Kitabı oku: «Erinnerungen», sayfa 5
SECHSTES KAPITEL
In den bisher erzählten Ereignissen habe ich selbst so gut wie gar keine Rolle gespielt, oder sie haben höchstens die bedeutungslosen Einzelheiten meines literarischen Lebens berührt; wenn ich mich aber der Nachwelt mit nichts anderm vorzustellen hätte als mit dem leichten Gepäck des Advokaten oder akademischen Schriftstellers, so dürfte sie andere Sachen zu tun haben, als sich um mich zu kümmern, und ihre Zeit besser anwenden wollen, als meine Memoiren zu lesen. Aber der Augenblick naht, in dem mein Name sich nicht ohne einigen Ruf den interessantesten Umwälzungen anschließen wird, welche je die Weltbühne in Bewegung gesetzt haben.
Das Bedürfnis einer Verbesserung unserer bürgerlichen Lage, das ich immer mehr empfand, je mehr ich nachdenken lernte, war endlich das Bedürfnis aller aufgeklärten Menschen geworden. Man nahm sich nicht mehr die Mühe, es zu verbergen, der Ausdruck des allgemeinen Wunsches blieb nicht mehr in den Herzen verschlossen, die öffentliche Meinung hatte einen Schwung genommen, welcher die alten Leute, die an das Geflüster am Kamine und an die Furcht vor der Bastille gewöhnt waren, in Erstaunen setzte, uns aber, die ganze Jugend, die sich voller Zuversicht in unsere Zukunft der Erfüllung des Berufes widmete, der unserer wartete, mit Enthusiasmus füllte.
Man tat sich selbst in Gegenwart der hohen Herren keinen Zwang an, welche die alten Überlieferungen des Despotismus mit einem Scheine von Unverletzbarkeit eingehüllt hatten. Die Geschichte mit dem Halsbande bewies, wie sehr sich die vernünftigen Bürger bereits von diesen Vorurteilen frei gemacht hatten. Ich weiß nicht, inwieweit die Königin in dem Listgewebe, welches zu diesem Ärgernis Anlaß gab, bloßgestellt werden konnte; aber die Kenntnis, welche ich von dem Charakter des armen Kardinals von Rohan habe, flößt mir die Überzeugung ein, daß er in diesem Handel nur den Geprellten, nicht den Betrüger gespielt hat. Der außerordentliche Leichtsinn Marie Antoinettens, ihre Neigung, mehr als Frau wie als Königin zu leben, gaben zu Beschuldigungen Stoff, die man ihr mit Unrecht vorgehalten hat. Was auch an jenen schuldvollen Ränken sein mag, ich habe ihnen nur in der Beziehung einige Wichtigkeit beigelegt, daß sie dazu beigetragen haben, die öffentliche Meinung mündig zu sprechen.
Diese fing schon an, sich vernehmen zu lassen. Die Ratgeber des Fürsten mußten, wie gern sie sich auch die Ohren verstopft hätten, trotzdem etwas tun, die Wünsche der Bürger zu befriedigen. In dem beklagenswerten Zustande unserer damaligen Finanzen fand das Volk den besten Beistand, den es nur haben konnte, denn die Fürsten, die bei ihren Willkürakten ihr Volk so gern vergessen, erinnern sich seiner gewöhnlich nur, wenn Geldmangel fühlbar wird.
Der Staat war verschuldet, und alle Gewandtheit Calonnes40) brachte es nicht dahin, die Bresche zu verstopfen. Man riet als Mittel dagegen eine Versammlung der Notabeln an; kläglicher Behelf, der bloß die Größe der Wunde offenkundig machen mußte, da es dazu nur eines mutigen Mannes bedurft, der den Finger darauf legte, während nichts heilen, nichts vernarben durfte, weil der rechte Arzt, das ganze Volk, nicht aufgerufen war. —
Diese Versammlung großer Herren, denen man noch, um die Täuschung zu vollenden, einige Schöffen, Maires41) und Munizipalbeamte der wichtigsten Städte des Königreichs beigefügt hatte, die unter dem Vorsitze der Prinzen von Geblüt in Bureaus verteilt wurden und über Fragen ihre Meinung abgaben, die wohlverstanden, den Umsturz der angemaßten Macht herbeiführen mußten — war eigentlich eine regelrechte Farce: Vertreter, die nur sich selbst vertraten, die nichts verfügten, keiner Beschwerde Genüge taten, keinen Mißbrauch abschafften.
Ich bemerkte mit reger Freude, daß die Versammlung der Notabeln nur ein so geringes Ergebnis bot und den alten Zustand mit seinen Vorurteilen, Mißbräuchen und Ungerechtig- keiten förmlich wieder aufleben ließ. Gewiß, wenn der Nation ein großes Unrecht drohte, so mußte sie es von der Seite jener ungesetzlichen Versammlung fürchten. Eine halbe Gerechtigkeit hätte vielleicht alles verdorben. Wenn dieser angesehene mächtige Adel von dem schönen Feuer der Menschlichkeit und des Edelmutes beseelt gewesen wäre und einem Teile seiner angemaßten Rechte entsagt hätte; wenn er, die Rechte des Landes begreifend, für dessen materielle Interessen alle Opfer gebracht, die seine Stellung ihm erlaubte, und dadurch die Stimme des Volkes erstickt hätte: so wären die geistigen Belange vielleicht unschwer beiseite zu schieben gewesen; der Franzose hätte seine unverjährbaren Rechte vergessen, sich mit einem schwankenden Wohlstande begnügt und seinen Kindern nicht, wie er es jetzt tun kann, die Rechte des Bürgers, die Würde des Menschen hinterlassen können. Wie dem auch sei, die Aristokratie zeigte sich damals, wie sie immer gewesen ist, hartnäckig, hochmütig, sorglos; ihr müssen wir es danken, daß der mögliche Vergleich zwischen der Macht und dem Volke verworfen wurde.
In dieser Zeit wurde Calonne gestürzt, die Zügel des Staates gingen in die schwachen Hände des starrsinnigen Brienne42) über. Die einzige Stimme, welche damals mit Eindruck für das Volk sprechen konnte, war die der Parlamente; sie entledigten sich mit einiger Würde, obwohl ohne bestimmtes Programm, dieser Pflicht; jeder wollte eigentlich nur die Volksgunst für sich haben, und darum versuchten auch die alten Körperschaften, die verfault waren wie die alte Monarchie, welche sie stützten, den Hof anzugreifen, der Meinung zu schmeicheln und sie dadurch für sich zu gewinnen. Es gelang ihnen; aber sie sahen nicht ein, daß man nicht sie liebe, sondern ihre Feinde nur verabscheue. Der Despotismus war ein solcher Greuel geworden, daß man sich drängte, die Räte, welche durch größern Eifer sich vorzugsweise seinen Haß zugezogen hatten, mit allen möglichen Triumphen und Festen zu feiern.
Mittlerweile zog sich Brienne mit dem Fluche Frankreichs, mit Gunstbezeigungen des Hofes belastet, aber nur erst nach zahllosen Krisen, in denen mehr als einmal das Blut des Volks vergossen wurde, von dem Steuer zurück und Necker43) wurde bestimmt, seine Stelle zu ersetzen.
Einige ansehnliche Finanzoperationen hatten die Teilnahme der Nation für ihn erregt; man kannte ihn als Feind der Hofleute, und schon das war ein Anrecht an die Liebe des Volkes. Sein Name wurde mit einstimmigem Zujauchzen begrüßt; endlich hoffte man die Entwicklung des Dramas erfolgen zu sehen, das schon so manches Jahr spielte.
Brienne hatte, als er sich zurückzog, seinem Nachfolger die mächtigste Stütze, die Volksgunst, entziehen wollen und vom Könige als einziges Mittel gegen die finanziellen Übel, welche den Staat niederdrückten, die Zusammenberufung der Generalstaaten für den Monat Mai des Jahres 1789 erwirkt.
Dieser Befehl verursachte eine unaussprechliche Freude in Frankreich; ich würde es vergebens versuchen, die meinige zu beschreiben: ich fühlte mich von diesem Tage an einem neuen Leben erstanden; ich glaubte, daß ich von jetzt an wieder in meine Rechte als Bürger eingesetzt sei, daß ich mein ganzes Dasein daran wagen müsse, allen diese schönen, unvertilgbaren Rechte zu erkämpfen.
Die erste Wirkung dieser großen Maßregel war, daß die Presse, welche so lange verstummt war, einen Schatten von Freiheit erhielt. Jeder Bürger war berechtigt, das Ergebnis seiner Untersuchungen, Erforschungen und Gedanken über die Art der Zusammenberufung und der Dauer der Generalstaaten bekanntzumachen. Schnell benutzte ich diese Erlaubnis, die unter diesen Umständen zu bedeutender Anwendung und zu unendlicher Ausdehnung gebracht werden konnte.
Ich gab eine Denkschrift über die Notwendigkeit heraus, die Stände von Artois umzuformen, und widmete sie dem Volke von Artois. Ich faßte auf diese Art die Frage bei der Wurzel an; man beschäftigte sich damals viel mit den Provinzialversammlungen, da es darauf ankam, ob wir für die Generalstaaten wirkliche Volkserwählte oder nur Abgesandte unserer großen Herren aus den Provinzen erhalten sollten.
Der dritte Stand aus Artois war eine lächerliche Einrichtung; wir brauchten einen andern, und ich hatte mir vorgesetzt, dies zu beweisen. Er bestand aus den Munizipalbeamten der Provinz, welche von den Abgeordneten der Stände gewählt worden waren.
Wer waren aber die Abgeordneten der Stände? Neun Männer, die, je zu drei, aus jeder der drei Klassen gewählt wurden. Drei Abgeordnete des Adels und drei der Geistlichkeit kamen also mit drei Abgeordneten des Bürgerstandes zusammen, um die Beamten, d. h. die Wähler des dritten Standes zu bestimmen!
Und einer solchergestalt zusammengesetzten Körperschaft wollte man die Wahlen für die Abgeordneten des dritten Standes bei den Generalstaaten anvertrauen! Die Falle war zu grob, ich machte meine Mitbürger darauf aufmerksam. Ohne an die Gefahr, der ich mich aussetzte, an den Haß zu denken, den ich gegen mich aufreizte, entschleierte ich ihnen die Geheimnisse der aristokratischen Verfassung, die sie ihrer Rechte beraubt und diese in die Hände weniger gelegt hatte, welche die Macht nur zu ihrem eigenen Besten benutzten. Ich bemühte mich, ihnen zu zeigen, wie die zwei bevorrechteten Klassen in ihrer Verwaltung allmächtig seien, die dritte verachtet, nichtig, von ihren Vertretern verkauft wäre; ich erinnerte sie, wie seit 1883 der Adel und die Geistlichkeit sich verbunden und von den durch die alten Gesetze von Artois ihnen aufgebürdeten Aufgaben frei gemacht haben, indem sie beide den Grundsatz einer gleichmäßigen Steuer anerkannt und zuletzt über den schwachen Widerstand der Abgeordneten des dritten Standes, weil diese käuflich waren, gesiegt hatten. Ich sprach von den schmählichen Geschenken, die unsere Abgeordneten sich untereinander machten; von der Freigebigkeit, mit der sie sich ihre eigenen Arbeiten vergüteten, die ohnehin schon so freigebig bezahlt wären, während sie in ihrer Großmut 400 Livres für die Armen der Provinz auswürfen! Kurz, ich schonte nichts, mit dem Mute der Rechtlichkeit entlarvte ich die Ränkemacher44), welche sich an die Spitze der öffentlichen Angelegenheiten gestellt hatten, um für ihre eigenen zu sorgen.
Man kann sich keinen Begriff machen, welche Wirkung diese Schrift hervorbrachte; die gewissenhaften Bürger, die Freunde des Vaterlandes waren erstaunt und dankbar; aus alter Gewohnheit hatten sie die Augen zu den Mißbräuchen zugedrückt, von denen sie umgeben waren; aber die Mißbräuche waren so ungeheuer, daß man sie ihnen nur zu nennen brauchte, um von ihrer Empörung schnelle Gerechtigkeit zu erhalten Einstimmig war das Lob auf dieser Seite für den wichtigen Dienst, den ich der Provinz geleistet hatte; aber von den Herren vom Stande und ihren Anhängern wurde mein Werk nicht so liebevoll aufgenommen; ein Schrei des Hasses, der Wut lief durch ihre Reihen. Ärgere Mißbräuche sind seitdem vernichtet worden; die, welche sich auf Kosten der Provinz und mehr noch auf Kosten des Staates gemästet, haben ihrer ungeheuren Vergeudung und schuldvollen Trägheit entsagen müssen; das Andenken an Opfer, zu denen man sie gezwungen hat, sollte, meint man, sich jetzt in eines verschmelzen und ein Gefühl des Hasses wecken, aber dem ist nicht so: mit Schmerz, mit Verdruß denken sie an die Verordnung, die ihnen das Gestohlene entrissen, aber voller Zorn, mit einer entschiedenen Wut, mit dem festen Wunsche, an diesem Gedanken ihren Rachedurst zu erfrischen, erinnern sie sich noch der Schrift, welche ich gegen die Stände von Artois bekanntmachte. Dieser Haß, mit dem sie mich vor andern ehren, ist ein Anrecht mehr an die Gunst des Volkes; ich danke ihnen dafür. In Tagen, wie die jetzigen, gibt es Feinde, die man gern hat; einen Haß, auf den man stolz ist.
Seit dem Erscheinen meiner Denkschrift suchten die Gewalthaber der Provinz den Unwillen meiner Mitbürger gegen mich zu richten. Von diesem Tage an begannen die schändlichen Verleumdungen, von denen man noch jetzt nicht gelassen hat, obgleich die Achtung aller guten Bürger mir zeigt, daß sie nicht die gehofften Früchte getragen haben. Schon damals, wie es später in so vielen Schmähschriften geschehen ist, nannte man mich ehrgeizig ohne Scham und Schranke, den Heuchler der Volksliebe, einen aufrührerischen und zerstörungssüchtigen Schriftsteller; und was weiß ich, was für schändliche Eigenschaften jene Feinde meinem Namen noch anzuhängen versuchten! Ehrgeizig? Ja, wie es Brutus45) und Washington waren, wie es nur wenigen Menschen vergönnt ist! Ehrgeizig ohne Eigennutz, mit unüberwindlicher Verachtung eigener Wohlfahrt, aber mit einem unerschütterlichen Eifer, dem Volke die geheiligten, unverjährbaren Rechte zu verschaffen, die man ihm geraubt hatte!
Heuchler! alle meine Schritte lagen sonnenklar da; alle meine Schriften, alle meine Reden strebten unveränderlich nach einem Ziele, nach einem offenen Ziele! Finde, wer kann, in ihnen einen Widerspruch mit meinem Leben! Aufrührerisch! Zerstörungssüchtig! Ich, der ich in einem zerstörten, aufgelösten, verfaulten Körper die Wiederherstellung der ewigen Ordnung predigte, die der menschlichen Geselligkeit nötig ist; ich, der ich stets nur durch Gesetze zur Herrschaft der Gesetze gelangen wollte! So falsch, so böswillig diese Beschuldigungen auch waren, so machten sie doch einigen Eindruck, da man in den wichtigen Grundsätzen noch nicht erfahren genug, und der Einfluß der Männer, die ich angriff, noch zu mächtig war. Ich bemerkte dies leicht aus der Beziehung, in der ich durch mein Geschäft mit dem Bürgerstander von Artois lebte: das menschliche Herz verschließt so viele Kleinlichkeiten, daß ich mir die Schwierigkeit nicht verhehlte, von Leuten, die höchstens die Güte hatten, mich für ihresgleichen zu nehmen, die gewünschten Stimmen zu erhalten, um zur Generalversammlung der Nation berufen zu werden. Ein Mann, der vor ihren Augen in seiner Hingebung für die allgemeine Sache aufgestanden war, mußte ihren Verdacht erwecken, und eben durch diese Hingebung, mit der er seine eigenen Angelegenheiten, sein Vergnügen, seine Ruhe aufopferte, ihnen ehrgeizig scheinen. Ich sah ein, daß diese guten Leute einen völlig unbedeutenden Mann wählen würden, wenn er nur rechtschaffen und geneigt wäre, dem allgemeinen Schwünge zu folgen, ohne durch einen Schritt diesen zu lenken oder ihm vorzueilen. Schnell war mein Entschluß gefaßt: ich wendete mich zu den Wählern vom Lande, mit denen mein Stand mich häufig in Berührung gebracht hatte, und die mir bei mehr als einer Gelegenheit eine Ehrerbietung, eine Achtung bezeigt hatten, die ich ohne Scheu meiner Rechtlichkeit, meiner Uneigennützigkeit zuschreiben darf. Ihr friedfertiges, arbeitsames Leben verhinderte die Täuschung und die Verführung, ihren gesunden Verstand, ihre vorurteilsfreien Ansichten zu fälschen. Kaum erkannten sie die Wohltaten, die eine neue Ordnung über ihren nützlichen und verkannten Stand verbreiten mußte, so hielten sie sie fest wie ihr Eigentum, und nichts brachte sie mehr von dem Wege ab, den der Wunsch, ihre Menschenwürde wiederherzustellen, ihnen vorgezeichnet hatte.
Es gelang mir leicht, mich ihnen begreiflich zu machen, und bald hatte ich die Gewißheit, die Mehrheit der Stimmen auf meiner Seite zu haben. Es fand sich eine Gelegenheit, die mich von dem Einflusse überzeugte, welchen ich auf diese wackern Landleute hatte. Die Bezirksversammlungen traten zusammen; dazu mußten die Vorschriften aufgesetzt werden, an welche die Abgeordneten bei ihrem Verfahren sich halten sollten. Ich wurde von meinem Bezirk beauftragt, dies abzufassen; ich machte mich dieses ehrenvollen Berufes würdig, sprach die ersten Grundsätze der Oberherrlichkeit des Volkes aus und bezeichnete im Kreise dieser Schranken die Vollmachten, welche es seinen Abgeordneten erteilte. Ich verlangte freie, jährliche Abstimmung für die Abgaben; gleiche Beisteuer aller Bürger zu den öffentlichen Lasten; unbegrenzte Freiheit für die Person, den Glauben, die Presse; Einschränkung der zu großen Macht, welche dem erblichen Vertreter der Oberherrschaft verliehen worden war; strenge Verantwortlichkeit der Beamten, welche er einsetzt usw.
Meine Arbeit wurde hier gelobt, dort verleumdet; denn wer in der Öffentlichkeit steht, kann nun einmal nicht jeder Meinung nachgeben, jede Leidenschaft besänftigen, jedermanns Interesse fesseln. Er darf nur seinem Gewissen folgen und muß sich selbst genug sein. So habe ich es gehalten und hin dabei wohl gefahren!
SIEBENTES KAPITEL
Einige Monate vor der Eröffnung der Generalstaaten hatte die Akademie von Arras mich zu ihrem Präsidenten erwählt: ich würde dieser nichtigen Ehrenbezeigung nicht erwähnen, wenn sie mir nicht die Achtung bewiesen hätte, welche, trotz den widersprechenden Gerüchten, an deren Verbreitung man seither ein Vergnügen gefunden, trotz den Verleumdungen, mit denen man mich verfolgt hat, die ausgezeichnetsten und aufgeklärtesten Männer der Provinz für mich fühlten. Gewiß gab es unter ihnen mehr als einen, der mich nicht für seinen politischen Freund halten konnte, der, infolge meines Charakters, der mich nichts, was ich der Wohlfahrt des Vaterlandes ersprießlich hielt, zurückhalten ließ, sich sogar über mich beschweren zu können glaubte, und doch erhielt ich bei der freien Wahl für die Besetzung einer friedlichen Ehrenstelle unserer Akademie die Mehrheit der Stimmen.
Ich widmete damals den Wissenschaften nur sehr wenige Zeit und beschäftigte mich, einige kleine Gelegenheitsgedichte ausgenommen, die ich weil es die Mode verlangte, von Zeit zu Zeit meinen Freunden mitteilte, nur mit den großen Interessen, welche alle Gemüter in Bewegung setzten. — Das Gericht gab mir noch einen Prozeß in die Hand, welcher dem glücklichen Erfolge, der mir in diesem Fache zuteil geworden war, das Siegel aufdrücken und die allgemeine Aufmerksamkeit auf mich richten sollte. Ich muß diesen Handel näher beschreiben, da das Aufsehen, welches er in der ganzen Provinz erregte, mehr als mein früheres Leben dazu beitrug, meine Wahl zum Abgeordneten zu befördern. Die Sache war folgende: Ein Einwohner von Ilesdin, namens Dupont, war das Opfer der schmählichsten Beraubung geworden; Bruder, Schwager, Verwandte, Freunde, kleine Dorfrichter und große Herren, alles schien sich vereinigt zu haben, dem Unglücklichen Freiheit und Vermögen zu entziehen. Nach einer Abwesenheit von 26 Jahren wollte er bei seiner Rückkehr sich wieder in den Besitz seiner Güter setzen. Seine gerechten Anforderungen wurden zuerst mit Stillschweigen, Ausflüchten, endlich mit einer Eingabe um seine bürgerliche Totsprechung aufgenommen; aber da die Verwandten vor der heilsamen Langsamkeit, welche die Gesetze in die Einleitung eines solchen Prozesses legen, mehr aber noch vor der Unzulänglichkeit ihrer Hilfsmittel erschraken, so hielten sie es für zweckmäßiger, um eine Lettre de cachet46) gegen den unglücklichen Ankömmling einzukommen. Von einem Gönner gelangten sie zu einem andern und endlich zum Minister, der, wie gewöhnlich, lieber den zudringlichen vornehmen Leuten in seiner Nähe glaubte, als daß er sich nach den wahren Verhältnissen der Verfolgten erkundigt hätte. Eine Lettre de cachet wurde gegen Dupont geschleudert, er selbst in eine Bastille der Provinz, in Armantires, gesperrt, in der er zwölf Jahre lang geschmachtet hat; durch ein Wunder war er dieser abscheulichen Höhle entkommen und flehte schon seit zehn Jahren vergebens um Gerechtigkeit. Darauf wendete er sich an mich. Ich sah in dieser Reihe von Unbilligkeiten, mit denen man ihn erdrückt hatte, nicht eine Sache, für die gewöhnliche Schadloshaltungen genügen würden. Ich behauptete, daß die ganze bürgerliche Gesellschaft gekränkt sei, und daß sie eine in die Augen fallende Rache begehre. Nachdem ich daher die Gerechtigkeit der Ansprüche meines Klienten, die unendlichen Beschwerden und Leiden auseinandergesetzt hatte, die er ertragen mußte, damit während der Zeit seine gierigen Verwandten ruhig in ihrem Raube schwelgen könnten, ging ich zur allgemeinen Untersuchung der Lettres de cachets über. Es war ein an wichtigen Folgerungen und Betrachtungen fruchtbarer Gegenstand. Ich bewies leicht, daß alles, was man zugunsten dieser schmachvollen Erfindung des Despotismus angeführt habe, nichts als elende Spitzfindigkeiten wären; ich ging weiter, ich begnügte mich nicht damit, das Ungesetzliche, Verbrecherische der Staatsgefängnisse festzustellen, ich zeigte, daß die königliche Macht selbst davon keinen Gewinn zöge, und daß sie nur für deren untergeordnete Geschäftsführer von Nutzen waren, die stets mit größerm Eifer als ihr Herr selbst durch kleinliche Rache oder auf gräßlichere Art ihre niedrigen Leidenschaften, ihre Begierden, ihre Ausschweifungen zu befriedigen suchten.
Von diesem besonderen Satze ging ich zu einem noch allgemeineren über. Die Abschaffung jener geheimen Verhaftsbefehle, die bei der nunmehrigen Gestaltung der Dinge nahe bevorstand, sollte nicht die einzige Wohltat der Verwaltung sein, welche jetzt vorbereitet wurde; das ganze alte Gebäude der Mißbräuche sollte zusammenstürzen, um einem jungem, großartigeren Denkmale Platz zu machen. Ich hielt mich also nicht an den besondern Angriff, in den der Rahmen meiner Sache mich einzuspannen schien; freimütig behandelte ich die großen politischen Fragen und stellte in der heftigen Schlußrede ein Gemälde von dem künftigen Glücke Frankreichs auf, wenn es von nun an nach weisen, volkstümlichen Gesetzen regiert würde; ich stellte es über alle andern Staaten Europas, mit denen ich es einzeln verglich, und bezeichnete die Zusammenberufung der Volksdeputierten als die Morgenröte eines neuen Tages.
Ich ließ mich von meinem Gegenstande hinreißen und zollte, mit dem aufrichtigen Wunsche, daß das Oberhaupt des Staates sich ernstlich an das Werk unserer Wiedergeburt anschlösse, auch ihm sein Lob, das eher eine Lehre war, da ich weniger von der Vergangenheit als von den Pflichten sprach, die Frankreichs Zukunft ihm auferlege. Ich hielt, um einer Sitte der frühern Regierung nachzukommen, ihm die Namen seiner Ahnen vor, die noch einige Spuren in dem Andenken des Volkes zurückgelassen hatten; ich bat ihn, das Werk Karls des Großen und Heinrichs IV. zu betrachten und das Glück und die Freiheit Frankreichs zu verwirklichen. Allen, die sich durch Bewährung ihrer Unabhängigkeit oder Liebe zur Freiheit der Erkenntlichkeit des Volkes würdig gemacht hatten, spendete ich den Dank, den ihre Kühnheit verdiente, und ermutigte sie, in der gefährlichen Bahn, die sie eingeschlagen hatten, zu beharren. So wurden; Monsieur, der Bruder des Königs, der Minister Necker, Desprémenil höchlich gepriesen. Seit der Zeit glaubte ich, daß in meiner Meinung einige Übereinstimmung mit den Wünschen des Volkes liege, und daß ich sein natürlichster Wortführer sei.
Die Männer, die ich soeben erwähnt, haben seitdem das Vertrauen, das die Nation in sie gesetzt hatte, zuschanden gemacht; aber man mußte ihnen zu jener Zeit das Beispiel, welches sie gaben, anrechnen und ihren kühneren Nachahmern, denen man mit der Hoffnung auf die Belohnungen des Volkes schmeichelte, Kraft und Geduld einflößen.
Ich habe mich bei diesem Werke aufgehalten, weil es Epoche in meinem Leben gemacht hat und mir noch eine der süßesten Erinnerungen ist; es bezeichnet den Punkt, an dem meine beiden Laufbahnen zusammenlaufen; ich hänge daran, weil es meine letzte gerichtliche Arbeit und die beste unter meinen früheren politischen Versuchen ist.
Ich habe noch mehr Ursachen, mich dessen mit Vergnügen zu erinnern. Sein Erscheinen in Arras fiel auf wie ein großes Ereignis. Niemals hatte man vor den Gerichtsschranken so frei sprechen hören. Niemals hatte man bei einem besonderen Falle eine solche Masse von wichtigen Allgemeinheiten berührt. Das Publikum war anfangs betroffen, später über meinen Mut entzückt; denn die Mißbräuche, welche ich angriff, waren so schreiend, die Sache, die zu meinem Ausfall Gelegenheit gegeben, von so überzeugender Gerechtigkeit, daß selbst die Zaghaftesten zu meiner Meinung hingerissen wurden. Von allen Seiten sagte man mir Schmeichelhaftes; die selbst, welche meine Klageschrift am meisten aufgebracht hatte, wagten es nicht, mir ihr Mißfallen zu bezeigen.
Mein Prozeß wurde gewonnen; es war viel, da einem Unglücklichen endlich eine so teuer erkaufte Wiedererstattung zuteil wurde; aber ein süßerer Lohn als der Segen meines Schützlings zahlte mich reichlich für alle meine Mühe. Die geringen Hindernisse, welche meiner Wahl noch entgegengestanden hatten, wurden durch die energischen Versicherungen meiner Denkschrift gehoben, ich erhielt die schönste Bestallung47), welche die Arbeiten eines Wohlmeinenden krönen kann: ich wurde zum Abgeordneten des dritten Standes meiner Provinz erwählt.
Ich kann die Freude nicht beschreiben, die ich bei meiner Ernennung empfand. Alle Träume meines Lebens waren verwirklicht, ich stand auf einer Bühne, auf der ich meine Stimme für die so lange verkannten Rechte des Volkes und nicht mehr fruchtlos erheben durfte. Mein Geist wuchs bei dieser Aussicht, ich war auf der Höhe meines erhabenen Berufes.
Fünfzehn von drei Klassen erwählte Abgeordnete vertraten die Provinz Artois bei den Generalstaaten; wenige davon haben die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Herr von Beaumetz und Karl von Lameth, zwei Mitglieder aus dem Adel, haben allein ihre Laufbahn als Gesetzgeber durch einige Reden bezeichnet, die der Aufbewahrung wert waren.
Der erstere war infolge meiner Schrift über die Stände von Artois von jener Zeit an mein erklärter Feind. Ich hatte die entehrenden Kunstgriffe, mit denen die Mitglieder der Stände die Güter der Provinz verschleuderten, in jener Denkschrift gebrandmarkt. Herr von Beaumetz hatte sich als Königlicher Kommissär, ein ungesetzliches Gehalt aussetzen lassen. Ich hatte dieses angeführt; Herr von Beaumetz war zwar nicht genannt, aber jeder verstand es. Er hat mir das nie verziehen; so erhielt ich unter meinen Amtsgenossen einen Widersprecher, der alles mit Bitterkeit aufgriff, was ihm in meinem Verfahren oder meinen Reden tadelnswert erschien.
Ich fürchtete diese Aufsicht nicht; welche Larve Herr von Beaumetz auch vornehmen, welchem Banner er auch wirklich oder scheinbar folgen mochte, ich hatte die Überzeugung, daß wir uns nicht auf einem Wege begegnen würden. Ich war entschlossen, festen Schrittes in der einzigen Laufbahn fortzuschreiten, die sich der Vaterlandsliebe der Volksvertreter eröffnet hatte, alles meinen Pflichten zu opfern, mich nicht um die Anklagen, mit denen man mich verfolgen konnte, noch um die verleumderischen Ausdeutungen zu kümmern, durch die man meine Absichten vergiften würde; nur in der Stimme meines Gewissens, nur in der des Volkes, das man nie täuscht, suchte ich die Billigung meines Verfahrens. Diesen beiden Mächten allein war ich verpflichtet; und gern wollte ich alles tun, damit sie an meinem Leben nichts auszusetzen fänden. Die Volksgunst, wie ich nach derselben strebte, sollte nur eine förmliche Billigung meiner Grundsätze, eine Aufmunterung sein, darin zu beharren.
So wie ich dem Volke geben war, konnte ich kein anderes Interesse als das seinige, keine andere Freude als die seinige, keine andere Zukunft vor Augen haben als die, welche die Wiedergeburt, zu der ich es führte, ihm bereiten würden. Freiheit, Gleichheit, dies waren die beiden Eroberungen, zu denen die Nation berufen war. Ich durfte mich von diesem Ziele nicht entfernen und knüpfte mein ganzes Leben daran. Es lag mir wenig daran, durch Beredsamkeit zu glänzen, meine Gegner durch spitzfindige Schlüsse in Erstaunen zu setzen, vor allem mußte ich dem Volke gefallen und darum für den Triumph seiner Sache streiten.
So war die Stimmung meines Geistes, als mir die Ehre zuteil wurde, als Stellvertreter des Volkes aufzutreten. Man begreift bei dieser Denkungsart die Strenge meiner Ansichten und die gründliche Beharrlichkeit, mit der ich während der Sitzungen der konstituierenden Versammlung deren Sieg zu erringen strebte.
Sobald meine Wahl beschlossen war, machte ich mich fertig, nach Versailles, das für die Zusammenkunft der Generalstaaten bestimmt war, abzureisen. Mein Bruder war damals in Paris und hatte eben sein juristisches Studium beendet; das Wiedersehen machte mir eine unaussprechliche Freude. Der gute Augustin! Er hatte meinen Triumph geteilt, seine Freude war ein wahrer Taumel. Das wenige, was ich in meiner Verpflichtung als Haupt der Familie für ihn getan, hatte einen so tiefen Eindruck auf ihn gemacht, daß die Freundschaft, welche er von seiner frühesten Kindheit an für mich hegte, fast an Verehrung grenzte. Bei seinem vortrefflichen Herzen, seiner sanften, liebevollen Seele, bei seiner Leidenschaft für Tugend und Vaterland war seine Anhänglichkeit mir immer der teuerste Trost in Leiden, seine Achtung mein Stolz, die Schöpferin meines inneren Friedens. Wäre ich jemals vom Pfade der Tugend abgewichen, mein Bruder hätte mich schnell bedeutet und, wenn Rat vergeblich gewesen wäre, sich von mir entfernt. Möge dieser treffliche Bürger, dieser glühende Patriot bald einen glänzenden Beweis von der Achtung des Volkes erhalten! Möge er, wenn neue Versammlungen neue Wahlen herbeiführen, mit mehr Glück als im vergangenen Jahre die immer neuaufschießenden Ränke meiner Feinde zu schänden machen, die sich an ihn, als an mein zweites Ich, gehängt haben.
Versailles bot damals, als ich dort eintraf, ein bewunderungswürdiges Schauspiel dar. Aus allen Enden Frankreichs sah man die Neuerwählten herbeieilen, Advokaten, Großhändler, Landleute, lauter ehrenwerte Männer, die von ihren Mitbürgern hochgeachtet, aber nicht an das Geräusch der Hauptstadt und noch weniger an die Ränke des Hofes gewöhnt waren. Ich übergehe die Abgeordneten des Adels, größtenteils Hofleute, Parlamentsmitglieder, Offiziere, Männer mit großen Titeln oder Pensionen. Die unendliche Muhe, die sie sich gaben, von dem dritten Stande getrennt zu bleiben, zeigte schon im voraus, wie wenig die Nation von ihnen zu erwarten, wie viel sie von ihnen zu fürchten habe. Unter dem Klerus zählten wir viele Freunde, alle Geistlichen, die keine Pfründen48), sondern nur eine kleine Pfarrei besaßen: sie waren das Volk, der dritte Stand ihrer Klasse; aus Rücksicht für ihr Kleid waren sie ängstlich und zurückhaltend, aber wir kannten ihre Stimmung.
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