Kitabı oku: «Marie bucht einen Mann», sayfa 3
Die Vorfreude auf den Montag überwältigte sie. Spontan beschloss sie, ins Fitnessstudio zu gehen und eine Stunde etwas für ihren Körper zu tun. Schließlich würde sie ihn am Montag brauchen.
Erwartungen
Er hatte ein anderes Hotel gewählt. Weit draußen am Stadtrand. Hier war es äußerst unwahrscheinlich, dass sie auf irgendjemanden traf, der sie kannte. Ein wenig verblüfft registrierte sie, dass es sich um ein Billighotel einer Kette handelte, bei dem die Gäste außerhalb von wenigen Stunden, an denen Personal anwesend war, selbst am Automaten einchecken mussten. Es war ein hässlicher Betonklotz, der nichts im Ansatz Romantisches an sich hatte.
Verwundert betrat sie den Eingangsbereich, der mehr an eine Jugendherberge erinnerte als an ein Businesshotel. Sie orientierte sich kurz und stand kurz darauf vor dem Zimmer mit der Nummer 203. Kein Zimmermädchen, das mich erwischt, dachte sie amüsiert. Aber auch heute begleitete sie ein banges Gefühl, als sie an die Tür klopfte.
Als er öffnete, verflog es auf der Stelle. Sie blickte ihm in die Augen und wusste nicht, wie sie ihn begrüßen sollte. Doch er kam ihr zuvor und überraschte sie, indem er sie wortlos in die Arme nahm. Verblüfft erwiderte sie seine Umarmung. Sekundenlang drückte er sie behutsam an sich, während sie halb im Gang, halb im Zimmer standen. Sie schloss die Augen, als ihr der Hauch von Joop wieder in die Nase stieg, der sie in Gedanken das ganze Wochenende über begleitet hatte. Das ist das erste Mal, dass ich ihn berühre, durchzuckte sie.
Als er sich langsam von ihr löste, strich seine Wange über die ihre, und sie verharrten eine Sekunde Haut an Haut. Dann führte er sie in das Zimmer, das so nüchtern und zweckmäßig eingerichtet war wie eine Gefängniszelle. Ein unbequem aussehendes Bett, ein an der Wand angeschraubter Dreieckstisch, ein Stuhl davor, Haken an der Wand statt einer Garderobe, weißes, kaltes Licht von der Decke und weit oben an der Wand, fast unter der Decke, ein winziger Fernseher. Das war alles.
Er bemerkte ihre Verwunderung und auch ihre Enttäuschung.
»Es tut mir leid, wenn es dir nicht gefällt.« Er nahm ihr den Mantel ab und hängte ihn auf. »Ich mag das Hotel auch nicht.«
Sie fragte sich, was für einen Grund er wohl hatte, diese billige Unterkunft zu buchen. Lag es am Geld? Oder sollte es verrucht wirken? Wie eine schnelle Nummer mit einem Fernfahrer? Nein. Sie schüttelte den Gedanken ab. Das passt nicht zu ihm.
Er kam zu ihr und stellte sich dicht vor sie. »Wie geht es dir?«
»Gut. Ich bin aufgeregt«, gab sie zu.
»Das ist schön«, lächelte er. »Dann fühlst du intensiver.«
»Es geht nicht intensiver als das letzte Mal.«
Seine Augen funkelten belustigt. »Es ist schön, dass du das denkst, aber ich glaube schon, dass das geht.«
Er machte eine Pause und sah sie unentwegt an. »Ich habe dir das schon letzte Woche gesagt, wenn du etwas nicht möchtest oder dir unwohl dabei wird, kannst du jederzeit gehen und bist zu nichts verpflichtet.«
»Das weiß ich«, erwiderte sie. »Aber wenn ich gehen will, ist es zwölf Uhr, und dann muss ich gehen.« Sie sah, wie sein Mund sich zu einem Lächeln verzog und wünschte sich nichts sehnlicher, als ihn jetzt zu küssen.
»Bist du bereit?«, fragte er.
Sie nickte. Ihr wurde heiß.
»Dann zieh dich aus.«
Sie schluckte. »Möchtest du, dass ich dusche?«
»Nein«, sagte er sanft.
Natürlich musste sie nicht duschen, denn es war noch keine Stunde her, dass sie zu Hause ausgiebig geduscht hatte. Sie hatte das blaue Duschgel benutzt, das sie bei ihrem ersten Besuch eingesteckt hatte, und noch jetzt prickelte ihre Haut an den Stellen, an denen es mit ihr in Berührung gekommen war.
Sie holte Luft, schlüpfte aus ihren Stiefeln und schob sie ein wenig beiseite, damit sie nicht im Weg waren. Sie war so nervös, dass es ihr erst nicht gelang, den Reißverschluss ihres Kleides zu öffnen. Er half ihr nicht, sondern schaute nur zu. Schließlich schaffte sie es und das Kleid glitt zu Boden. Jetzt trug sie nur noch Strumpfhose, Slip und BH. Eine Armlänge trennte sie von ihm, doch gerade die Nähe, die doch Distanz hielt, steigerte ihr Verlangen. Sie hielt inne und forschte in seinem Gesicht. Kein anderer Mann hätte es geschafft, seine Blicke nicht zu ihrem Körper abschweifen zu lassen. Doch er stand vor ihr und sah ihr in die Augen. Die Wärme und Zuneigung, die sie in ihnen erblickte, überwältigte sie.
Obwohl sie eine vierzigjährige Frau war, fiel ihr der nächste Schritt schwer. Beinahe schüchtern begann sie, ihre Strumpfhose auszuziehen. Aber was sonst die alltäglichste Sache der Welt war, löste jetzt, in diesem Zimmer und vor diesem Mann, eine erotische Hochspannung aus. Sie richtete sich wieder auf und fixierte unsicher seinen Blick. Was ging in ihm vor? War er erregt?
Mit zittrigen Händen löste sie den Verschluss ihres BHs. Dann streifte sie ihn sich langsam von den Schultern und ließ ihn auf ihr Kleid fallen. Ein Frösteln überkam sie, aber es war nicht die Kühle des Zimmers, die es auslöste. Sie schrie innerlich nach einer Berührung von ihm. Wann hatte sie das letzte Mal eine so unfassbare erotische Spannung erlebt? Sie kannte die Antwort. Letzten Donnerstag.
Immer noch stand er da und schaute sie nur an. Einige Sekunden wartete sie, dann hakte sie die Finger in ihren Tanga und zog ihn aus. Nun stand sie nackt vor ihm. Ausgeliefert. Er konnte mit ihr machen, was er wollte.
Aber er tat es nicht.
»Schließ die Augen und mach sie erst wieder auf, wenn du gehen musst.«
Würde er sie erneut aufs Bett legen und unberührt seine Nähe spüren lassen? Aber sie wollte mehr. So viel mehr.
»Und jetzt zieh mich aus.«
Sie sollte ihn ausziehen? Seine Forderung überrumpelte sie, und es vergingen einige Sekunden in beinahe vollkommener Stille. Nur die Geräusche, die das Haus von sich gab, waren zu hören. Sie stellte sich vor, was er anhatte. Er trug Jeans und ein Polohemd, darüber ein Sportsakko. Was für Schuhe? Mein Gott, durchfuhr es sie, du bist eine Frau und weißt nicht, was für Schuhe er trägt? Doch seine Augen hatten sie gebannt. Sie wusste es nicht. Sie würde seine Schuhe ertasten müssen.
Jetzt, als sie ihre Hand vorsichtig nach vorne ausstreckte und kurz zurückzuckte, als sie ihn berührte, wurde sie sich ihrer Nacktheit auf eine verstörende Art bewusst. Sie war im Begriff, etwas Verbotenes zu tun, etwas, das andere verachten würden. Aber sie genoss jeden Moment der Spannung und des aufsteigenden Gefühls in ihren Lenden. Sie wollte leben, lieben, fühlen.
Sie ertastete sein Sakko, schob es ihm über die Schultern, ging halb um ihn herum und zog es ihm aus. Während sie ihn fortwährend mit einer Hand berührte, stellte sie sich wieder vor ihn. Dann ging sie langsam in die Knie und ertastete seine Schuhe. Sie fühlte keine Schnürsenkel, also trug er Slipper. Er half ihr ein wenig, indem er erst den einen, dann den anderen Fuß anhob und sie seine Schuhe von den Füßen ziehen konnte.
Er wird mit mir schlafen! durchfuhr es sie. Oder nicht?
Sie erhob sich und tastete über seine Brust. Sie konnte fühlen, dass kein Gramm Fett an ihm war, und hätte um ein Haar die Augen aufgemacht.
Schalte deine Gedanken ab. Fühle einfach nur.
Langsam zupfte sie ihm das Poloshirt aus dem Hosenbund und schob es ihm über den Kopf. Er musste die Arme hochnehmen, und für die Sekunden, die sie brauchte, um ihm das Shirt auszuziehen, war sie ihm so nahe, dass sie die Wärme seiner Haut spüren konnte. Ihre Brust berührte ihn kurz, und ein heißer Strahl durchfuhr sie. Mit unbändigem Willen, eine weitere Berührung zu vermeiden, trat sie einen Schritt zurück. Um ihm seine Hose auszuziehen, musste sie erneut in die Hocke gehen. Behutsam fühlte sie nach dem Verschluss des Gürtels und öffnete ihn. Ein unglaubliches Gefühl erfasste sie, als sie seine Jeans Knopf für Knopf öffnete. Sie ahnte dabei seine Erregung, und das steigerte ihre eigene umso mehr.
Dann hatte sie ihm die Hose ausgezogen. Langsam glitten ihre Hände an den Außenseiten seiner Oberschenkel nach oben, bis sie an der Naht seiner Shorts anlangten. Die Hitze, die von ihm ausging, überwältigte sie. Zentimeter für Zentimeter zog sie das Kleidungsstück herunter. Sie musste einen Widerstand überwinden, um ihm die Shorts ganz auszuziehen.
Dann waren sie beide nackt. Sie hockte vor ihm und verharrte. Was sollte sie jetzt tun? Sollte sie …?
»Komm, steh auf«, sagte er leise. »Lass die Augen geschlossen. Ich werde dich heute berühren. Leg dich hin und lass deinen Geist frei.«
Er ergriff ihre Hand und führte sie zum Bett. Genau wie beim ersten Mal legte sie sich auf den Rücken und die Arme neben ihren Körper.
Er wird mich heute berühren, dachte sie. Wo? Wie?
Mit allen Sinnen angespannt wartete sie darauf, dass er zu ihr kam. Dann fühlte sie ihn neben sich. Nah. Ganz nah. Körper an Körper. Ein Beben durchlief sie, und Wellen von Gänsehaut überzogen ihre Haut. Einige Minuten vergingen, während denen sie einfach nur dalag und den Hautkontakt genoss. Nach einer gefühlten Ewigkeit drehte er sich um und lag nun mit seinem Bauch an ihrer linken Seite. Sie fühlte seine männliche Härte an ihrer Hüfte, und ihr Herz begann zu rasen.
Er muss dich doch auch wollen! dachte sie. Wie kann er das nur aushalten, so lange zu warten?
Sie blendete den Gedanken aus und versuchte das, was mit ihr geschah, mit geschlossenen Augen zu sehen. Sie sah sich von oben an seiner Seite liegen, sah, wie er langsam die linke Hand anhob und zu ihren Beinen führte.
Erschrocken zuckte sie zusammen, denn genau in dem Augenblick, als sie dies dachte, begann es, an den Innenseiten ihrer Oberschenkel zu kribbeln.
Ihre Gedanken rasten. Lass los! Nimm ihn! Genieß es!
Bewusst entspannte sie ihren Körper und wurde schwer. Gleichzeitig nahm die Wärme zwischen ihren Schenkeln zu, und als er sie dann tatsächlich berührte, stöhnte sie leise auf.
Langsam zeichnete er mit seinen Fingern den Verlauf ihrer Schenkel nach. Er fuhr mit den Fingernägeln sanft, nahezu unmerklich, an ihren Beinen entlang, begann an den Knien, strich hinauf bis in ihre Leistengegend, was ihr durch und durch ging, und ließ seine Hand anschließend wieder nach unten gleiten. Er berührte ihre empfindlichste Stelle dabei nie, kam ihr aber stets so nahe, dass Marie es beinahe nicht mehr aushielt.
Irgendwann liefen seine Finger weiter, erforschten ihren Bauch, umkreisten ihren Bauchnabel und strichen dann über die Wölbungen ihrer Brüste, die sich in ihrer aufsteigenden Lust hoben und senkten. Er berührte sie mit einer Sanftheit, die an die Zärtlichkeit einer Frau erinnerten. Welle um Welle stieg in ihr auf. Sie fühlte, wie sie sich ihm entgegendrängen, ihn an sich reißen, mit Küssen bedecken und ihn in sich aufnehmen wollte. Aber ihre Lust war jetzt auch ohne diese Vollendung kurz vor dem Höhepunkt. Schwer atmend lag sie da, als seine Hand mit einem Mal nach unten fuhr. Die Berührung war wie ein Stromschlag. Welle um Welle zog durch ihren Unterleib, und obwohl er nichts weiter tat, als seine Hand dort unten ruhen zu lassen, erschütterte sie ein Höhepunkt, dem sie sich so hemmungslos überließ, wie sie es nie zuvor für möglich gehalten hatte. Ihr Körper bebte unter beinahe schmerzhafter Lust, und nur langsam ebbte das Empfinden ab.
Heftig atmend und scheinbar schwerelos lag sie neben diesem Mann, der magische Hände zu haben schien. Obwohl sie lag, drehte sich die Welt um sie herum. Selbst wenn sie an etwas hätte denken können, in diesem Moment hatte ihr Körper die Macht übernommen.
Irgendwann beruhigte sie sich. Sacht zog er seine Hand zurück, was sie aufseufzen ließ. Sie dachte daran, welch unglaubliche Augenblicke das Leben bereithielt, wenn man wusste, wo man sie finden konnte. Und bei wem.
»Halte deine Augen geschlossen«, drang seine Stimme zu ihr durch. »Versuch das, was du gefühlt hast, festzuhalten, dass du es immer wieder in deinem Leben abrufen kannst.«
Das werde ich, dachte Marie. Es wird schon schwer, überhaupt noch einmal je in einen anderen Zustand zu kommen.
Sie lauschte den leisen Geräuschen, die er machte, als er sich vom Bett erhob und im Zimmer umherging. Sie konnte nicht einordnen, was er tat. Sie lag da und fühlte ein vollkommen neues Leben in sich.
Plötzlich nahm er ihre Hand und drückte sie.
»Jetzt kannst du deine Augen wieder aufmachen.«
Sie wandte den Kopf und sah ihn an. Er hatte sich angezogen, und jetzt wusste sie, was er getan hatte.
»Darf ich dich nicht sehen?«, fragte sie lächelnd.
»Du wirst mich sehen«, erwiderte er. »Um die Gefühlswelt von allen anderen Welten abzutrennen, muss man sich langsam herantasten.«
»Es war unglaublich«, flüsterte sie. »Wie machst du das?«
»Ich mache nicht viel. Das meiste machst du. Es entsteht in deinem Kopf, aber es hat nichts mit dem Verstand zu tun.«
»Niemand sonst hätte das geschafft«, murmelte sie.
Er lachte. »Wenn wir verheiratet wären, wäre der Zauber vermutlich schon längst verflogen.«
»Ja, vielleicht«, antwortete Marie, richtete sich auf und schwang die Beine über den Bettrand. »Ich bin verheiratet, aber Zauber gab es auch vor meiner Ehe nicht. Vielleicht Spaß und ein wenig Spannung. Aber nie Zauber.«
»Ich helfe dir mit den Sachen«, sagte er und begann, die auf dem Boden verstreuten Kleidungsstücke aufzuheben. Dann reichte er sie ihr und sah zu, wie sie sich anzog. Sie bürstete sich die Haare und schaute ihn dabei unverwandt an.
»Du musst dich nicht verkaufen. Du könntest jede Frau glücklich machen.«
Er setzte zu einer Erwiderung an, aber dann schwieg er. Marie ahnte zu wissen, was er hatte sagen wollen. Vielleicht kann ich das, aber es gibt keine Frau, die mich glücklich machen kann.
Er holte ihren Mantel und half ihr hinein. Als sie sich umdrehte, nahm er sie in die Arme, und für lange Sekunden standen sie eng umschlungen da. Er streichelte ihren Rücken, und sie genoss jede Sekunde, die verging.
Schweren Herzens löste sie sich von ihm. Dann fiel ihr etwas ein. Sie öffnete ihre Handtasche, holte einen Umschlag heraus und drückte ihn ihm in die Hand. Diesmal nahm er ihn an.
»Sehen wir uns wieder?«, fragte er und kannte die Antwort.
»Ich glaube nicht«, sagte sie und musste lachen. »Das überleg ich mir noch!«
Als sich die Zimmertür schloss und sie durch den nüchternen Hotelflur Richtung Ausgang ging, zitterten ihre Beine.
»Das glaube ich nicht«, murmelte sie. »Das kann einfach nicht sein. Mein Gott, Marie, was machst du da?«
Entscheidung
Wider Erwarten war der folgende Tag ein wunderbar warmer Oktobertag mit beinahe zwanzig Grad. Marie war froh, dass Jens die Terrassenmöbel noch nicht im Keller verstaut hatte. Sie hatte sich einen Becher Kaffee eingeschenkt und genoss die Strahlen der Sonne. Ihr Tablet vor sich auf den Knien schweiften ihre Gedanken immer wieder ab. Jedes Mal, wenn sie sich das Bild dieses furchtbar hässlichen Hotelzimmers zurück ins Gedächtnis holte, fragte sie sich, wie es sein konnte, dass man in einer solchen Umgebung alles um sich herum vergessen und unter den Berührungen eines Fremden die sinnlichsten Erlebnisse seines Lebens haben konnte. Es ist nicht das Zimmer, dachte sie. Er ist es.
Vor der Nacht neben Jens hatte sie sich gefürchtet, doch es war ihr gelungen, so lange fernzusehen, dass er irgendwann aufgegeben hatte und vor ihr ins Bett gegangen war. Bis zwei Uhr nachts hatte sie allein im Wohnzimmer gesessen, und während aus dem Fernseher die leisen Geräusche verblödender Sitcoms drangen, hatte sie nachgedacht. Und am Ende war ein Entschluss in ihr gereift. Jetzt auf der Terrasse, begann sie, einen Teil dieses Entschlusses umzusetzen.
Bevor sie bei Google den Suchbegriff eingab, den sie sich vorgenommen hatte, schrieb sie eine SMS an Jana.
Heute Abend Antonio?
Sie wartete zwei Minuten, und als keine Antwort kam, ging sie ins Internet und begann mit ihrer Suche. Eine Stunde später hatte sie drei Annoncen und die entsprechenden Telefonnummern notiert. Sie zögerte nicht, sondern rief die dazugehörigen Teilnehmer nacheinander an. Danach lehnte sie sich befriedigt zurück. Zwei Termine für den kommenden Vormittag. Nicht viel, aber ein Anfang.
Sie stand auf, ging in die Küche und holte sich ein Stück Kuchen. Dann fiel ihr etwas ein. Sie setzte sich noch einmal an den Computer und checkte ihr Giro- und ihr Tagesgeldkonto. Für eine Weile versank sie in Gedanken, aus denen sie erst wieder aufschreckte, als sich ein Spatz auf den Tisch setzte und den Hals nach den Krümeln reckte, die vom Kuchen übriggeblieben waren.
»Na, nimm schon«, sagte sie gutmütig. »Man muss nehmen, was man kriegen kann.«
Mittlerweile war die Sonne hinter dicken Wolken verschwunden, und es war empfindlich kühl geworden. Sie begann zu frösteln und räumte die Sachen weg. Als sie im Begriff war, ihre Jacke vom Haken zu nehmen, um sich auf den Weg zur Schule zu machen, signalisierte ihr Handy eine SMS. Jana.
Okay. Halb neun? Privat?
Marie lächelte und schrieb zurück.
Ja. Sehr privat.
Bevor sie die Eingangstür schloss, blickte sie für einige Sekunden zurück und nahm das vertraute Bild ihres Heims in sich auf. Alles, was man will, dachte sie. Bis auf eins.
*
»Waas?«, entfuhr es Jana, und sie hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund, weil ihr die Frage viel zu laut herausgerutscht war.
»Könntest du bitte etwas leiser sein?«, fragte Marie mit gespieltem Ernst. »Jetzt müssen wir erstmal von etwas anderem reden. Das ganze Lokal guckt schon rüber.«
»Entschuldige«, meinte Jana grinsend. »Aber du kannst mir doch nicht erzählen, dass du den schärfsten Orgasmus deines Lebens hattest und erwarten, dass ich dann sage: Ah, okay, und was gibt’s Neues zu Hause?«
»Jana …«, dehnte Marie. »Noch leiser, bitte!«
Jana lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Okay, was möchtest du essen?«
»Vielleicht Venusmuscheln?«
Sie lachten beide los, und als Antonio kam und sie fragend anschaute, bestellten sie tatsächlich Muscheln und einen kühlen Frascati.
»Du hast ihn also wiedergetroffen«, stellte Jana fest. »Nach drei Tagen.«
»Vier.«
»Gut, vier. Was hat es dich gekostet?«
»Frag mich nicht, was es gekostet hat. Frag mich, wie es war.«
»Das mach ich schon noch, aber ich bin deine beste Freundin. Ich muss dich auf den Teppich zurückholen, wenn du dabei bist, abzustürzen. Und im Moment habe ich das Gefühl, dass du kurz davor bist.«
Marie seufzte. »Weißt du, Jana, ich habe noch nie so klar denken können wie heute. Ich gebe dir ja recht. Wenn ich mit ihm zusammen bin, kann ich nicht klar denken. Und das will ich auch gar nicht. Es ist ein so unfassbares Gefühl, von ihm berührt zu werden, dass du es immer wieder haben willst.«
»Das ist wie bei Heroin«, sagte Jana trocken. »Einmal probiert, und du kommst nicht mehr davon los.«
»Hm.«
»Du weißt, wie es mit Junkies weitergeht?«
Marie verdrehte die Augen. »Mensch, Jana! Junkies können an nichts anderes mehr denken als an ihren Stoff und verlieren ihr Leben dabei.«
»Das Gefühl habe ich gerade bei dir.«
»Nein«, sagte Marie etwas zu schroff. »Im Gegenteil. Ich bin dabei, mir mein Leben neu aufzubauen. Ich habe schon zu viele Jahre verschenkt.«
Jana beugte sich vor und sah ihrer Freundin in die Augen.
»Du kannst dich doch nicht der Illusion hingeben, mit einem Callboy ein neues Leben zu beginnen!«
»Nein. Das tue ich auch nicht.«
Antonio kam und brachte ihren Wein. Sie prosteten sich zu, und Marie genoss ein paar Schlucke des kühlen Frascati.
»Jana, ich werde Jens verlassen.«
Sie beobachtete den Gesichtsausdruck ihrer Freundin, der fassungsloses Erstaunen ausdrückte.
»Nicht, um mit jemand anderem zu leben, sondern um frei zu sein.«
»Du meinst es ernst?«
Marie nickte. »Ich habe für morgen zwei Besichtigungstermine vereinbart. Ich werde mir Wohnungen ansehen.«
»Du meinst es wirklich ernst«, sagte Jana bestürzt. Dann nahm ihr Gesicht einen entschlossenen Ausdruck an. »Ich bin deine beste Freundin. Ich helfe dir. Aber du weißt, dass es nicht leicht wird?«
»Das weiß ich. Sophie und Jasmin werden es nicht verstehen. Vielleicht werde ich gemeinsam mit Jens zu einer Eheberatung gehen, damit uns jemand dabei unterstützt, wie wir es den Kindern leichter machen können.«
Eine Zeit lang saßen die beiden Frauen schweigend an ihrem Tisch. Irgendwann servierte Antonio die Muscheln.
»Weißt du, was?«, fragte Marie und brach den Bann. »Ich habe Hunger! Ich habe Hunger wie schon lange nicht mehr!«
»Das ist ein Ding«, meinte Jana. »Das muss ich erst mal verkraften.«
»Ich helfe dir!«, lachte Marie.
Sie genossen das Essen und Marie entspannte immer mehr. Sich ihrer Freundin anzuvertrauen, gab ihr Kraft für die schweren Wochen, die folgen würden. Als sie fertig waren, musste sie noch etwas loswerden.
»Jana, wenn ich eine Wohnung mieten will, brauche ich ein festes Einkommen.«
»Du suchst einen Job«, stellte Jana fest.
»Ja. Ich habe das Erbe meines Vaters. Es ist genug, um die Kaution zu zahlen, die Wohnung einzurichten und für die Miete von ein paar Monaten. Aber das wird einem Vermieter nicht reichen. Du hast mir mal gesagt, dass sie in deiner Firma noch jemanden suchen.«
»Das ist drei Jahre her«, wandte Jana ein. »Aber wir expandieren immer noch. Ich werde unseren Personalchef morgen fragen. In drei Jahren wirst du ja noch nicht alles verlernt haben.«
»Nein, und wenn nicht, bilde ich mich halt weiter. Aber ich kann nur halbtags arbeiten.«
»Das ist mir klar. Aber würdest du finanziell mit einem Halbtagsjob auskommen?«
»Ich bekomme das Kindergeld und Jens wird Unterhalt zahlen müssen. Zumindest für die Kinder, für mich will ich nichts. Es müsste reichen.«
Jana winkte Antonio und bestellte zwei Espressi. Dann beugte sie sich über den Tisch und raunte Marie etwas zu.
»Du wirst dir so schnell wie möglich einen Mann suchen müssen, der dir einen ebenso scharfen Orgasmus verschaffen kann wie dein Gigolo.«
»Warum das denn?«
»Weil du ihn bald nicht mehr bezahlen kannst.«
Marie nickte. »Ja, das stimmt. Da hast du recht. Aber ein paar Mal geht schon noch. Und vielleicht brauche ich ihn ja bald nicht mehr zu bezahlen.«
Jana stützte in gespielter Verzweiflung den Kopf in die Hände.
»Das glaub ich jetzt nicht. Du bist doch nicht wirklich der Meinung, dass der Kerl sich in dich verlieben könnte?«
»Ich weiß nicht … seine Augen sind unbeschreiblich.«
»Ach, Marie«, seufzte Jana. »Und du bist unbeschreiblich naiv.«
»Es ist schön, Jana. Ich genieße jede Sekunde meines Lebens. Und das hat er ausgelöst. Ob ich ihn wiedersehe oder nicht, ist egal. Ich werde ab jetzt anders leben. Einfach neu leben. Mit Mann oder ohne Mann. Ich kann es selbst noch kaum glauben, aber ich werde das durchziehen.«
»Okay. Dann zieh es durch. Ein bisschen neidisch bin ich schon.« Sie zwinkerte ihrer Freundin zu. »Ich hatte schon seit fast einem Jahr keinen Mann mehr.«
Verblüfft sah Marie ihre Freundin an. »Ein Jahr? Unfassbar. Weißt du, was? Ich such dir einen!«
Lachend winkte Jana Antonio und signalisierte ihm, dass sie zahlen wollten.
Draußen vor dem Lokal umarmten sie sich zum Abschied.
»Ich werde dir immer beistehen«, sagte Jana. »Und wenn es mit Jens eskaliert, ruf mich an. Zur Not könnt ihr ein paar Tage bei mir unterkommen.«
»Danke.« Marie drückte sie an sich. »Du weißt nicht, was du sagst! Drei Tage mit meinen Kindern, und du ziehst aus deiner eigenen Wohnung aus!«
Lachend verabschiedeten sie sich, und als Marie nach Hause fuhr, war ihr wunderbar leicht ums Herz.
*
Der Immobilienmakler war einer von den schleimigen Typen, die einem aufdringlich auf die Pelle rücken, weder von ihrem Metier noch von irgendetwas anderem Ahnung haben und die abgeranztesten Wohnungen zu lichtdurchfluteten Liebhaberobjekten machen. Ständig vor sich hin labernd folgte er Marie, während sie langsam von einem Zimmer zum nächsten ging.
Die erste Besichtigung hatte sich als Reinfall erwiesen. Schimmel im Bad, widerlich nach Rauch stinkende Zimmer und ein Balkon, auf dem man nicht einmal zwei Personen hätte unterbringen können. Die Wohnung, die sie sich jetzt anschaute, gefiel ihr schon besser. Sie befand sich im ersten Stock, besaß einen schönen Balkon und einen Gemeinschaftsgarten mit Spielplatz. Sie hatten am Eingang eine Mieterin getroffen, die nett grüßte. Das waren Voraussetzungen, die Marie gefielen. Sie ließ das Ganze auf sich einwirken. Könnte ich hier leben? Könnten Sophie und Jasmin sich hier wohlfühlen? Schlafzimmer und Kinderzimmer waren groß genug. Irgendwann würden ihre beiden Mädchen in ein Alter kommen, in dem sie auf eigene Zimmer bestanden, aber bis dahin war noch genug Zeit. Diese Wohnung musste nicht die endgültige Lösung sein, aber sie konnte sich vorstellen, sich hier einzurichten. Das einzige, was ihr nicht ganz gefiel, war die amerikanische Küche, die offen in das Wohnzimmer integriert war. Doch daran konnte sie sich gewöhnen.
»Die Nebenkosten sind recht niedrig«, drang die Stimme des Maklers an ihr Ohr. »Und seit einiger Zeit fällt ja auch die Courtage für den Mieter weg. Das ist jetzt Sache des Vermieters.«
»Das wurde auch Zeit«, murmelte Marie geistesabwesend. Der Makler nickte eifrig. »Der Auftraggeber hat die Provision zu zahlen, nicht mehr der Kunde. Sie müssen nur zwei Monatskaltmieten an Kaution hinterlegen. Die Wohnung ist frei. Sie können nächsten Ersten einziehen.«
»Ich bin interessiert«, sagte Marie zögernd. »Aber ich kann das heute nicht entscheiden.«
»Und ich kann Ihnen die Wohnung nicht reservieren. Sie haben das große Glück, dass Sie mich angerufen haben und sie noch nicht inseriert ist, sonst würden hier noch fünfzig andere Leute stehen. Ich gebe Ihnen das Formular für den Mietvertrag mit. Wenn Sie sich entschieden haben, rufen Sie bis übermorgen an. Danach stelle ich sie ins Internet. Und wenn Sie sie wollen, kommen Sie in mein Büro, und wir machen den Vertrag perfekt.«
Marie nickte. Achthundertfünfzig Euro, dachte sie. Wie lange kann ich mir das leisten?
»Was ich dann noch bräuchte, ist ein Einkommensnachweis über die letzten drei Monate oder ein entsprechender Bonitätsnachweis sowie eine Schufa-Auskunft.«
Marie nahm die Unterlagen entgegen. »Geben Sie mir die zwei Tage Zeit.«
Der Makler zuckte die Schultern. »Wie gesagt, ohne Garantie.«
Ungerührt wanderte Marie noch einmal langsam durch die Wohnung und richtete sie in Gedanken ein. Die Kinderzimmermöbel konnte sie komplett mitnehmen und das Wichtigste aus der Küche auch. Ebenso alle Kleidung. Aber Schlafzimmer und Wohnzimmer würde sie vollkommen neu einrichten müssen. Ikea und Ebay, dachte sie amüsiert. Ich werde schon etwas finden, das mich nicht ruiniert.
Als sie sich von dem Makler verabschiedet hatte, blieb sie noch eine Weile auf der Straße stehen, betrachtete das Haus, die Umgebung und die Menschen, die vorbeigingen. Es gefiel ihr immer besser. Auch der Weg zur Schule und die Entfernung zu den Freundinnen ihrer Mädchen waren nicht viel weiter als von ihrem bisherigen Zuhause.
Sie war sich jetzt sicher. Sie würde die Wohnung nehmen. Wenn sie einen Job bekam.
*
Die Entscheidung fiel am nächsten Vormittag, als Jana unangemeldet Sturm bei ihr klingelte. Überrascht öffnete Marie und drückte ihre Freundin, die offensichtlich etwas loswerden wollte.
»Was ist denn los mit dir? Was machst du überhaupt zu dieser Uhrzeit hier? Musst du nicht arbeiten?«
»Nein, muss ich nicht. Ich bummele zwei Gleittage ab. Aber du musst arbeiten. Ich hab vorhin mit meinem Chef telefoniert, und er möchte, dass du am nächsten Montag vorbeikommst und dich vorstellst.«
»Mensch, Jana, das ist ja super!«, strahlte Marie. »Komm rein, ich mach uns einen Kaffee!«
Als Marie Kaffee zubereitete und eine Packung Kekse aufmachte, war sie so aufgeregt, dass sie eine der Tassen umwarf.
»Ganz ruhig«, grinste Jana. »Du darfst nicht alles kaputt machen, was du vielleicht mitnehmen willst.«
»Ha, ha«, machte Marie gutmütig. »Und außerdem … eine neue Tasse ist wie ein neues Leben!«
Sie lachten und setzten sich an den Esstisch.
»Nun schieß schon los. Was ist das für ein Job? Was muss ich machen? Was muss ich können? Was soll ich anziehen?«
Jana schüttelte in gespielter Verzweiflung den Kopf. »Am besten ziehst du einen Minirock an und verzichtest auf die Unterwäsche. Mein Chef ist ein perverses kleines Schweinchen.«
Als sie Maries völlig entgeistertes Gesicht sah, lachte Jana aus vollem Hals.
»Das war ein Scherz! Er ist nett. Wir alle kommen gut mit ihm aus. Vielleicht hast du wirklich unglaubliches Glück, denn eine unserer Mitarbeiterinnen hat einen Amerikaner geheiratet und zieht mit ihm in die Staaten. Wir hätten jetzt bald eine Annonce aufgegeben, um eine Nachfolgerin zu suchen. Du stehst also in der Poleposition. Du musst mit Excel umgehen können und Organisationstalent haben. Du müsstest Tagungen und Präsentationen vorbereiten und Dienstreisen buchen.«
»All das habe ich schon früher gemacht«, sagte Marie selbstsicher.
»Das weiß ich. Und das habe ich meinem Chef auch gesagt. Was meinst du wohl, warum er dich sehen will? Du müsstest von acht bis dreizehn Uhr arbeiten. Das müsste doch gehen, oder?«
»Ach, Jana. Das wäre zu schön, um wahr zu sein. Es wäre perfekt.« Sie rutschte auf ihrem Stuhl herum. »Ich kann es gar nicht mehr abwarten bis Montag!«
Jana blickte sie ernst an. »Einen Haken hat die Sache allerdings.«
Marie hielt inne. »Was für einen Haken?«
»Du wärst meine Kollegin!«
»Ach, echt?«, lachte Marie. »Das ist allerdings ein Haken! Komm, ich muss dir was zeigen!«
Sie holte das Exposé von der Wohnung, das sie in ihre Handtasche gestopft hatte, und zeigte es ihrer Freundin.
»Sie gefällt dir?«
»Ja. Sie passt.«
»Dann nimm sie.«
»Ich muss bis morgen Bescheid sagen, sonst ist sie weg. Aber ich muss doch warten, bis ich einen Arbeitsvertrag habe. Ohne festes Einkommen werde ich sie nicht bekommen.«