Kitabı oku: «Sentry - Die Jack Schilt Saga», sayfa 15

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„Sieht so aus, als wäre es vor Ewigkeiten ein Raub der Flammen geworden.“ Luke zog erste Schlüsse – und ich bemerkte erneut, wie beneidenswert präzise sein Verstand funktionierte. Da er als einziger von uns dreien über keine Vorkenntnisse verfügen konnte, imponierte mir seine Scharfsichtigkeit umso mehr. „Vor uns liegen meiner Meinung nach die Überreste einer stählernen, ausgebrannten Konstruktion. Irgendwo las ich einmal – allerdings kann ich mich irren –, dass sich Eisen bei entsprechend hohen Temperaturen weiß verfärbt. Das würde die vielen hellen Verfärbungen überall erklären, sehr ihr? Faszinierend. Wenn ich nur einen Schimmer hätte, was das ist. Mit absoluter Sicherheit keine natürliche Erscheinung, soviel ist klar. Also künstlich erschaffen. Von Opreju möglicherweise… oder von Uhleb? Am Ende waren es vielleicht sogar Menschen gewesen?“

Krister und ich tauschten beeindruckte Blicke. Verdammt schlaues Kerlchen, in der Tat. Wäre ich ohne entsprechendes Vorwissen auch auf ähnliche Vermutungen gekommen? Wohl kaum.

„Wenn es sich in der Tat um eine menschliche Konstruktion handelt, dann frage ich mich, welchem Zweck sie diente“, fuhr er bedächtig fort. „Um diese Frage zu klären, müssten wir ins Innere vordringen… aber soviel ich sehe, gibt es keinen Zugang.“

„Anzunehmen, dass sich der Zugang, wenn es denn einen gibt, an der Unterseite befindet, tief im Sandboden verborgen“, vermutete ich, glaubte aber selbst nicht daran.

„Ja, oder auf der Oberseite“, spann Luke seinen Faden weiter. „Aber wie dort hinauf gelangen? Die Außenwände sind aalglatt.“

„Und was ist mit dem Heck?“ stellte Krister zur Diskussion. „Vielleicht findet sich ein Weg von See her. Ich schau mir das mal an.“ Und noch ehe jemand etwas dagegen einzuwenden wusste, sprintete er auch schon den Strand hinunter.

„Krister, das ist zu gefährlich, du hast keine Ahnung, welche Strömungen hier herrschen“, schickte ich ihm hinterher, wissend, auf taube Ohren zu stoßen. Hatte sich Krister etwas in den Kopf gesetzt, führte er es durch, komme was da wolle.

„Er will doch nicht etwa da raus schwimmen?“

Ich bedachte Luke mit einem geringschätzigen Blick. „Nach was sieht es denn deiner Meinung nach aus?“

Uns blieb nichts weiter übrig, als ihm mit den Augen zu folgen. Krister warf sich der nicht unbedingt schwachen Brandung entgegen und verschwand. Endlich tauchte sein Kopf zwischen den Wogen auf. Einen Moment wandte er sich um und winkte. Ein breites Grinsen lag auf seinem Gesicht, sogar aus der Entfernung nahm ich es wahr. Diese Geste sollte uns wohl beruhigen. Automatisch erwiderten wir Zurückgebliebenen den Gruß, bevor Krister erneut abtauchte. Eine halbe Minute später machten wir seinen Kopf, einen dunklen, auf und ab hüpfenden Fleck in der von weißen Schaumkronen umwölkten See, wieder aus.

„Dort ist er!“ rief Luke aufgeregt deutend.

„Ja, ich sehe ihn.“ Der Teufelskerl hatte in der kurzen Zeit eine ganz schöne Strecke zurückgelegt. Meine Sorgen um ihn nahmen indes nicht ab. Wussten wir nicht alle genauestens um die Gefahren Bescheid, die in Küstennähe lauerten, von Strömungen einmal abgesehen? Inständig das Beste hoffend, folgten meine Augen jeder seiner Bewegungen, bis er ums andere Mal abtauchte und vollständig verschwand. Luke und ich warteten geduldig. Wir wussten nur zu gut, wie lange Krister den Atem anhalten konnte.

„Wo ist er?“ fragte Luke alsbald, den Blick nicht vom Meer abwendend.

„Er hat wohl das Heck erreicht“, mutmaßte ich. „Befindet sich wahrscheinlich auf der anderen Seite.“ Wir änderten unsere Position entsprechend, fanden den Verwegenen jedoch immer noch nicht. Minuten vergingen. Mit jeder steigerten sich meine Bedenken. Wie viel Zeit durfte ich noch verstreichen lassen, wie lange noch untätig herumstehen und idiotisch aufs Meer hinaus glotzen?

„Es muss etwas passiert sein“, schloss ich endlich. „Verdammt! Ich muss hinterher!“

„Nein, warte noch!“ hielt mich Luke zurück. „Ich wette, er hat einen Zugang gefunden. Wahrscheinlich klettert er irgendwo am Heck umher. Gib ihm noch ein wenig Zeit!“

Das beruhigte mich nicht im Mindesten. „Er ist hoffentlich nicht so unvernünftig, allein in das Heck einzusteigen!“ Oh doch, das sah ihm ähnlich. Das sah ihm ganz und gar ähnlich. „Gut, er bekommt noch zwei Minuten. Aber nicht länger!“

Aus den zwei Minuten wurden schnell fünf. Jeden Augenblick erwarteten wir Krister wieder zu sehen, er musste einfach wieder auf der Bildfläche erscheinen. Doch er tat es nicht. Zu guter Letzt gab ich mein Zaudern auf und zog mir die Stiefel von den Füßen. Es gab kein Zurück mehr, ich musste handeln.

„Du bleibst hier und schaust, ob er irgendwo auftaucht!“ orderte ich an. „Wenn du ihn siehst, gib Signal!“

„Geht klar!“ Zerknirscht sah er mich an. Alleine zurückzubleiben sagte ihm wenig zu. Um mein Verlangen, mich in der aufgewühlten See auf die Suche nach dem Vermissten zu machen, war es ähnlich bestellt. Widerwillig watete ich ins Wasser, bereit mich hineinzustürzen, als Luke rief: „Ich sehe ihn! Er kommt zurück!“

„Dem Himmel sei Dank“, murmelte ich kopfschüttelnd.

Mit rügenden Worten empfing ich Krister dann auch, der nicht einmal außer Atem geraten war. Lachend hörte er sich meine Schelte an.

„Bist du jetzt fertig, Vati? Na dann. Hört zu! Das Heck, oder wie auch immer man diesen Teil des Monstrums bezeichnen möchte, ist komplett abgerissen, sieht aus, als liegt hier nur eine Hälfte, wenn überhaupt. Und die ist mit Sicherheit an die hundert Meter lang. Keine Ahnung, wo sich der Rest befindet, jedenfalls nicht in unmittelbarer Nähe. Ich konnte unter Wasser leider nicht viel erkennen. Übrigens habe ich versucht ins Innere zu gelangen, aber der Wellengang war einfach zu stark, ich befürchtete, irgendwo gegenzuschlagen und mich zu verletzen.“

„Konntest du etwas erkennen?“ fragte Luke begeistert. „Wie sieht es da drinnen aus?“

Krister zuckte mit den Schultern.

„Da war nicht viel zu erkennen. Das ganze Wrack ist tief eingesunken und logischerweise geflutet. Die Küste fällt hier steil ab, deswegen ragt das Vorderteil auch so weit in die Höhe. Hinten ist es schätzungsweise nur noch drei oder vier Meter hoch, damit allerdings immer noch zu hoch, um hinaufzuklettern. Alles was ich erkennen konnte, waren zwei horizontal verlaufende Abteilungen, ehemalige Decks würde ich sagen, allesamt eingefallen oder in sich zusammengestürzt. Das ganze Ding ist in erbärmlichem Zustand. Kein Wunder, wenn es schon über dreihundert Jahre hier liegt.“

Luke reagierte pfeilschnell. „Wie kommst du denn auf so was?“

„…nehme ich an“, fügte Krister hastig hinzu und setzte den perfekt unschuldigen Blick auf. „So vergammelt wie es aussieht, vielleicht sogar noch länger, wer weiß.“

Um nicht noch mehr Schaden zu verursachen, überging ich Kristers Bemerkung und gab somit vor, ihr keine Bedeutung beizumessen. „Schön und gut, trotzdem hättest du nicht einfach so mir nichts dir nichts da hinausschwimmen dürfen. Wir hätten es zumindest zu zweit tun müssen, schon aus Gründen der Sicherheit. Nun ja, immerhin wissen wir jetzt, dass uns ein Zugang verwehrt bleibt.“

„Vielleicht haben wir bei Ebbe noch eine Chance, ich gehe aber nicht davon aus.“

„Selbst wenn diese Möglichkeit bestünde, wäre es viel zu gefährlich. Um was es sich hier handelt, wird wohl ein Geheimnis bleiben. Wir können es unmöglich herausfinden.“

Doch so schnell gab Luke nicht auf.

„Wie kommst du darauf, dass es seit mehr als dreihundert Jahren hier liegen soll?“ fragte er noch einmal mit Nachdruck.

„Reine Vermutung.“ Abwiegelnd zuckte Krister erneut mit den Schultern. „Ist doch auch egal, oder? Klar ist, das Ding liegt nicht erst seit gestern hier.“

Luke sah seinen Stiefbruder scharf an, schickte sich dann an, etwas zu sagen und ließ es doch bleiben. Dafür wandte er sich mit prüfendem Blick mir zu. Ahnte er, dass wir ihm etwas verheimlichten? Oh ja, ganz gewiss. Dieser Blick war in der Lage, jedes Lügengebilde zu durchschneiden. Ich sah keinen anderen Ausweg, als auch ihn zu ignorieren. Da mir nichts Gescheiteres einfiel, sagte ich lapidar: „Und was machen wir jetzt? Wollen wir unser Lager hier aufschlagen?“

„Keine üble Idee“, stimmte Krister zu. „Es wird sowieso nicht mehr lange hell sein. Ist sicher gruslig, die Nacht in der Nähe dieses Monsters zu verbringen.“

Entgegen Kristers Vermutung verlief die Nacht friedlich, dennoch schlief ich schlecht. Wieder einmal plagten mich Träume, die mir einen erholsamen Schlaf raubten. Genau erinnern konnte ich mich anderntags nicht mehr an sie, doch blieb eine Einzelheit im Gedächtnis haften.

Jene Frau.

Anders als in den bisherigen Visionen, die nach dem Erwachen klar und deutlich vor meinen nun wachen Augen abliefen, entzog sich besagte Frau jeglichen Deutungsversuchen, als fürchtete sie das Tageslicht. Nur zwei Dinge blieben mir in klarer Erinnerung: wallendes rotes Haar, das ihr bis auf die Schultern reichte und die große Stadt, vor deren Hintergrund sie sich bewegte.

Was hatte das zu bedeuten?

Ich war versucht, dies als einen erotischen Traum abzutun, wie ihn schließlich jeder hin und wieder träumte… doch Sinnenfreuden konnte ich mir im Zusammenhang mit dieser geheimnisvollen Frau beim besten Willen nicht ins Gedächtnis rufen. Im Gegenteil… hatte ich das weibliche Wesen nicht sogar auf befremdliche Weise gefürchtet? Unheil schien auch von der Stadt auszugehen. Das Gefühl, beide meiden zu müssen, Frau und Stadt, ließ sich nicht leugnen. Bei der Stadt musste es sich um Hyperion gehandelt haben. Warum aber sollte ich einen Bogen um sie machen, warum dem Ziel, für das wir all die Strapazen auf uns genommen hatten, nun entsagen? Es konnte eigentlich nur bedeuten, dass Rob nicht oder nicht mehr dort war. Warum hatte ich so gar nichts von der Britannic zusammengesponnen, in deren Schatten wir geschlafen hatten?

Mir blieb nur der Schluss, die Reste des riesigen Sternenschiffs nicht mit meiner Suche nach Rob verknüpfen zu können. Somit stand es nicht länger im Fokus meines Interesses, was man von Luke weniger behaupten konnte. Er schien noch besessener von der Idee, in das Innere des Schiffes vorzudringen, als am Vortag. Sein Vorschlag, mit Steinen beschwerte Lianen hochzuwerfen und darauf zu hoffen, dass sie sich irgendwo verhakten, um anschließend an ihnen hochzuklettern, stieß wenigstens bei mir auf Ablehnung. Krister, das wusste ich, hätte bei der Umsetzung von Lukes Plan wahrscheinlich mitgeholfen, doch schloss er sich vernünftigerweise meiner Meinung an.

„Aber wir müssen es doch zumindest versuchen!“ Luke verstand meine abweisende Haltung nicht.

„Wozu? Selbst wenn es dir gelingt, was bringt das? Wir wissen doch schon von Krister, wie es da drin aussieht, alles unter Wasser und zusammengefallen.“

„Ja, das war sein Eindruck vom Heck aus gesehen. Noch wissen wir nicht, welche Möglichkeiten sich von oben aus bieten.“

„Keine. Weil keiner von uns diesen Leichtsinn eingehen wird, sich da rauf zu begeben. Und weißt du warum? Weil sich im Umkreis von tausend Meilen kein Medikus befindet, der deine gebrochenen Beine zusammenflickt, wenn du auf halber Höhe abstürzt, weil deine Liane abreißt, du den Halt verlierst oder was weiß ich was.“

Luke schnaubte verächtlich.

„Wenn es danach ginge, dürften wir gar nicht hier sein. Denn wer flickt uns wieder zusammen, wenn uns die Opreju in die Klauen bekommen? Wir laufen jeden Tag, ja jede Stunde Gefahr, verletzt zu werden oder den Tod zu finden. Du kannst nicht alle Eventualitäten ausschließen, Jack!“

„Sicher nicht alle. Aber die kalkulierbaren mit Sicherheit. Und jetzt Ende der Diskussion. Unser Ziel heißt Hyperion, und ich gedenke uns heil dort hinzubringen.“

Luke machte den Fehler, sich hilfesuchend an Krister zu wenden und damit die Struktur unserer Gemeinschaft in Frage zu stellen, was ich ihm übelnahm. Erst als auch Krister seinem Stiefbruder unmissverständlich zu verstehen gab, endlich Ruhe zu geben – „Halt jetzt deine Futterluke, verdammt!“ –, gab er auf. Mein freilich unvernünftiger Groll auf ihn verbunden mit Lukes Verachtung gegenüber meiner Vorsicht ließ uns die nächste Zeit kein Wort miteinander sprechen.

Der Weiterweg entlang der Küstenlinie erwies sich nicht mehr als so leicht gangbar wie noch am Tag zuvor. Tiefe Miniaturfjorde bohrten sich wie spitze Nadeln ins Landesinnere Lavonias und zwangen zu langwierigen Umwegen, die eine Menge Zeit in Anspruch nahmen. Zu allem Überfluss bemächtigte sich dichter Wald der Küstenregion und machte zügiges Vorankommen endgültig unmöglich.

Dafür stießen wir endlich auf Leben, auf Tierarten, die ich nur aus Büchern oder Erzählungen kannte. Paarhufer waren in den letzten Jahrzehnten in Avenor nicht mehr gesichtet worden. Ich selbst hatte noch nie welche zu Gesicht bekommen, wusste jedoch, was auf uns zukam, als einer davon hier im dicht bewachsenen Lavonia aus dem Unterholz stürzte.

„Achtung!“ rief Krister, der voranging, als der Lärm losbrach.

Wir vermuteten nicht ganz zu Unrecht einen Opreju-Angriff und reagierten entsprechend heftig. Der aus dem Dickicht hervorschnellende Hirsch, ein kapitaler Bock von gut anderthalb Metern Schulterhöhe, stürzte mit gesenktem Kopf und furchteinflößendem Geweih auf uns zu, beließ es aber bei seinem Scheinangriff und machte ebenso schnell wieder kehrt. Vielleicht hatte ihn auch mein überraschter Aufschrei in die Flucht geschlagen. Das Rauschen im Blätterwald beruhigte sich jedenfalls schnell wieder.

„Mann, hab ich mich erschrocken!“ lachte Luke. „Du liebe Zeit, ich wäre beinahe die Böschung hinuntergefallen. Habt ihr auch Opreju vermutet? Und dann war es nur ein Barasinga.“

„Ich hätte mir beinahe in die Hosen geschissen“, gestand ich freimütig, mit immer noch großen Augen. „Dabei wollte unser Abendessen nur auf sich aufmerksam machen.“ Schon hielt ich den Bogen im Anschlag. „Was meinst du, Krister? Sollen wir die Freundlichkeit erwidern?“

„Unglaublich, ein echter Hirsch.“ Kristers Augen funkelten. „Als Kind sah ich einmal einen, drüben am Kap Mandawar. Ansonsten kenne ich die Viecher nur aus Erzählungen meines Vaters. Vor dem Krieg muss es in den Wäldern zuhause nur so von ihnen gewimmelt haben. Einen zu erlegen, davon habe ich schon immer geträumt.“

„Ihr werdet doch nicht wirklich?“ rief Luke missbilligend, als Krister seinen Dolch zog. Wir beachteten ihn gar nicht und nahmen stattdessen in wortloser Einigkeit die Verfolgung des Tieres auf.

„Auch wenn ihr meinen Einwand ignoriert, darf ich euch dennoch darauf hinweisen, dass Barasingas in Rudeln auftreten – und dem Verhalten des Bockes nach haben wir entweder Brunft- oder Tragzeit“, schickte er uns hinterher, als wir bereits ins Dickicht eingetaucht waren.

„Alter Schlaumeier“, lästerte Krister. „Hat noch nie welche gesehen, glaubt aber alles über sie zu wissen. Aber umso besser, wenn er Recht hat. Je mehr wir finden, desto größer sind die Chancen, einen zu erlegen.“

„Ausgewachsene Barasingas erreichen eine Höhe von bis zu zwei Metern“, rief uns Luke nach.

„Fleisch für eine ganze Woche“, schlug Krister die Warnung in den Wind.

Dann hatten wir uns auch schon zu weit entfernt, um Luke weiterhin zu verstehen. Wie es dem Hirsch nur gelungen war, mit seinen ausladenden Schaufeln überhaupt durch das Dickicht zu gelangen! Mit dem Bogen blieb ich schon überall hängen, sein erfolgreicher Einsatz im entscheidenden Moment war dadurch mehr als fraglich. Nichtsdestotrotz kämpften wir uns weiter voran, den deutlich sichtbaren Spuren des Tieres folgend.

Wenige Minuten später kamen wir unvermittelt auf einer Lichtung heraus – und standen urplötzlich einem guten Dutzend Barasingas gegenüber, die uns nicht eben freundlich anstarrten. Ich wusste nicht, wer verdutzter dreinschaute, wir zwei Jäger oder die ebenso überraschten Gejagten. Eine Schrecksekunde lang geschah nichts. Doch noch ehe wir zu einer Reaktion fähig waren, erfolgte auch schon der Angriff.

„Zurück!“ rief ich und machte auf der Stelle kehrt.

Es muss ein ulkiges Bild gewesen sein. Zwei Männer Hals über Kopf auf der Flucht vor einem Rudel wildgewordener Hirsche. Wir hasteten exakt den Weg zurück, den wir gekommen waren, keinen Augenblick zurückschauend, verfolgt von unserem etwas zu wehrhaften Abendessen. So hatten wir uns das nun nicht vorgestellt.

„Hier rauf! Los, macht schon!“ Krister und ich flogen förmlich den Baum hinauf, in dem sich Luke bereits befand.

Keine Sekunde zu spät.

Wild schnaubend sahen uns die aufgebrachten Hirsche hinterher, wütend die einschüchternden Geweihe schüttelnd. Noch im Klettern begriffen, begann Krister lauthals zu lachen, die Albernheit der Situation war ihm nicht entgangen. Ich konnte nicht anders, ich musste mit einstimmen. Alsbald hingen wir wie Affen in den Ästen und würden uns vor Lachen die Bäuche gehalten haben, hätten wir die Arme dafür freigehabt. Alarmiert nahmen die Hirsche daraufhin panikartig Reißaus, was unserem Gelächter nur noch weiter zuträglich war. Zum Abendessen gab es nun leider kein saftiges Stück Wild. Nach diesem Intermezzo sollten wir auch keinen weiteren Hirsch mehr zu Gesicht bekommen.

Anderntags, am frühen Nachmittag, erreichten wir die Mündung eines gemächlich dahinfließenden Flusslaufs. Es musste sich wohl um den Metun handeln, unser letztes Hindernis auf dem Weg nach Hyperion. Wir waren den Rest des gestrigen Tages und im Verlauf des heutigen stur der Küste gefolgt, wissend, irgendwann auf Hyperion stoßen zu müssen. Anders als der Skeleton führte der Fluss, an dessen Ufer wir nun standen, Niedrigwasser und stellte somit keine schwer zu überwindende Barriere dar.

„Kann das wirklich schon der Metun sein?“ Zweifelnd zog ich die Karte zu Rate.

„Was spricht dagegen?“ erkundigte sich Krister.

„Einiges. Der Karte nach mündet der Metun genau in Hyperion ins Meer. Siehst du hier irgendetwas von einer Stadt?“

„Keine Spur.“

„Genau. Merkwürdig, nicht wahr? Andererseits wirkt der Fluss nicht gerade mickrig. Ganz im Gegenteil, in der Regenzeit schwillt er sicherlich zu einem ordentlichen Strom an. Seht ihr das Flussbett dort hinten? Es ist verhältnismäßig breit, das ist kein Bach oder so was. Aber in der Karte ist kein weiterer Fluss zwischen Skeleton und Metun eingezeichnet.“

„Dann ist die Karte vielleicht nicht korrekt“, folgerte Luke. „Oder die Landschaft hat sich inzwischen verändert.“

„Das wäre natürlich möglich“, gestand ich ihm zu, wenn auch nicht daran glaubend.

„Gehen wir einfach weiter, wir werden schon sehen“, schlug Krister vor. „So wie es aussieht, können wir einfach hindurch waten.“

Ganz so berechenbar gestaltete es sich zwar nicht, doch zu keiner Zeit stellte der Fluss eine wirkliche Herausforderung dar. In seiner Mitte reichte das träge fließende Wasser gerade bis zur Brust, doch sanken wir mit den Füßen beharrlich in eiskaltem Schlamm ein und mussten letztendlich schwimmen.

Am Ostufer angekommen ging es eine abschüssige Böschung hinauf. Von dort aus marschierten wir noch ein Stück weit die Küste entlang, bis mächtige Klippen den Weiterweg endgültig versperrten.

Uns boten sich nun zwei Möglichkeiten: Umkehren und dem Flusslauf nach Süden folgen oder einen Weg über die Klippen suchen. Wir entschieden uns für letzteres. Niemandem stand der Sinn danach, umzudrehen. Zu unserer Verblüffung stießen wir bei der Suche nach einem Einstieg in die Felswand auf einen aus dem Gestein gehauenen Pfad, der direkt die Klippen hinaufführte.

Ich stieß einen Pfiff aus.

„Schaut euch das an. Ist irgendeiner von euch der Meinung, dass es sich hier um einen von der Natur geschaffenen Weg handelt?“

Keiner war es. Dieser Pfad war eindeutig irgendwann künstlich angelegt worden. Wohl zu einer Zeit, als Hyperion und sein Umland noch dicht besiedelt gewesen waren. Nun nahmen wir ihn, vielleicht als die ersten Menschen seit mehreren hundert Jahren.

Steil ging es nach oben, an manchen Stellen war ein Weiterkommen nur unter Zuhilfenahme beider Hände möglich. Oben angekommen erwartete uns eine weitere Überraschung. Eine, die jeden Zweifel ausräumte, ob es sich bei dem Flusslauf um den Metun gehandelt hatte oder nicht.

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