde auch die Verbindung zu den Ahnen abreißen. Das Ahnenfeuer, das die Verbindung zu den Ahnen symbolisiert, wird zwischen dem Kälberkraal und dem Haupthaus unterhalten. In Gestalt der Rinder kommen die Ahnen in die menschliche Siedlung und nehmen die Zuwendung der Menschen an. Wer zu den Ahnen sprechen will, tut dies in der Nähe der Kühe, von denen die Gegenwart der Ahnen repräsentiert wird (Sundermeier 1988: 156).
Wenn man von hier aus eine Analogie zur Vorstellung von ›Segen‹ ziehen will, so wird man sagen können, dass es in den Überlieferungen der Herero in erster Linie die Ahnen sind, die Segen spenden und von deren Wohlwollen die Lebenden abhängig sind. In der Rinderherde zeigt sich unmittelbar das Vorhanden-Sein oder das Fehlen von Segen. Gleichzeitig führt die wechselseitige Identifikation von Menschen und Rindern sowie von Ahnen und Rindern dazu, dass Subjekte und Objekte in diesem Geflecht von Interdependenzen nicht streng verteilt sind, sondern alle Positionen sich gegenseitig zum Ausdruck bringen können. Mit dieser Konfiguration gegenseitiger Abhängigkeit von Spenden und Empfangen steht die Überlieferung der Herero exemplarisch für viele andere, die ähnliche Konfigurationen beschreiben.
|32|4. Das Wohlwollen der Ahnen im Konfuzianismus
Unter den religiösen Überlieferungen von alten Schriftkulturen ist der chinesische Konfuzianismus diejenige, bei der die Rolle der Ahnen am meisten dem eben beschriebenen Beispiel ähnelt in dem Sinne, dass sie es sind, von deren Wohlwollen das Wohlergehen der lebenden Menschen abhängt.
Im Konfuzianismus ist die weltweit verbreitete Vorstellung einer Interdependenz zwischen lebenden Menschen und Ahnen eingefangen in eine Lehre von sozialen Beziehungen, aus denen sich die Verpflichtungen von Menschen gegenüber anderen Menschen ergeben. Das Grundgerüst bildet dabei die Systematik der fünf (aus männlicher Sicht beschriebenen) menschlichen Elementarbeziehungen zwischen Vater und Sohn, zwischen Herrscher und Untertan, zwischen Ehemann und Ehefrau, zwischen älterem Bruder und jüngerem Bruder sowie zwischen Freund und Freund. All diese Beziehungen bis auf die letzte sind Beziehungen der Unter- und Überordnung, aus denen sich jeweils verschiedene Verpflichtungen sowohl für die höher stehende Person als auch vor allem für die niedriger stehende Person ergeben.
Die Beziehung zwischen Vater und Sohn ist dabei so etwas wie das Urbild jeder anderen Beziehung von ungleichartiger wechselseitiger Abhängigkeit und Verpflichtung. Der Sohn – vor allem der älteste Sohn – ist dem Vater zeitlebens zu ›kindlicher Pietät‹ verpflichtet. Dies beinhaltet unter anderem die Verpflichtung, dass der erwachsene Sohn sich soweit dies irgendwie möglich ist in der Nähe des Vaters aufhalten und für dessen Wohl sorgen soll. Der Sohn soll den Vater davon unterrichten, wenn er das Haus verlässt, und sich bei ihm zurückmelden, wenn er zurückkehrt. Reisen sind nach Möglichkeit ganz zu unterlassen, während der Vater noch lebt, und wenn sie doch erforderlich sind, sollen sie nur mit der ausdrücklichen Erlaubnis des Vaters durchgeführt werden.
Die Verpflichtung der kindlichen Pietät endet mit dem Tod des Vaters nicht, sondern sie geht dann über in die Verpflichtungen des Ahnendienstes, deren Umfang mit dem Abstand zum Todeszeitpunkt stufenweise abnimmt. Während der ersten drei Jahre nach dem Tod soll der älteste Sohn weiße Trauerkleidung tragen und |33|sich im Alltag annähernd so verhalten, als würde der Vater noch leben. Er soll das Haus möglichst wenig verlassen und keinesfalls Reisen unternehmen. Tägliche Totenrituale verlangen u.a., dass der Sohn dem Vater ein Essen zubereitet und dieses Essen für eine Weile unbeobachtet im Zimmer des Vaters stehen lässt, bevor er es wieder abträgt. Nach Ablauf der drei Jahre darf die Trauerkleidung abgelegt werden und das Leben des Sohnes wird erstmals freier – doch noch für mehrere Generationen haben die Ahnen weiter Anspruch auf einen täglichen Erweis der ›kindlichen Pietät‹ vor dem Ahnenschrein und auf die symbolische Zuwendung von Nahrung.
Von der Erfüllung dieser Verpflichtungen den Ahnen gegenüber wird in der konfuzianischen Kultur das Wohlergehen der Lebenden als unmittelbar abhängig verstanden. Es wird davon ausgegangen, dass die Ahnen ihr Wohlwollen von den Lebenden abwenden, wenn der Ahnendienst nachlässig verrichtet wird, und dass sie sich rächen, wenn er ganz unterbleibt. So bildet in der traditionellen chinesischen Kultur eine gewisse Entsprechung zur Vorstellung von ›Segen‹ die Rolle, die den Ahnen zugeschrieben wird, solange die Lebenden ihnen gegenüber die Verpflichtungen der kindlichen Pietät erfüllen: sie sorgen dafür, dass all das nicht versiegt, worauf menschliches Leben unverfügbar angewiesen ist.