Kitabı oku: «Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland Band 12», sayfa 3

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Tanni

Julius war in diesem Jahr als einer der Weihnachtsengel für besondere Aufgaben ausgewählt worden. Daher saß er im Auftragsbüro und wartete gespannt darauf, welche Aufgabe er bekommen würde. Da wurde er auch schon zum Chef gerufen.

„Julius, in diesem Jahr will ich ein Experiment wagen. Du sollst einen kleinen Tannenbaum und eine Familie am Heiligen Abend glücklich machen. Wenn dir dies gelingt, werde ich die Familie in der Weihnachtsnacht noch mal besonders überraschen.“

„Uih, gleich zwei Aufgaben“, dachte Julius.

„Nicht zwei Aufgaben“, sagte der Chef, der die Gedanken von Julius offensichtlich gelesen hatte, „sondern eine mit mehreren Beteiligten. Komm, ich zeige es dir.“

Vom himmlischen Beobachtungsbüro sahen sie herab zu einem Weihnachtsbaumstand. „Schau mal, da in der Ecke steht Tanni, der Tannenbaum. Auch bei der Erschaffung von Tanni habe ich mir sehr viel Mühe gegeben. Aber die Menschen erkennen es nicht. Sie erkennen die wahre Schönheit nicht mehr. Nur Äußerlichkeiten sind wichtig. Was hinter der Fassade steckt, ist ihnen egal. Ich will ausprobieren, ob es in dieser Stadt noch einen Menschen gibt, der Schönheit auch im Unperfekten sehen kann. Also mach dich auf, flieg zur Erde. Dir ist alles erlaubt, um die Menschen auf die Schönheit hinzuweisen.“

Also flog Julius zur Erde und fand dort einen ziemlich verzweifelten Tanni vor. „Es ist doch blöd“, jammerte der, „es waren jetzt schon viele Menschen hier, aber keiner hat mich mitgenommen. Mal war ich zu klein, meine Äste waren zu wenige oder zu viele oder nicht symmetrisch genug. Ein Ehepaar hat mich sogar als verkrüppelt beschimpft. Das tat ganz schön weh. Dabei bin ich doch eigentlich wunderbar gemacht. So langsam glaube ich aber selber nicht mehr daran. Es muss doch jemanden geben, der mich kaufen will.“

„Mach dir keine Sorgen“, sagte Julius, „jetzt helfe ich dir. Es wäre doch gelacht, wenn wir dir kein Heim bis Heiligabend besorgen könnten.“ Aber so sehr sich Julius auch abmühte, Tanni ins rechte Licht zu setzen, immer hatten die Menschen etwas auszusetzen.

Schließlich war der Heilige Abend gekommen und Tanni war immer noch da. Mittlerweile war Julius fast genauso verzweifelt wie Tanni. Und da hörte Tanni auch noch den Verkäufer murmeln: „Den werde ich bestimmt auf den Müll werfen müssen.“

Das konnte doch nicht sein. Am Heiligen Abend sollte er auf dem Müll landen? Resigniert beobachteten Julius und Tanni, wie immer weniger Leute vorbeikamen. Der Verkäufer begann einzupacken.

Aber da kam noch ein Mädchen angerannt und schaute sich um. Es war Marie. Sie war so spät dran, weil sie sich das Geld für den Baum beim Blockflötenspiel in der Innenstadt gerade erst verdient hatte. Ihre Familie war arm und einen Tannenbaum konnte sie sich nicht leisten. Aber Marie wollte so gerne auch mal einen Tannenbaum haben – so wie ihre Freundinnen. Und so hatte sie, immer wenn sie Zeit hatte, in der Innenstadt Blockflöte gespielt. Von ihren ersten Einnahmen hatte sie sich heimlich Schmuck für den Baum gekauft. Heute hatte sie gespielt, um einen Baum kaufen zu können. Ihre Eltern würden staunen, wenn sie mit dem Baum vor der Tür stand. Hoffentlich würde das Geld reichen. Dann könnten sie richtig Weihnachten feiern, auch mit Baum.

Ihre Eltern hatten zwar gesagt, dass ein Baum nicht wichtig sei, solange sie als Familie trotzdem feierten. Schließlich war es ja eine Geburtstagsfeier. Das Geburtstagskind würde keinen Baum dazu brauchen. Aber es wäre trotzdem schöner, fand Marie.

Und so hielt sie dem Verkäufer ihre erspielten Münzen hin. „Welchen Baum kann ich dafür bekommen?“

Tanni und Julius witterten ihre letzte Chance. Enttäuscht sahen sie aber, dass der Verkäufer auf die Ecke mit den großen, tollen Tannenbäumen zeigte. Marie hatte viel Geld erspielt, weil die Menschen an Heiligabend besonders großzügig waren. Daher hätte sich Marie einen großen Baum leisten können. Da fiel ihr Blick aber auf Tanni.

„Ist der auch zu verkaufen?“, fragte sie.

„Ja, aber was willst du denn mit dem?“

„Er ist nur so groß, dass ich ihn selbst nach Hause tragen kann. Ansonsten ist er perfekt. Ich habe nicht viel Weihnachtsbaumschmuck und so ist es nicht schlimm, dass er nur wenige Äste hat. Ein wenig schief ist er auch, dass passt perfekt zu den schiefen Wänden bei uns zu Hause. Er ist schön, weil er so ist, wie er ist. Den nehme ich.“

„Weißt du was?“, sagte der Verkäufer. „Heute ist Heiligabend. Ich schenke dir den Baum, dann kannst du auf dem Heimweg von deinem Geld vielleicht noch eine schöne Spitze für ihn kaufen.“

Da strahlten Tanni und Julius. Gut, dass Julius noch ein wenig von seinem Engelstaub zurückgehalten und rechtzeitig Tanni damit bestreut hatte, damit Marie ein Funkeln sehen und Tanni so entdecken konnte.

Die Freude war groß, als Marie mit dem Baum und der Spitze zu Hause ankam und auch noch ihre anderen Schätze hervorholte. Alle freuten sich über den nicht perfekten Baum. Sie schmückten ihn gemeinsam, saßen dann lange beisammen und sangen Weihnachtslieder für das Geburtstagskind. Auch Tanni strahlte dank des Engelstaubes so, dass sie keine Kerzen brauchten.

Julius flog wieder in den Himmel. Im Auftragsbüro wartete der Chef auf ihn. „Gut gemacht, Julius. Du hast nicht aufgegeben, als es aussichtslos erschien.“

„Ja, und ich habe Tanni und ihre Familie glücklich gemacht. Auftrag erfüllt!“

„Ja, und auch ich hatte eine Überraschung versprochen. Schau morgen noch mal nach Maries Familie!“

Und so war Julius am nächsten Weihnachtstag noch mal auf der Erde. Tanni freute sich sehr, ihn zu sehen. Aber Tanni hatte sich verändert. Über Nacht hatte er sich in einen Baum aus purem Gold verwandelt. Da staunte die Familie nicht schlecht. Fortan waren ihre Geldprobleme kein Thema mehr. Auch viele andere Menschen konnten sich freuen. Ihren neuen Reichtum behielt Maries Familie nämlich nicht für sich, sondern unterstützte damit die Obdachlosenarbeit ihrer Kirchengemeinde.

Zufrieden lehnte sich der Chef zurück. Es hatte die richtige Familie getroffen. Auch mit mehr Geld waren sie noch in der Lage, hinter die Fassade zu blicken und das Gute nicht nur in Tannenbäumen, sondern auch in Menschen zu sehen.

Angelika Beul: 1971 im Ruhrgebiet geboren, bis heute dort lebend.

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Das Weihnachtswunder

der fleißige Briefträger kann nicht mehr

ihm fällt das Laufen so furchtbar schwer

doch er hat einen Schatz und sie braucht Geld

bringt sie doch im Winter das Kind zur Welt

er müht sich weiter die Straßen entlang

mit schmerzenden Beinen – danach wird er krank

trotzdem trägt er noch die Weihnachtspost aus

die Liebste liegt längst schon im Krankenhaus

ein Freund ruft ihm zu, das Baby sei da

vor Freude singt er wie ein Engel so klar

die Töne schweben über die Stadt

bis auch ein Agent sie vernommen hat

ein Vertrag wird daraufhin gemacht

dass der stolze Vater nur noch lacht

ab jetzt nie mehr diese Schlepperei

die Zeit als Zusteller ist vorbei

stattdessen reist er von Konzert zu Konzert

mit Frau und Kind, das ist es ihm wert

er dankt in Liedern für sein großes Glück

das Weihnachtswunder ist wirklich zurück

Regina Berger geboren 1961 in Hagen (Westfalen), studierte in Münster und schloss nach dem 1. Staatsexamen Lehramt noch einen pädagogischen Studiengang an. Sie arbeitet seither als Dipl.-Sozialpädagogin und lebt seit 27 Jahren im grünen, hügeligen Wuppertal. Sie ist Mitglied im Verein der Schriftstellerinnen und Künstlerinnen in Wien.

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Bens Wunschzettel, Weihnachten und Karneval

„Wie, haben wir denn schon wieder Weihnachten? Ich finde, Weihnachten kommt immer so plötzlich“, meinte der Vater, als Ben ihm seinen Wunschzettel vorlegte.

„Aber, Paps, Weihnachten ist immer am 25. Dezember, das weiß jedes Kind. Du weißt doch auch immer, wann Karneval ist und das ist nicht immer am gleichen Tag. Und da sagst du nie, es kommt immer so plötzlich.“

„Ben, du kannst doch Weihnachten und Karneval nicht miteinander vergleichen. Weihnachten ist mit das höchste Fest der Christen und Karneval eben Karneval.“

„Toll, Papa, das war aber gerade eine super Erklärung. Für dich ist Karneval immer das höchste Fest. Schon an Weiberfastnacht ziehst du die bescheuerte rote Perücke auf und erst am Aschermittwoch wieder ab.“

„Ben, wie kommst du jetzt auf Karneval? Hier geht es um deine Wunschliste zu Weihnachten und nicht um meine Pappnase im Karneval. Was soll das, das sind doch zweierlei Schuh.“

„Dass Karneval auch teuer ist, wenn du mit Mama auf die Sitzungen gehst!“

„Ach, es geht um deinen sicherlich großen Wunschzettel, lass mal sehen, was da alles draufsteht.“

„Das sind alles Dinge, die ich unbedingt brauche!“, warf Ben nun ein.

„Ben, wofür brauchst du ein Smartphone? Du hast ein Handy, das wir dir extra gekauft haben, falls mal was Außergewöhnliches passiert und du uns oder wir dich erreichen müssen.“

„Ich komme doch nach den Sommerferien aufs Gymnasium, da haben alle ein Smartphone. Ich möchte nun mal kein Außenseiter sein, denn Internet und WhatsApp, das muss einfach sein.“

„Was sein muss, mein lieber Sohn, das sind gute Noten und sonst nichts! Und bis jetzt bist du noch nicht auf dem Gymnasium, es dauert noch eine lange Zeit und bis dahin können auch die Noten ganz schön in den Keller rutschen.“

„Papa, du gehst nicht mit der Zeit, du bist ja auch schon über 40, während der Vater von Dirk gerade mal 35 Jahre alt ist. Und Dirk bekommt ein Smartphone, das hat er gesagt.“

„Aha, und da muss mein Sohn auch eins haben. Nun, lassen wir mal das Thema. Was steht noch auf dem Wunschzettel? Ein Tablet, wofür wird das denn gebraucht?“

„Da kann man sich Sachen drauf runterladen!“

„Also irgendwelche Spielchen! Nun, das wollen wir mal ganz streichen.“

„Papa, was soll ich mir denn wünschen? Puppen und Bücher wie Max und Moritz?“

„Ben, nun übertreib mal nicht. Mit Puppen hast du noch nie gespielt, hattest allerdings einen Elefanten, ohne den du nie ins Bett gehen wolltest.“

„Doch jetzt nicht mehr, mein Gott, Papa, das ist 100 Jahre her!“

„Und das Buch von Wilhelm Buch ist auch immer noch sehr interessant, obwohl es schon 1865 veröffentlicht wurde, besser als manche Comicheftchen. Und ein paar Bücher hast du dir ja auch gewünscht, da muss ich erst einmal recherchieren, ob die auch was für dich sind.“

„Papa, gib den Wunschzettel her, ich zerreiße ihn und wünsche mir nur neue Eltern zu Weihnachten!“ Wütend rannte er in sein Zimmer.

Am anderen Morgen, als er seinen Freund Dirk auf dem Schulweg traf, war er immer noch sauer. Aber auch dieser war nicht gut drauf.

„Na, Alter, was ist los?“, erkundigte er sich daher.

„Ach, weißt du, ich hatte gestern Stress mit meinen Eltern. Sie wollen einfach nicht kapieren, dass ich unbedingt ein Smartphone brauche. Sie sind so stur.“

„Was glaubst du wohl von meinen Eltern, das heißt, mit Mama habe ich noch nicht gesprochen, wohl aber mit Papa, und der ist auch so störrisch. Das wäre nicht nötig, ich solle erst einmal gute Noten bringen.“

„Genau wie meine Eltern. Aber wie stehen wir jetzt bei den anderen ohne Smartphone da?“

„Wir müssen überlegen, wie wir unsere Eltern überzeugen können, dass wir unbedingt ein Smartphone brauchen.“

„Eine gute Idee, aber hast du auch eine Idee?“

„Ja!“, rief Ben begeistert aus, nachdem er eine Weile überlegt hatte. Dann steckten die beiden die Köpfe zusammen und tuschelten.

„Cool, aber meinst du, das würde klappen?“

„Mit Sicherheit.“

Daheim saßen Bens Eltern beim Frühstück, der Vater hinter der Zeitung vergraben.

„Sag mal, ist dir eine Laus über die Leber gelaufen?“, erkundigte sich Bens Mutter. „Seit gestern Abend machst du ein langes Gesicht und jetzt versteckst du dich den ganzen Morgen hinter der Zeitung.“

„Ach, ich ärgere mich über die Wünsche deines Sohnes“, knurrte es hinter der Zeitung.

„Was heißt hier meines Sohnes? Soviel ich weiß, ist er auch deiner, zumal er dir auch noch wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Aber was hat er denn für Wünsche?“

„Er will ein Smartphone!“

„Ja und, haben das nicht alle in dem Alter?“

„Nun fällst du mir auch noch in den Rücken! Ich sage Nein und dabei bleibt es auch.“ Damit knallte er die Zeitung auf den Tisch und machte sich auf ins Büro.

Die Mutter schüttelte nur den Kopf und murmelte: „Männer!“

Das Thema Smartphone aber war im Hause Ben tabu, niemand sprach mehr darüber, es wurde einfach nicht mehr erwähnt.

Es kam der Heilige Abend. Vater und Sohn hatten wie immer den Weihnachtsbaum geschmückt, die Geschenke, liebevoll verpackt, lagen bereits darunter und das Zimmer war weihnachtlich geschmückt – mit einem Wort, das Christkind konnte kommen, aber auch wie jedes Jahr die Oma, Vaters Mutter.

Man saß gemütlich zusammen, aß Mutters köstliche Plätzchen und wartete darauf, dass es dunkel wurde, man die Kerzen am Baum anzünden und mit dem Auspacken der Geschenke beginnen konnte.

Und es waren nicht wenige Geschenke, die auszupacken waren. Ben hatte viele Bücher bekommen, CDs und Legosteine, denn damit zu bauen, machte ihm immer noch sehr viel Spaß, zumal er sowieso Ingenieur werden wollte.

Aber ganz hinten lag noch ein Päckchen, auf dem sein Name stand. Schnell wurde auch das ausgepackt und was enthielt es? Das schönste Geschenk: ein Smartphone!

Der Vater wurde blass. „Wer hat denn das geschenkt?“, fragte er entsetzt und schaute dabei seine Frau an. Diese aber schüttelte nur den Kopf.

„Ich“, rief die Oma aus. „Der Junge kann doch nicht hinter den anderen zurückstehen!“

„Mutter, du, ich fasse es nicht, du wirfst meine ganze Erziehung über den Haufen.“

„Eine Oma kann und darf das“, war ihre Antwort.

Es wurde aber trotzdem für alle ein schönes und gesegnetes Weihnachtsfest.

Renate Hemsen wurde 1940 in Köln geboren, wo sie auch heute noch lebt. Zu ihren Hobbys gehören Schreiben, Lesen und Reisen. Besonders das Schreiben macht ihr große Freude und daher war sie auch froh, dass sie nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben dafür mehr Zeit und Muße hatte. Sie belegte sofort einen Belletristikkursus und später auch noch einen für Kinder- und Jugendliche. Sie hat verschiedene Kurzgeschichten und auch Gedichte veröffentlicht.

*

Oma Grethes Bilder

„Deine Oma tüdelt!“, brüllt Michail voller Vergnügen.

„Tut sie nicht!“, schreit Folke zurück und bäumt sich dabei auf, schiebt das Kinn vor und ballt seine Fäuste – Stirn an Stirn, Auge in Auge stehen sich die beiden Neunjährigen gegenüber.

„Was ist hier los?!“, donnert Frau Seyfrath, die Klassenlehrerin der dritten Grundschulklasse, dazwischen.

„Seine Oma will einen lebendigen Elch gesehen haben“, erzählt Michail lachend. „Wahrscheinlich ist einer ihrer Elche von ihren Ölbildern heruntergesprungen“, feixt der Junge weiter.

„Vollpfosten!“, faucht Folke. „Meine Oma tüdelt nicht, sie sagt immer die Wahrheit!“, setzt er demonstrativ und empört nach.

„Na ja, Folke, deine Großmutter ist wohl nicht mehr die Jüngste, da kann es schon mal vorkommen, dass sich Fantasie und Realität mischen. Bei uns gibt es nämlich keine Elche!“, spricht die Lehrerin das schlussendliche Machtwort.

Wegen seines vermeintlichen Triumphs grinst Michail übers ganze Gesicht, während sich Folke für den Rest des Tages geschlagen gibt und als einzige Drohgebärde noch die Oberlippe auf der rechten Seite wie ein zum Knurren bereiter Hund ein wenig hochzieht.

Oma Grethe, Folkes Großmutter, die aus Schweden stammt, malt seit Jahren Elche in allen möglichen Variationen – mal als Weihnachtsmann, mal als Taxifahrer, sogar eine österliche Hasen-Elch-Variante taucht in ihrem künstlerischen Œuvre auf.

„Vielleicht kann Oma tatsächlich nicht mehr klar unterscheiden zwischen dem, was auf ihren Bildern gemalt ist, und dem, was in der freien Natur vorkommt“, grübelt der Neunjährige auf seinem Heimweg.

Zu Hause – das ist ein restauriertes Fachwerkgebäude am Waldrand nahe der kleinen Stadt Karlsburg in Mecklenburg-Vorpommern –, angekommen, läuft Folke wie immer nach der Schule sofort in Großmutters Atelier und wirft sich seiner Oma Grethe in den Schoß. Natürlich möchte diese neugierig erfahren, wie der Schultag ihres Enkels verlaufen ist. Beide werden für einen Moment traurig, als Folke von dem Streit mit Michail erzählt und auch davon, dass Frau Seyfrath nicht an Elche glaubt.

„Hier hast du Stifte und Papier zum Malen, ich zeige dir mein neuestes Elchbild“, sagt die Großmama voll gütigem Stolz.

Folke traut seinen Augen kaum. Auf Oma Grethes Staffelei bestaunt er ein Bild von einem Elch, der um das elterliche Haus streift. Damit hatte er bestimmt nicht gerechnet! Potzblitz! Von den bisherigen Malereien der älteren Dame unterscheidet sich dieses Werk durch die realitätsbezogene Abbildung eines solchen Tieres ähnlich einem Foto. Sonst malt die Oma eher Elche, die eindeutig ein Produkt ihrer Fantasie sind und niemals auf einem Foto erscheinen könnten. Dieses Bild aber ist eindeutig anders als alle anderen!

Folke rollt mit den Augen und blinzelt seine Großmutter an.

„Diesmal dachte ich mir nichts aus, mein Kleiner, ich malte nur das, was ich sah“, kommentiert Oma Grethe verschmitzt ihr Gemälde. „Es kommt mir wie in Schweden vor und das hier in Karlsburg!“, setzt sie begeistert nach.

„Oma, kann es sein, dass du allmählich spinnst oder so? Es gibt hier nämlich keine Elche, sagt unsere Lehrerin!“, erwidert Folke ungläubig.

„Aber doch gibt es welche, das siehst du doch hier!“, antwortet die Seniorin überzeugt.

Der Streit zwischen den Schulkameraden ist bald vergessen und Folke nimmt das Wort Elch gar nicht mehr in den Mund. Alle Kinder fangen an, sich auf Weihnachten zu freuen, und als dann auch noch am zweiten Advent ganz viel Schnee fällt, ist die Vorfreude auf den Heiligen Abend perfekt.

Da entdeckt Folkes Vater Noah plötzlich eine seltsame Spur im Schnee, die um das Grundstück führt, und ruft sogleich Folke und Oma Grethe herbei. Weil Folkes Mama das Wohnzimmer weihnachtlich dekoriert, bleibt sie im Haus zurück.

„Seht mal her: Hier muss ein seltsames Tier entlanggelaufen sein. Es sieht beinahe so aus, als hätte sich ein ganz kleines Schuhpaar mit Absätzen geschlossen hüpfend im Zickzack fortbewegt“, rätselt der Vater stirnrunzelnd.

„Das ist überhaupt kein seltsames Tier!“, stellt die aus Schweden stammende Künstlerin der Familie wissend fest. „Es handelt sich um einen Elch! Ich weiß doch, welche Spuren diese Tiere hinterlassen!“, ist sich die ältere Dame sicher.

„Ein Elch?!“, rufen Vater und Sohn im Chor.

„Genauso ist es!“, behauptet die Großmutter selbstbewusst.

„Kommt, wir folgen seiner Spur!“, schlägt der Vater vor.

Langsam und behutsam schleichen die drei in leicht geduckter Haltung den Tierspuren nach, die sie in den nahen Wald führen. Vor einer Lichtung bleibt das Trio andächtig stehen und sucht geschwind den schmalen Schutz hinter einer kleinen Tanne auf. Von dort werden sie Zeugen davon, wie sich auf der Lichtung vor ihnen ein Elchbulle mit einem majestätischen Geweih friedlich äsend an eine Elchkuh schmiegt. Aus dem Dickicht dringt knisternd auch noch ein Jungtier hervor und gesellt sich zu dem erwachsenen Elchpaar. Aus dem Versteck heraus macht Vater Noah in dieser atemberaubenden Stille mit seinem Smartphone einige Fotos von der Elchfamilie. Welch eine Freude – und Oma Grethe hat gar nicht getüdelt! Als die kleine Elchfamilie weiter in den Wald hineinläuft, treten auch Folke, sein Vater und seine Großmutter entzückt den Heimweg an.

Michail und Frau Seyfrath sehen sehr komisch mit ihren langen Gesichtern aus, als Folke ihnen kurz vor der Weihnachtspause die Fotografien als Beweis für die Existenz von echten Elchen in Karlsburg präsentiert.

Es gibt sie eben doch, die Elche, nicht nur auf den Bildern von Oma Grethe, sondern ganz real vor der Haustür, wenngleich sie in Karlsburg nicht direkt heimisch sind. Ein Förster, den die Lehrerin zum Vorkommen von Elchen in deutschen Wäldern interviewt, vermutet, dass speziell diese Elchfamilie höchstwahrscheinlich aus dem Nachbarland Polen eingewandert ist.

Obwohl nach Verbreiten der Elchsichtung ganze Touristenbusse voller neugieriger Schaulustiger in das Wäldchen hinter Folkes Haus einfallen, wird die Elchfamilie nie wieder dort beobachtet!

Um der breiteren Öffentlichkeit trotzdem einen Einblick in den seltenen Elchbesuch zu gewähren, werden Oma Grethes Gemälde von dem nicht ihrer Fantasie entsprungenen Elch und die Fotos von Folkes Papa in der Aula der Grundschule ausgestellt. Die Schuldirektorin hält sogar eine Ansprache dazu, bevor die Feiertage endlich beginnen können.

Genaues Hinsehen hilft manchmal, um zu entdecken, was wirklich um uns herum geschieht. Einen Moment gibt es nie ein zweites Mal! Dann können selbst Wunder wahr werden oder Dinge geschehen, die niemand bisher für möglich hielt! Jedoch müssen wir an das glauben, was wir sehen, auch wenn es wie ein Zauber erscheint!

Frohe Weihnachten!

Maren Rehder studierte Kunst, Kunstgeschichte, Evangelische Theologie, Pädagogik und Soziologie. Schon als Kind wurde sie wegen ihrer Ideen geschätzt. Erst im Erwachsenenalter begann sie mit dem Schreiben.

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9783960743354
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