Kitabı oku: «Das Buch der Vergeltung», sayfa 7

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Dann überreichte er mir den schwarzen Reiseumhang, den ich sehr wohl erkannte.

„Bravo!“, rief jemand laut und viele andere stimmten ein. Applaus brandete auf und ich erhob mich feierlich berührt. Jedoch vor Rührung und Ergriffenheit blieb mir der Mund offenstehen und ich vermochte zunächst nicht, etwas Passendes zu erwidern. Ich hörte beifälliges Gemurmel und immer wieder Bravo-Rufe des Grafen und der Gräfin.

„Mein liebster Franco, Du musst vor mir nicht auf die Knie fallen“, sagte ich mit festlicher Stimme, als es wieder still wurde, „und dennoch weiß ich Deine hohe Geste und Dein liebes Geschenk auf das Wertvollste zu schätzen. Aber sag mir, wofür verdiene ich eine solche Ehre im Angesichte der vielen hohen Herren in diesem Saale?“

„Nun, Ihr seid mein Lehrer und mein Meister. Ich verdanke Euch viel und ich wünschte, ich hätte Euch in der Vergangenheit weit weniger Grund zur Sorge und Verzweiflung gegeben, als ich es tat. Nun nehmt also bitte dieses Geschenk als Zeichen meiner Wiedergutmachung und hohen Anerkennung Eurer Erziehung an mir.“

Nun, ich glaube, ich muss dem fernen Leser dieser Zeilen nicht sagen, welch wundervolle Gefühle, welch Stolz und welch große Freude mich in diesem Moment überwältigten. Franco hatte tatsächlich viel gelernt, wenn er in einer so hervorragenden und würdigen Weise seine Dankbarkeit und Wertschätzung auszudrücken vermochte. Natürlich nahm ich sein Geschenk mit offenen Armen an und bedankte mich in den schönsten Worten dafür.

Graf Meik, der ebenfalls Tränen der Rührung in den Augen hatte, bot ihm den freien Platz an seiner Tafel an und ließ noch einmal alles von Anbeginn an auftafeln. Doch schon nach wenigen Bissen verhielt Franco sich seltsam, er legte den Kopf schief und blickte etwas hilflos drein, als bedrücke ihn etwas.

Als der Meik ihn daraufhin ansprach, was ihm denn fehle, da er in einem solchen glücklichen Augenblick so wenig Glück ausstrahle, antwortete Franco nicht, sondern deutete auf seinen verdrehten rechten Arm und zeigte seinen Hals, den eine große, blutverkrustete Schnittwunde verunzierte.

Die ganze Tischgesellschaft erschrak und alle Gespräche erstarben augenblicklich. Nun bemerkte ich auch, dass der Junge am ganzen Körper zitterte, obwohl er es vor uns allen zu verheimlichen suchte. Meik winkte den Medikus heran, der uns gegenüber an der Tafel saß und mit dem ich schon ein paar Worte über dies und jenes in lateinischer Sprache gewechselt hatte. Der Medikus, ein klug aussehender Mann mit goldbrauner Haut und krausem Haupthaar, wie ich es von den Arabern kannte, mochte wohl doppelt so alt wie Franco sein. Mit einem Blick erkannte er das Übel, welches dem Jungen widerfahren war, hieß ihn aufstehen und renkte mit einem unerwarteten Schwung die verdrehte Schulter wieder ein, wobei sie ein lautes Krachen von sich gab. Franco, zunächst voller Unglauben und für einen kurzen Moment mit einem überraschten, aber keineswegs schmerzvollen Ausdrucke im Gesicht, bewegte daraufhin vorsichtig beide Schultern, die Arme, die Hände und war überaus zufrieden mit der Kunstfertigkeit des Medikus.

Schnell und mit geschickten Händen säuberte dieser daraufhin die arge Wunde, die Franco sich am Halse zugezogen hatte, und legte ihm einen Verband aus weißem Linnen an, der so gar nicht zu seinem sonstigen Kleide passen wollte, welches im Innern immer noch durchnässt und kalt war. Graf Meik ließ den Lucius neue Kleider und passendes Schuhzeug bringen (welches vom Besten war, soweit ich es sehen konnte) und hieß ihn, den Franco darin einzukleiden und seine anderen Sachen zu trocknen.

Von nun an war mein lieber und überaus gelehriger Schüler Franco der Mittelpunkt aller Gespräche bei Tische und er kam kaum mehr dazu, zu essen und zu trinken, weil er fortwährend Fragen nach der Herkunft des Mantels und seiner Verletzungen beantworten musste. Auf diese Weise erfuhr ich von den unglaublichen Ereignissen der Nacht und des frühen Morgens, die mir bei allem glücklichen Ende und bei allem Stolz, der mich erfüllte, dennoch einen sorgenvollen Schauder über den Rücken laufen ließen.

Doch der Reihe nach: Bei Tische berichtete Franco den interessierten Gästen, dass er nach Sonnenaufgang zum Fluss hinuntergelaufen war, um sich an der klaren Luft und am Gesange der Vögel zu erfreuen und zu beten. Und wie er seine Schritte am Ufer entlang flussabwärts lenkte und den schnappenden Fischen zusah, bemerkte er ein schwarzes Bündel in der Mitte des Stromes, welches sich wohl an einem hängengebliebenen Aste verknotet hatte. Aus Neugier und ganz ohne Absicht beschloss er, das arglos erscheinende Bündel aus der Nähe anzusehen, stieg beherzt ins kalte Wasser und schwamm zur bezeichneten Stelle. Mit Freude und Überraschung stellte er fest, dass es sich um einen der wertvollen Seidenmäntel handelte, die den beiden getöteten burgundischen Kaufleuten gehört hatten und von denen mindestens einer in die Hände der Räuber gefallen war. Und er erinnerte sich, mich in begeisterter Manier über diese Mäntel reden gehört zu haben. So barg er das wertvolle Tuch und schwamm damit zurück an Land. Wie er nun das Ufer wieder besteigen wollte, rutschte er im Morast aus, streifte mit dem Halse einen Baumstumpf und verdrehte den rechten Arm auf diese schmerzvolle Weise.

Als mir jedoch später am gleichen Tage der Hauptmann Henk insgeheim zu verstehen gab, dass an der Geschichte des Franco etwas nicht stimmen könne, bat ich ihn, sich mir ohne Rücksicht zu erklären. Hauptmann Henk zog mich in einen stillen Raum abseits des großen Saales und berichtete in einer gänzlich anderen Version von Francos Geschichte. Er tat dies mit so viel Beweiskraft und Überzeugung, dass ich ohne jeden Zweifel bereit war, ihm zu glauben und seinem Bericht zu vertrauen.

So weiß ich nun sicher, dass mein Schüler die Burg nicht erst nach Sonnenaufgang verließ, sondern bereits um die Stunde des Frühgebets15) herum. Das hatten ihm seine Wachen gesagt, die Franco im Schutze der Dunkelheit durch einen seitlichen Ausgang verschwinden sahen. Er sei auch nicht flussabwärts, sondern eine halbe Meile flussaufwärts gegangen und sodann zum Steg auf die andere Seite geschwommen. Die Männer folgten seinen Spuren bis zu ebenjener Stelle am Ufer, bei der er ins Wasser gestiegen war. Danach haben sie ihn aus den Augen verloren. Auch bei seiner Rückkehr kam er keineswegs aus der nördlichen Richtung, sondern den gleichen Weg wie schon zuvor. Die Wachmänner erkannten, dass er etwas Schweres bei sich trug, ohne dass sie hätten sagen können, was es gewesen sei.

Nun, das Bild fügte sich neu zusammen. Auch ohne weitere Erklärungen wusste ich nach kurzem Überlegen, was dies zu bedeuten hatte: Franco war den berittenen Räubern in ihr Lager gefolgt und hatte sich ganz offenbar auf einen Kampf mit ihnen eingelassen, in dessen Folge er sich dann die Verletzungen an Hals und Schulter zuzog. Aber warum, um Gottes Willen, hatte er sich in eine solch große Gefahr begeben? Hatte er dies alles wirklich nur wegen des zweifellos schönen Mantels auf sich genommen? Oder war er nicht vielmehr auf Rache für das ihm angetane Unrecht und den Verlust unserer Sachen aus? Ich wusste nicht, was ich dem braven Hauptmann Henk erwidern sollte, bat ihn jedoch, dies alles außer mir und seinem Herrn niemandem gegenüber zu erzählen, und dankte ihm seine Verschwiegenheit mit einem kleinen Geschenk.

Wie es kam, lag Franco am Morgen des nächsten Tages krank danieder. Ihn plagte hohes Fieber und ein entsetzlicher Husten reizte seine Kehle. Sein Atem ging flach und schnell, und ich ließ sogleich den Medikus kommen, um guten Ratschlag von ihm zu hören. Der Medikus erschrak beim Anblick des Jungen, wie er so glühend und keuchend dalag. Er wechselte sofort den von Blut durchtränkten Verband, besah aufmerksam die große Wunde am Hals und teilte mir mit, dass sie bereits in Heilung war und somit als Grund für sein Unwohlsein ausschied. Dennoch, es stand nicht gut um den Jungen, wie er mir sagte. Es müsse sich wohl um eine innere Krankheit handeln, gegen die er beinahe machtlos sei. Franco klagte über Schmerzen in der Brust und bald darauf warf er gelben Schleim aus, was mich umso mehr nichts Gutes für ihn befürchten ließ. Der Medikus verordnete ihm Kräuterbäder und kalte Wickel an den Beinen sowie völlige Ruhe im Liegen und an frischer Luft. Am siebten Tage wolle er, wenn es damit nicht besser würde, einen Aderlass wagen.

In der Nacht plagten den Jungen schlimme Träume, die mich an bösen Nachtschaden denken ließen. Er rief laut vor sich hin, so dass es sich wie Kampfeslärm anhörte. Im Schlaf schien er den Salek zu sehen, wie er auf mich zustürzte, denn auch meinen Namen nannte er gar laut und deutlich. Gewiss hatte er unter diesen schrecklichen Erlebnissen arg zu leiden, doch es gab nichts, womit ich ihm hätte helfen können.

Der gute Pilegrinus verabschiedete sich ganz unerwartet an jenem Tage von uns, als er mir mitteilte, dass es meinem Schüler nun scheinbar besserging. Leider stimmte es nicht, er redete es sich nur ein. Die gute Erziehung verbot ihm wohl, sich in einem Moment davonzustehlen, in welchem es dem Jungen nicht gut ging. Auf gewisse Weise fühlte er sich dem Franco gegenüber verpflichtet. Seit dem Überfall auf dem Schiff steckte er voller Angst und fürchtete immer noch um sein Leben. Ich wusste, dass es ihn mehr denn je zurück in die Geborgenheit seines Klosters zog und dass er seine längst getroffene Entscheidung nur deshalb noch nicht verkündet hatte, weil Franco, dem er nunmehr die Existenz seiner Schriftrollen verdankte, noch immer krank und dem Tode näher als dem Leben war.

Also bat er mich, da wir doch ein gleiches Ziel hätten, die fertigen Schriftrollen an mich zu nehmen, sie gut zu beschützen und sie an seiner Statt dem hohen und heiligen Kaiser zu überbringen. Dazu solle ich beste Grüße und Wünsche ausrichten und einige wohlgestimmte Worte finden für den frommen Kaiser Otto und seine holde Gemahlin, die Kaiserin Adelheid, ganz so, wie er selbst es getan hätte. Das versprach ich Bruder Pilegrinus vor seiner Abreise bei meiner Ehre und so wollte ich es tun.

Durch Gottes glückliche Fügung ergab sich für mich aus diesen Ereignissen der angenehme Umstand, nicht mehr mit leeren Händen vor des Kaisers Thron bestehen zu müssen, da wir ja unsere reichen Geschenke und anderen Gaben verloren hatten.

Zum Abschiede zog mich Bruder Pilegrinus noch einmal beiseite, um zu fragen, ob ich mich der beiden burgundischen Kaufleute auf dem Schiffe erinnerte. Da ich bejahte, streckte er seinen Finger in die Höhe und mahnte, immer daran zu denken, dass sie der Strafe Gottes letzten Endes doch nicht entkommen konnten. Und ich solle dies meinen Schüler unbedingt lehren.

Ich gab ihm auch dieses Versprechen und ließ ihn sodann ziehen. Später am Tage betete ich für ihn, auf dass er heil bei den Seinen ankommen möge.

Auch die folgenden zwei Tage und Nächte fieberte Franco noch und schlief sehr unruhig. Wenn er wach wurde, redete er hingegen kaum, sondern hustete fortwährend gelblichen Schleim und schien wie im Nebel zu stehen. Er erkannte weder mich noch sonst irgendeinen von hier, auch der Medikus, der viermal am Tage nach ihm sah und die Wadenwickel wechselte, war ihm völlig fremd. Dann endlich, nach weiteren drei Tagen, besserte sich sein Zustand. Das Fieber sank ein wenig ab und das Drücken in seiner Brust wurde leichter, so dass er wieder flüstern konnte, ohne zu husten und sogleich in einen schmerzhaften Krampf zu verfallen. Ich freute mich für ihn und auch, weil er auf diese Weise um den allfälligen Aderlass, eine Heilmethode, welche ich seit der erhellenden Begegnung mit dem heilkundigen Bruder Matthias in Pavia mit einigem Zweifel und Argwohn betrachtete, herumgekommen war.

Noch am Tage der Abreise von Bruder Pilegrinus, der von einer vierköpfigen bewaffneten Eskorte ein gutes Stück begleitet wurde, verließen uns auch die drei lothringischen Kaufmannsbrüder in Begleitung von Soldaten. Dass sie nicht zusammen abgereist waren, obwohl sie einen ähnlichen Weg einschlagen wollten, schien mir in diesem Augenblick verständlich.

Kurz darauf kündigte ein berittener Bote in einem feuerroten Mantel neuen, königlichen Besuch an. Sogleich begann die Frau Gräfin, zusammen mit der liebreizenden Barbara und dem guten Lucius, die Vorbereitungen für ein großes Fest zu treffen.

5. Kapitel

Ich entnahm die Schriftrollen des Bruders Pilegrinus vorsichtig dem Kalbslederfutter, welches von der Feuchtigkeit hart und rissig geworden war, und gab es dem mittleren Grafensohn Howus mit der frommen Bitte, es in der hiesigen Kürschnerei wieder in Form bringen zu lassen. Unterdessen sah ich mir aus reiner Neugier und ohne ein bestimmtes Interesse die hervorragenden Arbeiten des Pilegrinus und seiner hochverehrten Brüder aus dem Kloster Altahens an. Unter den Urkunden fanden sich neuere Originale von Schenkungen und zweierlei Privilegien, die zu ihrer Beglaubigung an den Kaiserhof geführt werden sollten, aber auch wundervolle Abschriften älterer Urkunden und Schriften, die mit einiger Kunstfertigkeit und mit besonders schönem Striche hergestellt worden waren. Einige davon erregten mein besonderes Interesse, weil ich zu meiner größten Erbauung darin Ereignisse beschrieben fand, deren Zeuge meine geringe Person, Bischof Liutprand von Cremona, selbst gewesen war.

An einer Stelle jedoch geriet ich ins Staunen. Zu meinen Füßen lag die Abschrift einer vom großen Kaiser Karolus höchst selbst beglaubigten Urkunde, mit welcher er dem ehrwürdigen Bischof Liudger im Jahre 802 unseres Herrn einen großen Besitz am Ufer des Flusses Lippe schenkte und ihm erlaubte, daselbst ein Kloster zu gründen. Das Pergament, auf dem sie geschrieben war, war im Magathaburger Schnitt gehalten, was bedeutete, dass die Ecken, die den vier Gliedmaßen des ursprünglichen Tieres entsprachen, dreieckig geschnitten waren. Dies tat man vor allem im Norden des Reiches, um die harten Hornreste der Klauen zu entfernen, die die darunter und darüber liegenden Pergamentbögen zu beschädigen drohten.

Aber in der Urkunde schien das eine nicht zum anderen passen zu wollen.

So bemerkte ich, wie inmitten des wohlgeformten Textes die Schrift wechselte, aber nicht in der Art, wie wenn man den Schreiber austauschte, sondern eher so, wie es passierte, wenn man mit Mühe seine Schrift verstellte und die Last der alten Gewohnheit wieder durchkäme. Anfangs gleiche Buchstaben bekamen nun auffällige Ober- und Unterlängen, die Schrift wurde gerader und weniger schön gestochen. Der Schreiber schien es am Schlusse sehr eilig gehabt zu haben und ließ jegliche Mühe, seine falsche und gottlose Absicht zu vertuschen, immer mehr fallen.

Das Wachssiegel indes, welches dem Pergament zugegeben war, zeigte statt der Insignien des großen Kaisers Karolus diejenigen seines Enkelsohnes, ebenfalls mit Namen Karolus, aber weit geringer von Rang und Ruhm, was dem Siegelschneider in der Vielzahl der zu beachtenden Umstände offenbar entgangen war. Was aber am schwersten wog und mich in meiner Anmutung bestätigte, dass es sich bei dieser Urkunde nur um ein Falsifikat handeln könne, war ein besonderer Umstand, den der anonyme Schreiber aus eigenem Erleben nicht hatte wissen können. Ich hingegen, der einen großen und wichtigen Teil meines Lebens, aus vielerlei wertvollen Quellen gespeist, mit der Geschichte großer Herren und dem Bericht über die Ereignisse der letzten zweihundert Jahre verbracht hatte, wusste nur gut Bescheid um den ehrwürdigen Abt Liudger von Werden und dass er in dem besagten Jahre noch kein Bischof in Monasterium gewesen sein konnte, sondern erst drei Jahre später, wie es bezeugt ist.

Ich fand ein weiteres Pergament im Magathaburger Schnitt mit einigen Beschädigungen am Rande, die wohl durch das Liegen im Wasser entstanden sein mochten. Nachdem ich einige Mühe darauf verwendet hatte, die schadhaften Stellen auszubessern, entdeckte ich, dass bereits vor mir jemand an einigen wichtigen Passagen gekratzt hatte, um sie daraufhin mit eigener, noch geradezu andersfarbiger Tinte zu überschreiben. Leider gelang es mir nicht mehr, festzustellen, was genau an den betreffenden Stellen entfernt worden war, jedoch bin ich mir sicher, dass es mehr gewesen sein musste, als die allfällige Anrufung Christi oder die Lobpreisung des Herrn. Die in jenem Pergament benannten adligen Herren, es waren vier an der Zahl, waren vom Großen und Frommen Kaiser höchst selbst mit hohen Steuerprivilegien ausgestattet worden.

Die Frage, die ich mir nun stellen musste, war, ob der ehrwürdige Bruder Pilegrinus von Batavis das Opfer von Verschwörungen geworden war oder ob er selbst ein Interesse am Zustandekommen ebendieser falschen Beurkundungen oder Privilegien hatte.

Mein Schüler Franco, der auf dem Wege der Genesung war, klopfte an die Tür meiner Kammer und ich forderte ihn auf, eilends hereinzukommen. Nach einer für ihn sehr anstrengenden Woche war er sichtlich abgemagert und sah matt und schläfrig aus. Er hielt eine Decke über seinen Schultern mit beiden Händen zusammen, als fröstele ihn, obwohl es drinnen wie draußen angenehm warm war. Ich hieß ihn, sich zu mir zu setzen, rückte einige Kerzen in seine Nähe, um ihn weiter zu wärmen, und breitete meine Entdeckung zu seinen Füßen aus.

„Sieh nur, mein lieber Franco, was ich gefunden habe“, sagte ich mit einiger Euphorie und lenkte seinen Blick auf das verschobene Zeichen am linken unteren Rand des kaiserlichen Privilegiums, welches einen Blick auf das darunterliegende und mit einer harten Nadel weggekratzte Zeichen erlaubte.

Seine Abgeschlagenheit war mit einem Male wie fortgeblasen und von wachem Interesse ersetzt. Er kniete neben mir nieder und untersuchte die besagten Stellen mit größter Gründlichkeit. Daraufhin zeigte ich dem Jungen auch die falsche Urkunde des Abtes Liudger und erläuterte ihm in allen Einzelheiten, woran ich die Fälschung ausmachen konnte. Franco schien auch daran sehr interessiert und erkundigte sich sehr gut im Detail nach der Art und Weise, wie die Siegel geschnitten werden, und ebenso nach den Veränderungen in der Färbung der Tinte, wenn man ihr bestimmte Beimengungen zumischte.

Ich war sehr froh, einen so aufmerksamen und wissbegierigen Schüler an meiner Seite zu haben, und beantwortete ihm jede seiner Fragen so gut und so ausführlich, wie ich es nur vermochte.

Aber neben all den geheimnisvollen und verschwörerischen Dingen, die die Pergamentrollen zu unseren Füßen noch vor uns verbergen mochten, interessierte mich brennend auch eine andere Frage. Ich war voller Ungeduld, sie endlich stellen zu können, da seine Genesung so gut vorangeschritten war.

„Warum hast Du das getan?“, fragte ich geradeheraus, während ich die Urkunden scheinbar nach weiteren Wasserspuren untersuchte.

„Meister?“

Ich deutete auf den seidenen Mantel, der zwischen zwei eisernen Haken an der Wand gespannt war. Franco stockte unsicher.

„Wolltet Ihr ihn denn nicht haben?“

„Habe ich das gesagt?“

„Ja, Ihr sagtet, dass Ihr ihn schon in Konstantinopel begehrtet und nicht bekommen konntet. Ihr habt ihn gewollt – ich habe ihn Euch geholt. Was ist daran schlecht, Meister Liuzo?“

Ich schluckte. Eine solche Antwort hatte ich nicht erwartet. Offenbar kam meine Frage für ihn wenig überraschend.

„Du hättest bei dem Versuch sterben können, Franco!“

„Aber habt Ihr nicht auch gesagt, dass wirkliches Begehren jede nur erdenkliche Mühe wert ist?“, erwiderte er.

Ich überlegte einen Moment und wandte mich ihm dann mit ernster und zugleich besorgter Stimme zu.

„Begehren sagst Du, mein lieber Junge? Aber meinst Du es auch so?“

„Natürlich!“, antwortete er ohne Zögern.

Ich wog den Kopf, um ihm Zeit zu geben, seine Antwort noch einmal zu überdenken. Doch war er scheinbar in einer engen Gasse festgefahren.

„Hmm. Was begehren wir denn?", wandte ich ein und erhob meine Stimme ein wenig. "Wir Männer des Glaubens begehren keine weltlichen Dinge, Franco. Unser Begehren richtet sich auf die geistigen Werte, wir begehren nach Erlösung oder nach dem Himmelreich. Darauf richtet sich unser Begehr und dieses Begehren ist tatsächlich, wie Du schon richtig gesagt hast, jede nur erdenkliche Mühe wert.“

Franco schwieg eine Weile und ging dann langsam hinüber zum Mantel.

„Ich begehre vielerlei Dinge, verehrter Meister, sowohl geistige als auch weltliche. Aber für den Moment genügte mir eine Antwort von Euch", sagte er unbeirrt und in einem etwas zu forschen Tonfalle, während er den feinen Stoff zwischen den Fingern rieb.

"Welche?"

"Werdet Ihr den Mantel nun tragen oder nicht?“

Der Mantel hatte die lange Wässerung nicht gut überstanden. Er war schrumpelig geworden und hatte weiße Ränder bekommen, wo das Wasser getrocknet war. Unmöglich hätte ich ihn in diesem Zustande tragen können.

Ich hatte die Antwort für Franco schon auf der Zunge – und ich wusste, dass sie ihm nicht gefallen würde. Aber ich brachte es nicht fertig, ihm diese Enttäuschung zuzufügen.

„Ja, so der Herr will, werde ich …“, log ich deshalb.

Der Herr möge mir meine Lüge dereinst verzeihen.

Unten im Burghof war plötzlich das Klappern von beschlagenen Pferdehufen zu hören und kürzte meine Qual ein wenig ab. Ein Reiter in rotem Mantel, es mochte der gleiche Mann gewesen sein, den ich drei Tage zuvor als Boten gesehen hatte, kam zum Tore hinein und verlangte, dass alle verfügbaren Männer der Wache und alle Handwerksgesellen sich mit ihm zusammen am Fuße des Berges einfinden sollen. Dann ritt er wieder zum Tore hinaus. Nun, da wir interessiert waren zu erfahren, was die Männer am Fuße des Berges erwartete, suchten wir für uns einen besseren Platz im Turme, von wo aus wir den Anfang des steilen Weges gut überblicken konnten. Unten stand eine Reihe Wagen und Kutschen, allesamt mit zwei Pferden bespannt. Ich zählte wohl ein Dutzend von ihnen ab, die darauf warteten, den eng geschwungenen Pfad mit Pferdekraft gezogen und zugleich mit vielfacher Manneskraft hinaufgeschoben zu werden.

Schon begannen die Männer des ersten Wagens damit, die Tiere mit ihren langen Peitschen und mit derben Worten kräftig anzutreiben. Die Pferde wussten wohl, welche Anstrengung ihnen auf dem letzten Wegstück bevorstand, und scheuten vor der Aufgabe zurück, sodass die Männer sie mit noch größerer Wut peitschten und anschrien. Langsam setzte sich das erste Gefährt in Bewegung und rappelte hinauf, gefolgt von dem zweiten und dritten und so weiter bis zum letzten Wagen. Sie alle versammelten sich im Burghofe, wurden miteinander verkeilt und hernach ausgeladen. Was ich hier an Vorräten, Wein, Bier, teuren Gewändern und sonstigen Dingen sah, ließ mein Herz sogleich in schönster Vorfreude schneller schlagen.

Alsbald erfuhr ich auch, welch hohen Gast das göttliche Schicksal in diesen Tagen auf die Feste Vossberg geführt hatte. Es war der junge König Otto, der in Begleitung seines Onkels Brun, dem hocheiligen und ehrwürdigsten Erzbischof von Colonia, und Wilhelm, dem ältesten Sohne des Kaisers und als Erzbischof von Mogontia ein nicht minder ehrwürdiger und heiliger Mann, reiste. Die hohen Herren, vor denen ich den allergrößten Respekt bekundete, wurden von einer Reihe weiterer Würdenträger begleitet, die ihren Beraterstab bildeten; außerdem reisten zwei von der edlen Kaiserin Adelheid höchst selbst erwählte Kindermädchen und ein ganzer Tross Königlicher Bediensteter und Soldaten mit, zusammen wohl an die drei Dutzend Personen.

Der junge König, er mochte wohl elf oder zwölf Jahre gewesen sein, stieg aus seinem hochherrschaftlichen Wagen, gefolgt von zwei dunkelhaarigen Mädchen, die wir vor gar nicht langer Zeit schon einmal gesehen hatten. Francos Züge erhellten sich augenblicklich, als er sie erblickte, aber schon der Umstand, dass ich dieses an ihm bemerkte, schien ihm aus einem geheimen Grunde Unbehagen zu bereiten.

Die Mädchen, sie mochten etwas älter als Otto, aber jünger als Franco gewesen sein, waren die Töchter des Berengar und der Willa, ebenjene, die Kaiser Otto bei seiner Abreise aus Pavia im Gefolge geführt hatte. Nun waren sie auf freiem Fuße und offensichtlich guter Dinge. Noch bemerkten sie den auf sie hinabstarrenden Jungen im Turmfenster nicht, indes sie neugierig und mit unverhohlener Freude ihre vorübergehende Wohnstatt in Besitz nahmen. Franco drängte es ganz plötzlich fort von mir, und obwohl ich ihn, seiner noch immer nicht guten Gesundheit wegen, davon abzuhalten versuchte, warf er die Decke von seinen Schultern und stürmte die gewundene Treppe hinunter in den Burghof.

Es dauerte nicht allzu lange, dann hatte er sich mit dem jungen König Otto, dem jüngsten Grafensohn Danilus, ebenso wie mit den beiden Mädchen (sie hießen Oda und Rosvith) befreundet und tollte mit ihnen herum, dass es mir und den anderen eine Freude war.

Die ersten Tage nach der Ankunft der Königlichen Abordnung waren die schönsten, die ich seit dem kaiserlichen Besuch in meinem Hause in Cremona erlebte, und die erfreulichsten in der Fremde überhaupt. Gar trefflich und mit viel Verstand disputierte ich mit Brun, dem Bruder des Kaisers, der ein sehr gebildeter Mann war und der, wäre nicht Otto der Kaiser, allein genug Würde und Charakter offenbarte, um ein so hohes und heiliges Amt in bestem Sinne auszukleiden. Mit großer Beglückung und außerordentlichem Behagen erinnere ich mich zurück an Tage und Abende in hervorragender, erlauchter Gesellschaft bei Wein und Gesang, bei Tanz und Gesprächen und allerlei Kurzweil, die Graf Meik und seine liebe Gemahlin für uns arrangierten. Alle waren einander wohl gesonnen, es gab weder Streitereien noch Intrigen, die uns die Stimmung hätten verderben können. Alles war so, wie ich es mir immer erträumt hatte: eine festliche Gesellschaft von freundlichen, klugen, erhabenen und gut gekleideten Menschen, ein Symposium der schönen Gedanken, der Kunst und der vollendeten Harmonie.

Franco, der schon durch sein Alter und seine Größe hervorstach, hatte alsbald die Führung in der Gruppe übernommen und bestimmte die anderen vier ohne viel Mühe. Der junge Otto und Danilus, Meiks Sohn, waren einen halben Kopf kleiner als er und zeigten gebührlichen Respekt vor seiner körperlichen Kraft. Oda und Rosvith wichen nicht von seiner Seite, wohl, weil sie sich bei ihm gut und beschützt fühlten. Immer öfter entzogen sie sich, natürlich auf Francos Vorschlag hin, den aufmerksamen und mahnenden Blicken der Kindermädchen, wobei sie nicht wenig Einfallsreichtum zeigten und immer neue Fluchtwege und Verstecke fanden.

Nach einiger Zeit bemerkten die Kinderfrauen, zu denen sich inzwischen noch zwei Kammerdienerinnen der Frau Gräfin gesellt hatten, dass sich die Mädchen immer öfter fernhielten von den Jungen und ihre Gesellschaft mieden, wenn es ihnen möglich war. Auch dem übrigen Personal und meiner geringen Person war dieses nicht verborgen geblieben, wobei ich mir jedoch einbildete, erkannt zu haben, dass sich deren scheinbare Abneigung nicht in gleichem Maße auf alle drei Jungen bezog, sondern sich vielmehr gegen meinen Schüler Franco allein richtete.

Ich teilte meine Vermutung mit den Kinderfrauen und fand sie derart bestätigt, dass mir zwei von ihnen und einige der Diener zustimmten. Oda und Rosvith wurden hierzu befragt, aber sie mochten nicht sagen, welches Verhalten sie verstimmt hatte, und auch nicht, ob es wegen Franco oder wegen König Otto oder wegen Danilus war.

Hildegard, die Älteste unter den Kinderfrauen, schien dennoch zu wissen, was die Mädchen bedrückte. Sie nahm mich im Geheimen beiseite und sagte mir, dass einer der Wachleute ihr erzählt habe, wie er den Franco und die Oda beim Spielen am Flusse beobachtet habe und wie er gesehen habe, dass der Franco erst der Oda und dann der Rosvith in unzüchtiger Weise an die Röcke gegangen sei. Der junge König Otto habe dabei nur zugesehen, aber nichts Eigenes unternommen, woraufhin der gleiche Wachmann die Kinderfrauen gerufen und hinunter an den Fluss geschickt habe, um die Oda und die Rosvith zu beschützen. Da aber der Franco schon längst von ihnen abgelassen hatte und sich mit dem Otto auf der Burg versteckte, konnte man ihm hier nichts nachweisen.

Nachdem Erzbischof Brun, der gute Meik und ich selbst den Franco in einer ernsten Disputation zur Ordnung gerufen hatten, beruhigten sich die Dinge wieder.

Unterdessen bereiteten mir die Urkunden des Pilegrinus, die er mir hinterlassen hatte und auf die ich ein eidliches Versprechen gegeben hatte, größere Sorge. Meine Seele war gespalten zwischen dem gegebenen Eid und meinem eigenen Gewissen. Konnte ich diese Urkunden, nachdem ich nun erkannt hatte, dass es sich bei zweien um plumpe Fälschungen handelte, dem Heiligen Kaiser noch mit guter Miene zur Bestätigung vorlegen oder wenigstens so tun, als dass ich nicht wüsste, dass sie nicht echt seien, auch wenn sie sodann nur ein kleiner, aber falscher Teil des kaiserlichen Archivars würden? War ich nicht geradeheraus verpflichtet, mich diesem Unrecht, so klein und unbedeutend es letztendlich auch sein mochte, in den Weg zu stellen und den Heiligen Kaiser vor einer schmutzigen Verschwörung zu beschützen?

Im Burghof bellte ein Hund, jedoch klang sein Bellen unnatürlich und seltsam vergrämt, so dass ich mich genötigt fühlte, von meinen Überlegungen abzugehen, um am Fenster nachzusehen. Nur ein undeutlich grummelndes Gefühl im Bauch sagte mir, dass etwas nicht stimmte. Was ich jedoch dort unten erblickte, war peinlicher als alle falschen Urkunden zusammen, törichter als Francos jugendliche Neckereien und weitaus verhängnisvoller, als ich mir zu diesem Zeitpunkt auszumalen vermochte. Es ist nicht übertrieben zu sagen (und der geschätzte Leser weiß, dass ich nicht eben zur Übertreibung neige), dass dieses Ereignis mein eigenes und meines Schülers geringes Leben fortan auf das Nachhaltigste beeinflusste und gröbste Folgen an uns bewirkte.

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