Kitabı oku: «Sentry - Die Jack Schilt Saga», sayfa 2

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Ich lag auf den sterblichen Überresten eines Toten.

Mit einem heißeren Schrei warf ich mich nach hinten und rutschte auf allen Vieren von meinem grausigen Fund weg in Richtung Rob, der noch immer am Eingang stand und mich verständnislos beobachtete.

„Was ist denn mit dir los?“ fragte er, während ich auf ihn zurobbte.

„Da drin liegt ein Skelett“, brachte ich angewidert hervor.

Rob ließen diese Neuigkeiten kalt.

„Ja und? Ein Skelett kann dir doch nichts tun. Jetzt nimm dich mal zusammen!“ Kopfschüttelnd marschierte er hinein, wich der Stolperfalle aus, die mich ins Straucheln gebracht hatte, und verschwand aus meinem Blickfeld. Es knackte nur leicht, als die alten Knochen des Toten unter seinen beschuhten Sohlen barsten.

„Und?“ rief ich, wenig gewillt ihm zu folgen. „Kannst du was erkennen?“

Gedämpftes Rascheln, als wühlte jemand in reichlich Papier. Ohne ein Wort Robs flogen die ersten Objekte, derer er habhaft wurde, wie aufgescheuchte Vögel aus der Öffnung heraus.

„Sieh selbst“, rief er, die Enttäuschung in seiner Stimme nicht verbergen könnend. Ich zog den Kopf ein und wich einem der Geschosse aus, das verdächtig einem Buch ähnelte, nur um vom nächsten mitten im Gesicht getroffen zu werden. Bei der Kollision löste sich der lederne Einband und hunderte von vergilbten Blättern landeten lose in meinem Schoß. Ein weiterer Umschlag rauschte dicht am Ohr vorbei und knallte lautstark gegen die Höhlenwand.

„Hey, Rob, was soll das?“ rief ich ungehalten. „Hör auf damit! Du machst ja alles kaputt!“

„Nur alte Schriften. Alte Schriften und ein Skelett. Ich weiß nicht, was ich jetzt aufregender finden soll.“

Die Unzufriedenheit meines Bruders konnte ich ganz und gar nicht teilen. Schriftliche Aufzeichnungen zogen mich stets in ihren Bann, vielleicht deswegen, weil es nur so wenige davon gab. Und während Rob stapelweise Schriften heranschleppte und sie deutlich behutsamer in meiner Nähe deponierte, blätterte ich ehrfürchtig durch die ersten Seiten. Die Lichtverhältnisse erwiesen sich jedoch als gänzlich ungeeignet um irgendetwas entziffern zu können, also verzog ich mich mit meinem Schatz nach draußen.

Nun war es an mir, enttäuscht zu sein. Hunderte Seiten fleckiger, vergilbter und zum Teil vergammelter Schriften, geschrieben in einer Sprache, die ich nicht verstand. Faszinierend allein die Handschrift, mit vielen schwungvollen Bögen, die, auch wenn eindeutig erkennbar zuweilen hastig geschrieben, nie ihre kontinuierlich klare Gestalt verlor. Mit der gebotenen Vorsicht, das angegriffene Material nicht noch weiter zu ruinieren, schlug ich Seite um Seite um, in der Hoffnung irgendwann auf Textzeilen zu stoßen, die ich zu entziffern in der Lage war. Doch dieser Wunsch erfüllte sich zunächst nicht.

„Noch irgendwas anderes?“ fragte ich Rob, der begonnen hatte, sämtliche Funde vor die Höhle zu tragen und zu Haufen aufzuschichten.

Er schüttelte den Kopf.

„Bis jetzt nicht. Weißt du, was ich glaube? Das ganze Zeug ist in der Endphase des Großen Krieges von Stoney Creek aus hierher geschafft worden, um es vor der Vernichtung durch die Opreju zu bewahren.“

Sofort misstraute ich dieser Theorie.

„Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich meine, wer nimmt sich die Zeit, irgendwelche Aufzeichnungen hier einzumauern, wenn der Feind vor der eigenen Haustür steht.“

„Nun, dass es sich hier offenbar um wichtige Dokumente handelt, dürfte außer Frage stehen, oder denkst du, der arme Kerl da drin hat sich für nichts ermorden lassen?“

„Du willst sagen, er ist getötet worden?“

„Davon gehe ich aus. Wer lässt sich schon bei lebendigem Leib einmauern? Wer immer er war, er musste sterben, damit dieses Versteck geheim bleiben konnte.“

Ich nickte nachdenklich. „Klingt plausibel. Das bedeutet aber auch, dass es noch jemand gegeben hat, der um diesen Ort wusste.“

„Natürlich“, führte Rob mein Gedankenspiel fort. „Derjenige, der die Mauer hochgezogen hat. Der Mörder.“

Wesentlich respektvoller wandte ich mich einem der Stapel zu, die Rob aufgeschichtet hatte. Wenn seine Annahme stimmte und der Tote in der Höhle tatsächlich wegen jener Dokumente das Leben verloren hatte, mussten sie bedeutend sein – oder waren es wenigstens einmal gewesen.

„Bis jetzt werde ich nicht schlau aus dem ganzen. Alles geschrieben in fremdartiger Sprache.“ Wahllos griff ich nach einem großformatigen ledernen Umschlag, der sich in noch schlechterem Zustand befand als der erste. Der Inhalt bestand aus allerlei schwer lädiertem Kartenmaterial, welches vor Ewigkeiten mit Wasser in Berührung gekommen sein musste.

„Sieht aus wie eine Sammlung von Landkarten“, murmelte ich und gab es Rob weiter, der sich mehr für Pläne und dergleichen interessierte.

„Das sind detaillierte Karten von Aotearoa“, rief er fasziniert aus. „Vater besitzt eine kleine Sammlung alter Landkarten von Gondwanaland. Diese hier sind ähnlich, nur in größerem Maßstab. Und detaillierter. Sieh mal, sogar welche von der Bay of Islands. Apago, Wentland, Ewas, Radan, ich erkenne sie genau wieder. Nur stehen hier völlig andere Bezeichnungen neben den Inseln. Radan heißt hier – ich kann es kaum entziffern – ‚Eyllo-essudi’ oder so ähnlich. Die Namen für jede Insel beginnen mit ‚Eyllo’…“

Ich hörte ihm nur mit einem Ohr zu, hatte ich mich doch bereits anderen Aufzeichnungen zugewandt, begierig, endlich welche zu finden, die ich auch lesen konnte. Es sollte einige Zeit dauern, bis ich auf etwas stieß, was in verständlicher Sprache geschrieben war, doch ich wurde schließlich fündig. Es handelte sich um eine kleinformatige, vom Zahn der Zeit angenagte Sammlung loser Blätter, beschrieben mit verblasster, grünlich-grauer Tinte. Zwei Umschlagseiten aus altem zerbröckelndem Leder umgaben mehr oder weniger schützend den zerfallenden Inhalt von schmutzig-gelbem, pergamentartigem Papier. „Na also!“ rief ich erleichtert. „Sieh mal, endlich Aufzeichnungen in unserer Sprache. Sieht aus wie ein Tagebuch.“

Was ich in den Händen hielt, sollte das Bild von der Welt, in der wir lebten seit wir denken konnten, für immer verändern.

02 VERGANGENHEIT

Gondwana war jahrhundertelang eine friedliche Welt gewesen. Neben den Menschen existierten auf meinem Heimatplaneten nur zwei weitere, höher entwickelte Lebensformen. Eine davon waren die Uhleb, humanoide Kreaturen von kleinem Wuchs und ebensolchen Bedürfnissen. Das Volk der Uhleb besiedelte einst weite Teile Gondwanalands. Wann und warum es sich teilte, und welcher Teil das angestammte Gebiet (das die Menschen schlicht „Uhleb“ nannten) verließ, um neue Siedlungen im Norden zu gründen, liegt im Dunkeln. Fest steht unwiderlegbar, wo sie sich erfolgreich niederließen: Anfangs in den fruchtbaren Gebieten zwischen den Hügeln von Ithra und dem Fluss Sokwa. Später siedelten sie auch westlich davon und erreichten die südlichen Ausläufer des Zentralmassivs, einer Klimagrenze, die den flächenmäßig um ein Vielfaches kleineren und kühleren Nordostzipfel des Kontinents vom heißen, trockenen Süden trennt. Abschließend stießen sie in den regenreichen und für ihren Geschmack eigentlich unwirtlichen Norden des Kontinents vor, nach Aotearoa.

Immerhin die Triebfeder hinter dieser letzten Völkerbewegung ist bekannt. Freiwillig traten die Uhleb nicht in Konkurrenz zu den Menschen, die Aotearoa als ihr eigen betrachteten.

Den tiefen Süden des Kontinents, von Fennosarmatia bis hinunter in das Eisgebirge, konnten weder Mensch noch Uhleb jemals meistern. Er blieb sich selbst und natürlich den Opreju überlassen. Die Landmasse im Westen, den Menschen ein Begriff unter dem Namen Kenorland, blieb durch eine natürliche Barriere versperrt, einem gewaltigen Gebirgszug, welcher den Kontinent Gondwanaland von Nord nach Süd durchzieht und in zwei ungleich große Teile aufspaltet. Die ersten Menschen, die sich daran machten ihn zu überwinden, scheiterten an seiner schieren Größe. Nur wenigen abenteuerlustigen Seefahrern war es gelungen, das sagenhafte Land jenseits des Barrieregebirges auf dem Seeweg über die unberechenbare Tethys zu erreichen. Nur eine Handvoll kehrte zurück, um davon berichten zu können. Sie sprachen unabhängig voneinander von undendlichen Weiten, üppig und fruchtbar an ihren Rändern, aber karg und versteppt im Inneren. Ihre zweifelhaften Berichte von Fabelwesen, die dort angeblich vorkamen, stießen auf berechtigtes Unverständnis. Niemand konnte sich mit schuppigen Panzern versehene Sechsbeiner von den vielfachen Ausmaßen einer Kuh, ausgestattet mit langen, peitschenförmigen Schwänzen, auch nur im Entferntesten vorstellen. Ebenso fragwürdig blieben die Darstellungen immens hoher Baumriesen, die in den Himmel reichten, soweit man sehen konnte und angeblich über Stämme verfügten, die eine Kette aus fünfzig Männern nicht umfassen könnte. Der namenlose Westen Gondwanalands schien über eine Flora und Fauna zu verfügen, die sich gänzlich von der im Osten unterschied. Nur wenige glaubten diesen Berichten. Vielleicht hätten sich die Menschen irgendwann ernsthaft aufgemacht, dieses Wunderland auf der anderen Seite des Barrieregebirges zu erkunden, wäre ihnen der katastrophale Krieg gegen die Opreju nicht dazwischengekommen. Danach stand den wenigen Überlebenden nicht mehr der Sinn nach Entdeckungen.

Den Opreju als Gegner gegenüberzustehen, der dritten höher entwickelten Lebensform Gondwanalands, brachte die Menschen an den Rand der Vernichtung. Wie war es dazu gekommen? Eine gute Frage. Letztlich gibt es keine gesicherten Belege, weshalb die beiden so unterschiedlichen Völker in Konflikt gerieten.

Die Opreju lebten im Grunde genommen genau dort, wo weder Uhleb noch Menschen freiwillig einen Fuß gesetzt hätten, vornehmlich in Fennosarmatia. Dieser weite Landstrich tief im Süden, zwischen Ithra und dem Taorsee gelegen, besteht größtenteils aus lebensfeindlichen Wüsten und Einöden. Eigentlich konnten sich Mensch und Opreju nicht in die Quere kommen, da sie praktisch in verschiedenen Welten lebten.

Und doch taten sie es.

Die bestenfalls entfernt humanoid wirkenden Opreju, im Gegensatz zu Menschen und Uhleb von riesigem Wuchs (sie erreichen eine Körperlänge von bis zu vier Metern) hatten sich ihrerseits ebenfalls aufgemacht, neue Teile Gondwanalands zu bevölkern. Da ihr Drang nach Norden gerichtet war, stießen sie unweigerlich auf die von Anfang an unterlegenen Stämme der Uhleb, deren Zahl innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums rapide abnahm. Aus Ithra verdrängt, blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich nach Norden zu orientieren, nach Aotearoa, wo sie in Konflikt mit den Menschen gerieten, die die stete Zuwanderung misstrauisch beobachteten. Auseinandersetzungen blieben naturgemäß nicht aus, und das friedliche Nebeneinander fand ein blutiges Ende.

Die Menschen beanspruchten lange Zeit nur ein verhältnismäßig kleines Siedlungsgebiet im zentralen Aotearoa, das sie Otago nannten. Erst viel später wurden sie auch nördlich davon ansässig, in einem Gebiet, das sie Avenor tauften. Nach Beginn der Konfrontation mit den Uhleb dehnten sie ihre Ansprüche unverhältnismäßig weit bis an den Skelettfluss aus, die natürliche Grenze zwischen Aotearoa und Laurussia, das damals noch den Otygen, einem Stamm der Uhleb, gehörte. Ihre nicht wenigen Siedlungen wurden von den Menschen niedergemacht. Dörfer verschwanden eines nach dem anderen, bis keines mehr übrig war.

Im Norden Aotearoas, auf der Halbinsel Avenor, endete die friedliche Koexistenz erst spät, dies belegen die wenigen Aufzeichnungen der Otygen, die sich die Schriftsprache der Menschen angeeignet hatten und ihre ureigene Geschichte niederschrieben, um sie vor dem Vergessen zu bewahren. Auf Randgebiete zurückgedrängt, fristeten die Überreste eines einst weitverbreiteten Volkes nur noch ein Schattendasein. Als mit der Invasion der Opreju der Große Krieges schließlich auch Avenor erreichte, verlieren sich die Spuren der Uhleb für immer.

So brachte man es uns bei, und genau so begriffen wir unsere Welt. Nicht den geringsten Grund gab es, diese grundlegenden Gegebenheiten, die Geschichte meines Volkes, anzuzweifeln. Ich kannte niemanden, der auf den Gedanken gekommen wäre, dass vielleicht nicht alles was zuhause gelehrt wurde den Tatsachen entsprach. Warum auch sollte man uns anlügen, uns vorsätzlich Unwahrheiten weitergeben?

Doch schon bald sollten mich erste Zweifel plagen. Zweifel, die schlussendlich ein Räderwerk in Bewegung zu setzen wussten, welches sich, einmal in Gang gebracht, nicht mehr stoppen ließ.

Rob und ich blieben zwei weitere Tage auf Radan. Mein Bruder kümmerte sich darum, das Boot wieder flott zu kriegen. Ich dagegen fand nur noch Augen für den Schatz, den wir gefunden hatten. Der überwiegende Teil der Schriften blieb mir verschlossen, da ich die geschriebene Sprache nicht verstand. Ich befasste mich deswegen ganz und gar mit der Sichtung dessen, was ich zu entziffern in der Lage war.

Nun waren weder Rob noch ich geübte Leser, da diese Fertigkeit in Stoney Creek nicht traditionell gelehrt wurde. In einer Welt, in der die Fähigkeit zu lesen zum Überleben nicht wichtig war, legte auch niemand viel Wert darauf, sie zu beherrschen. Nur wenige Kinder meiner Heimat (einschließlich Rob und mir) kamen in den Genuss, Lesen zu lernen. Meine Mutter bestand darauf, und so fügten wir uns wenn auch widerwillig. Wie so oft erweisen sich viele Dinge, denen man als Kind mit Ablehnung begegnet, im späteren Leben als wahrer Segen.

In Stoney Creek existieren zudem nur wenige handschriftlich verfasste oder gar gedruckte Aufzeichnungen aus der Alten Zeit. Viel Lesestoff war folglich nicht vorhanden. Das meiste davon befand sich mehr oder weniger verborgen in Privatbesitz. Fürwahr kein großer Anreiz, um überhaupt Lesen lernen zu wollen. Dessen ungeachtet insistierte unsere kluge Mutter vehement. Und sie setzte sich letzten Endes durch. Lesen und Schreiben zählen zu den Fähigkeiten, die einmal erlernt auch ohne große Pflege nie mehr verloren gehen.

Wenn ich auch seit Mutters Tod kein einziges Buch mehr in den Händen gehalten hatte, stellte es keine Schwierigkeit dar, die gedruckten Buchstaben vor meinen Augen zu entziffern. Wahrlich ein wenig aus der Übung gekommen, bedurfte es nur etwas Praxis, bis die eingerostete Mechanik wieder in Bewegung kam. Und was ich zu lesen bekam, konnte ich zunächst nicht glauben. Es stand im Gegensatz zu allem, was meinem Wissensstand über die Menschen Gondwanalands entsprach. Mich beschlich der Verdacht, einem schlechten Scherz aufzusitzen, zu grotesk erschienen manche Dinge, die ich fassungslos zur Kenntnis nahm. Nur wenige Details stimmten mit der mir bekannten Realität überein.

Was jetzt ein mulmiges Gefühl bereitete, waren all die verdrängten Zweifel, welche mich so lange ich denken konnte beschäftigt hatten. Vor Jahren ausrangiert und größtenteils ins Unterbewusstsein abgeschoben, strebten sie nun der Oberfläche entgegen. Flaues Gefühl in der Magengrube signalisierte, hier und heute auf etwas gestoßen zu sein, das den Schleier zu etwas seit Jahrhunderten Verborgenem lüftete. Erinnerungen erwachten, von denen ich schon gar nicht mehr wusste, dass ich sie besaß. Erinnerungen an meine Kindheit und an all die ungeklärten Fragen, die ich schon damals nicht zu formulieren wagte.

Seit jeher machten mir die vielen weißen Flecken in unserer Geschichte zu schaffen, die kein noch so gebildeter Lehrmeister jemals zu voller Zufriedenheit hatte beantworten können. Vor allem die Frage, warum uns die Opreju so feindlich gegenüberstanden. Weshalb war es zum Großen Krieg gekommen, der nicht nur Aotearoa sondern auch alle anderen Siedlungsgebiete der Menschen zerstört hinterließ? Aus welchem Grund war einzig und allein Stoney Creek der Vernichtung entgangen? Die Antworten auf meine Fragen erschienen mir bereits als Kind unglaubwürdig. Dennoch akzeptierte ich sie. Gab es einen Anlass, die Worte unserer Lehrer anzuzweifeln? Nicht den geringsten. Was konnte es ihnen auch bringen, uns, ihre Nachkommen, anzulügen?

Opreju hassen Menschen, diese Tatsache nahm ich genauso als gegeben hin wie das Blau des Himmels. Der Große Krieg, so lernten wir es, war ein von den Opreju angezettelter Vernichtungsfeldzug gewesen, mit dem Ziel, die Menschheit auszulöschen und sich ihrer Siedlungsgebiete zu bemächtigen. Heroisch sei der Widerstand gewesen, aufopferungsvoll und heldenhaft. Nur die Stärksten und Mutigsten überlebten. Sie stoppten den Vormarsch der Angreifer, als an einen Sieg über die hoffnungslose Übermacht niemand mehr glaubte. Die geschlagenen Opreju wurden zurückgedrängt, hinaus aus Avenor, hinaus aus Aotearoa, dorthin wo sowieso kein Mensch mehr freiwillig existieren wollte, nach Laurussia.

So weit so gut.

Aber:

Warum fürchteten wir die Opreju so sehr, wo wir sie doch besiegt und verjagt hatten?

Weshalb wagte sich annähernd zwei Jahrhunderte niemand mehr an den Wiederaufbau der zurückeroberten Gebiete im Süden Aotearoas, namentlich in Otago und der Grenzregion Ergelad?

Und vor allem: Wie kam es zu dem Tabu, das es den doch so siegreichen Menschen verbat, den Skelettfluss zu überqueren, die Grenze zwischen Ergelad und Laurussia, dort wo einst die Uhleb siedelten und das sich nun in der Hand der Opreju befand?

Das Tabu schütze die Menschen, lautete die unbefriedigende Antwort. Solange kein Mensch den Boden Laurussias betrete, sei der Frieden gewahrt. Aber von wem waren diese Bedingungen ausgehandelt worden? Von den Menschen, den Siegern? Wie Sieger benahmen sich die Siegreichen jedenfalls nicht. Das Tabu hingegen schien allerdings durchaus Sinn zu machen, denn seit Generationen war der Frieden gewahrt, hatte kein Mensch mehr einen Opreju zu Gesicht bekommen. Unten im Süden Aotearoas, am Skelettfluss, endete dafür die Welt der Menschen und begann die der Opreju.

So einfach war das.

Glasklar.

Jedoch, einige wussten hinter vorgehaltener Hand vom Gegenteil zu berichten. Wie oft das Tabu seit Ende des Krieges schon gebrochen worden war, konnte niemand genau sagen. Aber es war mit Sicherheit gebrochen worden, daran gab es wenig Zweifel. Beweisen ließ es sich schlecht, und dagegen sprach auch die Tatsache, von den gefürchteten Folgen noch nichts gespürt zu haben.

Letzten Endes übernahmen wir nach außen hin das Verhalten der Älteren und akzeptierten das Tabu. Immerhin schützte es uns unzweifelhaft seit Jahrhunderten, aus welchem Grund also daran rütteln? Die Zweifel hingegen hielten sich. Mich beschlich bereits im zarten Knabenalter der Verdacht, unsere Lehrer glaubten vieles selbst nicht, was sie lehrten. Nun hielt ich zum ersten Mal Aufzeichnungen in den Händen, die die Geschichte Gondwanalands anders beschrieben. Wenig passte zu dem, was mir gelehrt worden war.

Anfangs wirkten die anerzogenen Mechanismen. Ich wehrte mich gegen das vielfach unverständliche Gekritzel und zog es ins Lächerliche. Eine durchaus nachvollziehbare Reaktion, zu utopisch und phantastisch klang all das, was ich in mich hineinschlang. Wenn es mir schon abwegig vorkam, wie würde Rob erst darauf reagieren? Grotesk. Absurd. Welch krankes Gehirn diese Märchen wohl ersonnen hatte? Absolut unglaubhaft. Genau so dachte ich zu Beginn. Doch schon bald setzte sich stückweise die Überzeugung durch, hier etwas Revolutionäres in den Händen zu halten, etwas, das keiner blühenden Phantasie entsprungen sein konnte. Diese Ansicht vertiefte sich mit jeder Zeile, die ich zu entziffern in der Lage war.

Beim letzten Abendessen am Lagerfeuer vor dem Höhleneingang beschloss ich mein Schweigen gegenüber Rob zu brechen. Er selbst hatte seine Aufmerksamkeit nur den Landkarten gewidmet, jedoch schnell das Interesse verloren und sich wieder voll und ganz dem Boot zugewandt. Nun kannte ich Rob gut. Sein unbändiger Wissensdrang ließ sich sehr wohl mit meinem gleichsetzen. Anders als ich hatte er jedoch zu keiner Zeit Spaß am Lesen empfunden und dementsprechend unterentwickelt blieben seine Fertigkeiten. Er schämte sich schlicht und einfach dieser Tatsache und überließ mir daher kampflos das Feld. Nicht eine Minute forderte er Unterstützung bei der Reparatur des Bootes ein. Offensichtlich wollte er mir die nötige Zeit geben, mir ein genaues Bild zu machen, um mich später haarklein auszufragen. Diese in seinen Augen zweitklassige Arbeit ließ er mich nur zu gerne machen.

Wo aber würde ich beginnen? Wie sollte ich es bewerkstelligen, etwas glaubhaft zu berichten, das so unerhört klang? Zu verwirrend präsentierten sich die Eindrücke meiner Lesewut, als dass ich gewagt hätte, Rob auch nur etwas davon guten Gewissens zu erzählen. Er stellte auch keine Fragen, schien abwarten zu können.

Handflächengroße, auf Holzstecken gespießte Krebse brieten knisternd im offenen Feuer. Auf einem heißen Stein brutzelten aufgeschlagene Möweneier. Es roch verführerisch. Rob nahm einen orangeroten Krebs aus den Flammen und brach die enormen Scheren auf. In langen zähen Fäden tropfte das flüssige, blassrosa Fleisch aus den geborstenen Schalen.

„Also schieß mal los! Was hast du so alles in Erfahrung gebracht?“ fragte er endlich betont beiläufig.

Ich knackte nachdenklich eine Krabbenschere. Tja, wo anfangen? Wie sollte ich ihm glaubhaft klarmachen, dass unsere Vorfahren vor exakt sechshundertzweiundzwanzig Jahren mit einem Gefährt namens „Britannic“, das in der Lage war, durch den Weltraum zu reisen, hier auf Gondwana angekommen waren? 1521 Menschen, freie Siedler, um genau zu sein. Gestartet von einem Planeten namens Vestan, winziger Teil einer ewig weit entfernten Galaxis, einem Sternenhaufen, wie ich gelernt hatte, der sich „Vokutai“ nennt. Auf der Suche nach neuem Lebensraum. Fündig geworden im sogenannten Pagodennebel nach 752 Jahren, vier Monaten und siebenundzwanzig Tagen nach dem sogenannten Erdkalender, demzufolge ein Erdenjahr aus exakt dreihundertfünfundsechzig Tagen bestand. Begriffe wie Tag, Monat oder Jahr waren mir nicht fremd. Ein Gondwanajahr besteht aus zehn Monaten. Ein Monat wiederum aus vierzig Tagen. Der Erdkalender hielt sich wie es aussah an komplett andere Gesetzmäßigkeiten. Wie auch immer, ich sah darin nichts überaus Ungewöhnliches, im Gegenteil, gerade Details wie diese halfen dabei, die Glaubwürdigkeit des Gelesenen näher zu bringen. Komplizierter gestaltete sich schon die Tatsache, annehmen zu müssen, ein Fremdkörper auf Gondwana zu sein, ein Eindringling, ja Störenfried. Was würde Rob davon halten?

Planlos begann ich zu erzählen. Von der ersten Siedlung namens Willer am Willersee, benannt nach einem ranghohen Offizier der „Britannic“, Philip Willer. Von der Namensgebung in Anlehnung an die Planeten Erde und Vestan, von denen die Menschheit stammte. Viele Bezeichnungen waren von dort übernommen worden. Sämtliche Inseln der Bay of Islands zum Beispiel. Radan, wo wir uns gerade befanden, hieß ursprünglich eine Großstadt auf Vestan. Auckland, die Nachbarinsel, trug den Namen einer Stadt auf der Erde. Die December Bay hatte ihren Namen aufgrund der simplen Tatsache erhalten, dass im Dezember des Jahres 0 die menschliche Zeitrechnung auf Gondwana begonnen hatte. Gonwana selbst, unser Heimatplanet, war nach einem Kontinent jener ominösen Erde benannt. Verwirrend auch eine Sternenkarte, die mich ungleich faszinierte. Sie zeigte unser Sonnensystem mit den mir bekannten sechs Planeten. Doch in der Karte waren sieben eingezeichnet. Ein unbekannter mit dem annähernd unaussprechlichen Namen „Pangäa“ hatte sich dazugesellt.

Rob hörte wortlos zu. Er aß äußerlich unbeeindruckt weiter, doch sah ich ihm die innere Anspannung an. Bei der entbrennenden Diskussion um das Sternenschiff Britannic fiel die Spannung allerdings von ihm.

„So ein Blödsinn“, lachte er kopfschüttelnd und teilte die inzwischen kalt gewordenen Vogeleier brüderlich auf. „752 Jahre! Kein Mensch lebt auch nur einen Bruchteil dieser Zeitspanne. Welch gestörter Geist muss sich diese Verrücktheiten ausgedacht haben? Schiffe, die durch das Weltall fliegen! Ein siebter Planet! Pah! Ich dachte, du würdest jetzt etwas Interessantes erzählen. Aber diesen Quatsch habe ich nicht erwartet.“

Ich musste unwillkürlich grinsen. „Glaubst du, etwa ich? Klingt alles ziemlich unglaubwürdig, nicht wahr?“

„Am besten du schmeißt das ganze Geschmier ins Meer, dann ist es wenigstens noch als Fischfutter zu etwas zu gebrauchen.“ Sein Interesse flammte aber erneut auf, als ich von den Opreju berichtete.

„Die Opreju stammen also gar nichts aus Fennosarmatia?“

„So steht es hier geschrieben.“ Ich hielt ihm ein schmutzig-grünes Buch hin, das ich mir heute am späten Nachmittag vorgenommen hatte. Er ignorierte es.

„Wenn nicht, woher kommen sie dann?“

„Nun, es wird Travorsa erwähnt, als die Insel der Opreju.“

„Travorsa? Die Toteninsel?“ Robs Augen funkelten. Wir waren beide noch nie auf Travorsa gewesen, lag sie doch bereits in der Tabuzone. Aus Erzählungen wussten wir jedoch von ihr. Sie wurde auch die Toteninsel genannt, weil sich auf ihr so gut wie kein Leben befand. Selbst die Vegetation hielt sich in Grenzen. Das Zentrum der Insel formt ein riesiger erloschener Vulkan, der beinahe sechstausend Meter hohe Agra. Schwer vorstellbar, warum sich gerade dort Opreju aufhalten sollten.

„Schon wieder so ein unlogischer Mist. Kein Lebewesen kann auf Travorsa sein Dasein fristen. Die Toteninsel ist unfruchtbar wie die Nullarbor“, hielt mir Rob entgegen.

„Im Übrigen der Name einer Wüste auf der Erde.“

Rob sah mich geringschätzig an. „Ja, genau. Erde.“ Er betonte diesen Namen, als spräche er von einem widerlichen Insekt. „Was für ein merkwürdiger Name! Die Menschen stammen also von dieser Erde. Und dann Vestan! Ich verstehe kein Wort.“

„Willst du im Eiltempo wissen, wie ich mir das ganze zusammenreime?“

Rob zuckte nur mit den Achseln.

„So wie ich es kapiere, haben die Menschen aus welchem Grund auch immer irgendwann jene Erde verlassen. Mit Hilfe dieser Sternenschiffe. Vermutlich um andere Welten zu besiedeln. Vestan scheint nur eine davon zu sein. Gondwana eine weitere.“ Rob zuckte erneut mit den Achseln. Er machte es sich genau so wenig leicht wie ich. „Grob geschätzt sind sie vor eineinhalbtausend Jahren von Vestan aufgebrochen und nach 752 Jahre währender Reise hier auf Gondwana gelandet. Sie schufen neue Siedlungen, gerieten aus irgendwelchen Gründen in Streit und teilten sich. Einige zogen nach Süden, nach Laurussia, und gerieten mit den dort lebenden Opreju in Konflikt, der in den Großen Krieg mündete. Klingt einleuchtend, oder?“

„Ja, genau. Viel zu einleuchtend.“

„Das finde ich auch. Aber wie gesagt, so reime ich es im Augenblick zusammen. Lass mir noch etwas Zeit, da sind noch viele Schriften zu sichten. Sieht nach wochenlanger Arbeit aus.“

Rob schnaubte verächtlich. „Morgen hat das erst einmal ein Ende. Das Boot ist fertig. Ich denke, wir können in aller Frühe aufbrechen.“ Damit war das Thema für ihn erledigt.

Bis Sonnenuntergang widmete ich mich einer Art Tagebuch, das ganz zuunterst in dem Stapel lesbarer Schriften lag. Es handelte sich um das einzige Buch seiner Art, das private Aufzeichnungen enthielt. Umso mehr interessierte es mich. Philip J. Patterson aus Kelvin, Laurussia, entführte in eine Welt, die vor Jahrhunderten untergegangen war, von deren Existenz die verbliebene Menschheit Gondwanas nichts wusste oder am Ende vielleicht nichts wissen durfte. Welchen Kenntnisstand hatte ich schon von Laurussia, bevor mir dieses Tagebuch in die Hände gefallen war? Nicht den geringsten. Nach Lektüre desselben sah das Ganze etwas anders aus. Demnach musste Laurussia das zweite große Siedlungsgebiet der Menschen gewesen sein, mit der Hauptstadt Hyperion, der sogenannten Weißen Stadt, im Jahre 278 von den Opreju eingenommen und zerstört. Kelvin, eine weitere Siedlung im Süden Laurussias, war bereits Jahre früher ebenfalls von den Opreju vernichtet worden. Über sie wusste ich rein gar nichts, las ich ihren Namen doch heute zum ersten Mal. Umso mehr glaubte ich, in diesem Tagebuch kostbare Einblicke in eine unbekannte Welt zu finden, eine Welt, die es eigentlich gar nicht geben durfte. Anfangs blätterte ich ziellos darin, einige der in vielen Teilen bereits nicht mehr entzifferbaren Passagen lesend, andere überfliegend. Der älteste Eintrag ging zurück auf den 1. Januar des Jahres 231, der letzte endete im April 233. Und gerade die letzten Passagen waren es, die mich ganz in ihren Bann zogen.

31.04.233

Heute Mobilmachung. Der Kampf beginnt. Zusammen mit einer ganzen Schar kriegsbegeisterter Kameraden und Hunderter Skiavos marschieren wir los, um Kelvin zu verteidigen. Es ist so aufregend. Wir beziehen im Westen und Norden Stellungen, die die Stadt (------ nicht mehr lesbar -------) unseren Aufgaben zählt vor allem, Gräben auszuheben und Fangzäune zu errichten, um feindliche Offensiven so lange wie möglich aufzuhalten, damit (------ nicht mehr lesbar -------) eliminiert werden können. Es ist berauschend, endlich etwas Sinnvolles zu tun. Mache mir Sorgen um Mutter. Der herannahende Krieg verschlechtert ihren Zustand dramatisch.

32.04.233

Ganze Einheiten Skiavos führen die härtesten Jobs unter unserer Regie aus. Habe das Gefühl, sie gehorchen unseren Befehlen nur widerwillig. Jay vertraut mir an, dass er eine Meuterei befürchtet, aber ich glaube nicht recht daran. Es gibt jetzt nur einen Feind, und das schweißt uns mit den Skiavos zusammen.

37.04.233

Gestern Nacht ist sie gestorben. Bin nach Hause zurückgekehrt. Auf Betreiben (------ nicht mehr lesbar -------) dienstuntauglich gestellt. Wehre mich nicht sonderlich dagegen. Die Beerdigung erlebe ich wie in Trance. Kann nicht weinen, kann nicht trauern. Bin gelähmt und leer. Alles macht noch weniger (------ nicht mehr lesbar -------)