Kitabı oku: «Sentry - Die Jack Schilt Saga», sayfa 3

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40.04.233

Bin heute an die Front zurück. Innerhalb der wenigen Tage meiner Abwesenheit sind die Arbeiten weit vorangeschritten. Komme in meine alte Einheit. Noch mehr Skiavos sind nun hier, bilden Rotten, mischen sich nicht mehr unter uns. Frage mich, wo die alle herkommen! Man erwartet in Bälde einen Angriff. Egal, Hauptsache, es passiert etwas. Mutter, kannst du mich hören? Kannst du mich sehen? Wo bist du jetzt? Ich denke Tag und Nacht an dich. Werden wir (------ nicht mehr lesbar -------)

02.05.233

Heute Nacht erste Feindberührung. Jay meint, es sei wohl nur ein Spähtrupp gewesen. Aufgrund der schlechten Wetterverhältnisse kamen drei (------ nicht mehr lesbar -------) im schwer zu überwachenden Abschnitt B4 direkt an den Zaun heran, machten aber (------ nicht mehr lesbar -------) Alarmposten von ihnen attackiert, drei leicht Verletzte auf unserer Seite. Es gehen Gerüchte, dass keine Unterstützung aus Hyperion zu erwarten ist. Fluggerät ist rar geworden. Bin sicher, der Norden befindet sich bereits im Krieg, nur sagt man uns nichts davon. Mir ist alles egal. Wenn das Ende kommt, dann bitte schnell. Bald sind wir wieder vereint, du und ich.

03.05.233

Der Zaun in unserem Abschnitt steht. Habe Bekanntschaft mit Frank Wills gemacht, einem ziemlich durchgeknallten Holzfäller aus Kellswater. Er spricht nur noch von Krieg. In ruhigeren Momenten bricht aus ihm die Verzweiflung über die aussichtslose Lage heraus. Ohne Hilfe aus dem Norden hätten wir keine Chance, so sagt er. Es werde auch keine kommen. Was schert es die Bastarde in Hyperion, wenn Angmassab zum Teufel geht? Die haben (------ nicht mehr lesbar -------) nie um uns geschert. Ich glaube ihm. Jay meidet Frank, er hält ihn für (------ nicht mehr lesbar -------)

Die Sonne ging unter. Ich überblätterte zwei Seiten und widmete meine ganze Aufmerksamkeit dem letzten, an vielen Stellen unleserlichen Eintrag, dem keine Datumsangabe voranging.

Jay ist (------ nicht mehr lesbar -------) gestikulierend stürmte er herein (------ nicht mehr lesbar -------) zu Boden, sein Gesicht ist rot wie eine überreife Tichina, als hätte ihn jemand mit Lackfarbe beschmiert. Er schreit herum, alle seien tot. Ich habe uns in der Baracke verbarrikadiert und (------ nicht mehr lesbar -------) wieder Schreie draußen... manchmal auch Schüsse... es sind wohl doch nicht alle tot. Weiß nicht, was ich tun soll. Habe Jay aufs Bett gelegt, sein Gesicht ist immer noch feuerrot, als wäre seine Haut verbrannt, aber sie ist kühl und eigenartig feucht. Fühle mich so hilflos. Er ist nicht ansprechbar, starrt nur wild vor (------ nicht mehr lesbar -------) wirres, unverständliches Zeug von sich, auf das ich mir keinen Reim machen kann. Ich werde wahnsinnig, weil ich nicht weiß, was draußen vorgeht. Habe Jay Wasser gegeben. Er schaut aus (------ nicht mehr lesbar -------) Angst vor der Art, wie er mich ansieht. Jay hat mich angeschrien, ich solle abhauen, solange „sie“ mich noch nicht „erwischt“ hätten… auf meine Frage, wer „sie“ seien, antwortet er nicht, starrt aber weiterhin mit (------ nicht lesbar -------) nicht mehr lange haben. Spähe zwischen den Läden hindurch hinaus, es ist trügerisch ruhig. Niemand zu sehen (------ nicht mehr lesbar -------) viele Stunden vergangen sind, kann nur ahnen, was draußen (------ nicht mehr lesbar ------) fest eingeschlafen. Würde am liebsten die Baracke verlassen, einfach abhauen, aber ich wage es nicht, erst recht nicht jetzt, wo es dunkel ist. Jay macht mir immer noch Angst, obwohl es so aussieht (------ nicht mehr lesbar -------) Sekunde länger mit ihm hier drin verbringen. (------ nicht mehr lesbar -------) geschehen, spüre es ganz deutlich. Habe mich nach draußen gewagt und etwas Unglaubliches gesehen. Im tiefen Schatten der Nachbarbaracke kauerte ein merkwürdiges Wesen. Nicht groß, etwa so wie ein halbwüchsiges (------ nicht mehr lesbar -------) Gefühl, dass es mich fixierte. Dann war es von einer Sekunde auf die andere verschwunden. Keine Ahnung, was das war. Jay ist aufgewacht, er starrt mich unentwegt stumm an, sagt aber keinen Ton mehr. Manchmal grinst (------ nicht mehr lesbar -------) ertrage das alles nicht mehr lange. Habe einen Plan gefasst. Will im Schutz der Dunkelheit ausbrechen und nach Kelvin (------ nicht mehr lesbar -------) halten hier noch länger, es ist sowieso alles verloren. Gott stehe mir bei.

Ich ließ das Journal sinken und das eben Gelesene wirken. Was war mit ihm geschehen? War ihm die Flucht nach Kelvin gelungen? Wer zum Teufel waren diese Skiavos, die Seite an Seite mit den Menschen kämpften? Von ihnen hatte ich noch nie gehört. Auch tauchte der Name „Kellswater“ zum ersten Mal auf. Allem Anschein nach existierten doch einst mehrere Siedlungen im Süden Laurussias, in Angmassab.

Ich hatte erwartet, Antworten auf Ungewissheiten zu finden, doch das Gegenteil trat ein. Neue Rätsel türmten sich auf. Ich musste die wahre Geschichte der Menschen Gondwanas neu begreifen lernen, als Mosaik, dessen Gesamtbild sich aus Tausenden kleiner Steinchen zusammensetzte. Viele dieser Steinchen hatte ich im Laufe meines noch jungen Lebens angehäuft und zu einem Bild geformt, das so nicht zu stimmen schien. Ich weigerte mich, alles Alte in Frage zu stellen und zimmerte mir stattdessen ein separates zweites Bild zusammen. Es galt, falsch platzierte Teile des alten Mosaiks in ein neues zu übertragen, das auf den Erkenntnissen der von uns entdeckten Schriften basierte.

Den Stapel Schriften zur Seite schiebend, kauerte ich mich wie ein Gestrandeter (der ich genau genommen ja nun war) vor die angeschwemmten Trümmer meines untergegangenen Schiffes, das mich einst sicher über die Meere getragen hatte. Altes löste sich auf, Neues wollte entstehen. Und tief in mir meldete sich erneut die Ahnung, auf etwas gestoßen zu sein, dessen Tragweite sich noch gar nicht erfassen ließ.

In jener Nacht stellten sich die ersten Träume ein, welche ich später Visionen nennen und die mich für lange Zeit plagen sollten. Ich wanderte durch dunklen Wald, dessen dichtes Blätterdach das Sonnenlicht filterte. Graue Nebel folgten mir. Lief ich zu langsam, hüllten sie mich ein, beschleunigte ich meine Schritte, fielen sie zurück. Ich erkannte, dass die grauen Schatten von mir ließen, hatte ich den richtigen Pfad eingeschlagen. Sie bildeten jedoch eine undurchdringliche Wand, kam ich vom Wege ab.

Nachdem ich das zweite Buch von einem mit totem Laub bedeckten Waldboden aufgelesen hatte, wurde mir allmählich klar, was die Nebel wollten. Mehr und mehr Licht drang durch die Kronen der riesigen Bäume. Laub fiel herab, junges, frisches Grün, und gesellte sich zu den welkenden Blättern. Je mehr Bücher ich fand, desto mehr lichteten sich die Baumkronen, füllte sich der Weg mit Licht. Ich trug bereits einen schweren Stapel vor mir her. Die Nebel zogen ab.

Dann erstarb die Natur um mich herum zusehends. Die Bäume trugen nur noch wenig Laub, wirkten krank und vergänglich. Aber nicht alle starben. Einige wenige schienen zu erstarken, neuen Atem zu schöpfen. Sie bildeten Knospen aus, erblühten in strahlend weißen Farben, überwucherten ihre abgestorbenen Genossen, deren tote, blattlose Äste anklagend in den Himmel ragten.

Ich hielt inne, um dieses Phänomen zu erkunden. In der Tat waren es die filigraneren Arten, die vom Tod ihrer einst stärkeren Artgenossen profitierten. Ein Raunen und Seufzen ging durch ihre vibrierenden Äste, als hätten sie diesen Moment seit Ewigkeiten herbeigesehnt. Fasziniert stand ich da, sah die mir bekannten Baumarten im Zeitraffer sterben. Aus ihrer geborstenen Borke drangen dafür neue, fremdartig anmutende Gewächse.

Ein junger und starker Trieb, dick wie mein Unterarm, raschelte durch totes Laub auf mich zu. Flink wie eine Schlange wand er sich um mein rechtes Bein und kletterte an mir empor. Vor Schreck erstarrt beobachtete ich, wie sich die giftig grüne Liane um meinen Oberkörper wickelte, dann um meinen Arm, schließlich um die Hand. Am Ende berührte die Spitze des Triebes die Bücher, welche ich noch immer hielt. Sie zerfielen augenblicklich zu Staub, der durch klamme Finger rieselte. Der Trieb starb in Sekundenschnelle ab, schneller als die Bücher zerfallen konnten, verfärbte sich bräunlich, trocknete ein und bröckelte von mir herunter.

Stumm und starr stand ich da, als die Nebel, die bedrohlichen Schatten, wieder auftauchten und mich einhüllten. Ich sah nichts mehr, hörte nichts mehr, fing an zu röcheln, als mir die Atemluft wegblieb. Spätestens an dieser Stelle erwachte ich stets. In leicht abgewandelter Form sollte dieser Traum in den kommenden Nächten mein treuer Begleiter werden. Einzelheiten änderten sich. Manchmal sah ich zwischen den sterbenden Bäumen die Körper toter Menschen, deren weit aufgerissene Augen mich bezichtigend anstarrten. Zuweilen erstarb der geheimnisvolle grüne Trieb noch bevor er an mir hochkletterte, und die Bücher in meinen Händen verwandelten sich in dunkelhäutige, echsenartige Kreaturen, die ich nach dem Erwachen nicht mehr zu beschreiben in der Lage war. Ein Ereignis aber blieb unverändert. Am Ende holten sie mich immer wieder ein, die Schatten, nahmen mich in sich auf und löschten die Welt aus. Gelegentlich setzte sich der Traum fort, dann lief ich, rannte ich los, um aus dem Nebel herauszufinden. Allein, ich rannte vergeblich.

Mein Leben war im Begriff sich zu verändern. Mit den Nächten begann es. In absehbarer Zeit würde nichts mehr so sein, wie es einmal war. Und das war erst der Auftakt. Bald, sehr bald, sollte sie beginnen, die große Reise, an dessen Ende nicht einmal mehr das Bestand haben würde, was mich im Innersten ausmachte.

Mitten in der Nacht fuhr ich hoch. Rob schlief tief und fest, ein beruhigendes Zeichen, doch nur in meinem wüsten Traum laut geschrien zu haben. An Schlaf war nicht mehr zu denken, so sehr ich es auch versuchte. Letztlich lockte mich das silberne Licht des Mondes den Strand hinunter, wo das wiederhergestellte Boot im Sand lag. Die rechte Hand auf das Ruder legend, ließ ich mich von der Erhabenheit der Natur beruhigen. Immerhin fühlte ich keine körperliche Bedrohung mehr, die Nachwirkungen des düsteren Alptraums nahmen ab. Schon wusste ich nicht mehr, wovon ich eigentlich geträumt hatte. Die schimmernde, mondbeschienene See präsentierte sich ausnehmend ruhig und still, kein Lüftchen ging. In meinem Kopf herrschte dafür das komplette Gegenteil, ein gnadenloses Durcheinander.

Wieso wühlte mich der Fund dieser alten Schriften so sehr auf? Tagsüber betrachtete ich all diese Neuigkeiten, die mir begegneten, aus einer gewissen Distanz, wie ein Außenstehender, ein neutraler Betrachter, nach dessen Meinung niemand fragte. Doch nachts, im Schlaf, fand ich mich im Mittelpunkt der Ereignisse wieder und spielte eine ganz andere, eine überraschend aktive Rolle. Und immer wieder diese Bücher, die letzten Endes zu Staub zerfielen, ganz gleich was passierte.

Meine Abneigung gegen die Schriften wuchs. Noch gestern hatte ich mich gefragt, wie ich es bewerkstelligen wollte, alle ohne Ausnahme nach Stoney Creek zu bringen, wo ich sie auszuwerten gedachte. Im Licht des Mondes war ich nicht mehr sicher, ob es sich um eine gute Idee handelte. Überzeugt, niemandem davon erzählen zu dürfen und den Kreis der Wissenden auf Rob und mich beschränkt zu halten, bis ich mir im Klaren war, wie damit umzugehen war, spürte ich jedoch auch, es nicht geheim halten zu dürfen.

Lange saß ich grübelnd da, von einem Extrem ins andere fallend. Erst schien ich davon überzeugt, nur die Aufzeichnungen zurückzulassen, die ich nicht lesen konnte. Wenig später erachtete ich es als das beste, alle ausnahmslos mitzunehmen. Doch je länger ich die eine oder andere Möglichkeit erwog, je tiefer ich in mich hineinhörte, desto stärker spürte ich die Abneigung gegenüber unserem Fund, gegenüber Radan, gegenüber der Entscheidung, vor wenigen Tagen zum Fischen an die Tiefe Rinne gesegelt zu sein. Der bloße Gedanke, eine weitere Nacht in der Nähe der Höhle verbringen zu müssen, erfüllte mich mit unergründlicher Furcht. An Intensität gewann dafür die Gewissheit, etwas ans Tageslicht gezerrt zu haben was besser unentdeckt geblieben wäre.

In diesen Minuten entschied ich, nicht ein einziges Buch mitnehmen zu wollen, sie alle aufzugeben. Kurzfristig spielte ich sogar mit dem Gedanken, sie, wie Rob es vorgeschlagen hatte, ins Meer zu werfen. Allerdings wusste ich genau, es nicht übers Herz zu bringen. Nein, dazu hatte ich kein Recht.

Bei Sonnenaufgang sammelte ich alle Aufzeichnungen zusammen und brachte sie zurück in die Höhle, dorthin, wo sie so lange Zeit unentdeckt vor sich hin geschlummert hatten. Allein die Mauer, die sie so lange bewahrt hatte, existierte nicht mehr, konnte sie nicht mehr vor dem Verfall schützen. Ich kam zu dem Entschluss, dies zu begrüßen. Mochten sie ein Raub der Feuchtigkeit werden, sollte die Natur selbst den Zerfallsprozess zu Ende bringen.

Als Rob erwachte, befand sich jedes Buch, jede Schriftsammlung, jedes lose Blatt wieder im Innern der Höhle. Mein Bruder äußerte kein Wort dazu. Es sah beinahe so aus, als fiele es ihm nicht einmal auf, nicht ein Stück vergammeltes Pergament an Bord vorzufinden.

In aller Frühe verließen wir Radan. Dank frischen Nordwinds nahmen wir rasch Fahrt auf und schipperten ohne zeitraubende Manöver in Richtung Heimat. Mit jedem Meter, den wir uns von der Insel fortbewegten, wurde ich ruhiger, legte sich die innere Anspannung, die mich in den letzten Tagen so aufgewühlt hatte. Der bezogene, milchig-trübe Himmel, der Wetteränderung ankündigte, stand stellvertretend für die Stimmung an Bord. Rob saß wortlos am Ruder und starrte vor sich hin. Zunächst beließ ich es dabei, den eigenen Hirngespinsten nachsinnierend, froh, mich nicht äußern zu müssen. Irgendwann jedoch beunruhigte die Tatsache, seit langem kein einziges Wort mit meinem Bruder gewechselt zu haben. Ich wandte mich um. Er hockte unverändert an dem Platz, den er seit unserem Aufbruch eingenommen hatte, schien nicht einmal die Position eines Fußes verändert zu haben.

„Rob?“ Auch wenn der Wind munter pfiff, so musste mein Bruder mich dennoch gehört haben. Er schien von ewig weit zurückzukehren, als er blinzelte und mit überraschten Augen meinen Blick fand.

„Jack? Hast du etwas gesagt?“

„Du bist so schweigsam.“

Er blinzelte erneut und bewegte den Kopf hin und her, als wollte er die hartnäckigen Schleier eines Tagtraumes abschütteln. „Mein Kopf schmerzt“, meinte er schließlich. „Ich kann es kaum erwarten, endlich anzukommen. Vater muss vor Sorge fast tot sein.“ Wieder zwinkerte er unkontrolliert mit den Augen, als befände sich ein Fremdkörper darin. Was dann geschah, sollte ich erst sehr viel später ganz und gar verstehen lernen.

Eine Träne löste sich aus Robs linkem Auge. Eine pechschwarze Spur hinterlassend wanderte sie langsam, Millimeter für Millimeter, seine Wange hinunter. Ich stutzte. Aus der Entfernung sah es nicht außergewöhnlich aus, doch als ich mich meinem Bruder näherte, stutzte ich. Sein linker Augapfel hatte sich dunkel verfärbt.

„Was ist mit deinem Auge?“ fragte ich ihn bestürzt.

„Warum? Was ist damit?“

„Es ist... schwarz...“, stammelte ich.

Rob rieb ungläubig das betroffene Auge, was den Tränenfluss weiter anregte. Pechschwarze Flüssigkeit, dick wie Tinte, klebte an seinem Handrücken.

„Spürst du etwas?“ fragte ich. „Hast du Schmerzen?“

„Nur Kopfschmerzen, aber das sagte ich bereits. Ist mein Auge wirklich schwarz?“ Er rieb noch einmal intensiv.

Prüfend warf ich einen weiteren Blick hinein. Es schien wieder eine Idee klarer geworden zu sein, dafür verfinsterte sich nun das andere Auge. Rob bemerkte meinen erschreckten Blick.

„Das andere auch?“ fragte er seltsam tonlos. „Ich spüre nichts.“

„Dreh dich mal ins Licht. Lass sehen!“ Rob wandte das Gesicht der Sonne zu. Ein weiterer Schwall Tinte floss pulsierend hervor. Der Augapfel, wie schwarzes Glas schimmernd, änderte die Farbe wie eine Stamarina, erschien im nächsten Moment olivgrün und klarte dann wieder auf. Ich beobachtete fasziniert, sagte kein Wort.

„Es ist vorbei“, stellte ich endlich fest. Akribisch begutachtete ich nochmals beide Augen. Ja, sie waren wieder normal. Möglicherweise nicht rein weiß, wie sie vielleicht hätten sein sollen, sie wirkten dennoch keinesfalls mehr furchterregend. Erneut wischte Rob mit den Händen über beide Augen. Keine Spur mehr von schwarzer Flüssigkeit. Doch ihre eingetrockneten Spuren verblieben als dunkle Flecken auf dem Handrücken.

„Was war das nur?“ fragte er mit Verwunderung in der Stimme.

„Ich wollte, ich wüsste es. Tut dir außer deinem Kopf noch etwas weh?“

„Nein, nichts. Tatsächlich sind auch die Kopfschmerzen verflogen. Merkwürdig.“ Rob betrachtete noch einen Augenblick kopfschüttelnd die verblassende Tränenspur auf seinem Handrücken, bevor er sie im Meer wegwusch. Ohne ein weiteres Wort ergriff er das Ruder und brachte das Boot wieder auf Kurs. Von Zeit zu Zeit blickte ich ihm verstohlen in die Augen, doch gab es nichts mehr zu sehen.

Auf halber Strecke stießen wir auf ein wohlbekanntes Fischerboot, das offensichtlich von nächtlichem Fangzug zurückkehrte. In ihm befanden sich Krister Bergmark, einer unserer besten Freunde seit ich denken konnte und dessen bevorzugter Jagdkumpan, Scott Adair, beide hocherfreut, uns zu sehen. Wir näherten uns längsseits und begrüßten einander schon aus weiter Distanz.

„Boot ahoi“, brüllte ich hinüber.

Krister erhob sich und winkte. „Hey, ihr Süßwassermatrosen, wo wart ihr?“ Der angenehm tiefe Bass in seiner Stimme vermittelte das warme Gefühl, wieder nach Hause zu kommen. Ich war im Begriff zu antworten, als sich Robs Hand auf meine Schulter legte.

„Ich halte es für besser, die Existenz dieser dämlichen Schriften für uns zu behalten.“ In seinem Blick lag feste Entschlossenheit, ein Verbot, das ich zu befolgen hatte. Nur kurz zögerte ich und bestätigte die Aufforderung mit einem Nicken. Im Grunde war ich dankbar, mir die Entscheidung abgenommen zu sehen. Nach wie vor befand ich mich in argem Zweifel darüber, wie mit den neuen Informationen umzugehen war. Dennoch widersetzte sich etwas in mir, Robs einsame Entscheidung widerstandslos zu akzeptieren. Es durfte wohl an der Tatsache liegen, nicht in seine Überlegungen einbezogen worden zu sein. Rob quittierte mein Kopfnicken in gleicher Manier und bedeutete mir, das Ruder zu übernehmen.

„Krister, du stinkende Landratte!“ rief er dann zu dem Boot hinüber, gefolgt von tosendem Lachen. Ich stand grinsend am Ruder. Die wüsten Beschimpfungen, mochten sie noch so befremdlich klingen, waren in Wahrheit Ausdruck tief empfundener Freundschaft und belustigten mich stets.

„Rob, alter Sack, du siehst schauerlich aus“, brüllte Krister Bergmark zurück. „So gänzlich unbefriedigt. Hat wieder keine Mamora stillgehalten, was?“

„Bei mir halten sie wenigstens aus eigenem Antrieb still, du abartiger Herumtreiber. Bei deinem Gesicht aber kannst du von Glück sagen, wenn sie nicht sofort in Leichenstarre verfallen!“

Gelächter von drüben.

„Und wo kommt ihr her? Für die Mamorabänke ist es noch ein wenig früh im Jahr. Die Hoffnung versetzt ja Berge, sagt man. Aber hey, manchmal treibt es im Frühjahr ja ein paar Kadaver an, die können zumindest nicht flüchten.“

Jetzt war es an uns, dreckig zu lachen. Die Unterstellung der Sodomie mit verwesenden Mamoras bedeutete nur das Vorspiel im Austausch weiterer Nettigkeiten. Es folgten ausführlichere Anspielungen, welche tief unter die Gürtellinie abzielten, bis wir das Boot schlussendlich erreichten und uns gegenseitig schulterklopfend in die Arme fielen. Krister bemerkte natürlich sofort meinen blutverkrusteten Kopfverband und bedachte mich mit besorgtem Blick.

„Was ist dir denn zugestoßen, Jack?“

„Bübchen hat sich den Schädel am Bootsrand aufgeschlagen.“ Ich hasste meinen Bruder. „Bääh, wie das hier stinkt.“ Er rümpfte verächtlich die Nase und zeigte angewidert auf den beträchtlichen Fang, welcher sich im gesamten Boot verteilt befand. „Ich wusste es, bei deinem Anblick fangen sogar die Fische zu faulen an.“

„Nur kein Neid“, entgegnete Krister mit bärigem Grinsen. Ein Blick in unser Boot genügte und er zog die Mundwinkel nach unten. „War wohl nicht so erfolgreich, dein Fischzug, hä? Mann, drei Tage und kein Fisch. Waren die Mamoras so willig, dass du alles um dich herum vergessen hast? Jack, du enttäuschst mich! Von deinem perversen Bruder hab ich nichts anderes erwartet. Aber du auch?“

„Tja, liegt wohl in der Familie“, gab ich augenzwinkernd zu.

Krister Bergmark stand vor mir, wie ich ihn seit Jahr und Tag kannte. Ein breites, kantiges Gesicht, auf dem stets ein spöttisches Lächeln lag. Blitzende eisblaue Augen, die jetzt schelmisch zwinkerten. Tief gebräunte Haut. Ein ungezähmter, von der Sonne gebleichter Blondschopf. Wie immer trug er ein ziemlich ramponiert aussehendes kupferfarbenes Leinenhemd, das den Blick auf muskulöse Oberarme freigab. Die Arme eines Mannes, der harte Arbeit gewohnt war. Obwohl nur ein Jahr älter als Rob, wirkte mein Bruder neben Krister wie ein Jungspund. Womöglich waren es die markanten Gesichtszüge, die Krister älter wirken ließen, als er tatsächlich Jahre zählte.

Ich begrüßte Scott Adair mit Handschlag. „Nicht schlecht, euer Fang“, sagte ich anerkennend.

Scott nickte heftig. Seine hellen Augen strahlten. Er war ein paar Jahre jünger als ich, einen Kopf kleiner, semmelblond, mager aber nicht dürr und ungeheuer drahtig. Ein unverständliches Grunzen entrann seiner Kehle, und sein Adamsapfel hüpfte auf und ab. Scott war von Geburt an so stumm wie die Fische, die er fing. Und Kristers bevorzugter Partner beim Fangzug. Auf die Frage, wie er es manchmal tagelang auf See aushielte mit einem Begleiter, der nur heiser krächzen konnte, antwortete Krister einmal treffend: „Er spricht kein Wort. Ich liebe ihn.“

„Darf ich nochmals fragen, wo ihr gewesen seid? Nicht, dass es mich sonderlich interessiert, aber es bedeutet schon was, Besuch von eurem alten Herrn zu bekommen. Ich hatte ja schon immer eine Schwäche für diesen bärbeißigen Ausbund an Freundlichkeit.“ Krister tat, als müsste er sich übergeben, bevor er fortfuhr. „Leider konnte ich ihm keine befriedigende Antwort geben. Ihr habt euch ja ohne abzumelden verzogen. Macht man das?“

Rob und ich wechselten kurze Blicke, bevor mein Bruder eine Erklärung abgab, deren eingewebte Lüge so flüssig über die Lippen kam, dass ich ihn restlos bewunderte – und gleichzeitig abgrundtief verachtete.

„Wir waren draußen an der Tiefen Rinne. Ein Sturm zwang uns rüber nach Auckland. Wir können uns glücklich schätzen, das Boot nicht verloren zu haben, von unserem Leben gar nicht zu sprechen. Solche Wellenberge habe ich noch nie erlebt. Ist hier alles glatt gegangen?“

Krister sah ihn verständnislos an. „Was sagst du da? Ein Sturm? Komm, Junge, hast du dir das Hirn angeschlagen oder Jack? Mir musst du keine Märchen erzählen, spar dir das für deinen alten Herrn auf. Aber denk dir was Besseres aus.“

Nun war es an Rob und mir, ihn verständnislos anzublicken.

„Was meinst du damit, ich soll mir was Besseres ausdenken?“

Der Spott in Kristers Lächeln war nie ausgeprägter. „Von welchem Sturm sprichst du? Wir haben seit neun Tagen bestes Wetter.“

„Du sagst also, hier gab es keinen Sturm?“

„Nicht einmal eine Brise, stimmt’s, Scott?“

Scott nickte zustimmend.

„Erzähl keinen Blödsinn, Krister! Keine zwanzig Meilen nördlich von hier geht die Hölle eines Unwetters runter und hier kriegt man nichts davon mit? Das kannst du deiner Großmutter weismachen, wenn du willst, aber nicht mir. Das war ein ausgewachsener Orkan von einer Intensität, wie ich sie noch nicht erlebt habe, und wir wären beinahe draufgegangen. Also komm mir nicht mit so einem Scheiß!“ Rob war unversehens laut geworden. Und zu keinerlei Späßen mehr aufgelegt, wie es unzweifelhaft schien.

„Okay, Junge, beruhig dich. Ist alles gut. Aber du kannst dich auf den Kopf stellen und in die Hände klatschen und doch gab es hier keinen Sturm.“

„Das ist völlig unmöglich“, schaltete ich mich nun ein. „Denkst du, ich schlage mir den Schädel ohne Not zu Bruch? Es war gegen Mittag vor drei Tagen. Aus dem Nichts erschien diese pechschwarze Wolkenwand, es wurde finsterste Nacht um uns herum. Und wenn wir nicht dieses verdammte Riesenglück gehabt hätten und auf Radan...“ Robs Ellenbogen traf mich zu spät in die Rippen. Und natürlich nicht unbemerkt.

„Na, da haben wir uns wohl nicht genügend abgesprochen?“ grinste Krister, als hätte er zwei kleine Jungs beim Lügen ertappt. „Alles in Ordnung, Rob, kein Grund zum Heulen. Ich werde niemandem etwas verraten.“

Rob sah mich fragend an. Mit unmerklichem Nicken bestätigte ich seinen Verdacht. Eine schwarze Träne bahnte sich ihren Weg aus dem linken Auge. Wortlos wandte er sich ab und kehrte auf unser Boot zurück. Krister und Scott sahen ihm erstaunt nach.

„Und hier gab es in der Tat kein Unwetter?“ fragte ich nochmals und stiftete damit noch mehr Verwirrung.

Krister und Scott schüttelten synchron den Kopf.

„Danke.“ Damit hangelte ich mich ebenfalls auf unser Boot zurück. Rob saß steif am Ruder, während ich das Segel setzte.

„Euer Boot sieht jedenfalls so aus, als hättet ihr mächtigen Sturm hinter euch“, hörte ich Krister rufen. „Ein lokales Unwetter vielleicht? So etwas gibt es.“

Robs Kopf ruckte in seine Richtung wie der einer Mantis, die Beute erspäht hatte. „Niemals. Ein Tiefdruckgebiet von diesem Ausmaß, mit einem Wellengang, den ich meinen Lebtag noch nicht gesehen habe – und hier merkt keiner etwas? Das ist unmöglich.“