Kitabı oku: «Schattenschwestern», sayfa 2

Yazı tipi:

Mona

Ich hielt Aidans Hand fest und allein der Gedanke sie schon bald wieder loslassen zu müssen, machte mich traurig. Wenn er bei mir war, glaubte ich daran, dass mein Leben sich zum Positiven entwickeln würde, dass ich ein normales Leben haben könnte, aber ohne ihn fühlte ich mich schwach und verwundbar. Wir saßen zusammen auf der Rückbank von Liams Audi. Er hatte uns bei den Rices abgeholt, als er Winter mit nassen Haaren zurückgebracht hatte. Es war schön gewesen Weihnachten bei Susan und ihrer Familie verbringen zu können. Obwohl die Stimmung von Anfang an angespannt gewesen war, hatte ich die Geborgenheit genossen. Mein letztes Weihnachtsfest im Kreise der Familie war Jahre her, damals war ich noch ein Kind gewesen. All die Jahre danach war ich mit meiner Großmutter allein gewesen. Es war nicht schlecht, sie hatte sich Mühe gegeben, etwas Leckeres gekocht und wir hatten den Abend mit Brettspielen ausklingen lassen, aber es war etwas anderes als sich mit anderen Menschen in einem Wohnzimmer vor einem Kamin und einem geschmückten Weihnachtsbaum zu versammeln. Aidan hatte noch nie Weihnachten gefeiert. Winter wusste das und vermutlich war das der einzige Grund, warum sie mich und ihn in ihrem Zuhause geduldet hatte. Seitdem Aidan sich für mich entschieden hatte, war unser Verhältnis nicht mehr das Gleiche. Wir waren auf dem besten Weg gewesen Freundinnen zu werden und jetzt strafte sie mich mit Ignoranz. Ich konnte sie verstehen, wenn Aidan sich anstatt für mich für sie entschieden hätte, würde ich sie wahrscheinlich auch nicht mehr sehen wollen. Trotz allem fehlten mir die Gespräche mit ihr.

Voller Unbehagen sah ich wie wir uns dem Anwesen von Velvet Hill nährten. Aidan drückte meine Hand etwas fester. Er hasste es genauso sehr wie ich an diesen Ort zurückkehren zu müssen. Liam hielt vor der Einfahrt und drehte sich bei laufendem Motor zu uns herum. „Bitte erspart mir herzzerreißende Liebesbekundungen, gebt euch einen Abschiedskuss und in einer Woche seht ihr euch wieder.“

Ich funkelte ihn wütend an. Wie konnte er nur so gefühlskalt sein? Sah er nicht wie schwer es mir fiel auch nur eine Sekunde ohne Aidan zu sein?

„Wir steigen aus“, sagte ich bestimmt, ohne dabei Aidan oder Liam anzusehen, es war an beide gerichtet. Aidan öffnete als erster die Tür und ich folgte ihm, wobei ich sie laut hinter mir zuknallen ließ. Langsam gingen wir Hand in Hand zum Klinikeingang. Wir hatten es Liam zu verdanken, dass Aidan nun tagsüber die Klinik verlassen durfte. Er hatte ein ernstes Gespräch mit Doktor O’Hare geführt bei dem seine Schattenwandlertalente vermutlich keine allzu geringe Rolle gespielt hatten. Zudem hatte er dafür gesorgt, dass Aidan nach den Ferien mit Winter und mir zurück zur Schule gehen konnte. Wir würden die meisten Kurse zusammen haben und könnten uns so jeden Tag sehen, was für mich Anreiz genug war, um mich noch einmal an diesen schrecklichen Ort zu wagen. Ich erinnerte mich noch gut daran, mit welchen seltsamen Blicken ich von den anderen Schülern bedacht worden war. Ihr Tuscheln hörte ich nachts in meinen Träumen und es ließ mich schweißgebadet aus dem Schlaf schrecken. Aber mit Aidan an meiner Seite würde alles nur halb so schlimm werden. Wenn ich ihn ansah, konnte ich alles andere um sich herum ausblenden. Umso schwerer fiel es mir deshalb ihn nun gehen zu lassen. Es war nur eine Woche, aber eine Woche konnte verdammt lange sein. Er blieb stehen und drehte sich zu mir herum. Seine Hand legte sich wie selbstverständlich an meine Wange. Er streichelte über meine Haut. „Nur noch eine Woche“, sagte er einfühlsam. „Dann können wir uns jeden Tag sehen.“

„Aber wir werden nicht alleine sein. Du weißt nicht, wie das ist. Die Anderen zerreißen sich bei jeder Gelegenheit das Maul über einen“, klagte ich angstvoll.

„Die Anderen sind mir egal, Hauptsache wir sind zusammen“, lächelte er liebevoll und küsste mich auf die Stirn. Ich schlang meine Arme um ihn und drückte mein Gesicht fest gegen seine Brust. Obwohl er noch vor mir stand, fehlte er mir schon jetzt. Seine Finger glitten über meinen Kopf und mein Haar.

Wir lösten uns voneinander und ich küsste ihn auf die Wange, bevor ich mich umdrehte und schnell zurück zum Wagen lief. Ich konnte nicht dabei zusehen wie er ohne mich in dem Gebäude verschwand. Am liebsten hätte ich mich einweisen lassen, nur um bei ihm sein zu können. Aber ich wusste, dass wenn Doktor O’Hare erst einmal einen Blick in meinen verworrenen Verstand werfen würde, ich Velvet Hill nie wieder würde verlassen dürfen.

Als ich mich neben Liam niederließ, musterte er neugierig mein Gesicht, doch ich zischte nur: „Fahr einfach los!“

Er wendete den Blick ab und startete wortlos den Motor. Mein Hals schnürte sich zu und als ich die Klinik nicht einmal mehr im Rückspiegel sehen konnte, kullerte eine Träne über meine Wange, die ich wütend wegwischte.

„Wollen wir morgen früh Pfannkuchen essen gehen?“, fragte Liam in dem Versuch mich aufzuheitern.

„Glaubst du Pfannkuchen können mir Aidan ersetzen?!“, fuhr ich ihn wütend an und bedauerte es noch im selben Moment. Manchmal erkannte ich mich in letzter Zeit selbst nicht wieder. Während ich zuvor immer geschwiegen hatte, egal wie sehr mich jemand verletzt oder mich etwas störte hatte, fuhr ich nun oft grundlos aus der Haut. Ich hatte das Gefühl auf die ganze Welt wütend zu sein.

Liam hatte es nur gutgemeint. Er hatte zwar in der Vergangenheit viel Leid über mich gebracht, aber gab sich, seitdem er wieder auferstanden war, große Mühe es irgendwie wieder gut zu machen. Ich war ihm dankbar für das, was er Aidan ermöglicht hatte.

Wir erreichten das Anwesen unserer Familie, in dem wir nun wieder gemeinsam lebten. Der Wald und das Gebäude lagen im aufkommenden Nebel, der sich bis zu meinem Herzen einen Weg zu bahnen schien. Ich hasste diesen Ort. Er erinnerte mich an all die schrecklichen Dinge, die dort in den letzten Monaten passiert waren, während die Erinnerungen an meine Großmutter immer mehr verblassten.

Susan hatte mir mehr als einmal angeboten, dass ich gerne bei ihnen wohnen bleiben könnte und auch jederzeit wiederkommen dürfte. Zu gern hätte ich ihr Angebot angenommen. Sie war der warmherzigste Mensch, dem ich je begegnet war und ich hatte mich in ihrer Nähe zum ersten Mal seit langem geborgen gefühlt, aber ich wusste auch, dass sie durch die Festnahme von Eliza bereits genug Sorgen und Probleme hatte und wollte ihr deshalb nicht noch mehr zur Last fallen. Zudem wäre Winter sicher alles andere als erfreut gewesen, wenn sie mich jeden Tag sehen müsste.

Gleichzeitig fühlte ich mich auch Liam gegenüber verpflichtet. Er war alles, was mir von unserer Familie geblieben war. Aber sobald ich das Anwesen betrat, waren all meine positiven Gefühle wie weggefegt und zurück blieb nur eine bodenlose Leere. Egal, was Liam auch zu mir sagte, seine Worte waren wie ein undeutbares Rauschen, dem ich keine Beachtung schenkte. Ich zog mich in mein kaltes Zimmer zurück und verschloss die Tür hinter mir. Die Wände waren kahl und die Tapete löste sich bereits seit Jahren. Auf dem Boden gab es keinen Teppich und an den Fenstern hingen keine hübschen Gardinen. Es machte nicht den Eindruck als würde hier jemand wohnen, trotzdem war es mein Zuhause. Ich legte mich flach aufs Bett und starrte zur Decke, an der sich ein großer Wasserfleck dunkel hervorhob. Wenn ich alleine in meinem Zimmer war, hatte ich manchmal das Gefühl bereits tot zu sein. Mein Leben bestand daraus zu warten. Ich zählte die Sekunden, Minuten, Stunden und Tage bis ich Aidan wiedersehen würde, nur in seiner Gegenwart fühlte ich mich lebendig.

Eliza

„Sie haben Besuch, Miss Rice“, sagte einer der Polizeiwachen, als er die Tür zu meinem Zimmer öffnete – Zelle traf es jedoch wohl eher, denn es gab in dem Raum nichts außer einem Bett, einem Tisch und einem Stuhl. In der Ecke befand sich noch eine Toilette mit einem Waschbecken. Die Schande eines Spiegels hatten sie mir wenigstens erspart. Ich wollte lieber nicht wissen, wie ich im Moment aussah. Wenn mein Äußeres mein Inneres widerspiegelte, würde ich wie das Monster aussehen, als das ich mich fühlte.

Ich erhob mich von meinem schmalen Bett, welches protestierend quietschte. Brav legte ich meine Hände auf den Rücken, sodass der Polizist mir die Handschellen anlegen konnte. Ich kannte seinen Namen nicht. Die Wachen wechselten ständig und verschwammen für mich zu einer gesichtslosen Person.

Die Einzigen, die mich bisher besucht hatten, waren meine Eltern gewesen. Mum war jedes Mal in Tränen ausgebrochen, während Dad mir immer wieder versicherte, dass sie Himmel und Hölle in Bewegung setzen würden, um mich hier rauszuholen. Sie hatten nicht einmal gefragt, ob ich schuldig war. Aber das war ich. Die traurige Wahrheit war, dass ich zu Recht in Untersuchungshaft saß und nach der Gerichtsverhandlung für viele Jahre ins Gefängnis gehen würde. Ich war eine Mörderin. Daran konnte niemand etwas ändern.

Der Polizist öffnete die Tür zum Besucherzimmer und ich stutze. Dort wartete eine großgewachsene, blonde, mir unbekannte Frau auf mich. Sie trug ein elegantes schwarzes Kostüm. Der Rock war vielleicht einen Tick zu kurz, aber betonte dadurch nur ihre langen Beine. Sie ging mir mit einem Lächeln entgegen wie es Immobilienmakler aufsetzen, wenn sie sicher waren, dass sie ein großes Geschäft an Land ziehen würden.

„Eliza“, säuselte sie, als wären wir alte Bekannte und ließ dabei ihren Blick über meinen Körper gleiten. „Gut siehst du aus.“

Alles an ihr war falsch. Ihr aufgesetztes Lächeln, ihr makelloses Gesicht und ihre Worte. Ich sah gewiss alles andere als gut aus. Misstrauisch verschränkte ich meine Arme vor der Brust und blieb vor dem Tisch stehen, anstatt mich ihr gegenüber zu setzen. „Wer sind Sie?“

Sie rollte mit den Augen, wobei ein amüsiertes Lächeln ihre Lippen umspielte. „Eure Mutter spricht nicht oft über mich, oder?“

Ich runzelte verständnislos die Stirn.

„Mein Name ist Rhona. Ich bin deine Tante und zu deinem Glück auch noch Anwältin. Ich werde dich im Prozess vertreten und nun setz dich bitte!“ Ihr Tonfall war freundlich, aber bestimmt. Wage erinnerte ich mich an eine Tante, die ich einmal bei meinen Großeltern kennengelernt hatte. Ich nahm an, dass wir einander nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt hatten. Obwohl ich zwar wusste, dass Mum eine Schwester hatte, war sie nie Gesprächsthema in unserem Haus gewesen. Es gab keine Geschichten aus ihrer gemeinsamen Kindheit oder Jugend.

Zögernd nahm ich Rhona gegenüber Platz. Sie verschränkte ihre Hände auf dem Tisch und sah mich herausfordernd an. „Und? Hast du es getan?“

Die Art wie sie die Frage stellte, beunruhigte mich. Sie war zwar meine Anwältin und auch sicher im Auftrag meiner Eltern hier, aber dennoch misstraute ich ihr. Auch wenn sie meine Tante war, blieb sie eine Fremde.

„Du musst mir die Wahrheit sagen, wenn ich dich verteidigen soll“, bohrte sie nach.

„Ja“, stieß ich schließlich hervor und sah ihr in die grünen Augen, die von getuschten Wimpern eingerahmt waren. „Ich habe Will umgebracht.“

Sie notierte sich etwas auf ihrem Block und sah dann wieder auf, als wäre nichts gewesen. „Gab es Zeugen?“

Mona und ich hatten ihn gemeinsam erstochen, aber es war meine Idee gewesen. Unmittelbar danach war ich auf Lucas gestoßen, dem ich alles gestanden hatte. Ich werde nie die Abscheu in seinem Blick vergessen. Er hatte das Monster in mir gesehen. Er war es auch, der die Polizei verständigt und einen Krankenwagen für Mona gerufen hatte. Sie war zusammengebrochen und ich hatte sie einfach liegen lassen. Das Einzige, was mich interessiert hatte, war zu wissen, ob mein Plan aufgegangen war. Liam musste leben, um den Fluch zu brechen, der meine Schwester von mir fernhielt. Nun gab es keinen Jägersfluch mehr und trotzdem hatte sie mich nicht ein einziges Mal besucht.

„Mona und Lucas“, murmelte ich schuldbewusst. Sie schrieb erneut auf ihren Block und sagte dann leichthin: „Ich werde mich darum kümmern.“

„Was soll das heißen?“, fragte ich verwirrt.

„Lucas ist der Junge, der neben euch wohnt, oder?“

Ich nickte.

„Ich werde mit ihm sprechen. Er wird nicht gegen dich aussagen, genauso wenig diese Mona.“ Ich verstand nicht wie sie sich da so sicher sein konnte. Was hatte sie vor? Wollte sie ihnen Schläger auf den Hals hetzen, nur um zu verhindern, dass sie eine Aussage gegen mich machten?

„Was hast du vor?“

Sie lächelte mich wissend an. „Mach dir darüber nur keine Sorgen“, sagte sie mit einer wegwerfenden Handbewegung und beugte sich näher zu mir über den Tisch. „Trinkst du genug?“, raunte sie, als wäre es ein Geheimnis.

„Ich bekomme jeden Tag drei Mahlzeiten“, erwiderte ich, spürte aber gleichzeitig wie die Schatten an mir rissen. Ich hatte es noch nie so lange ohne Gefühle anderer ausgehalten. Wenn ich mir nicht bald welche nehmen würde, könnte es passieren, dass ich mich vor den Augen der Polizei in Luft auflöste, nur um irgendwo anders wieder aufzutauchen. Ich würde völlig die Kontrolle darüber verlieren. Im schlimmsten Fall würde ich jemanden völlig aussaugen, so wie ich es bei Beth getan und sie damit umgebracht hatte: Der Anfang meiner Misere.

Sie legte mir plötzlich ihre kalte Hand auf meine Finger und sah mir eindringlich in die Augen. „Ich weiß, was du bist.“ Ich erstarrte und blickte sie ungläubig an. Wie konnte die Schwester meiner Mutter etwas über mein Schattendasein wissen? Hatte Winter mit ihr gesprochen und sie eingeweiht?

Rhona sah mein geschocktes Gesicht und schüttelte den Kopf. Ihre Hand umschloss sich mit meiner. „Trink!“, forderte sie und starrte mir weiter in die Augen. Ich vertraute ihr nicht, aber mein Hunger war größer und so begann ich ihre Gefühle in mir aufzunehmen. Sie waren völlig anders, als alles, was ich bisher in einem anderen Menschen gespürt hatte. Eine tiefe Dunkelheit überschattete jede andere Emotion. Nur dazwischen blinkten wie Glühwürmchen in der Nacht andere Gefühle hervor: Schuldgefühle, Eifersucht und Wut. Sie schmeckte kalt und ich sehnte mich nur noch mehr nach Lucas‘ Wärme. Wenn ich von ihm getrunken hatte, war ich mir immer seiner bedingungslosen Liebe bewusst gewesen. Erst in den letzten Wochen hatte er sich von mir abgewendet. Als ich mich von Rhona löste, war mein Hunger etwas gestillt. Für einen Moment wirkte sie orientierungslos, doch dann richtete sie sich abrupt auf und richtete ihr Kostüm. „Ich komme bald wieder“, versprach sie und klopfte gegen die Tür, um dem Polizisten zu verstehen zu geben, dass sie hier fertig war. Sie ging, ohne sich noch einmal nach mir umzusehen und ließ mich mit einem verwirrten Gefühl zurück. Ich hatte so viele Fragen an sie und wusste nicht, wie ich sie einordnen sollte. Konnte ich ihr vertrauen?

Der Polizist führte mich zurück in mein Zimmer. Als sich die Tür hinter mir schloss, verspürte ich sogleich ein Gefühl von Einsamkeit. Neben meinem Bett lag ein Stapel Bücher, welcher meine einzige Abwechslung zu meinen immer wiederkehrenden Gedankengängen war. Sie gehörten alle Winter. Ich selbst hatte mich nie fürs Lesen interessiert. Was interessierten mich die erfundenen Geschichten anderer? Ich wollte selbst Abenteuer erleben und nicht nur davon lesen. Doch jetzt griff ich nach dem obersten Buch, schlug es in der Mitte auf und hielt es mir direkt vors Gesicht. Der Geruch von Papier und eine winzige Spur von Winters Parfum hüllten mich ein. Wenn ich die Geschichten las, die sie so sehr liebte, fühlte ich mich ihr näher.

„Er stirbt am Ende“, sagte plötzlich eine mir bekannte Stimme und ich ließ genervt das Buch sinken. Will saß auf dem Tisch, während er seine Füße auf dem Stuhl abgestellt hatte. Ein freches Funkeln lag in seinen Augen, welches ich, als er noch am Leben gewesen war, nie bei ihm bemerkt hatte.

„Du bist immer noch da?“, fragte ich unbeeindruckt. Seit meiner ersten Nacht in Untersuchungshaft tauchte er mehrmals am Tag wie aus dem Nichts bei mir auf. Beim ersten Mal hatte ich mich tierisch erschreckt und mir versucht klar zu machen, dass er eine Halluzination sein musste, doch er war dadurch nicht wieder verschwunden. Er kam und ging wie es ihm gefiel. Ich wusste nicht, ob ich ihn mir nur einbildete oder ob er tatsächlich da war. Aber falls er meiner Fantasie entsprang, war ich deutlich kreativer als ich bisher angenommen hatte.

„Du hast mich umgebracht“, erwiderte er leichthin und fügte dann triumphierend hinzu: „Nun werden wir für immer zusammen sein. Und du kannst nichts daran ändern.“

Er hatte mir schon einmal gesagt, dass er mich als Geist nun verfolgen würde, solange ich lebte. Keiner der Polizisten konnte ihn sehen. Wenn sie mich reden hörten, glaubten sie, dass ich in der kleinen Zelle langsam verrückt wurde.

„Verschwinde!“, zischte ich, obwohl ich wusste, dass er nicht auf mich hören würde. Stattdessen stand er vom Tisch auf und ließ sich neben mir auf dem Bett nieder. Unsere Beine berührten einander, aber ich konnte ihn nicht spüren.

„Du könntest wenigstens zugeben, dass du froh bist mich zu sehen. Immerhin bin ich dein einziger Gesprächspartner“, sagte er versöhnlich.

„Du bist nicht echt“, fuhr ich ihn an.

„Warum sprichst du dann mit mir?“

Wütend presste ich meine Lippen aufeinander und legte mich auf mein Bett. Will ließ sich neben mir nieder. Selbst wenn er sich auf mich gelegt hätte, hätte ich davon nichts bemerkt. Es war nicht so, als ob er durch mich oder ich durch ihn hätte hindurchfassen können. Wenn ich ihn berührte, fühlte es sich eher an, als würde ich gegen eine Glasscheibe fassen: kalt und leblos.

„Deine Tante ist heiß“, scherzte er nun. Noch mehr als wenn er sich zeigte, hasste ich es, wenn er mich beobachtete, ohne sich bemerkbar zu machen. Früher wäre er nie so direkt gewesen. Er war charmant und witzig, aber seine guten Manieren schien er mit seinem Tod verloren zu haben.

Ich zuckte nur mit den Schultern. „Wenn du meinst.“

„Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass es unmöglich ist, dass du die einzige Schattenwandlerin in deiner Familie bist.“

Er hatte mir einmal von seinem Vater erzählt, der ebenfalls ein Schattenwandler war, aber ihr Verhältnis war nicht gut. Ob er zu der Beerdigung seines Sohnes kommen würde? Ich wusste nicht einmal, ob sie schon stattgefunden hatte. Mit schlechtem Gewissen dachte ich an seine Mutter, die nun nicht nur ihren Mann, sondern auch noch durch meine Schuld ihren einzigen Sohn verloren hatte. Ein trauriger Ausdruck legte sich auf Wills Gesicht. Manchmal schien es mir, als könne er meine Gedanken lesen, aber er hatte mir bisher darauf keine Antwort gegeben. Auch dieses Mal nicht. Er verschwand so plötzlich wie er gekommen war und ließ mich alleine mit meinen Schuldgefühlen zurück. „Es tut mir Leid“, flüsterte ich in die Stille. Das tat es mir wirklich.

Winter

Es hatte aufgehört zu schneien, aber an den Straßenrändern türmten sich graue Schneeberge, während der Boden von einer rutschigen Eisschicht überzogen war. Mein Atem hinterließ kleine Wolken in der Luft, während ich über den Bürgersteig hastete, um den Schulbus noch rechtzeitig zu erreichen. Ich war etwas nervös – Untertreibung des noch so frischen Jahres! In Wahrheit schlug mir mein Herz bis zum Hals und meine Hände waren in meinen Handschuhen feucht, aber nicht vor Anstrengung, sondern aus lauter Angstschweiß. Ich war zuletzt vor drei Monaten in der Schule gewesen. Vermutlich wusste bereits jeder, dass ich in der Psychiatrie gewesen war. Wenn dann auch noch die Anklage von Eliza wegen Mordes dazukam, konnte ich mich auf etwas gefasst machen. Am liebsten wäre ich gar nicht in die Schule gegangen. Ich hatte meinen Eltern versucht glaubhaft zu machen, dass ich eine schlimme Erkältung hätte und deshalb unmöglich in die Schule gehen könnte. Aber ich war eine deutlich schlechtere Schauspielerin als Eliza und sie hatten mich sofort durchschaut. Trotzdem waren sie bestürzt gewesen, denn ich gehörte nicht zu den Mädchen die regelmäßig Schule schwänzen. Eigentlich hatte ich damit erst begonnen, seitdem Eliza zurück in Wexford war.

Ich sah den Bus mit laufendem Motor an der Haltestelle stehen und beschleunigte meine Schritte, was auf dem gefrorenen Boden einer Rutschpartie glich. Außer Atem sprang ich in die geöffnete Tür. „Danke!“, keuchte ich dem Busfahrer entgegen, der offenbar auf mich gewartet hatte. „Danke nicht mir, sondern deinem Freund“, grinste er und deutete auf einen Jungen mit grauer Mütze, der direkt hinter der Fahrerkabine stand: Lucas. „Er hat mir gedroht die Notbremse zu ziehen, sollte ich es wagen ohne dich loszufahren“, scherzte der Mann amüsiert. „Nun setzt euch aber!“

Lucas lächelte mich unsicher an. Er hatte ein schönes Lächeln, das bis zu seinen blauen Augen reichte. Früher hatte ein Blick in sein Gesicht genügt, damit meine Beine zu Gummi wurden und mein Bauch Purzelbäume schlug, aber jetzt tat es einfach nur weh ihn anzusehen. Vielleicht gab er sich tatsächlich Mühe, aber ich fühlte mich von ihm genauso verraten und im Stich gelassen, wie von allen anderen auch.

„Danke“, murmelte ich und drängte mich an ihm vorbei.

„Dieselben Plätze wie immer?“, fragte er hoffnungsvoll. Normalerweise saßen wir immer im hinteren Bereich in einer Zweierbank auf der rechten Seite. Ich schüttelte den Kopf und sah ihn ernst an. „Ich würde lieber alleine sitzen.“ Zur Bekräftigung setzte ich mich direkt hinter den Busfahrer und wand mein Gesicht der Fensterscheibe zu. Ich spürte wie er für einen Moment neben mir verharrte, aber dann weiter durch den Bus ging. Nur für einen Augenblick hatte ich befürchtet, dass er meine Bitte ignorieren würde. Ich lehnte meinen Kopf gegen das kühle Glas der Scheibe und schloss die Augen. Obwohl es Lucas war, der mich betrogen, belogen und benutzt hatte, empfand ich ihm gegenüber ein schlechtes Gewissen. Es fiel mir nicht leicht ihn abzuweisen, während er sich so bemühte. Aber der Gedanke so zu tun, als wären wir immer noch Freunde, tat noch viel mehr weh.

Vor dem Eingang der Schule strömten die Massen an Schülern wild durcheinander. Es war der erste Tag nach den Ferien und alle hatten sich viel zu erzählen. Ich sah überall hin und gleichzeitig versuchte ich die Blicke mit denen ich bedacht wurde, auszublenden. So bemerkte ich Dairine erst, als ich aus dem Bus stieg und beinahe direkt in sie hineingelaufen wäre. Sie musste auf mich gewartet haben, denn nun breitete sie ihre Arme aus und zog mich in eine feste Umarmung. Ich atmete den Geruch ihres Apfelshampoos ein und freute mich tatsächlich sie zu sehen. „Du hast mir so gefehlt“, kreischte sie freudig und küsste mich auf die Wange. Als sie sich von mir löste, konnte ich sie erst richtig ansehen. Sie sah verändert aus. Die vielen bunten Strähnen waren aus ihrem schwarzen Haar völlig verschwunden. Sonst hatte sie auf ihrer Schuluniform immer eine Vielzahl von Buttons verschiedener Rockbands und farbige Bänder getragen, doch auch davon war nichts mehr übrig geblieben. Ihre Veränderung erinnerte mich daran, dass sie mich in Velvet Hill nur einmal besucht hatte und danach nie wieder, dabei hätte ich eine Freundin gut gebrauchen können. Nun stand sie mir genau wie Lucas gegenüber und tat, als wäre nichts gewesen. Fairerweise musste ich zugeben, dass sie mir an Weihnachten und Silvester mehrere Nachrichten geschickt und mich immer wieder versucht hatte anzurufen, aber ich sie beharrlich ignoriert hatte. Wenn sie mich gefragt hätte wie es mir ging, hätte ich nicht gewusst, was ich ihr antworten sollte.

Dairine bemerkte meinen kritischen Blick und das Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht. Schuldbewusst sah sie mich an, so als wüsste sie genau, was ich in diesem Moment gedacht hatte. „Ich bin froh, dass du wieder da bist“, bekräftigte sie noch einmal eindringlich. „Sollen wir reingehen?“

Ich nickte und folgte ihr ins Schulgebäude. Immer wieder hörte ich wie mein Name in Gesprächen hinter vorgehaltener Hand gezischt wurde. Die Blicke der anderen schienen sich in meinen Rücken zu bohren, doch wenn ich mich umsah, taten alle so, als nähmen sie keine Notiz von mir.

Als wir das Klassenzimmer betraten, wäre ich am liebsten sofort wieder rückwärts rausgegangen, denn Mona und Aidan saßen an einem Tisch, direkt vor dem Lehrerpult. Seine Hand lag vertraut auf ihrer, als sie zu uns aufsahen. „Hey“, sagte Mona leise, während Aidan sich erhob und auf uns zuging. Er streckte Dairine seine Hand entgegen. „Hallo, ich bin Aidan.“

Dairine sah verwirrt zwischen mir und ihm hin und her. Sie spürte meine Abneigung, aber kannte den Grund dafür nicht. Das bewies nur wie viel mittlerweile zwischen uns lag. Sie war meine beste Freundin und wusste nicht einmal etwas über meinen letzten Beinahe-Freund. Als sie seine Hand ergriff, ging ich an ihnen vorbei und ließ mich auf meinen Platz in der hintersten Reihe fallen. Dairine setzte sich neben mich und schaute immer wieder besorgt zu mir, während sich das Klassenzimmer langsam füllte. „Alles ok?“, flüsterte sie.

Dachte sie etwa ich könnte ihr alles, was mir in den letzten drei Monaten widerfahren war, innerhalb von ein paar Minuten erzählen? „Geht schon“, raunte ich abweisend und sehnte mir Mrs. Kelly, unsere Musiklehrerin, mehr denn je herbei. Doch auch nach Läuten der Schulglocke war sie noch nicht aufgetaucht. Es war schrecklich in dem kleinen Raum mit all den Anderen gefangen zu sein, die über mich oder meine Schwester tuschelten. Sie gaben sich nicht einmal mehr Mühe es zu verbergen.

Bitte keine Freistunde!, betete ich in Gedanken, als die Tür schwungvoll aufgerissen wurde und Liam in Bikerboots und Lederjacke lässig in den Raum geschlendert kam. Nein! Das durfte einfach nicht wahr sein. Die anderen Schüler jubelten begeistert. Sie liebten ihn und seinen lockeren Unterricht. „Yeah, Mr. Dearing!“, grölten die Jungen, während die Mädchen ihn anhimmelten und fragten: „Sind Sie etwa wieder unser Lehrer?“ Liam nahm den Applaus wie ein Rockstar entgegen und sonnte sich selbstverliebt in der Bewunderung.

Zwar musste ich zugeben, dass er mich an Weihnachten mit seiner Schwimmaktion tatsächlich aufgeheitert hatte, aber das bedeutete nicht, dass ich ihn wieder als meinen Lehrer haben wollte. Sein Blick begegnete meinem und er zwinkert mir verschwörerisch zu, woraufhin ich ihn wütend anfunkelte. Er hatte bereits vor seinem Tod die Gerüchteküche ordentlich angeheizt, indem er mir gegenüber immer wieder anzügliche Bemerkungen gemacht hatte, ganz egal, ob andere Schüler in der Nähe waren oder nicht. Ich stand schon genug im Mittelpunkt, da brauchte ich nicht auch noch eine angebliche Affäre mit einem Lehrer. Wie schön war die Zeit gewesen, in der ich wie ein Geist hatte durch die Schule gehen können, ohne die Aufmerksamkeit von irgendjemandem zu erregen. Damals war ich noch nicht mit Lucas gegangen. Ich war im Grunde ein Niemand gewesen, aber ich hatte nichts dagegen gehabt. Wenn ich eines hasste, dann war es im Mittelpunkt zu stehen.

Liam setzte sich auf das Pult und hob seine Hände, um die Schüler zur Ruhe zu bringen. „Ich freue mich euch verkünden zu dürfen, dass ich offiziell wieder zurück bin und den Musikunterricht von Mrs. Kelly nun fest übernehmen werde.“ Die Jubelrufe gingen erneut los, während ich mir überlegte, ob es wohl möglich wäre den Kurs zu wechseln.

Liam hob erneut die Hände, worauf alle wie dressierte Hunde verstummten. Er deutete auf Mona und Aidan. „Wir haben dieses Jahr auch zwei neue Schüler an der Schule. Zum einen meine Cousine Mona Dearing und ihren Freund Aidan Monroe.“

Alle drehten sich neugierig zu ihnen um und ich sah wie unangenehm es beiden war. Mitgefühl loderte in mir auf. Mona und ich hatten mehr gemeinsam, als es auf den ersten Blick vielleicht schien. Wir hatten uns immer gut verstanden und während meiner Zeit in Velvet Hill war sie zu einer engen Freundin für mich geworden. Genauso wie Aidan. Warum hatte ich mich nur in ihn verlieben müssen? Wenn wir nur Freunde geblieben wären, hätte ich jetzt zumindest zwei Menschen, denen ich noch vertrauen könnte. Aber so musste ich immer wieder daran denken wie Aidan mich alleine am Bahnhof in Dublin zurückgelassen hatte, um zu Mona zu gehen. Es tat weh immer nur die zweite Wahl zu sein.

Nach dem Unterricht wollte ich so schnell wie möglich weg von Liam und hatte deshalb mein Heft und meine Stifte schon vor dem Läuten der Schulglocke eingepackt, sodass ich als eine der Ersten aus dem Kursraum eilen konnte. Doch er machte mir einen Strich durch die Rechnung, indem er mich laut zurückrief: „Miss Rice, könnte ich kurz mit Ihnen sprechen?“ Ich hörte seiner Stimme an, welche Freude es ihm bereitete mich bloßzustellen. Am meisten gefiel ihm daran die Gewissheit, dass es mir peinlich war mit ihm gesehen zu werden. Ich ging an den anderen Schülern vorbei und baute mich mit verschränkten Armen vor dem Pult auf. „Habe ich etwas falsch gemacht?“, fragte ich ihn genervt. Doch anstatt mir zu antworten, sah er zu Dairine, die im Türrahmen stand. „Mrs. Cooper, das Gespräch ist vertraulich. Warten Sie bitte vor der Tür?“

Sie rührte sich jedoch nicht von der Stelle, sondern sah abwartend zu mir. „Ist schon gut“, versicherte ich ihr, worauf sie die Tür schloss. Liam wendete sich grinsend mir zu und streckte seine Hand nach mir aus. Ich wich vor ihm zurück. „Was soll das?“, fauchte ich wütend. „Ich habe schon genug Probleme, ich brauche nicht auch noch eine Affäre mit meinem Lehrer!“

Seine Augenbrauen hoben sich amüsiert und er kam um das Pult herum, um sich dicht vor mich zu stellen. „Ich wusste gar nicht, dass wir eine Affäre haben“, grinste er, ohne mich auch nur im Geringsten ernst zu nehmen.

„Ist das alles? Kann ich jetzt gehen?“, fragte ich genervt. Es war sinnlos mit ihm zu diskutieren. Er würde mich ohnehin nicht verstehen. Im Gegensatz zu mir, liebte er es im Mittelpunkt zu stehen und jedes Gerücht, sei es ein schlechtes oder ein gutes, schmeichelte seinem Ego.

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