Kitabı oku: «Das Buch der Gaben», sayfa 6

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Ab und zu sah ich nach unten, und der Seeboden blieb immer gleich. Kleine Dünen aus Sand formten sich unter meinen Füßen, und ich erinnerte mich an die Zeit, als ich zum ersten Mal an einem Strand entlang gerannt war. Ich wollte nicht wieder aus dem Wasser raus, und Mutter konnte mich mit nichts locken. Wie schön war das damals! Ich erinnerte mich an die warme Sonne und den weichen Sand, die Burgen und die Schlammschlachten. Ich dachte, das müsste man mal wieder machen.

Und dann war ich plötzlich nur noch bis zum Bauchnabel im Wasser. Als ich das bemerkte, war es, als hätte mich jemand aus einem Traum erweckt. Ich starrte auf meinen Bauchnabel, den das Wasser umspielte und konnte es nicht glauben. Es wurde wieder flacher! Ich hob den Kopf und war überwältigt. Der Urwald war zum Greifen nah! Der Sandstrand lag nicht weit vor mir, und jetzt konnte ich den Weg, der in diese grüne Welt führte, genau vor mir sehen.

Ich fühlte eine Kraft in mir aufsteigen, wie ich sie noch niemals kennen gelernt hatte. Ich war frei! Die Angst war besiegt!

Mit einem Aufschrei riss ich mich von meinen Freunden los, stürmte durch das Wasser hin zum Strand, rannte den sanft ansteigenden Seeboden hinauf und spritzte dabei rechts und links übermütig das Wasser hoch. Ich war stark! Ich hatte es geschafft!

Oben angekommen, sprang ich in die Luft, machte eine halbe Drehung und winkte wie verrückt meinen Freunden zu, die lachend noch dabei waren, die letzten Meter aus diesem jetzt wunderschön glitzernden See zu rennen.

Brachypelma Albopilosum

Nachdem wir uns etwas beruhigt hatten, sahen wir uns neugierig um. Die bereits von der anderen Seite des Sees aus riesig wirkenden Bäume waren von Nahem einfach gigantisch. Die Entfernung vom Ufer bis zum Saum des Waldes betrug vielleicht dreißig bis vierzig Meter. Wie mit dem Lineal gezogen begann dort die undurchdringlich scheinende grüne Wand. Das Kronendach ragte etwa dreißig Meter in die Höhe, aber auch im unteren Bereich war es kaum möglich, einzelne Stämme zu erkennen, weil alles ineinander verwachsen schien. Ich sah unzählige verschiedene Pflanzenarten, die im Schutz der Riesen wucherten. Es schien ein einziges Durcheinander und völlig unbezwingbar, selbst mit unserer Machete. Doch genau vor uns war etwas, was es eigentlich nicht hätte geben dürfen.

„Der Weg!“, murmelte Tommy ungläubig.

„Da ist er!“, rief Janine, und Sanne stand der Mund offen.

Ich räusperte mich genüsslich und setzte an, um etwas zu sagen, da winkte Tommy schon gutmütig ab.

„Ja, ja, Josef, du kannst mich ab sofort Thomas nennen. Übrigens...“, Er legte mir eine Hand auf die Schulter. „Das war eine ganz große Leistung, Joe. Ich bin verdammt stolz auf dich.“

Ich glaube, ich wurde rot, denn die beiden Mädchen lächelten mich belustigt an. Aber es war mir wahrlich nicht peinlich.

„Freut mich“, sagte ich verlegen und boxte Tommy freundschaftlich gegen den Bauch, was ordentlich klatschte, denn unsere Klamotten waren durch und durch nass. Wir würden erst ein wenig trocknen müssen, bevor wir unsere Erkundung fortsetzten. Janine nahm ihre Schuhe vom Hals und warf sie in den Sand.

„Könntest du mal die Handtücher rausrücken?“, fragte sie Tommy, während sie ihr T-Shirt am Bauch zusammendrehte und auswrang.

„Klar, und die anderen Sachen könnt ihr auch gleich wieder nehmen. Dann kann ich endlich mal mit einem leichten Rucksack weitergehen.“

Es war immer noch wunderbar warm. Die Luft war feucht, aber nicht schwül. Wenn man tief einatmete, drangen die unterschiedlichsten Düfte in die Nase, doch keiner von ihnen war unangenehm. Es roch nach einem Gemisch aus vielen verschiedenen Blüten, nach Wald und auch etwas modrig, und entfernt erinnerte mich der Geruch auch an so etwas wie Harz. Ich betrachtete den Wald und dachte, das einzige, was fehlt, sind Geräusche. Wo waren die Tiere? Gab es überhaupt welche? Doch wollte ich es überhaupt so genau wissen?

Tommy leerte mal wieder seinen Rucksack aus, und die Hosen fanden zurück zu ihren Besitzern. Es würde noch eine Weile dauern, bis die Sachen an unseren Körpern trockneten, aber erkälten würden wir uns bei den tropischen Temperaturen wohl kaum.

Eine Weile standen wir unschlüssig herum. Die Anspannung, die uns während unseres Abenteuers mit dem See erfasst hatte, war um einiges abgeklungen. Doch entspannen konnten wir nicht so recht, denn die nächste Herausforderung stand uns ja direkt bevor, und wer begibt sich schon leichten Herzens auf einen unbekannten Pfad in einem Land, von dem man nicht einmal weiß, ob es sich auf unserer Erde befindet?

„Ich hab schon wieder Hunger!“, druckste Sanne, und auch ich fühlte ein deutliches Grummeln im Bauch.

Tommy lachte. „Tja, mit Chips kann ich euch leider nicht mehr dienen. Aber vielleicht finden wir Früchte oder irgendwas anderes Essbares. So ein Urwald müsste doch allerhand zu bieten haben. Also, was meint ihr, gehen wir los?“

Was blieb uns denn anderes übrig? Es war zwar schön, an einer relativ ungefährlichen Stelle auszuruhen und die Gefahren für diesen Augenblick in Gedanken beiseite zu schieben. Doch richtig entspannen konnten wir ja doch nicht, blieb schließlich immer die Gewissheit im Kopf, dass wir unweigerlich weiter mussten. Also dann.

„Okay, bringen wir’s hinter uns“, sagte Janine und fühlte ihr T-Shirt, wie weit es bereits getrocknet war. „Wer geht vor?“

Eine gute Frage. Wir schauten einander an und forschten in den Gesichtern der anderen, ob vielleicht jemand vorpreschen würde.

„Ich geh vor!“, sagte ich und überraschte mich selbst damit. Ich hatte noch einen Mutvorsprung von meinem Seeabenteuer. Doch kaum hatte ich ausgesprochen, bereute ich mein Vorpreschen schon wieder. Ich hatte meine Angst vor dem Wasser besiegt, aber jetzt bloß nicht übermütig werden! Aber auf der anderen Seite, im Wald hatte ich mich schon immer wohl gefühlt. Und der hier war halt nur ein bisschen größer als unserer.

„Ja, ich geh vor. Und vielleicht sollte Tommy hinten gehen.“

„Gut. Mach ich“, sagte er und deutete zum Wald. „Aber du solltest meine Machete nehmen. Vielleicht wird’s später noch enger oder der Pfad ist überwuchert.“

Mit einem gewissen Stolz nahm ich die Machete, die gesichert in ihrem Futteral steckte, entgegen und rief meinen Hund. Da Lazy zwar aufs Wort hört, aber leider nicht aufs erste, dauerte es noch ein Weilchen, bis wir uns in Bewegung setzten. Jever wollte wie immer vorrennen, aber diesmal rief Tommy ihn zurück. In einem unübersichtlichen Wald konnte der kleine Hund verloren gehen. Außerdem konnten wir nicht wissen, ob es größere Tiere gab, die vielleicht Appetit auf den Frechdachs hatten.

Jever blieb also dicht bei uns, und Lazy tappte versonnen neben mir her, als ich die ersten Schritte in den Urwald hinein tat.

Der Mut, den ich eben noch am Strand bewiesen hatte, schwand doch beträchtlich dahin, als wir einige Dutzend Meter weit in den Wald eingedrungen waren. Der Boden des Pfades bestand aus verfilztem alten Gestrüpp. Es schien mir, als wären die Reste des Grases, der abgestorbenen Blätter und der Pflanzen festgetreten worden. Als würde dieser Pfad benutzt werden. Unwillkürlich verlangsamte ich meine Schritte. Wer oder was hatte diesen Weg angelegt? Oder war er womöglich durch regelmäßigen Wildwechsel entstanden? Und wenn, durch was für eine Art Wild?

Vorsichtig spähte ich nach vorn und versuchte, den Verlauf des Pfades mit den Augen zu erkunden. Links und rechts neben uns waren undurchdringliche Wände aus Unterholz. In den wenigen Lücken, die aber nicht niedriger als vier, fünf Meter über dem Erdboden entstanden, konnten wir Baumstämme sehen. Der Umfang stellte alles in den Schatten, was ich jemals bei uns im Wald gesehen hatte. Ich hätte wetten können, dass mindestens zehn Mann nötig gewesen wären, einen dieser Bäume zu umfassen.

Staunend und auch mit einer gewissen Ehrfurcht vor diesem Wald ging ich voran. Ich hörte die aufgeregten Atemzüge meiner Schwester, die so dicht hinter mir blieb, dass sie mir bald in die Hacken treten würde. Doch sonst nahm ich kaum etwas an Geräuschen wahr. Fieberhaft suchte ich das Dickicht um uns herum ab, ob ich vielleicht ein Tier entdecken würde. Aber ich sah nicht einmal eine Bewegung aus den Augenwinkeln. Keine Vogelstimme war zu hören, kein erschrecktes Aufflattern oder die Warnschreie aller möglichen Tiere, die es doch in solch einem Wald geben musste. Zumal wir uns sicher wie die Trampel durch ihre Welt bewegten. Viele Tiere haben ein solch sensibles Gehör oder einen phänomenalen Geruchssinn, sie hätten uns bemerken müssen. Doch es blieb still.

Aber das mit den nicht vorhandenen Tieren sollte ich bald anders sehen. Denn auf einmal erblickte ich etwas vor uns auf dem Pfad, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Vor Schreck blieb ich wie angewurzelt stehen, und Sanne prallte auf mich drauf.

Mitten auf dem Weg saß eine gewaltige, einfach unglaublich riesige und behaarte Spinne!

„Hey, was ist denn los? Mensch, sagt doch Bescheid, wenn ihr stehen bleibt!“, kam es von hinten. Die anderen hatten noch eine Sekunde Gnadenfrist. Doch eben nur eine Sekunde. Dann hatten auch sie das Tier entdeckt.

„Eine Spinne!“, schrie Janine, machte einen Satz zurück und trat dabei Sanne auf den Fuß. Meine Schwester schien aber keinen Schmerz zu spüren, so groß war ihre Überraschung. Neugierig drängelte sie sich an uns vorbei und ging dann in sicherer Entfernung von der Spinne in die Hocke.

Die anderen sahen Sanne zu und dachten, sie sehen nicht richtig! Aber ich kannte ja meine Schwester. Sie liebt nämlich jedes Tier, und ich glaube, sie ist das einzige Mädchen, das beim Anblick einer Spinne nicht wegrennt oder schreit. Im Gegenteil, zu Hause ruft Mutter immer Sanne statt meinen Vater, wenn sie eine Spinne entdeckt hat. Trotzdem, dass sie zu dieser Spinne hier nach vorne ging, das haute mich um. Janine hingegen war kalkweiß geworden.

„Hast du Angst?“, fragte ich sie und sie nickte heftig.

„Dann warte besser hier. Wir schauen mal, ob wir sie vertreiben können“, meinte Tommy.

Sanne hatte sich in etwa zwei Metern Abstand von der Spinne hingehockt, und Tommy und ich gingen jetzt vorsichtig zu ihr, damit auch wir das Tier genauer unter die Lupe nehmen konnten.

„Schönes Exemplar“, sagte Tommy, und ich dachte mir mein Teil. Das schöne Exemplar besaß in etwa den Umfang einer großen Männerhand, hatte acht verdammt behaarte Beine und einen Hinterleib, so groß wie ein Tischtennisball. Wenn das schön war, dann hatte Tommy einen recht merkwürdigen Geschmack.

Das riesige Tier rührte sich nicht ein bisschen. Sie saß einfach nur da, mitten auf dem Weg.

„Sieht aus wie eine Vogelspinne“, murmelte Sanne.

„Du hast Recht“, sagte Tommy. „Und ich glaube, ich weiß, was das für eine Spinne ist.“

„Was?“, flüsterte ich, ehe ich merkte, dass das albern war. „Du kennst das Vieh?“

„Nein!“, lachte Tommy. „Natürlich kenne ich sie nicht. Aber mein Vater ... mein richtiger Vater, war doch überall auf der Welt auf seinen Tauchreisen. Und er hat alles Mögliche gelesen über die Länder, in die er reiste. Die Bücher hat meine Mutter behalten, und ich habe sie alle wieder und wieder gelesen.“

„Und da war ein Buch über Spinnen dabei?“, fragte ich ungläubig und fixierte dabei unablässig das schwarzbraune Tier. Das Gefühl ließ mich nicht los, dass sie vielleicht auf einmal losrennen oder sogar springen würde.

„Nicht direkt. Aber mein Vater hat auch Streifzüge gemacht und sich vorher immer gut vorbereitet. Er wollte wissen, welche Tiere und Pflanzen es in dem jeweiligen Land gibt. Also hat er Bücher über die Fauna und Flora gekauft. Und ich habe sie alle gelesen.“

„Und?“, fragten Sanne und ich gleichzeitig.

„Dies ... “, sagte Tommy und zeigte auf die Spinne, „ ... ist eine Vogelspinne aus Costa Rica. Soweit ich mich erinnern kann, ist ihr wissenschaftlicher Name Brachypelma albopilosum.“

Vollkommen baff starrte ich Tommy von der Seite an.

„Du weißt ihren lateinischen Namen?“ Ich konnte es nicht fassen. Ich sah meinen neuen Freund an und fragte mich wirklich, wie dessen Gehirn wohl funktionieren mochte. Da hockte ich auf diesem Trampelpfad mitten im Urwald in einer fremden Welt und war tatsächlich eifersüchtig. Für Tommy war das alles selbstverständlich. Sinnend schaute er die Spinne an und murmelte vor sich hin.

„Brachypelma albopilosum heißt auf Deutsch Kraushaarspinne. Und wie du siehst, passt der Name ja wirklich zu ihr.“

Tommy gab Jever einen kleinen Klaps, damit dieser sich setzen sollte, was er denn auch widerwillig tat. Er wäre sofort hingesprungen und hätte mit der Spinne gespielt. Ich warf einen kurzen Blick über meine Schulter, ob mit Janine alles okay war. Sie winkte, und ich winkte zurück. Gut, sie schien sich gefangen zu haben.

Eine Frage brannte mir auf der Zunge. Ich wollte es nicht zeigen, aber auch ich hatte Angst vor diesem großen, eklig aussehenden Tier.

„Tommy ... “, sagte ich, „ist sie giftig?“

„Aber nein“, sagte Sanne an seiner Stelle. „Solche wie die hier werden gerne im Fernsehen für Gruselfilme genommen, weil sie den Schauspielern nichts tun, aber trotzdem richtig gefährlich aussehen. Nur wenn du sie ganz doll ärgerst, sondert sie ein paar ihrer Härchen ab, und das juckt dann eine Weile.“

„Woher weißt du das denn?“, fragte ich meine Schwester vollkommen entgeistert.

„Von Steven Spielberg“, sagte sie völlig ernst. „Das hat er in einem Interview gesagt. In einem seiner Filme spielte genau so eine Spinne wie die hier mit.“

Tommy stand auf und reckte sich.

„Sanne hat Recht. Sie ist vollkommen harmlos. Wenn du Glück hast, kommt sie sogar auf die Hand.“

Na, so viel Glück wollte ich aber nun doch nicht haben. Ich stand ebenfalls auf. Ich beschloss, lieber keine Frage mehr zu stellen. Ich hatte das Gefühl, ich sei der Einzige, der überhaupt nichts wusste.

„Und was machen wir jetzt?“, fragte ich ratlos. „Sollte sie uns nur erschrecken?“

„Theoretisch bräuchten wir nur an ihr vorbei zu spazieren.“ Tommy atmete einmal tief ein und aus. „Aber ich glaube, so einfach geht das nicht.“

„Warum nicht?“, fragte ich ratlos.

„Weil wir ein Problem haben.“

Im selben Moment verstand ich. Janine! Tommy blickte mich an und lächelte.

„Du hast Recht“, sagte ich. „Es wird verdammt schwer, Janine dazu zu bringen, sich mit der Spinne anzufreunden. Und was machen wir jetzt?“

„Was ist, wenn wir um die Spinne herumgehen? Wir könnten einen Pfad durch das Gestrüpp schlagen und sie umgehen.“

Tommy zeigte auf die Machete, die ich immer noch in der Hand hielt. „Versuch’s doch mal damit.“

Also zog ich die Machete aus dem Futteral und machte mich ans Werk. Hieb um Hieb setzte ich dem Gestrüpp zu, doch jeder von ihnen schien ins Leere zu gehen. So kräftig ich auch schlug, die Schneide drang hinein in das verfilzte Unterholz und federte wieder heraus. Verblüfft hielt ich inne und drehte mich zu den anderen um.

„Das ist wie aus Gummi! Da komm ich nie durch!“

„Tja ... “, machte Tommy, „ein Wink mit dem Zaunpfahl.“ Er wandte sich um zu Janine und winkte sie heran.

„Janine, ich glaube, du musst die Spinne entfernen.“

Janine zuckte zusammen. „Niemals! Das kann ich nicht!“

„Du wirst es müssen. Joe hat es ausprobiert. Der Urwald ist undurchdringlich. Und wenn ich darüber nachdenke, wird es wieder eine Prüfung sein. Du musst deine Angst überwinden, genau wie Joe die Angst vor dem Wasser überwunden hat.“

Janine holte tief Luft und betrachtete das haarige kleine Ungeheuer. Ich sah, wie ein Schauder ihren Körper durchlief.

„Und wenn sie beißt? Und ihre Haare sind so eklig, und ... und ...“

Tommy schaute sie fest an. „Sie ist ungiftig. Und sie ist friedlich. Sanne hat sie im Fernsehen gesehen. Sie wird dir ganz bestimmt nichts tun. Denk an Joe! Er hatte solche Angst vor dem Wasser, und doch hat er sich überwunden!“

„Und wenn ihr es probiert?“, machte Janine einen letzten Versuch.

Wir blickten sie an. Ich war mir jetzt ganz sicher, dass Tommy Recht hatte. Wir anderen würden die Spinne ganz bestimmt nicht dazu bewegen können, den Pfad zu verlassen. Und Gewalt antun wollten wir ihr nicht. Ich sah, wie Janine in unseren Gedanken las.

„Ich muss es also tun ...“, murmelte sie. In diesem Moment tat sie mir unendlich Leid.

„Mach es“, sagte Sanne leise und legte ihre Hand auf Janines Arm. „Ich bleib neben dir und helfe dir, wenn es sein muss.“

Janine antwortete nicht. Deutlich waren der Ekel und der Widerwille in ihren Augen abzulesen. Es musste furchtbar für sie sein.

„Wir kommen hier sonst nicht raus?“, fragte sie und schaute verzweifelt Tommy an.

Der schüttelte den Kopf. „Das ist deine Prüfung. Da bin ich mir ganz sicher. Es gibt hier sonst keine Tiere oder hast du welche gesehen oder gehört?“

Das gab den Ausschlag. Janine wusste jetzt, dass es sein musste. Eine volle Minute lang stand sie da, fixierte die Spinne und atmete tief ein und aus. Und was sie dann tat, das hätte ich ihr niemals, wirklich niemals, zugetraut. Aber plötzlich sah Janine Tommy an und sagte einfach nur: „Okay!“

In diesem Moment bewunderte ich sie so sehr, dass mir mein eigener Mut ganz klein vorkam. Zentimeter für Zentimeter setzte sie einen Fuß vor den anderen. Dann war sie nur noch etwa eine Armlänge von der Spinne entfernt. Die rührte sich nicht einen Millimeter.

Eine Minute lang geschah nichts. Janine stand vor dem großen Tier und versuchte, die Situation einzuschätzen. Schließlich war sie sicher, dass die Spinne keine Reaktion zeigte.

„Sie ist harmlos, sie ist harmlos ... sie ist nicht eklig ...“, hörte ich sie murmeln. Dann blickte sie kurz zurück, und wir sahen, wie sehr sie immer noch mit sich kämpfte. „Was soll ich jetzt machen?“

„Keine Ahnung“, sagten Tommy und ich gleichzeitig.

„Danke für eure Hilfe“, grunzte sie verärgert und drehte sich wieder um. Wir hörten sie irgendetwas vor sich hin reden, doch sie sprach so leise, dass wir es nicht verstehen konnten. Lange stand sie so da, und ich hielt es beinahe nicht mehr aus. Doch plötzlich ging sie in die Hocke, und langsam kniete sie sich auf den Weg.

Janine und die Spinne saßen sich gegenüber. Dann begann unsere Freundin zu reden. Leise und ununterbrochen redete sie mit dem Tier.

„Wir tun dir ganz bestimmt nichts. Liebe Spinne, geh in den Wald und such dir eine Fliege. Ich hab nichts für dich.“

Und dann geschah es. Langsam, unendlich langsam, als wollte die Spinne Janine nicht erschrecken, hob das Tier seine zwei Vorderbeine in die Luft. Ich konnte nicht sehen, ob die Spinne Augen hatte, aber es schien ganz so, als schaute sie Janine an. Mir stockte der Atem. Was würde sie jetzt machen?

„Wenn sie ihre Beine hebt, kann man sie aufheben“, flüsterte Tommy. „Das hab ich auch in einem der Bücher meines Vaters gelesen ... “

„Muss man doch aber nicht“, sagte Janine mit Blick auf die behaarten Beine.

„Muss man nicht“, sagte ich etwas hilflos. „Aber ich glaube, wenn du’s nicht tust, kommen wir hier niemals vorbei.“

Janine starrte auf die Spinne, die ihre beiden Beine nach wie vor in die Luft hielt. Sie wollte nicht mehr zurück. Ich sah es ihr an. Dann schaute sie zurück über ihre Schulter und ihr Blick suchte Tommy.

„Wie hebt man sie auf? Und was soll ich mit ihr machen?“

„Du brauchst nur die flache Hand mit der Handfläche nach oben vorsichtig unter ihre Beine zu schieben. Wenn sie keine Angst hat und dich mag, kommt sie von allein auf deine Hand. Und ich denke, du brauchst nichts weiter zu tun, als sie in den Wald zu setzen.“

Wenn sie keine Angst hat ... “, murmelte Janine. „Toll.“

Doch dann traf sie die Entscheidung ihres Lebens. Sie legte ihre rechte Hand mit der Handfläche nach oben auf den Weg und schob sie Zentimeter für Zentimeter nach vorn.

Dann war es soweit. Ihre Finger berührten ein Bein der Vogelspinne Brachypelma und Janine erstarrte. Ich dachte, jetzt würde sie aufspringen und schreiend davonlaufen. Ich konnte es nicht fassen, wie mutig sie war.

Unmerklich kam Leben in die Spinne. Vorsichtig und kaum wahrnehmbar setzte sich das Tier in Bewegung und kroch wie in Zeitlupe auf Janines Handteller. Ich schaute abwechselnd zu der Spinne und in Janines Gesicht. Einmal blickte ich kurz zu Tommy und Sanne, die neben uns wie Statuen dastanden und dem Ganzen atemlos zuschauten.

„Sie mag mich“, flüsterte Janine. „Schaut nur ... “

Ich hielt es nicht mehr aus.

„Wie fühlt sie sich an?“, fragte ich aufgeregt.

„Wie eine Raupe.“

„Wie eine Raupe? Igitt!“

Die Spinne war jetzt vollständig auf Janines Hand gekommen und ließ sich ruhig auf ihr nieder. Langsam und äußerst behutsam kam Janine von den Knien hoch und stand auf, die Spinne nicht aus den Augen lassend und ihre rechte Hand weit von sich gestreckt.

„Jetzt hast du bestimmt Hunger und willst in den Wald. Und ich bring dich in den Wald. Hab keine Angst. Gleich haben wir es geschafft.“

Janine brauchte nur zwei Schritte, dann stand sie am Rand des Pfades am dichten Unterholz. Ihre Augen suchten den Wald ab und fanden schließlich etwas, wovon sie dachte, das könnte der Spinne gefallen. Vorsichtig legte sie ihren Handrücken auf ein großes dunkelgrünes Blatt, das aus einer Pflanze wuchs, die mich an eine Bananenstaude erinnerte. Ein, zwei Sekunden schien die Spinne zu überlegen, doch dann bewegte sie sich behutsam wie zuvor und verließ Janines Hand. Sie krabbelte an dem Blatt empor und verschwand im Innern der Staude.

Janine stand immer noch da, die Hand auf dem Blatt, und ihr Gesicht glänzte vor Erleichterung. Wir fielen uns in die Arme.

Ich hab’s geschafft!“, rief sie. „Hey, ich hab’s geschafft!“

Janine glänzte vor Glück und Stolz, und ich drückte sie so fest ich nur konnte. Tommy klopfte ihr anerkennend auf die Schulter, und auch Jever und Lazy zeigten uns auf ihre Art mit Kläffen und Schwanzwedeln, wie sehr sie sich freuten, dass wir glücklich waren. Hunde spüren eben so was.

Ich starrte auf die Stelle, an der die Spinne im Dickicht verschwunden war. Aber es war nicht das Geringste mehr von ihr zu entdecken.

„Da können wir mal wieder stolz auf jemanden sein“, sagte Tommy und sah Janine mit warmen Augen an. „Du bist das mutigste Mädchen, das mir je begegnet ist. Außer dir natürlich!“, ergänzte er und zwinkerte Sanne zu.

„Sie fühlte sich komisch an“, lachte Janine. „Wie eine Raupe. Und sie war warm!“

Wir redeten alle durcheinander, und es dauerte lange, bis wir das eben Erlebte einigermaßen verarbeitet hatten. Janine redete nur noch davon, wie sanft die Spinne war und dass sie sie gemocht hatte. Sie hörte gar nicht mehr auf. Doch irgendwann pochte Tommy darauf, dass wir uns daran erinnerten, wo wir eigentlich waren und was wir noch zu tun hatten.

„Leute, ich will ja nicht drängen. Wir werden diese Spinne in Ehren halten, aber wir müssen weiter!“

Natürlich. Wir mussten weiter. Aber das wollten wir eigentlich gar nicht hören. Die Begeisterung über das eben Erlebte war so groß, dass wir nicht schon wieder an die nächste Aufgabe denken wollten. Denn die kam bestimmt. Und Tommy drängte uns zur Eile.

„Lasst uns gehen. Ich glaube, dort hinten wird es heller. Vielleicht ist der Wald dort zu Ende.“

Der Pfad lag wieder vor uns. Der Weg war frei. Wir schauten uns an und dachten alle das Gleiche. Was würde jetzt auf uns warten?

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