Kitabı oku: «Das Buch der Vergeltung», sayfa 8

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Ein böser Dämon mag den Franco damals geritten haben und es erscheint mir bis heute nicht einleuchtend, wie jener Teufel sich seiner reinen und tugendhaften Seele trotz meiner Fürsorge und andauernden Obhut bemächtigen konnte.

Nun, was nutzt es, drum herumzureden – es geschah, wie es geschah: Der Franco zog an einer kurzen Leine hinter sich her nicht etwa einen Hund, sondern den jungen König Otto, der wie einer bellte und dazu noch heulte, während er den Kopf einem Wolfe gleich in die Luft warf. Danilus tanzte wie ein Irrwisch um das Paar herum und feuerte den jungen Otto zu noch lauterem Gebell und Geheul an. Franco indes trug eine Haube auf dem Kopfe, die einer päpstlichen Tiara nicht unähnlich war, und stolzierte vornehmen Schrittes vorweg, immer dann an dem Strick reißend, wenn der junge König in seiner Lautstärke nachzulassen drohte. So zogen sie eine ganze Runde über den Burghof, vorbei an den feixenden Wachen, vorbei an den Bauern, die bis eben noch schweigend ihren Zehnten ablieferten, sich nun aber die Bäuche hielten vor Lachen, vorbei an den schamlos grinsenden Waschweibern und vor den Augen all der hohen und würdigen Herren, die in diesem Moment wie ich fassungslos hinter den Fenstern standen, vor dem Grafen Meik und seiner Gemahlin, seinen Kindern und vor den ebenso neugierigen wie ungläubigen Augen seiner Bediensteten. Wohl gab es in diesem Augenblick niemanden auf der ganzen Feste und drum herum, der es nicht mit eigenen Augen gesehen haben wollte.

Als die Kindermädchen empört hinzustürzten und den jungen König hießen aufzustehen, waren seine Knie längst blutig gescheuert, seine Hände voller Pferdemist und sein Hals von dem engen Stricke fast zugeschnürt.

Franco, der sich die helle Aufregung, die um ihn herum plötzlich entstand, zunächst nicht zu erklären vermochte, foppte die Kindermädchen mit weiteren Ungezogenheiten, während sie versuchten, ihm den Strick und damit die Kontrolle über den jungen König Otto zu entreißen. Danilus indes bemerkte, dass es sich längst um kein Spiel mehr handelte, und lief in die Arme seiner Mutter, die ihn zu sich gerufen hatte.

Das Spiel, welches sie gemeinsam im Hof der Feste gespielt hatten, hieß „Papst und König“, und es entstammte – wie hätte es anders sein sollen – einer Idee Francos. Ich musste nicht viel über das neue Spiel wissen, es war auch so genug zu erkennen, wem welche Rolle zugedacht war und in welcher Beziehung sie zueinander standen. Ich sah Erzbischof Brun in den Hof stürmen und den jungen König schützend in die Arme schließen, als hätte er ihn vor großem Unheil bewahrt. Um Franco herum zogen sich alle, selbst die Armen und die Tiere, voller Angst zurück, so dass ein leerer Ring entstand. Ohne Zweifel verstand der Junge, dass sich die allgemeine Angst, auch der Argwohn und der Hass in den Augen des Erzbischofs in diesem Moment nur gegen ihn richteten.

Plötzlich war er allein, inmitten von Menschen, die eben noch seine Freunde waren! Er brauchte meine Hilfe, doch ich wusste in diesem Augenblick nicht, auf welche Weise ich sie ihm geben konnte.

Ich lief, so schnell es meine Beine zuließen, hinab in den Hof und schloss, ohne weiter zu überlegen, meinen getreuen Schüler wie meinen eigenen Sohn in die Arme. Sein Herz schlug wie wild gegen das meine, seine Muskeln waren gespannt wie die Seile eines Katapultes und in seinen Augen funkelten Wildheit und Angst zugleich. Dennoch spürte ich, wie gut ihm meine Umarmung tat und wie er langsam nachließ in seinem Krampfe und sich willig in meinen tröstenden Zuspruch ergab.

Hildegard, die Oberste der Kinderfrauen, eilte hinzu und sprach meinem Schüler mit freundlicher Miene zu. Aber noch bevor sie ihm die Hand auf die Schulter legen konnte, durchschnitt die scharfe Stimme des Erzbischofs den Hof.

„Halt“, rief er, „geht nicht weiter, Frau Hildegard!“

Erschreckt und verunsichert sah sie sich zu ihm um.

„Er ist ein Dämon! Er ist auf der Stelle festzusetzen!“, befahl Brun weiter.

„Aber, gütiger Herr, bei Gott, er ist noch ein Kind!“, erwiderte Hildegard so laut, dass es alle im Hofe hören konnten.

„Habt Ihr etwa nicht gesehen, was er angerichtet hat?“, schnarrte er vorwurfsvoll.

„Und es gibt keine Rechtfertigung für dieses schändliche Tun!“, rief der älteste Sohn des Kaisers und Halbbruder König Ottos, Erzbischof Wilhelm, um sodann hinzuzufügen: „Und keinerlei Ausflüchte sollen gehört werden, bis der Höchste und Heilige Kaiser selbst sein Urteil darüber gefällt hat. Was dieses gemeine und gottlose Scheusal meinem geliebten Bruder Otto angetan hat, verdient strengste Bestrafung von dieser Stunde an und zu keiner späteren!“

Auch Graf Meik meldete sich zu Wort und ebenso seine wundervolle Gemahlin, die ein wenig Fürsprache übte, allerdings niemals genug, um das schon gesprochene Urteil des Königlichen Vormunds überstimmen zu können. Es entbrannte ein kurzer, aber an Heftigkeit kaum zu übertreffender Disput auf dem Hofe, in dessen Verlauf ich mich, einer inneren Furcht folgend, immer fester an Franco klammerte, was ihm nur noch mehr sichtbares Unbehagen bereitete. Er verstand nicht, warum all die wichtigen und großen Männer, denen er kurz zuvor noch ein gern gesehener Gesprächspartner gewesen war, sich nun plötzlich gegen ihn wandten und ihn einzusperren suchten. Wahrscheinlich übermannte ihn die Wucht der damaligen Ereignisse um ein Vielfaches mehr, als ich es empfand. Und ich will es ihm nicht verdenken, denn nur Gott allein weiß, wie ihm sonst geschehen wäre.

Je länger ich darüber nachdenke, desto sicherer bin ich mir, dass trotz allen Strebens nach Gerechtigkeit, Strafe und Ausgleich vom Grafen Meik in dieser ersten Stunde viel Sachverstand und Augenmaß vorgebracht wurde, wofür ich ihm heute noch außerordentlich dankbar bin.

Zwei Wachleute mit dem Henk an der Spitze kamen auf mich zu und der Hauptmann forderte mit ernster Miene, ihm den Jungen zu übergeben. Mühevoll richtete ich mich auf, während Franco, der ja die ganze Zeit aufrecht gestanden hatte, dem Henk direkt ins Gesicht sah und ihm lächelnd die Hände zum Binden entgegenstreckte.

Am Ende dieses unglückseligen Tages fand sich Franco im Kerker der Feste wieder, der, wie ich allerdings zugeben muss, auf mich weit weniger bedrohlich und finster wirkte als jener in der päpstlichen Burg zu Rom. Ja, es ist nicht einmal übertrieben zu sagen, dass dieser Kerker, wenn es denn überhaupt ein solcher war, andernorts und zu anderen Zeiten durchaus auch einem anderen, wohnlicheren Zwecke oder gar als Vorratslager dienen konnte. Er war vollgestellt mit allerlei altem Krame und es roch nach Schimmel und morschem Holz. Die Türe zum Gang hin war nur ein hölzernes Gitter, welches ganz sicher nicht nur den Mäusen und Ratten ohne Hindernis Einlass gewährte. Auf ein Schloss von außen konnte man getrost verzichten. Der alte Eichenriegel, der hier seinen Dienst tat und quer über die Mitte gelegt wurde, war nicht nur der einzige Verschluss, sondern vor allem wohl dazu gedacht, die Türe zu stützen, auf dass sie nicht herausfalle.

Dennoch, bei aller Nachsicht, die man meinem Schüler gegenüber bei der Kerkerhaft walten ließ, war für alle unübersehbar, dass dies nur seiner Jugend und meiner Fürsprache für ihn, vor allem aber des energischen Einspruches der Hildegard und der Frau Gräfin, die sich sogar gemeinsam vor den hochheiligen Herren Erzbischöfen und dem Grafen Meik auf den Boden geworfen hatten, um sie zu erweichen, geschuldet war.

Ich wusste, dass die Zeit kommen würde, in der Franco und ich nicht mehr auf die beschützende Hand dieser klugen und nachsichtigen Frauen vertrauen konnten, mochte den Gedanken aber nicht bis in seine letzten Folgen bedenken. Schon in naher Zukunft würde der Heilige und Gerechte Kaiser ein eigenes Urteil fällen und sich darin von niemandem abbringen lassen. Sicherlich würde er darauf bestehen, dass jemand, der seinem geliebten Sohne und geweihten Nachfolger auf dem Königsthron eine solch ehrlose Erniedrigung vor aller Augen angetan hatte, der beschlossenen Strafe auch tatsächlich ansichtig werden würde, ganz gleich, wer oder was er war.

Franco drohte eine lange Haft, endlose Qual in dunklen Kerkern oder gar der Tod! Auf diesen Zeitpunkt im Angesicht des kaiserlichen Gerichts bereitete ich mich nun vor, denn hier waren meine Dienste als kluger Advokat gefragt. Wenn meine reichen Erfahrungen in diplomatischen Dingen und als Vermittler und Botschafter seiner Majestät des Kaisers nicht in der Lage wären, Franco aus seiner misslichen Lage zu retten, wer sollte es dann schaffen? Nun, selbst wenn es mir nicht gelingen sollte, ihm die Haftstrafe gänzlich zu ersparen, so wollte ich doch wenigstens sein Leben und seine Gesundheit schützen und auf eine baldige Verbannung hinwirken. Viele Stunden, weit mehr als gewöhnlich, verbrachte ich im Gebete für meinen Schüler und für seine arme geschundene Seele.

Die ganze Fröhlichkeit und Ausgelassenheit der letzten Tage und Wochen war plötzlich verschwunden. Die Feste Vossberg versank in einen grauen alltäglichen Taumel, in dem niemandem mehr nach Feiern und Gelage zumute war. Natürlich wurde weiter gespeist und getrunken. Bei Tische versuchten alle, besonders die beiden Erzbischöfe und der ebenfalls wieder anwesende Bischof Simon von Berenthal, so zu tun, als wäre alles in bester Ordnung, aber die schlechte Farbe übertünchte das morsche Holz nur bis zum nächsten Regen, um dann verdünnt und einer Träne gleich im ausgetrockneten Boden zu versickern. Gespräche flackerten nur kurz auf und erloschen sofort wieder, das Essen schmeckte fad, obwohl der Barbara daran kein Vorwurf zu machen war. Eine unausgesprochene Peinlichkeit lag über allem im Saale und niemand wusste, wie dem zu begegnen sei, wünschte man sich doch gemeinsam wieder die schönen Stunden herbei, in denen recht ausgelassen und guten Mutes getafelt und gefeiert wurde.

Der junge König Otto hingegen, der am meisten Betroffene von allen, schien das alles im besten Sinne überstanden zu haben. Er verstand die Aufregung um das schöne neue Spiel nicht und erst recht nicht, dass man ihm ausdrücklich verbot, es jemals wieder zu spielen. Ihm waren zu seinem Glücke noch drei Spielgefährten verblieben und wenn er fragte, wo denn der Franco sei und warum er nicht mehr mit ihm spielen und herumtollen dürfe, antwortete man ihm unehrenhaft, dass Franco sehr krank sei und viele Tage Ruhe bräuchte. Die immer noch verängstigten Mädchen Oda und Rosvith wandten sich dem Otto und dem Danilus nun wieder in größerem Vertrauen als zuvor zu. Nun, da sie außerhalb von Francos Reichweite waren, gefährdete nichts den guten Sitz ihrer Röcke, sie entzogen sich kaum noch, und wenn, dann nur sehr kurz, ihrer Beaufsichtigung und die Sorgenfalten in den Gesichtern der Kinderfrauen glätteten sich weiter von Tag zu Tag und in dem gleichen Maße, wie die kleinen Dellen in ihren noch jungfräulichen Seelen.

Franco de Ferrucius hatte sich in den Augen der Erzbischöfe und der anderen hohen Herren schwerer Vergehen gegen Gott, die heilige Institution der Kirche und gegen die kaiserliche Familie schuldig gemacht.

Die Anmaßung des höchsten bischöflichen Amtes durch das Tragen der päpstlichen Tiara (es war natürlich nur eine schlechte Imitation aus drei übereinander getragenen Hauben aus Leinenstoff, einem Kissen ähnlicher als einer Mütze) mochte dabei nur der augenfälligste Teil gewesen sein. Viel schwerer als das wog die Erniedrigung, die er dem geweihten König Otto, dem Sohne des heiligsten Kaiserpaares, angetan hatte. Der junge König war hinter ihm, einem Hund gleich an einer Leine geführt, über den Hof geschleift worden – zudem vor den Augen aller Herrschaften, Bediensteten und Gäste.

Es war eine durch nichts wiedergutzumachende Schande, eine offene Demonstration der Machtlosigkeit, der Schwäche, der Hilflosigkeit und der Ohnmacht des Geheiligten Königs, die so von niemandem hingenommen werden konnte. Unter allen anderen Umständen hätte jemand, der es wagte, ein Mitglied der kaiserlichen Familie derart durch den Dreck zu ziehen, auf der Stelle seinen Kopf verloren. Nur der Herrgott allein in seiner unendlichen Güte und Barmherzigkeit hatte es vermocht, meinen jungen Schüler in dieser ausweglosen Situation zu beschützen und ihm vorerst sein Leben zu retten.

Noch am selben Tage wurde ein Bote ausgesandt, der den Kaiser und seine Gemahlin über die neuesten Ereignisse auf dem Vossberg in Kenntnis setzen sollte. Allgemein wurde erwartet, dass der Bote in wenigen Tagen, längstens in zwei Wochen, mit einem kaiserlichen Urteilsspruch zurückkehren würde. Franco, so schien es, sollte bis zum Eintreffen des Urteils hier in Gefangenschaft verbleiben. Alsbald darauf wurde mir durch den Herrn Lucius in einem geeigneten Moment zu verstehen gegeben, dass die Grafschaft, ebenso wie die hohen Mitglieder der kaiserlichen Familie, meine baldige Abreise wünschten und er mich ermutigen wolle, die entsprechenden Vorkehrungen zu treffen.

Ich wusste in dem Lucius einen edlen Herrn und guten Freund, dessen Herz vollkommen frei von Intrige und Missgunst war, deshalb nahm ich seinen Hinweis als guten Ratschlag an und begann sofort damit, die wenigen mir verbliebenen Sachen zusammenzupacken. Doch was würde mit Franco geschehen? Konnte ich ihn hier wirklich allein zurücklassen? Er war mein Schüler, er war noch zu jung, zu unbedarft und zu unerfahren, sein Glaube noch zu schwach, um seine Sache mit genügend Hoffnung und Gottvertrauen vertreten zu können. Und ward er von seinem Vater nicht meiner Obhut anvertraut? Hatte ich nicht einen Schwur geleistet, ihn zu lehren und zu beschützen? Und musste ich mich nicht allein aus diesem Grunde schon an seiner Seite halten, bis klar würde, was mit ihm geschehen soll? Ich hielt inne, setzte mich auf mein Ruhelager und dachte angestrengt nach.

Wie viel Zeit zum Verweilen hatte ich noch, ohne die Gastfreundschaft der Burgherren über Gebühr in Anspruch zu nehmen? In gesandtschaftlichen Kreisen bedeutete die offizielle Aufforderung zur Abreise im Allgemeinen, dass dies innerhalb von drei Tagen zu verrichten war, sodass noch genügend Zeit blieb, die Dinge zu ordnen, Rechnungen zu begleichen und bei Bedarf eine Reisegesellschaft zusammenzustellen. Unter besonders günstigen Umständen konnte man sich aber auch mit einer fremden Gesellschaft beschließen, was die Kosten für die Lastentiere und für den eigenen Schutz senkte, um im Gegenzug den Komfort meist beträchtlich anzuheben.

Dass es sich um eine offizielle Aufforderung handelte und nicht etwa um einen persönlichen Wunsch des Lucius, wagte ich nicht ernsthaft in Zweifel zu ziehen, auch wenn die Art der Überbringung etwas seltsam erscheinen mochte. Natürlich verlangten sein Vater und die beiden Erzbischöfe, von ihm zu wissen, wann und in genau welchem Wortlaut er mir die Botschaft überbracht hatte und wohl auch was ich darauf erwidert hatte.

Als der dritte Tag anbrach und von dem Boten weit und breit noch nichts zu hören war, beschloss ich, beim Grafen und den beiden Erzbischöfen mit meinem Anliegen vorzusprechen. Damit noch länger zu warten, wäre mir als Unhöflichkeit oder gar Schlimmeres ausgelegt worden. Um mich der Gunst und Unterstützung der hohen Frau Gräfin zu versichern, war ich bereits am Tage zuvor in aller Heimlichkeit und unter Zuhilfenahme der braven Hildegard zu ihr durchgedrungen und hatte sie überzeugen können, dass meine Abreise unmöglich ohne meinen lieben Schüler erfolgen könne, worauf ich nicht nur durch einen heiligen Eid verpflichtet war, sondern mich auch durch ein enges Vertrauen und Liebe gebunden fühlte.

Nun traf ich die drei hohen Herren am Vormittag im Hofe, während sie sich offenbar für einen Ausritt vorbereiteten. Ihnen anbei stand außerdem Bischof Simon, ebenfalls zum Ausritte bereit, so dass ich nunmehr alle vier Herren zusammen ansprechen musste, ein nicht unwichtiger Umstand, der die Lage, in der ich mich befand, zusätzlich zu meinen Ungunsten beeinflusste.

„Ihr könnt ihn mitnehmen, Liutprand!“, rief Erzbischof Brun schon von weitem, noch bevor ich das Wort an ihn richten konnte.

Ich trat näher heran, verneigte mich in der tiefsten und vornehmsten Art, zu welcher ich in der Lage war, und sagte demutsvoll:

„Ich wünsche den hochverehrten Herren einen Guten Tag!“

Keiner der vier ging auf meine freundliche Begrüßung ein.

„Wir wollen ihn hier nicht haben“, sagte Meik, während er sein Pferd tätschelte.

„Ich verstehe nicht“, antwortete ich mit einiger Verlegenheit. „Woher wisst Ihr …?“

Brun kam einen Schritt auf mich zu und legte mit väterlicher Geste seine Hand auf meine Schulter. „Nun, mein lieber Bruder Liutprand, dass es mit Eurem Glauben nicht so weit her ist, wie es vielleicht sein sollte, ist die eine Sache. Aber Ihr solltet nicht auch noch Euren Verstand, von dem wir bisher nur Gutes gehört haben, in den Orkus werfen. Denkt immer daran, dass nicht nur der Herr Augen und Ohren hat.“

„Oh, verzeiht meine naive Art, verehrter Brun“, erwiderte ich entschuldigend. „Ich hätte wissen müssen, dass …“

„Ach Unsinn!“, unterbrach er mich. „Benutzt Euren Verstand! Und zu Eurem Schüler möchte ich Euch ein warnendes Wort mit auf den Weg geben. Habt mehr als ein Auge auf ihn! So er dies hier überstanden hat, und ich hoffe und wünsche für Euch, dass der Kaiser sich von seiner gnädigen Seite zeigen wird, bedarf es einer noch weit größeren Anstrengung von Euch, um ihn zu erretten. Dieser Junge wird Euch ebenso große Freude wie unendlichen Kummer bereiten. Er ist ein Teufel, ein Dämon! Vergesst das nie! Niemals!“

Brun hatte eine große Eindringlichkeit in seiner Stimme und es schien, als wolle er mich aufrichtig vor einem bevorstehenden Unheil bewahren. Nun war aber hier nicht die Zeit, zu widersprechen und sich auf einen Disput einzulassen. Also schluckte ich meine Worte hinunter und versuchte, mich auf die Dinge zu besinnen, die unmittelbar bevorstanden.

„Wie ich weiß, habt Ihr einen kaiserlichen Boten entsandt, dessen Rückkehr bald ansteht, verehrter Brun“, sagte ich. „Wäre es nicht angebracht, hier auf seine Ankunft mit dem Urteil des Kaisers zu warten?“

„Nein, das wird nicht nötig sein. Zieht nur los, Liutprand“, antwortete Graf Meik an seiner Stelle. „Wie ich erfahren habe, führt Euch Euer Weg in die Pfalz nach Mimileibo, wo sich der Kaiser und seine Gemahlin aufhalten. Welch glückliche Fügung, will ich meinen.“

Er lächelte milde in die Runde der edlen Herren und bekam als Antwort ein beinahe höhnisches Grinsen von allen Seiten.

Natürlich wusste ich, in welch hinterhältigem Spotte er sich erging, wenn er den uns bevorstehenden Weg in dieser Art lobte. Und damit auch der letzte Pferdeknecht begriff, wie dies gemeint war, fügte er hinzu: „Denn welches Urteil unser Gerechter Kaiser auch immer fällen wird, wir werden Euch und Euren Schüler auffinden und es vollstrecken, das ist allerorten und zu jeder Zeit gewiss. Doch macht Euch darum noch keine Sorgen, wir selbst sind zuversichtlich genug.“

6. Kapitel

In der Tat wurde Franco noch am Mittag desselben Tages ohne weitere Auflagen freigelassen. Er durfte sich aber weder von seinen Freunden noch von den Mädchen verabschieden, auch nicht zusammen mit ihnen zu Tische sitzen. Stattdessen brachte ihm die gute Barbara eine Schüssel kalte Bohnensuppe und einen Krug Wasser auf die Kammer, entschuldigte sich mit einiger Verlegenheit bei mir und hieß ihn, schnell zu essen. Von da an verblieb uns nur noch wenig Zeit, die Feste zu verlassen.

Statt der üblichen vier Reittiere, von denen im Wechsel immer zwei zum Reiten und zwei für Lasten und zur Erholung vorgesehen waren, gab man uns nur zwei Maultiere bei, weil wir, wie man in korrekter Weise feststellte, kaum Lasten zu transportieren hatten und auch nur mit zwei Reittieren angekommen waren. Tatsächlich war uns nicht mehr viel verblieben vom ursprünglichen Gepäck. Außer meinem Reisestuhl, den eine späte, aber glückliche Fügung unseres Herrn nach dem Untergang des Schiffes auf eine Wiese am Ostufer gespült hatte, den sorgfältig hergerichteten Schriftrollen des Bruders Pilegrinus und dem Mantel des burgundischen Kaufmannes hatten wir nur noch eine einzige Tasche behalten, allerdings mit wertlosem Inhalte, wenn man nach Geschenken und Gaben für den Gastgeber Ausschau hielt.

Franco trug alles, was er benötigte, in einem gebundenen Leinentuche um die Schulter. Ich wusste nicht, ob ich mich in dieser Art an den Hof des Heiligen Kaisers und in seine erlauchte Gegenwart begeben durfte. Andererseits waren wir durch den Untergang des Schiffes weitgehend geplündert worden, hatten also einen guten Grund und eine gute Geschichte zu erzählen, die aus der Unhöflichkeit möglicherweise eine Tugend machte. Auch war es möglich, dass mein Ruf am Kaiserlichen Hofe durch die Ereignisse der letzten Tage bereits derart gelitten hatte, dass es auf Geschenke längst nicht mehr ankam.

Am Nachmittag ritten Franco und ich los. Den beiden erstbesten Höfnern, denen wir begegneten, kaufte ich für einen viel zu hohen Betrag jeweils eines ihrer Maultiere ab, sodass wir fortan die Lasten besser verteilen konnten und etwas bequemer reisten. Was mich wirklich außerordentlich verunsicherte, war der unschöne Umstand, dass uns keine Bewachung und kein Schutz beigegeben worden war. In Zeiten wie diesen war es nicht ganz ungefährlich, nur zu zweit über Land zu reisen. Ein guter Gastgeber sorgte zumindest dafür, dass die Abreise seiner Gäste bis zur nächsten Grenze oder Zollstation sicher und ohne die gefürchteten Barbarenüberfälle, die zumeist von den versprengten Resten der Awaren verübt wurden, verlief. Für die Zeit danach half mitunter ein Schutzbrief, der sicheres Geleit versprach und mit schweren irdischen oder himmlischen Strafen drohte, wenn man sich gegen seinen Aussteller oder gegen den Beschützten verging. Im Zweifel verstärkte ein gewisser Geldbetrag noch die Wirkung des Schutzbriefes. Wir hatten jedoch von alledem nichts oder, was das Geld betraf, nicht genug, um uns gegen allerlei Bedrohungen zu wappnen. Ginge mir unterwegs auch noch der verbliebene Rest aus, stünde es daher ziemlich schlecht um unsere Rettung.

Während der ganzen Reise zur Feste Mimileibo war Franco sehr schweigsam und beinahe abwesend. Dass ihn in Anbetracht der Umstände nicht Vorfreude und frohe Erwartung auf das Wiedersehen mit dem heiligen Kaiser und seiner holden Gemahlin überwältigten, mochte ich noch gut verstehen. Aber schuldete er nicht zumindest mir, der ihn immerhin beschützt und bis hierher vor höherer Strafe bewahrt hatte, eine gewisse Aufmerksamkeit? Gern hätte ich die lange Reise für eine geistreiche Lehrstunde oder die Überprüfung seiner Kenntnisse in Arithmetik oder Rhetorik genutzt. Sein Reittier war dem meinen jedoch ständig um zehn oder zwanzig Schritte voraus und das laute Zurufen überforderte schon nach kurzer Zeit meine Stimme. Franco kramte indes immer wieder mit der linken Hand in seinem Leinentuche, welches sich an einer Stelle auffällig über eine harte Kontur wölbte. Ich fragte ihn, was er denn dabeihabe, nachdem ich mein Maultier kräftig anspornen musste, die Lücke zu schließen, doch er antwortete mir nicht.

Bis Franco sich wegen meiner immer wiederkehrenden Fragerei endlich entschloss, mich an seinem Geheimnis teilhaben zu lassen, dauerte es noch bis zur nächsten Rast. Er zog aus seinem Bündel einen hölzernen Kasten hervor, dunkel gefärbt und in den Kanten rundherum wunderschön mit Silber beschlagen. Alt schien er zu sein, obwohl kaum Wurmlöcher zu erkennen waren. Franco hielt ihn in die Höhe und drehte ihn zu den Seiten, die alle völlig gleich aussahen, sodass man nicht sagen konnte, welche oben und welche unten war.

„Was ist das?“, fragte ich neugierig.

„Ein Kasten“, antwortete er, mit den Schultern zuckend.

„Woher hast Du ihn?“

„Er lag in dem Keller, in welchen man mich eingesperrt hatte, unter vielen anderen fremdartigen Sachen verborgen.“

Ich bemerkte, wie fein und geradlinig die Beschläge gearbeitet und wie genau sie der hölzernen Grundform angepasst worden waren. Eine wahrlich schöne handwerkliche Arbeit von hoher Kunstfertigkeit, wie ich auch ohne nähere Begutachtung feststellen konnte.

„Hmm, mein lieber Junge, zweifellos ein schönes Ding. Aber sag, warum nennst Du es fremdartig?“

Francos Eifer wurde plötzlich entfacht, als hätte ich ihn auf einen spannenden Wettkampf oder ein besonders anmutiges Mädchen angesprochen. Erfreut hielt er mir den Kasten hin und deutete auf eine kaum erkennbare dunkle Stelle im Holz.

„Nun, seht hier, Meister Liuzo!“

„Was ist dort – ich kann nichts recht erkennen“, antwortete ich. „Du weißt, meine Augen …“

„Es sind fremde Schriftzeichen, Meister Liuzo. Sie sind wohl sehr alt. Könnt Ihr sie mir vorlesen?“

Ich nahm den Kasten in die Hand und stellte fest, dass er von einigem Gewichte war und wohl mehr enthielt als nur die abgestandene Luft des Kellers, in welchem er aufgefunden wurde. Wenn man genau hinsah, konnte man feine Linien erkennen, die sich zu kleinen Schriftzeichen und Blöcken formierten und in sauberen Reihen unter- und nebeneinanderstanden. Es waren genau diese feinen Schriftzeichen, die mir auf meinen weiten Reisen in den Osten tatsächlich schon vielfach begegnet waren – ganz offensichtlich sinensische Zeichen, aber keine, die ich lesen oder verstehen konnte, was ich meinem Schüler mit dem Ausdrucke größten Bedauerns gestand, während ich den Kasten an ihn zurückgab.

„Schade“, erwiderte Franco betrübt. „Es will mir einfach nicht gelingen, diesen Kasten zu öffnen. Er muss doch einen Deckel oder ein Schloss haben oder nicht, Meister Liuzo?“

„Ich weiß es nicht, mein lieber Junge“, sagte ich und hob entschuldigend die Schultern.

„Ich hatte gehofft, dass diese Schriftzeichen vielleicht einen Hinweis enthielten, wie er zu öffnen sei.“

Enttäuscht wickelte er den Kasten wieder in sein Bündel und lehnte sich schweigend zurück.

„Sag mir, mein lieber Franco“, fragte ich nach einer Weile, „nachdem Du ihn gefunden und untersucht hattest, plagte Dich da kein schlechtes Gewissen, diesen Kasten einfach so mitzunehmen?“

Franco sah mich aus tiefen Augen an und schüttelte kaum sichtbar den Kopf. „Warum fragt Ihr das, Meister Liuzo?“

„Nun, weil es vielleicht ungehörig ist, etwas zu nehmen, was einem nicht gehört?“

„Seht Ihr, Meister, Ihr wisst es auch nicht!“

„Was?“

„Ob es ungehörig ist oder nicht. Sagtet Ihr nicht eben noch vielleicht? Aber wenn Ihr es nicht wisst, wie kann ich es dann wissen, wo ich doch Euer Schüler bin und lerne, was Ihr mich lehrt?!“

Ich richtete mich in meinem Stuhle auf. Hatten mich meine Ohren soeben getäuscht?

„Doch!“, rief ich aufgebracht. „Es ist ungehörig! Nur ein gemeiner Dieb wird sich etwas nehmen, was ihm nicht gehört und nach dem er nicht gefragt hat!“

Franco verschränkte trotzig die Arme vor der Brust.

„Wen hätte ich denn fragen sollen? Nachdem mich alle nur noch mit ihrem Arsche angesehen haben, wollte doch niemand mehr mit mir sprechen. Selbst Ihr wart so sehr mit Euch selbst beschäftigt, dass Ihr den Kasten bis eben nicht einmal bemerkt habt.“

Zornesröte stieg mir ins Gesicht. Ich konnte fühlen, wie die Frechheit und Ungerechtigkeit in seinen Worten mein Herz und meinen Verstand zum Rasen brachten.

„Dann hättest Du dieses … Ding dort liegen lassen müssen, wo Du es gefunden hast! Es gehört Dir nicht! Und wir werden es zurückbringen!“

Er fuhr herum und sein Körper straffte sich spürbar unter der weiten Kutte.

„Nein! Es gehört jetzt mir!“, donnerte Franco aus voller Brust und ballte die Fäuste zum Kampfe.

Ich ließ von ihm ab.

Während der folgenden zwei Reisetage sprachen wir kein einziges Wort zueinander.

Schon bald darauf passierten wir die schöne Kaiserpfalz Tilleda auf dem Pfingstberg und die ihr zugehörigen Güter, ebenjene, welche der jungen Kaiserin Theophanu später von ihrem hochheiligen Gemahl als Brautgeschenk16) gegeben worden waren. Man erzählt sich gar unglaubliche Dinge über diese Pfalz, von denen ich hier aber nur eine Kostprobe wiedergeben möchte, um den geneigten Leser nicht mit Belanglosigkeiten zu langweilen. Theophanu, die ja von Geburt an eine Griechin und wohl wärmeres Wetter als im Sachsenlande gewohnt war, soll sich allenthalben bei ihrem Gatten beklagt haben, dass ihr fortwährend kalt und unwohl sei. Sie käme kaum dazu, eine Erkältung auszukurieren, wenn schon die nächste ins Haus stehe. Auch störe sie, dass es wegen der Feuerstellen in beinahe jedem Hause verraucht sei und die Wände schwarz von Ruß, was ihre Kleidung ruiniere und auch sonst einiges Unwohlsein verschaffe.

König Otto hatte Verständnis für die vielen Nöte seiner jungen Gattin und hieß den Rudger von Merseburg, seinen besten Baumeister, ein Haus konstruieren, welches weder über einen Ofen noch eine sonstige Herdstelle verfügte und dennoch warm genug war, um es auch im Winter bewohnen zu können. Hierzu ließ er einen langen Tunnel unter dem Hause graben und dort hinein einen Ofen mit drei Zügen bauen, die er wie einen Fächer anordnete. Sobald dieser Ofen angefeuert wurde, zog die warme Luft unter den Steinen hindurch. Und wenn das Feuer genug Kraft hatte, wurden Ofen und Abzüge bis auf eine kleine Ritze verschlossen und das ganze Haus ward auf diese einfache Weise wohlig erwärmt.

Viele Jahre später konnte ich mich von den Vorzügen dieser neuen Methode auch ganz selbst überzeugen. Damals freilich gab es all dies dort noch nicht zu sehen. Die Häuser sahen aus wie alle anderen und hatten ebensolche Öfen und Herdstellen. Auch wurden wir ja bereits anderen Orts erwartet, so dass kaum genug Zeit zum Verweilen in Tilleda blieb.

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