Kitabı oku: «Das lange 19. Jahrhundert», sayfa 4

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In Deutschland meldeten sich nationale Literaten zu Wort und propagierten einen deutschen „Nationalismus“, der dem Übel der französischen Besatzung ein Ende bereiten sollte. Sie propagierten eine spezifisch deutsche Identität und grenzten sich so vom hegemonialen Frankreich ab, das zum Hort allen Übels erkoren wurde. Gleichzeitig wurden „emotionale Bindungen auf das Kollektiv“ übertragen und eine „eine Sakralisierung des Vaterlands“ (Planert, 2004) vorgenommen. Johann Wolfgang von Goethe machte sich über „Deutschlands Zukunft“ Gedanken und schrieb 1813, dass die Deutschen „eine große Bestimmung haben, eine Bestimmung, welche um so viel größer sein wird denn jenes gewaltige Werk der Zerstörung des Römischen Reichs“ (Pollmann, 1989). Johann Gottlieb Fichtes „Reden an die deutsche Nation“ waren schon im Titel ein Programm und hatten die Deutschen bereits 1808 aufgefordert, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen und „Großes zu vollbringen.“ Aber der deutsche Nationalismus stand vor dem Problem, auf welches Deutschland er sich beziehen sollte. So lange Preußen und Österreich eigenständige Staaten waren, machte die Vorstellung einer Identität aller Deutschen als Angehörige einer Abstammungsgemeinschaft mit gemeinsamer Kultur und Sprache keinen Sinn. Die patriotischen Hoffnungen zielten also nicht auf eine geeinte Nation, sondern erst auf das „Heilige Römische Reich“ unter habsburgischer Führung und als das nicht mehr bestand auf den Rheinbund. Dabei forderten Johann Gottlieb Fichte und andere eine Abkehr von Napoleon und eine Hinwendung zu einem selbständigen deutschen Staat. Sie wollten ein neues Gemeinwesen, dass die Macht der Fürsten einschränkte und an Gesetze band.

Während der „Franzosenzeit“ wirkten die nationalen Zirkel im Verborgenen, hatten keine öffentliche Strahlkraft. Mit den steigenden Repressionen durch französische Truppen in Deutschland wurden die Rufe nach einem „nationalen Zusammengehen“ aber lauter. Alsbald mischten sich bei Theodor Körner oder Achim von Arnim Beschwörungen zum „heiligen Krieg“ oder zum „Kreuzzug“ gegen Frankreich in die romantisierenden nationalen Klagen. Nach der Niederlage Napoleons in Russland, dem königlichen Aufruf zum Widerstand gegen Frankreich und der begeisterten Rezeption durch die preußische und darüber hinaus deutsche Bevölkerung wurden nationale Lieder, Gedichte und Karikaturen verfasst, die Ausdruck eines gewachsenen deutschen Nationalismus waren. Preußen war nun Hoffnungsträger der Befreiung vom Joch der französischen Besatzung und wurde von der „Lyrik der Befreiungskriege mit jener transzendenten Macht ausgestattet, die bisher nur der Religion vorbehalten war“ (Planert, 2004). Ernst Moritz Arndt griff religiöse Überhöhungen in seinem „Kriegskatechismus“ auf und sprach davon, dass es „blutige Tyrannen“ gewesen seien, die „Freiheit und Gerechtigkeit“ getilgt hätten. Ohne die Franzosen oder Napoleon beim Namen zu nennen, wusste jeder wer oder was gemeint war.

Die nationale Euphorie, die man in Deutschland ausmachen konnte, äußerte sich in Preußen etwas zurückhaltender. Der Staat war erst 1701 gegründet worden, konnte also kaum auf eine lange eigene Entstehungsgeschichte zurückblicken, die Stolz oder Glücksgefühle hätte vermitteln können. Der Nationalismus blieb in Preußen intellektuellen Zirkeln und Debattierclubs vorbehalten, die Schriften Johann Gottfried Herders, Friedrich Schleiermachers, Johann Gottfried Fichtes oder Ernst Moritz Arndts machten vor allem in den übrigen deutschen Ländern die Runde. Zwar hatte der Staatswissenschaftler und Publizist Friedrich Carl von Moser den Deutschen ins Stammbuch geschrieben, dass für die meisten von ihnen, das Stück Erde, auf dem sie geboren wurden, ihr „wahres und alleiniges Vaterland“ sei. Dennoch war die Konfrontation mit der französischen Besatzung die Geburtsstunde eines nationalen Gemeinsamkeitsgefühls der Deutschen, das weit über die eigene Scholle hinausging. Für Johann Gottlieb Fichte waren die Deutschen das „unverfälschte Volk, das gegen die militärische wie kulturelle Unterjochung durch Frankreich um seine Freiheit und Identität kämpft.“ Ohne diese Identität näher zu definieren, war Fichte und anderen klar, dass sie sich als Gegenwehr zur Herrschaft der Franzosen entwickelt hatte. Friedrich Ludwig „Turnvater“ Jahn ließ die deutsche Jugend über Bock und Seil springen, um sie fit zu machen für den Kampf gegen Napoleon und Ernst Moritz Arndt schließlich erklärte den blutigen Hass gegen Frankreich zur Religion, die in der Anbetung des Vaterlands münden sollte. Die französische Besatzung hatte einen deutschen Nationalismus mit zwei Elementen geweckt: Der eigenen nationalen Überhöhung und der Herabwürdigung der französischen Besatzer. Beides wird die Beziehung der Nachbarvölker für die kommenden 150 Jahre kennzeichnen.

Einer allein ist nicht stärker als die anderen zusammen

Nach dem französischen Rückzug aus Russland begannen sich die europäischen Großmächte um eine antifranzösische Koalition zu bemühen. Die nationale Begeisterung in Deutschland kannte kaum Grenzen, als im Frühjahr 1813 Preußen und Russland Frankreich den Krieg erklärten. Bald darauf trat auch Österreich der antifranzösischen Koalition bei und erklärte Frankreich ebenfalls den Krieg. Im Sommer 1813 standen auf französischer Seite etwa 190.000 Soldaten aus Frankreich, Italien, dem Königreich Neapel, dem Herzogtum Warschau und aus einigen kleineren Staaten des Rheinbunds. Die Koalition brachte ein paar Tausend Soldaten mehr aus Preußen, Russland, Österreich und Schweden auf das Schlachtfeld vor den Toren Leipzigs. In der „Völkerschlacht“, die vom 16. bis zum 19. Oktober 1813 stattfand, erlitt Frankreich eine Niederlage, Napoleon konnte der eigenen Gefangennahme nur durch eine überstürzte Flucht entgehen. Am gleichen Tag desertierten die Truppen der Rheinbundstaaten und läuteten das Ende der französischen Herrschaft in Deutschland ein. Als Napoleon das vom österreichischen Außenminister Clemens Fürst von Metternich übermittelte Friedensangebot ablehnte, britische Truppen aus Spanien vorrückten und die Koalitionstruppen Ende März 1814 vor den Toren von Paris standen, dankte er am 6. April 1814 ab und ging auf Elba ins Exil.

Während die Siegermächte in Wien schon über eine Nachkriegsordnung in Europa diskutierten, kehrte Napoleon am 1. März 1815 aber noch einmal nach Paris zurück, wo ihn seine Anhänger mit großem Jubel empfingen. König Ludwig XVIII. musste fliehen, Napoleon dachte ein leichtes Spiel zu haben und erlies ein liberales Regierungsprogramm. Aber die Anti-Frankreich-Koalition reagierte sofort, stellte erneut ein Heer zusammen und zog am 18. Juni 1815 bei Waterloo in der Nähe von Brüssel erneut gegen Napoleon in die Schlacht. Als der Tag sich seinem Ende zuneigte, war die Entscheidung gefallen: Napoleon war besiegt und Europa von der französischen Vorherrschaft endgültig befreit. Der geschlagene Napoleon dankte ein zweites Mal ab und wurde erneut verbannt; dieses Mal auf die kleine Insel St. Helena im südatlantischen Ozean, wo der einstige Imperator am 5. Mai 1821 einsam und – wie er meinte - von der Welt unverstanden, starb.

Napoleons Versuch, den Kontinent unter die Hegemonie eines Staates zu zwingen, war endgültig missglückt. Eine Einheit Europas unter französischem Protektorat war genauso zum Scheitern verurteilt, wie ein „arisches“ Europa unter deutschem Vorzeichen, das 120 Jahre später vom nationalsozialistischen Deutschland initiiert wurde. Auf Dauer war es Frankreich am Beginn des 19. Jahrhunderts nicht gelungen, genügend Macht und Stärke zu entwickeln, um das europäische Gleichgewicht langfristig zu seinen Gunsten zu verändern. Vitalität und Widerstandskraft der europäischen Völker waren stärker als die militärische Gewalt des nach der Alleinherrschaft strebenden französischen Kaisers. Ein weiteres Mal hatte sich gezeigt, dass Europa aus vielen Mitgliedern besteht, von denen keines groß und mächtig genug ist, um die anderen unter seine Fuchtel zu zwingen: Einer allein ist nicht stärker als die anderen zusammen.

Am Ende der mehr als 10jährigen Besatzung durch die Franzosen und nach den Entbehrungen vieler europäischer Kriege fragten sich die Menschen in Deutschland, warum sie all das jahrelang ertragen haben. Familien, deren Väter oder Söhne auf irgendeinem Schlachtfeld liegen geblieben waren, wollten eine Antwort auf die Fragen, warum das Blut ihrer Angehörigen fließen musste. Nationalen und liberalen Intellektuellen gelang es, diese Fragen mit dem politischen Ziel eines geeinten Deutschlands zu verbinden. Einer der Wortführer war der Herausgeber des „Rheinischen Merkur“ Johann Joseph Görres. Er setzte sich in seiner Zeitung für liberale Ideen ein, wünschte sich „die nationale Freiheit der Deutschen“, und forderte im Sommer 1815 eine deutsche Verfassung:

“Etwas Ganzes und Rechtes soll da werden, und man soll die Stimme des Volkes befragen, (die) an allen Orten spricht. Deutschland will eine Verfassung, die sichere, was das Volk mit seinem Blut erworben hat“.

Diese pathetischen Zeilen dürften auch eine dunkle Vorahnung des Urhebers beinhaltet haben, denn die Ordnung, die die europäischen Potentaten nun ausarbeiteten, nahm auf nationale Wünsche oder Befindlichkeiten keine Rücksicht. Einzig die Angst vor erneuten Revolutionen und Umstürzen, bei denen die Monarchien in Mitleidenschaft gezogen werden würden, trieb die europäischen Regenten an, als sich daran machten, eine Nachkriegsordnung zu verabreden. Die Deutschen in der Mitte des Kontinents fühlten sich zwar einerseits als Sieger über Napoleon, befürchteten aber andererseits auch, Opfer im Machtpoker…

3 Wiener Kongress und Restauration

… der europäischen Großmächte zu werden. Die trafen sich vom 18. September 1814 bis zum 9. Juni 1815 in der österreichischen Hauptstadt zum Wiener Kongress. Für viele Beobachter war dieser Kongress eine Ansammlung von europäischen Regenten und Potentaten, die sich vor allem auf Bällen und anderen Vergnügungen herumtrieben. Für die Kritiker war der Kongress der Triumpf der Reaktion, eine Niederlage aller nationalen und liberalen Vorstellungen und eine Abkehr von den Idealen der Französischen Revolution. Alte Monarchien wurden in Frankreich, Spanien oder Neapel wieder eingesetzt und das politische System des 18. Jahrhunderts restauriert. Obendrein wurde das Presserecht eingeschränkt und all jenen schwere Repressalien angedroht, die gegen die in Wien entstehende Ordnung opponieren würden. Die Deutschen waren durch einige Territorialfürsten vertreten, die in bewährter Manier die Interessen ihres Sprengels in den Vordergrund stellten. Tatsächlich ging es den auf dem Kongress versammelten Politikern um ein europäisches Gleichgewicht, das Deutschland nicht allzu sehr schwächen, Frankreich hingegen nicht allzu sehr stärken sollte. Preußen und Österreich bekamen die Funktion des Ausbalancierens dieser Konstruktion, während der Deutsche Bund in der Mitte Kontinents als Puffer zwischen Russland im Osten und Frankreich im Westen dienen sollte.

In diesem gesamteuropäischen Zusammenhang ignorierten die Verhandlungsdelegationen die nationalen Befindlichkeiten oder liberalen Forderungen – nicht nur in Deutschland, sondern auch anderswo. Unter Berücksichtigung der politischen Gegebenheiten des frühen 19. Jahrhunderts war der Wiener Kongress eine erfolgreiche Verhandlungsrunde, der sich bis 1822 eine regelrechte Gipfeldiplomatie anschloss. Dabei versuchten die Monarchen oder ihre Außenminister die in Wien erzielten Ergebnisse in eine dauerhafte europäische Friedensordnung münden zu lassen. Beim Wiener Kongress agierten die Delegationen pragmatisch. Sie wollten für einen verunsicherten Kontinent stabile Grenzen und gemeinsame Sicherheit schaffen. Nach dem Westfälischen Frieden, bei dem 1648 die europäischen Großmächte ein neues europäisches Sicherheitssystem ausgehandelt hatten, war der Wiener Kongress der zweite Versuch einer Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Die „KSZE von Wien“ diente ebenfalls der seit dem Westfälischen Frieden immer wieder formulierten Suche nach einer dauerhaften Friedensordnung für Europa. Bezogen auf den europäischen Kontinent war der Kongress zweifellos erfolgreich, denn er läutete eine relativ lange Phase des Friedens in Europa ein. Abgesehen von den beiden Befreiungskriegen in Griechenland und Belgien blieb es bis zur Mitte des Jahrhunderts friedlich. Allerdings wirkte der Kongress auch deshalb Frieden stiftend, weil Europa seine militärischen Aktivitäten vorwiegend nach Übersee verlegt hat: Allein England hat zwischen 1837 und 1901 in der Regierungszeit von Queen Victoria mehr als 70 Kriege in aller Welt geführt (Zamoyski, 2014).

Im September 1814 versammelten sich also 15 gekrönte Häupter aus Europa, etwa 200 Fürsten und mehr als 100 Diplomaten in Wien. In prunkvollen Villen und Versammlungsorten begann neben den diplomatischen Verhandlungen ein buntes Treiben gesellschaftlicher Ereignisse. Bald machte das Wort vom „tanzenden Kongress“ die Runde, das einerseits die Realität richtig beschrieb, andererseits aber die Wirkung derartiger Veranstaltungen übersah. Denn dabei kamen sich die Delegierten näher, lancierten Kompromissangebote oder diplomatische Botschaften, die anschließend in die offiziellen Verhandlungen eingeführt wurden. Der Kongress tagte und tanzte und manche Teilnehmer wunderten sich über das geradezu höfische Leben, das die Österreicher ihren Gästen anboten. So stöhnte der österreichische Erzherzog Johann über die ständigen „Visiten und Gegenvisiten“, lästerte über Feuerwerk und Fressgelage, die über die Spannungen zwischen den Verhandlungspartnern aber nicht hinwegtäuschen könnten. Der österreichische Außenminister Clemens Fürst von Metternich führte den Vorsitz des Kongresses, deren Teilnehmer sich bei allen Unterschieden in einem einig waren: Eine weitere Revolution dürfe es in Europa zukünftig nicht wieder geben.

Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa

Neben dem Vorsitzenden war der französische Außenminister Charles Maurice de Talleyrand einer der wichtigsten Köpfe der Konferenz. Frankreich als Aggressor hatte in sechs so genannten Koalitionskriegen zwischen 1792 und 1814 gegen alle europäischen Großmächte gekämpft: Von 1792 bis 1797 gegen Österreich und Preußen, von 1799 bis 1802 gegen England, Österreich, Russland, Portugal und das Osmanische Reich, 1805 gegen Österreich, England, Russland und Schweden, zwischen 1806 und 1807 gegen Preußen, Russland, England und Schweden, 1809 gegen England und Österreich und schließlich von 1812 bis 1814 gegen eine multinationale europäische Allianz, die die Befreiung des Kontinents von der französischen Besatzung nach der Völkerschlacht von Leipzig im Oktober 1813 erreicht hatte. Trotz dieser Ausgangslage gelang es Frankreich Ende Mai 1814 in Paris mit den Koalitionsmächten einen separaten Frieden zu schließen, der Frankreich neben Preußen, Russland, England und Österreich im Quintett der europäischen Großmächte beließ. Frankreich durfte nach dem Frieden von Paris seine Grenzen von 1792 behalten und wurde sogar um einige Enklaven im deutsch-belgischen Grenzgebiet erweitert. England, Portugal und Schweden gaben die von Frankreich eroberten Kolonien zurück. Gleichzeitig wurde den im ehemaligen Rheinbund zusammengefassten deutschen Staaten die Unabhängigkeit garantiert.

Damit konnte Frankreich als gleichberechtigter Partner am Verhandlungstisch mit den alliierten Kriegsgegnern der Anti-Frankreich-Koalition Platz nehmen und Außenminister Charles Maurice de Talleyrand, den Napoleon wegen „verräterischer Umtriebe“ entlassen hatte, war in seinem Element. Frei nach seinem Wahlspruch „Opposition ist die Kunst, so geschickt dagegen zu sein, dass man später dafür sein kann“ gelang es ihm, Frankreich als Teil der alliierten Siegerallianz erscheinen zu lassen. Da Frankreich nach der Niederwerfung des korsischen Imperators wieder in den Kreis der Monarchien zurückgekehrt sei, so Talleyrands Logik, gebühre seinem Land auch das volle Mitspracherecht bei der Neugestaltung Europas. Neben Zar Alexander, dem österreichischen Kaiser Franz I. und Preußens Friedrich Wilhelm III. fand auch der englische Außenminister Viscount Castlereagh dieses Argument überzeugend und ließ seinen französischen Amtskollegen gewähren. Die Siegermächte der Napoleonischen Kriege behandelten Frankreich aber auch deshalb so gnädig, weil sie die wieder eingesetzte bourbonische Monarchie nicht mit Kriegskosten belasten wollten, die das Land hätten destabilisieren könnten.

Zu Beginn der Verhandlungen kam es über das Schicksal Polens zu einer schweren Krise, die beinahe zu einem Krieg zwischen den Großmächten geführt hätte (Just, 2014). Polen - bis 1770 das zweitgrößte europäische Land - war am Ende des 18. Jahrhunderts der Raubgier seiner preußischen, russischen und österreichischen Nachbarn zum Opfer gefallen. 1772 hatten Preußen, Russland und Österreich ihren lang gehegten Wunsch in die Tat umgesetzt und rund 30 Prozent des polnischen Staatsgebietes annektiert. Der preußische König Friedrich II. hatte sich Westpreußen, das Kulmerland, Hinterpommern und die Kurmark einverleibt. Österreich hatte Galizien mit der Hauptstadt Lemberg und Russland einen Streifen zwischen Riga und Smolensk bekommen. Das polnische Drama von raffgierigen Nachbarn umzingelt zu sein, ging im Januar 1793 mit der zweiten polnischen Teilung weiter. Dieses Mal hatte Russland den Rest der Ukraine und Weißrussland okkupiert, während Preußen um das so genannte Südpreußen mit Posen erweitert worden war. Nun war von Polen lediglich noch ein 250 Kilometer breiter Streifen zwischen Preußen und Russland übrig. Aber auch der weckte noch die Begehrlichkeiten seiner Nachbarn, denn bei der dritten polnischen Teilung am 3. Januar 1795 hatte Russland Litauen, Preußen das so genannte Neuostpreußen mit der Hauptstadt Warschau annektiert und Österreich den restlichen Teil Galiziens besetzt. Lediglich Krakau war als „Freistaat“ übriggeblieben. Zwar gab es nach wie vor Millionen von Polen, aber das Land Polen hatte aufgehört zu existieren. Ein Trauma, das bis heute die polnische Gesellschaft prägt.

In Wien war das nicht mehr vorhandene Polen auf die Tagesordnung der Verhandlungen gelangt, weil Zar Alexander die komplette Wiederherstellung Polens mit sich selbst als König vorschlug. Damit Preußen diesem Plan zustimmte, wollte der Zar seinem preußischen Amtskollegen den Verlust der polnischen Gebiete mit Sachsen ausgleichen. Der lautstarke Protest des sächsischen Königs Friedrich August war vorhersehbar. Aber auch Österreich und England regten sich über den Plan auf, weil er die Grenze Russlands weiter nach Westen verschoben hätte. Schließlich gab es einen Kompromiss. Sachsen und sein Königshaus wurden gerettet, doch nur mit seinem südlichen Teil. Der Norden des Sachsenlandes ging an Preußen, das außerdem ehemals russische Randgebiete Polens und große Territorien in Westfalen und am Rhein bekam. Die Zustimmung des preußischen Königs zu diesen Grenzverschiebungen erfolgte fast gegen seinen Willen und erst nach heftiger englischer Intervention.

Mit der Hinzugewinnung dieser Gebiete wurde Preußen endgültig eine westdeutsche Macht, die bis an den Rhein reichte und in seiner Mitte durch das zum englischen Königshaus gehörenden Königreich Hannover zerschnitten war. Preußen stand an den Ufern des Rheins dem französischen „Erbfeind“ direkt gegenüber und hielt in deutschem Namen die später so bezeichnete „Wacht am Rhein“. Im Gegensatz zum österreichischen Konkurrenten um die Vorherrschaft in der Mitte des Kontinents hatte Preußen jetzt eine überwiegend deutsche Bevölkerung. Die neuen Landeskinder hießen „Beutepreußen“ und wurden frei nach dem Motto, es möge ein jeder nach „seiner Façon“ glücklich werden, in Ruhe gelassen. Dafür verzichtete Preußen genauso wie Österreich auf die polnischen Gebiete, die als „Kongresspolen“ wieder auf der europäischen Landkarte etabliert wurden. König des wieder gegründeten Polen wurde in Personalunion der russische Zar. Im Nordwesten stieß Polen nun an Ostpreußen und Schlesien, im Süden an die unter österreichischem Einfluss stehende Republik Krakau und im Osten an Russland.

Restauration, Solidarität und Legitimität

Der Wiener Kongress folgte dem Dreiklang „Restauration, Solidarität und Legitimität“. Die alte Ordnung des ausgehenden 18. Jahrhunderts sollte wieder hergestellt werden. Die wieder amtierenden Monarchien sollten solidarisch untereinander sein und diese „neue, alte“ Ordnung aufrechterhalten. Zudem sollten alle „legitimen“ Ansprüche auf Krone und Zepter berücksichtigt und durchgesetzt werden. Diesen Vorstellungen folgend wurden die Königreiche Spanien und Portugal wieder hergestellt, die Niederlande erhielt die „österreichischen Niederlande“ zurück und die Schweiz erlangte ihre Unabhängigkeit wieder. Preußens Präsenz in Deutschland wurde im Zuge des Tausches gegen polnische Gebiete größer, während der Einfluss Österreichs abnahm, weil Kaiser Franz I. auf alle Ansprüche in Belgien und im Westen Deutschlands verzichtete. Er wurde dafür mit Venezien und der Lombardei „entschädigt“. Mit diesem geopolitischen Geschacher trat Preußen in die deutsche Geschichte ein, während sich Österreich aus ihr verabschiedete und eine süd-osteuropäische Großmacht wurde.

Der Wiener Kongress war nach dem Westfälischen Frieden von 1648 die zweite europäische Sicherheitskonferenz, die das fragile Verhältnis zwischen den europäischen Völkern stabilisieren sollte. Dabei musste gleichermaßen Schutz vor neuen revolutionären Prozessen gewährleistet wie die Interessen der europäischen Großmächte berücksichtigt werden. England, Russland, Preußen, Österreich und Frankreich übernahmen gemeinsam die Verantwortung für den europäischen Kontinent, dem sie Frieden durch Stabilität ihrer Macht bringen wollten. Zweifellos waren ihre Ordnungsvorstellungen rückwärtsgewandt – eben restaurativ. Immerhin aber unternahmen sie den Versuch, durch eine professionalisierte Diplomatie den gemeinsamen Lebensraum der Europäer zu beruhigen (Duchhardt, 2014). So diente es der Stabilität des Friedens, dass Frankreich eine Brücke gebaut wurde, die das Land Ludwigs XVIII. zurück in den Kreis der Großmächte Europas geführt hat, anstatt mit einer Strafpolitik Anlass zu neuen Kriegen zu schaffen. Eine Niederlage wie Frankreich sie 1814/15 erlitten hatte, hätte zu einer anderen Zeit zur Auflösung des Landes geführt wie es 1918 Österreich-Ungarn und 1945 Deutschland widerfahren sollte (Lentz, 2014).

Der Deutsche Bund

Die meisten deutschen Territorialherren der ehemaligen Rheinbund-Staaten waren an den Verhandlungen in Wien nicht beteiligt. Neben Sachsen waren nur noch Bayern, Hannover, Mecklenburg, Württemberg und Bremen vertreten. Dabei spielten der Bremer Bürgermeister und Gründer von Bremerhaven Johann Schmidt und der Mecklenburger Vertreter Leopold von Plessen eine besondere Rolle. Beide galten als bedeutende Fürsprecher der deutschen Kleinstaaten. Ganz in der Tradition der seit Jahrhunderten an ihrer Eigenständigkeit und Unabhängigkeit festhaltenden deutschen Kleinstaaten plädierten die beiden für den Erhalt der Selbstständigkeit der kleinen Territorien und deren Aufnahme in den Deutschen Bund, der beim Wiener Kongress ins Leben gerufen wurde. Die Verhandlungen, die zur Gründung des Deutschen Bundes führten, waren zäh und dauerten viele Monate. Schließlich einigten sich die Groß-mächte darauf, eine politische Organisation zu schaffen, die eine stabile Ordnung in der Mitte des Kontinents garantierte. Dadurch, dass sich die Großmächte an diesem Bund beteiligten, verdeutlichten sie ihre Bereitschaft, die „deutschen Geschicke“ in Zukunft nicht mehr sich selbst zu überlassen. Sie wollten in Deutschland mitbestimmen und mitregieren. Was von den einen als Anmaßung und Unterdrückung der nationalen Selbstbestimmung gebrandmarkt wurde, konnte von den anderen als Garant für stabile Verhältnisse in der seit langem unruhigen Mitte Europas definiert werden.

Dem Deutschen Bund gehörten 39 souveräne Fürsten und Städte an. Das gemeinsame Verfassungsorgan war der Bundestag, der in Frankfurt unter dem Vorsitz des österreichischen Kaisers tagte. Die am 8. Juni 1815 unterzeichnete Bundesakte zeigt, zu welchem Zweck dieses politische Gebilde ins Leben gerufen wurde. Im ersten Artikel wurde festgelegt, dass die

„souveränen Fürsten und Freien Städte Deutschlands mit Einschluss Ihrer Majestäten des Kaisers von Österreich und der Könige von Preußen, von Dänemark und der Niederlande, und zwar der Kaiser von Österreich und der König von Preußen beide für ihre gesamten vormals zum Deutschen Reich gehörigen Besitzungen, der König von Dänemark für Holstein, der König der Niederlande für das Großherzogtum Luxemburg (sich zu einem) beständigen Bund, welcher Deutscher Bund heißen soll“

vereinigen. Der nächste Artikel definierte den Sinn des Bundes, der in der

„Erhaltung der äußeren und inneren Sicherheit Deutschlands und der Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit der einzelnen deutschen Staaten“

bestand.

Damit legten die Großmächte fest, wer das Sagen in Deutschland haben sollte. Es waren keineswegs die „unabhängigen“ Staaten, sondern die Monarchen, die von außen in den Deutschen Bund hineinregieren konnten. Preußen und Österreich gehörten dem Deutschen Bund nur mit den Landesteilen an, die innerhalb der Bundesgrenzen lagen. Die Könige von Dänemark und den Niederlanden waren wegen ihrer deutschen Besitzungen ebenfalls stimmberechtigte Mitglieder des deutschen Bundestags. Mehr noch: Bei Streitigkeiten sollte die Stimme Österreichs entscheiden. Mindestens fünf Angehörige des deutschen Bundestags waren also nicht nur von ihren Interessen als Mitglieder des Deutschen Bundes geleitet, sondern mussten die Interessen ihrer übrigen Landesteile ebenso berücksichtigen. Zudem wurden Veränderungen der innerdeutschen Grenzen in der Bundesakte ausgeschlossen, was einer Zementierung dieses Zustands gleichkam. Die deutschen Fürsten stimmten dem Konstrukt des Deutschen Bundes mehrheitlich zu, weil sie seit dem Ende des „Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation“ 1806 erheblich an Selbstbewusstsein gewonnen hatten. Die größeren Staaten des Deutschen Bundes hofften, alsbald selbst ein wichtiger Faktor in der europäischen Politik zu werden. Mit der Zunahme ihrer eigenen Bedeutung schwand in gleichem Maße ihr Interesse an einer Wiederherstellung des alten Reiches. Andererseits konnten sie die Rufe nach einem geeinten deutschen Verfassungsstaat nicht überhören.

Diese Dissonanz blieb den Architekten der neuen europäischen Ordnung keineswegs verborgen, aber sie spürten die ruinösen Konsequenzen nicht, die sich daraus ergeben konnten. Die nationalen Schriftsteller und Intellektuellen beklagten, dass die deutsche Zerstrittenheit nun zum Prinzip erhoben worden sei. Die Wiener Diplomatie habe erreicht, dass Deutschland der Weg zu einer nationalstaatlich organisierten Macht in der Mitte Europas verwehrt bliebe. Anstelle des von den Nationalen herbeigesehnten geeinten Deutschlands organisierten die Großmächte die europäische Mitte so, dass die Deutschen weder zum Opfer einer ausländischen Aggression werden noch sich selbst zur Großmacht aufschwingen konnten. Die Nationalbewegung in Deutschland hatte keine Möglichkeit das zu verhindern. Wie stark das Bedürfnis nach einer „nationalen Befreiung“ aber vorhanden war, wurde in den 1820er-Jahren deutlich. Auf dem Höhepunkt der Restaurationspolitik im Deutschen Bund kannte die Begeisterung für den griechischen Befreiungskampf keine Grenzen. „Sich für die Griechen zu engagieren bot (…) die Möglichkeit, freiheitliche, nationale Forderungen zu unterstützen, die in den eigenen Staaten unnachgiebig unterdrückt wurden. Wer die deutsche Gesellschaft liberalisieren und nationalisieren wollte, blickte nun nach außen – zunächst nach Griechenland, das sich mit russischer und englischer Hilfe die Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich erkämpfte“ (Langewiesche, 1991).

Die Gründung eines geeinten und machtvollen deutschen Staates in der geostrategisch bedeutsamen Mitte des Kontinents hätte die beim Wiener Kongress ausgehandelte Machtbalance wieder zerstört. Stattdessen sollte ein gemeinsamer Bund die Deutschen einerseits gegen Angriffe von außen und andererseits gegen die Vorherrschaft eines seiner Mitglieder schützen. Der Schutz sowohl gegen äußere Feinde als auch gegen Übergriffe anderer Bundesmitglieder sollte der kontinentalen Mitte jene Stabilität verleihen, nach der seit Jahrhunderten gesucht wurde. Zudem sollte der Deutsche Bund nicht zu stark werden, um selbst zu expandieren und zu einer europäischen Großmacht zu werden. Sollte diese Balance gelingen, so die Hoffnung in Wien, könnte Europa endlich jene Ruhe finden, nach der so lange gesucht worden war. Die erhoffte Stabilität wurde von Österreich, Preußen, Russland, England, Schweden, Portugal und Spanien garantiert. Diese „Garantiemächte“ konnten in die inneren Angelegenheiten des Deutschen Bundes eingreifen, falls eines seiner Mitglieder gegen die Gründungsakte des Bundes verstoßen sollte.

Dennoch war in der Gründung des Deutschen Bundes auch schon sein Ende verankert, denn die Tatsache, dass Preußen und Österreich mit dem überwiegenden Teil ihrer Staatsgebiete außerhalb der Deutschen Bundes lagen, machte zwei Probleme offensichtlich, die sich in den kommenden Jahren als schwere Hypotheken erweisen sollten. Zum einen konnten die Großmachtsinteressen Österreichs und Preußens gegen die Interessen des Deutschen Bundes stehen und diese überstimmen. Deswegen bemühten sich die deutschen Klein- und Mittelstaaten gegen diese Dominanz als „drittes Deutschland“ eine eigene Kraft (Nipperdey, 1984) zu entwickeln und den preußisch-österreichischen Dualismus auszugleichen. Zum anderen widersprach die Konstruktion des Bundes dem sich allmählich in Europa durchsetzenden Prinzip der Nationalstaaten. Zudem wurden damit auch alle nationalen Bestrebungen in Deutschland unterdrückt – ein Umstand, der sich in den kommenden Jahren ebenfalls als Gefahrenquelle für den europäischen Frieden erweisen sollte.

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