Kitabı oku: «Validieren und anerkennen (E-Book)», sayfa 3
Die Lernkontexte bilden den zweiten Zugang zum informellen Lernen, der für Validierungs- und Anerkennungsverfahren wichtig ist. Grundsätzlich findet informelles Lernen in jeder Lebensphase (Kindheit, Jugendalter, Erwachsenenalter, Rentenalter) statt. Bereits vor einigen Jahren wurde darauf hingewiesen, dass über 70 Prozent aller Lernaktivitäten nicht in formalen Bildungsstrukturen stattfinden (Livingstone 1999). Gleichzeitig sind x-beliebige Lernorte denkbar: gelernt wird beispielsweise in der Familie, bei gemeinnützigen Tätigkeiten, im Umgang mit digitalen Medien, bei politischen Aktivitäten, im Sport usw. (vgl. Harring/Witte/Burger 2016). Auch diesbezüglich gilt festzuhalten, dass es bei Validierungs- und Anerkennungsverfahren unerheblich ist, zu welcher Zeit und an welchen Orten die Kompetenzen entwickelt wurden – Hauptsache, sie sind vorhanden, können sichtbar gemacht werden und sind für die Validierungsorgane glaubhaft nachgewiesen. In der Realität ist es jedoch meist so, dass das informelle Lernen vor allem dann Bedeutung hat, wenn die informell erworbenen Kompetenzen im beruflichen Kontext entwickelt wurden und im Hinblick auf ihre Verwertbarkeit sichtbar gemacht werden. Oftmals sind die beruflichen Handlungsprofile aber so spezifisch, dass in anderen Kontexten erbrachte Bildungsleistungen nicht nutzbar gemacht werden können. Im Rahmen der beruflichen Tätigkeit findet informelles Lernen in verschiedenen Arbeitsformen statt. Zu denken ist hier etwa an Gruppenarbeit, Projektarbeit, Job-Rotation, aber auch an einzelne Arbeits- und Handlungssituationen, unabhängig von bestimmten Arbeitskonzepten und Arbeitsformen. «Informelles Lernen in der Arbeit ist ein Lernen über Erfahrungen, die in und über Arbeitshandlungen gemacht werden. Es ergibt sich aus Arbeits- und Handlungserfordernissen und ist nicht institutionell organisiert; es bewirkt ein Lernergebnis, das aus Situationsbewältigungen und Problemlösungen in der Arbeit oder aus Handlungen hervorgeht; es wird im Allgemeinen nicht professionell pädagogisch begleitet» (Dehnbostel 2015: 38). Wichtig daran und nicht unerheblich für das Verständnis dieses Zitats ist der Begriff «Lernergebnis». Beim informellen Lernen stellt sich im Gegensatz zum formalen Lernen in der Regel ein Lernergebnis ein, ohne dass dieses angestrebt wurde oder dem Einzelnen von vornherein bewusst ist (Dehnbostel 2016: 379). Der betriebliche Kontext trägt demnach im hohen Mass dazu bei, dass informelles Lernen stattfinden kann. Voraussetzungen sind herausfordernde Tätigkeiten. Die Bewältigung dieser Tätigkeiten fördert die Kompetenzentwicklung und ermöglicht einen Kompetenzaufbau, der im Rahmen von Anerkennungs- und Validierungsverfahren sichtbar gemacht werden kann.
Das erfolgreiche informelle und non-formale Lernen wiederlegt das eingangs erwähnte Hänschen-Zitat. Erwachsene sind grundsätzlich lernfähig (Siebert 2009); hinzu kommt ein wachsender Lerndruck, hervorgerufen durch den ökonomischen und technologischen Wandel, sodass Lernleistungen im Erwachsenenalter auch als Anpassungslernen an die sich stetig verändernden Lebensbedingungen verstanden werden können. Das informelle und non-formale Lernen wird dadurch zum Dreh- und Angelpunkt von Validierungs- und Anerkennungsverfahren. Diese Verfahren greifen Lernleistungen auf und versuchen, die auf informellem oder non-formalem Weg entwickelten Kompetenzen mit verschiedenen Methoden sicht- und für den Arbeitsmarkt nutzbar zu machen. Grundsätzlich lernt der oder die Einzelne in jeder Lebensphase und im Rahmen unterschiedlicher Kontexte, doch dem Lernen im Prozess der Arbeit (Haefeli/Dehnbostel 2017) kommt die grösste Bedeutung zu. Es sind vor allem die dort erworbenen Kompetenzen, die für eine Validierung von Bildungsleistungen wichtig sind, und meist weniger Kompetenzen, die im Rahmen von freizeitlichen Aktivitäten entwickelt wurden. Dabei ist es unerheblich, ob das informelle Lernen bewusst oder unbewusst vollzogen wurde. Entscheidend ist, dass Lernen stattgefunden hat, auch wenn der Einzelne dies erst im Nachhinein realisiert.
2.2 Lebenslanges Lernen
Das non-formale und insbesondere das informelle Lernen hat verschiedene Anknüpfungs- und Bezugspunkte zum Diskurs über das lebenslange Lernen. Allerdings reicht die wissenschaftliche Auseinandersetzung über das lebenslange Lernen einiges weiter zurück als die Debatte zum informellen Lernen, und es fanden sowohl historische als auch theoretische Blickwinkel Eingang in die wissenschaftliche Aufarbeitung dieses Themas. Betrachtet man das lebenslange Lernen zunächst aus historischer Perspektive, so sind zumindest drei zentrale Entwicklungen wegweisend, die auch heute noch das Verständnis dieses Konzepts beeinflussen und auf Validierungs- und Anerkennungsverfahren einen massgeblichen Einfluss haben: So gehörte das Lernen seit jeher zu den biologischen und evolutionären Notwendigkeiten der Menschen, die wegen ihrer Instinktarmut mit den sich ständig ändernden Unzulänglichkeiten der Umwelt umzugehen lernen mussten (Dewe/Weber 2009: 24). Nur durch die permanente Weiterentwicklung der Lernfähigkeit wurde es dem Menschen überhaupt erst möglich, seine Handlungsfähigkeit zu entwickeln und dadurch sein Überleben zu sichern. Diese biologische Konstante ist auch heute noch ein zentrales Merkmal von Lernprozessen, wenn nun auch nicht mehr, wie bei unseren Urvätern, das Sich-Behaupten in einer feindlichen Lebenswelt, sondern vielmehr das Lernen für das Sich-Einfügen in verschiedene gesellschaftliche Zusammenhänge im Zentrum steht. Ein zweiter Strang lässt sich mit Vormachen und Nachahmen umschreiben. So wurden in vormodernen Gesellschaften Kenntnisse und Fertigkeiten von der älteren Generation an die jüngere weitergegeben. Lernen fand somit in konkreten Alltagssituationen statt und wurde wesentlich geprägt vom familiären Leben einerseits und in beruflicher Hinsicht von der Tradierung des zünftischen Handwerks andererseits (Strzelewicz/Raapke/Schulenberg 1966: 7). Schliesslich erhielt im Zuge der industriellen Revolution das Lernen eine komplett neue Bedeutung und erforderte vom Individuum qualifikatorische Anpassungen an die Arbeit (Dewe/Weber 2009: 24). Durch das Aufbrechen der herkömmlichen statischen Sozialstrukturen und das Aufkommen der Wissenschaften und neuen Techniken reichte das blosse Kopieren der elterlichen Lebensweisen nicht mehr aus, um den Erfordernissen einer modernen Gesellschaft zu genügen. Neben dem Auf- und Ausbau der Schulen und der Einführung der allgemeinen Schulpflicht entstanden, bedingt durch die Anforderungen einer sich stetig weiter differenzierenden Gesellschaft, im 18. und 19. Jahrhundert verschiedene Einrichtungen, die auch die Bildung von Erwachsenen unterstützten. Dadurch wurde das strukturierte Lernen im Erwachsenenalter als Fortsetzung des schulischen Lernens verstanden. Erziehungs- und Bildungsangebote beschränkten sich somit nicht nur auf die volksschulische Bildung, sondern weiteten sich auf alle Lebensphasen aus und wurden als lebenslang notwendig erachtet (Hof 2009: 18).
Seither halten vor allem die Erfordernisse qualifikatorischer Anpassungsleistungen die Diskussion rund um das lebenslange Lernen in Gang. Ab den 1970er-Jahren legte eine Reihe von supranationalen Organisationen wegweisende bildungspolitische Konzepte vor, die die Etablierung des lebenslangen Lernens als gesellschaftliches Selbstverständnis begünstigen sollten.
Diese Dokumente entstanden nach Kraus (2001: 108) grösstenteils vor dem Hintergrund eines ökonomischen, sozialen und kulturellen Wandels, der Handlungsdruck zur (Um-)Gestaltung des Bildungsbereichs erzeugte und neue Konzepte erforderlich machte. Dieser Wandel bestand im veränderten Umgang mit Wissen, in der Umgestaltung von Arbeitsprozessen, in der zunehmenden Individualisierung sowie in der Beschleunigung des Lebenstempos (Hof 2009: 24–32). Die erwähnten Dokumente kritisierten das bestehende Bildungssystem, das den neuen gesellschaftlichen Herausforderungen nicht mehr gewachsen sei. Sie waren eindeutig politisch gefärbt und stellten in Aussicht, dass mit den vorgeschlagenen Zielen und Massnahmen nicht nur Anpassungen an gegenwärtige, sondern auch an künftige Veränderungen möglich seien (Klingovsky/Pawlewicz 2014). Das lebenslange Lernen wurde dabei als aussichtsreichste Antwort auf die gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft verstanden, wobei die Lernfähigkeit im Kinder- und Jugendalter angeeignet und im weiteren Verlauf des Lebens umgesetzt werden sollte. Es wurde gefordert, dass sich das Lernen nicht mehr nur auf formale Bildungsinstitutionen beschränken, sondern sich auch auf non-formale und informelle Lernorte ausweiten solle. In diesem Zusammenhang sollte das erworbene Wissen zumindest in kleinen Einheiten anerkannt und zertifiziert werden können (Kraus 2001: 107; Hof 2009: 54).
Abbildung 3: Relevante Dokumente im Diskurs über das lebenslange Lernen
1971 | Europarat | Permanent Education. Fundamentals for an Integrated Educational Policy |
---|---|---|
1972 | UNESCO | Learning to be. The world of education today and tomorrow – Faure-Bericht |
1973 | OECD | Recurrent Education. A Strategy for Lifelong Learning |
1993 | EU | Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung – Herausforderung der Gegenwart und Wege ins 21. Jahrhundert (KOM (1993) 700) |
1995 | EU | Lehren und Lernen. Auf dem Weg zur kognitiven Gesellschaft (KOM (1995) 590) |
1996 | EU | Europäisches Jahr lebenslanges Lernen |
1996 | OECD | Lifelong Learning for All |
1997 | UNESCO | Dolores-Bericht: Lernfähigkeit: Unser verborgener Reichtum |
1997 | UNESCO | Agenda für die Zukunft des Lernens im Erwachsenenalter |
2000 | EU | Memorandum über Lebenslanges Lernen (SEK (2000) 1832) |
2001 | EU | Mitteilung «Einen europäischen Raum des lebenslangen Lernens schaffen» (KOM (2001) 678) |
2003 | World Bank | Lifelong Learning and the Global Knowledge Economy |
2004 | EU | Mitteilung über «Die neue Generation von Programmen im Bereich allgemeine und berufliche Bildung nach 2006» (KOM (2004) 474) |
2005 | EU | Mitteilung «Das intellektuelle Potenzial Europas wecken» (KOM (2005) 152) |
2006 | EU | Mitteilung «Erwachsenenbildung: Man lernt nie aus» |
Quelle: Gutschow 2010: 17; Kuhlenkamp 2010; Kraus 2001
Diese bildungspolitischen Konzepte zum lebenslangen Lernen orientieren sich mehrheitlich an ökonomischen Erfordernissen. Es ist die Wirtschaft, die von den Individuen eine Anpassungsleistung im Sinne einer stetigen Weiterentwicklung der individuellen Beschäftigungsfähigkeit verlangt (Klingovsky 2013). Einen gewichtigen Einfluss dürfte auch der Lissabonner Prozess gehabt haben, der die Europäische Union zum wettbewerbsfähigsten Raum der Welt machen sollte und das lebenslange Lernen im Dienste der Arbeits- und Wirtschaftspolitik als Schlüssel für den wirtschaftlichen Erfolg ansah (Dewe/Weber 2009: 24). Wenn auch einige Modelle abseits dieses ökonomischen Primats existieren, die sich an humanistischen Werten wie Demokratie und Teilhabe orientieren (vgl. z. B. Schuetze 2005), so wird insgesamt aber doch deutlich, dass nunmehr die Lernenden die Verantwortung für die Gestaltung ihrer Lernprozesse zu übernehmen haben, diesen Prozess selbst und aktiv lenken müssen, und zwar über die gesamte Lebensdauer hinweg und unabhängig von den vorstrukturierten Wegen der formalen Bildung. Diese Entwicklung birgt für das Individuum einerseits den Vorteil, dass es als mündig wahrgenommen wird und die Wahlfreiheit hat, seine Lernvorstellungen konsequent zu verfolgen und zu realisieren, andererseits liegt das berufliche Weiterkommen und die Gestaltung der individuellen Lebensentwürfe in seiner fast alleinigen Verantwortung. Besonders deutlich wird dies nach Abschluss der obligatorischen Schulzeit, wenn finanzielle Aufwendungen für das Lernen erforderlich werden, ohne die das unabdingbare Weiterlernen zur Sicherung der individuellen Beschäftigungsfähigkeit aber nicht möglich ist (Bolder/Hendrich 2000: 18). So gesehen, hat dieses Konzept seine Tücken, da es davon ausgeht, dass jeder Mensch individuell seine Chancen ergreifen und nützen kann, sofern er dies nur will. Vernachlässigt wird bei diesem Gedanken die Tatsache, dass für einen nicht geringen Teil der Bevölkerung lebenslanges Lernen nicht stattfinden kann (von Felden 2009: 161; Herzberg/Truschkat 2009: 122). Es bleibt vergessen, dass die Teilnahme am Lernen im Erwachsenenalter von zahlreichen Bedingungskonstellationen abhängt, von denen der wesentlichste Aspekt der Bildungshintergrund ist, und zwar in dem Sinne, dass ein hohes Bildungsniveau auch zu mehr Teilnahme an Weiterbildungsveranstaltungen führt (vgl. BFS 2017). Ein so verstandenes Konzept des lebenslangen Lernens vermag die soziale Ungleichheit daher nicht abzubauen, sondern wird sie vielmehr zementieren und fortschreiben.
Parallel zu dieser bildungspolitischen Diskussion vollzog sich in den letzten Jahrzehnten ein Institutionalisierungsschub, der das Lernen in alle Lebensphasen implementierte und (Weiter-)Bildungsangebote mit unterschiedlichen Ausrichtungen und Zielen etablierte. So hat sich im pädagogischen Bereich und in der beruflichen Weiterbildung das Feld sehr stark ausdifferenziert, und es wurden neue Zielgruppen definiert und Themenfelder entwickelt. Allein schon die explosionsartige Ausbreitung von wissenschaftlichen Weiterbildungen an Fachhochschulen und Universitäten macht deutlich, welchen Stellenwert die permanente berufliche Weiterentwicklung heute hat. Neben diesen berufsorientierten Angeboten bieten aber auch kulturelle und kommerzielle Einrichtungen eine unüberschaubare Vielfalt an Aktivitäten an. Die meisten unter ihnen haben einen mehr oder weniger offen formulierten Lehranspruch, ermöglichen die Zertifizierung des Erlernten und locken verschiedene Bevölkerungsgruppen mit unterschiedlichen Versprechungen und Kombinationsmöglichkeiten in Bezug auf Freizeit, Geselligkeit, Unterhaltung, Konsum usw. an. Angesichts dieser Entwicklung und der seit spätestens den 90er-Jahren international geführten Debatte ist das lebenslange Lernen zu einer gesellschaftlichen Leitidee geworden, die für den Einzelnen mehr oder weniger verpflichtenden Charakter hat und sein Handeln in unterschiedlichem Masse prägt (Kade/Seitter 1996: 16 f.). Das Konzept des lebenslangen Lernens durchdringt den Alltag, wird zum Bezugspunkt von Entscheidungen und Lebensbewältigungsstrategien und ist letztlich zum beherrschenden Lebensinhalt geworden. Lernen soll jeder können, an jedem Ort und zu jeder Zeit (Ludwig 2009: 2), oder, anders formuliert, Lernen muss jeder, an jedem Ort und zu jeder Zeit, und zwar unabhängig davon, ob damit ein unmittelbarer Verwertungszweck zusammenhängt oder nicht. Gerade vor dem Hintergrund des fortschreitenden ökonomischen Wandels, der herkömmliche Berufe erodieren und neue, noch weitgehend unbekannte Berufe entstehen lässt, sollen einmal entwickelte fachliche und überfachliche Kompetenzen im Idealfall auch in der Zukunft genutzt werden können.
Die Leitidee des lebenslangen Lernens, die vornehmlich auf die bildungspolitische Diagnose der fortschreitenden Wissensgesellschaft rekurriert, hat auch die Pädagogik erfasst. Zwar sind die Ausgangspunkte letztlich ebenfalls die sich verändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, jedoch setzt sich die Pädagogik vor diesem Hintergrund vielmehr mit der Ermöglichung von Lern- und Bildungsprozessen (Arnold/Schüssler 2010) auseinander. Sie funktioniert in dem Sinne als Antwort auf gesellschaftliche Problemlagen, als sie das Subjekt ins Zentrum rückt und Lernszenarien gestaltet, die es dem Individuum ermöglichen, den neuen Herausforderungen zu begegnen (Klingovsky 2009). Solche Aspekte wurden bereits in den internationalen Dokumenten und Konzepten der 90er-Jahre angesprochen und schon damals von der Pädagogik aufgegriffen. Grundsätzlich sind es drei Gesichtspunkte, die vor dem Hintergrund der Konzeption des lebenslangen Lernens für die praktische Gestaltung von Lernumgebungen berücksichtigt werden müssen (vgl. dazu ausführlich Hof 2009: 56–84; Hof/Kade 2009: 150):
•Zeitliche Ausdehnung: Dem Konzept des lebenslangen Lernens liegt die Vorstellung zugrunde, dass Lernen mit dem Abschluss der obligatorischen und nachobligatorischen Ausbildung noch nicht abgeschlossen ist, sondern eine Fortsetzung in zweifacher Hinsicht erfährt: Zum einen ist die Weiterqualifizierung im Sinne einer Weiterführung im angestammten Berufsfeld erforderlich, zum andern müssen aber auch davon unabhängig neue Kompetenzen entwickelt werden, sei es in beruflicher Hinsicht oder im Alltag. Lebenslanges Lernen wird vor dem Hintergrund dieser doppelten Selbstorganisation der Lernprozesse in jeder Lebensphase zur subjektbezogenen Aktivität, was zu einem Paradigmenwechsel in der pädagogischen Ausgestaltung von Lehr-Lern-Arrangements und zu einem grundlegend neuen Lernverständnis führt: Die Übertragung der Verantwortung für das Lernen auf das einzelne Individuum führt dazu, dass sich das pädagogische Interesse der Lehrenden von der Wissensvermittlung zu den Lernenden und ihren Lernprozessen führt. Der oder die Lehrende wird zu einer Art Coach, der dafür besorgt sein muss, dass adäquate Bedingungen für das Lernen geschaffen werden. Dies hat Auswirkungen auf die Didaktik; sie muss neuen Überlegungen zu alternativen Lehr-Lern-Arrangements unterworfen werden. Ideen wie der vermehrte Einbezug der Lernenden mit ihren Erwartungen, Zielen und routinierten Aktivitäten werden wichtiger. Hinzu kommt, dass das selbstorganisierte, reflexive Lernhandeln in komplexen Lernumgebungen durch die Gestaltung von Kommunikations- und Interaktionsprozessen eine grössere Rolle spielen soll. Durch diese vermehrte Subjektorientierung gerät das Individuum mit seinem Wissen, seinen Fähigkeiten und seinen Handlungskontexten in den Mittelpunkt pädagogischer Konzepte.
•Räumliche Ausdehnung: Mit dem Konzept des lebenslangen Lernens ist auch eine Entgrenzung der Lernorte verbunden. Lernen ist nicht mehr an Institutionen der formalen und non-formalen Bildungseinrichtungen gebunden. Dadurch werden Sinn- und Handlungseinheiten zwar brüchig, doch geht mit der Übertragung der Verantwortung für das Lernen eine Aufwertung des einzelnen Individuums einher, das nun seinerseits vermehrt in der Lage ist, Einfluss auf Bildungsstrukturen zu nehmen (Kade/Seitter 1996: 20). Sowohl in der Programmgestaltung als auch in didaktischen Arrangements wird diesem Umstand in der Erwachsenenbildung Rechnung getragen. Allerdings identifiziert die Entgrenzung der Lernorte und die Stärkung des Subjekts im Rahmen des Konzepts zum lebenslangen Lernen auch alternative Lernorte, wozu nun auch kulturelle und unterhaltende Organisationen und Veranstaltungen werden können, im Prinzip aber auch familiäre und freizeitliche Lebenswelten. Diese Lernräume gewinnen je länger, desto mehr an Bedeutung und spielen in Validierungs- und Ankerkennungsverfahren eine nicht unerhebliche Rolle. Auf diese privaten Lernräume hat die Pädagogik allerdings wenig Einfluss.
•Inhaltliche Ausdehnung: Das Feld des Lernens im Erwachsenenalter ist inhaltlich kaum begrenzt. Sämtliche Wissensinhalte können sowohl in non-formalen als auch in informellen Kontexten erworben werden. Auch der Form des Wissens – bspw. das Training praktischer Fähigkeiten oder die Auseinandersetzung mit sozialen Werten und Normen – sind kaum Grenzen gesetzt. Es versteht sich von selbst, dass mit der Pluralisierung der modernen Wissensgesellschaft laufend neue Lerninhalte hinzukommen und sich das Konzept des lebenslangen Lernens somit auch inhaltlich ausdehnt. Aus pädagogischer Sicht stellt sich die Frage, wie solche Wissensexplosionen bewältigt werden können und ob Vermittlung überhaupt noch möglich ist. Es sind ständig neue Strategien gefragt, was zur Tendenz führt, dass nicht mehr das Wissen an und für sich im Zentrum des Vermittlungsprozesses steht, sondern vielmehr die Unterstützung bei der Entwicklung von Kompetenzen (vgl. Kap. 2.3).
Zwischen der Leitidee des lebenslangen Lernens und den Validierungs- und Anerkennungsverfahren bestehen verschiedene Bezüge. Ein wesentlicher unter ihnen ist die bereits in einigen bildungspolitischen Dokumenten mehr oder weniger explizit formulierte Forderung nach einer Öffnung des Bildungswesens und somit nach Anerkennung von Bildungsleistungen, die ausserhalb formaler Bildungsstrukturen erbracht wurden (vgl. Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren[2]). Damit weitet sich die Möglichkeit, Bildungsleistungen validieren oder anerkennen zu lassen, räumlich auf informelle Lernsettings und zeitlich auf die gesamte Lebensspanne aus. Einen weiteren Bezugspunkt beinhaltet das Konzept in seiner Betonung auf die Selbstorganisation des Lernens und in der damit einhergehenden Übernahme der Verantwortung für die Gestaltung der eigenen Lernbiografie. So liegt es in der alleinigen Verantwortung des Individuums, die Lebens- und Lernbiografie so zu gestalten, dass non-formal und informell erbrachte Bildungsleistungen validiert bzw. angerechnet werden können. Damit ist allerdings die Gefahr verbunden, dass die Validierungs- und Anerkennungslogik bis in die Ausgestaltung freizeitlicher und ehrenamtlicher Aktivitäten vordringt und diese nur noch im Hinblick auf eine Verwertbarkeit im beruflichen Kontext ausgeübt werden. «Freizeit und jede vom Leistungsdruck entlastete Tätigkeit [gerät] unter einen Wettbewerbsdruck eigener Art. Die Durchkapitalisierung der Gesellschaft reduziert Bildung auf kulturelles Kapital, in deren Verlauf noch der schulfernste Bereich danach abgetastet wird, ob aus ihm zertifizierbare Kompetenz herausgeklopft werden kann» (Treptow 2004: 123). Das EU-Projekt DesTeVa ist ein gutes Beispiel für Bestrebungen in diese Richtung, es will nämlich die im ehrenamtlichen Engagement entwickelten Kompetenzen sichtbar und für den Arbeitsmarkt verwertbar machen (vgl. Gerholz 2017). Damit hängt ein anderweitiger Bezug zum lebenslangen Lernen zusammen, nämlich in dem Erfordernis der Anpassungsleistung (Vonken 2005: 33 f.). Validierungs- und Anrechnungsverfahren orientieren sich immer an vorgegebenen Bildungsinhalten, sie beinhalten entsprechend immer eine Anpassungsleistung, die allenfalls bereits erfolgt ist oder in gewissen Bereichen noch nachgeholt werden muss. In diesem Sinne bergen Validierungs- und Anerkennungsverfahren vor allem fremdbestimmtes und nicht selbstbestimmtes Lernen in sich, entsprechend sind sie ökonomischen Zwängen unterworfen. Diese Zwänge sind nicht nur bildungsinhaltlicher Natur, sondern auch bildungspolitisch begründet. So haben Zertifikate in den vergangenen Jahren so sehr an Bedeutung gewonnen, dass eine längerfristige berufliche Etablierung ohne sie schwierig geworden ist (Maurer/Wettstein/Neuhaus 2016: 19). Dieser Zertifizierungsdruck, mit dem auch die Validierungs- und Anerkennungsverfahren in Zusammenhang stehen, setzt das Individuum den Kräften dieser Logik aus und steuert einzelne Biografien. Ein letzter Bezugspunkt schliesslich ist die im Konzept des lebenslangen Lernens weitgehend unberücksichtigte Reproduktion der sozialen Ungleichheit. Dies trifft in vielerlei Hinsicht auch auf Validierungs- und Anerkennungsverfahren zu. Ausschlussmechanismen sind zum Beispiel die zum Teil hohen Kosten einzelner Verfahren, die Sprachlastigkeit insbesondere bei dossierbasierten Verfahren, die Lernumgebungen und damit die Möglichkeit oder Unmöglichkeit zur Kompetenzentwicklung. Für die Validierungs- und Anerkennungsverfahren weitgehend unbedeutend sind hingegen didaktische Neuausrichtungen, die die Pädagogik aufgrund veränderter Rahmenbedingungen im Zuge des lebenslangen Lernens konzipiert hat. Relevant werden sie erst, wenn vor dem Nachweis oder der Plausibilisierung der erforderlichen Handlungskompetenzen ein gezielter Lernprozess stattfindet. Das ist etwa dann der Fall, wenn einige Teilkompetenzen noch ungenügend entwickelt sind und ihr Erwerb für eine wie auch immer geartete Zertifizierung nachgeholt werden muss. Dann sind didaktische Konzepte gefragt, die im beruflichen Alltag angesiedelt sind und komplexe Lernumgebungen mit vielen Kommunikations- und Interaktionsmöglichkeiten bieten.