Kitabı oku: «Sentry - Die Jack Schilt Saga», sayfa 14

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Laurussia hieß uns wenig willkommen.

Wir waren zeitig aufgebrochen, in der kühnen Absicht, die Hyperion Bay noch vor der Abenddämmerung zu erreichen. Anfangs sah es auch ganz danach aus, als würden wir es schaffen. Das Dickicht, das den Skelettfluss wie ein grüner Panzer umgab, lichtete sich alsbald, und ich konnte endlich mit Schneisenschlagen aufhören.

Wir erreichten einen Dschungel aus riesigen Bäumen, deren Kronen weit über unseren Köpfen ein undurchdringliches Dach bildeten. Nicht ein Sonnenstrahl berührte den trockenen, festen Boden. Niedere Vegetation hatte keine Möglichkeit zur Entfaltung und konnte uns somit das Vorankommen nicht erschweren. Entsprechend unfruchtbar und darüber hinaus überraschend still präsentierte sich der Forst, den Luke passend „Schweigenden Wald“ taufte. Nur hier und da erklang der traurige Ruf eines einsamen Vogels.

Wir wanderten zügig durch dieses düstere Labyrinth aus unzähligen kahlen, dicht mit Moos bewachsenen Stämmen, die sich uns breit wie Häuser entgegenstellten. So gut wie unter diesen Umständen möglich versuchten wir südöstlichen Kurs zu halten.

Stunden später wurde das Gelände hügeliger. Die Urwaldriesen nahmen ab, aufdringliches Dickicht in gleichem Maße zu. Viel zu früh kamen wir mit stark gedrosselter Geschwindigkeit nur noch erneut wild um uns schlagend vorwärts. Der Flurschaden, den wir hinterließen, würde noch wochenlang zu sehen sein. Wir wechselten einander mit Schneisenschlagen ab, doch schien die kräftezehrende Tortur kein Ende nehmen zu wollen.

Nach weiteren Stunden der Verzweiflung änderte sich das Terrain abrupt. Steil ging es plötzlich bergan, unerwartet steil. Ein Vorwärtskommen aufrechten Ganges gestaltete sich gerade noch möglich, oftmals jedoch nur unter Zuhilfenahme beider Hände. Einen Vorteil barg die Veränderung: Strauchwerk und Gestrüpp zogen sich zurück. Endlich standen wir auf der überwiegend kahlen Kuppe eines ansehnlichen Hügels, der eine herrliche Rundumsicht bot.

„Himmel, was für ein Ausblick!“ Luke sprach mir aus der Seele.

Der Blick zurück ließ sich nur schwer beschreiben. Die Kronen der Baumriesen, die der Hügel nur knapp überragte, bildeten einen schnurgeraden, überdimensionalen Teppich aus allen erdenklichen Grüntönen soweit das Auge reichte. Hier und da hingen zerbrechlich wirkende Nebelschwaden über dem Blätterdach. So etwas hatten wir drei Reisenden noch nicht gesehen, entsprechend nachhaltig ergriff uns dieser majestätische Anblick.

„Und da haben wir uns durchgekämpft?“ Krister kratzte sich nachdenklich an der Schläfe. „Kaum zu glauben.“

Den Blick nach vorne gerichtet ging es weiter durch unebenes, hügeliges Gelände. Die Vegetation passte sich den veränderten Gegebenheiten an. Gedrungenere Bäume beherrschten das Landschaftsbild. Buschwerk hielt sich in Grenzen. Wir konnten endlich anständig marschieren, auch wenn ich mich mit dem ewigen Auf und Ab wenig anfreunden wollte.

Irgendwann meinte Luke: „Findet ihr nicht auch, dass diese Hügel auf merkwürdige Weise künstlich aussehen?“

Jetzt wo er es aussprach, fiel mir ein, ähnliches auch schon beiläufig gedacht zu haben. Nur hatte ich dem keine Wichtigkeit beigemessen. In Gedanken befand ich mich schon in Hyperion, wo ich meinen Bruder aufzuspüren beabsichtigte. Eine leise Ahnung verriet mir, ihn dort nicht zu finden, ein momentaner Eindruck, der durchaus falsch sein konnte... doch ich hatte bereits sehr wohl gelernt, spontanen Eingebungen in gewissem Maße zu vertrauen.

„Sie wirken unnatürlich ebenmäßig, nicht wahr? Würde mich nicht wundern, wenn auf ihnen Schafe weideten. Der dort drüben hat auch eine viel zu flache Kuppe, um echt zu sein.“ Luke deutete auf eine mit Gräsern und niedrigem Gesträuch bewachsene Erhebung zu unserer Linken, keine zehn Meter hoch.

Wir verweilten einen Augenblick und begutachteten sie eindringlicher. Bei genauerem Hinsehen blieb keine andere Wahl, als ihren unnatürlichen Ursprung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit akzeptieren zu müssen.

„Merkwürdig“, fand nun auch Krister. „Sieht aus wie irgendwann einmal in jahrelanger Arbeit aufgeschaufelt. Aber wer um alles in der Welt sollte hier im Niemandsland Hügel bauen? Und wozu?“

„Und nicht nur einen“, gab ich zu bedenken. „So wie es aussieht, gibt es davon viele mehr.“

„Vielleicht waren es die Uhleb“, meinte Luke plötzlich und setzte damit ein Räderwerk in meinem Kopf in Bewegung. Was hatte ich nicht alles über dieses ausgestorbene Urvolk Gondwanas in den Aufzeichnungen von Radan gefunden? War es ihnen nicht gelungen, auch das spätere Aotearoa zu besiedeln? Wenn dies stimmte, musste sich ihr Land einst von Ithra bis Otago erstreckt haben. Demnach war Laurussia ein zentraler Bestandteil ihres Reiches gewesen. Ich musste Luke Recht geben. Es konnten in der Tat die Uhleb gewesen sein. Aber zu welchem Zweck?

Unseren Weg fortsetzend kamen wir aus dem Staunen nicht mehr heraus. Hügel an Hügel soweit das Auge reichte. Aus manchen wuchsen wuchtige alte Bäume in merkwürdig anmutender Symmetrie, was nur einen Schluss zuließ: sie mussten einst angepflanzt worden sein. Andere wiederum zeigten sich in trostlos kahlem Zustand und kaum bewachsen.

„Sieht nicht nach Verteidigungswällen oder ähnlichem aus, dazu befinden sich die Dinger zu weit auseinander“, äußerte sich Krister. „Wer oder was auch immer das ganze Gebiet hier umgepflügt hat, ich sehe keinen Sinn dahinter.“

„Jedenfalls keinen offensichtlichen, um ihren ursprünglichen Zweck zu erkennen“, meinte ich. „Wer weiß, wann sie aufgeschüttet wurden, womöglich schon vor Jahrhunderten, wenn es die Uhleb oder ein anderes Urvolk waren.“

Es dauerte nicht sehr lange und wir hatten die Existenz der rätselhaften Geländeerhebungen akzeptiert. Damit entschwanden sie auch mehr oder weniger aus der Wahrnehmung und ich schrieb ihnen nur noch untergeordnete Bedeutung zu.

Ein weiteres Rätsel erwartete uns kurze Zeit später. Wir erreichten das Ufer eines dunklen Sees und guckten sprichwörtlich dumm aus der Wäsche. Es lag dabei weniger an der Tatsache, vor einem nicht kartographierten Gewässer zu stehen, als an den eigenartigen Schloten die zu Dutzenden aus seinen Tiefen aufstiegen und meterhoch aus dem Wasser ragten. In der Tat ein höchst eigenwilliges Bild, das sich uns bot.

„Was ist das denn?“ brach Krister schließlich das staunende Schweigen. „Eine weitere wilde Laune von Mutter Natur?“

„Ich wünschte ich wüsste es“, gab ich zur Antwort, ohne den Blick von den merkwürdigen Gebilden abwenden zu können. „Sieht meiner Meinung nach auch nicht unbedingt so aus, als seien sie auf natürliche Weise entstanden.“

Noch nie hatte ich etwas Vergleichbares gesehen. Würde es sich nur um eine Handvoll Schlote gehandelt haben, hätte der Betrachter zwar auch keine plausiblere Erklärung gefunden, die Existenz dieses Phänomens allerdings leichter hingenommen. Doch es handelte sich um viele, vermutlich an die hundert. Eine Erklärung hierfür ließ sich nicht so einfach aus dem Hut zaubern.

„Sie sind unterschiedlich hoch“, stellte Luke fest. „Womöglich vulkanischen Ursprungs.“

„Und ungleich dick“, fügte Krister hinzu. „Auf den ersten Blick würde ich sagen, sie sind alle einzigartig. Keiner gleicht dem anderen. Das sehe ich mir näher an.“

„Was hast du vor?“

„Nach was sieht es aus?“ Krister entkleidete sich und schlüpfte aus seinen Stiefeln.

„Du willst doch wohl nicht da hinausschwimmen?“

„Warum nicht? Das Wasser wird angenehm warm sein. Ein Bad könnte dir auch nicht schaden, Jack. Seit wie vielen Tagen haben wir uns nicht mehr gewaschen? Es ist an der Zeit, wir muffeln ja schon wie eine Hammelherde. Und ganz nebenbei lüften wir vielleicht sogar das Rätsel dieses geheimnisvollen Sees.“

Luke warf bereitwillig den Rucksack ab. „Ich komme mit!“

Krister zuckte mit den Achseln. „Meinetwegen. Was ist mit dir, Jack?“

Ein reinigendes Bad stellte natürlich eine Verlockung dar und nicht nur eine willkommene Entschuldigung, sich unter Umständen in unnötige Gefahr zu begeben. Geheuer war mir dieser Tümpel dunklen Wassers nicht, aber auch meine Neugierde meldete sich nun zu Wort – und ihr zu widerstehen hatte sich von jeher als schwierig erwiesen.

„Gehen wir baden!“

Der See war damit einstimmig freigegeben.

Krister warf sich als erster in die wie vorhergesehen angenehm temperierten Fluten und kraulte mit kräftigen Arm- und Beinschlägen voraus. Baden stand offensichtlich nicht im Vordergrund seines Interesses. Er wollte so schnell wie möglich einen der kuriosen Schlote erreichen. Ich nahm die Verfolgung auf, konnte seinen Vorsprung jedoch nicht aufholen. Krister war und blieb der bessere Schwimmer von uns beiden. Erstaunt stellte ich fest, immer noch Boden unter den Fußsohlen zu spüren. Als tief konnte dieses Gewässer durchaus nicht bezeichnet werden. Selbst hier in seiner Mitte vermochte ich noch bequem zu stehen.

Mit gedämpftem Triumphgeheul (wir hatten vereinbart, aus Sicherheitsgründen so wenige Geräusche wie nur möglich zu verursachen) erreichte Krister den ersten Schlot, klammerte sich mit der Rechten daran fest und schickte die linke Faust gen Himmel. Im nächsten Moment schraubte er seinen Oberkörper aus dem Wasser und begann mit der Eroberung. Jetzt, mit dem an ihm hochkletternden Krister, wirkte das Objekt unserer Begierde längst nicht mehr so beeindruckend wie noch aus der Distanz.

„Das Ding ist hohl“, hörte ich ihn rufen, noch bevor ich heran war.

Hohl... das klang interessant.

„Was siehst du?“

Krister thronte in fünf Metern Höhe auf der Spitze des Schlotes wie auf einem Hochsitz. Gebannt spähte er in sein Inneres. „Komm hoch und sieh selbst.“

Das tat ich. Vielleicht nicht ganz so geschickt, aber gleichwohl behände genug um mich nicht schämen zu müssen. Welche Art Gestein mochte es sein, das ich da unter meinen Händen und Füßen spürte? Seine raue, rostbraune Oberfläche wies violett glänzende Einschlüsse auf, die wie eingelassene Edelsteine funkelten. Zudem fühlte es sich fremdartig an, unerklärbar anders. Mir wurde klar, Material wie dieses noch nie berührt zu haben.

„Tuffstein! Das habe ich mir gedacht!“

„Spiel dich nicht auf“, wies Krister Luke sogleich zurecht. Beharrlich missfiel es dem Älteren, wenn der Jüngere Erklärungen für rätselhafte Erscheinungen so offensichtlich mühelos aus dem Handgelenk schüttelte. „Was erfindest du da für alberne Namen?“

„Es ist Tuffstein“, protestierte Luke mit ebenso unvermeidlich gekränkter Stimme. „Mit relativ hohem Quarzanteil, wie man sehr deutlich sehen kann. Ich tippe auf Rosenquarz.“

„Ich tippe auf Rosenquarz“, äffte Krister seinen Halbbruder im Flüsterton nach und zog dabei eine geringschätzige Grimasse wie nur er es konnte. Ich musste lachen. Die beiden würden sich wahrscheinlich noch im Angesicht des Todes die Köpfe einschlagen. Ich glaubte Luke ohne zu zögern und zwinkerte ihm anerkennend zu, war allerdings nicht sicher, ob er die lautlose Geste bemerkte. Ich nahm mir vor, ihm meine Achtung vor seinem Wissensschatz bei der nächstbesten Gelegenheit endlich einmal in Worten kundzutun.

Die Öffnung des Trichters erwies sich als viel zu klein, um hineinzuklettern. Im Innern herrschte zudem Dunkelheit, nichts ließ sich von oben erkennen. Ein in die Tiefe geworfener Kiesel, den ich Luke bat hochzuwerfen, schlug nach nur wenigen Sekunden auf. Das hatte ich eigentlich nicht erwartet.

„Tief geht es nicht hinunter. Merkwürdig. Das Gegenteil wäre mir logischer erschienen.“

„Vielleicht haben wir bei einem anderen Schlot mehr Erfolg. Der dort drüben sieht größer aus.“

Und noch bevor ich etwas dazu bemerken konnte, war Krister schon gesprungen. Schlot Nummer zwei entpuppte sich ebenfalls als Enttäuschung. Er wies zwar eine deutlich größere Öffnung auf, dennoch gelang es keinem von uns, sich hineinzuzwängen. Der Kieseltest bestätigte auch hier eine nur geringe Tiefe. Wissbegierig untersuchten wir drei weitere Türme mit demselben Ergebnis und gaben es dann auf. Mochte dieses Geheimnis weiterhin eines bleiben, es war mir gleich. Zwei Erkenntnisse jedoch hatten sich herauskristallisiert: Die Schlote wiesen ähnliche Tiefen auf, was immer dies auch zu bedeuten hatte. Und sie befanden sich eindeutig in einem tiefen, wenn nicht im tiefsten Teil des Sees.

„Welch mysteriöses Land“, resümierte Luke nach unserer Rückkehr ans trockene Ufer. „Erst diese rätselhaften Hügel und nun ein geheimnisvoller See. Ich frage mich, was wir als nächstes zu sehen bekommen.“

Was uns in den kommenden Tagen erwartete, sollte alles bis dahin Gesehene weit in den Schatten stellen.

09 LAVONIA

Auf uns wartete zunächst wieder ein alter Bekannter, auf den ich gut und gern verzichtet hätte: tiefer, oftmals undurchdringlicher Dschungel. Das große Schneisenschlagen setzte wieder ein. Ein ums andere Mal dankte ich meiner Eingebung, den Eisenstab mitgenommen zu haben. Seine unschätzbaren Dienste standen in keinem Verhältnis zu der geringen Belastung, ihn mit mir herumzuschleppen. Wenig Ahnung hatte ich zu dieser Zeit noch, dass Schneisenschlagen nur einen verschwindend kleinen Teil der Fähigkeiten darstellte, die in ihm ruhten.

Der neue Tag kündigte Regen an. Eine Wetteränderung hatte sich bereits unmissverständlich am Vorabend angekündigt. Rabenschwarze Wolken waren noch vor der Dämmerung von Osten kommend ins Land gezogen.

In der Nacht zuckten die ersten Blitze, deren greller Schein den dunklen Wald für Bruchteile von Sekunden gespenstisch erhellte. Für einen Augenblick sah ich die mehr oder weniger abgebrühten Gesichter meiner Gefährten in blaues Licht getaucht, bevor der finstere Vorhang wieder fiel. Entferntes Donnergrollen drang bedrohlich an unsere Ohren. Drückende, feuchtheiße Luft lastete wie unerträgliches Gewicht auf unseren Schultern. Sogar den schier unermüdlichen Moskitos war es wohl zu heiß, sie stellten in dieser stickigen Nacht die Jagd auf uns ein.

In Schweiß gebadet lag ich teilnahmslos auf meiner Decke und sandte den Blick hinauf in das Dach des Waldes. Hin und wieder von gleißendem Licht durchzuckt, gab es bizarre Einzelheiten preis. Lange konnte es nicht mehr dauern, bis sich die Schleusen öffneten. Der Wind trug den schweren Geruch des Regens bereits mit sich.

Unter einem ausladenden Farnbaum hatten wir das Lager aufgeschlagen, dessen unbestreitbar dichtes Blattwerk mir bald nicht mehr als Ideallösung erschien. Für einen Standortwechsel war es allerdings zu spät. Wir mussten wohl oder übel an Ort und Stelle verweilen und das Beste hoffen. Tatsächlich fielen die ersten dicken Tropfen erst bei Morgengrauen, so war uns eine trockene, wenn auch durch die feuchte Hitze schwer beeinträchtigte Nachtruhe zuteil geworden. Geräuschvoll gleich winzigen Bomben kollidierten sie mit dem immensen Blätterdach über unseren Köpfen. Von überall her setzte Vogelgesang ein. Die Waldtiere begrüßten mit Erleichterung den Wetterumschwung. Das monotone Summen von Abertausenden Zikaden steigerte sich in ekstatische Höhen. Es dauerte eine Zeitlang, bis der Regen das Blattwerk penetrierte und den dürstenden Waldboden erreichte. Dann allerdings prasselte er unkontrolliert hernieder, ein unausweichliches Bombardement, dem zu entgehen wir keine Chance hatten.

Mit dem aufkommenden Wind sank die Temperatur spürbar. Die Kronen der Bäume gerieten mächtig in Aufregung, als der Sturm wie ein Berserker durch das Astwerk peitschte. Schon stürzten erste Äste, die dem Sturm im Blätterdach nicht länger trotzen konnten, geräuschvoll herab.

Wir kämpften uns mehr schlecht als recht voran. Das spärliche Tageslicht, durch die tief hängenden Gewitterwolken noch gedämpfter als sonst, machte eine Orientierung so gut wie unmöglich. Bis auf die Haut durchnässt, von fallenden Objekten bedroht, über Wurzeln und Schlingpflanzen stolpernd, hielten wir vor uns hin fluchend eine gewisse Zeit durch. Doch es dauerte nicht sehr lange, bis klar wurde, dem Unwetter nicht davonlaufen zu können.

Im Inneren eines absterbenden Baumriesens fanden wir endlich Zuflucht. Die untere Hälfte seines wuchtigen Stammes präsentierte sich hohl und auf den ersten Blick fragil. Wie es dem Baum gelang, sich in diesem Zustand gegen Wind und Wetter zu behaupten, blieb ein Rätsel. Dankbar nahmen wir den Unterschlupf an und kauerten uns in seinem muffig riechenden Inneren zusammen, während sich der sintflutartige Wolkenbruch weiter und weiter steigerte. Der Lärmpegel schwoll derart an, dass wir unser eigenes Wort nicht mehr verstanden. Dankbar ob der Tatsache in diesem naturgewaltigen Durcheinander überhaupt einen einigermaßen trockenen Platz gefunden zu haben, hockten wir da und sahen zu, wie die Welt um uns herum versank.

Stunden vergingen. Wiederholt hörte es sich so an, als ließe der Niederschlag nach, doch handelte es sich nur um eine kurze Atempause. Wir mussten uns wohl oder übel damit abfinden, noch ein wenig länger im Inneren des Baumes auszuhalten.

„Wie lange sitzen wir jetzt schon hier fest?“ hörte ich irgendwann Lukes unglückliche Stimme. „Ist schon wieder Nacht?“

Ich zuckte mit den Achseln. Es würde mich nicht gewundert haben, wenn sich der Tag bereits wieder dem Ende zuneigte. Genügend Platz zum Schlafen bot unsere Notunterkunft jedenfalls nicht, soviel stand fest. Mir graute nicht wirklich davor, die Nacht sitzend zu verbringen, aber es wollte mir auch nicht gelingen, diesem Gedanken etwas Erfreuliches abzuringen.

Krister schien Ähnliches durch den Kopf zu gehen.

„Das kann eine heitere Nacht werden. Meine Beine fühlen sich jetzt schon an, als existierten sie nicht mehr, kein Wunder, so zusammengekauert wie wir hier herumhocken. Wie wollen wir das mit dem Schlafen regeln?“

Raum zum Schlafen bot der Baum nur für eine Person.

„Sollte es soweit kommen, werden wir es auslosen, nehme ich an.“

Und es kam soweit. Allerdings nicht ganz so unerfreulich wie erwartet. Es hörte auf zu regnen, auch wenn es noch ewig dauerte, bis das Dach des Waldes seine nasse Fracht abgeladen hatte. So nächtigten Krister und ich außerhalb des schützenden Baumes auf der nassen Erde, während Luke, der glückliche Gewinner der vorangegangenen Auslosung, das trockene Innere des Urwaldriesen für sich allein hatte.

Im Verlauf der Nacht kühlte es empfindlich ab. Es war kein Spaß, eingewickelt in nassen Decken dem Morgen entgegen zu dämmern. Von anständigem Schlaf konnte unter diesen Umständen kaum die Rede sein.

Irgendwann wachte ich fröstelnd auf und sollte danach auch nicht mehr einschlafen. Lange spielte ich mit dem Gedanken, ein Feuer zu entfachen, um mich aufzuwärmen, doch nach diesem Wolkenbruch trockenes Holz finden zu wollen, dürfte zu viel verlangt sein. Was für ein Temperaturunterschied! Noch vor wenigen Stunden hatten wir uns die Seele aus dem Leib geschwitzt, und jetzt fror ich wie ein Hund. Zudem zeigten sich die Moskitos wieder deutlich aktiver als noch vor dem Regen. Am liebsten wäre ich aufgesprungen und weitergewandert. Die Dunkelheit verfluchend, die uns zum Stillstand zwang, fieberte ich dem Morgengrauen entgegen.

„Du versprichst mir nun schon seit Ewigkeiten, mich im Messerwerfen zu unterrichten“, wiederholte Luke beharrlich und erntete dafür ungeduldige Blicke seitens seines Bruders.

„Nörgle nicht rum! Das ist jetzt wirklich nicht die passende Zeit dafür. Wir befinden uns hier nicht auf einem kleinen Ausflug sondern mitten im Land der Opreju, falls du das vergessen haben solltest.“

„Gerade jetzt finde ich die Zeit passend“, brummte Luke, unzufrieden feuchtes Geäst in unser ordentlich rauchendes Lagerfeuer werfend. „Es kann nur nützlich für uns alle sein, wenn auch ich in der Lage bin, ordentlich mit einem Messer umzugehen.“

Ich sah Krister grinsend von der Seite an. „Wo er Recht hat, hat er Recht.“

„Nun fang du nicht auch noch an! Okay, Luke, erinnere mich in ein paar Tagen noch einmal daran.“

„Morgen, morgen, nur nicht heute…“

„Jetzt halt die Klappe!“ Und Luke hielt sie. Ich war mir allerdings nicht sicher, wie lange.

Das Feuer zu entzünden, an dem wir uns wärmten, war eine Heidenarbeit gewesen. Die zusammengetragenen Äste mussten erst umständlich aufgespalten werden, um an das trockene Innere zu gelangen. Zusammen mit harzreicher Rinde (die auch in nassem Zustand einigermaßen brannte) und einer Unmenge von Grashalmen gelang es uns mit Hilfe der zwar feuchten aber dennoch funktionellen Feuersteine, eine entsprechende Glut zu erzeugen. Die enorme Rauchentwicklung musste in Kauf genommen werden. Wir hatten ohnehin nicht vor, lange zu verweilen.

Nach einem kurzen Frühstück brachen wir in strikt östlicher Richtung auf und standen um die Mittagszeit etwas überrascht am Meer. Schmutzig grau präsentierte es sich, der Horizont verhüllt von tief ziehenden Wolkenbergen. Schwacher Wellengang trotz strammer Brise. Entweder braute sich da noch etwas zusammen oder das Schlimmste war bereits vorübergezogen.

„Das ging ja einigermaßen fix“, stellte ich befriedigt fest. „Das dürfte dann wohl die Hyperion Bay sein.“

„Was macht dich so sicher?“ fragte Luke skeptisch.

„Stell keine so dummen Fragen, natürlich ist das die Hyperion Bay, was soll es denn sonst sein?“ fuhr Krister seinen Bruder an.

Zwischen den beiden schwelte es seit einiger Zeit, und ich wusste nicht, woher das rührte. Wie ein rügender Vater warf ich ihnen einen beschwichtigenden Blick zu.

„Immer schön friedlich bleiben, ihr zwei. Selbst wenn es noch nicht die Bay sein sollte, wir müssen jetzt nur noch der Küste folgen und kommen automatisch in Hyperion heraus.“

„Klingt machbar… auch wenn da noch eine weitere Flussüberquerung auf uns warten wird.“

„Du sprichst vom Metun? Wenn die Karte stimmt, aber erst kurz vor Hyperion, Krister. Wer weiß, vielleicht existieren noch alte Brückenbauwerke und wir gelangen sogar trockenen Fußes dorthin.“

„Darauf sollten wir uns besser nicht verlassen. Brauchen wir aber auch nicht. Wir haben den Skeleton erfolgreich überquert, da schreckt mich ein Metun nicht im Geringsten.“

Hier stimmte ich ihm uneingeschränkt zu. Einen weiteren Flusslauf zu kreuzen beunruhigte mich momentan am wenigsten. Die Tatsache, noch nicht auf die geringste Spur eines Opreju gestoßen zu sein, dagegen schon. Nicht dass ich mir eine Begegnung wünschte, ganz gewiss nicht, auch wenn sie sich auf Dauer wohl nicht vermeiden ließ. Dennoch, das unberührte Land, das wir nun schon seit geraumer Zeit durchstreiften, wirkte so verlassen, ohne jedes Anzeichen von Zivilisation jedweder Art, mich beschlich dabei ein eher beunruhigendes Gefühl. Wo waren sie, die Giganten Gondwanalands, die Gruselmonster aus meiner Kindheit? Es schien nicht unbedingt von ihnen zu wimmeln, hier in Lavonia, im äußersten Norden Laurussias.

Wir folgten Stunde um Stunde der von weißen Sandstränden gesäumten Küste der Hyperion Bay. Abgesehen von Seevögeln, die ohne erkennbare Scheu vor uns Menschen im Muschelkalk nach Nahrung suchten und sich erst in allerletzer Sekunde protestierend entfernten, zeigte sich wenig Leben. Aufgrund ihres unerwarteten Zutrauens nahm auch unsere Wachsamkeit ab. Ich fühlte mich schon längst nicht mehr auf Schritt und Tritt beobachtet. Die anfängliche tiefe Furchtsamkeit, die beim Betreten Laurussias von mir Besitz ergriffen hatte, ließ beachtlich nach. Ein hoffentlich gutes Zeichen, das mein Inneres sandte. Das Gefühl ständiger Bedrohung machte neuer Selbstsicherheit Platz. In der Tat bewegten wir uns wieder ganz natürlich, nicht mehr wie Fluchttiere, die beim geringsten Anzeichen von Gefahr das Weite zu suchen gedachten. Inzwischen waren wir zu Forschern geworden, die unbekanntes Land erkundeten und ganz nebenbei einnahmen, als gehörten wir schon hierher, als wäre dies unsere neue Heimat.

„Wenn ich es nicht anders wüsste, würde ich meinen, ich befände mich irgendwo an der December Bay“, ließ Krister verlauten und sprach mir damit aus der Seele. Dieser blendend weiße, enorm breite Sandstrand, der sich bis zum Horizont und darüber hinaus hinzog, kam auch mir seltsam vertraut vor. Und doch war er es nicht, wie wir sehr bald feststellen sollten. Schon aus weiter Ferne nahmen wir ihn wahr, jenen geheimnisvollen Fleck, der noch weit vor uns liegend den Bereich zwischen Land und Meer verdunkelte. Lukes scharfe Augen entdeckten den schwarzen Klecks, der die Monotonie der Eintönigkeit entlang der Küste unterbrach wie ein Misston eine sich ständig wiederholende Melodie, zuerst. Mit jedem Meter, den wir uns näherten, wussten wir weniger, um was es sich dabei handelte. Ein Felsblock? Ein gestrandetes riesiges Meereswesen, von dessen Existenz keiner auch nur die geringste Ahnung hatte? Aber nein, kein lebendes Wesen konnte solch immense Ausmaße annehmen. Es musste ein totes Objekt sein, womit sich die Felsblocktheorie wieder festigte, auch wenn seine Form allem widersprach, was einem Felsen ähnlich sah. Erst spät überlegte ich, ob von diesem Ding Gefahr ausgehen konnte. Krister jedoch glaubte nicht daran, so gingen wir arglos weiterhin darauf zu. Unterdessen schossen die Spekulationen wie Pilze aus dem Boden. Eine davon hielt sich hartnäckig, und Luke hatte sie zuerst ausgesprochen.

„Es ist ein Schiff! Oder nicht?“

„Wenn es eines ist, dann bestimmt das größte, das es auf ganz Gondwana gibt“, erwiderte Krister argwöhnisch.

„Ein Oprejuschiff!“ schlussfolgerte Luke sogleich aufgeregt und beschwor damit wieder jene nicht greifbare Bedrohung herauf, die ich bereits überwunden geglaubt hatte. Misstrauisch hielten wir inne und guckten uns die Augen aus dem Kopf.

„Nein, das ist kein Schiff“, sagte ich wenig überzeugt. „Wo ist denn der Mast? Es sieht es so aus, als wüchse es mit dem Bug voran aus dem Boden heraus, nicht wahr? Als wäre es halb versunken oder eingegraben.“

Da sich nichts rührte, keine Horde Opreju dem geheimnisvollen Objekt entstieg und mordlüstern auf uns zu stürmte, entschlossen wir uns zum Weitergehen, wenn auch entsprechend vorsichtiger. Indes erhärtete sich die Schiffstheorie mit jedem weiteren Schritt.

Mit gezückten Messern, den Eisenstab schlagbereit im Anschlag, standen wir endlich davor, nur wenige Meter entfernt von diesem gestrandeten Riesenschiff, einem Monstrum von unvorstellbarer Größe, das jetzt aus der Nähe doch so wenig Ähnlichkeit mit einem Schiff aufwies. Direkt aus dem Erdboden wuchs es heraus, zwanzig, ja vielleicht dreißig Meter in die Höhe. Das Vorderteil lag gut zugänglich direkt auf dem Strand, den Rest umspülte die See. Wie tief das Ungetüm eingesunken war, über welche wahren Dimensionen es verfügte, ließ sich dadurch schwer abschätzen. Aus welchem Material es auch immer bestand, weder ich, noch Krister, noch Luke konnten es einordnen. Es fühlte sich grundsätzlich stählern an, sah jedoch völlig andersartig aus. Wenn es eine Art Metall war, dann keines, das wir bisher zu Gesicht bekommen hatten. Die ganze Konstruktion schien zudem aus einem Guss zu sein, ohne jede erkennbare Fuge oder Naht. Ein Wunderding, etwas, das es eigentlich nicht geben durfte. Wir schritten den Teil mehrmals ab, welcher so monumental aus dem Wasser ragte.

„Was ist das?“ fragte Luke mehrere Male. Ein Ausdruck schierer Verblüffung lag auf seinem Gesicht. „Was zum Teufel ist das?“

Ich zuckte wiederholt mit den Achseln, bis mich alsbald ein Verdacht beschlich, der sich mit jeder weiteren Minute in Gewissheit wandelte. Konnte es sein? Konnte es wirklich wahr sein? Die äußere Form jedenfalls erinnerte mich schwer an eine Abbildung, die ich in den Radanaufzeichnungen gesehen hatte. Allein fehlte mir der Glaube, hier und heute darauf gestoßen zu sein. Krister zog interessanterweise ähnliche Schlüsse, immerhin hatte ich ihm davon berichtet, und selbst wenn er die Illustration nicht mit eigenen Augen gesehen hatte, schien er doch intuitiv eins und eins zusammenzuzählen.

„Es ist das fliegende Schiff, oder?“ fragte er mich, als sich Luke außer Hörweite befand. „Das, mit dem wir Menschen hier ankamen. Wie hieß es noch einmal?“

„Du meinst die Britannic.“

„Genau, Britannic. Jetzt fällt es mir auch wieder ein.“

Ich zweifelte keinen Moment mehr daran. Selbst wenn es sich nicht um die Britannic selbst handelte, dann um ein anderes Gefährt seiner Art. Aber nach allem was ich wusste, war nur eines auf Gondwana gelandet, jenes, das die ersten Siedler hierher gebracht hatte. Und das war die Britannic gewesen.

Doch wie um alles in der Welt war sie an diesen entlegenen Ort gekommen, so weit weg von jeglicher Siedlung? Wieso lag sie hier zwischen Wasser und Land wie angeschwemmtes Treibgut? Je länger ich diese Frage stellte, desto aberwitziger kam sie mir vor. Warum sollte sie nicht an diesem Ort liegen? Irgendwo musste sie ja abgeblieben sein, weshalb also nicht hier?

„Auch wenn es absurd erscheint, habe ich den gleichen Gedankengang“, vertraute ich mich Krister an. „Verdammt! Es ist also doch alles wahr. Krister, weißt du, was das bedeutet? Wenn das die Britannic ist, und ich bin jetzt absolut überzeugt davon, ist sie der unzweifelhafte Beweis für die Echtheit der Aufzeichnungen von Radan.“

Krister nickte langsam. „Willkommen auf Gondwana, Fremdling“, resümierte er trocken. Wir sahen einander an, als hätten wir eine Verschwörung aufgedeckt, nicht wissend, wie damit umzugehen sei. Die Augen ließen sich jedenfalls nicht mehr vor der Wahrheit verschließen.

„Wie lange liegt sie schon hier?“ Ich sprach leiser als beabsichtigt. Ehrfurcht hatte mich ergriffen.

Krister zuckte mit den Schultern. „Lange jedenfalls.“

„Mindestens dreihundert Jahre. Sie ist wohl auch ein Opfer des Krieges geworden.“

„Anzunehmen. Jack, das ist einfach der Wahnsinn. Mit diesem Ding sollen wir Menschen hierher gelangt sein? Ich glaubte bisher nicht wirklich daran. Aber jetzt… jetzt begreife ich allmählich.“

Demütig blickten wir empor. Die Konstruktion, wenn auch nur noch die traurigen Reste ihrer selbst, nahm mich nun gänzlich gefangen. Unvorstellbar, dass dieser Koloss einst von einem unendlich weit entfernten Planeten gekommen sein sollte. In der Tat so unglaubwürdig, ich rückte innerlich wieder ein kleines Stück von meiner Überzeugung ab. Wie um alles in der Welt sollte sich dieses Monstrum einst durch die Lüfte bewegt haben? Geschweige denn durch den Weltraum? Respektvoll schritten wir ein ums andere Mal um das gigantische Wrack herum, auf der Suche nach etwas, das Licht ins Dunkel bringen sollte. Es fand sich nur nichts.