Kitabı oku: «Das Buch der Vergeltung», sayfa 9

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Franco nahm nun keinerlei Rücksicht mehr auf mich. Er ritt davon, wie es ihm gefiel, machte Rast, wenn ihm danach war, und ließ mich einmal sogar in die Irre laufen, indem er eine Tafel am Wegesrand so verdrehte, dass ich die falschen Schlüsse daraus ziehen musste. Ich wusste keinen guten Ratschlag, wie ich es ihm noch hätte sagen sollen. Beschützen konnte ich ihn längst nicht mehr, er stand auf seinen eigenen Füßen, das war nun auch für mich geradeheraus nicht mehr zu übersehen. Überaus große Sorge machte mir jedoch bei aller Entfremdung, dass Franco im Begriffe war, immer neue Dummheiten zu begehen und schlimmere noch dazu.

Alle guten Leute, denen er einmal Freund war, wandten sich gegen ihn (und so manches Mal auch gegen meine eigene Person) und wurden zu Feinden. Natürlich konnten wir nicht zur Feste Vossberg zurück, wollten wir nicht unser Leben und unser Wohlergehen gleichermaßen riskieren. Für noch eine Untat mehr war einfach kein Platz, so er die letzte noch nicht einmal reute. In gleichem Maße, wie er jegliche Einsicht und Gehorsamkeit vermissen ließ, reute mich jedoch mein unüberlegt ausgesprochenes Verlangen nach Rückkehr, weil es Francos Respekt vor meinen Entscheidungen und Bestimmungen noch weiter herabsinken ließ, als zuvor schon.

Wenn es mir ein ums andere Mal dennoch gelang, ihn einzuholen und ein Stück weit des Wegs neben ihm zu reiten, so nur deshalb, weil ich meinen Maultieren die notwendigen Ruhezeiten gönnte und ihnen genügend gutes Futter gab, was Franco aus irgendeinem Grunde in der Art vernachlässigte, dass seine beiden Tiere bald abgemagert waren, schwach und missmutig dahertrabten oder gar stehen blieben und sich müde in den Weg legten.

Am Abend unseres zehnten Reisetages überschritten wir den letzten der großen Kyffhäuser Berge und erblickten in der Ferne das Tal der Unstrut. Etwas erhöht darüber lagen die ersten Felder des kaiserlichen Tafelgutes zu Mimileibo. Sie waren gut bestellt und würden reiche Früchte tragen, wie man annehmen durfte. Mitten aus diesem schönen Lande ragte weithin leuchtend die wundervolle Basilika des Heiligen Michael zu Mimileibo hervor, deren zwei bereits fertig gestellte Turmhauben an der Ostseite sanft den Schein der Abendsonne widerspiegelten. Nun, da wir auch wieder miteinander redeten und keine zwei Stunden Weg mehr vor uns hatten, schlug ich Franco vor, eine letzte Rast einzulegen, um den schönen Ausblick zu genießen und unsere Sachen ein letztes Mal vor der Ankunft zu ordnen.

Ein Bote des Kaisers hatte uns in der Zwischenzeit nicht erreicht – was dies in Bezug auf das noch ausstehende Urteil des Kaisers zu bedeuten hatte, vermochte ich zu jener Zeit nicht zu sagen. Ich wusste nicht einmal, ob der himmlische Herr uns damit ein gutes oder ein schlechtes Zeichen senden wollte.

In Anbetracht der Umstände folgte Franco meinem Vorschlage, nun, da auch ihn eine Ahnung beschlichen haben dürfte, dass ihn vielleicht nichts Gutes dort erwartete. Ich redete ihm zu, Gottes Urteil mit offenen Armen zu empfangen und ganz gleich, wie es auch ausfallen mochte, um Gottes Willen nicht dagegen anzugehen, weder mit Worten noch mit Taten. Und zum Grunde nannte ich ihm, dass man sich dem göttlichen und gerechten Urteil zu keiner Zeit entziehen könnte, wollte man seiner Seele nicht unrettbaren Schaden zufügen. Am besten sei es, fügte ich hinzu, wenn er die zu erwartende Strafe in vollkommener Duldsamkeit und Demut hinnehme, um inneren Frieden mit dem Heiligen Kaiser zu schließen und in allem, was jener gebieten werde, sich gehorsam zu zeigen. Franco nickte stumm zum Zeichen, dass er verstanden hatte, jedoch blieb ein letzter Zweifel in mir, ob er sein Temperament im rechten Moment zu zügeln wissen würde.

Die Michaelskirche bot schon jetzt, obwohl erst zur Hälfte fertig gestellt, einen großartigen und erhabenen Anblick, als wir an ihr vorüberschritten. Ich hatte schon viele wundervolle Dinge über dieses Gotteshaus gehört, aber ich muss gestehen, dass mich die Erhabenheit des Augenblicks dennoch auf die schönste Art überraschte. Pater Pilegrinus erzählte mir während unserer gemeinsamen Schiffsreise, dass der Heilige Kaiser Otto höchst selbst die Pläne für dieses kunstvolle Bauwerk entworfen haben soll, um seines in Mimileibo verstorbenen Vaters König Heinrich auf die höchste ihm gebührende Weise zu gedenken. Und er hatte vor, wenn es denn stimmte, ein im Glanze und in seiner Pracht einmaliges Gotteshaus zu erschaffen, welches alles bisher Dagewesene an Höhe und Räumlichkeit überragen sollte, und dies – wie Pilegrinus mir ebenfalls versicherte – in nicht mehr als einem Dutzend Jahren Bauzeit.

Jemanden wie ihn darüber in höchsten Tönen lobpreisen zu hören, ist die eine Sache, die Erhebung und Freude dieses sich anbahnenden vollkommenen Kunstwerks in der eigenen Seele spüren zu können, ist jedoch etwas völlig Anderes. Nicht in meinen stillsten Gebeten hatte ich zu hoffen gewagt, jemals dieses prächtige Bauwerk mit eigenen Augen erblicken und im Geiste an seiner Entstehung teilhaben zu dürfen. Nun, obwohl ich mir der Schwere der Aufgabe bewusst bin, etwas so Edles, Würdevolles und Erhabenes mit meinen einfachen und geringen Worten beschreiben zu müssen und mit einer solchen Beschränktheit nicht den Bruchteil dessen wiedergeben zu können, was es zu benennen verdiente, will ich es dennoch versuchen, um den Leser dieser Zeilen an meinem herrlichen Augenschmause teilhaben zu lassen.

Der Osten wurde flankiert von zwei hohen Türmen aus acht deutlich voneinander abgesetzten Ebenen mit hoch umlaufenden Säulenarkaden, die mich auf angenehme Weise an die Baukunst meiner lombardischen Landsleute erinnerte. Zwischen den Türmen wölbte sich eine Reihe herrlicher Apsiden um den Chor herum, was mich den Eindruck gewinnen ließ, als wäre der Raum zwischen ihnen beliebig groß. Tatsächlich erreichte das dreigeteilte Hauptschiff, welchem noch der obere Abschluss fehlte, eine solche Breite und Höhe, dass ich mich besorgt fragte, wie es den Baumeistern wohl gelingen würde, darüber ein festes Dach zu wölben, ohne dass es schon beim ersten Windstoße einstürzte. Ich nahm mir vor, sobald sich mir die Möglichkeit dazu bot, dieses prachtvolle und ehrwürdige Bauwerk ausgiebig von allen Seiten, von innen wie von außen, zu studieren, mit den preiswürdigen Baumeistern zu sprechen und, sofern es mir erlaubt sein würde, einige Skizzen davon zu fertigen, um sie meinen geschätzten italischen Landsleuten vorzuzeigen. Aus diesen Plänen wurde dann leider nichts, weil wichtige Ereignisse meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen und unser Aufenthalt in Mimileibo in einer anderen Art und zu einer anderen Zeit enden sollte, als es von mir geplant war.

Doch zurück zu unserer stattlichen Basilika, die zu Ehren des Erzengels Michael, der seit der großen Schlacht gegen die Awarenhorden am Lechfeld im Jahre 955 des Herrn auch der Schutzpatron des Heiligen Kaisers und des Reiches war, in unvergleichlicher Größe und Prächtigkeit erbaut ward. In der Vierung, dem Schnittpunkt zwischen dem Hauptschiff und den beiden ausladenden Seitenarmen, die noch von großen Bergen kunstvoll behauener Steine und anderer Baumaterialien verstellt war, erblickte ich inmitten der Unordnung die Fundamente von acht gewaltigen Säulen. Bereits fünf von ihnen ragten einzeln in den Himmel und bildeten zwischen sich einen achteckigen Raum von knapp dreißig Ellen Durchmesser. Diese Anordnung ließ mich vermuten, dass hier die Vorbereitungen für eine gewaltige Kuppel getroffen wurden, gleichwohl der krönende Abschluss zum Himmelsgewölbe. Was mich jedoch in noch höherem Maße als alles bisher Gesehene erstaunte, lag auf der entgegengesetzten Seite der Basilika, im Westen. Hier war nicht, wie sonst üblich, ein hohes Portal zwischen die beiden halbhohen Seitentürme gebaut, sondern ein weiterer Chor mit ebenso unglaublichen Ausmaßen wie schon zuvor im Osten.

Durfte ich Pilegrinus’ eidlichen Bezeugungen Glauben schenken, so würde dieser Chor später allein dem Kaiser vorbehalten sein. Der weltliche Herrscher sollte darin während der Messen Platz nehmen und das Gotteshaus auf diese Weise vor den Gefahren, die aus dem Westen drohten, beschützen, während der geistliche Herrscher die Kirche aus dem Osten behütete. Zu diesem Zwecke war der Kaiser zuvor mit der Krönung in Rom auch zum Diakon geweiht worden, sodass er das Recht besaß, das Evangelium zu verlesen. Sicherlich war es kein Zufall, Gottes Fingerzeig in all diesen Elementen zu entdecken, und ich fieberte dem Augenblick der Vollendung dieses wundervollen Bauwerks mit großer Vorfreude entgegen.

Die nordwestliche Seite der Basilika grenzte mit ihren Baugerüsten unmittelbar an den Wirtschaftshof, der die Burg mit allem Notwendigen versorgte. Die Feste, über deren Wehrhaftigkeit man sich allerorten unerhörte Dinge erzählte, lag eine halbe Stunde Fußweg östlich von hier auf einem Felssporn hinter dem Eichberg und war von einer mächtigen Steinmauer mit tiefen Gräben und nicht wenigen Wehrtürmen umzogen. Zu drei Seiten fiel der Fels steil ab, nach Norden hin zur Unstrut und ihren undurchquerbaren Auwiesen und nach Osten hin zum Markt Wangen. Im Süden begrenzten tief eingeschnittene Hohlwege den allzu stürmischen Aufstieg, so dass nur ein einziger großer Zugang von Westen her verblieb. Durch dieses Tor betraten wir nun die Feste.

Vom ersten Augenscheine an war ich überwältigt von der herrlichen Bauart und der Prächtigkeit aller Gebäude. Am mächtigen, mit Eisen und Bronze beschlagenen Tore, welches in eine große offene Halle führte und sich sodann dem mit schönem Stein gepflasterten Innenhof öffnete, empfing uns ein junger Diakon, genannt Konrad von Magathaburg, der vom Kaiser zu unserer Begrüßung entsandt worden war. Er bemerkte schnell meine überschwängliche Begeisterung für die neue Kirche unten im Ort und erzählte mir bereitwillig alles, wonach ich ihn fragte. Auch erwähnte er, dass vor nicht allzu langer Zeit ein schrecklicher Unfall die Bauarbeiten beinahe zum Erliegen gebracht hätte, als ein Teil des Hauptschiffs mangels guter Abstützung zusammenbrach und elf Bauleute unter sich begrub. Auch Konrad selbst gehörte zu den Verschütteten, blieb aber, wie durch Gottes Hand beschützt, unverletzt und konnte von seinen Kameraden wenig später gefunden werden. Auf meine Frage hin, was es denn mit dem Westchor für eine Bewandtnis habe, bestätigte er alles, was ich von Pilegrinus gehört hatte, wortgetreu. Die himmlische Eingebung, dem Gotteshaus einen zweiten Chor im Westen hinzuzufügen, war tatsächlich des Herrlichen Kaisers eigener Plan gewesen. Ich betete, dass unser aller Herr im Himmel ihn in seiner unendlichen Gnade beschützen und ihm ein langes Leben schenken solle, damit wir Gewöhnlichen noch recht oft in den Genuss solcher Weisheit und göttlichen Erhabenheit gelangen konnten.

Auch die kaiserliche Pfalz verfügte über ein Gotteshaus, Oratorium genannt, freilich viel kleiner und bescheidener gebaut. Dieses Oratorium befand sich in der äußersten nördlichen Ecke der Mittelburg und war damit das am höchsten aufragende Bauwerk der Feste, noch höher als der mächtige Wehrturm der Hauptburg.

Konrad führte uns zu unserem Quartier, welches in einem der seitlich angrenzenden Gebäude, mehr zum südöstlichen Tore hin gelegen war. Wir kamen vorbei an einer riesigen Festhalle, die Konrad die Aula Regia nannte, mit wundervoll bemalten Fenstern und einer Größe, wie ich sie bis dahin nicht für möglich gehalten hätte. Konrad erzählte auf dem kurzen Wege gar unglaubliche Dinge von Festen und Synoden, die sich in dieser Halle begeben haben sollen und die mein Herz in froher Erwartung ebensolchen Erlebens höherschlagen ließen.

Aber schon mit der folgenden Bemerkung Konrads wurden wir wieder ernüchtert und kühl darin unterwiesen, dass der Kaiser verfügt habe, dass wir ihn drei Tage nicht zum Angesichte bekommen sollten und wir so lange Gäste in seinem Hause sein sollten, aber unter seinem strengen Schutze stünden. Fortan bewachten zwei Soldaten den Zugang zu der geräumigen Kammer, die uns zugewiesen wurde, und wir mussten jeglichen Weg, selbst den zur Latrine, unter ihrer Beobachtung vornehmen. Eine Erklärung für dieses Verhalten gab Konrad uns zunächst nicht, aber es hätte einer solchen auch nicht unbedingt bedurft. Dies alles konnte nur heißen, dass wir die huldvolle Gunst des Heiligen und Gerechten Kaisers fürs Erste verloren hatten und durch Wohlgefallen und Gehorsamkeit nun wiedererringen mussten.

Mir schien, als wisse der Konrad mehr über die Sache, viel mehr als er wohl zugeben mochte. Am nächsten Tage gelang es mir, Konrad beiseite zu ziehen, als er uns einen Krug mit frischem Wasser brachte. Ich fragte ihn geradeheraus, ob er denn wisse, was der Grund für die schäbige Behandlung sei, woraufhin er mich ganz ohne Verständnis anblickte. Dann sah er sich nach Franco um, ohne ihn jedoch finden zu können.

„Bruder Liutprand, im Vertrauen: Jedermann hier weiß, welche Schande dem jungen König Otto angetan wurde. Welch großer Ehrverlust!“, raunte er geheimnisvoll.

Ich nickte zustimmend, um ihn zu weiterem zu ermuntern.

„Man sagt, der Junge dürfe dies nicht überleben, er gehöre erschlagen!“

„So, sagt man das?“, erwiderte ich spitz und schalt mich im nächsten Augenblick für diesen dummen Ausspruch.

„Die Ehre des Kaisersohns muss wiederhergestellt werden. Das seht Ihr doch gewiss auch so, nicht Bruder Liutprand?“

„Nun, ich weiß nicht recht, Bruder Konrad. Einerseits möchte ich Euch zustimmen, andererseits tadele ich das Prinzip der Ehre als unverständig, wonach man durch eine erhaltene Beleidigung ehrlos wird, es sei denn, man erwidere sie durch eine noch größere Beleidigung oder durch Blut, welches das des Gegners oder das eigene abwasche …“

„Aber so will es Gott!“, unterbrach er mich aufgeregt. „Seht nach in der Heiligen Schrift, wo geschrieben …“

Ich winkte ab, um seinen Worten Einhalt zu gebieten und meine Erklärung hinzuzugeben.

„Natürlich kenne ich die Heilige Schrift und auch der Text, auf den Ihr, lieber Bruder, Euch bezieht, ist mir wohl vor Augen. Aber bedenkt: Die wahre Ehre eines Mannes kann nicht verletzt werden durch das, was man erleidet, sondern ganz allein durch das, was man tut – denn widerfahren könne doch jedem alles! Und aus demselben Grunde kann die Ehre auch nicht herbeigeholt werden von einem andern, man müsse dies schon selbst tun und dabei höchst ehrenvoll sein.“

Konrad schnaubte mich mit kaum verhohlenem Missfallen an. Mit so fester Gegenwehr hatte er kaum gerechnet und so sah ich ihn nun umso beharrlicher an einer Erwiderung grübeln.

„Verzeiht, verehrter Bischof, wenn ich Euch dennoch widerspreche“, sagte er alsbald. „Wenn einem Kaufmanne fälschlich Betrug oder Nachlässigkeit in seinem Gewerbe nachgesagt würde, so wäre dies doch ein Angriff auf seine Ehre und, da sie hier verletzt würde, lediglich durch das, was er leide, müsse sie nun durch Widerruf und Bestrafung des Angreifers wiederhergestellt werden.“

Er hatte seinen Anwurf gut vorbereitet, gleichwohl er aber einem großen Irrtume aufgesessen war, wie ich ihm sogleich bewies. Die kaufmännische Ehre, welche sonst der Gute Name heißt, und deren Verletzung in der Tat durch Verleumdung geschieht, hatte er hier der ritterlichen Ehre untergeschoben, deren Verletzung durch Beleidigung geschieht. Und weil ein Angriff auf Erstere nicht unbeachtet zu lassen wäre, so folgerte Konrad, dass dies mit demselben Recht auch bei Letzterer so sein müsse. Hier aber musste ich ihm widersprechen, weil derselbe Name für zwei ganz verschiedene Dinge gebraucht wurde, was zu einer mutatio controversi17) führte.

Voller Verachtung in Stimme und Blick ließ mich Konrad zurück.

Etwas später, in einem unbeobachteten Moment, als nur einer der beiden Wachmänner für uns verfügbar war, weil der andere unter entsetzlichem Bauchweh litt und wehklagend in einer Ecke hockte, konnte ich mich auf dem Weg über den Hof etwas absondern, während Franco den guten Mann in ein gar herzliches Gespräch über seine nicht geringen Waffen verwickelte.

Da mir die Chance nun gegeben war, glitt ich unbemerkt durch eine kleine Pforte in die unbefestigte Vorburg, von dort zum südöstlichen Tore wieder hinein und ging hernach auf das freie Feld vor dem Oratorium. Nun war ich zwar wieder umgeben von Dutzenden Leuten, Bauern, Bediensteten und Wachen, aber dennoch völlig unbeobachtet. Niemand kümmerte sich um mein Begehr oder hielt mich an. Ich suchte den Eingang zur Aula Regia und fand das Portal unverschlossen. Durch einen Vorraum betrat ich die riesige Halle und ward sogleich überwältigt von der Prächtigkeit und Vollkommenheit des Gesehenen.

Die Wände des Raumes waren über und über mit marmornen Tafeln geschmückt, eine jede einem anderen Herrscher oder großen Manne gewidmet und umrankt von Girlanden und edlem Silberschmuck. Die Fenster, von denen es ringsum reichlich gab, waren verziert mit den schönsten Darstellungen aus dem Leben des großen Kaisers, von denen gar einige ich aus verschiedenen Erzählungen wiederzuerkennen glaubte. Im Rundbogen über der Apsis, die beinahe die ganze Breite der Halle einnahm und auf einem dreistufigen Podeste Platz für des edlen Kaisers und der edlen Kaiserin Thron bot, waren die großartige Besiegung der Awaren im Lechfelde und die vollkommene Unterwerfung der Abodriten des heidnischen Stoinef an der Raxa, die Vernichtung der Redarier an der Elbe und die Zurückwerfung der Dänen im Norden, was ich alles unschwer erkennen konnte, in lebendigsten Bildern dargestellt.

Vielerlei große Männer sah ich unter den Siegern wie unter den Besiegten, den tapferen und ehrwürdigen Ritter Hosed, die abtrünnigen und doch wieder in die kaiserliche Huld aufgenommenen Grafen Wichmann und Ekbert, den großartigen Herzog Herrmann, die Erzbischöfe Gero und Brun und gar viele edle und heilige Männer aus allen Regionen des Reiches und darüber hinaus. Auch dem verhassten italischen König Berengar und seinem unheiligen Weib Willa war ein Fenster gewidmet und ich fragte mich geradezu, wann der Heilige Kaiser dieses wohl in Anfertigung gegeben haben mochte, da es mir doch so schien, als wäre es soeben erst geschehen, dass der Unhold festgesetzt und in Fesseln aus seinem Lande geführt wurde, um fortan verbannt zu sein.

Welch herrlich gefertigte Teppiche und wappengeschmückte Fahnen erblickte ich rund um mich herum, eine jede ein Land oder ein Herzogtum repräsentierend, welches der große und von Gottes Gnaden Heilige Kaiser beherrscht und zur Erhöhung seiner Tugenden und seines seligen Gedächtnisses regiert. Der Boden war mit glänzenden Fliesen ausgelegt, deren Farbigkeit und Musterung mich sehr an die großartige und prächtige Festhalle des Kaisers Konstantin von Konstantinopel erinnerte, die in mir einen wahrhaft tiefen Eindruck hinterlassen hat, in jedem guten Sinne vergleichbar mit dem, was sich mir hier bot.

Von solcher Art Freude gestärkt und ermutigt, erwartete ich den Anbruch des vierten Tages, an welchem wir des Heiligen Kaisers endlich ansichtig werden durften. Im Dämmern des Morgens standen wir wie gewöhnlich von unserem Lager auf und wohnten den nächtlichen und morgendlichen Lobgesängen bei. Franco war noch verschlossener und verschwiegener als zuletzt, wofür ich aber unter den gegebenen Umständen jedes Verständnis aufbringen konnte. Ich versuchte, ihm zu jeder freien Gelegenheit etwas Trost zu spenden und neuen Mut zu machen. Nachdem die Messe zelebriert worden war, aßen wir etwas und ruhten noch ein wenig. Franco lag die ganze Zeit über wach und blickte an die Decke. Zur Mittagsstunde rief uns der Kaiser in seine Gemächer und hieß uns, mit ihm zusammen zu Tische zu sitzen, freilich an einem entfernten Ort, weitab von des Kaisers Stuhl, und bis wo das Tischtuch nicht hinreichte. Als wir so, ohne jedoch ein Wort mit ihm gewechselt zu haben, in seiner Gegenwart getafelt hatten, bestellte er uns zu sich ein. Wir kamen in einen großen Raum, in welchem auch die Kaiserin zugegen war. Ich verneigte mich in tiefster Ehrerbietung vor dem in wunderbarer Heiligkeit erstrahlenden hohen Paare.

Die Kaiserin warf mir einen verschwörerischen Blick zu, als wolle sie sagen, dass unser Geheimnis sicher und in guten Händen sei und sich wohl alles zum Guten wenden würde.

Ich war also zuversichtlich.

„Liuzo! Mein Lieber!“, begann der Kaiser ohne Vorrede und ohne auch nur einen Blick auf den in tiefer Verbeugung verharrenden Franco zu richten. „Was haben wir doch für bedrückende Neuigkeiten von Euch und Eurem Jungen erfahren müssen, während Ihr als Gast auf dem schönen Vossberg weiltet? Mit welch abscheulichen Vorgängen danktet Ihr jenen dort die Errettung Eures Lebens vor den Räubern, nachdem sie Euch zu sich aufgenommen, reichlich bewirtet und fürstlich gebettet hatten? Wie viel Undank und Ehrlosigkeit steckt in Euch und Eurem Jungen, dass Ihr es wagtet, dem jungen König, dem Träger unseres Namens und von Gottes Gnaden erwählten Herrscher, eine solche Niedertracht und Heimtücke anzutun, auf dass er vor aller Welt der Lächerlichkeit und der Schande preisgegeben werde?“

Ich wusste wohl, dass dies nicht die Art von Fragen war, die einer Antwort von uns bedurft hätten. Der preiswürdige Kaiser und seine von erhabener Schönheit strahlende Gemahlin hatten sich peinlich genau über alle Einzelheiten unterrichten lassen und ihr gerechtes Urteil über alles Geschehen sicher längst gefällt. Aus diesem Grunde schwieg ich und versuchte, aus meinen Gedanken zu verdrängen, was an falscher Anschuldigung ich nicht tragen konnte. Auch Franco widerstand zum Glück noch der Versuchung, sich aufzurichten und dem Kaiser eine Entgegnung zu nennen, was jener ohne jeden Zweifel als erneuten Angriff auf die Ehre seiner kaiserlichen Familie hätte bewerten müssen.

„Nun“, fuhr der Kaiser nach einer Weile fort, „da Ihr Euch auf den Weg hierher zu uns gemacht habt, ganz ohne Zwang und Androhung, will ich es Euch hoch anrechnen und als ein Zeichen der Reue verstehen. Auch wissen wir, dass der Herr mehr für Euch und uns bereithält als die lästige Auseinandersetzung an unnützen Dingen. Eurem Schüler jedoch, verehrter Liutprand, der ein wahrer Teufel zu sein scheint, wenn man dem Erzählten glauben darf, muss eine Lektion erteilt werden!“

Er machte eine bedeutungsvolle Pause, um die Wirkung seiner Worte zu verstärken.

„Aber wir werden ihm den Teufel schon austreiben! Wenn es denn so sei, dass er die Macht auf die eine oder andere Art beanspruche, so möge er auch zu beweisen haben, dass er sie tragen kann oder daran zugrunde gehen.“

„Geliebter und hochheiliger Kaiser und hochverehrte Kaiserin“, unterbrach ich ihn flehentlich und warf mich vor ihm erneut auf die Knie, „vergesst bitte in Eurem gerechten Urteile nicht, dass er immer noch ein Kind ist und kaum zu wissen imstande, was er dort tat.“

Kaiserin Adelheid warf mir einen verständnisvollen Blick zu und legte ihre Hand beschwichtigend auf den Arm ihres Mannes. Ich verstand sehr gut, was sie mir sagen wollte, allein mit Worten auf die kommenden Ereignisse Einfluss nehmen durfte sie in diesem Augenblick nicht.

Franco hatte sich inzwischen unerlaubt erhoben und stand schweigend neben mir, anstatt Reue zu zeigen und sich in ebensolcher Weise wie ich auf den Boden zu werfen und um Gnade und Barmherzigkeit zu bitten. Es schien ihn nicht im mindesten Maße zu beunruhigen, dass er und nicht ich hier vor dem heiligen Kaiserpaare zu Gericht stand. Der Kaiser bemerkte den Trotz und die scheinbare Unbelehrbarkeit in seiner Miene und schien darüber nicht erfreut zu sein, ganz im Gegenteil.

„In Deinen Augen mag er noch als Kind erscheinen, was uns durchaus erklärlich sein mag. Uns aber scheint ein großgewachsener und kräftiger Mann an Deiner Seite zu stehen, der sich seiner Kraft wohl bewusst ist, wohl aber nicht seiner Situation. Gar wenig Reue zeigt er uns, was angesichts seiner Lage eher für ein Kind spräche denn für einen Mann.“

„Dann muss man es ihm zugutehalten“, schlussfolgerte ich erfreut.

„Zugutehalten? Ganz und gar nicht, verehrter Bischof! Eben weil er ein Kind ist, muss man ihn züchtigen, damit er in seinen bösen Ansichten nicht verhärte!“

Der Kaiser verwandte meine eigenen Argumente gegen mich, gewissermaßen in einer retorsio argumenti18), was mich in diesem Verfahren meiner wichtigsten Mittel beraubte.

„Aber gut“, fügte der Kaiser sodann einlenkend hinzu, „wenn Ihr denn sagt, er sei eben noch ein Kind, so möget Ihr uns erklären, wo das Kind in ihm ende und der Mann beginne. Jedoch irrt Ihr bei dem Versuch, und wir bemerken, dass Ihr versucht seid, uns zu täuschen, mein lieber Bischof, so wollen wir Euch einer ebensolchen Prüfung wie ihn unterziehen. Ihr selbst habt es in der Hand: Bringt Ihr Euch um des Jungen willen in Gefahr, so könnt Ihr ihn damit retten oder mit ihm gemeinsam untergehen. Entscheidet also Euren Weg allein!“

Mir ward schwarz vor Augen, als der Kaiser diese Worte aussprach. Ich wagte weder einen weiteren Widerspruch, noch mich für den Jungen zu verwenden. Nicht einmal mich zu erheben, kam mir in den Sinn, obwohl meine Knie schmerzten und mein Rücken die unbequeme Stellung nicht mehr lange tragen konnte. So verblieb ich in der demütigsten Haltung, zu welcher ich in der Lage war, und wartete mit geschlossenen Augen ab, welches Urteil und welche Strafe der Gerechte Kaiser dem Franco zu verkünden hatte.

„Was wir beschlossen haben zu tun, ist allein Gottes Wille und er lässt ihn durch uns erfüllen. So sei es denn. Dein Schüler soll den ganzen morgigen Tag von der ersten Dämmerung bis zum Abendstern auf dem öffentlichen Markte hinter einem Esel herlaufen, gebunden an den Händen und Füßen und auf allen Vieren. Dabei soll er bellen, wie es ein Hund tut, und heulen, wie es ein Wolf tut, auf dass es dem Esel angst und bange wird. Er soll nicht enden damit und nicht wehklagen, bevor aller Hohn und Stolz aus ihm entwichen ist und er die Lust verliert, sich an fremder Macht zu laben.“

So sprach der Kaiser und ließ ihn von den Wachen festnehmen. Mich aber schickte er hinaus, mich zu besinnen und ihm mitzuteilen, ob ich die Strafe meines Schülers mit ihm zu teilen wünschte.

Noch am Abend begannen drei Zimmerleute, auf dem Markte eine hölzerne Spindel aufzustellen, einen Kreis von zehn Ellen Durchmesser abzustecken und mit ein wenig Stroh auszulegen, gerade so viel, dass der Boden nicht nackt war. In die Spindel bohrten sie ein Loch und schoben eine Jochstange hinein, grob behauen und an die vier Ellen lang, so dass damit das ganze Gestell rundherum drehbar war. Die neugierigen Leute von überallher aus der Umgebung fragten sich, was dies wohl zu bedeuten habe, und als sie keine Antwort darauf bekamen, priesen sie die Weisheit des Herrn im Himmel und des von ihm erwählten hohen und heiligen Kaisers samt seiner Gemahlin.

Nun, da ich die Nacht allein in meiner Kammer verbringen musste, begann ich erneut, mir ernsthaft Sorgen um meinen jungen Schüler zu machen. Der Kaiser hatte sich, dies war unbestritten, eine gar eigene und ungewöhnliche Bestrafung ersonnen, deren Ausübung ich mir nur mit einiger Mühe vorzustellen vermochte. Wie lange konnte ein Mensch mit gebundenen Händen und Füßen hinter einem Esel herlaufen, bis es ihn aus der Bahn warf und ihm die Beine einknickten, wie lange hinterher kriechen, bis seine Hände und Knie blutig geschunden waren, wie lange auf dem Bauche und auf dem Rücken rutschen, bis die Haut in Fetzen ging? Mir liefen Schauer fürchterlichen Entsetzens über den Nacken, und dies hinderte mich vermutlich ebenso gründlich am Schlafe wie den armen Franco, der in einer Kerkerzelle ausharren musste und dem Tage seiner schlimmsten körperlichen Qualen und seelischen Erniedrigungen entgegensah.

Der nächste Morgen brach an, ohne dass ich geschlafen hatte.

Franco wurde auf den vorbereiteten Platz geführt und gebunden, wie vom Kaiser verlangt. Alsdann, nach einem Ausruf des kaiserlichen Herolds, begann die Schinderei.

Ich möchte dem geneigten Leser hier an dieser Stelle die genauen Beschreibungen dieses fürchterlichen Vorganges ersparen, weil die Grausamkeit und die unerträglichen Schmerzen, die der arme Franco schon in den ersten Stunden erlitten haben musste, selbst mir noch unermessliche Qual und Pein bereiteten und alles übertreffen, was wir zu sagen oder zu schreiben im Stande sind. Nach nur einer Stunde des rohen und überaus grausamen Spektakels war das Stroh ringsum rot gefärbt vom Blute, Francos Schmerzensschreie waren längst verstummt und die Menschen, erst neugierig, dann begeistert johlend und anfeuernd, wandten sich nun entsetzt ab, um nicht mit ansehen zu müssen, wie seine Knochen auf dem harten Boden dünn geschliffen wurden. Man schickte auf mein Drängen hin einen Boten, den guten Konrad von Magathaburg, zum Kaiser, um ihn zu bitten, die harte Bestrafung zu beenden, es sei denn, er wolle den Jungen töten, dieses selbst aber dann schnell zum Ende führen zu wollen, da die Leute die Qual nicht mehr länger mit ansehen können und sich voller Scham in ihre Häuser zurückzögen, was dem Handel auf dem Markte äußerst abträglich zu werden drohe.

Als das Kaiserpaar am Vormittag hinzukam, um den Armen Almosen zu spenden und den Erfolg der Bestrafung ermessen zu können, war selbst der brave Esel zu erschöpft, um noch weiter im Kreise herumzulaufen. Franco lag ausgestreckt und mit ausgerenkten Armen auf dem Boden, kaum noch bedeckt von seiner in Stücke gerissenen Kutte und ohne eine einzige unversehrte Stelle an seinem Körper.

Der Kaiser ließ den Esel mit einer Knute antreiben, aber noch bevor dieser widerstrebend eine ganze Runde zurückgelegt hatte, warf sich die Kaiserin Adelheid vor ihm auf die Knie und bat inständig, mit der Bestrafung aufzuhören. Der Heilige Kaiser sah seine Gemahlin von oben herab und ohne jede Barmherzigkeit an und wechselte einige harte Worte mit ihr, die sie sich abwenden und in Tränen ausbrechen ließen.

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