Kitabı oku: «Rattentanz», sayfa 14
Eva schauderte.
Sie war inzwischen an der weit offen stehenden Tür zum Speiseraum angekommen. Bis auf das schwache Licht, das die soeben untergehende Sonne zwischen den Bäumen hindurchschickte, war es dunkel. Auf einem Tisch standen einige Schüsseln und Teller und Besteck. Weiße Porzellanscherben zerschlagener Teller lagen herum. Eva durchquerte den weiten Raum und ging an der langen Theke der Speisenausgabe und der alten Registrierkasse vorbei zu einer Tür. Hinter dieser Tür lag ein Flur, der Küche und Speisesaal miteinander verband. In dem fensterlosen Gang herrschte vollkommene Stille. Alles schien verlassen. Im schmalen Lichtkegel der kleinen Taschenlampe, die eigentlich dazu diente, die Pupillenreaktion Hirnverletzter zu prüfen, sah sie, dass fast alle Türen, die vom Flur abgingen, offen standen. Es gab hier mehrere sogenannte Seminarräume mit jeweils einem Dutzend Computer, an denen die Mitarbeiter der Klinik geschult wurden. Alle Monitore und Computer waren verschwunden, ein letzter zerschlagener Bildschirm lag am Boden. Auch die Schiebetür in die Großküche stand weit offen. Betreten nur in Schutzkleidung gestattet! , mahnte seit Kurzem ein Schild. Sie folgte dem Schein der Lampe, kam an einem kleinen Raum vorbei, in dem sauberes Geschirr lagerte, dann stand sie an einem Förderband. Über das Band rollten dreimal täglich die Tabletts für die Patienten vorbei und wurden von Arbeiterinnen mit dem Gewünschten bestückt.
Auch hier erschien ihr alles ruhig.
Vielleicht hatte der Polizist ja doch übertrieben, überlegte Eva. Vielleicht gab es doch eine Chance, noch in dieser Nacht nach Hause zurückzukehren. Er hatte sicher übertrieben, als er von Mord und Plünderungen erzählte. Und was auf der Station geschehen war, war nur ein dummer Zufall.
Durch die Küchenfenster fiel warmes Abendlicht. Sie wollte gerade die Taschenlampe ausknipsen, als sie ein Geräusch stutzen ließ. Ein Klirren, wie wenn Glas gegen Glas schlägt. Sie blieb stehen und lauschte. Die beiden Herdreihen, mit riesigen Töpfen am Rand und ebenso überdimensionierten Kellen darüber, warteten auf den kommenden Tag. Gulliver im Land der Riesen, dachte sie mit einem Blick auf Töpfe, Pfannen und Kellen. Sie ging um den ersten Herd herum, folgte dem Geräusch. Offenbar kam es aus dem winzigen Aufenthaltsraum am Ende der Küche.
Plötzlich stolperte sie. Sie verlor das Gleichgewicht und die Taschenlampe aus der Hand, und landete in einem kalten Brei aus rosafarbener Creme und dunkelroten, jetzt in der Dämmerung fast schwarzen Schlieren. Ihre Lampe rollte unter den Herd. Dort blieb sie so liegen, dass sie das starre Gesicht des Chefkoches beleuchtete. Eva erkannte den Mann sofort, ihn, der immer etwas früher als seine Mitarbeiter kam und meist auch länger blieb und der, auch im größten Stress um die Mittagszeit, immer Zeit für einen Scherz mit den Schwestern fand und fragte, wie ihnen sein Essen schmecke.;
Genau dieser Chefkoch lag tot neben ihr und als Eva sich abstützte um aufzustehen, hielt sie plötzlich ein Ohr in der Hand. Sie warf es zur Seite als sei es glühend heiß und schrie, schrie, wie sie noch nie in ihrem Leben geschrien hatte. Der bis unter die Decke geflieste hohe Raum verstärkte ihre Schreie wie ein riesiges Megafon und warf sie hundertfach zurück. Er wollte ihre Schreie nicht. Unfähig, sich zu bewegen und erschrocken von der Intensität ihrer eigenen Stimme, stand Eva neben dem Koch und starrte auf die Leiche. Überall war sie mit Erdbeercreme und geronnenem Blut beschmiert.
In diesem Moment wurde die Tür des kleinen Aufenthaltsraumes aufgerissen. Eva hob den Blick und sah Mehmet in die Augen. Mehmet erkannte sie sofort und brüllte: »Es ist die Schlampe von der Intensivstation!« Er suchte seine Pistole und, als er sie nicht fand, riss er Fuchs die Maschinenpistole aus der Hand und schoss eine Salve auf die Schwester. Er hatte aus der Hüfte heraus zu hoch gezielt und die meisten Geschosse prallten an den Gerätschaften über dem Herd ab und versetzten die Kellen und Löffel in Schwingung. Sie stießen gegeneinander und stimmten einen misstönigen Trauermarsch an. Ein Projektil zerriss eine der Neonröhren, die förmlich explodierte, und drei weitere Kugeln schlugen in die gegenüberliegende Wand, die daraufhin einige der weißen Kacheln fallen ließ.
Eva duckte sich hinter dem Herd als sie Ritters Stimme hörte.
»Spinnst du, wir brauchen sie lebend, du Idiot!« Er riss Mehmet die MP weg und stieß ihn aus dem kleinen Raum.
»Los, fangt sie!«
Dass er nicht schon früher draufgekommen war, ärgerte er sich. Wo sonst, wenn nicht auf einer Intensivstation, würde es Schmerzmittel geben!
Mehmet durchquerte mit einigen kräftigen Sprüngen die wenigen Meter bis zum Herd. Eva schüttelte ihre Überraschung und das Entsetzen endlich ab, rannte zum Ausgang, während Mehmet über die Arbeitsfläche der Küche setzte. Er kam genau in der von ihm auf dem Boden verursachten Schweinerei an, rutschte aus und landete weich auf dem Koch.
»Idiot!«, zischte Fuchs, der mit wehendem Mantel an ihm vorbeirannte.
Eva eilte durch den dunklen Gang, nahm die Abkürzung an den Aufzügen vorbei ins Treppenhaus. Sie sah nicht mehr zurück. Mit wenigen Schritten rannte sie zwei Etagen empor und an einem Mann im Bademantel vorbei, der rauchend im Wartebereich stand und die Asche seiner Zigarette genüsslich auf den Boden streute.
»Schwester, mein Urinbeutel ist voll!«, rief er ihr mit erhobenem Arm hinterher.
Eva rannte den fast dreißig Meter langen Flur zu ihrer Station, riss die erste der Türen auf und stand vor dem Eingang zum Aufwachraum. Aufwachraum, dachte sie, Einschlafraum wäre treffender! Sie sah sich um. Sie musste diese Tür irgendwie verriegeln, musste die drei Verrückten daran hindern, hier einzudringen! Die Tür öffnete nach innen. Wenn sie nur irgendetwas so davorlegen könnte … Ihr Blick fiel auf die Betten mit den Toten. Ohne langes Überlegen schnappte sie das erstbeste Krankenbett und rollte es quer vor die Flügeltür. Dann arretierte sie die Bremsen.
Aber wenn sie die Scheiben einschlagen, kann einer von ihnen hereinklettern.
Sie rannte zurück in den Aufwachraum und sah sich um. Aber die Regale und Schränke, die als Barrikade infrage kämen, waren fest eingebaut. Einige Stühle und Hocker standen herum, sonst nichts.
Fast nichts!
Ohne weiter nachzudenken bückte sie sich und packte die Leiche einer alten Frau an den Armen. Die Frau war schwerer als Eva vermutet hatte. Sie war schon fast kalt und als Eva sie auf die Bettbarrikade stemmte, schlugen ihre Arme wie Pendel gegen Evas Beine. Aber Eva wusste, dass dies ihre einzige Chance war. Sie musste sich verbarrikadieren, quasi mit Leichen einmauern, um die Verrückten fernzuhalten. Sie musste das Kind retten, sich retten. Hans weiß doch noch gar nichts von dem Baby!
Ihr war schwindelig – vor Hunger, vor Anstrengung, wegen des Kindes in ihr. Aber sie ging zurück und zerrte einen Mann mit offener Operationswunde aus seinem Bett und über den glatten Boden zur Tür. Leiche um Leiche zerrte sie durch den Raum. Weiter und immer noch eine. Evas Arme schmerzten und ihr rann der Schweiß vom Körper und ihr Geruch vermischte sich mit dem Geruch von Erdbeercreme und Tod und Blut.
26
21:32 Uhr, Krankenhaus Donaueschingen
Fuchs und Mehmet hatten den deutlich längeren Weg durch den Speisesaal genommen. Auch sie waren die Treppen hinaufgerannt und als sie den Raucher trafen und ihn fragten, wo die Schwester hin wäre, begann dieser, über seinen vollen Urinbeutel zu schimpfen und dass er nie wieder in diese Klinik gehen würde. Mehmet rannte einfach auf gut Glück einen (falschen) Flur entlang, Fuchs folgte ihm, als Ritter den Wartebereich erreichte.
»Hier entlang, ihr Idioten!« Ritter humpelte auf Evas Versteck zu. Als er, Fuchs und Mehmet fast gleichzeitig die Tür erreichten, schraken sie zurück: durch die Milchglasscheiben hindurch grinsten sie die Grimassen der Toten an.
Eva brachte auf der anderen Seite der dünnen Tür eine weitere Tote und zerrte sie auf den Leichenberg. Da hörte sie, wie durch einen Vorhang gedämpft, die Stimme des kleinen Türken.
»Die spinnt, die Tussi, die hat sie nicht alle!« Seine Stimme überschlug sich. »Die hat sich mit Toten verbarrikadiert!«
»Gut beobachtet«, lobte Ritter und humpelte einen Schritt zurück. »Komm, du schießt doch so gern.« Er hielt Mehmet die MP hin.
Der riss ihm die Waffe aus der Hand und begann unmittelbar zu ballern. Die ersten Projektile bohrten sich in die Decke, die nächsten holten große Stücke Putz von den Wänden, bevor Mehmet endlich die Tür traf. Zwei Kugeln fanden ihr Ziel, eine davon zerbeulte nur den Türrahmen, die zweite traf die rechte Scheibe. Sie durchschlug sie und dünne Risse mäanderten wie feine Äderchen nach allen Richtungen. Dann gab die Waffe nur noch hohles Klicken von sich.
»Verdammter Dreck!«, schrie Mehmet und warf die MP zu Boden.
»Leer?«, fragte Fuchs süffisant.
»Ja, Mann, siehst du doch!«
»Und die restliche Munition liegt im Wagen. Und mit dem sind Mario und Alex sicher längst über alle Berge.«
»Und wo ist meine Bullenpistole?«, fragt Mehmet.
»Die liegt unten in der Küche auf dem Tisch!«, sagte Ritter.
Mehmet rannte wie ein Verrückter den dunklen Flur zurück. Als er ins Treppenhaus einbog und die ersten sieben Stufen in einem Satz nahm, kam ihm ein Mann entgegen, den er zuerst nicht erkannte, wegen der Dunkelheit und der privaten Kleidung, die der jetzt trug. Es war der Mann, den Ritter jagte!
Vor ihm stand Joachim Beck, der Bulle!
Beck war mindestens genauso überrascht wie der kleine Türke. Beide blieben wie angewurzelt stehen. Sie taxierten sich in dem spärlichen Restlicht, das noch durch die hohen Fenster ins Treppenhaus sickerte. Keiner sagte ein Wort, keiner bewegte sich. Mehmet, fünf Stufen oberhalb von Beck, hatte den Vorteil eines Angriffes von oben auf seiner Seite, während Beck dem Teenager an Kraft und Kampftechnik überlegen war. Also stand es unentschieden.
Beck war am Nachmittag wie betäubt durch Donaueschingen getorkelt, benommen von der Todesangst, die er neben der Leiche hatte ausstehen müssen. Wäre diese Krankenschwester nicht gewesen, Ritter hätte ihn sicher erlegt wie ein kränkelndes Stück Wild.
Er war an geplünderten Banken vorbeigekommen und an Supermärkten, aus denen biedere Rentner bergeweise Toilettenpapier schleppten und Kinder sich hemmungslos an der Seite ihrer Eltern bedienten. Ein Mann, der Kleidung nach Handwerker, montierte in einem Geschäft in aller Seelenruhe das gesamte Regalsystem ab und verstaute es in seinem Kleinbus. Vom Eigentümer oder Geschäftsführer war weit und breit nichts zu sehen. Joachim Beck taumelte weiter, vorbei an der Stadtkirche, in die Menschen strömten, um zu beten. Sie zündeten Kerzen an, die die Chancen ihrer Gebete eine Etage weiter oben verbessern sollten.
Das Fürstlich Fürstenbergische Schloss glich einem Selbstbedienungsladen. Vor dem Portal parkten Kleinlaster und Pkw mit Anhänger und immer mehr Menschen kamen, durchsuchten die prunkvollen Säle und Aufgänge und nahmen mit, was ihnen brauchbar oder wertvoll erschien. Oder einfach nur schön.
Beck war sich der geänderten Zeiten und auch seiner Ohnmacht durchaus bewusst. Er ignorierte das Chaos und die Gesetzesübertretungen, die an diesem Tag aus vielen bisher unbescholtenen Bürgern gemeine Verbrecher machten. Selbst wenn er gewollt hätte – ohne Uniform, ohne Waffe, Dienstausweis und ohne seine Kollegen war er machtlos, allein und ein Nichts.
Er erreichte seine Wohnung. Den Schlüssel hatte er, wahrscheinlich zusammen mit seinem Geldbeutel und der Dienstmarke, irgendwo zwischen Sparkasse, Polizeirevier und Krankenhaus verloren. Mit dem einen noch vorhandenen Schuh trat er die Tür ein. Passende Schuhe hatte Eva nicht gefunden, nur eine graue Bundfaltenhose mit Bügelfalte und einen ausgewaschenen roten Pullover, die sie ihm, während er aufgeregt und zitternd in dem kleinen Aufenthaltsraum der Station Kaffee getrunken hatte, unter die Nase gehalten hatte.
»Ziehen Sie das an«, hatte Eva gesagt. »Es ist besser als das, was Sie noch am Leib haben.« Womit sie zweifellos im Recht war. Seine Uniform hing in Fetzen an ihm, teilweise blutverschmiert und kaum noch als das zu erkennen, was sie vor wenigen Stunden noch gewesen war: Symbol von Recht, Ordnung und Freiheit in diesem Land – die staatliche Gewalt. Wo war diese Gewalt jetzt?, hatte er überlegt, als er seine Wohnung betrat. Wohin ist plötzlich der Staat?
Die vier Schmerztabletten, die Eva im noch in die Hand gedrückt hatte, waren zu diesem Zeitpunkt aufgebraucht. Bis auf eine. Aber dafür spürte er wenigstens seine schiefe Nase nicht mehr und konnte seine rechte Hand einigermaßen ertragen. Die Schnittwunden, die er sich zugezogen hatte, als er Ritter die Scherbe ins Bein stieß, waren noch immer unbehandelt. Dr. Stiller war unauffindbar gewesen. »Das können wir später machen«, hatte Eva gesagt, »Kommen Sie später wieder, wenn sich alles vielleicht irgendwie normalisiert hat.« Aber der Klang in ihrer Stimme hatte ihm verraten, dass auch sie nicht an eine Normalisierung glaubte.
Er hatte ein Glas Mineralwasser getrunken und damit die letzte Schmerztablette hinuntergespült. Danach war er auf dem Sofa eingeschlafen.
Gegen sieben wurde Joachim Beck von schweren Dieselmotoren geweckt. Aus der nahen Kaserne, in der die Jägerbataillone des deutsch-französischen Corps stationiert waren, rückten kleine Panzerfahrzeuge, Mannschaftsbusse und Sanitätswagen aus. Spät hatte sich die von allen Verbindungen abgeschnittene militärische Führung für den Einsatz entschieden, den sie auf Straßensperren und Patrouillen beschränken wollte. Martialisch Bewaffnete mit nutzlosen Funkgeräten an der Brust marschierten nun durch Donaueschingen, Gewehr im Anschlag, und weckten Beck.
Beck war von dem stechenden Schmerz in seiner Hand überwältigt. Es hämmerte in ihr und sie war gefährlich angeschwollen. Und er besaß in seiner Wohnung nichts, mit dem er die Schmerzen hätte unterdrücken können. Er hatte an Dr. Stiller gedacht und an die schwache Hoffnung, dass der Arzt noch auf seiner Station sein könnte. Er zog sich um und warf die Kleidungsstücke aus dem Krankenhaus auf einen Sessel, suchte seine Turnschuhe raus und steckte die Gaspistole ein, die seit Jahren unbenutzt in seinem Kleiderschrank lag. Sie war alles, was ihm von seiner letzten Freundin geblieben war.
Für den Weg von der Wohnung zum Krankenhaus am anderen Ende der Stadt, ein Fußmarsch von drei Kilometern, hatte er über zwei Stunden benötigt. Er musste Straßensperren umgehen und vermied tunlichst jeden Kontakt mit den allgegenwärtigen Patrouillen. Alle Brücken der Stadt waren mit Straßensperren blockiert und mehrere Militärfahrzeuge patrouillierten durch die Stadt und unterrichteten die Einwohner von der verhängten Ausgangssperre, die bis Sonnenaufgang Gültigkeit haben sollte.
Beck war durch Kleingartenanlagen geschlichen und hatte einen Umweg gewählt, der ihm die unbeobachtete Durchquerung der Brigach, einem der Donauquellflüsse, ermöglichte. Auf den anschließenden Bahngleisen stand seit Stunden ein Güterzug.
Beck erreichte die Klinik Punkt halb zehn und war sofort das Treppenhaus hinaufgerannt, die verletzte Hand in einer Schlinge, und dort auf Mehmet gestoßen.
»Da wird sich Ritter aber freuen«, flüsterte der Junge jetzt. Seine weißen Zähne blitzten im Halbdunkel. »Hast dich fein gemacht Bulle, was?« Er versuchte Zeit zu gewinnen und überlegte, wie er an Beck vorbeikommen könnte. Er wollte die Pistole aus der Küche! Und danach würde er sich um den Bullen kümmern.
Beck zog mit der gesunden Linken die Gaspistole aus dem Gürtel. Mist, verdammter!, dachte Mehmet.
Er machte kehrt und hetzte die Stufen hoch. Ich muss Ritter warnen!
Ohne sich noch mal umzusehen floh er vor der vermeintlichen Bedrohung durch den Wartebereich und den langen Flur zur Intensivstation entlang. Fuchs schlug dort mit einem Feuerlöscher gegen die Glastür, während Ritter unbeteiligt danebenstand und sein Bein hielt.
»Der Bulle ist zurück!«, keuchte Mehmet schon von Weitem. »Er ist bewaffnet!«
»Hast du die Pistole?«
Mehmet schüttelte den Kopf. »Die ist noch in der Küche.«
Fast zeitgleich bog Beck am Ende des Flurs um die Ecke. Er war für die drei Männer nur als schwarzer Schatten wahrzunehmen, denn die Nacht war bereits in das Haus gekrochen.
»Wir sitzen in der Falle!« Fuchs warf den Feuerlöscher gegen die Glastür und riss eine Seitentür auf. Ein Besen kam ihm aus der kleinen Kammer entgegen und im schwachen Schein seines Feuerzeuges erkannte Fuchs, dass es nur ein winziger Verschlag mit Putzutensilien war.
»Los, hier rein!« Ritter war inzwischen zu einer massiven Doppeltür gehumpelt und hatte sie mit Mühe ein Stück weit aufgezogen. »Los! Kommt schon! Schnell!«
Sie tasteten sich durch einen geräumigen Saal mit mehreren Liegen und schmalen Glasschränken. Sie befanden sich in der sogenannten Schleuse, in der die Patienten von ihren Betten auf die OP-Tische umgelagert wurden, um anschließend in die Operationssäle gebracht zu werden.
Fuchs stieß mit dem Schienbein gegen das Metallgestell eines Operationstisches. Er fluchte gotteslästerlich und ließ das Feuerzeug fallen.
Beck, die auf größere Entfernungen nutzlose Waffe im Anschlag, näherte sich ihrem Versteck. Ihm war der Aberwitz dieser ganzen Situation, vor allem aber seine Chancenlosigkeit bei einem Frontalangriff der drei, durchaus bewusst. Er durfte nicht schießen! Jedenfalls nicht aus der Entfernung, denn, das war Beck klar, sie würden am Schussgeräusch der Waffe sofort erkennen, um was für eine es sich handelte. Und der fehlende Projektileinschlag wäre dann das i-Tüpfelchen auf ihren Verdacht.
Sie waren nach links verschwunden, soviel hatte Beck noch mitbekommen. Als er an die entsprechende Stelle kam, sah er die offen stehende Tür.
27
21:34 Uhr, Krankenhaus Donaueschingen, Aufzug 2
Thomas Bachmann war erst vor wenigen Minuten eingeschlafen, als Mehmets Maschinengewehrsalve ihn weckte. Er schrak zusammen, umklammerte seine Beine und zitterte. Er fand sich weder in seinem Leben noch in seinem schwarzen Gefängnis zurecht.
Jetzt!!! Endlich!!! Jaaaaa! Nummer drei brach in Freudenrufe aus. Der Erlöser, er ist ganz nah, hihi, so naaah! Halleluja – er kommt, uns zu massakrieren! Ja, endlich! Reiß uns die verdammten Eingeweide raus und häng sie an den Weihnachtsbaum, oh du mein Herr und Weihnachtsmann! Los, hol die Knarre aus dem Sack, hihi, und strafe uns für unsre Sünden, lieber Weihnachtsmann. Hoho.
Thomas stieß sich beim Aufspringen den Kopf am Notruftelefon und torkelte zur Seite.
Und schon schlägt er uns mit seiner Rute den Schääädel ein, der Gute! Thomas blieb am Boden hocken und hielt sich den schmerzenden Kopf. Von draußen hörte er undeutlich zuerst Schritte, wenig später verschwommene Stimmen. Er hatte solche Angst! Er war allein, fühlte sich so unendlich einsam und hilflos und diese Angst, diese schreckliche Angst, sie fraß ihn auf, nagte an ihm.
Lieber, guter Weihnachtsmann / komm, wirf deine Knarre an! / Denn wir waren niemals brav / und nun ist Zeit für ew’gen Schlaf! Hihihi, dichtete die schrille Stimme in seinem Kopf frei nach einem alten Kinderreim.
Thomas hielt sich die Ohren zu. Und dann noch diese endlose Dunkelheit! Kein Schatten, kein Licht, kein Hoffen – nur Angst, Angst, Angst!!! Er begann zu wimmern, wimmerte leise wie ein einsames Kind, das erschöpft nach endlosem Rufen die Hoffnung aufgegeben hatte und nur noch leise weinen kann.
Hättest du doch die Treppe genommen, wie ich gesagt habe!
»Nein«, wimmerte Thomas, »bitte.«
Jedes Zeitgefühles beraubt, ohne Orientierung und Ausweg, konzentrierten sich alle Sinne in ihm auf das Hören. Und was er hörte, machte ihm Angst, mehr Angst als die Drohungen seiner Mutter, wenn er einmal wieder – Nebenwirkung eines seiner Medikamente – während des Essens eingeschlafen war (»Wir bringen dich weg!«), mehr Angst noch als Nummer drei: Schreckliches wird mit uns geschehen, huaaah.
Wer hatte geschossen? Und warum? Warum rettete ihn niemand? Warum ließ man ihn so allein?
Sein Wimmern wurde lauter, schon hörte man das undeutliche Schluchzen im Treppenhaus, da schrie er plötzlich aus vollem Hals …
Ja doch, zeig ihm, wo wir uns verstecken!
… Thomas sprang auf und schlug mit den Fäusten gegen die Stahltür seines Gefängnisses …
Nein! Nein! Wir stürzen ab!
… er sprang im Aufzug herum, verzweifelt, mit weit aufgerissenen Augen, die doch nur blind in die Dunkelheit starrten. Er schrie …
Lauter, hihi, wir müssen noch lauter schreien!
Nein, sei still! Oder vielleicht doch? Schrei etwas leiser, nur ein bisschen …
Lasst ihn! Er macht das schon richtig!
… schrie, bis ihm der Hals schmerzte und nur noch undeutliches Krächzen über seine Lippen kam. Noch zwei-, dreimal schlug er gegen die Kabinenwand, dann sank er auf die Knie und begann hemmungslos zu weinen. Gehört hatte ihn niemand.
Warum nur, warum?
Warum?