Kitabı oku: «Dolmetschen in der Psychotherapie», sayfa 7

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4.2.1 „Bühne“ und „Rolle“

Berufsgruppen agieren permanent in gesellschaftlichen und kulturellen Zusammenhängen – das trifft auch auf wenig professionalisierte und stark heterogene und fragmentierte Berufsgruppen zu.

Der kanadische Soziologe Erving Goffman vergleicht das soziale Leben mit einer komplexen Bühne, auf der ein Ensemble von DarstellerInnen vor einem Publikum auftritt und in bereits vorgegebene Rollen schlüpft, stets darauf bedacht, die Fassade aufrechtzuerhalten, die Rolle glaubhaft zu verkörpern und gegebenenfalls den vom Publikum an den Darsteller herangetragenen Idealisierungen und Mystifikationen Rechnung zu tragen (vgl. Goffman 1969/2003). Das glaubhafte Verkörpern der Rolle der DolmetscherIn ist in einer gegebenen Situation eng verknüpft mit der Dolmetschkompetenz, die zu dem jeweiligen Zeitpunkt und im jeweiligen Kontext abgerufen werden kann, allerdings ist der Faktor der Präsentation ein nicht zu vernachlässigender: Eine Verdolmetschung kann fehlerhaft und/oder unvollständig sein, und dennoch kann es der DolmetscherIn gelingen, durch ein selbstsicheres Auftreten und eine gelungene Präsentation einen positiven Eindruck beim Publikum zu hinterlassen, d.h. bei der Zuhörerschaft das Gefühl hinterlassen, man habe „alles verstanden“; umgekehrt kann eine vollständige, korrekte Verdolmetschung durch eine mangelhafte Präsentation unglaubwürdig klingen. Goffman beschreibt die Anforderungen an eine Rolle folgendermaßen:

Denn wenn die Tätigkeit des Einzelnen Bedeutung für andere gewinnen soll, muß er sie so gestalten, daß sie während der Interaktion das ausdrückt, was er mitteilen will. Es kann in der Tat vorkommen, daß von dem Darsteller Beweise seiner Fähigkeit nicht nur im gesamten Verlauf der Interaktion, sondern auch innerhalb eines Sekundenbruchteils verlangt werden. Wenn etwa der Schiedsrichter beim Baseballspiel den Eindruck erwecken will, er sei sicher in seinen Entscheidungen, so muß er auf den Augenblick der Reflexion verzichten, der ihm gerade die Sicherheit geben könnte. Er muß sofort eine Entscheidung fällen, damit das Publikum sicher sein kann, dass sein Urteil richtig ist. (Goffman 1969/2003: 24)

Diese Aussage trifft auf das Dolmetschen ebenfalls zu: Es gilt, „innerhalb eines Sekundenbruchteils“ das Original – also den Sprechakt – in sämtlichen Facetten (Inhalt, Bedeutung, Tonlage, Humor, Realien, Anspielungen etc.) zu verstehen und in der Zielsprache so vollständig und so korrekt wie möglich wiederzugeben. Geschwindigkeit ist im Unterschied zum schriftlichen Übersetzen von entscheidender Bedeutung, denn damit eine DolmetscherIn einen kompetenten Eindruck macht, muss sie in der Lage sein, nicht nur korrekt, sondern auch schnell zu arbeiten. Verlangsamungen, die sich durch Sprechpausen und Häsitationen manifestieren, führen dazu, dass insgesamt ein Eindruck entsteht, die DolmetscherIn sei inkompetent und/oder mit der gegebenen Situation überfordert. Bleiben wir bei der Rollenmetapher, so gilt es festzuhalten, dass die DolmetscherIn eben nicht die Möglichkeit hat, ihren Text vorzubereiten und den Vortrag zu üben. Stattdessen geht es in der Dolmetschsituation darum, sämtliche sprachliche und sonstige Wissensbestände „innerhalb eines Sekundenbruchteils“ abzurufen, um die Aufgabe des Verstehens und Verständlichmachens bestmöglich erfüllen zu können. Gefragt ist also eine solide Vorbereitung im Hintergrund im Sinne einer langfristig akkumulierten Kompetenz, sowie eine optimale (improvisierte) Performance der Rolle im Hier und Jetzt.

Goffman definiert mehrere Sonderrollen: „die des Denunzianten, des Claqueurs, des Kontrolleurs, des professionellen Einkäufers und des Vermittlers“ (ebda. S. 90). Goffmans Überlegungen zu der letztgenannten Rolle, der des Vermittlers, thematisieren ethische Dilemmata von DolmetscherInnen (in der Psychotherapie, aber auch in anderen Kontexten):

Der Vermittler erfährt die Geheimnisse beider Seiten und erweckt bei jeder Seite den berechtigten Eindruck, daß er ihre Geheimnisse bewahren werde; er ist aber bestrebt, bei jeder Seite den falschen Eindruck zu erwecken, als sei seine Loyalität ihr gegenüber größer als seine Loyalität gegenüber der anderen Seite (…) Die Tätigkeit des Vermittlers als Individuum ist bizarr, unhaltbar und würdelos, wie sie solchermaßen zwischen Loyalität zu dem einen und zu dem anderen Ensemble hin- und herschwankt. (ebda. S. 90)

Der Loyalitätskonflikt, der aus divergierenden, einander mitunter entgegengesetzten Nutzererwartungen resultiert, kann sich gerade im Kontext der Psychotherapie stark manifestieren, indem jeder der beiden GesprächspartnerInnen versucht, die DolmetscherIn an seine/ihre Seite zu ziehen: einerseits die Psychotherapeutin als die arbeitende Fachperson, die an die Berufsethik der DolmetscherIn appelliert, andererseits die KlientIn als eine GesprächsteilnehmerIn, die darauf angewiesen ist, sich mit Hilfe der DolmetscherIn in einer für sie prekären Situation Gehör zu verschaffen und Hilfe zu bekommen.

Kadrić macht das Bühnen-Konzept von Goffman fruchtbar für die Translationswissenschaft (vgl. Kadrić et al. 2005: 12ff.). Die Bühne setzt sich zusammen aus einer Vorderbühne, die den repräsentativen Bereich darstellt, der von der Öffentlichkeit, also vom Publikum wahrgenommen wird, und einer Hinterbühne, von welcher das Publikum ausgeschlossen ist und wo die Ensemblemitglieder weitgehend ungestört Vorbereitungen für ihren Auftritt auf der Vorderbühne treffen können. Das Handeln der Ensemblemitglieder untereinander, gegenüber dem Publikum und gegenüber der Sache basiert auf Loyalität, Kooperation, Vertrauen und Solidarität.

Die Institutionen dienen dazu, bestimmte Werte der Gesellschaft zu verwirklichen bzw. diese durch Vorgaben und Normen verbindlich zu machen. Die Bestrebungen des Berufsstandes, sein Image in der Öffentlichkeit möglichst positiv darzustellen, wurden bereits thematisiert.

Die Institutionen erwarten, dass ihre Mitglieder bestimmte Rollen, bestimmte Handlungsmuster übernehmen. So werden die Mitglieder zu ‚Darstellerinnen‘, die die institutionserwünschten Handlungsmuster durch die Aneignung von spezifischen Techniken beherrschen, die ihnen bei ihrer ‚Inszenierung‘ helfen. Es geht dabei darum, den Eindruck zu erwecken und zu festigen, dass man als Angehörige einer bestimmten Berufsgruppe alle Kriterien erfüllt, an denen man in der Arbeitswelt gemessen wird: Präzision, Kompetenz, Sachlichkeit, Zuverlässigkeit, Vertrauen. Als ‚Darstellerin‘ bemüht man sich, dieses bestimmte Bild in der Öffentlichkeit zu vermitteln: Man soll als Zugehörige der betreffenden Gruppe alle diese verschiedenen Kriterien erfüllen. (ebda. S. 16)

Die akademische Ausbildung bildet die Hinterbühne für die TranslatorInnen. In diesem Raum werden außer der konkreten Kompetenzvermittlung auch ethische Werte wie Loyalität, Kooperation und Solidarität vermittelt und verhandelt, es findet also eine fachliche Enkulturation oder Rollenarbeit auf der Hinterbühne statt, sodass der Entwicklung einer Translationskultur Vorschub geleistet wird.

4.2.1.1 Sonderposition der Psychotherapie: abseits der Bühne

Das psychotherapeutische Setting ist nachgerade das Gegenteil einer Bühne. Die psychotherapeutische Arbeit findet unter Ausschluss des Publikums statt, im Rahmen der größtmöglichen Verschwiegenheit und Diskretion. Die absolute, garantierte Exklusivität sowie ein radikal individueller Zugang zu jeder KlientIn – also der bewusste Verzicht auf standardisierte Verfahren und Vergleichbarkeit – bilden den besonderen Wert dieser kommunikativen Situation. Die oben erwähnte Bühnenmetapher lässt sich bis zu einem gewissen Grad auf den Berufsstand der PsychotherapeutInnen anwenden, in erster Linie insofern, als die Ausbildungsstrukturen und die rege Vernetzung in Form von regelmäßigen Inter- und Supervisionen der fachlichen Enkulturation und der Weiterentwicklung des Fachs dienen; auf der „Vorderbühne“ agieren PsychotherapeutInnen, indem sie anlassbezogen ihre gewonnenen Einblicke an ein Fachpublikum oder eine interessierte Öffentlichkeit weitergeben. In der konkreten, täglichen Arbeit geht es jedoch darum, einen Raum zu schaffen, in dem traumatisierte Menschen die Möglichkeit erhalten, sich ganz und gar mit dem eigenen, individuellen Erleben auseinanderzusetzen, auf eine Weise, die für sie persönlich passend erscheint; aus der Sicht der KlientInnen handelt es sich um eine Art „Rückzugsraum“ und weniger um eine öffentliche Einrichtung, die mit dem Ziel, etwas Bestimmtes zu erledigen, aufgesucht wird. In Anlehnung an die Theatermetapher könnte man sagen, das psychotherapeutische Setting konstituiert eine wöchentlich wiederkehrende kommunikative Situation, in der die KlientIn die Möglichkeit hat, sich auf einer freiwilligen Basis zu öffnen, Stück für Stück ihre „Maske“ oder ihren „Panzer“ abzulegen (bzw. mit der Unterstützung der PsychotherapeutIn einen Blick hinter die eigene, im normalen Leben notwendig gewordene „Maske“, den eigenen „Panzer“, die eigene „Kulisse“ zu werfen), sich gegebenenfalls mit traumatisierenden Erlebnissen zu konfrontieren, diese Inhalte zu integrieren und jedenfalls einen Weg zu finden, die Gegenwart zu bewältigen und Perspektiven für die Zukunft zu entwickeln.

Nur das Erstgespräch (also das Aufnahmegespräch) in einem Traumabehandlungszentrum folgt einem bestimmten Schema: Da werden routinemäßig die persönlichen Daten abgefragt, es wird festgehalten, durch welche Einrichtung die KlientIn zur Psychotherapie zugewiesen wurde, es wird geklärt, welche Symptomatik besteht und ob und welche Behandlung bereits in Anspruch genommen wurde. Nach Abwicklung des Erstgesprächs findet eine Zuweisung zu einer PsychotherapeutIn statt (meist nach einer Wartezeit, die einige Monate dauern kann), und ab diesem Zeitpunkt beginnt die eigentliche psychotherapeutische Arbeit – unter Ausschluss jeglicher Öffentlichkeit und mit dem einzigen Ziel, eine Annäherung an die persönliche Geschichte der KlientIn zu ermöglichen. Das heißt, ein Gespräch ist nicht dann zu Ende, wenn die notwendigen Informationen ausgetauscht wurden und das weitere Vorgehen geklärt ist, wie dies bei Beratungsgesprächen (z. B. Sozial- und Rechtsberatung) der Fall ist, sondern es ist so, dass eine KlientIn, die einen Psychotherapieplatz zuerkannt bekommen hat, jede Woche eine Stunde Gesprächszeit zur Verfügung gestellt bekommt, die sie auf ihre ganz individuelle Art und Weise nützen kann.

Therapien können sich über Jahre erstrecken. Damit die Erreichung der explizit oder implizit definierten Therapieziele (siehe 3.3.1) gelingen kann, ist es notwendig, dass eine Beziehung zwischen der PsychotherapeutIn und der KlientIn entstehen kann. Am Aufbau dieser Beziehung ist die DolmetscherIn maßgeblich beteiligt – sei es durch aktive Teilnahme, sei es durch bewusste Zurückhaltung – und ist außerdem im Idealfall ein integrierter, kontinuierlicher Bestandteil dieser Beziehung.

In der Landschaft des Community Interpreting (Behörden, medizinische und soziale Einrichtungen, Gerichte etc.) nimmt die psychotherapeutische Behandlung eine Sonderrolle ein, insofern als es nicht darum geht, ein bestimmtes „Ziel“ zu erreichen, im Sinne einer Bestätigung oder Erlangung einer konkreten Berechtigung, sondern das eigentliche Ziel der Psychotherapie ist die psychotherapeutische Arbeit selbst: eine auf freiwilliger Basis erfolgende Auseinandersetzung mit den eigenen Erinnerungen und Emotionen. Zwar können psychotherapeutische Gutachten im Asylverfahren ein gewisses Gewicht erlangen, aber im Prinzip dient eine Psychotherapie keinem bestimmten Zweck, der sich im Asylverfahren in einem bürokratischen Sinne „verwerten“ ließe. Für die DolmetscherInnen geht diese Erkenntnis mit der Anforderung einher, bereit zu sein, sich auf die spezifische, psychotherapeutische Kommunikation einzulassen, Teil des Beziehungsgeflechts zu sein, Übertragungen und Gegenübertragungen in der Triade ausgesetzt zu sein und diese zu reflektieren (sei es mit Hilfe der jeweiligen PsychotherapeutIn, sei es im Rahmen der Supervision) und aktiv auf das eigene psychische Wohlbefinden zu achten.

4.2.2 Überlegungen zur Ethik

Kadrić (2016) thematisiert Haltungen und Werte im Zusammenhang mit dem Dolmetschen und hebt die Wahrung der Menschenwürde hervor, als einen Wert, dem DolmetscherInnen, indem sie einen „Dienst am Menschen“ verrichten, verpflichtet sind. In Situationen, in denen sich moralische Dilemmata manifestieren, müssen DolmetscherInnen den Menschen, mit dem und für den sie sprechen, berücksichtigen. Menschenwürde als ein zentraler Begriff bedeutet auch eine didaktische Herausforderung, und zwar im Sinne einer emanzipatorischen Didaktik, die das (Dialog)Dolmetschen folgendermaßen definiert:

(…) ein Tätigkeitsfeld, in dem emanzipatorisches Handeln besonders effektiv ausprobiert werden kann – neben der Textarbeit und Entdeckung sprachlicher und kultureller Differenzen können soziale Konventionssysteme, Machtdifferenzen und beeinflussende Konzepte analysiert werden, der Umgang mit ihnen reflektiert und Alternativen ausprobiert werden. Und überall dort, wo es um tief menschliche Themen geht, ist die Wahrung der Würde zentral. Es geht beim Lernen weniger um Wissen, nicht einmal um exakt definierbare Verhaltensregeln, sondern um eine Haltung, die hinter der Berufsausübung stehen soll. Die Haltung selbst ist freilich ein Gebot, das sich aus moralischen und rechtlichen Prinzipien ableiten lässt. (Kadrić 2016: 111)

Im Kontext der Psychotherapie ist der Begriff der Würde des Menschen von zentraler Bedeutung.

Berufskodizes resultieren aus dem Bestreben und dem Wunsch sicherzustellen, dass die Verbandsmitglieder sich an bestimmte Normen halten und ihren Beruf mit einer verantwortungsbewussten Einstellung ausführen (siehe die Auseinandersetzung mit dem Verhaltenskodex des Internationalen Konferenzdolmetscherverbandes AIIC; Kadrić et al 2005: 17ff.). Von hohen Standards innerhalb einer Berufsgruppe profitieren alle Beteiligten, bzw. gilt im Umkehrschluss, dass eine Missachtung solcher Standards einen Imageschaden des Berufsstands zu Folge haben kann.

Soweit die Theorie. In der Praxis sind DolmetscherInnen häufig auf sich allein gestellt und müssen die Erfahrung machen, dass die formulierten Normen sich mit den realen Situationen, denen sie ausgesetzt sind, in die sie oft „hineingeworfen“ sind, nicht decken und sich daraus keine Handlungsanweisungen ableiten lassen.

Ozolins weist darauf hin, dass in Situationen, in denen nichtprofessionelle DolmetscherInnen zum Einsatz kommen, sich die Frage nach der ethischen Verantwortung stellt: Ist eine LaiendolmetscherIn verpflichtet, sich an den Berufskodizes zu orientieren und professionelle Verantwortung zu übernehmen? Es ist möglich, dass eine LaiendolmetscherIn sich ihrer ethischen Verantwortung gar nicht bewusst ist. In einem solchen Fall ist die Person, die den Arbeitsauftrag an die LaiendolmetscherIn vergeben hat, die eigentliche Trägerin der ethischen Verantwortung, auch wenn er/sie wenig Vorstellung von den Implikationen dieser Entscheidung hat, weil er/sie über mangelhaftes Wissen über die Anforderungen an das Dolmetschen verfügt (2015: 319).

Bahadır diskutiert berufsethische Aspekte im Spannungsfeld zwischen Verantwortung und Freiheit und plädiert dafür, situativ notwendige Grenzüberschreitungen (z. B. aus der Rolle fallen, mehrere Rollen auf einmal spielen wollen oder müssen) als „Kratzer auf der Oberfläche der professionellen Identität und Handlungsweise des Dolmetschers“ (2007: 214) zu betrachten und diese Kratzer nicht etwa zu ignorieren oder wegzupolieren, sondern sich im Gegenteil aktiv damit auseinanderzusetzen:

Eben diese Kratzer gilt es zu vertiefen (…) Kratzer bedeuten, dass man Schmerz verspürt und dadurch sich selbst intensiver wahrnimmt. Sein Tun wahrnehmen, in jeder Situation von neuem und als neu, bedeutet wiederum, dass Leitsätze, aufgestellt durch die institutionalisierte Form einer Tätigkeit (z. B. durch Berufsverbände) nicht mehr als immer und überall leitend, sondern als ‚Leitungsangebot‘ angesehen werden können. (Bahadır: 2007: 214).

Die Dolmetschtätigkeit bringt oft „eine besondere Art des Völlig-auf-sich-selbst-gestellt-Seins, eine Art Einsamkeit und In-eine-Situation-Geworfensein mit sich“ (2007: 216). Somit sollte die Fähigkeit, sich mit sich selbst auseinander zu setzen, als hilfreich angesehen werden. Bahadır ortet jedoch stattdessen eher ein Bedürfnis nach Eskapismus und Reduktionismus im Hinblick auf Selbstreflexion. Die Fähigkeit, Ereignisse während des Dolmetschens schnell und effektiv zu verarbeiten, würde somit als professionell distanziert bewertet.

Im psychotherapeutischen Setting sind DolmetscherInnen mit Inhalten konfrontiert, von denen sie sich auch berühren lassen (müssen), und von denen sie sich auf welche Weise auch immer abgrenzen müssen. Abgrenzung bedeutet jedoch nicht, einer Auseinandersetzung mit diesen Inhalten aus dem Weg zu gehen, sondern es bedeutet vielmehr, einen (individuellen) Weg zu finden, mit ihnen konstruktiv umzugehen, auch und gerade durch den Versuch, die Frage „Was haben diese Inhalte mit mir persönlich zu tun?“ für sich selbst zu beantworten.

Im praxisnahen UNHCR-Trainingshandbuch für DolmetscherInnen im Asylverfahren werden vier ethische Anforderungen an die DolmetscherInnen formuliert: Vertraulichkeit, Unparteilichkeit, Genauigkeit und Vollständigkeit sowie ein respektvoller Umgang mit den GesprächsteilnehmerInnen (Hebenstreit & Marics 2015: 74ff.). Zugleich betonen die beiden AutorInnen, dass DolmetscherInnen im Asylverfahren immer auch mit Dilemmata konfrontiert sein können, für die es keine Patentrezepte gibt (ebda. S. 78). Es wird in solchen Fällen empfohlen, das Problem zu identifizieren, zu klären, ob ein moralisches Problem besteht, sich die eigenen Wertvorstellungen im Bezug auf das Problem bewusst zu machen, mögliche Handlungsoptionen zu beschreiben, Optionen abzuwägen und eine Entscheidung zu treffen und schließlich das Ergebnis der Handlung zu bewerten und darüber nachzudenken, was man hätte anders machen können bzw. was man in künftigen Situationen anders machen würde. In der konkreten Dolmetschsituation müssen solche Entscheidungen jedoch meist unter großem Zeitdruck sehr rasch getroffen werden. Wichtig ist jedoch, solche Situationen als Lernmöglichkeiten zu begreifen. Die hier dargestellten ethischen Anforderungen eignen sich auch für den Bereich der Psychotherapie.

Hale berichtet von einer 2005 in Australien durchgeführten Studie zum Thema Berufskodex. Von den 500 an DolmetscherInnen ausgeschickten Fragebögen wurden lediglich 21 ausgefüllt und retourniert – wohl ein Hinweis auf die Indifferenz, mit der die AkteurInnen aus der Praxis diesem Forschungsthema begegnen (2007: 102). Ein verbindlicher Berufskodex für den Bereich des Community Interpreting ist noch keine ausreichende Maßnahme, um die Qualität zu steigern:

There is large contradiction between the high standards expected of interpreters, as outlined in the code of ethics on the one hand, and the total absence of any compulsory pre-service training, low institutional support and poor working conditions to allow interpreters to meet those standards on the other. In view of this, some have questioned whether it is realistic to expect community interpreters to adhere to a code. (2007: 105)

Die hier aufgeworfene Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen dessen, was man von LaiendolmetscherInnen tatsächlich in der konkreten Arbeit erwarten kann, stellt sich im Alltag in den einschlägigen Einrichtungen beispielsweise auch auf der Ebene der Supervisionstreffen: Inwiefern ist es möglich, ausgebildete DolmetscherInnen und LaiendolmetscherInnen, die in einer Einrichtung unabhängig von ihrer Ausbildung zum gleichen Stundenlohn Seite an Seite arbeiten, zu motivieren, Supervisionstreffen oder Fortbildungen zu besuchen, angesichts der äußerst prekären und schwer planbaren Beschäftigungsverhältnisse? Supervisionstreffen oder sonstige Gruppentreffen bieten eine – wenn nicht die einzige – strukturierte oder halb-institutionalisierte Gelegenheit im Arbeitsalltag, um sich mit berufsethischen Anliegen auseinanderzusetzen. Beispielweise beschreibt Pinzker eine Erfahrung, die sie als ausgebildete Dolmetscherin zu Beginn ihrer Tätigkeit in der Psychotherapie gemacht hat und die sie zu berufsethischen Überlegungen veranlasst hat: Obwohl sie in ihrer Ausbildung gelernt hatte, sich von den gesprochenen Inhalten zu distanzieren und also keine Stellung zum Gesagten zu beziehen, und diese Anforderung auch in ihrer Berufsethik verinnerlicht hatte, gelang es ihr nicht, ihren Schock oder ihre Skepsis zu verbergen, sowohl im Hinblick auf die Arbeitsweise einer Psychotherapeutin, als auch im Hinblick auf die Aussagen eines Klienten. Zwar hielt sie sich auf der Wortebene jeweils an das Original, aber ihre Körpersprache und die unwillkürliche Modulation ihrer Stimme verrieten ihre emotionalen Reaktionen auf das Geschehen. Sie war also trotz ihres rationalen Wissens um die Notwendigkeit, sich distanziert und zurückhaltend zu verhalten, nicht in der Lage, ihre Emotionen ganz zu verbergen, was ihrer Meinung nach reale Auswirkungen auf den weiteren Gesprächsverlauf hatte, indem ihre eigene Haltung sich auf ihr Gegenüber übertrug. Pinzker zieht daraus die Schlussfolgerung, dass es eine vielschichtigere und flexiblere Ethik des Dolmetschens braucht, eine, die nicht auf dem Mythos der Neutralität beruht, sondern „auf dem Anerkennen des Mensch-Seins, Beteiligtseins und der daraus erwachsenden Notwendigkeit der Reflexion“ (2015: 66). Daraus leitet sie die Forderung ab, die Rolle der DolmetscherInnen in den entsprechenden Einrichtungen aufzuwerten und Schulungen anzubieten, die auch Inhalte umfassen, die über das Dolmetschen hinausgehen, wie etwa Psychotherapiemethoden, Trauma und Traumatherapie, Lebensbedingungen von AsylwerberInnen, Asylgesetzgebung etc.

Auch Tribe & Sanders vertreten die Meinung, dass sowohl das medizinische Personal (clinicians) als auch DolmetscherInnen eigens geschult werden sollen, um die PatientInnen optimal versorgen zu können, insbesondere im Bezug auf psychische Gesundheitsversorgung (mental health). Diesbezüglich orten sie fehlendes Bewusstsein bei einigen MedizinerInnen, die das Dolmetschen als eine reine Hilfstätigkeit betrachten, die unbezahlt verrichtet werden sollte: „Some of the clinicians (paid) felt that it should remain a ‚Cinderella‘ service, with the interpreters undertaking their work on a voluntary basis or being paid a minimum amount. The reasons given were that they were not professionals and had no recognised training“ (2003: 57). DolmetscherInnen sollten zwischen Psychiatern, Psychologen, Psychotherapeuten und psychosozialen Beratern differenzieren können, außerdem Bescheid wissen über posttraumatische und somatische Reaktionen, Depressionen etc. Zudem sollten DolmetscherInnen laut Tribe & Sanders bereits im Vorfeld auf schwierige Situationen vorbereitet werden, wie etwa darauf, dass KlientInnen auf sie zukommen könnten mit der Bitte, gewisse Informationen nicht an den Psychotherapeuten weiterzugeben, oder auch darauf, dass KlientInnen psychotische Reaktionen an den Tag legen könnten. Die Grundzüge der Rolle der DolmetscherIn sollte ebenfalls bei solchen Fortbildungen vermittelt werden, beispielsweise an Hand von Rollenspielen. Andere wichtige Punkte sind ethische Überlegungen, die Bedeutung absoluter Verschwiegenheit und die Bedeutung des exakten Dolmetschens, also das Bestreben, möglichst nahe an der Wortwahl der KlientIn zu bleiben (2003: 58ff.). Tribe & Sanders präsentieren außerdem eine Liste von Richtlinien für die Arbeit mit DolmetscherInnen und plädieren insgesamt dafür, dem Dolmetschen als Tätigkeit und der DolmetscherIn als Person genügend Zeit und Raum einzuräumen (2003: 61ff.).

Der Familientherapeut Maxwell Magondo Mudarikiri berichtet von einer Episode, die anschaulich zeigt, was passieren kann, wenn die Präsenz der DolmetscherIn und ihre aktive Teilnahme am Gespräch nicht ausreichend Berücksichtigung finden (2003: 189): Eine Patientin vertraute sich der Dolmetscherin an, und diese gab die Informationen nicht an den Therapeuten weiter, sondern unterhielt sich mit der Patientin und ging auf ihre Sorgen ein. Erst auf Nachfrage des Therapeuten erzählte sie, dass sie die Klientin um Erlaubnis gebeten hatte, die Informationen an den Therapeuten weiterzugeben. Selbstkritisch stellt Mudarikiri fest, dass er es verabsäumt hatte, die Dolmetscherin über ihre Rolle aufzuklären, da er davon ausgegangen war, dass die Dolmetscherin wissen würde, was zu tun war – dies war allerdings offenbar nicht der Fall.

With hindsight I would have benefited from making adequate time available prior to the start of this session in order to build up a working relationship with the interpreter, and to clarify the roles that each of us would take in the work. I had not created the space to empower the interpreter to make an equal contribution to the work before it was started. The interpreter may not have had a context from which to make sense of the questions that I was asking, and what theoretical ideas were underpinning my questions (2013: 190).

Die von Mudarikiri berichtete Episode zeigt anschaulich, dass man in der gemeinsamen Arbeit in der Regel aus den „Fehlern“ lernt, beziehungsweise durch die Bereitschaft, über solche Fehler zu reflektieren.

Aus den in diesem Abschnitt angeführten Aussagen geht hervor, dass eine Ethik des Dolmetschens – unabhängig von der Ausbildung der DolmetscherInnen – auch denjenigen, die mit DolmetscherInnen arbeiten, ein Anliegen sein muss. Ein ethisches Verhalten kann von DolmetscherInnen allerdings nur dann eingefordert werden, wenn zugleich die DolmetscherIn als eine Person betrachtet wird (und nicht als eine Un-Person). Mudarikiri nimmt diesbezüglich auch die Seite der MedizinerIn in die Pflicht:

There is no active observer to an interaction who does not influence what he or she observes. Therefore, the notion that interpreters can carry out their work as if they have no prior cultural or familial context, or views and opinions is unhelpful. At worst it can be a dangerous view to hold as it generates a model of work where interpreters are seen as having no more than a mechanical translating role in the work. The interpreter will bring their personhood, life experience, and work experience into an encounter with the clinician and service user. Embracing the personal qualities of the interpreter into the work can have an enhancing effect, rather than becoming a problem that has to be overcome. To utilise the interpreter effectively requires training on the part of the clinician. (2003: 190)

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