Kitabı oku: «Marie bucht einen Mann», sayfa 2
Ihr Atem ging jetzt stoßweise. Sie wollte Hände auf sich fühlen, einen Mann in sich aufnehmen, ihre Finger in seinen Rücken krallen und die Lust sie überwältigen lassen. Sein jetzt für sie unfassbares Versprechen, sie nicht anzurühren, durfte er nicht halten, nein, sie wollte mehr, und zwar jetzt! Jetzt!
Seine Hand griff nach ihrer und hielt sie fest. Sanft strichen seine Finger über ihren Handrücken.
Mehrere Minuten vergingen, ohne dass ein Wort fiel. Langsam beruhigte sich ihr Atem. Ihren Körper durchliefen Wellen von Strom von den Zehen bis zu ihrer Kopfhaut. Sie hatte das Gefühl, durch das Bett zu sinken, Stockwerk für Stockwerk durch das Hotel und durch die ganze Erde. Alles war ihr egal, nur dieser Moment nicht. Sie hielt sich an ihm fest, gab ihn nicht mehr her. Und als sie wieder klar denken konnte, wusste sie, dass sie ihn auch nicht mehr hergeben brauchte.
Sie öffnete die Augen und blickte in sein lächelndes Gesicht. Nichts außerhalb dieses Raumes war mehr von Bedeutung. Ihr Leben schien angehalten zu haben.
»Hast du etwas empfunden?«, fragte er, und seine Augen verrieten, dass er wusste, dass sie das hatte.
»Ich habe mehr empfunden als je zuvor in meinem Leben«, erwiderte sie leise. »Kann ich dich mit nach Hause nehmen?«
Sie lachten beide, und er drückte ihre Hand. Ihr wurde klar, dass der Bann gebrochen war. Sie spürte das Verlangen, sich aufzurichten und ihn zu umarmen. Doch sie unterließ es. Heute noch nicht, dachte sie. Der Widerspruch zwischen der zuvor durchlebten Intimität und diesem Gedanken konnte nicht größer sein. Aber es würde ein nächstes Mal geben, und dieses nächste Mal formte sich bereits jetzt in ihrem Kopf.
Sie zog ihre Hand aus der seinen, drehte sich auf die Seite und warf einen Blick auf die Leuchtziffern des digitalen Hotelweckers. Der Anblick der Uhrzeit holte sie auf schmerzhafte Weise zurück in die Welt.
»Ich muss meine Kinder abholen.«
»Ich weiß.«
Erstaunt drehte sie sich wieder zurück zu ihm. »Wie kannst du das wissen?«
»Na ja, du buchst mich von zehn bis zwölf Uhr vormittags. Die Chance, dass du verheiratet bist und Kinder hast, ist daher sehr groß. Singlefrauen würden den Abend wählen. Ich nehme an, du wirst deine Kinder jetzt von der Schule abholen.«
Sie nickte. »Ja. Ich habe zwei Mädchen, acht und zehn Jahre alt.«
»Sie sind das, wofür du im Moment lebst.«
Er sagte das mit einer Selbstverständlichkeit, dass es ihr durch und durch ging. Die Wahrheit. Es war die schlichte und zugleich erschreckende Wahrheit. Ihr gingen tausend Antworten zugleich durch den Kopf, aber heraus kam nur eine.
»Ja.«
Mit beinahe unmenschlicher Überwindung zwang sie sich, aufzustehen, ihre Handtasche vom Sessel mitzunehmen und ins Bad zu gehen. Sie musste lachen, als sie in den Spiegel sah und eine nackte Frau erblickte, die mit einer Handtasche über dem Arm dastand und unverkennbar nach wildem Sex aussah.
Dabei hatte ich alles andere als wilden Sex, dachte sie. Aber ich spüre ihn noch immer. Ich muss ihn wiedersehen. Wann kann ich ihn wieder buchen?
Sie seufzte und begann, sich frisch zu machen. Sie zog die überall im Bad verstreuten Sachen wieder an, bürstete sich die Haare, und anstatt sie zu einem Zopf zu binden, beschloss sie, sie weiterhin offen zu tragen.
Ich werde ab heute anders sein, dachte sie. Sie blickte sich noch einmal um, ob sie auch nichts vergessen hatte. Aus einem Impuls heraus steckte sie die blaue Tube Duschgel ein. Dann zwinkerte sie ihrem Spiegelbild noch einmal zu und verließ das Bad.
Er hatte den Vorhang wieder aufgezogen und das Zimmer war lichtdurchflutet. Mit einem Mal war es wieder ein Hotelzimmer. Er wartete mit ihrem Mantel in der Hand auf sie, und mit einem Anflug von Traurigkeit ließ sie sich hineinhelfen.
Unbeholfen gab sie ihm die Hand zum Abschied. Alles in ihr schrie danach, ihn zu küssen, ihn an sich zu ziehen und seinen Geruch mitzunehmen.
»Ich möchte dich noch einmal buchen«, sagte sie leise.
»Ich glaube, du kennst meine Website«, lächelte er.
Als die Hotelzimmertür mit einem brutal lauten Klick ins Schloss fiel, fühlte sie einen Stich im Herzen. Aber zugleich verspürte sie eine unbekannte Leichtigkeit. Ein Glücksgefühl, von dem sie wusste, dass es so schnell nicht wieder verklingen würde. Sie würde ihn wieder buchen. Gleich heute Abend, dachte sie. Nein, das ist zu früh. Was soll er denken? Aber war es nicht egal, was er dachte? Er war ein Mensch, den man kaufte, und nichts, was sie tat, würde ihn wundern. Zumindest würde er es sich nicht anmerken lassen. Dann schüttelte sie den Kopf. Er hat mich nicht gekauft. Er hat mein Geld nicht genommen. Erst beim nächsten Mal. Ihr ging auf, dass er ganz genau wusste, dass sie ihn ein zweites Mal buchen würde. Denn er ist unbezahlbar, lächelte sie.
Beschwingt machte sie sich auf den Weg zum Fahrstuhl. Als er im 14. Stock ankam und sich seine Türen öffneten, befand sich bereits jemand darin, den sie gut kannte. Sie stieg ein und wartete, bis sich die Türen schlossen. Dann drehte sie sich um und blickte dem Jemand fröhlich in die Augen.
»Er war gut«, sagte sie zu dem Zimmermädchen. »Verdammt gut.«
Jana
Als sie aus der Drehtür des Hotels ins Freie trat, tat sie dies selbstbewusst und mit der Haltung einer Frau, die sich nicht dumm ansprechen lassen würde. Die nüchterne Umgebung, die geprägt war vom grauen Einerlei weiterer Betonbauten, ärgerte sie nicht. Im Gegenteil, sie blickte in den Himmel und sog die kühle Oktoberluft ein, als würde sie gerade einen langen und schönen Urlaub antreten. Lächelnd dachte sie daran, wie doch zwei Stunden das Leben und die Denkweise verändern konnten. Kurz vor zehn, als sie das Hotel betreten hatte, hatte sie dies scheu und mit schlechtem Gewissen getan, hatte sich umgeschaut und gefürchtet, dass sie jederzeit von einem Bekannten überrascht würde. Nach der Begegnung mit diesem Mann war ihr das vollkommen egal. Aufmüpfig dachte sie daran, dass sie regelrecht herbeiwünschte, dass sie jemand fragte, was sie in dem Hotel zu suchen hatte.
Ich werde etwas ändern müssen, dachte sie. Nein, nicht ändern müssen, sondern ändern. Ich musste erst 40 Jahre alt werden, um das zu erleben. Noch einmal vierzig Jahre werde ich nicht warten.
Sie blickte die Fassade des Hochhauses empor und stellte ihn sich hinter einem dieser vielen Fenster vor. Es gab ihr einen Stich, als sie daran dachte, ob er wohl für heute fertig war oder eine weitere Frau erwartete. Bist du verrückt? durchfuhr es sie. Ich werde ihn in meinem Leben nur stundenweise haben. Und ich werde ihn mit anderen Frauen teilen müssen. Ob er das, was ihr widerfahren war, wohl bei jeder Frau auslöste? Sie schüttelte den Kopf. Das konnte sie sich nicht vorstellen.
Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass sie schon viel zu spät dran war. Sie beeilte sich, zu ihrem Wagen zu kommen, den sie eine Seitenstraße weiter abgestellt hatte.
Sophie und Jasmin warteten bereits an der Straßenecke, wo sie immer warteten. Auf der Fahrt nach Hause beobachtete sie ihre beiden Kinder im Rückspiegel. Sie plapperten in einer Tour, und auch, wenn es sonst auch einmal nerven konnte, so genoss Marie heute den Geräuschpegel während der Heimfahrt. Während sie ab und zu ein Ja, das ist ungerecht, da habt ihr recht oder Frau Müller ist halt so, das wisst ihr doch beitrug, so drifteten ihre Gedanken doch immer wieder ab.
»Hey, Mama!«
»Hm.«
»Deine Haare sind heute so toll wuschelig!«
Marie musste lachen. »Ja, und ich trage sie jetzt immer so!«
Sie genoss das Herumalbern mit ihren Kindern. Doch während sie nach Hause fuhr, wusste sie, dass es etwas gab, das sie nicht genießen würde. Jens.
Als sie die Haustür aufschloss und den Flur betrat, musste sie einen Moment innehalten. Die Kinder feuerten ihre Schulmappen in die nächste Ecke, Schuhe und Jacken flogen hinterher, doch diesmal rief sie ihre Mädchen nicht zur Ordnung. Sie wartete, bis die beiden die Treppe hoch getrampelt und in ihren Zimmern verschwunden waren. Nachdenklich stand sie in der halb offenen Tür und betrachtete das Chaos im Flur. Vor zehn Jahren, als Jasmin geboren wurde, hatten sie sich dieses Reihenendhaus gekauft und zu einem großen Teil zu den damals noch hohen Zinsen finanziert. Es würde noch weitere zwanzig Jahre dauern, bis sie es abgezahlt haben würden. Das Mittelhaus wäre billiger gewesen, aber Jens hatte gemeint, besser nur einen direkten Nachbarn als zwei. Sie gestand sich ein, dass er zumindest damit recht gehabt hatte, aber die Kehrseite war ein weitaus größerer Garten. Am Anfang hatte es ihm noch Spaß gemacht, ihr zu helfen, aber schon nach kurzer Zeit blieb die gesamte Arbeit bis auf das Rasenmähen an ihr hängen. Und nicht nur draußen, dachte sie verbittert. Haushalt, Kinder, Garten, Einkauf, all das war in stillschweigender Übereinkunft ihr Part. Was sollte sie auch dagegen sagen. Es war ihr Job. So betrachtete sie ihren Anteil an der Ehe. Natürlich hatte sie ihre Arbeit aufgegeben, als Jasmin unterwegs war. Und dann den Gedanken, sie wieder aufzunehmen, als sich bald darauf Sophie ankündigte.
In diesem Augenblick, als sie dort im Flur stand, wurde sie sich das erste Mal bewusst, was sie alles leistete. Es war nicht nur ein Job, der Anerkennung forderte, jedoch nicht bekam. Es war eine Aufgabe, die morgens um sechs Uhr dreißig begann und abends um zwanzig Uhr dreißig endete, wenn Sophie und Jasmin nach dem letzten Aufbegehren endlich im Bett lagen. Jens ging um halb acht aus dem Haus und kehrte gegen achtzehn Uhr zurück. Und war dann fix und alle, wie er sich ausdrückte. Er wechselte seinen Anzug gegen Sweatshirt und Jogginghose und machte es sich bequem.
Maries Blick fiel auf seine Hausschuhe, die die lächerliche Figur, die ihr Mann nach Feierabend abgab, noch komplettierten. Hausschuhe mit Dackelgesicht.
Plötzlich packte sie ein Wutanfall. Sie griff sich die ausgeleierten Dinger und warf sie draußen in die Mülltonne. Nach dieser Befreiung kehrte sie ins Haus zurück, knallte die Tür zu und begann, für sich und die Kinder Essen zu machen.
Während des Mittagessens und der Hausaufgaben mit den Kindern war sie so unkonzentriert, dass es weit länger dauerte als sonst. Als das erledigt war, hatte sie noch eine halbe Stunde Zeit, bevor sie ihre Mädchen zum Sportkurs fahren musste. Sie setzte sich auf die Couch und griff sich ihr Tablet. Bevor sie ins Internet ging, zögerte sie einen Moment. Dann führte sie entschlossen ein paar Befehle aus und änderte das Zugriffskennwort. Normalerweise nutzte ihr Mann sein eigenes Tablet, aber sie war sich nicht sicher, ob er nicht ab und zu mal in ihrem herumschnüffelte. Sie wusste, wie man den Verlauf löschte und nahm sich vor, die Einstellung vorsichtshalber noch so zu ändern, dass es in Zukunft bei jedem Beenden automatisch geschah.
Zuerst wollte sie ihre Mails abrufen, aber wie von selbst gaben ihre Finger die Website des Mannes ein, der ihre Gefühlswelt vor ein paar Stunden durcheinandergebracht hatte. Als sich die Seite aufbaute und sie sein Gesicht betrachtete, kam sie sich vor wie ein Schulmädchen, das auf die Freundschaftsanfrage eines Jungen antworten sollte. Ihre Finger spielten mit der Maus und zwangen den Cursor auf den Link Zur Buchung. Lange starrte sie auf das Kontaktformular, in das man den gewünschten Tag und die Uhrzeit eintragen musste, wenn man ihn buchen wollte. Dann schüttelte sie den Kopf und verließ die Website.
Heute noch nicht, dachte sie energisch und bedauernd zugleich. Sie würde ihn buchen. Ganz sicher. Aber nicht heute und nicht morgen. Sie fuhr den Computer herunter und brachte ihre Kinder zum Sportkurs.
Als sie anderthalb Stunden später vor der Turnhalle auf ihre Mädchen wartete, schrieb sie ihrer besten Freundin eine SMS. Ich muss dich heute Abend unbedingt sehen. Halb neun bei Antonio?
Was ist los? kam es zurück.
Privat.
Oh, klar, ich komme.
Kurz nach sechs kam Jens nach Hause. Marie stand in der Küche und bereitete das Abendbrot für die Kinder vor. Als sie den Schlüssel im Schloss hörte und die darauffolgenden üblichen Montag- bis Freitaggeräusche, die ihr Mann veranstaltete, wenn er zuerst seine Sachen umständlich aufhing, dann auf die Gästetoilette ging und zum Schluss die Haustür abschloss, bildete sich ein Kloß in ihrem Magen. Vor vierzehn Jahren hatte sie sich in diesen Mann verliebt, war mit ihm über Wiesen getollt, durch Bars und Discos gezogen, hatte abenteuerliche Reisen mit ihm durchlebt und gedacht, das ist der Richtige. Der für immer. Heute sah sie das anders. Und das lag nicht an dem Vormittag im Hotel. Das wusste sie bereits seit Jahren, doch heute war ein Bruch entstanden.
»Hast du meine Hausschuhe gesehen?«
Sie lachte lautlos in sich hinein. Ja, dachte sie, im Nimmerwiedersehenland! Er kam in die Küche und wollte ihr einen Kuss geben, aber sie verweigerte ihm ihren Mund und hielt nur die Wange hin.
»Ich habe sie weggeworfen.«
»Du hast sie was?«
»Weggeworfen. In den Mülleimer geschmissen. Verschwinden lassen. Entsorgt.«
Sie konnte sein entgeistertes Gesicht sehen, obwohl sie mit dem Rücken zu ihm stand.
»Warum das denn? Die waren doch noch gut.«
»Jens, ich habe sie gehasst. Sie waren abartig und hässlich wie nichts sonst auf der Welt. Sie haben dich zu einem lächerlichen Tölpel gemacht, und es war mir verdammt peinlich, wenn du die Dinger getragen hast, wenn Besuch kam.«
Einige Sekunden vergingen in unangenehmem Schweigen. Dann hörte sie, wie er an den Kühlschrank ging und sich ein Bier herausnahm.
»Warum hast du nichts gesagt?«, grummelte er.
»Das weiß ich auch nicht«, erwiderte sie und platzierte die Brote für die Kinder auf ihren Tellern. »Aber in Zukunft werde ich dir alles sagen, was mich stört.«
»Hast du irgendwas?«, fragte er irritiert. »Hast du einen schlechten Tag gehabt? Hat dich irgendwer geärgert?«
Nein! wollte sie schreien. Im Gegenteil! Ich hatte einen tollen Tag! Ich hatte einen Mann, der mir gezeigt hat, was im Leben möglich ist, und ich hatte einen Mann, der keine Dackelpantoffeln trägt! Aber sie unterdrückte den Impuls, griff sich die Teller und drückte sich an ihm vorbei ins Wohnzimmer, wo sie das Abendbrot für ihre Töchter auf den Esstisch stellte.
»Übrigens, ich treffe mich heute Abend mit Jana.«
»Ach, gut, dass du mir das jetzt schon sagst.«
»Keine Sorge, die Kinder bringe ich vorher noch ins Bett.«
»Was hat sie denn? Hat sie Probleme zu Hause?«
Marie biss sich auf die Zunge. Am liebsten hätte sie ihn angebrüllt: Nein, ich habe Probleme zu Hause! Aber sie riss sich zusammen.
»Nein, nicht, dass ich wüsste. Wir wollen halt mal wieder quatschen.«
»Na, dann viel Spaß.«
Sie hörte, wie er ins Wohnzimmer schlurfte und kurze Zeit später, wie der Fernseher anging. Sie stützte sich mit den Händen auf dem Spülbecken ab und schaute aus dem Küchenfenster auf die Straße, wo gerade eine Nachbarin ihre zwei Hunde ausführte. Ein leichter Dunst hatte sich auf den Abend gesenkt und verlieh der Gaslaterne vor ihrem Haus einen Hof. Romantisch, dachte sie, ein Wort, das Jens nicht mehr kennt.
Nach den Abendritualen mit den Kindern zog sie sich um, ließ sich von Jens auf die Wange küssen und machte sich auf den Weg zu Jana. Als sie die Haustür ins Schloss zog, kam es ihr vor wie das letzte Mal. Aber sie wusste, dass es das nicht sein würde.
Noch nicht.
*
Ihre Freundin rutschte auf ihrem Stuhl herum wie ein aufgeregtes Schulmädchen.
»Nun sag schon, was ist los? Du kannst mich doch nicht so lange zappeln lassen!«
Sie saßen bei ihrem Lieblingsitaliener an einem der kleinen Tische in einer Nische im hinteren Teil des Restaurants vor ihren Speisekarten und hatten Antonio, den Inhaber der Pizzeria, nett, aber bestimmt abgewimmelt, damit er nicht eine seiner ausschweifenden Reden begann. Marie hatte für sie zwei Prosecco-Aperol bestellt, was ihre Freundin noch aufgeregter machte, denn mit Alkohol ging sie sonst sehr zurückhaltend um. Lächelnd tat Marie so, als vertiefte sie sich in die Speisekarte.
»Hey!«
»Ja, ja, nun lass uns doch erst mal was bestellen.«
»Ich bestelle eine Auskunft!«
Marie musste lachen. »Die kriegst du ja auch.«
Jana lehnte sich zurück und verschränkte in gespieltem Ärger die Arme vor der Brust. »Ich würde dich niemals so lange warten lassen. Lass mich raten: Du hast einen Lover!«
Marie zuckte zusammen, und als Jana ihren Gesichtsausdruck sah, wurde sie ernst und beugte sich zu ihr über den Tisch.
»Getroffen?«, fragte sie leise. »Und du willst endlich Jens verlassen? Mein Gott, wer ist es? Wie sieht er aus? Was macht er? Wo hast du ihn getroffen?«
Marie seufzte. »Ja … nein … vielleicht … ach, ich weiß nicht. Es ist ganz anders, als du glaubst.«
Als Antonio mit ihren Gläsern kam und sie nach ihren Essenswünschen fragte, bekam er nur ein geistesabwesendes Wie immer zur Antwort. Grinsend nahm er ihnen die Karten ab.
»Ah, ich verstehe. Streng geheime Frauengespräche.«
»Si«, machte Jana. »Nur für Frauen. Und du bist ein Mann. Ziemlich viel los heute Abend, findest du nicht?«
Antonio kapitulierte und zog sich zurück. »Oh ja, sehr viel. Ich habe leider keine Zeit, mit schönen Frauen zu reden. Antonio muss nun gehen.«
Mit einem verschmitzten Lächeln verzog er sich hinter den Tresen und gab die Bestellung durch die Öffnung in der Mauer an die Küche weiter. Jana zuckte die Schultern.
»Also einen Italiener würde ich nicht nehmen. Na ja, vielleicht für ein- oder zweimal.«
Sie mussten beide lachen, aber Marie wusste, dass sie ihre Freundin nicht länger auf die Folter spannen konnte. Lange hatte sie mit sich gerungen, ob sie ihr überhaupt von ihrem Erlebnis im Hotel erzählen sollte. Sie hätte das Thema immer noch auf ihre Probleme mit Jens lenken können, aber Jana wusste über den Zustand ihrer Beziehung Bescheid. Nur das Vorhaben, sich zu trennen, hätte sie überrascht, aber soweit war Marie noch nicht. Sie beschloss, ihr alles zu erzählen. Jana würde nie irgendetwas weitertragen, wenn sie sie darum bat.
»Versprichst du mir, dass das hier unter uns bleibt? Und zwar für immer?«
Jana verdrehte die Augen.
»Ist ja gut. Ich weiß, dass du meine Freundin bist und ich dir vertrauen kann. Aber das hier … ist heikel.«
»Es ist heikel?«, lächelte ihre Freundin. »Dann will ich es erst recht wissen!«
»Also gut.« Sie prostete Jana zu. »Ich hatte heute den besten Sex meines Lebens. Und dabei hat er mich noch nicht einmal berührt.«
Jana hatte gerade zum ersten Schluck Prosecco angesetzt, verschluckte sich und begann zu husten.
Marie lehnte sich zurück und ihre Augen blitzten. »Ich habe dir ja gesagt, es ist heikel.«
Ihre Freundin stellte ihr Glas zurück auf den Tisch, wobei sie ein wenig vom Inhalt verschüttete. Mit hochrotem Kopf holte sie tief Luft und versuchte, den Hustenreiz zu unterdrücken.
»Kann ich … kann ich wissen, wo er wohnt?«
Marie lachte und schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, aber das weiß ich selbst nicht.«
Fassungslos sah ihre Freundin sie an. »Du hast es mit einem Fremden bei euch zu Hause getrieben?«
Marie musste sich beherrschen, um nicht laut loszulachen. Antonio beobachtete die Szene mit sichtlichem Vergnügen vom Tresen aus. Sie dämpfte ihre Stimme und beugte sich verschwörerisch über den Tisch.
»Nein, ich habe vor drei Tagen eine Bestellung aufgegeben, und heute Vormittag habe ich die Lieferung abgeholt.«
Jana forschte in den Augen ihrer besten Freundin. »Hast du zu Hause schon getrunken? Was ist mit dir los? Kannst du mir nicht ganz normal sagen, was passiert ist?«
»Ich hab das normal gesagt. Ich habe am Montag einen Callboy gebucht und heute im Hotel mit ihm zwei Stunden verbracht.«
Jana war sprachlos. Der Salat kam, aber sie beachtete ihn nicht. Amüsiert beobachtete Marie das verblüffte Gesicht ihrer Freundin, in dem man lesen konnte wie in einem offenen Buch. Schließlich fand Jana ihre Sprache wieder.
»Das glaub ich nicht. Habt ihr wenigstens ein Kondom benutzt?«
»Nein, brauchten wir nicht. Wie ich dir schon sagte, er hat mich nicht angefasst.«
»Er hat dich nicht angefasst, aber du hattest den besten Sex deines Lebens? Das erklär mir mal.«
Und sie erklärte es ihr. In der nächsten halben Stunde saßen sie beide vor ihrem Essen, das unweigerlich kalt wurde, und Marie erzählte von ihrem Treffen, ihren Gefühlen und von der Wandlung, die in ihr vorgegangen war. Als sie fertig war, verging eine Minute in erschöpftem Schweigen. Marie sah aus dem Fenster und wartete auf den Kommentar ihrer Freundin. Jana hatte sich zurückgelehnt und winkte Antonio.
»Bring uns noch zwei Prosecco, bitte. Und die Teller kannst du abräumen. Tut uns leid, aber es liegt nicht an eurem Essen. Wir haben Wichtiges zu besprechen, und das macht satt.«
Antonio seufzte und verschwand, nicht ohne ein süffisantes Frauen! zu hinterlassen.
»Verurteilst du mich?«, fragte Marie leise.
»Bist du verrückt?«, entfuhr es Jana. »Ich beneide dich! Ich frage mich nur, ob du nicht einer Täuschung unterlegen bist. Ich meine, das ist ein … wie sagt man zu solchen Männern … Prostituierter? Ein professioneller Lover. Er muss die Frauen betören, sonst verdient er kein Geld.«
Was ihre Freundin sagte, gab Marie einen Stich.
»Er hat kein Geld von mir genommen!«, fuhr sie auf.
»Heute nicht«, sagte Jana trocken. »Aber beim nächsten Mal. Er lockt dich, macht dich gefügig, und dann nimmt er dich aus.«
Marie wurde heiß vor Enttäuschung. Das war nicht das, was sie hören wollte. Aber der Gedanke schlich sich in ihren Kopf, dass Jana womöglich recht hatte. Doch sie wollte nicht zulassen, dass ihre wunderbare Empfindung so schnell wieder einen Dämpfer bekam.
»Jana«, sagte sie und blickte ihr in die Augen. »Ich war dort, nicht du. Ich habe heute eine Welt betreten, die ich nicht kannte, ja nicht einmal für möglich gehalten hatte. Und wenn er auch noch so professionell sein mag, dann nehme ich mir die Illusion und genieße sie.«
Jana seufzte. »Du hörst dich an, als wärst du verliebt.«
»Vielleicht bin ich das sogar.« Marie blickte wieder aus dem Fenster. »Natürlich weiß ich, dass ich mit ihm nicht zusammen sein kann. Aber ich kann ihn buchen, wann immer ich will.«
»Und wann immer du ihn dir leisten kannst«, versetzte Jana. »Du bist Hausfrau, Marie. Wie oft willst du ihn sehen? Einmal im Monat? Alle zehn Tage? Das wird eine Menge Geld kosten. Mach dich nicht abhängig. Es gibt da draußen genügend Männer, die dich auf Händen tragen würden. Und dein Jens … entschuldige … wird das nie mehr tun. Der ist ein hoffnungsloser Fall.«
»Das weiß ich, Jana.« Sie blickte ihr in die Augen. »Aber er … er ist jeden Cent wert, den ich habe.«
»Er hat dich schon abhängig gemacht«, stellte Jana nüchtern fest. »Mein Gott, Marie, du hast ihn nur zwei Stunden gesehen! Er hat dir etwas gegeben, von dem du bislang nur geträumt hast, okay. Aber sieh es doch mal, wie es wirklich ist.«
Marie lächelte, und in diesem Moment erkannte ihre Freundin, dass sie nicht weiter drängen durfte. Marie hatte einen Weg eingeschlagen, den sie nicht verlassen würde.
»Jana, ich sehe, wie es wirklich ist. Und wenn ich ihm für eine weitere Begegnung all mein Geld schenken würde, ich würde es tun. Ich habe Nerven und Empfindungen in meinem Körper gespürt, von denen ich nicht einmal ansatzweise wusste, dass es sie gibt. Ich habe in seinen Augen gelesen, und ich habe gespürt, dass er es nicht für Geld macht. Ich weiß nicht, warum er diesen Weg gewählt hat, aber er bietet mir etwas, dass man nur verstehen kann, wenn man es selbst erlebt hat.«
»Gut«, gab Jana nach. »Dann genieße ihn, solange es geht. Ich muss gestehen, ich bin etwas neidisch auf dich. So einen Mann wie du ihn beschreibst, bietet einem das Leben normalerweise nicht. Und schon gar nicht in diesem Milieu. Das ist wie ein Märchen aus tausendundeiner Nacht.«
»Weißt du«, sagte Marie, »was das Schlimmste ist? Wenn ich jetzt nach Hause komme und mich neben Jens ins Bett legen muss.«
»Das hat doch nichts mit diesem Mann zu tun«, entgegnete Jana. »Das war doch schon vorher so. Du hättest dich längst von ihm trennen sollen.«
»Wir haben Jasmin und Sophie«, antwortete Marie leise. »Für sie sind wir die Welt. Wenn sie auseinanderbricht, werden sie das nie verstehen. Und ich nicht aushalten.«
»Eine unglückliche Mutter beeinflusst die Seelen ihrer Kinder ebenso stark«, wandte Jana ein. »Das weißt du. Und es gibt hunderttausend andere Paare mit Kindern, die auch eine Lösung gefunden haben und deren Kinder nicht daran zerbrechen.«
»Die hunderttausend anderen interessieren mich nicht«, sagte Marie.
Jana ergriff die Hand ihrer Freundin. »Nein, das weiß ich. Aber vielleicht solltest du mal mit Michelle oder Teresa reden. Die haben es schon hinter sich, und wie es scheint, sind die Kinder damit klargekommen.«
»Danke. Vielleicht werde ich das machen.« Marie seufzte. »Man müsste die Zeit zurückdrehen können.«
Jana grinste. »Ja, und ich weiß auch, um wie viel. Auf zehn Uhr heute Vormittag!«
Sie mussten beide lachen. Für Marie war dieser Abend mit ihrer Freundin eine Befreiung. Als irgendwann Antonio dezent nachfragte, ob sie noch etwas wünschten, registrierten sie überrascht, dass sie die letzten Gäste waren. Marie bezahlte die Rechnung und begleitete ihre Freundin noch zu ihrem Wagen.
»Versprichst du mir, dass du das Denken nicht ganz ausschaltest?«, fragte Jana beim Abschied.
»Mach ich«, lächelte Marie. »Nur immer für zwei Stunden!«
Lachend umarmten sie sich, und Marie wusste, dass sie in ihrer Freundin immer einen Halt haben würde, egal, wie das Leben weiterging.
Auf dem Rückweg bereitete sie sich darauf vor, neben ihrem schnarchenden Mann zu liegen, der so viel Erotik ausstrahlte wie ein verschrumpelter Apfel.
*
Als Marie am nächsten Tag ihren Wocheneinkauf hinter sich hatte, setzte sie sich mit aufgeklapptem Laptop auf das Sofa im Wohnzimmer und gab die Website ein, auf die sie es abgesehen hatte. Lange saß sie vor dem Desktop und dachte nach. Das Wochenende lag vor ihr, und ihr wurde schlecht bei dem Gedanken, dass Jens versuchen könnte, mit ihr zu schlafen. Offenbar hatte er bemerkt, dass etwas nicht in Ordnung war und ihr heute Morgen einen Tee gemacht, bevor er aus dem Haus ging.
Sie legte sich einen Plan zurecht. Samstag würde sie mit den Kindern einen Einkaufsbummel machen und Sonntag mit ihnen in den Zoo gehen. Sie würde ihre Kinder fragen, ob sie eine Freundin mitnehmen wollten, was ganz bestimmt der Fall war, und dann konnte sie sicher sein, dass Jens nicht mitkam. Nur Weiber und Kinder? Nein danke! hörte sie ihn sagen. Und genau so wollte sie es. So viel wie möglich allein unternehmen, so wenig wie möglich mit Jens zusammen sein.
Für einen Moment blitzten Bilder aus der Vergangenheit vor ihr auf. Als sie glücklich mit diesem Mann war, als sie ihn liebte und begehrte. Es machte sie traurig, dass es einmal anders gewesen war. Sie atmete tief ein. Vor acht Jahren hatte sich Jens davongemacht. Seine Aufmerksamkeit hatte nachgelassen, sein Desinteresse an den Kindern und dem Leben seiner Frau zugenommen. Alles ist Vergangenheit, dachte Marie, alles. Selbst der gestrige Tag ist Vergangenheit und ebenso wenig zu wiederholen wie einer vor zehn Jahren. Ändern würde sich Jens nicht, das wusste sie. Vielleicht für ein paar Tage, einige Wochen. Doch selbst, wenn es ihm gelänge, sich auf Dauer wieder in einen liebevollen Mann zu verwandeln, würde sich an ihrem Entschluss nichts mehr ändern. Die Liebe war erloschen. Und wenn sie das einmal war, konnte nichts auf der Welt ein neues Feuer für den gleichen Partner entfachen.
Sie straffte sich, legte den Laptop einen Moment beiseite, griff sich das Telefon und begann, ihren Wochenendplan umzusetzen. Sie telefonierte mit ein, zwei Müttern von Freundinnen ihrer Kinder und suchte sich dabei die heraus, die Jens am wenigsten leiden konnte. Als sie die Verabredungen für ihre Vorhaben getätigt hatte, war ihr um einiges wohler. Mit Erleichterung fiel ihr ein, dass Jens die Abende am Wochenende selbst verplant hatte und mit seinen Freunden einen Fußballabend vor dem Fernseher verbringen und am Sonntag das Gleiche mit Formel 1 durchziehen wollte. Es war daher so gut wie sicher, dass er so viel intus haben würde, dass er einschlief, bevor er den Versuch startete, ihr an den Po zu grapschen, wie er es immer tat, wenn er mit ihr schlafen wollte.
Ich könnte ihn Montag buchen, überlegte sie. Zehn bis zwölf? Sie lächelte, weil sie sich noch gestern vorgenommen hatte, ihn nicht schon am nächsten und auch nicht am übernächsten Tag zu buchen. Egal, dachte sie und nahm den Laptop wieder auf den Schoß. Sie klickte sich durchs Internet bis sich seine Seite aufbaute. Lange betrachtete sie das einzige Foto, das er von sich eingestellt hatte. Selbst auf einem Foto besaßen seine Augen eine Anziehungskraft, der man sich nicht entziehen konnte.
Vermutlich hat er deswegen nur ein einziges Foto von sich ins Netz gestellt, überlegte Marie. Normalerweise waren derartige Kontaktanzeigen überfüllt mit Bildern von halbnackten oder vollkommen nackten Männern, die eine Frau eher abstießen als anzogen.
Ich habe ihn noch nicht nackt gesehen, dachte sie. Vielleicht Montag? Sie gab sich einen Ruck und öffnete die Seite Zur Buchung. Obwohl dies ein unpersönlicher Vorgang war, erhöhte sich ihr Puls merklich. Die Vorstellung, ihn am Montag wiederzusehen, erregte sie. Nur für einen flüchtigen Moment verharrte ihr Finger auf der Maus, dann klickte sie entschlossen auf Jetzt buchen.
Bevor sie den Computer herunterfuhr, löschte sie den Verlauf. Das einzige, worauf sie aufpassen musste war, die SMS zu löschen, die er als Bestätigung schicken würde. Ohne eine Handynummer anzugeben, konnte man ihn nicht buchen. Aber sie glaubte nicht, dass Jens in ihrer Handtasche herumkramte. Außerdem entsperrte sich ihr Smartphone nur mit Gesichtserkennung.