Kitabı oku: «Rauhnacht», sayfa 3

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„Titus!“ Gregor hob warnend seinen Zeigefinger. „Wenn wir zuhause sind. Dann reden wir darüber.“

Titus zuckte mit den Achseln und trank einen Schluck Kaffee. „Was haben Sie da für ein Buch?“

Theresa klappte es zu und zeigte ihm das Cover. „Eine kulturwissenschaftliche Analyse über Dämonen und Wiedergänger.“

„Oh ha.“

„Wie Sie sicherlich bereits wissen, arbeite ich mit Gregor zusammen. Ich beschäftige mich mit den sozialen und historischen Hintergründen von Legenden und Aberglauben.“

„Vorhin sah ich im Schaufenster eines Antiquariats ganz ähnliche Bücher.“

„Ich liebe Bücher“, bemerkte Theresa erfreut. „Können wir nachher dort vorbeischauen?“

„Es hat geschlossen“, sagte Titus. „In Gregors Haus gibt es allerdings eine Bibliothek.“

„Ist das wahr?“, wandte sie sich an Titus’ Freund.

„In der Tat, meine Liebe. Ein ganzer Raum voller Bücher. Es wird eine unsere Aufgaben sein, dort nach brauchbaren Werken zu suchen.“

„Am besten, wir fangen gleich heute damit an.“

„Sie sind wirklich tüchtig“, stellte Titus fest.

Theresa strich sich verlegen eine Haarsträhne zurück. „Da müssen Sie Gregor fragen, ob ich wirklich so tüchtig bin. Die Arbeit macht mir jedenfalls Spaß. Ein stupider Bürojob wäre nichts für mich. Ich mag es, Neues hinzuzulernen. Es ist so, als würde man auf einem staubigen Dachboden in alten Kisten wühlen und dabei faszinierende Gegenstände entdecken.“

„Wie zum Beispiel Bücher über die Wilde Jagd?“

Gregor hob erneut seine Hände, um Titus dazu zu drängen, leiser zu sprechen. Doch es war bereits zu spät. Ein paar der Gäste spähten mit stechenden Augen zu ihnen herüber.

Theresa, die von alldem nichts merkte, antwortete: „Bücher, Briefe, alles mögliche. Das Thema wird zwar immer wieder erforscht, aber Gregor ist durch Zufall auf eine neue, recht eigenartige Spur gestoßen. Sie wissen, was die Wilde Jagd ist?“

Titus blieb nicht die Möglichkeit, etwas darauf zu erwidern. Im selben Moment trat eine der Kellnerinnen an ihren Tisch. Ihr erbostes Gesicht, ließ nicht gerade darauf schließen, dass sie ihnen noch Kaffee nachschenken wollte. „Ich muss Sie bitten, das Lokal umgehend zu verlassen.“

„Wir haben noch nicht einmal ausgetrunken“, bemerkte Titus und erntete dafür einen giftigen Blick.

„Es ist mir egal, ob Sie ausgetrunken haben oder nicht. Sie beunruhigen unsere Gäste.“

Titus wechselte mit Gregor und Theresa fragende Blicke. „Wegen der Wilden Jagd?“

Die Kellnerin zuckte zusammen. Ihr Gesicht lief dunkelrot an. „Ich meine es ernst damit. Gehen Sie auf der Stelle.“

Titus konnte es nicht lassen zu fragen: „Ist unsere Bestellung dafür umsonst?“

„Auf Ihr Geld verzichte ich gerne. Ich möchte lediglich, dass Sie unser Lokal sofort verlassen. Ich habe keine Ahnung, wer Sie sind oder was Sie hier wollen. Auf jeden Fall reden Sie über Dinge, von denen Sie keine Ahnung haben.“

Gregor tippte Titus leicht an den Arm. „Gehen wir lieber.“

Theresa nahm ihr Buch und steckte es in ihre Handtasche. „So etwas habe ich ja noch nie erlebt.“

Während Titus sich den Mantel anzog, sagte er: „Betrachten Sie es doch einfach aus einer anderen Perspektive. Immerhin war das Essen umsonst.“

Die Kellnerin folgte ihnen bis zum Ausgang, als wollte sie sich dadurch vergewissern, dass alle drei auch wirklich das Café verließen.

7

Das Garagentor senkte sich mit einem leisen Summen herab und verbannte das trübe Licht des Winternachmittags nach draußen. Mit einem leichten Klicken rastete das Tor ein.

Titus war froh, wieder in dem Haus zu sein, das Gregor für seine Forschungsarbeit gemietet hatte. Zum einen fühlte er sich durch seinen langen Spaziergang noch immer durchfroren, zum anderen verspürte er eine Art Erleichterung, zwischen sich und den paranoiden Bewohnern von Tiefenfall eine gewisse Distanz zu wissen.

Er trat in die Diele, zog seinen Mantel aus und hängte ihn in die Garderobe. Gregor half Theresa, ihre beiden Koffer nach oben zu tragen. Danach wollten sie sich in der Bibliothek treffen, um über ihr weiteres Vorgehen zu diskutieren. Titus glaubte nicht, dass er zu den Forschungsplänen etwas beitragen könnte, hatte sich jedoch dazu entschlossen, an dem Gespräch teilzunehmen.

Während Gregors und Theresas Schritte vom Obergeschoss widerhallten, trat Lisa aus der Küche. Sie wirkte angespannt, so als befürchtete sie schlechte Nachrichten. „Wie war Ihr Ausflug?“

„Anstrengend.“

„Ist etwas geschehen?“

Titus betrachtete Lisa nachdenklich. „Geschehen? Wir wurden aus einem Café hinausgeschmissen. Ich persönlich halte die Bewohner für geisteskrank.“

„Ich habe gesehen, wie Sie zum Friedhof gegangen sind.“

Titus nickte. „Die Gräber. Ich persönlich finde es äußerst sonderbar, dass zu Weihnachten 1981 mehrere Menschen ums Leben gekommen sind. Leider stellte ich fest, dass Ihre Eltern dort ebenfalls ihre letzte Ruhe gefunden haben. Eine Epidemie?“

Lisa drückte ihre Hände fester zusammen. „Meine Eltern und mein kleiner Bruder. Es … Es war keine Grippewelle. Hat Ihnen Gustav etwas gesagt?“

„Gustav?“

„Der Mann, mit dem Sie kurz geredet haben. Er ist der Friedhofswärter.“

Titus gab ein ironisches Lachen von sich. „Er wollte, dass ich von hier verschwinde. Anscheinend hielt er mich für einen Reporter.“

Lisa senkte betroffen ihren Blick. „Seine Art ist etwas grob. Und wie Sie wissen, mögen die meisten Leute von Tiefenfall keine Besucher.“

„Was ist mit den Gräbern?“, unterbrach Titus ihre schüchtern vorgetragenen Bemerkungen. „Was geschah damals?“

Gregor und Theresa kamen die Treppe herunter.

Lisa wandte sich wieder der Küche zu. „Haben Sie nicht bereits mitbekommen, was die Leute von Tiefenfall so sehr aufregt?“

Titus machte einen Schritt auf sie zu. „Sie wollen doch nicht behaupten, dass …?“

Doch Lisa war bereits wieder in der Küche verschwunden.

Gregor klopfte ihm auf die Schulter. „Bist du hier festgefroren? Gehen wir in die Bibliothek. Ich sage Lisa, dass sie den Kaffee dorthin bringen soll.“

Sein Freund verschwand hinter der Küchentür.

Theresa schaute sich in dem Eingangsbereich neugierig um. „Haben Sie sich dieses Gemälde schon einmal angesehen?“

„Wie bitte?“, fragte Titus.

Theresa lachte. „Sie scheinen ziemlich verwirrt zu sein. Hat Sie unser vorheriges Erlebnis so sehr mitgenommen?“

„Ich fürchte eher, dass mich etwas anderes mitgenommen hat.“

„Und das wäre?“, wollte Gregor wissen, der soeben zurück in die Diele kehrte. Mit einer lockeren Handbewegung wies er beide an, ihm zu folgen.

Sie traten durch eine Tür in eine Welt voller Bücher. Der staubige Geruch nach altem Papier beruhigte Titus ein wenig. Die dunkelbraunen Regale der Bibliothek maßen etwas mehr als zwei Meter. Die darin stehenden Bücher besaßen ein teils unbeschreiblich hohes Alter. Auf den Regalen türmten sich weitere schriftliche Werke. Durch ein Erkerfenster drang das trübgelbe Licht des Nachmittags herein. Auf dem Fenstersims lagen ebenfalls mehrere Bücher, eines davon aufgeschlagen.

Gregor hatte diese wahrscheinlich dahin getragen, um sie genauer unter die Lupe zu nehmen. Ein dicker Teppich bedeckte den Boden. Ungefähr in der Mitte des Zimmers stand ein runder Tisch, flankiert von vier eckigen Korbstühlen.

Lisa folgte ihnen mit einem Tablett, auf dem sie eine Kaffeekanne, drei Tassen und einen Keksteller balancierte. Nachdem sie alles abgestellt hatte, sagte sie: „Herr Kranz, bevor ich es vergesse. Ich werde jetzt gleich gehen. Das Abendessen ist bereits vorbereitet.“

Titus schaute instinktiv auf seine Armbanduhr. Es war kurz nach Vier.

Gregor nickte. „In Ordnung, Lisa. Dann bis morgen.“

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verließ sie das Zimmer.

Titus schaute ihr nach und trat anschließend ans Erkerfenster. Vor ihm erstreckte sich eine weite, schneebedeckte Fläche, die nach mehreren hundert Metern an einem Wald endete. Die einsame Straße, die an dem Haus und dem Friedhof vorbeiführte, verlief in Schnörkellinien bis zur ersten Baumreihe. In größerer Entfernung schimmerten die Berge. Die Bücher vor ihm auf dem Fenstersims handelten von Aberglauben im Mittelalter, Berichten über Dämonen- und Geistererscheinungen und von ungeklärten Phänomenen, die irgendein Pater aus dem achtzehnten Jahrhundert aufgeschrieben hatte.

„Und jetzt zurück zu dir, Titus“, nahm Gregor den Faden wieder auf. „Was hat dich mitgenommen?“

Titus wandte sich um. „Das, was Lisa vorhin zu mir gesagt hat.“

„Darf man auch wissen, was sie gesagt hat?“

Titus durchquerte den Raum und blieb vor dem Cafétisch stehen. Gregor und Theresa hatten es sich in den Korbstühlen bereits bequem gemacht. „Die Nervosität, die unter den Bewohnern herrscht, wenn man sie auf gewisse Dinge anspricht oder diese direkt erwähnt. Der Begriff Wilde Jagd wird hier ziemlich ernst genommen. Unser vorheriges Erlebnis zeigt sogar, dass die Menschen in Tiefenfall Angst davor haben. Was haben die Gräber zu bedeuten? Was ist damals geschehen?“

Gregor betrachtete die volle Kaffeekanne, so als blicke er in die Glaskugel einer Wahrsagerin. „Das ist genau der Punkt, der mich dazu gebracht hat, hierher zu kommen. Das habe ich dir gestern bereits erzählt. Von den Gräbern wusste ich nichts. Wahrscheinlich hätte ich selbst auf die Idee kommen sollen, den Friedhof aufzusuchen. Es ist wichtig, dass wir in der Öffentlichkeit nicht mehr darüber reden. Die Reaktionen, die dies hervorruft, hast du bereits mitbekommen. Vielleicht sind die Bewohner paranoid. Vielleicht aber, und das bringt uns zurück auf meine Forschung, ist ihre Angst nicht ohne Grund.“

„Der Grund wäre nichts anderes als die Wilde Jagd“, erwiderte Titus.

„Was würde das deiner Meinung nach bedeuten?“

Titus stützte sich mit den Handflächen auf der Tischplatte ab. „Was das bedeuten würde, Gregor? Die Antwort darauf ist, wie du selbst weißt, völlig absurd.“

Theresa verschränkte ihre Arme. „Sie finden es absurd, dass es die Wilde Jagd tatsächlich geben könnte?“

Titus nickte. „Wer glaubt schon an ein Heer aus Dämonen, Geistern, Hexen und Untoten, das zur Weihnachtszeit durch die Lüfte zieht? Das sind Ammenmärchen. Damit können Sie kleine Kinder erschrecken.“

„Dennoch hat Sie Lisas Hinweis ein klein wenig aus der Fassung gebracht.“

Titus setzte sich. „In der Tat, es hat mich ein wenig aus der Fassung gebracht. Es bedeutet nämlich, dass die Bewohner von Tiefenfall glauben, dass es die Wilde Jagd tatsächlich gibt. Sie halten die Legenden und Erzählungen für echt.“

Gregor und Theresa schwiegen.

Titus legte zunächst ihr Schweigen dahingehend aus, dass beide nach weiteren Antworten suchten. Doch dann dämmerte es ihm zunehmend. „Einen Moment mal. Ihr beide glaubt doch nicht etwa auch an diesen Hokuspokus?“

„Glauben ist übertrieben“, erklärte Gregor. „Es ist die Intensität, mit der dieser Aberglaube in Tiefenfall herrscht. Die Angst vor einer außergewöhnlichen Bedrohung ist so stark ausgeprägt, dass man nicht anders kann, als die Meinung zu vertreten, dass die Bewohner sich tatsächlich vor etwas Ungewöhnlichem fürchten. Die Leute, die wir gestern Abend sahen, haben sicherlich nicht aus purer Lust und Laune heraus schwere Eichenstämme durch den Ort getragen. Ihr Handeln diente einem bestimmten Zweck. Dem Zweck nämlich, sie vor einer unheimlichen Gefahr zu schützen, die jederzeit über sie hereinbrechen kann. Meiner Meinung nach muss es sich um eine reale Bedrohung handeln.“

Titus erhob sich und trat zurück ans Fenster. Die menschenleere Landschaft wirkte auf ihn alles andere als beruhigend. Er drehte sich um und sagte: „Die Leute glauben, dass es in diesem Haus spukt. Ist dir bisher irgendein Geist begegnet?“

„Nein.“

„Die Leute glauben, dass sie von einer Horde übernatürlicher Wesen bedroht werden. Bist du bereits einem von ihnen begegnet?“

Gregor seufzte. „Nein.“

„Da hast du es.“

„Sie würden keinen guten Volkskundler abgeben“, meinte Theresa.

Ihre Aussage verwirrte ihn. „Wie meinen Sie das?“

„Jede Vorstellung beruht letzten Endes auf einer realen Begebenheit. Um die Aspekte eines Brauchs verstehen zu können, muss man ihn zurück bis zu seinen Anfängen verfolgen. Sie wehren sich allerdings schon allein gegen die grundlegende Möglichkeit, dass etwas Wahres dran sein könnte.“

„Ich wehre mich nicht dagegen“, stellte Titus richtig. „Ich stelle die Theorie lediglich in Frage. Aber Sie haben Recht, als Wissenschaftler tauge ich nichts. Ein Grund, weswegen ich damals mein Studium abgebrochen habe.“

Theresa wirkte interessiert. „Sie haben studiert?“

„Ich weiß, dass sieht man mir nicht an. Es gibt auch nichts Brotloseres als Literaturwissenschaft. Die Professoren langweilten mich zudem mit ihrer Rechthaberei.“

„Brotloser als dein Fach ist Volkskunde. Das schlägt so ziemlich alles“, wandte Gregor ein. „Wenn man keine Stelle an einer Uni bekommt, ist man für den Rest seines Lebens arbeitslos. Aber zurück zu unserem eigentlichen Thema. Wie du weißt, kenne ich die Geschichte des Hauses nicht. Das heißt jedoch nicht, dass ich mich nicht umgesehen habe. Du hattest bisher noch nicht das Vergnügen, das Gebäude durch die Eingangstür zu betreten. Hättest du es gemacht, dann wären dir sieben Silberschlösser aufgefallen. Silber ist schädlich für Werwölfe.“

Gregors Ausführung wirkte nicht gerade überzeugend. „Vielleicht gibt es hier Diebe. Deswegen die Vorkehrung. Mich würde es nicht wundern, wenn die Fenster aus irgendeinem Sicherheitsglas bestünden. Das Haus liegt völlig alleine. Ich halte das für die logischere Erklärung.“ Titus’ letzter Satz blieb zunächst ohne Widerhall.

Nach einer Weile fragte Theresa: „Hat Ihnen Gregor einmal etwas über die Wilde Jagd erzählt?“

„Ein Heer aus albtraumhaften Kreaturen. Und dass es hierzu verschiedene Bräuche gibt.“

Theresa strafte Gregor mit einem tadelnden Blick. „Dann ist Ihre Einstellung natürlich zu verstehen.“

Gregor setzte zu einer Verteidigung an, doch Theresa stoppte ihn mit einer sanften Handbewegung.

„Der genaue Ursprung der Wilden Jagd verliert sich in grauer Vorzeit. Bereits in der Antike findet man Berichte über ein sonderbares Brausen in der Luft, dem schreckliche und albtraumhafte Phänomene folgen. In der Regel ist ihr Auftreten verbunden mit einer Frau, welche die Wilde Jagd anführt. Entweder handelt es sich dabei um Diana oder um Pharaildis. Manchmal tauchen auch die Namen Satia und Holda auf. In manchen Gegenden glaubt man, dass diese Frauen die Toten und Verfluchten um sich scharen. Diese Armee, die aus Wiedergängern, Werwölfen, Hexen und Dämonen besteht, bezeichnet man als ihr Gefolge. In einem Konzil, das 314 nach Christus in Ankara abgehalten wurde, wird zum ersten Mal offiziell auf diese Frauen und ihr Gefolge hingewiesen. Sie werden schlicht und ergreifend als Frauen der Nacht bezeichnet.“

Theresa war voll und ganz in ihrem Element. Ihre Augen strahlten, während sie über die bisherigen Erkenntnisse referierte, die mit diesem sonderbaren Glauben im Zusammenhang standen.

„Ist mit Diana etwa die römische Göttin gemeint?“, wunderte sich Titus.

Gregor kam Theresa zuvor. „Eher nicht. Es handelt sich dabei wahrscheinlich um eine Waldgöttin, die bis ins fünfte Jahrhundert von den Bauern angebetet wurde. Ihr Ursprung liegt in einer keltischen Gottheit namens Di Ana. Pharaildis dürfte dir bekannt sein. Sie ließ Johannes den Täufer enthaupten. Einer Legende zufolge wurde sie dazu verdammt, in den Nächten durch die Lüfte zu fliegen. Pharaildis wollte mit Johannes dem Täufer in die Kiste. Ihr Vater verbot es ihr allerdings. Als sie schließlich das Haupt des Heiligen küssen wollte, blies er ihr ins Gesicht, was dazu führte, dass sie durch eine Öffnung des Dachs hinauskatapultiert wurde. Bis heute rätseln Volkskundler, wohin es diese Hexe verschlagen hat. Über ihren weiteren Verbleib in Literatur und Folklore sucht man vergeblich und dies, obwohl sie als Mutter der Hexen bezeichnet wird. Selbst Theologen machen sich über diese Figur Gedanken, da sie im Gegensatz zu dem steht, was man als heilig verehrt. Ich war erstaunt, dass sogar der örtliche Pfarrer über diese Legende Bescheid weiß.“

„Es ist zudem unklar, ob Satia und Holda alternative Namen dieser Frau sind oder ob sie für verschiedene Persönlichkeiten stehen“, übernahm Theresa wieder das Wort. „Betrachtet man die Frauen der Nacht unabhängig von ihren Namen, so handelt es sich bei ihnen schlicht und ergreifend um einen Geist, der in Gestalt einer Frau auftritt. Manchen bringt er Glück, anderen Unglück. Daher die Riten. Die Leute schützen sich vor den nächtlichen Gestalten, indem sie über Nacht eine gewisse Anzahl an Speisen auf dem Esstisch stehen lassen. Andere verbieten ihren Kindern, abends und nachts das Haus zu verlassen. Denn mit diesem Geist kommen auch die Lamien. Dabei handelt es sich um grässliche, alte Hexen, die kleine Kinder fressen. Es gibt Berichte, dass manche von ihnen auch in die Häuser eindringen, um die Kinder zu stehlen. Wie gesagt, kommt es darauf an, die Regeln des Brauchs einzuhalten, damit so etwas nicht geschieht.“

Titus lehnte sich gegen den Fenstersims. „Das klingt schon wieder so, als würde die Wilde Jagd tatsächlich existieren.“

Gregor hob seinen rechten Zeigefinger. „Im Mittelalter war der Glaube an die Armee der Nacht so stark, dass die Kirche diesen als Bedrohung für ihre eigene Existenz betrachtete. Die Folgen muss ich dir wohl nicht nennen.“

„Inquisition?“, hakte Titus nach.

Theresa nickte. „Die Kirche versuchte, durch brutale Strafen und strenge Regeln dem Aberglauben Herr zu werden. Berthold von Regensburg mahnte in einer Predigt, dass man unter keinen Umständen an die Frauen der Nacht, an Gespenster, Kobolde, Untote und ähnliche Kreaturen glauben sollte.“

„Aber wie sollte der Glaube eingedämmt werden, wenn es immer wieder Augenzeugenberichte gab?“, fügte Gregor hinzu.

„Augenzeugenberichte?“

„Wir finden diese über das gesamte Mittelalter verstreut. Zum Beispiel berichtet ein gewisser Sulpicius Severus darüber, dass ein Kloster von einer Horde Dämonen heimgesucht wurde. Er schreibt von Schrittgeräuschen, Stimmen und Lichterscheinungen. Sein Bericht muss ungefähr 400 nach Christus erschienen sein. Im Jahr 1092 nach Christus erschien ein Bericht über die Heimsuchung der weißrussischen Stadt Polock. Es wurde notiert, dass eines Nachts plötzlich hässliche Dämonen durch die Stadt gerannt seien und jeden mitgenommen haben, der sich auf die Straße traute.“

Titus kamen nun doch wieder Zweifel. „Schön und gut. Aber diese angeblichen Augenzeugenberichte stammen aus dem Mittelalter, einer Zeit, in welcher der Aberglaube Hochkonjunktur hatte. Wie sieht es mit heutigen Berichten aus?“

Theresa und Gregor versanken abrupt in ein betretenes Schweigen.

„Dachte ich mir’s doch. Keine Spur von alldem.“

„Tiefenfall ist der einzige Ort, wo sich die Gerüchte über die Wilde Jagd aufrechterhalten haben“, sagte Gregor.

„In anderen Dörfern oder kleinen Städten gibt es lediglich noch die Percht“, meinte Theresa. „Es handelt sich dabei um eine Art Faschingsumzug. Menschen in Kostümen marschieren durch die Straßen und versuchen durch Glockenläuten und Peitschenknallen die Wintergeister zu vertreiben. Der Name ist übrigens ebenfalls ein Synonym für die Frauen der Nacht. Man spricht auch von Frau Percht oder Perchta.“

„Hinzu kommen immer wieder Warnungen vor Geistermessen“, setzte Gregor seinen Vortrag fort. „In den Rauhnächten sollte man nach Mitternacht keine Kirche aufsuchen, da dann die Toten darin ihre Messen feiern.“

„Gibt es dazu etwa auch Augenzeugenberichte?“

„Aus dem Mittelalter.“ Gregors Antwort hätte sich Titus eigentlich denken können.

„Woher sonst“, gab er zurück.

„Und dann ist da noch die Sache mit den sprechenden Tieren“, zeigte Theresa auf. Sie machte aber keineswegs einen so selbstsicheren Eindruck wie zuvor. „Also Tiere, die plötzlich beginnen …“

„Ich habe schon verstanden.“

Gregor nahm seine Brille ab und massierte sich den Nasenrücken. „Jetzt weißt du jedenfalls ungefähr, was es mit der Wilden Jagd auf sich hat.“

„Eine Horde Monster, die von einer Frau angeführt wird. Hinzu kommen Geistermessen und sprechende Tiere.“

Gregor grinste. „In einer meiner Klausuren hätte ich dir dafür eine Eins gegeben.“

„So einfach ist das also?“, gab Titus zurück.

Theresa kicherte. „Gregor ist bei seiner Benotung stets äußerst großzügig.“

Das konnte sich Titus gut vorstellen. Gut aussehende Studentinnen erhielten bei ihm mit Sicherheit auch dann gute Noten, wenn sie leere Blätter abgaben.

Gregor stand auf. „Ich weiß nicht, wie es euch geht. Aber langsam bekomme ich Hunger. Ich bin der Meinung, wir sollten hiermit unsere Diskussion beenden und lieber nachsehen, was Lisa für uns vorbereitet hat.“

„Die Idee klingt verlockend“, gab Theresa zurück. „Was meinen Sie, Herr Hardt?“

„Lisas Kochkünste lass ich mir nicht entgehen. Wilde Jagd hin oder her.“

„Mindestens beim Essen sind wir einer Meinung“, erwiderte Gregor und verließ als erster die Bibliothek.

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