Kitabı oku: «Nirvana», sayfa 7
Für Pavitt war die Sache zu sehr „Rock“, zu viel Heavy Metal und zu wenig Underground. Poneman und Pavitt gingen zu einem spärlich besuchten Auftritt in der Central Tavern – an einem Sonntag abend um acht (heute behaupten Hunderte, sie wären dort gewesen). Die Musik war ungeschliffen, aber manche Sachen waren außergewöhnlich gut. Pavitt stimmte zu, dass sie ein großes Potential hatten. Poneman erinnerte sich noch, dass sich Kurt vor dem Auftritt hinter der Bühne übergeben hatte.
„Die Band riss mich nicht gleich vom Hocker“, gab Pavitt jetzt zu. „Für mich eröffneten Nirvana keine neuen musikalischen Perspektiven.“ Aber Poneman war begeistert, und der ehemalige Journalist Pavitt begann nach Argumenten zu suchen, mit denen er der Musikpresse die Band schmackhaft machen konnte – denn die kleinen unabhängigen Labels mussten sich für die Promotion ihrer Projekte auf die Medien verlassen. Dann fiel bei Pavitt der Groschen.
,Je mehr ich über sie und das, was sonst noch in Seatle passierte, nachdachte“, sagt er, „desto mehr passte es mit der Sache von Tad – diesem Fleischer aus Idaho – zusammen. Echte Arbeiterklasse – ich mag den Ausdruck ,White Trash‘ nicht – nichts Konstruiertes, sondern etwas Urwüchsiges.“ Bis zu diesem Zeitpunkt (und zum Großteil immer noch) wurde die Independent-Szene von der Ostküste aus beherrscht – dort gab es Tip Sheets, Fanzines, eigene Radiostationen und Clubs. „Wir versuchten, mit intelligenten und kreativen Leuten zu arbeiten, die deshalb nicht unbedingt ins College gehen mussten“, grenzte sich Pavitt von der collegefixierten Ostküstenszene ab. „Und je mehr ich über Kurt erfuhr, desto besser passten er und Tad in dieses Bild.“
Als Kurt zu Tracy nach Olympia gezogen war, hatte er sich noch darüber beklagt, dass er in Seattle geschnitten wurde, weil er nicht zur Clique gehörte. Ein Jahr später schon wollte er keine Konzerte mehr besuchen, weil ihn gar so viele Leute anquatschten. Alle hatten das Demo gehört, denn Endino hatte Kopien an seine Freunde verteilt, und diese wiederum an ihre Freunde.
Auch Kurt zog einen Haufen Kassetten und schickte sie an jedes Indie-Label, das er kannte – inklusive SST in Lawndale, California, und Alternative Tentacles in San Francisco. Am liebsten wollte er zu Touch & Go in Chicago, dem Label einiger seiner Lieblingsgruppen: Scratch Acid, Big Black und der Butthole Surfers. Dorthin schickte er insgesamt zwanzig Stück, immer begleitet von einem Brief und „kleinen Geschenken“, angefangen von kleinen Spielsachen über eine Handvoll Konfetti bis zu einem mit Plastikameisen gefüllten Präservativ und einem mit Nasendreck verkrusteten Blatt Papier (verdächtig ähnlich dem, was Big Black für ihre EP Lungs machten). Niemand meldete sich, schon gar nicht Touch & Go.
An Sub Pop schickte er keine Kassette – er wusste nicht einmal, dass es das Label gab. Keinen Augenblick zu früh rief Poneman an und erklärte, dass ihm die Aufnahme gefiele. Kurt hielt Poneman für cool, weil er mit seiner damaligen Lieblingsband Soundgarden zu tun hatte. Sie vereinbarten ein Treffen im Café Roma am Broadway in Seattle.
Kurt kam zusammen mit Tracy und war als erster da. Tracy war der ganzen Sache gegenüber ein wenig misstrauisch – ihr gefiel Poneman nicht; die Art, wie er seine Hände fest in den Taschen seines Trenchcoats vergraben hielt, und dass er sich ständig suchend umblickte. „Man hatte den Eindruck, die Polizei wäre hinter ihm her“, erinnerte sie sich.
Poneman empfand Kurt als „sehr schüchtern und respektvoll“ und als „angenehmen, sanften Burschen“. Chris, der kurz nach Kurt und Tracy ankam, war ein anderes Kapitel. Er war vor dem Treffen so nervös, dass er sich schon am Weg nach Seattle betrunken hatte. Von Zeit zu Zeit nahm er auch im Café noch einen Schluck aus einer Flasche, die er unter dem Tisch verborgen hielt. Während des ganzen Treffens starrte er Poneman an, beleidigte ihn, rülpste laut und brüllte die anderen Gäste an: „Was zum Teufel gibt’s hier zu sehen? Hey! Hey!“ Für Kurt war es „eine der lustigsten Szenen, die ich je erlebt habe.“
Poneman ignorierte Chris, so gut er konnte, und brachte seine Idee zum Ausdruck, dass er in naher Zukunft eine Single von Nirvana herausbringen wollte.
1988 begann nicht gerade vielversprechend für die Szene in Seattle. Schlüsselbands wie die Melvins, Green River und Feast waren entweder in einem Zwischenstadium oder hatten sich getrennt. Bands wie Tad, Mudhoney oder Mother Love Bone waren gerade erst am Anfang – und das galt auch für Sub Pop Records.
Sub Pop war ursprünglich ein Fanzine von Bruce Pavitt, einem Zuwanderer aus Chicago, der am freigeistigen Evergreen State College von Olympia Punkrock studierte. Bald begann er mit Sammelkassetten von regionalen Musikszenen in den ganzen Vereinigten Staaten, und seine erste Vinylproduktion Sub Pop 100 war der Szene von Seattle gewidmet.
1987 brachte Pavitt Dry as a Bone von Green River heraus, einer Band aus Seattle, die den Mut hatte, die gegensätzlichen Sounds von Metal und Punk zu mischen (Green River spaltete sich später in Mudhoney und Pearl Jam). Ihr gemeinsamer Freund Kim Thayil von Soundgarden machte ihn mit Jonathan Poneman bekannt, einem Radio-DJ und Rockkonzert-Promoter in Seattle. 1988 brachten sie das Soundgarden-Album Screaming Life heraus.
Pavitt und Poneman waren gerissen, konnten gut reden und hatten ein ausgezeichnetes Gehör. Sie verstanden sich hervorragend auf Vermarktung, und da sie die Erfolge und Misserfolge früherer Independent-Labels genau beobachtet hatten, gelang es ihnen in Windeseile, Sub Pop und die Szene von Seattle zum aufregendsten Ding im Independent Rock zu machen. Es gab in Seattle zwar auch andere Labels (etwa Popllama mit den Young Fresh Fellows), aber nur Sub Pop wusste sich zu verkaufen. Die meisten Covers waren künstlerische und professionelle Studiofotos von Pavitts Freund Michael Lavine, dadurch entstand der Eindruck, es wäre viel Geld für einen exklusiven Fotografen ausgegeben worden. Auf den Innenhüllen und auf der Rückseite dominierte das von Charles Peterson geschaffene Sub Pop-Image: grobkörnige und verschwommene Schwarzweißbilder, auf denen man mehr vom Publikum als von der Band sah. Peterson mischte sich hemmungslos ins Volk und fing das ganze gewalttätige Treiben ein – jede Menge Schweiß, Haare und nackte männliche Oberkörper.
Eine interessante neue Band wie Nirvana war eine große Sache. Kurts Art, Gitarre zu spielen, war zwar zerhackt, hatte aber einen unüberhörbaren Metal-Einschlag. Die Riffs waren clever. Die Tatsache, dass Nirvana in so kurzer Zeit so gut klingen konnten, erstaunte Endino, der schon viele Bands aufgenommen hatte. Schon damals setzte Kurt seine Melodien auf sehr ungewöhnliche Weise gegen die Rhythmen und Akkorde. Anstatt einfach den Gitarren zu folgen, erfand er fast kontrapunktische Melodieführungen. Aber was die Band endgültig heraushob, war sein Gesang – er konnte sowohl sehr hoch kreischen als auch mit angenehm zugänglicher Stimme singen.
Sie hatten eine beschissene Anlage und fürchterlich klingende Verstärker. Ziemlich lange mussten sie jedes Mal ein Holzbrett unter Chris’ Bassverstärker schieben, weil ein Rad fehlte (das Problem wurde erst kürzlich gelöst).
Crover übersiedelte zu dieser Zeit – Frühjahr 1988 – mit Osborne nach San Francisco und empfahl Dave Foster aus Aberdeen als seinen Ersatz. Poster spielte Bass zusammen mit Crover in einer Satellitenband der Melvins, war aber auch ein guter Schlagzeuger. Kurt und Chris waren sich einig, dass sie Foster nicht auf Dauer in der Band haben wollten – er war mit seinem Schnurrbart und seinem aufgemotzten Allrad-Jeep zu macho und gewöhnlich. Trotzdem spielten sie ihm das Demo vor, und es schien Foster zu gefallen.
„Ich lernte eine Menge, was das Spielen betrifft“, sagte Foster, der in der Highschool Jazz-Schlagzeug gelernt hatte. „Sie sagten: ,Vergiss den Mist und hau einfach rein.‘“ Außerdem verkleinerten sie mein Schlagzeug um die Hälfte: Zu Beginn hatte ich noch zwölf Teile, nachher nur mehr sechs.“
Sie probten im Vorzimmer des neuen Hauses von Chris und Shelli auf der Pearl Avenue in Tacoma, nahe beim Tiergarten.
Auf der ersten Party, bei der sie auftraten, waren jede Menge Grüne, Hippies und Punks. Kurt trug seine übliche ärmellose Jeansjacke, hatte sein Plastikäffchen Chim-Chim auf die Schulter geklebt und am Rücken einen Ausschnitt aus einem Woolworth-Webbild vom letzten Abendmahl. Foster trug seine übliche Metal-Kluft. Während des Auftritts schnappte sich einmal ein Punker das Mikro und rief: „Schlagzeuger aus Aberdeen sind echt komisch!“
„Ich kam mir ziemlich fehl am Platz vor“, sagte Foster. „Aber mir gefiel das, was sie machten. Ich liebte ihre Musik.“
Poneman verschaffte ihnen im Frühjahr 1988 ihren ersten Seattle-Auftritt im Vogue. Es war der Sub Pop-Sunday. Einer der Trendsetter von Seattle, Charles Peterson, erinnerte sich, dass nur ungefähr zwanzig Leute gekommen waren – obwohl KCMU in regelmäßigen Abständen „Floyd the Barber“ gespielt hatte. Trotzdem hatte es viel Gerede über die Band gegeben sie klangen angeblich wie Blue Cheer. Leute wie Mark Arm unterzogen die Band einer sehr kritischen Betrachtung. Kurt erzählte später, dass nur noch das Hochhalten von Wertungstafeln nach jedem Song gefehlt hätte.
Die Band spielte ziemlich schlaff, und die schlechte Anlage tat ein Übriges. Peterson war nicht übermäßig beeindruckt, die Gruppe hatte auf der Bühne wenig Ausstrahlung. „Sie bemühten sich nicht sehr“, stimmte Poneman zu. Außerdem klangen die Songs zu sehr nach den Melvins. Peterson nahm Poneman beiseite und fragte ihn: Jonathan, bist du sicher, dass du die Jungs unter Vertrag nehmen willst?“
„Wir waren total daneben“, sagte Kurt. „Wir bauten Mist.“
Foster hielt es nur wenige Monate bei Nirvana aus. „Er war zu normal, und unsere seltsame Art hat ihn zu sehr eingeschüchtert“, sagte Chris. „So was wie uns hatte er noch nie gesehen. Wir waren einfach absolute Gegenkultur.“
Foster meinte dazu: „Ich glaube, sie fühlten sich unwohl, sie hielten mich wahrscheinlich für so etwas wie einen Redneck, was weiß ich. Wenn meine Freunde auftauchten, wurden sie nervös. Sie waren einfach nicht ihre Sorte Menschen. Jeder hat wohl seine eigene kleine Clique.“
„Außerdem hatte er ein Problem“, sagte Chris. „Er war wegen seiner Aggressionen in Therapie. Immer wieder fing er Streit an und prügelte furchtbar um sich. Einmal sahen wir ihn einen Freund gegen den Kopf treten, nur weil der auf seinen Wagen gespuckt hatte.“
Das endgültige Aus für Dave Foster kam, als dieser herausfand, dass ihn seine Freundin betrog. Er reagierte „wie ein Mann“ und verdrosch seinen Nebenbuhler. Zu seinem großen Pech stellte sich heraus, dass dieser der Sohn des Bürgermeisters aus dem nahegelegenen Cosmopolis war. Foster wurde zu einem Jahr Gefängnisstrafe verurteilt, kam aber letztlich nach zwei Wochen wieder frei. Allerdings wurde ihm der Führerschein entzogen – das bedeutete, dass er nicht mehr von Aberdeen zu den Proben nach Tacoma fahren konnte.
Sobald er wieder aus dem Gefängnis entlassen war, rief Foster Kurt an und fragte ihn, wann er zur nächsten Probe kommen sollte. Kurt erklärte ihm, dass sie gerade ein paar neue Songs schrieben und sich bei ihm melden würden. Was er ihm verschwieg, war, dass sie wieder mit Aaron Burckhard zu proben begonnen hatten – und dabei Fosters Schlagzeug verwendeten.
Doch auch Burckhards Tage waren gezählt. Eines Abends saßen Burckhard und Kurt nach den Proben im Trailer von Burckhards Vater in Spanaway zusammen und betranken sich. Burckhard lieh sich Kurts Wagen, um mehr Bier zu holen. Doch statt zum Supermarkt fuhr er in die nächste Kneipe. Nachdem er dort zwei Stunden mit Freunden gezecht hatte, wollte er zurückfahren und wurde dabei von einem schwarzen Polizisten mit Namen Springsteen wegen Trunkenheit am Steuer aufgehalten. Burckhard gröhlte in seinem Suff: „Hey Bruce! Was gibt’s, Bruce?“ und sonst noch „ein paar Nettigkeiten“. Officer Springsteen nahm ihn fest und beschlagnahmte Kurts Auto.
In Burckhards Wohnwagen gab es kein Telefon, und so wurde Chris verständigt, um ihn aus dem Gefängnis zu holen. Chris erzählte im Gespräch, dass Burckhard den Polizisten „fucking nigger“ genannt hätte – das wäre der wahre Grund der Festnahme gewesen. „Es war mir sehr peinlich, ihn auszulösen.“
„Vielleicht habe ich so etwas Ähnliches gesagt“, gab Burckhard zu. „Aber ich habe das Recht, zu schweigen.“
Kurt erzählte, er hätte Burckhard am nächsten Tag angerufen und ihn aufgefordert, zur Probe zu kommen. Burckhard hätte daraufhin gemeint, er wäre noch zu verkatert, und Kurt hätte einfach aufgelegt. Damit wäre Burckhard endgültig draußen gewesen.
„Ich spielte echt gerne mit den beiden“, sagte Burckhard. „Aber ich war jung und dumm und verlor irgendwie den Überblick.“
Wäre Burckhard an diesem Abend nicht in die Kneipe gegangen, wäre er jetzt wahrscheinlich Millionär. „Stimmt“, sagte er. „Aber es ist wie beim Lotto – du kannst fünf richtige haben und kriegst die sechste nicht und denkst dir dann: ,Himmel, nur eine Zahl hat gefehlt!‘ Ich bereue nichts. Ich bin wie – wie hieß doch der von den Beatles?“
Heute lebt der Pete Best von Nirvana, nachdem er seinen Job als Bauarbeiter verloren hat, von der Arbeitslosenunterstützung. Er spielt mit einer Speed-Metal-Band namens Attica Songs mit großkotzigen Titeln wie „Fuck Blister“ oder „Drunken Hell Trash“. Kürzlich war er wieder drei Tage im Gefängnis, weil er eine Geldstrafe wegen Fahrens ohne Führerschein nicht bezahlt hatte – er hat seinen Führerschein nach der Episode mit Officer Springsteen noch immer nicht zurück.
Dave Foster hielt sich noch lange für ein Mitglied der Band, bis er eines Tages im Frühsommer den Seattle Rocket auf der Suche nach einem guten Konzert durch blätterte. Dort waren Nirvana für diesen Abend im Squid Row in Seattle angekündigt. Er rief bei Kurt an, und Tracy erzählte ihm irgend ein Märchen. Darauf rief er bei Chris an, und dessen Mitbewohner eröffnete ihm irrtümlich die ganze Wahrheit: Nirvana hatten einen neuen Schlagzeuger.
„Ich war absolut sauer“, sagte Foster. „So ähnlich fühlt man sich, wenn man seine Freundin mit einem Anderen im Bett findet.“ Was in so einem Fall passiert, ist ja bekannt.
Foster war lange verstimmt, vor allem nachdem er erfuhr, dass Nirvana im Vorprogramm der Butthole Surfers aufgetreten waren. „Inzwischen finde ich es noch schlimmer“, sagte er. Aber er nimmt es philosophisch: „Sie taten, was sie für das Beste hielten. Ich wollte, es wäre anders gekommen – mein Traum war immer, vom Schlagzeugspiel leben zu können!“
„Er war ein Durchschnittstyp“, sagte Chris. „Wir haben ihn verunsichert. Wir machten ihn so nervös, dass er aus dem Takt fiel.“ „Ich war nicht unsicher“, sagte Foster. „Sie waren unsicher. Ich hatte keine Probleme.“
„Noch dazu stammte er aus einer intakten Familie“, fügte Chris halb im Scherz dazu.
An diesem Abend im Squid Row saß Chad Channing am Schlagzeug, ein kleiner Wicht, der eine Ähnlichkeit mit Elroy aus „The Jetsons“ hatte. „Er ist ein kleiner Kobold“, beschrieb ihn Kurt. „Aber auch einer der nettesten Menschen, die ich je kennengelernt habe.“ Channing wohnte in Bainbridge Island, einem mit Seattle durch eine Fähre verbundenen Vorort. Genau wie Kurt war auch Chad während seiner Kindheit hyperaktiv gewesen und hatte Ritalin bekommen. Und wie bei Kurt und Chris lebten auch seine Eltern getrennt, wenn sie auch nicht geschieden waren.
Der Sohn von Burnyce und Wayne Channing wurde am 31. Januar 1967 in Santa Rosa, Kalifornien, geboren. Wayne war Radio-DJ und andauernd im ganzen Land auf Jobsuche – von Kalifornien über Minnesota nach Hawaii, Alaska und Idaho und wieder zurück. „Unser Motto war: Jedes halbe Jahr ein Umzug“, sagte Chad. „So bekam ich natürlich nie richtige Freunde. Alles war immer nur auf Zeit. Das war ziemlich seltsam. Man geht nicht sehr viel in die Öffentlichkeit, wenn man weiß, dass man ohnehin bald wieder weg ist.“
Chad wäre gerne Fußballer geworden, aber mit dreizehn Jahren erlitt er bei einem Unfall im Turnsaal eine Hüftzertrümmerung. Es dauerte fast sieben Jahre, bis er völlig wiederhergestellt war. In dieser Zeit entdeckte er die Musik für sich und begann, Schlagzeug, Gitarre und noch ein paar Instrumente zu spielen.
Wie Kurt hatte auch Chad in seinem letzten Jahr die Highschool ohne Abschluss verlassen. Durch seine ständigen Krankenhausaufenthalte hatte er so viel versäumt, dass er die ganzen Sommer- und Abendkurse hätte besuchen müssen, um seine Abschlüsse zu bekommen. Er sah darin keinen Sinn, denn er wollte ja Musiker werden. Als er Kurt und Chris kennenlernte, hatte er gerade einen Job als Fischkoch auf Bainbridge Island. Jeden Abend feierte er mit seinen Freunden, sie rauchten Pot, tranken Bier und warfen höllisch starkes LSD ein (viele schwören, dass es die Gehirne einer ganzen Generation von Bainbridge Island-Kids durchgeknallt hat).
Als Chad erstmals von Kurts und Chris’ Band hörte, hießen sie gerade Bliss und spielten in einem gemeinsamem Konzert mit Chads Band Tick-Dolly-Row (ein Seemannsausdaick für „völlig heruntergekommen“). Deren Leadsänger war Ben Shepherd, der spätere Gitarrist von Soundgarden.
Kurt und Chris fiel Chads North-Schlagzeug auf – es war aus Fiberglas und hatte ungewöhnliche glitzernde Becken. „Sie sahen mein Schlagzeug“, sagte Chad. „Es war unheimlich laut, und das hat sie beeindruckt. Kurt erzählte mir viel später von seinen ersten Gedanken: .Himmel, ich wünschte, wir könnten diesen Typen kriegen! Sieh dir nur das Schlagzeug an! Verdammt, so etwas hab’ ich noch nie gesehen!‘“
Kurt und Chris hatten kurz erwogen, Tad Doyle zu fagen, ob er ihr Schlagzeuger werden wollte, dann aber eine Anzeige im Rocket aufgegeben: „Heavy, light Punkrock Band: Aerosmith, Led Zeppelin, Black Sabbath, Black Flag, Scratch Acid, Butthole Surfers. Sucht Schlagzeuger.“ Kurt bekam ein paar halbherzige Zuschriften, aber inzwischen hatte ihr gemeinsamer Freund Dämon Romero sie beim Abschiedskonzert von Malfunkshun im Community World Theatre mit Chad zusammengebracht. Sie plauderten eine Weile und verabredeten dann eine Jam Session bei Chris. Chad gefiel die Band, aber er war unsicher. Dann sah er sie bei einem Konzert im Evergreen wieder, und sie vereinbarten einen neuen Session-Termin. „Das ging ziemlich lange so weiter“, sagte Chad. „Sie sagten nie wirklich: ,Okay, du bist dabei!‘“
Kurt und Chris bauten aus alten Matratzen, Teppichen aus dem Trödelladen, Eierkartons, die Tracy und Shelli aus der Kantine mitbrachten, und Bruchholz von Baustellen bei Chris im Keller einen Probenraum. Es war trotz der Schalldämmung ziemlich laut, und die Nachbarn beschwerten sich. Sie konnten daher nicht bis spät in die Nacht proben. Einmal flüchtete Chris’ und Shellis Hauskaninchen aus dem Käfig und biss das in den Keller führende Verlängerungskabel durch. Sie mussten eine Woche lang ohne Proben leben, bis sie das Geld für ein neues Kabel beisammenhatten.
Nachdem auch Chads überkomplettes Schlagzeug auf die wesentlichsten Bestandteile reduziert worden war, probten sie sowohl die Stücke, die sie schon mit Crover eingespielt hatten, als auch neues Material wie „Big Cheese“ und „School“. Sie komponierten zusammen — Kurt spielte einen Riff, die anderen stiegen ein. Geprobt wurde mindestens zwei bis drei Mal pro Woche, auf diese Weise entstand schnell eine Menge neuer Songs. Anfang Mai spielten sie im Vogue ihr erstes Konzert mit Chad. Chris hatte enorme Koteletten, Kurts und Chads Haare hingen in langen fettigen Strähnen ins Gesicht.
Poneman verschaffte ihnen einen Auftritt bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung an einem Samstag im Central Tavern von Seattle. Als sie beginnen sollten, war der Club leer. Sie packten ihre Sachen zusammen und fuhren zurück nach Tacoma. Bald gab es dann doch einen Auftritt im Central, und zwar im Vorprogramm von Chemistry Set und den Leaving Trains, aber auch da gab es nicht viel Publikum.
Im ersten Artikel über Nirvana – geschrieben von Dawn Anderson (dem Herausgeber der Gratismusikzeitschrift Backlash in Seattle) – stand, dass die Band auf der Bühne einen nervösen Eindruck machte. Kurt dazu: „Unsere größte Angst am Anfang war, dass die Leute uns für eine schlechte Kopie der Melvins halten könnten.“ Aber Anderson wagte auch eine tapfere Behauptung: „Mit genug Übung könnten Nirvana ... besser als die Melvins werden!“
Die Szene von Seattle war gerade im Aufblühen. Bands wie Skin Yard, The Fluid, Blood Circus, Swallow, TAD und Mudhoney spielten im Vogue, im Underground, im Central und im Alamo. Mother Love Bone legten auch mächtig zu, aber die unbestrittenen Könige waren Soundgarden, die wundersamerweise einen Vertrag beim Major-Label A&M bekommen hatten.
Am 11. Juni 1988 – nur ein oder zwei Monate nach Chads Einstieg – nahmen Nirvana ihre erste Single auf, „Love Buzz“.
Dieser gecoverte Song war nicht Kurts eigentliche Wahl für die erste Single gewesen, aber er konnte damit leben. Es war ein sehr einprägsamer, leicht zugänglicher Popsong, einer ihrer Live-Höhepunkte sowohl für Kurt als auch für die Zuhörer – Kurt lief während des langen Gitarrensolos ständig auf der ganzen Bühne hin und her. Die Idee, anstatt eines Stückes vom Crover-Demo etwas Neues aufzunehmen, gefiel ihnen. Dazu kam, dass Kurt immer mehr auf den einfachen, vom Garagensound beeinflußten Stil von Bands wie den Sonics (eine legendäre 60er Band aus dem Nordwesten) und Mudhoney abfuhr und sich vom überladenen Sound des Crover-Demos verabschiedete. Obwohl es nicht aus seiner Feder stammte, passte „Love Buzz“ als aufs Wesentliche reduzierter Popsong zu der Richtung, die Kurt einschlagen wollte.
Etwa um diese Zeit verfasste Kurt handschriftlich eine Art Lebenslauf der Band, der sich an mögliche Plattenfirmen richtete. Ein paar Fakten erschienen etwas verändert, um die Band etablierter aussehen zu lassen, als sie wirklich war. „NIRVANA ist ein Trio aus der Gegend von Seattle/WA. Kurdt – Gitarre, Stimme – und Chris – Bass – haben sich während der letzten drei Jahre (sic) mit zu vielen zu wenig engagierten Schlagzeugern herumgeschlagen ... seit neun (sic) Monaten haben wir das Vergnügen, Chad – Schlagzeug – unter unseren Fittichen zu haben und nun das zu sein, was wir jetzt und immer sein werden NIRVANA. Änderungen im Programm sind möglich (einiges von dem Scheiß ist ziemlich alt), jederzeit zu einer endlosen Tour bereit. Hoffentlich spricht die Musik für sich.“
Als sie merkten, dass Sub Pop geradlinigen Rock im Stil der Stooges und Aerosmith bevorzugte, machten sie Aufnahmen von dem Teil ihrer Stücke, der auf dieser Linie lag, und ließen die Scratch Acid-mäßigen Songs weg. Kurt bereute diese Entscheidung später. „Wir hätten ,Hairspray Queen* oder so etwas aufnehmen sollen“, sagte er. „Aber es war eine größere Herausforderung, noch einmal ins Studio zu gehen, als das zu verwenden, was wir schon hatten.“
Sie waren begeistert, ihre erste Platte aufzunehmen. Aber schon damals begann sich etwas abzuzeichnen: „Für mich waren die Plattenaufnahmen sehr seltsam“, sagte Chad. „Ich war da, erledigte meinen Job, und das wars. Ich hatte nichts zu sagen. Ich hätte genausogut reingehen, meinen Job tun, wieder rausgehen und einen Schokoriegel essen können. Nachdem ich die Drums fertig hatte, konnte ich nur mehr warten und zuschauen. Kurt und Chris nahmen ihre Instrumente auf und feilten dann herum: ,Tun wir dies, oder tun wir jenes.‘ Mir wäre auch einiges eingefallen, aber irgendwie passte es nie. Ich hatte einfach nichts mitzureden.“
Sub Pop schloss damals keine Verträge mit den Bands ab. Das gab es nicht. Poneman hatte nur zu Nirvana gesagt, ihm gefiele ihr Shocking Blue-Cover, und sie gefragt, ob sie daraus eine Single machen wollten? Ursprünglich wollten Nirvana auf einem selbstgeschriebenen Song bestehen, lenkten dann aber ein. Sie nahmen fünf Stunden lang auf und hatten am Ende mehrere Songs fertig: „Love Buzz“, „Big Cheese“, eine neue Version von „Spank Thru“ und „Blandest“. Für Chad waren es seine ersten Aufnahmen. Er spielte nicht besonders dynamisch, aber es reichte.
„Blandest“ sollte auf die Rückseite kommen. Der Song ist – bis auf einen Robert Plant-ähnlichen Falsettgesang von Kurt gegen Ende der Nummer – nicht erwähnenswert. Endino meinte, dass der Titel allzu passend gewesen wäre (bland = fad, langweilig;). Also hätte er Kurt dazu überredet, „Big Cheese“ zu nehmen. Am 30. Juni nahmen sie noch einmal auf und mischten alles am 16. Juli. Poneman gefiel der Gesang bei der ersten Mischung nicht, also machte Kurt alles noch einmal – aber, sogar Endino sagte, dass er kaum einen Unterschied hören konnte.
Für Kurt klang „Love Buzz“ zu leichtgewichtig. Sie gaben die Schuld dafür Chad – er wäre nicht so dynamisch und hart wie Dale Crover. „Wir konnten einfach keinen guten Sound rauskriegen“, sagte Kurt. „Es klang einfach zu sauber und hatte keinen Tiefgang. Ich glaube, es war unsere schwächste Aufnahme überhaupt.“
Das Intro zu „Love Buzz“ war ursprünglich eine fünfundvierzig Sekunden lange Collage aus Kinderliedern und wurde auf Baice Pavitts Verlangen auf zehn Sekunden gekürzt. Man kann es nur auf der ursprünglichen 7“-Single hören. „Sie kontrollierten uns einfach vom Anfang bis zum Ende“, sagte Kurt. „Sie taten wie ein Independent-Label, handelten aber wie ein Major-Label.“
Im September machte Shelli Schluss mit Chris. Ihre Arbeit in der schlimmsten Schicht in der Boeing-Cafeteria und Chris’ Arbeit mit der Band waren zu viel Belastung für ihre Beziehung. Sie war eben erst einundzwanzig geworden und noch nie in ihrem Leben allein gewesen. Sie beschlossen, getrennt zu wohnen. Sie waren zwar nicht mehr beisammen, sahen einander aber häufig. Sie vermissten einander und waren deprimiert.
Als aufmerksamen Beobachtern der Independent-Szene war Pavitt und Poneman nicht entgangen, dass amerikanische Künstler von Jimi Hendrix bis Blondie Erfolge in England gehabt hatten, ehe sie in ihrer Heimat bekannt wurden. Sie gingen daher das große finanzielle Risiko ein, den Musikjournalisten Everett True vom Melody Maker aus England einzufliegen, um ihm ein paar der Bands von Sub Pop vorzustellen. True schrieb einige enthusiastische Artikel über die Szene von Seattle, und bald sprangen auch die amerikanische Presse und die Plattenfirmen an.
Die EP SuperfuzzBigmuff von Mudhoney war über ein Jahr lang in den englischen Independent-Charts, ohne dass sie in Amerika überhaupt veröffentlicht worden wäre. Drei Monate später schwärmte der einflussreiche DJ John Peel von Radio One vom Sub Pop 200-Album und behauptete mehr oder weniger, dass es so ein Denkmal regionaler Musik seit dem Siegeszug des Motown-Labels in Detroit Mitte der 60er Jahre nicht mehr gegeben hätte.
Die Briten waren total verrückt nach der Szene von Seattle. „Der Grund dafür war, dass unsere Sachen regionale Identität hatten und regionalen Geschmack verkörperten“, sagte Pavitt. „Die Geschichte der Rockmusik besteht aus Einzelteilen – Labels und regionalen Szenen. Wir haben das von Anfang an verstanden. Schau dir die Besetzungsliste an – genau so funktioniert eine erfolgreiche Seifenoper. Plötzlich kannten die Leute Mark Arm, Kurt, Tad, mich, Jon, Jack Endino und Peterson – sie wussten, wer wir waren. Wir spielten unsere Rolle als Berühmtheiten. Auf unseren Singles stand zum Beispiel auf der Rückseite nur ,Recorded by Jack Endino“ und ,Photo by Charles Peterson‘. Und wenn du einmal zehn solche Singles hast, auf denen nichts anderes draufsteht, beginnst du dich zu fragen: ,Wer ist Charles Peterson? Wer ist Jack Endino?‘“
Am 27. September mischten Nirvana mit Endino „Spank Thru“ für das Sub Pop 200-Album ab. Die Sammlung war ein zukunftsweisendes akustisches Dokument, vertreten waren außerdem auch noch Soundgarden, TAD, Mudhoney, Beat Happening und die Screaming Trees. Die Nummern hätten leicht auf eine Doppel-LP gepasst, aber Pavitt und Poneman, die immer für etwas Außergewöhnliches gut waren, entschieden sich für ein Set von drei EPs mit einem umfassenden 16-seitigen Beihefter mit Fotos von Charles Peterson in einer limitierten Auflage von 5.000 Stück.
Währenddessen telefonierten Kurt und Poneman unzählige Male miteinander wegen der Details ihrer Single. Seit Poneman der Single zugestimmt hatte, war so viel Zeit vergangen, dass Kurt und Chris schon misstrauisch geworden waren. Immer wenn Kurt anrief, wurde er von Poneman auf bald vertröstet. Fünf Monate später rief Pavitt an und fragte, ob sie ihnen 200 Dollar für die Pressung der Single leihen könnten, Kurt legte auf und schickte eine neuerliche Ladung von Demo-Bändern an verschiedene Labels. Kurze Zeit später, im November 1988, erschien die Single dann doch.
ln einem frühen Katalog von Sub Pop wurde die „Love Buzz“/„Big Cheese“ Single so beworben: „Schwerer Pop-Schlamm von den ungezähmten Drop-Ins aus Olympia.“ Sie war die erste „Sub Pop-Single des Monats“ – ein cleveres Konzept, bei dem die Abonnenten exorbitante Summen im Voraus zahlten, um limitierte Auflagen exklusiv zu erwerben. „Wir nehmen euch ganz schön aus“, prahlte der Sub Pop-Katalog. Von der „Love Buzz“-Single wurden nur tausend handnummerierte Exemplare aufgelegt. „Das tat uns wirklich weh“, sagte Chris. „Wir brachten eine Single heraus, und niemand konnte sie kaufen.“
Nur tausend Stück herzustellen, war natürlich ziemlich geschäftstüchtig – wie viele andere Produktionen war auch diese im Nu ausverkauft und wurde zu einem begehrten Sammelobjekt (1993 kostete sie bereits an die fünfzig Dollar). „Es war eine sehr wirksame Werbung“, sagte Pavitt. „Ich bereue nichts davon.“ Die Mundpropaganda für die Single verbreitete sich im ganzen Land.
Bezeichnenderweise wurden sogar die ungläubigen Thomasse bei „Muzak“ bekehrt. Pavitt war sicher, dass etwas losging, als Charles Peterson ihm erzählte, er hätte die Single bei einer Party andauernd gespielt.
„Love Buzz“ vereinte – ohne von Kurt geschrieben zu sein – schon alle klassischen Nirvana-Bestandteile: die Mischung von Passivität und Aggression, die sich in einer Entwicklung von einer fast hypnotischen Feierlichkeit zu einem sich überschlagenden und gebrüllten Wahnsinn niederschlug; das schleppende, pochende Schlagzeug; den schmierigen Pop; und den markerschütternden Schrei.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.