Kitabı oku: «Verkörperter Wandel», sayfa 5

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Die Qualitäten und ihre Blockaden

Wie wir gesehen haben, steht jeder der Qualitäten ein grundlegender Blockademechanismus gegenüber: der Achtsamkeit die Wertung, dem Mitgefühl die Identifikation und der Pulsation die Starre. Die unten abgebildete Grafik führt das nochmals vor Augen. Sind diese Blockaden wirksam, können die Qualitäten sich nicht frei entfalten.

Verhindert ein Blockademechanismus (Wertung) den Zugang zu einer Qualität (Achtsamkeit), können wir die verbleibenden Ressourcen der beiden anderen Felder (Mitgefühl und Pulsation) nutzen, um uns aus der Blockade zu befreien. Sind zwei der Qualitäten blockiert, ist es möglich, mit der verbleibenden zu arbeiten. Und selbst wenn alle drei Ressourcen beeinträchtigt sind, wird es immer eine geben, zu der der Zugang am leichtesten fällt.


Implikationen für die Selbsterfahrungsarbeit

Die dargestellten sechs Felder sind Grundlage einer nachhaltigen Persönlichkeitsentwicklung. Der Begriff »Persönlichkeit« leitet sich von lat. personare, »hindurchtönen«, ab. Als personae wurden die Masken der Schauspieler im klassischen griechischen Drama bezeichnet. Persönlichkeitsentwicklung können wir somit als das schrittweise Durchdringen bzw. Abnehmen von Masken verstehen. Unsere Masken sind dabei ursprünglich im Laufe des Lebens entstanden, um uns zu schützen und verletzliche oder abgelehnte Persönlichkeitsanteile zu verbergen. Häufig identifizieren wir uns mit bewährten Masken, was zu einem starren, unflexiblen oder neurotischen Charakter führen kann.

Der Kern einer Existenz, ihr beseelter Grundstoff, ist dagegen die Essenz oder das Selbst. Selbst-Erfahrung findet statt, wenn es uns gelingt, durch die Masken der Persönlichkeit unser Selbst zu erkennen und zu erfahren. Die neun Orientierungsfelder fördern das Erleben des unverstellten Ausdrucks unseres Seins. Diese Selbst-Erfahrung kann nicht forciert werden. Es ist die Erfahrung der Weite, die entsteht, wenn wir uns ungebunden und jenseits von Wertung in der Welt bewegen.

In meiner persönlichen Praxis, meinen privaten Beziehungen und in der Selbsterfahrungsarbeit mit Gruppen und einzelnen Klient*innen erlebe ich immer wieder, wie unterstützend die Felder beim Erkennen der jeweils wirkenden Blockaden und freien Qualitäten sind.

Umgekehrt kommt es in der psychologischen Unterstützung und Begleitung von Klient*innen maßgeblich auf meine Bereitschaft an, sie wahrzunehmen, ihren Ausdruck zuzulassen und anzunehmen. Häufig tauchen, wenn sie auf diese Weise eingeladen werden, Gedanken, Gefühle und Impulse auf, die zunächst destruktiv und abwehrend erscheinen können. Dabei geht es nicht darum, einen destruktiven Impuls gutzuheißen, denn auch das wäre eine Wertung.

Es braucht vielmehr das Bemühen, entstandene Impulse liebevoll anzunehmen und ihr tieferliegendes Anliegen zu verstehen. Je vorbehaltsloser mir das gelingt, umso leichter fällt dies auch den Klient*innen. Wenn sie die Impulse dann ihrerseits wahrnehmen, zulassen und annehmen, beginnen sie sich zu wandeln. So entsteht ein Prozess, dem mit der beschriebenen Haltung immer weiter gefolgt wird. Anstelle der Masken und der somatischen Verpanzerung offenbart sich dann zunehmend das Vertrauen in die ausgleichende Kraft der eigenen Impulse, Gedanken und Gefühle.

Natürlich sind das zum Teil sehr langwierige Prozesse, die durch unterschiedliche Techniken unterstützt werden können. Doch im Kern ist es das kompromisslose Vertrauen in die gestaltenden Kräfte Mitgefühl, Achtsamkeit und Pulsation, das uns zurück zu uns selbst und in den Kontakt mit der Welt führt.

Eine tiefe Auseinandersetzung mit den Qualitäten Mitgefühl, Achtsamkeit und Pulsation hat Konsequenzen für alle Lebensbereiche. Sie ist Grundlage von Psychotherapie, Selbsterfahrungsarbeit, Pädagogik, Politik, Ökologie, Ökonomie und jeder Form sozialer Beziehung. Sie ermöglicht ein ausgewogenes Handeln aus der Mitte von Körper, Emotion und Geist. Aus dieser Mitte entspringt die Balance zwischen Mensch und Natur, zwischen technischem Fortschritt und natürlichem Lebensraum sowie zwischen dem persönlichen Bedürfnis nach Freiheit und sozialer Integration.

Übung
Ganzheitliches Gewahrsein

Dauer: ca. 15 Minuten

Material: Stift und Zettel/Tagebuch

Diese Übung kann dich dabei unterstützen, einen bewussten, annehmenden und ganzheitlichen Selbst-Kontakt aufzubauen. Ihre Struktur führt in einzelnen Schritten von deinen Gefühlen über den Körper bis zur Ebene des Geistes. Nach meiner Erfahrung bieten unsere Emotionen dabei einen guten Einstieg. Letztendlich ist die Reihenfolge für das Ergebnis nicht wichtig. Beobachte und folge dem, was dir guttut.

Versuche, so gut es dir möglich ist, dich nicht mit den unterschiedlichen Erfahrungen zu identifizieren oder ihre Inhalte zu werten. Wenn du es nicht verhindern kannst, beobachte auch das, ohne dich zu beurteilen.

Für die Übung ist es hilfreich, wenn du eine konkrete Situation oder die Beziehung zu einem Menschen wählst. Das Ziel ist aber nicht, die Lösung eines Konflikts oder die Antwort auf ein Problem zu finden. Dazu kommen wir später. Zunächst wollen wir einfach versuchen, uns möglichst vollständig zu erfassen und anzunehmen, wertfrei und verständnisvoll.

1. Die emotionale Ebene

 Im ersten Schritt geht es darum, dich innerlich mit der gewählten Situation oder Person zu verbinden. Stell sie dir möglichst bildhaft und detailreich vor. Verweile hier einen Augenblick.

 Nimm nun wahr, welche Emotionen mit der Vorstellung in dir aufkommen. Wie fühlst du dich? Gibt es mehrere oder vielleicht auch widersprüchliche Gefühle? Gibt es einen Ort im Körper, an dem du sie am deutlichsten wahrnehmen kannst? Kannst du ein Bedürfnis erkennen, das mit den Emotionen in Verbindung steht?

 Notiere dir alle Aspekte. Beobachte, ob es dir möglich ist, die entstandenen Emotionen anzunehmen, ohne dich mit ihnen zu identifizieren oder sie zu werten.

2. Die körperliche Ebene

 Verbinde dich mit erneut mit der Situation oder Beziehung.

 Wie erlebst du dich in deinem Körper? Tauchen Empfindungen auf? Kannst du wahrnehmen, wo im Körper du eine Reaktion spürst? Gibt es den Impuls zu einer Bewegung? Was möchte dein Körper tun? Kannst du ein Bedürfnis hinter dem Impuls oder der Bewegung erkennen?

 Notiere dir alle Aspekte.

 Beobachte, ob es dir möglich ist, die entstandene Erfahrung einfach anzunehmen, ohne dich mit ihr zu identifizieren oder sie zu werten.

3. Die geistige Ebene

 Verbinde dich ein drittes Mal mit der Situation oder Beziehung.

 Tauchen Gedanken oder Bilder auf? Beeinflusst das Thema den Zustand deines Geistes? Wird er beispielsweise klar oder neblig, optimistisch oder pessimistisch, ruhig oder sprunghaft?

 Notiere dir alle Gedanken, Bilder und Reaktionen, die du wahrnehmen kannst.

 Beobachte, ob es dir möglich ist, die entstandenen Reaktionen anzunehmen, ohne dich mit ihnen zu identifizieren oder sie zu werten.

Versuche, alle Wahrnehmungen, Gedanken und Gefühle, die während der Übung auftauchen, einfach da sein zu lassen. Wie der indische spirituelle Lehrer­ ­Nisargadatta Maharaj sagt: »Durch die uneingeschränkte Akzeptanz von Allem, was möglicherweise auftaucht und somit ganz einfach vorhanden ist, bestärken Sie alles Tieferliegende, an die Oberfläche zu kommen und dadurch Ihr Leben und das Bewusstsein mit seinen eingeschlossenen Energien zu bereichern« (­Maharaj 2003).

Solange wir Selbstanteile vor uns verbergen, sie verurteilen oder auf andere Weise abwehren, blockieren wir Wachstumsprozesse in uns. Wir müssen uns selbst vollständig annehmen, um uns entwickeln zu können. Daher gehört in der yogapsychologischen Arbeit mit Klient*innen, egal ob in der Einzel-, Paar- oder Gruppen­arbeit, dieser zutiefst annehmende Blick zu unserer Grundhaltung.

Vom Yogasutra zur Psychopathologie: Eine yogapsychologische Brücke

Das Yogasutra, eine Sammlung von knapp 200 Versen, die dem Gelehrten Patanjali zugeschrieben werden, ist ein wichtiger Quellentext der integrativen Yogapsychologie. Sutra bedeutet »Faden«, und so verbinden sich auch die einzelnen Texte wie aufgereihte Perlen zu einer kostbaren Kette. Obwohl Entstehungszeit und Autor nicht letztgültig gesichert sind, wird die die Entstehung des Yogasutra auf die Zeit zwischen 200 v. und 400 n Chr. datiert.

In der Zusammenstellung des Yogasutra verbanden sich unterschiedliche geistig-spirituelle Strömungen. Hervorzuheben ist das schon erwähnte Sankhya, das als eine philosophische Grundlage diente. Aber auch der zu dieser Zeit in Indien äußerst populäre Buddhismus ist in diesem Zusammenhang zu nennen. Die Verbindung ist in beeindruckender Weise praxisorientiert und psychologisch relevant.

In welcher Beziehung stehen die oben vorgestellten Entwicklungsfelder zum Yoga? Rufen wir uns den folgenden Satz von Patanjali in Erinnerung:

»Yoga ist der Zustand, in dem die Bewegungen des citta (des meinenden Selbst) in eine dynamische Stille übergehen« (Sriram 2006).

Yogasutra 1.2

Auch wenn Citta häufig ausschließlich mit Geist übersetzt wird, gehe ich im Folgenden davon aus, dass damit unsere gesamte Psyche gemeint ist: unser Denken und Fühlen. Hierdurch erhält das Yogasutra psychologische Tiefe.

Kurz darauf schreibt Patanjali:

»In anderen Situationen beeinflussen die Bewegungen des citta (des meinenden Selbst) die Erscheinungsformen des draṣṭṛ (des sehenden Selbst)« (Sriram 2006).

Yogasutra 1.4

Drashta steht für den Zeugen und Beobachter, unsere Achtsamkeit sowie das Gewahrsein. Gemeint ist Folgendes: Wenn die Psyche aus der Balance gerät, beginnt ihr einseitiger Zustand unsere Wahrnehmung zu beeinflussen. Starke Gefühle und starre Glaubenssätze wirken wie Filter vor unserem geistigen Auge. Sind wir niedergeschlagen, wird uns eine schöne Wiese einsam und verlassen erscheinen. Wenn wir uns ängstlich fühlen, lauern in ihrem Gras schmerzhafte Dornen, Insekten und andere Gefahren.

Die Praxis des Yoga führt unserer Psyche in ihre dynamische Balance. Dann können wir die Wiese wieder als das erkennen, was sie ist: ein lebendiges, vielseitiges und einzigartiges Biotop. In der Klarheit des Zeugen verbinden sich der Beobachter und das Beobachtete zu einer Einheit. Jiddu Krishnamurti schreibt: »Wenn es nur noch die Beobachtung der Tatsache gibt, dann wird sich die Tatsache radikal verändern« (­Krishnamurti 2001). Wir erkennen: Wir sind ein Teil der Wiese. Wir sind die Natur. Wir sind das Leben.

»Durch abhyāsa (beharrliches Üben) und vairāgya (Gleichmut) kann die dynamische Stille des citta (…) erreicht werden« (Sriram 2006).

Yogasutra 1.12

Im folgenden Abschnitt möchte ich die Bedeutung der drei Qualitäten und ihrer Entwicklungsfelder am Beispiel von Depression und Angststörung veranschaulichen.

Depression
Blockademechanismen und blockierte Qualitäten
Blockademechanismus: Wertung – blockierte Qualität: Achtsamkeit

Psychologische Modelle beschreiben negative Schemata und Überzeugungen als Hauptursache für die Entstehung und Aufrechterhaltung von Depression (Beck 1999). Im Yogasutra heißt es:

»Verblendung führt zu verkehrtem Wissen; der Gegenstand der Betrachtung wird anders verstanden, als er ist« (Sriram 2006).

Yogasutra 1.8

Durch bestimmte Denk- und Verarbeitungsmuster kommt es also zu einer Verzerrung der Realität. Becks Modell der Depression beschreibt verschiedene sog. »Denkfehler«, die zu einer negativen Einstellung führen. Das Yogasutra nennt in diesem Zusammenhang den Begriff Viparyaya, der falsche Wahrnehmung oder Verblendung bezeichnet. Die meisten aus Viparyaya hervorgehenden Denkfehler beruhen auf einer starken Bewertung der Realität. Die Form der Bewertung beeinflusst die Wahrnehmung und damit indirekt die Handlungsimpulse.

Blockademechanismus: Identifikation – blockierte Qualität: Selbstannahme

Wenn wir uns mit den negativen Inhalten unserer Gedanken unbewusst oder starr identifizieren (Samyoga), betrachten wir sie nicht länger als eine Möglichkeit. Stattdessen werden sie für uns zu objektiver Realität.

»Die Ursache des Leidens ist saṃyoga, die Anbindung des sehenden Selbst an das Objekt, das gesehen wird« (Sriram 2006).

Yogasutra 2.17

So erlebt sich ein depressiv gestimmter Mensch oft als unterlegen und fehlerhaft, kritisiert fortwährend die eigenen Leistungen, wertet sie ab und verkennt vorhandene Fähigkeiten. »Die Tatsache, dass wir diese schädlichen, verzerrten Gedanken in Bezug auf uns selbst oft als unanfechtbare Wahrheit ansehen, zementiert die Verbindung zwischen gedrückten Gefühlen und selbstkritischen Gedankengängen (…)« (Williams et al. 2009).

Hier geht es um die Identifikation mit unserem falschen Selbst, denn der Depressive hat nicht genug Vertrauen in seinen natürlichen Ausdruck. Stärker noch: Er hat Angst vor den eigenen Gedanken, Gefühlen und Impulsen. Alexander Lowen schreibt: »Die Unterdrückung des Gefühls schafft eine Prädisposition für die Depression, da sie das Individuum daran hindert, sich auf seine Gefühle als Leitlinie seines Handelns zu verlassen« (Lowen 1979). Im weiteren Krankheitsverlauf kommt es stattdessen zu einer Identifikation mit den belastenden Gefühlen der Depression selbst. Dies zieht erneut negative Bewertungen nach sich, die von der erlebten Realität scheinbar bestätigt werden.

Damit schließt und stabilisiert sich der depressive Kreislauf. Die Abwehr von gesunden Gefühlen und Impulsen verhindert sowohl ein Ausbrechen aus dem Kreis verzerrter Wahrnehmungen als auch das Aufgeben der Identifikation mit den niederdrückenden Folgen negativer Bewertungen.

Blockademechanismus: Starre – blockierte Qualität: Pulsation

Wenn Kinder keinen anderen Weg finden, als sich den Erwartungen der Eltern zu unterwerfen, können große seelische Konflikte entstehen. Die Psychologin und Psychotherapeutin Verena Kast beschreibt Depression in diesem Sinne als das Ende einer langen Anpassungsphase (Kast 2009). Unbewusst möchte sich das Kind gegen die Eltern abgrenzen, erlebt sich hierfür aber in einem zu großen Abhängigkeitsverhältnis. »Der Depressive ist durch unbewusste Schranken von ›du sollst‹ und ›du sollst nicht‹ eingesperrt, die ihn isolieren, die ihn eingrenzen und schließlich seinen Geist überwältigen« (Lowen 1979).

Das zunächst gegen die Eltern gerichtete Gefühl der Aggression wird dadurch zu einem verfolgenden Objekt, das als bedrohlich erlebt wird. Weil das Kind die entstandene Aggression nicht nach außen wenden kann, richtet es sie schließlich gegen sich selbst. So wird Depression in der Psychoanalyse auch als eine Form der Autoaggression betrachtet. In dieser Dynamik gefangen, kann sich ein Mensch bis ins Erwachsenenalter als hilf-, macht- und kraftlos erleben, unfähig, die eigenen Bedürfnisse der Welt gegenüber zu vertreten. »Die Unfähigkeit zu reagieren unterscheidet den Zustand der Depression von allen anderen Gemütszuständen« (Lowen 1979).


Die Überwindung der Blockaden
Karuna: Mitgefühl entwickeln und Desidentifikation erreichen

Mark Williams, Zindel Segal und John Teasdale haben an der Bangor University in Wales das Center for Mindfulness Research and Practice gegründet und das MBCT-Programm (Mindfulness Based Cognivitiv Therapy) entwickelt. Studien belegen diesem Verfahren eine gute Wirksamkeit in der Rückfallprävention von Depression.

In MBCT-Gruppen lernen die Teilnehmer*innen, sich durch die wiederholte Übung in Achtsamkeit und Mitgefühl nicht länger mit den eigenen dysfunktionalen Gefühlen und Gedanken zu identifizieren. Auf diese Weise können sie sich zunehmend von limitierenden Denkschemata und Glaubenssätzen befreien.

Um es zu ermöglichen, unterdrückte Gefühle zu erforschen, ist eine gefestigte, vertrauensvolle Beziehung zwischen Klient*innen und Begleiter*innen notwendig: »Wem es an Vertrauen fehlt, der hat all seine Gemütsbewegungen unterdrückt. An ihre Stelle hat er eine Reihe von Ansichten oder Illusionen gesetzt, die sein Verhalten lenken und steuern« (Lowen 1979). Der Klient kann nur auf Grundlage des Vertrauens in die Therapeuten-Klienten-Beziehung lernen, sich zu öffnen: »Die therapeutische Aufgabe besteht darin, dem Patienten zu helfen, seinen Weg zu Selbstliebe und zur Selbstannahme zu finden und ein Vertrauen zu sich selbst zu entwickeln, dass er an die Stelle dessen setzen kann, was er von seinen Eltern nicht bekommen hat« (Lowen 1979).

Wenn uns Patanjali im Yogasutra den folgenden Hinweis gibt, ist es nur naheliegend, dass wir uns auch selbst die genannte, heilsame Haltung entgegenbringen:

»Citta, unsere Psyche, wird allmählich klar, wenn wir aus innerer Überzeugung [uns] jeweils freundlich, mitfühlend, begeisterungsfähig und verzeihend gegenüber Menschen verhalten, die sich in Situationen des Glücks, des Unglücks, des Lobenswerten oder des Ächtenswerten befinden« (Sriram 2006).

Yogasutra 1.33

Wir werden die besondere Bedeutung dieses Verses für die integrative Yogapsychologie später noch ausführlicher betrachten.

Erst in einer Beziehung, die von Annahme und Verständnis geprägt ist, können Klient*innen lernen, sich von der Identifikation mit Symptomen und Glaubenssätzen zu befreien. Die Aufgabe des Begleitens, sei es in Coaching oder Therapie, ist es, diesen heilsamen Raum zu gestalten.

Drashta: Achtsamkeit im Umgang mit den eigenen Gefühlen entwickeln

Wenn im Laufe der therapeutischen Arbeit die Wahrnehmung des/der Klient*in freier von seinen/ihren Wertungsmustern und Identifikationen wird, entsteht allmählich die Fähigkeit zu annehmendem Gewahrsein. »Die Qualität von Achtsamkeit ist nicht ein neutrales oder leeres Anwesend-Sein. Wahre Achtsamkeit ist durchtränkt von Wärme, Mitgefühl und Interesse. Im Lichte dieser hingebungsvollen Aufmerksamkeit entdecken wir, dass es nicht möglich ist, etwas oder jemanden, das oder den wir wahrhaftig verstehen, zu hassen oder zu fürchten. Das Wesen der Achtsamkeit ist Hingabe: Wo Interesse ist, da folgt eine natürliche, ungezwungene Aufmerksamkeit« (Feldman/Kornfield 2004). Das gilt für den Blick auf die Welt wie auch für den Blick auf uns selbst.

Eine im Vertrauen pulsierende Achtsamkeit trägt in sich die Kraft, das Geschaute anzunehmen. Bei einer Depression werden das in erster Linie unterdrückte Gefühle sein. Doch das bedeutet nicht, dass der/die Klient*in sich nun über die neu entdeckten Emotionen definieren sollte.

»Der draṣṭṛ sieht ausschließlich, er ist standhaft und ohne jegliche Veränderung, kann aber nur aufgrund der über das citta (des meinenden Selbst) vermittelten Eindrücke sehen« (Sriram 2006).

Yogasutra 2.20

Stattdessen geht es darum zu lernen, die eigenen Gefühle und Bedürfnisse fühlend zu erkennen, um sie von externen Erwartungen zu unterscheiden. Wir müssen lernen »(…) wieder in Kontakt mit unseren Gefühlen zu kommen – mit denen, die wir mögen, mit denen, die wir nicht mögen, und mit denen, von denen wir nicht wissen, dass wir sie haben« (Williams et al. 2009).

Die Bedeutung des Körpers: Lernen, sich der Pulsation hinzugeben

Zu diesem Kontakt gehört selbstverständlich auch die heilsame Erfahrung des Körpers. Was wir geistig und emotional unterdrücken, müssen wir im Körper kontrollieren. Denn jeder Gedanke, jedes Gefühl wird immer von einem körperlichen Impuls, einem Ausdruck begleitet. So beobachtete Alexander Lowen in seiner Arbeit mit depressiven Menschen: »Wenn jemand mit seinem Körper in Fühlung kommt, eröffnet sich ihm eine neue Art, sich selbst zu verstehen, die sich allmählich in Selbstannahme verwandelt« (Lowen 1979).

Die Beziehung zwischen Klient*in und Begleiter*in findet in der Körperarbeit einen wichtigen Ausdruck. Während Klient*innen bisher in Konzepten, Konstrukten und kognitiven Verzerrungen gelebt haben, erleben sie nun Erdung und Realität, und nirgendwo ist die Realität unmittelbarer zu erfahren als auf der Ebene des Körpers. Voraussetzung dafür sind ein gewachsenes Vertrauen und der achtsame Respekt vor Grenzen. Dann kann der/die Klient*in auf der muskulären Ebene die Mechanismen der Kontrolle entdecken und lernen, sich wieder spontanen Impulsen zu überlassen.

Lowen geht dabei weiter, als es gegenwärtig in der Praxis von Psychotherapie und Coaching üblich ist: »Jeder Patient braucht es, dass man ihn berührt, und das gilt besonders für den depressiven Patienten. Indem man ihn berührt, ruft man seine Gefühle wach. Dadurch, dass man mit ihm in Fühlung ist, drückt man sein Mitgefühl und Verständnis aus, und indem man ihn physisch mit Wärme und Gefühl berührt, lässt man ihn seine eigene Liebe spüren« (Lowen 1979).

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