Kitabı oku: «Psychotherapie - wozu und wie?», sayfa 4
Auflehnungen der Psychen
Depression als massenhafte Kundgebung zunehmender Lustlosigkeit am materiellen Leben, als Suche nach einem anderen Sinn? Zunehmende Erschöpfung als Auflehnung gegen ständig wachsende Leistungsanforderungen? Grassierende Ängste als Weigerung, sein Leben zunehmend frei von sozialen Kontakten führen zu müssen? Erleben wir eine neue Form des Aufstandes, einen Aufstand der Psychen?
Nach Angaben des wissenschaftlichen Institutes der AOK aus dem Jahr 2013 haben Fehlzeiten aufgrund psychischer Erkrankungen seit 1994 um 80% zugenommen, wobei ein Krankheitstag die Unternehmen im Schnitt 400 Euro kostet. Die psychische Verweigerung kostet bereits viele Milliarden. Erste Firmen legen Gesundheitsprogramme auf, um Überstunden einzuschränken oder verbieten sie gleich ganz. Nicht die Gewerkschaft, nicht die Politik, die geschundene Psyche sorgt in individualisierten Zeiten für das Korrektiv durch eine Art massenhafter psychischer Rebellion der Vereinzelten.
Aus systemischer Sicht sind Massenphänomene wie Hyperaktivität, Burn-out, Depression, Ängste und andere Entwicklungen deshalb keine Krankheiten, sondern Erscheinungen des Selbstregulierungsprozesses einer sich überfordernden Gesellschaft. Man kann sie als notwendige Störungen ansehen, die vor allem auf eine soziale und nicht auf eine therapeutische Bewältigung drängen.
Zweierlei Sinn
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass psychische Störungen einen doppelten Sinn haben.
Zum einen stellen sie Aufforderungen zum Identitätswechsel dar,
zum anderen sind sie - sobald sie massenhaft auftreten - psychische Revolten gegen soziale Verhältnisse.
Daher handelt es sich bei psychischen Störungen in den meisten Fällen nicht um krankheitswerte Zustände, sondern um ganz normale Erscheinungen aus dem Graubereich psychischer Verfassungen.
Eine Psychotherapie des Graubereiches
Der Graubereich psychischer Störungen - das ist der Bereich, der einer Psychotherapie vorbehalten sein sollte, die sich den vagen Dingen zuwendet, die Offenheit, Bezogenheit und Flexibilität ins Zentrum ihrer Vorgehensweise setzt - muss dringen erhalten bleiben.1
Wenn es zutrifft, dass man sich über die Dimensionen der Psyche keinen Überblick verschaffen kann und wenn die Psyche dazu gezwungen und in der Lage ist, sich in den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen zurecht zu finden, wenn es keine einheitliche Persönlichkeit gibt, die es zu verwirklichen gilt, dann stellt sich die Frage, wie eine Psychotherapie aussehen kann, die den fragmentierten Psychen der Individuen Rechnung trägt? Nach allem was bisher gesagt wurde müsste dies eine Psychotherapie sein:
die darauf verzichtet, die Psyche als Ganzes überblicken zu wollen,
die weder mit Persönlichkeits- noch mit Charaktermodellen arbeitet,
die sich weder auf Klassifizierungen noch auf Diagnosen stützt,
die keine Behandlungsschemata anwendet,
die sich keinen festen Begriff von Normalität oder psychischer Gesundheit macht,
die darauf verzichtet, psychische Reifungsschritte, so genannt normale Entwicklungsphasen oder vorbildhafte Beziehungsformen zu definieren,
und die traditionelle psychotherapeutische Begriffe wie Spaltung, Verdrängung und Behandlung, zumindest in ihrer bisherigen Bedeutung, beiseite legt oder neu definiert.
Radikal am Problem orientiert
Woran kann sich eine solche Psychotherapie orientieren, wenn sie bedeutende Teile des bisherigen strukturgebenden theoretischen Rüstzeugs beiseite legt? Was bleibt ihr, wenn sie auf die Pathologisierung des Graubereiches verzichtet und sich dort auf vage Weise den vagen Problemen zuwendet?
Was der Psychotherapie zur Handhabung des Graubereichs dann bleibt, ist einzig und allein das Problem, das einen Klienten in die Praxis führt; und nur mit diesem Problem und dessen konkreter Bewältigung kann sie sich befassen.
Das ist mehr als genug, wie ich im Folgenden darlegen möchte. Eine am Problem orientierte Psychotherapie würde – übertragen gesprochen - nicht fragen, wo jemand herkommt und sich nicht sonderlich dafür interessieren, wo jemand zukünftig ankommt. Sie würde sich statt dessen der Frage zuwenden, wo und wie jemand gegenwärtig festhängt und wie und womit ihm beim Weiterkommen geholfen ist. Ein Psychotherapeut wäre dann kein Führer, kein Wegweiser, kein Wissender – sondern jemand der hilft, den Karren aus dem Graben zu ziehen und wieder auf die Straße zu bringen, ohne wissen zu müssen und wissen zu wollen, wohin die Reise den Klienten schließlich führt.
Ein solcher Psychotherapeut würde sozusagen als Pannenhelfer und nicht als Persönlichkeitsgestalter oder Lebenslehrer auftreten.
Die Formulierung einer 'radikal am Problem orientierten Psychotherapie' ist mit ziemlicher Sicherheit missverständlich. Schon der Begriff 'Problem' erfreut sich in Zeiten grassierenden Machbarkeitglaubens keiner besonderen Wertschätzung. Statt von Problemen spricht man heute beschönigend von Lösungen und Herausforderungen oder versucht, Niederlagen in Erfolge zu verwandeln. Derartige Verdrehungen ändern natürlich nichts daran, dass nur dann nach einer Lösung gesucht wird, wenn ein Problem vorliegt und ebenso gilt, dass es für ein Individuum nur dann weitergeht, wenn es sein Problem bewältigt. Bewältigung bedeutet auch, das Problem zu verstehen.
“Die Aufgabe professioneller Helfer muss also sein, Klienten darauf aufmerksam zu machen, wie ihr Problem funktioniert ... Ein Problem, das man nicht versteht, kann man nicht lösen; und ein Problem, das man falsch versteht, kann man nicht effektiv lösen!”2
Das obige Zitat stammt von Prof. Rainer Sachse. Es weist auf die grundlegende Aufgabe eines Therapeuten hin, die darin besteht, etwas zu beobachten, das der Klient nicht beobachtet, nämlich wie sein Problem beschaffen ist. In die gleiche Richtung weist die folgende Bemerkung von Prof. Peter Fuchs.
“Der Umgang mit vagen bzw. uncodierten Problemen zwingt ja, wenn man so will, dazu, zu beobachten, mit welchen Unterscheidungen sich die Klienten ihre Welt so erzeugen, dass ein bestimmtes Problem für sie nicht lösbar ist.”3
Entgegen landläufiger Ansicht und trotz oberflächlicher Ablehnung sind Probleme keine lästigen Nebenprodukte eines falsch gelebten Lebens, die man schnellstmöglich los werden sollte. In Problemen steckt vielmehr der Schlüssel zum Weiterkommen. Sie stellen oft existentiell schwierige Situationen her, durch deren Bewältigung das individuelle und auch das gesellschaftliche Leben erst seine passende Fortführung findet. Probleme sind geradezu Voraussetzung für das Überleben.
Probleme und deren Bewältigung sind faszinierende Themen, um die sich jedes therapeutische Bemühen dreht. Faszinierend sind Probleme vor allem deshalb, weil in einem psychischen Problem seine eigene Lösung enthalten ist. Die verblüffende Eigenschaft eines Problems, auf seine eigene Lösung zu verweisen, macht es für Therapeuten unerlässlich und spannend, sich Problemen zuzuwenden und die darin liegenden Ansätze zu ihrer Bewältigung aufzuspüren.4
Wenn die Lösung im Problem liegt, dann könnte man meinen, es bräuchte keinen Therapeuten, um auf sie zu stoßen. Das trifft allerdings nicht zu. Der Therapeut wird als Beobachter gebraucht, der das in seine Betrachtung mit einbezieht, was der Betroffene an sich nicht oder nicht sinnhaft beobachtet.
“Worum geht es bei Psychotherapie: Es geht um psychische Betroffenheitslagen, die Leidensdruck auslösen, der nicht mit den Bordmitteln des psychischen Systems aufgelöst werden kann, weil es nicht in der Lage ist, den ‚Quellpunkt’ seines Leidens zu beobachten.”5
Die Lösung ist zwar im Problem enthalten, aber sie liegt nicht offen herum, sie ist unbeobachtet und unbeachtet, sonst wäre das Problem auch ohne Hilfe eines Begleiters zu lösen. In Zusammenarbeit von Therapeut und Klient kann der 'Quellpunkt' des Leidens erkannt, das Problem erforscht und verstanden werden; wozu auch gehört, die in ihm enthaltene Lösung aufzugreifen.
Ich hoffe, mit diesen Andeutungen Lust auf ein tieferes Verständnis von Problemen geweckt zu haben, denn in den folgenden Abschnitten möchte ich eine am Problem orientierte Vorgehensweise verdeutlichen. Dabei wird deutlich werden, dass im Grunde die meisten Psychotherapien problem- beziehungsweise konfliktorientiert vorgehen, selbst wenn sie dies in komplizierter Fachsprache verbergen.
Bei eine problemorientierten Vorgehensweise geht es speziell um:
Das Wesen von Problemen,
die Aufgabe individueller Identität,
das Bild, das man sich von der komplexen Psyche machen kann,
die Frage, wie Probleme ihre Lösungen enthalten,
die Frage, wieso sich Probleme nicht durch Was-Fragen, sondern durch Wer-Fragen lösen lassen, und
die Frage, welche Lösungen nicht-therapeutischer Art sich ergeben, wenn man problem- und lösungsorientiert vorgeht.
1 In diesem Abschnitt nehme ich an der einen oder anderen Stelle Bezug auf Darstellungen, die erst später auftauchen, ich greife für manchen Leser womöglich etwas vor, etwa auf Darstellungen aus dem Abschnitt ‘Im staatlichen Auftrag’. Dort beschreibe ich die Nachteile der staatlich regulierten Psychotherapie und deren Versuche, alle psychischen Störungen dem Bereich ernsthafter psychischer Erkrankungen zuzuordnen. Ich bezeichne diesen Vorgang als die ‘Eroberung des Graubereiches durch Pathologisierung’.
2 Rainer Sachse, Persönlichkeitsstörungen verstehen, Psychiatrie-Verlag Bonn 2010, Seite 22
3 Peter Fuchs, Die Verwaltung der vagen Dinge, 2011 Carl-Auer-Systeme Verlag Heidelberg, Seite 71
4 Siehe hierzu die von mir entwickelte Methode Erlebte Beratung und die Fortbildung für Therapeuten.
5 Peter Fuchs, Die Verwaltung der vagen Dinge, 2011 Carl-Auer-Systeme Verlag Heidelberg, Seite 99
Das Wesen von Problemen - Identitäten im Konflikt
Anstatt das Thema der am Problem orientierten Psychotherapie theoretisch aufzugreifen, möchte ich das Wesen von Problemen anhand eines Beispiel aus der Beratung erläutern.
Das Beispiel handelt von einer 48jährigen Frau, die - wie sie selbst sagt - ein großes Problem hat. Ihr Lebenspartner sei vor einem Jahr gestorben. Unter Tränen erzählt sie, der Mann sei die große Liebe ihres Lebens gewesen, sie habe sechs Jahren mit ihm zusammen gelebt und während dieser Zeit hätten sich zum ersten mal alle ihre Beziehungswünsche erfüllt. Dann habe der Krebs ihn ihr weggenommen. Seither leide sie furchtbar und verliere die Lust am Leben.
Betrachten wir die schwierige Situation der Frau aus einigem Abstand. Bis zu diesem Punkt beschreibt sie lediglich Ereignisse und Tatsachen. Der Mann ist gestorben, sie hat ihn geliebt und trauert um ihn. Wo aber ist das Problem? Um es zu erkennen müsste man die Frau fragen „Ich verstehe was passiert ist, aber ich verstehe nicht, was ihr Problem damit ist.“ Eine solch unverblümte Frage verbietet sich natürlich aus Takt und Mitgefühl, dennoch muss die Frage irgendwie beantwortet werden, wenn man das Problem richtig verstehen will.
Der Begleiter drückt also sein Mitgefühl aus und fragt, was er für die Frau tun könne. Sie antwortet: „Es ist schon ein Jahr her, und ich trauere immer noch.“ Diese Aussage beschreibt ihren emotionalen Zustand, und sie kommt dem Problem bereits näher als die ersten Aussagen es taten, sie trifft das Problem aber noch nicht.
„Ja“ sagt der Begleiter jetzt, „es muss sich um eine sehr tiefe Trauer handeln. Ich kann mir vorstellen, dass Sie bis ins Mark erschüttert sind.“
Die Frau kämpft nun erneut mit den Tränen, reißt sich dann aber zusammen und sagt in einem etwas schroffen Ton „Es muss doch irgendwann mal vorbei sein!“
„Was muss vorbei sein?“ fragt der Begleiter.
„Die Trauer, der Schmerz“ betont die Frau, richtet sich etwas auf und gewinnt ihre Fassung langsam zurück.
„Warum muss es jetzt vorbei sein?“ will der Begleiter nun wissen.
„Das Leben geht doch weiter, und die ewige Trauer bringt ihn mir auch nicht zurück.“
Diese letzten Sätze offenbaren das Problem: Vor dem Berater sitzt eine Frau, die erschüttert ist und die nicht erschüttert sein will. Das Problem besteht in einem Zwiespalt ihres Erlebens. Über längere Zeiträume hinweg traurig und verzweifelt zu sein und es gleichzeitig nur begristet sein zu wollen - das ist in der Tat ein schwieriges Problem.
Betrachten wir die Aussagen und das Verhalten der Frau detaillierter, um ihr Problem noch klarer zu erkennen. Einerseits sagt sie „Ich bin traurig über den Verlust“, andererseits sagt sie „Das Leben geht doch weiter“. Einerseits beschreibt sie wie groß der Schmerz sei, andererseits sagt sie „Das bringt ihn auch nicht zurück“. Man bekommt beinah den Eindruck, es mit zwei verschiedenen Personen zu tun zu haben, einerseits mit einer emotionalen Frau und andererseits mit einer rationalen Frau. Und tatsächlich stimmt dieser Eindruck – nur dass es sich nicht um zwei unterschiedlichen Personen, sondern um zwei unterschiedliche Identitäten des selben Menschen handelt. Die eine Identität könnte man die „Emotionale“ nennen, die andere die „Rationale“. Man könnte ebenso gut von einer „Weichen“ und einer „Harten“ sprechen oder von einer „Schwachen“ und einer „Starken“. Diese beiden Identitäten sind in Konflikt miteinander geraten, und dieser Konflikt stellt den Kern des Problems dar.
Halten wir an diesem Punkt das Wesen von Problemen fest, das sich in diesem Beispiel so plastisch offenbart: Ein psychisches Problem besteht in einer Identitätskonfusion oder einem Identitätskonflikt.
Im Kontakt mit der Frau drängt sich zudem der Eindruck auf, sie habe sich in der letzten Zeit auf die Seite einer der beiden Identitäten geschlagen, nämlich auf die Seite der 'Harten' oder der 'Starken'. Darin zeigt sich ein weiterer zentraler zentraler Punkt des Problemmechanismus: die Parteinahme. Diese Parteinahme weist darauf hin, mit welcher Identität jemand identifiziert ist, und sie zeigt zugleich, durch welche Identität er gestört wird. Die Frau aus diesem Beispiel ist mit der 'Starken' identifiziert. Zu dieser Identität sagt sie ganz selbstverständlich 'Ich'. Zu der anderen Identität, der 'Schwachen', sagt sie 'Nicht-Ich'. Wobei die Schwache nebenbei bemerkt nicht objektiv schwach ist, sondern lediglich in den Augen der Starken so erscheint.
Ich versus Nicht-Ich
Nun lässt sich ein psychisches Problem beschreiben als die Spannung zwischen zwei Identitäten, wobei man mit einer Identität identifiziert ist und von der anderen Identität, die man für sich ablehnt oder ignoriert, gestört wird.
Ganz schlicht ausgedrückt heißt das: Ein psychisches Problem ist der Konflikt zwischen Ich und Nicht-Ich.
Solch eine Konfusion oder solch ein Konflikt zwischen Ich und Nicht-Ich wird so erlebt, dass sich in der Psyche etwas abspielt, das aus Sicht der vorherrschenden Identität dort nicht hingehört. Es findet etwas Störendes statt, etwas Unangenehmes oder gar Unerträgliches. Andere Bezeichnungen für dieses spannungsreiche Erleben lauten 'psychische Störung' oder umgangssprachlich 'ein Problem'.
Im Falle der Frau findet in ihrer Psyche ein anhaltender Schmerz statt, den sie nicht länger dort haben will. Sie hat nämlich eine bestimmte Vorstellung von sich. Sie sieht sich als selbstbewusste, starke Frau, die auch harte Schicksalsschläge in angemessener Zeit verarbeiten kann. Was ein angemessener Zeitraum ist, legt sie selbst aus ihrer bisherigen Erfahrung fest. Es handelt sich dabei bestenfalls um Monate. Nun allerdings erlebt sie Zustände und Gefühle, die sie selbst nach einem Jahr nicht im Griff hat. Als der Begleiter sie darauf hinweist, dass Menschen, die eine geliebte Person verlieren, oft mehrere Jahre lang trauern sagt sie „Aber das passt überhaupt nicht zu mir.“ Diese Bemerkung zeigt, wie sehr sie mit der Vorstellung, eine starke Frau zu sein, identifiziert ist. Würde man der Frau nun sagen „Sie sind offensichtlich schwächer als Sie glaubten“ oder „Sie sind offensichtlich emotionaler als Sie glaubten“, dann würde sie sagen „Nein, ich bin stark, ich war es mein Leben lang und ich will es wieder sein. Ich muss nur diese Wehleidigkeit überwinden. Diese endlose Trauer und der dauernde Schmerz stören mich gewaltig, sie hindern mich an meinen (gewohnten) Leben.“
Der Eindruck, dass einem etwas passiert, das nicht zu einem gehört, dass in der Psyche merkwürdige Dinge auftauchen, Dinge, die dort laut Selbstbeschreibung nicht hingehören, ist eine grundlegende Voraussetzung dafür, ein Problem zu haben. Es mag sich bei den störenden Wahrnehmungen beispielsweise eine Schwäche handeln, wo man doch meint, stark zu sein. Oder um Zweifel, wo man doch meint stets zu wissen, was zu tun ist. Oder um eine Angst, wo man sich doch gelassen kennt. Oder um eine Niedergeschlagenheit, wo man doch sicher war, ein unerschütterlicher Optimist zu sein. Oder um eine schwere Krankheit, wo man doch glaubte, ein sorgenfreies Leben vor sich zu haben. Oder um Hass und Aggression, wo man sich doch für friedlich hielt. Oder um etwas anderes Störendes.
Was immer in der Psyche an merkwürdigen Wahrnehmungen auftaucht, wenn dadurch ein Problem entsteht handelt es sich um etwas, das auf scheinbar unerklärlicher Weise dort hinein geraten ist und zu dem man nicht ‚Ich’ sagen kann. Man kann sich nicht dahinter stellen, man will es loswerden und den störungsfreien Zustand wieder herstellen.
Widersprüchliche Anweisungen
Nun mag sich in der Psyche zwar etwas Ungewohntes abspielen, aber warum ist das so problematisch? Warum wirkt es störend, unerträglich und belastend? Wie können dadurch schwere Lebenskrisen entstehen? Wieso kann ein Leben unter Umständen derart beeinträchtigt werden, dass es aus den Fugen gerät? Betrachten wir zur Beantwortung dieser Fragen den Konflikt der Frau noch etwas näher unter dem Aspekt der zwei 'Personen' beziehungsweise der zwei Identitäten.
Als 'Starke' fordert die Frau sich auf: „Reiß dich zusammen, geh deiner Arbeit nach, bring deine Angelegenheiten in Ordnung und dann such dir einen neuen Mann! Das Leben geht weiter.“ Als 'Emotionale' fordert sie sich hingegen auf: „Verkrieche dich in der Wohnung und verfluche das Leben dafür, dass es dir die größte Liebe genommen hat. Lass dich gehen, weine, schreie, trauere!“
Die Frau erhält somit zwei widersprüchliche Anweisungen darüber, was sie zu fühlen und was sie zu tun hat. Diese Anweisungen kommen nicht von außen, sondern von ihr selbst, von den jeweiligen Identitäten. Allerdings ist es unmöglich, beiden Anweisungen zu folgen. Entweder sie reißt sich zusammen oder sie lässt sich gehen. Beides geht nicht. Da die Anweisungen der Starken ihr jedoch vertrauter sind, weil sie sich ein Leben lang als stark erlebt hat, versucht sie verständlicher Weise, diesen zu folgen. Dem Bedürfnis, das Leben, Gott und die Welt für die schreiende Ungerechtigkeit zu verfluchen, zu hassen und zu schreien und hemmungslos zu trauern, folgt sie nicht. Diese Emotionen lösen sich nicht auf, sie stören weiterhin und deshalb bleibt ihr das Problem erhalten.
Der Dreh und Angelpunkt eines jeden psychischen Problems liegt darin, dass die am Problem beteiligten Identitäten nicht miteinander vereinbar sind. Sie fordern ein unterschiedliches Denken, Fühlen und Handeln, und diese Gegensätzlichkeit ruft die psychische Störung hervor.
An gegensätzlichen Anweisungen kann man im Extremfall irre werden. Man kann nicht gleichzeitig stark und schwach sein. Oder emotional und rational. Man kann nicht gleichzeitig Schmerz erleben und darüber hinweg sein. Man kann nicht traurig sein und die Sache verarbeitet haben. Man kann zur Zeit nur eines sein. Man muss sozusagen Partei ergreifen, um sich überhaupt irgendwie verhalten zu können; und man ergreift zumeist Partei für die gewohnte, vertraute Identität und nicht für die ungewohnte, störende Identität.
Ein psychisches Problem lässt sich daher auch als spannungsreiches Erleben beschreiben, das durch den Angriff auf eine vertraute Identität und den gleichzeitigen Versuch, diese zu erhalten, entsteht. Dieser Angriff wird aus dem Bereich des Nicht-Ich heraus geführt, aus dem Bereich derjenigen Erlebens- und Verhaltensmöglichkeiten, mit denen man bisher nicht konfrontiert war, mit denen man bisher nicht identifiziert war und von denen man nicht weiß, ob und wie man ihnen folgen soll. Weil man vom Nicht-Ich Anweisungen erhält, von denen man nicht weiß, wohin sie führen oder von denen man zu wissen glaubt, dass sie ins Chaos führen, sträubt man sich gegen sie.
Würde man dem Nicht-Ich folgen fürchtet man, seine bisherige, gewohnte und vertraute Identität verlieren. Seine Identität zu verlieren oder nur von einem Identitätsverlust bedroht zu sein gleicht jedoch einem psychisches Fiasko. Diesen vermeintlichen Untergang gilt es zu verhindern, man hält an der gewohnten Selbstbeschreibung (Identität) fest und dadurch wird der Konflikt zementiert.
Es dreht sich bei psychischen Konflikten demnach fast alles um das Thema Identität.
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