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Abb. 5: Spritzspuren an der Hand und am Unterarm nach mehrfachem Schlagen mit einem „Kuhfuß“ auf einen blutgetränkten Schwamm (Simulation eines Tötungsdelikts, bei dem mehrfach auf den Kopf des am Boden liegenden Opfers eingeschlagen wird)

Je höher die Energie, mit der die Spritzer beschleunigt werden, desto kleiner sind sie. Je kleiner sie sind, desto weniger weit fliegen sie. Aus der Form der Spritzer oder Tropfen kann zudem berechnet werden, in welchem Winkel sie aufgetroffen sind. Während ein senkrecht auf den Untergrund aufkommender Tropfen eine rundliche Figur einnimmt, wird er umso länglicher geformt, je kleiner der Winkel zur Auftrefffläche wird. Bei flachen Winkeln unter 45° kommt es zur charakteristischen Ausrufezeichen-Form, wobei der Punkt des Ausrufezeichens gegenüber der Richtung liegt, aus der der Tropfen geflogen kam (Abb. 6). Somit kann bestimmt werden, aus welcher Richtung und in welchem Winkel Tropfen oder Spritzer gekommen sind, so dass man den Ort der Entstehung rekonstruieren kann.


Abb. 6: Ausrufezeichenform von Blutspritzern, die im flachen Winkel auftrafen

Nicht alle Blutspuren sind immer offensichtlich. Wenn der Tatort gereinigt wurde oder wenn die Spuren auf einem dunklen, saugfähigen Untergrund sind, dann können sie auf den ersten Blick auch übersehen werden. Für die Suche nach solchen verborgenen Blutspuren gibt es verschiedene Vortests. Am bekanntesten ist der Luminol-Test, bei dem eine Lösung aus 3-Aminophtalsäurehydracid, Wasserstoffperoxid und Natronlauge zu einem schwachen hellbauen Leuchten führt, wenn sie mit angetrocknetem Blut in Kontakt gerät. Da die Leuchtreaktion sehr schwach ausfällt, kann der Test nur in abgedunkelten Räumen vorgenommen werden. Zudem reagiert die Lösung auch auf andere Oxidantien. Die Methode hat aber ihre Stärken vor allem in Fällen, bei denen eine Reinigung des Tatorts oder der Gegenstände erfolgt war, da sie die Blutantragungen morphologisch sichtbar macht.


Abb. 7: Schuhsohle mit latenten Blutantragungen, im linken Bild nicht sichtbar, im rechten Bild sichtbar gemacht durch den Luminol-Test

Gerade bei einem dunklen Untergrund, etwa schwarzer Bekleidung, hat sich die Infrarotfotografie als eine mögliche Alternative zur Spurensuche und -dokumentation erwiesen.

Die Analyse des Blutspurenverteilungsmusters kann einen wertvollen Beitrag zur Rekonstruktion von Tathergängen leisten. Allerdings darf auch diese Methode in ihrer Aussagekraft nicht überschätzt werden; auch bei Blutspuren gilt, dass sie mehrdeutig sein können und nur im Zusammenhang mit anderen Befunden und Spuren Beweiskraft erhalten.

3.2Untersuchung von Verstorbenen
3.2.1Leichenschau

Als Leichenschau wird die äußere Untersuchung eines Verstorbenen bezeichnet. Dabei handelt es sich um eine ärztliche Aufgabe. Für die Leichenschau ist keine Zusatzqualifikation vorgeschrieben, jede Ärztin und jeder Arzt ist dazu verpflichtet. Es ist also keine ausschließlich rechtsmedizinische Domäne, auch wenn die Leichenschau durch eine Rechtsmedizinerin sicherlich sorgfältiger, mit mehr Sachverstand und mit mehr Erfahrung vorgenommen wird.

Wissen | Notwendige Feststellungen bei der Leichenschau

•Todeseintritt

•Todeszeitpunkt

•Identität

•Todesursache

•Todesart

•meldepflichtige Erkrankungen

Die Untersuchung soll bei gutem Licht erfolgen, die Verstorbene muss entkleidet werden, alle Körperregionen einschließlich Körperöffnungen sollen inspiziert, das Skelettsystem abgetastet werden. Bei Hinweisen auf eine Gewalteinwirkung muss die Untersuchung abgebrochen und die Polizei verständigt werden.

Wissen | Ablauf einer Leichenschau

•Feststellung des Todes: sichere Todeszeichen, nicht überlebbare Verletzungen

•Feststellung der Identität: eigene Kenntnis, Personalausweis, Angaben von Angehörigen

•allgemeiner Eindruck: Umgebung, Körperhaltung, Bekleidungszustand, Pflegezustand, Ernährungszustand, Hinweise auf Krankheitsvorgeschichte, Anhaftungen von Fremdmaterial

•Leichnam entkleiden

•Untersuchung des Verstorbenen von Kopf bis Fuß: Suche nach Hinweisen für eine Gewalteinwirkung, Körperöffnungen und Hautfalten inspizieren

•Abbruch der Leichenschau und Verständigung der Polizei bei Verdacht auf nicht natürlichen Tod oder bei unklarer Identität

•Ausfüllen der Todesbescheinigung

Sehr häufig werden Todesart und Todesursache miteinander verwechselt. Die Todesursache bezeichnet den medizinischen Grund für den Tod. Die Todesart bezeichnet die Umstände, unter denen jemand zu Tode kommt. Hier gibt es nur zwei Möglichkeiten: der Tod ist die Folge einer Erkrankung oder die Folge einer Gewalteinwirkung. Im ersten Fall ist es ein natürlicher Tod, im zweiten Fall ein nicht natürlicher (=gewaltsamer) Tod, wobei man hier noch drei Unterformen unterscheidet: bei einer Gewalteinwirkung durch fremde Hand ist es ein Tötungsdelikt, bei Gewalteinwirkung durch eigene Hand ein Suizid und in allen anderen Fällen ein Unfall. Diese Unterscheidung braucht durch den Leichenschauarzt nicht getroffen werden, noch viel weniger muss er sich Gedanken über die rechtliche Würdigung machen. Wesentlich ist aber, eine Gewalteinwirkung als Anfang einer Kausalkette zu erkennen, an deren Ende der Tod steht. Für diese Kausalkette gibt es keine zeitliche Beschränkung. Wenn der Tod letztendlich die kausale Folge eines Verkehrsunfalls ist, der sich vor Jahren ereignete, dann handelt es sich um einen nicht natürlichen Tod.

Wissen | Typische Fehler bei der Leichenschau

•Verwechslung Todesart – Todesursache

•Verletzung der Meldepflichten

•Verkennung von Leichenerscheinungen

•Angaben zur Todesursache sind Spekulationen

•Verkennung von Kausalzusammenhängen

•Nicht-Erkennen gewaltsamer Todesfälle

Die Feststellung der Todesursache ist strenggenommen allein durch die äußere Leichenschau nur selten möglich. Am ehesten gelingt sie noch bei heftigen mechanischen Gewalteinwirkungen, wie etwa einem Polytrauma oder perforierenden Verletzungen von Rumpf, Hals oder Kopf, also bei nicht natürlichen Todesfällen. Bei einer zunehmenden Verschlechterung einer schweren Erkrankung ist der Tod mit hoher Wahrscheinlichkeit auf diese zurückzuführen, vor allem wenn der Verlauf ärztlich begleitet wurde. Sicher kann man sich aber selten sein. Obduktionsstudien haben immer wieder darauf hingewiesen, dass in bis zu 40 % der Fälle die klinisch vermuteten Diagnosen falsch oder unvollständig waren. Daran hat sich, trotz der Möglichkeiten moderner klinischer Untersuchungsmethoden, nicht viel geändert.

Als Todesursachen sollen in der Todesbescheinigung keine funktionellen Endzustände wie „Herz-Kreislauf-Versagen“ oder „Herzstillstand“ eingetragen werden, sondern der medizinische Grund dafür. Die Todesbescheinigungen erfassen die Todesursache in einer dreistufigen Kausalkette (Todesursache ist: „C“, als Folge von: „B“, als Folge von „A“ (Grunderkrankung)). Diese Kausalkette spiegelt vor allem den sogenannten linearen Sterbetyp wider (z. B.: Todesursache ist „Herzbeuteltamponade“ als Folge von „Herzinfarkt“ als Folge der Grunderkrankung „Koronare Herzkrankheit“). Gerade bei Personen mit mehreren oder komplexeren Krankheitsbildern lässt sich die Todesursache jedoch häufig nicht in dieser Vorgabe ausdrücken. In diesen Fällen ist der Tod meistens Folge eines komplexen Versagens mehrerer Organsysteme, die sich gegenseitig beeinflussen (z. B. Atemschwäche, Einengung der Herzkranzschlagadern und chronische Blutarmut). In anderen Fällen führt eine Grunderkrankung zu mehreren Folgeproblemen, die gemeinsam mit der Zeit zum Tod führen.

In Deutschland versterben jährlich rund 900.000 Menschen. In 96 % der Fälle handelt es sich um einen natürlichen Tod infolge einer Erkrankung. Etwa 38.000 Menschen sterben eines gewaltsamen Todes, wobei rund 800 einem Tötungsdelikt zum Opfer fallen, etwa 10.000 sich suizidieren und rund 28.000 an den Folgen eines Unfalls versterben.


Abb. 8: Todesfälle in Deutschland im Jahr 2017, aufgeschlüsselt nach den Todesarten (absolute und relative Zahlen)

Ein generelles Problem ist, dass die Leichenschau ein eigentlich untaugliches Instrument zur sicheren Feststellung von Todesart und Todesursache ist. Das liegt nicht nur daran, dass viele Leichenschauärzte nicht die notwendige Erfahrung und Kenntnisse haben, sondern in der Natur der Sache: Man kann durch das äußere Ansehen eines Verstorbenen nur in seltenen Fällen sicher sagen, wodurch der Tod eingetreten ist. Das Fehlen offensichtlicher Verletzungen an der Körperoberfläche bedeutet jedoch keineswegs, dass keine mechanische Gewalteinwirkung stattgefunden hat; eine Intoxikation ist ohnehin äußerlich nie auszuschließen. Am einfachsten ist das noch, wenn der Tod durch massive mechanische Gewalteinwirkung eingetreten ist, mit schweren Verletzungen. Schwierig ist es hingegen, wenn keine oder nur oberflächliche Verletzungen festzustellen sind, was in den allermeisten Fällen so ist.

Zudem können Leichenerscheinungen fehlgedeutet, diskrete Verletzungen übersehen werden, zumal bei ungünstigen Untersuchungsbedingungen, wenn späte Leichenerscheinungen vorliegen oder die Beleuchtung schlecht ist. Wenn durch die Leichenschau die Todesart nicht festgestellt werden kann, gibt es die Möglichkeit, auf dem Leichenschauschein eine unklare Todesart anzugeben.

Wenn die Identität unklar ist, der Tod auf eine Gewalteinwirkung zurückzuführen ist oder die Todesart bei der Leichenschau nicht geklärt werden kann, dann ist die Polizei oder die Staatsanwaltschaft zu verständigen. Das niedersächsische Bestattungsgesetz (§ 4 Nds. BestattG) gibt detaillierte Hinweise auf die Fallkonstellationen, in denen diese Verständigung zu erfolgen hat, die auch außerhalb Niedersachsens eine gute Handlungsrichtlinie darstellen.

Recht | Durchführung der Leichenschau

§ 4 Bestattungsgesetz Niedersachsen

(4) Die Ärztin oder der Arzt hat die Polizei oder die Staatsanwaltschaft unverzüglich zu benachrichtigen, wenn

1. Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass der Tod durch eine Selbsttötung, einen Unfall oder ein Einwirken Dritter verursacht ist (nicht natürlicher Tod),

2. Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass der Tod durch eine ärztliche oder pflegerische Fehlbehandlung verursacht ist,

3. Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass der Tod auf eine außergewöhnliche Entwicklung im Verlauf der Behandlung zurückzuführen ist,

4. der Tod während eines operativen Eingriffs oder innerhalb der darauf folgenden 24 Stunden eingetreten ist,

5. die Todesursache ungeklärt ist,

6. die verstorbene Person nicht sicher identifiziert werden kann,

7. der Tod in amtlichem Gewahrsam eingetreten ist,

8. die verstorbene Person das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, es sei denn, dass der Tod zweifelsfrei auf eine Vorerkrankung zurückzuführen ist, oder

9. bereits fortgeschrittene oder erhebliche Veränderungen der Leiche eingetreten sind,

und, soweit nicht unzumutbar, das Eintreffen der Polizei oder der Staatsanwaltschaft abzuwarten. Die Ärztin oder der Arzt hat in einem solchen Fall von der Leichenschau abzusehen oder diese zu unterbrechen und bis zum Eintreffen der Polizei oder der Staatsanwaltschaft darauf hinzuwirken, dass keine Veränderungen an der Leiche und der unmittelbaren Umgebung vorgenommen werden. (…)

Über die Durchführung und Ergebnisse der Leichenschau wird durch die Ärztin eine Todesbescheinigung ausgestellt, die Grundlage für die Beurkundung des Sterbefalls ist. Die dort vermerkte Todesursache und Todesart wie auch die Bemerkungen zu den Fallumständen bilden die Grundlage für die amtliche Sterbefallstatistik.

Rechtsmediziner werden vergleichsweise selten mit der primären Leichenschau beauftragt, sondern meistens erst von der Polizei verständigt, wenn ein Fall kriminalistisch verdächtig erscheint. Die rechtsmedizinische Leichenschau unterscheidet sich daher von der sonstigen ärztlichen Leichenschau. Sie ist üblicherweise Bestandteil des Lokalaugenscheins (→ Kapitel 3.1). Beim Verdacht auf ein Kapitaldelikt hat die Spurensicherung Vorrang vor der Besichtigung des Leichnams, die Leichenschau erfolgt erst nach der Freigabe durch die Kriminaltechnik. Jegliche Veränderung wird erst nach einer Fotodokumentation der Situation vorgenommen. Da eine Veränderung der Position des Leichnams dazu führen kann, dass sich Blut aus Wunden ergießt oder es zum Ablaufen von Flüssigkeit aus Mund und Nase kommt, was dann die ursprüngliche Spurenlage am Leichnam überdeckt, weil ohnehin jede Manipulation zu einer Zerstörung von Spuren führen kann, wird die Leichenschau mehr orientierend durchgeführt, ohne Entkleiden. Man verschafft sich einen Überblick über etwaige Verletzungen und deren anatomischer Verteilung und gibt eine erste, vorläufige Einschätzung des Tathergangs ab.

Ein wichtiger Bestandteil der rechtsmedizinischen Leichenschau ist außerdem die Eingrenzung der Postmortalzeit. Die Frage, wann der Tod eingetreten ist, spielt in Kriminalfällen eine wichtige Rolle. Sie ist aber nicht leicht zu beantworten. Am ehesten gelingt sie über medizinische Parameter noch innerhalb der ersten Stunden bis etwa einen Tag nach Todeseintritt. Anhand der Leichenabkühlung und der sogenannten supravitalen Reaktionen (→ Kapitel 4.1), insbesondere der mechanischen und elektrischen Erregbarkeit der Muskulatur, aber auch der Ausprägung der Totenflecken und der Leichenstarre kann durch Vergleich mit anderen Fällen ein Zeitintervall eingegrenzt werden, in dem der Tod mit hoher Wahrscheinlichkeit eingetreten ist (Tab. 1).


Parameter Minimum (Stunden) Maximum (Stunden)
Leichenflecken auf Fingerbeerendruck wegdrückbar 1 20
Leichenflecken vollständig verlagerbar 1 6
Wiedereintreten der Leichenstarre nach Brechung 2 20
idiomuskulärer Wulst auslösbar 1,5 13
elektrische Erregbarkeit der mimischen Muskulatur (6 Stadien) 3,5 +/- 2,5 (Stadium VI) 13,5 +/- 8,5 (Stadium I)

Tab. 1: Einige Parameter, die neben der Leichenabkühlung zur Eingrenzung des Todeszeitpunktes verwendet werden

Für die elektrische Erregbarkeit der mimischen Muskulatur werden spezielle Reizstromgeräte verwendet. Diese haben zwei Elektroden, die in die Muskulatur am Oberlid bzw. in den Mundwinkeln gestochen werden. Anschließend wird ein definierter Stromreiz ausgelöst und beobachtet, ob und wie stark sich die Muskulatur des Gesichts zusammenzieht. In der vollen Ausprägung wirkt es, als würde die Verstorbene grimassieren. Ein solcher Befund ist im Mittel bis 3,5 Stunden nach Todeseintritt zu erwarten. Bei der schwächsten Ausprägung kommt es nur zu einer ganz umschriebenen Muskelkontraktion direkt neben den Einstichstellen. Dieser Befund ist im Mittel 13,5 Stunden nach Todeseintritt zu erheben, wobei es hierfür erhebliche Streubreiten gibt (± 8,5 Stunden).

Für die Prüfung des idiomuskulären Wulstes wird mit einem länglichen festen Gegenstand auf den Bizepsmuskel des Verstorbenen geschlagen. Im positiven Fall bildet sich an der Schlagstelle ein sichtbarer, manchmal auch nur tastbarer Muskelwulst aus. Der Befund zeigt an, dass sich der Muskel noch mechanisch reizen lässt.

Am besten untersucht ist die Abkühlung eines Leichnams im Vergleich zur Umgebungstemperatur. Zunächst einmal bleibt die Körperkerntemperatur für etwa zwei Stunden stabil, dann folgt ein exponentieller Abfall der Temperatur. Nach etwa einem Tag haben sich Körperkerntemperatur und Umgebungstemperatur angeglichen. Allerdings wird das Abkühlverhalten von vielen Parametern beeinflusst: der Körpermasse, der Bekleidung bzw. Bedeckung des Leichnams, ob sich der Leichnam in stiller oder bewegter Luft befindet, ob er sich in feuchter oder trockener Umgebung befindet und nicht zuletzt von der Umgebungstemperatur. In der Praxis werden die tiefe Rektaltemperatur und die Umgebungstemperatur gemessen sowie die übrigen Parameter (Bekleidung/Bedeckung, Luftzug, Feuchtigkeit) vermerkt. Die Körpermasse wird im Rahmen der Obduktion später gewogen, für eine erste Beurteilung am Leichenfundort wird sie geschätzt. Wesentliche Parameter sind die Rektaltemperatur, die Umgebungstemperatur und die entsprechend den Umgebungsbedingungen korrigierte Körpermasse. Mit diesen kann unter Zuhilfenahme eines Nomogramms oder entsprechender Computerprogramme/Apps die Zeit abgeschätzt werden, die seit dem Todeseintritt vergangen ist. Nach wie vor am gebräuchlichsten ist das Nomogramm nach Henssge.

Wissen | Postmortalzeit

Die Parameter zur Eingrenzung der Postmortalzeit werden bei der Leichenschau erhoben, nicht bei der Obduktion.

Neben der rechtsmedizinischen Leichenschau im Zusammenhang mit einem Lokalaugenschein gehört es bei vielen Instituten zur Aufgabe, die zweite Leichenschau vor der Einäscherung einer Verstorbenen, die Kremationsleichenschau, durchzuführen. Durch diese soll nochmals sichergestellt werden, dass kein nicht natürlicher Todesfall übersehen wurde. Entsprechende Regelungen gibt es inzwischen in jedem Bundesland.

3.2.2Obduktion

Die Obduktion, auch als Sektion oder Autopsie bezeichnet, ist eine innere Leichenschau, von der prinzipiell drei Formen unterschieden werden müssen: Die klinische Obduktion dient der medizinischen Qualitätssicherung. Sie wird im Auftrag der zuvor behandelnden Ärzte und mit Einwilligung der Angehörigen vorgenommen und gehört in das Aufgabengebiet der Pathologie. Voraussetzung ist, dass es sich um einen natürlichen Todesfall handelt. Im Rahmen der Obduktion soll die Todesursache eindeutig geklärt werden, mehr noch aber die Ausprägung der Erkrankung erfasst werden.

Die anatomische Obduktion dient der Ausbildung von Studierenden der Medizin. Die Personen haben ihre Einwilligung dazu bereits zu Lebzeiten abgegeben („den Körper der Wissenschaft vermacht“). Sie wird an entsprechend einbalsamierten Leichen über mehrere Wochen hinweg während eines Semesters von den Studierenden und den Anatomen gemeinsam vorgenommen.

Die gerichtliche Obduktion dient der Feststellung von Todesart und Todesursache und wird an Verstorbenen vorgenommen, bei denen ein nicht natürlicher Tod oder eine unklare Todesart bescheinigt worden war. In diesen Fällen ist der Leichnam ein potenzielles Beweismittel in einem Ermittlungs- bzw. Strafverfahren und deshalb beschlagnahmt worden. In Fällen, in denen die Identität des Verstorbenen nicht bekannt ist, dient sie zudem der Feststellung von Identitätsmerkmalen.


Abb. 9: Formen der inneren Leichenschau

Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind in der Strafprozessordnung (StPO) festgelegt.

Recht | Rahmenbedingungen für Obduktionen

§ 87 StPO: Leichenschau, Leichenöffnung, Ausgrabung der Leiche

(1) Die Leichenschau wird von der Staatsanwaltschaft, auf Antrag der Staatsanwaltschaft auch vom Richter, unter Zuziehung eines Arztes vorgenommen. Ein Arzt wird nicht zugezogen, wenn dies zur Aufklärung des Sachverhalts offensichtlich entbehrlich ist.

(2) Die Leichenöffnung wird von zwei Ärzten vorgenommen. Einer der Ärzte muss Gerichtsarzt oder Leiter eines öffentlichen gerichtsmedizinischen oder pathologischen Instituts oder ein von diesem beauftragter Arzt des Instituts mit gerichtsmedizinischen Fachkenntnissen sein. Dem Arzt, welcher den Verstorbenen in der dem Tod unmittelbar vorausgegangenen Krankheit behandelt hat, ist die Leichenöffnung nicht zu übertragen. Er kann jedoch aufgefordert werden, der Leichenöffnung beizuwohnen, um aus der Krankheitsgeschichte Aufschlüsse zu geben. Die Staatsanwaltschaft kann an der Leichenöffnung teilnehmen. Auf ihren Antrag findet die Leichenöffnung im Beisein des Richters statt.

(3) Zur Besichtigung oder Öffnung einer schon beerdigten Leiche ist ihre Ausgrabung statthaft.

(4) Die Leichenöffnung und die Ausgrabung einer beerdigten Leiche werden vom Richter angeordnet; die Staatsanwaltschaft ist zu der Anordnung befugt, wenn der Untersuchungserfolg durch Verzögerung gefährdet würde. Wird die Ausgrabung angeordnet, so ist zugleich die Benachrichtigung eines Angehörigen des Toten anzuordnen, wenn der Angehörige ohne besondere Schwierigkeiten ermittelt werden kann und der Untersuchungszweck durch die Benachrichtigung nicht gefährdet wird.

Gemäß § 89 StPO muss eine gerichtliche Obduktion die Öffnung von Kopf-, Brust- und Bauchhöhle umfassen. Bei der Obduktion von Neugeborenen ist nach § 90 StPO zu klären, ob es nach der Geburt gelebt hat bzw. lebensfähig gewesen wäre. Bei Verdacht auf eine Vergiftung soll der chemische Giftnachweis erfolgen (§ 91 StPO).

Diese rechtlichen Rahmenbedingungen sind wenig detailreich. Detaillierter sind beispielsweise die Leitlinien zur Durchführung einer rechtsmedizinischen Obduktion, die von der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin (DGRM) bei der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) veröffentlich wurden, oder die Empfehlungen zur Durchführung gerichtlicher Obduktionen, die vom Ministerrat der Europäischen Union 1999 verabschiedet wurden. In diesen ist detailliert aufgeführt, wie eine Obduktion durchzuführen ist, damit sie den forensischen Anforderungen entspricht.

Gerichtliche Obduktionen erfolgen demnach nach einem festen Schema, das fallabhängig angepasst wird. Durchgeführt werden sie in einem Team, das aus mindestens drei Personen besteht: 1. Obduzent, 2. Obduzent, Präparator. Im Idealfall ist die polizeiliche Sachbearbeiterin des Falls bei der Obduktion anwesend und schildert die Vorgeschichte und die bisherigen Ermittlungsergebnisse.

Wissen | Ablauf einer Obduktion

•Falls möglich, wird vor der Obduktion von dem Leichnam eine Ganzkörpercomputertomographie vorgenommen.

•Danach wird die Bekleidung inspiziert und auf Beschädigungen oder Spuren untersucht.

•Bei der äußeren Leichenschau werden zunächst die sicheren Zeichen des Todes dokumentiert, dann verschafft man sich einen Überblick über den allgemeinen Körperzustand, Verletzungen und Spuren am Körper. Anschließend wird der Körper von Kopf bis Fuß im Detail angeschaut. Die Befunde werden dabei diktiert und fotografiert.

•Danach folgt die innere Leichenöffnung, bei der die drei Körperhöhlen geöffnet und die Organe paketweise nacheinander entnommen und präpariert werden. Auch hier werden die Befunde diktiert und gegebenenfalls auch fotografiert. Die Präparation der Organpakete und Organe erfolgt nach den oben erwähnten Empfehlungen.

•Wenn Verletzungen am Leichnam vorliegen, werden diese gesondert dargestellt, um ihre Schwere und Tiefe zu erfassen. Je nach Fallkonstellation werden auch die Extremitäten und der Rücken seziert, um dort vorhandene Befunde darzustellen. So ist es beispielsweise bei tödlichen Fußgängerunfällen wichtig, die Anfahrtsrichtung und die primären Anstoßstellen nachzuweisen.

•Von allen Organen werden Proben für feingewebliche (histologische) Untersuchungen entnommen. Für toxikologische Untersuchungen werden Proben der Körperflüssigkeiten (Blut, Mageninhalt, Galle, Urin, Augenkammerwasser, Gehirnwasser) und von manchen Organen asserviert. Für molekularbiologische Untersuchungen wird eine Blutprobe einbehalten. Je nach Fall werden auch weitere Proben entnommen, beispielsweise für virologische oder bakteriologische Untersuchungen.

•Die Organe kommen wieder zurück in die Körperhöhlen, die Sektionsschnitte werden vernäht, der Leichnam gereinigt.

•Das bei der Obduktion diktierte Protokoll umfasst sowohl eine detaillierte Befundbeschreibung als auch eine (vorläufige) Einschätzung des Tathergangs, der Todesart und der Todesursache.


Abb. 10: Obduktionsbesteck

Das benötigte Instrumentarium für eine Obduktion besteht aus Präpariermessern, Organmessern, Skalpellen, Präparierscheren (Darmschere, Koronarschere, Muskelschere), Pinzetten (anatomische Pinzette, chirurgische Pinzette), einer Säge für die Öffnung des Schädels, einer Zange für das Abziehen der harten Hirnhaut, einer Rippenschere, Schwämmen, einer Schöpfkelle für die Asservierung von Körperflüssigkeiten, Zentimetermaß, Nadel und Faden, weiterhin Messbechern für Körperflüssigkeiten und einer Waage für die Organe.

Moderne Obduktionstische sind aus Edelstahl, höhenverstellbar, haben in die Tischplatte integrierte Wasserabläufe, daneben ein Wasserbecken und eine Handbrause, so wie sie auf dem Titelblatt dieses Buches zu sehen sind. Für die Präparation der entnommenen Organpakete gibt es einen beweglichen Aufsatz, den Präpariertisch, an dem auch Ablagen für die Instrumente und für Gefäße zur Asservierung von Proben angebracht sind.

Die Bekleidung der Obduzenten besteht aus Hosen und Kittel sowie ggf. Mänteln wie im Operationssaal. Weiterhin gehören Mundschutz, Handschuhe, Schutzbrille, wasserdichte Einmalschürzen und OP-Haube zur persönlichen Schutzausrüstung.

Die Obduktion geht nicht mit einer Zerstörung des Leichnams einher. Die Schnitte zur Öffnung der Körperhöhlen werden so gelegt, dass sie nicht entstellen. Sie werden nach der Obduktion wieder vernäht. Ein obduzierter Leichnam kann ohne weiteres aufgebahrt werden, damit die Angehörigen am offenen Sarg von ihm Abschied nehmen können, ohne dass man die zuvor durchgeführte Obduktion bemerkt. In aller Regel wird der Leichnam, welcher als Beweismittel in einem Ermittlungsverfahren beschlagnahmt war, nach der Obduktion von der Staatsanwaltschaft freigegeben, so dass die Angehörigen ihn bestatten können.

In nicht wenigen Fällen können die Todesart und die Todesursache durch die Obduktion allein nicht geklärt werden. Viele wesentliche todesursächliche Befunde lassen sich makroskopisch nicht erfassen, weil sie entweder gar keine oder nur unspezifische makroskopische Veränderungen am Körper hinterlassen oder weil sie so klein sind, dass sie mit bloßem Auge nicht zu erkennen sind. In diesen Fällen können weiterführende Untersuchungen, wie eine Bestimmung der Blutalkoholkonzentration, der Nachweis von Drogen, Medikamenten oder Giften sowie die mikroskopische Begutachtung der Organproben weiterhelfen. Diese Untersuchungen werden jedoch nicht routinemäßig in jedem Fall vorgenommen, sondern fallabhängig und nach Auftrag durch die ermittelnde Staatsanwaltschaft.

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