Kitabı oku: «Das Buch der Gaben», sayfa 11
„Na, wie war’s gestern? Was habt ihr denn so angestellt?“
Tommy antwortete als Erster. Und als ich in sein Gesicht sah, bemerkte ich seine vor Verblüffung weit aufgerissenen Augen. Was hatte er denn jetzt?
„Sie brauchen sich keine Sorgen machen, Frau Seefeld. Wir sind nicht noch mal zum Bungee-Jumping gegangen.“
Mutter sah Tommy erstaunt an.
„Das hatte ich schon befürchtet. Aber ich weiß ja, dass ich mich auf dich ... “, sie korrigierte sich, „ ... auf euch verlassen kann. Aber ich ... “
Sie wollte noch etwas sagen, überlegte es sich dann aber doch anders. Tommy hingegen lächelte auf einmal, und seine Augen glänzten.
„Ich weiß. Sie wollten sagen, Sie kennen mich ja noch nicht so lange, und es wäre besser, Sie wüssten, wo wir hingehen. Aber Sie brauchen sich wirklich keine Sorgen machen. Joe, Sanne und Janine passen auf mich auf!“
Hinter der Stirn meiner Mutter arbeitete es sichtlich. Bei mir selbst fiel so langsam der Groschen. Unwillkürlich riskierte ich einen Blick auf das Buch der Gaben, das immer noch in der Mitte des Tisches lag. Und wirklich, es begann, leicht rötlich zu glimmen! Ich versuchte, Tommy unter dem Tisch einen Tritt gegen das Schienbein zu versetzen, aber ich kam nicht ran.
Meine Mutter runzelte die Stirn. „Tommy, ich hab das Gefühl, du kannst Gedankenlesen!“
Wir prusteten los. Gleichzeitig jedoch machte ich mir unheimlich Sorgen, dass sie das glühende Buch auf dem Tisch entdecken würde. Da endlich fiel Tommys Blick auf das Buch, und er reagierte sofort. Man sah ihm seine Überraschung nicht im Geringsten an, und wie er das Problem so ruhig umschiffte, das machte mich schon wieder ein bisschen neidisch.
„Aber nein“, sagte er lachend. „Ich kenne nur die Gedanken meiner eigenen Mutter. Das sind bestimmt genau die gleichen! Darf ich Ihnen noch eine Tasse Tee einschenken?“
Meine Mutter lachte kopfschüttelnd und stand selber auf.
„Nein, lass gut sein. Das kann ich schon selbst.“
Während sie aufstand und zur Anrichte ging, um die Kanne zu holen, griff Tommy blitzschnell zu und ließ das inzwischen dunkelrot glimmende Buch unter seinem T-Shirt verschwinden. Unauffällig nutzten auch wir anderen die Gelegenheit, um die Wunschkugeln und die Holografie aus dem Blickfeld meiner Mutter zu bringen.
Wir schafften es, ohne dass sie etwas bemerkte. Dann blieb sie aber noch eine geschlagene Viertelstunde bei uns sitzen und quatschte mit uns über die Schule und was wir in den Ferien so vorhatten und über was nicht sonst noch alles. Wir saßen wie auf Kohlen, wollten wir anderen doch endlich wissen, ob Tommy nun Gedankenlesen konnte oder nicht. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus, stand auf und begann, den Tisch abzuräumen. Das war das Zeichen für die anderen, es mir gleich zu tun, und es dauerte nicht lange, dann war die Küche aufgeräumt, und wir konnten uns in mein Zimmer zurückziehen.
Wir setzten uns im Kreis in die Mitte auf den Teppich, die Hunde zwischen uns, und Janine konnte sich nicht mehr zurückhalten.
„Du kannst wirklich Gedankenlesen? Oder hast du nur geraten? Und was ist mit unseren Gedanken? Kannst du die auch lesen?“
„Langsam, langsam“, lachte Tommy. „Ich kann euch beruhigen. Eure Gedanken kann ich jedenfalls nicht lesen. Ich kann mich anstrengen, wie ich will, aber es geht nicht. Aber bei deiner Mutter ... “ Er sah mich entschuldigend an, „ ... da ging es ganz einfach. Ich brauchte sie nur anzusehen und es war, als würden ihre Gedanken in meinem eigenen Kopf entstehen.“
„Wahnsinn!“, entfuhr es Sanne. „Und warum geht es bei uns nicht?“
„Weil wir ein Team sind“, kam es ohne Zögern von Tommy.
„Vier Herzen ... “, flüsterte Janine.
„Ganz genau.“ Tommy schlug das Buch der Gaben auf. „Nur der Mut der vier Herzen bringt die Gabe ins Lot. Ich bin sicher, dass ich die Gabe deswegen nicht bei euch anwenden kann, weil sie im Grunde uns allen gegeben wurde.“
Sanne schüttelte zweifelnd den Kopf.
„Aber wir können nicht Gedankenlesen. Du sollst etwas damit bewirken. Aber was?“
„Ich weiß es nicht. Aber ich bin sicher, dass wir noch darauf kommen werden. Joe, du bist doch Computer-Freak?“
Ich sah ihn erstaunt an. Was wollte er denn jetzt?
„Ja, allerdings. Aber seit ich dich kenne, war ich nicht einmal surfen! Was willst du denn wissen?“
„Du könntest mal versuchen, rauszukriegen, welche Mondphase wir gerade haben und wie lange sie noch dauert.“
Wir starrten ihn an. Natürlich! Die Mondphase!
„Für die Phase eines Mondes wird beseelt der Auserwählte ... “, flüsterte Sanne, die gleich nach Tommys Worten das Buch der Gaben an sich genommen und nach der Stelle gesucht hatte.
Ich sprang auf.
„Na klar!“, rief ich und ging rüber zu meinem Schreibtisch, auf dem der Computer stand. „Das müsste ich rauskriegen.“
Ich setzte mich vor den Monitor und spürte, wie die anderen gespannt hinter mich traten. Ich schaltete das Ding ein und wartete darauf, dass sich das Programm aufbaute. Ich hatte den alten Computer meines Vaters geerbt. Der war so schon ein bisschen langsam und mit dem Modem auch nicht gerade toll geeignet fürs Internet. Aber egal, ich hatte einen eigenen Computer. Sanne wollte inzwischen auch immer öfter rumsurfen, vor allem chatten. Da stritten wir uns schon manchmal, wer ran durfte. Würde wohl irgendwann ein zweiter Gebrauchter fällig werden.
Endlich konnte ich mich einwählen und wartete auf die Verbindung. Aber sie kam nicht zustande. Ich versuchte es ungefähr ein Dutzend Mal, dann gab ich auf.
„Ich glaub, wir haben gerade eine blöde Zeit erwischt. Sind zu viele im Netz. Ich komm nicht durch.“
„Macht nichts“, sagte Tommy, „so schnell wird die Phase ja auch nicht vorbei sein. Lass es uns nachher noch mal versuchen, wenn wir wiederkommen.“
„Wiederkommen?“, fragte Janine.
„Ja“, meinte Tommy augenzwinkernd. „Ich muss unbedingt noch ein paar Tüten Chips kaufen! Und bei der Gelegenheit können wir mal ausprobieren, ob das Gedankenlesen auch bei anderen funktioniert.“
„Au ja!“, rief Sanne und haute mir auf die Schulter. „Ich würde zu gern wissen, was die Leute so denken!“
„Aber mit Bedacht!“, sagte ich und fuhr den Computer herunter. Jetzt war ich es, der die anderen daran erinnerte, dass wir vorsichtig mit unseren Gaben umgehen mussten.
„Selbstverständlich, Herr Seefeld“, sagte Tommy ernst, was uns wieder mal zum Lachen brachte.
Wir alle vergewisserten uns, dass wir das Buch, die Wunschkugeln und die Holografie sicher an unseren Körpern verwahrt hatten. Dann machten wir uns auf den Weg ins Einkaufszentrum. Jever und Lazy ließen wir schweren Herzens zu Hause. In die meisten Geschäfte durften sie sowieso nicht mit rein, und die ganze Zeit draußen warten lassen wollten wir sie auch nicht. Wir gingen also los, um einen gigantischen Vorrat an Chips zu besorgen. Und um etwas auszuprobieren ...
*
Probelesen
Eigentlich hatten wir uns vorgenommen, einfach nur so durch die Einkaufspassage zu schlendern und Tommy versuchen zu lassen, bei irgendeinem zufällig vorübergehenden Passanten herauszufinden, was der denn gerade dachte. Aber als wir auf dem Weg ins Einkaufszentrum im Bus saßen und leise darüber diskutierten, war es einmal mehr Tommy, der uns auf den Boden zurückbrachte.
„Ich weiß nicht“, sagte er. „Stellt euch mal vor, jemand würde in euren Gedanken lesen. Und er würde alles herausbekommen. Auch Sachen, die ihr niemals einem anderen erzählen würdet. Was würdest du denn sagen, wenn ich wüsste, mit welchem Mädchen du gerne mal rumknutschen möchtest?“
Tommy guckte mich an, und ich spürte im selben Moment, dass ich rot wurde. Gott sei Dank funktionierte die Gabe bei uns nicht!
„Du brauchst gar nicht antworten“, lachte er mich an. „Aber du siehst, was ich meine. Und außerdem ist es auch für mich komisch. Als die Gedanken eurer Mutter vorhin in meinem Kopf erschienen, habe ich mich ganz und gar nicht wohl gefühlt. Es war ... es war ... “ Tommy schwieg und starrte auf seine Hände.
„Es war, als würdest du ihr Vertrauen missbrauchen, stimmt’s?“, fragte Janine.
„Ja. Ich hab gemerkt, dass sie mich mag, aber mir doch noch nicht so ganz traut. Aber diesen Gedanken wollte sie ja ganz für sich behalten. Versteht ihr? Sie will mir ja nicht wehtun.“
Wir dachten darüber nach. Ich überlegte, was wohl passierte, wenn man alle Gedanken eines anderen kennen würde. Das konnte ich mir gar nicht richtig vorstellen. Das würde Probleme über Probleme geben! Ich überlegte mir, was es denn in meinem Kopf so gab, was ich auf keinen Fall verraten wollte. Und dann bekam ich einen Schreck. Ich mochte Tommy. Da gab es gar keinen Zweifel. Und doch ertappte ich mich oft bei dem Gedanken, dass er ein ganz schöner Streber sei. Er wusste so viel, und wenn er wieder etwas zum Besten gab, bewunderten ihn die Mädchen. In diesen Momenten dachte ich schon mal nicht so besonders nette Sachen über Tommy. Ich war neidisch auf ihn. Gerade jetzt im Bus, als wir über die Gabe nachdachten, wurde mir das klar, und ich fühlte mich deswegen ganz schön schlecht. Doch was, wenn er alle diese Gedanken hätte lesen können? Wären wir dann noch solche Freunde geblieben wie vorher? Jetzt wusste ich, was Tommy meinte.
„Mann!“, rutschte es mir raus. „Ich will gar nicht wissen, was du von mir denkst!“
„Sei froh, dass ich es nicht kann!“, schmunzelte er.
„In zwei Stationen müssen wir raus“, sagte Sanne. „Wie ist das eigentlich, kommen die ganzen Gedanken der Leute hier nicht alle gleichzeitig in deinen Kopf? Das muss doch ein furchtbares Durcheinander sein!“
„Nein“, erwiderte Tommy. „Ich habe vorhin gemerkt, dass ich denjenigen ansehen muss, dessen Gedanken ich lesen will. Du hast Recht, das würde kein Mensch aushalten, wenn Millionen von Gedanken auf ihn einstürmen würden. Aber wir müssen jetzt raus!“
Bevor der Bus an unserer Haltestelle anhielt, musste ich aber doch noch was loswerden.
„Aber ausprobieren tun wir es doch noch mal, oder?“, drängte ich.
„Lass uns drei Leute raussuchen“, meinte Janine. „Und wenn die was Schlimmes denken, hörst du sofort auf und sagst uns nichts davon, okay?“
„Okay.“ Tommys Augen blitzten schelmisch. „Ich kann euch ja auch Märchen erzählen, was andere wohl denken mögen!“
„Das schaffst du nicht!“, lachte ich. „Das seh ich dir sofort an, wenn du schwindelst!“
„Na, dann haben wir ja noch einen unter uns, der eine seltene Gabe besitzt.“
Nachdem uns der Bus am Einkaufszentrum abgesetzt hatte, standen wir eine Weile ratlos auf dem Vorplatz herum. Hier war ein Test etwas schwierig, weil die Leute so an einem vorbeihasteten. Dann fiel mir ein, dass wir ja noch etwas besorgen mussten. Meine Mutter hatte uns einen Einkaufszettel mitgegeben. Ich zog ihn hervor. Wurst, Käse, Eier, Milch.
„Lasst uns erstmal in den Supermarkt gehen“, sagte ich. „Meine Mutter hat die ungarische Salami vergessen. Da hol ich noch was von. Die schmeckt am besten.“
Am Wurststand war einiges los, aber nur eine Verkäuferin bediente die Kunden, und die sah auch noch ziemlich mürrisch aus. Wir stellten uns an, und ich suchte schon mal nach der Salami. Auf einmal stieß mich Tommy an.
„Ich weiß, was sie denkt!“, raunte er mir zu.
„Probierst du’s bei der aus?“, fragte ich gespannt.
„Hm.“
Ich machte Sanne und Janine ein Zeichen. Aufgeregt blickten wir abwechselnd zu Tommy und zu der Verkäuferin. Was für Gedanken mochte diese unfreundlich aussehende Frau gerade haben? Tommy stand da und konzentrierte sich.
Auf einmal umzuckte ein Lächeln seine Mundwinkel. Er verschränkte die Arme vor der Brust und warf uns einen kurzen Blick zu. Und dann ging es los.
„Hallo Frau Sander!“
Die Verkäuferin wollte gerade einige Scheiben Wurst für die Kundin, die vor Tommy dran war, mit der Gabel aufnehmen. Als Tommy sie ansprach, blickte sie unwirsch auf.
„Frau Sander“, sagte Tommy tadelnd. „Das ist aber nicht nett, dass sie immer eine frische Scheibe Wurst auf die vergammelten legen und das den Leuten dann andrehen wollen!“
Sanne hielt sich die Hand vor den Mund, um nicht loszuprusten. Bei Janine und mir dauerte es noch ein bisschen länger, bis wir kapierten. Die Verkäuferin richtete sich jetzt auf und wurde böse.
„Woher weißt du, wie ich heiße?“
„Sie sind eigentlich sauer auf den Namen, weil Sie sich scheiden lassen und dann lieber wieder Riemann heißen wollen! Aber das ist noch lange kein Grund, den Leuten vergammelte Wurst anzudrehen!“
Tommy stand da wie ein frecher Lausbub und lächelte die immer wütender werdende Verkäuferin seelenruhig an. Die Frau, die gerade bedient wurde, sah von Tommy zur Verkäuferin und dann zur Wurst.
„Würden Sie wohl bitte mal die erste Scheibe runtermachen? Ich möchte keine vergammelte Wurst kaufen.“
Sanne, Janine und ich hatten unglaubliche Mühe, unser Kichern zu unterdrücken. Die Augen der Verkäuferin blitzten Tommy an. Man sah ihr an, dass sie ihm am liebsten eine Ohrfeige versetzt hätte, aber da war ja die Wursttheke zwischen.
„Sie werden doch nicht so einem frechen Bengel glauben!“, zischte sie. „Soweit kommt’s noch!“
„Ich weiß nur“, sagte die Kundin energisch, „dass Sie die ganze Zeit über schon unfreundlich waren. Und außerdem hatte ich das letzte Mal schon alte Scheiben zwischen den frischen. Also bitte, nehmen Sie doch einfach mal die obere runter!“
Im Kopf von Frau Sander arbeitete es jetzt deutlich. Am liebsten hätte sie losgebrüllt, aber das traute sie sich denn doch nicht. Tommy nahm die Arme runter und flüsterte mir was ins Ohr.
„Jetzt überlegt sie, ob sie besser eine ganz neue Wurst holen soll!“
Kaum hatte er mir das gesagt, beugte sich Frau Sander wutentbrannt über die Auslage, griff sich den ganzen Stapel Wurst, von der die Kundin verlangt hatte und warf ihn in den Restekorb.
„Ich geh jetzt und hole eine völlig neue Wurst. Damit Sie auch ja keinen Grund mehr haben, zu meckern!“
Wutentbrannt verschwand sie in der Vorratskammer. Tommy und die nette Kundin blickten sich lachend an.
„Danke!“, sagte sie, „Die hätten wir kuriert. Ich glaube nicht, dass sie noch mal was untermogelt. Woher hast du denn das gewusst?“
Wir anderen hielten den Atem an.
„Das ist meiner Mutter auch schon passiert. Ich hab einfach geraten.“
In dem Moment kam die Verkäuferin zurück. Wir nickten der Kundin zu und verdrückten uns vom Stand.
Beim Getränkelager war niemand, und so konnten wir uns erstmal so richtig auslachen.
„Die verkauft dir bestimmt nie wieder was!“ Sanne schüttelte sich vor Lachen. „Mann, hat die dumm geguckt!“
„Und wo kriegen wir jetzt deine Salami her?“, fragte Tommy. „Die isst du doch so gern!“
„Macht nichts“, sagte ich und beruhigte mich langsam wieder. „Die gibt’s auch abgepackt. Aber das war mir der Spaß wert!“
„Es funktioniert, wenn ich es will“, sagte Tommy und wurde auf einmal wieder ernst. „Aber ich habe einiges in den Gedanken gelesen, das mir gar nicht gefallen hat.“
„Was denn?“, fragte Janine neugierig.
„Ich glaube, das möchte ich dir lieber nicht sagen.“ Tommy legte eine Hand auf das Buch der Gaben, das unter seinem T-Shirt steckte. „Ihr habt ja gehört, dass sie sich scheiden lassen will. Sie hatte ... sie hatte eine ziemlich schlimme Ehe. Vielleicht ist sie deswegen so geworden.“
Wir schwiegen betroffen. Tommy straffte sich.
„Ich weiß nicht, ob ich es so gut finde, Gedankenlesen gewählt zu haben. Es macht Spaß, aber auch traurig.“
„Wähle mit Bedacht!“, erinnerte Sanne.
„Ja, aber ich hatte ja gar keine Chance, darüber nachzudenken“, meinte Tommy.
„Vielleicht sollten wir uns noch einmal in Ruhe hinsetzen und überlegen, was wir mit den Gaben tun sollen. Ich meine, die Erbauer des Hauses hätten das von uns erwartet.“
Tommy lächelte mich an.
„Da wird der Herr Seefeld auf seine alten Tage noch weise! Aber du hast Recht. Rumlaufen und damit rumspielen, das sollten wir nicht. Jedenfalls nicht nur“, fügte er schmunzelnd hinzu.
„Und jetzt lasst uns erstmal ein Eis essen!“ rief Janine. „Ich will einen Familienbecher!“
Das war jetzt genau das richtige. Wir machten, dass wir die Sachen auf dem Einkaufszettel und natürlich Tommys Chips zusammen bekamen, und dann bestellten wir uns im Eiscafe jeder einen Berg Eis.
Natürlich konnten wir auch hier nicht vom Thema lassen. Während wir genüsslich mit unseren riesigen Bechern kämpften, sahen wir die Leute rings um uns an und stellten uns vor, was die wohl alle denken mochten. Mein Blick schweifte in die Runde und blieb an einer unglaublich dicken Frau hängen, die langsam und bedächtig einen Löffel nach dem anderen von ihrem Spaghetti-Eis in sich reinlöffelte. Ich sah, dass schon ein leerer Eisbecher auf ihrem Tisch stand und außerdem noch eine halb geleerte Tasse Eisschokolade. Es war mir vollkommen unbegreiflich, wie man so viel auf einmal essen konnte. Ich stieß Tommy an und zeigte ihm unauffällig die dicke Frau.
„Kannst du mal ausprobieren, was die gerade denkt?“
Tommy sah nachdenklich zu dem anderen Tisch hinüber und nickte dann langsam.
„Warum nicht. Sehr unglücklich sieht sie ja nicht gerade aus. Ich denke, das können wir riskieren.“
Dann griff er vorsichtig unter sein T-Shirt und berührte das Buch der Gaben. Sein Blick konzentrierte sich auf die dicke Frau, und fast gleichzeitig machte er ein verblüfftes Gesicht. Wir sahen ihn erwartungsvoll an.
„Und, was denkt sie?“, fragte Sanne gespannt.
„Sie denkt, ich muss sofort aufhören zu essen!“, sagte Tommy erstaunt. „Dabei ist die so dick, da ist es doch eh egal.“ Und dann bekam sein Gesicht einen nachdenklichen Ausdruck.
„Und sie denkt, wie oft wollte ich schon aufhören, aber ich schaff’ es ja doch nicht! Wozu auch und für wen? Wenn man allein ist, kann man ruhig dick sein.“
Janine ließ ihren Eislöffel sinken und sah die Frau dort drüben plötzlich mit ganz anderen Augen an.
„Vielleicht hat sie sich so dick gefuttert, weil sie überhaupt niemanden mehr hat“, sagte sie leise.
Auf einmal bekam Tommy einen Schreck.
„Seht besser in eine andere Richtung! Sie denkt gerade, was starren die Kinder da mich so an!“
Wir versuchten, so zu tun, als hätten wir nur zufällig rübergeschaut. Ich wusste mit einem Mal, wie jemand zumute sein musste, der so dick war und den alle Leute anstarrten.
Janine legte ihre Hand auf Tommys Arm.
„Ich möchte nicht, dass du weiter in anderer Leute Gedanken liest. Ich finde, dass es uns ganz und gar nichts angeht, wie jemand sich fühlt. Mir tut die Frau Leid. Ich wünschte, sie könnte alles essen, was sie wollte und würde trotzdem nicht dick werden! Dann würde sie vielleicht auch nicht mehr alleine bleiben.“
Tommy nickte verständnisvoll.
„Ich habe auch genug vom Gedankenlesen. Immer, wenn ich es bei jemandem versuche, sehe ich Dinge, die nicht für mich bestimmt sind. Ich finde, wir sollten jetzt gehen. Joe, du musst unbedingt rausfinden, wann die Mondphase endet, in der wir uns gerade befinden.“
Gerade wollte ich ihm antworten, als vom Nebentisch ein spitzer Schrei ertönte. Unsere Köpfe fuhren herum. Und was wir dann sahen, das konnten wir einfach nicht glauben. Was dort geschehen war, war unfassbar!
Die vorher so furchtbar dicke Frau saß immer noch da. Zumindest glaubte ich, dass sie es war, denn sie hatte zweifellos dieselben Klamotten an wie vorher. Doch jetzt schlabberte der Pullover fünf Nummern zu groß an ihr herum, und ihr Bauch steckte in einer Hose, die selbst für eine Übergröße noch unglaublich groß war. Völlig fassungslos hielt die Dame den Hosenbund fest, damit man ihre Unterwäsche nicht sah und stammelte ständig „Das glaub ich nicht ... das glaub ich nicht!“ vor sich hin. Wenn ich sie nicht eine Minute vorher noch in den aus den Nähten platzenden Sachen gesehen hätte, ich hätte gedacht, da sitzt ein Clown! Was ich sah, konnte einfach nicht sein. Hier saß auf einmal eine vollkommen schlanke und eigentlich recht hübsch aussehende Frau! So langsam kam mir ein Verdacht. Und ich war nicht der Einzige. Auch Sanne und Tommy starrten Janine an.
„Hast du etwa ... ?“, flüsterte Sanne.
„Ich hab doch nur gesagt ... ich meine ... “, stotterte Janine und schaute mit weit aufgerissenen Augen in Richtung Nachbartisch.
„ ... dass sie alles essen soll, was sie will und trotzdem nicht dick wird!“, ergänzte Tommy. „Na, das hast du ja fein hingekriegt! Schau doch mal nach deinen Wunschkugeln!“
Janine kramte in ihrer Jeans nach den Kugeln und holte sie schließlich hervor. Als wir sahen, was sich in ihrer Hand befand, war die Sache klar. Fünf Kugeln und ein wenig feiner, weißer Staub!
„Hah!“, machte Sanne. „Siehst du, jetzt hast du dich auch verwünscht!“
Janine schaute ganz unglücklich von den Kugeln zu der Frau und wieder zurück.
„Was soll ich denn jetzt machen?“, jammerte sie. „Soll ich sie wieder dick wünschen?“
Tommy sah nachdenklich zu der Frau hinüber, die jetzt nicht mehr herum stammelte, sondern still an sich hinunterblickte. Ich meinte, ein glückliches Lächeln in ihrem Gesicht zu entdecken.
Tommy beruhigte Janine.
„Ich werde ihre Gedanken nicht mehr lesen, aber ich glaube, dass sie ganz zufrieden ist mit dem, was sie sieht. Ich meine, du solltest es lassen, wie es ist. Aber ehe uns noch so was passiert, sollten wir hier ganz schnell verschwinden.“
Ich winkte der Kellnerin, und wir machten, dass wir bezahlten. Als wir aufstanden und rasch das Café verließen, sah ich noch einmal zurück und warf einen Blick auf die Frau, die plötzlich nur noch halb so viel wog. Sie wirkte immer noch reichlich verstört. Wahrscheinlich würde sie ihrer neuen Figur noch eine ganze Weile nicht trauen.
Ich fühlte nach meiner Holografie in der Tasche und war heilfroh, dass ich nicht auch diese Wunschkugeln erwischt hatte. Ich holte tief Luft und folgte den anderen.
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