Kitabı oku: «Jenseits der Zeit - Historischer Mystery-Thriller», sayfa 9

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Und wieder starrte Editha überrascht auf das Papier. Jacob? Herolds Bruder? Also Jacob Riekhen? Da waren sie, die Initialen: J. R. stand für Jacob Riekhen. Das Buch war demnach vom Bruder ihres Soundsoviel-Urgroßvaters geschrieben worden.

Merkwürdig nur, dass es in den Kirchenbüchern keinen Eintrag zu Jacob Riekhen gab, als wäre er nie geboren worden und auch nicht gestorben, zumindest nicht in Oldenburg.

Sie warf noch einen Blick auf den dritten Pachtvertrag und wie sie schon vorher vermutete, war dieser mit dem Nachkommen Herold Riekhens abgeschlossen worden, von dem sie ja die Daten in den Kirchenbüchern gefunden hatte.

Nun hatte sie alles, was sie wollte. Sie machte von den für sie interessanten Dokumenten Kopien und sortierte sie wieder an die richtigen Plätze.

Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass es soweit war, nach Hause zu gehen. Sie hatte ein älteres Mädchen aus dem Karatekurs zum Babysitten gewinnen können und die vereinbarte Zeit war bald herum.

1788

»Komme so bald wie möglich wieder zurück«, mahnte Herold. »Eigentlich brauche ich dich auch hier.«

»Ja, ja.«

Jacob war schon fast weg, froh mal fortzukommen. Bei der normalen Mühlenarbeit konnte er zwischendurch wenigstens mit Friedhelm herumulken, aber da der für die Reparaturarbeiten nicht zu gebrauchen war, hatte Herold ihn vorerst nach Hause geschickt.

Jacob sollte wieder eine Besorgung in der Stadt machen. Herold hatte ihm etwas von dem Geld mitgegeben, das sie sich von Herrn von Elmendorff geliehen hatten und ihm aufgetragen, was er kaufen sollte. Also schmiss sich Jacob seine Hasenfelltasche über die Schulter und machte sich auf den Weg.

Doch keine hundert Schritte von der Mühle entfernt kamen ihm ein Mann in den Vierzigern und zwei jüngere Kerle, die diesem sehr ähnlich sahen, entgegen. Was wollten die hier? Sie alle guckten grimmig, und sie sprachen miteinander, als sie ihn erblickten.

Schließlich standen sie sich gegenüber.

»Ist er das?«, fragte der Ältere. Er war nicht viel größer als Jacob, aber sehr kräftig gebaut.

Der Kerl zu seiner Linken nickte. Er und der andere waren wohl ein paar Jahre jünger als Jacob. Sie hatten die typische schmächtige Statur von Heranwachsenden.

»Wer soll ich sein?«, fragte Jacob. Er kannte weder den Älteren noch seine Söhne. Was sollte er mit ihnen zu tun haben?

Anstatt zu antworten, stellte der Ältere ihm eine Frage.

»Kennst du meine Tochter Clara? Ungefähr so groß,« er zeigte eine Höhe mit der flachen Hand, »braunes, langes Haar.«

An Clara konnte Jacob sich allzu gut erinnern. Aber er hatte das Gefühl, dass es besser war, sie erst mal nicht zu kennen.

»Hm, sagt mir nichts. Wieso?«

»Meine Söhne hier sagen aber, dass du es bist, den sie meint. Vor einigen Wochen hast du mit ihr auf dem Markt angebändelt.«

Jacob zuckte mit den Schultern. Er hatte zwar mit Clara ein paar äußerst süße Stunden verbracht, doch das war nicht gerade etwas, das man ihrem Vater und ihren Brüdern anvertraute.

»Tut mir leid, dass ich euch da nicht weiterhelfen kann.«

Er wollte weitergehen und die drei einfach stehenlassen, aber der Alte packte ihn am Ärmel und hielt ihn fest.

»Wir sind noch nicht fertig, Jungchen. Clara ist schwanger.«

Ach, du Scheiße, das fehlte ihm noch.

»Äh - das war ich nicht.« Er merkte selber, wie dumm das klingen musste. »Kann sein, dass ich ihr auf dem Markt begegnet bin, aber wir haben nur kurz miteinander gesprochen.«

»Clara sagt aber, dass du der Einzige bist, mit dem sie je zusammengewesen ist. Du musst dazu stehen, sie heiraten und sie und das Kind versorgen.«

»Nie und nimmer! Ich bin nicht der Vater des Kindes.«

Jacob erinnerte sich, dass er Clara entjungfert hatte. Doch das hieß ja nicht, dass sie nicht hinterher etwas mit anderen Männern gehabt hatte.

»Clara behauptet es aber.«

Verdammt noch mal, wie kam er hier bloß wieder heraus?

»Vielleicht lügt sie ja. Kann doch sein, dass sie sich an mich vom Markt her erinnert und dass sie mit jemanden zusammen war, den sie nicht kennt, oder der nicht von hier ...«

Weiter kam er nicht. Claras Vater packte ihn erneut an der Jacke und schüttelte ihn so, dass seine Tasche herunterfiel und der Inhalt auf dem Boden verteilt wurde.

»Willst du damit sagen, dass meine Tochter eine Hure ist?«, schrie er Jacob an. »Du verdammter Weiberheld. Du bist genau so ein Halunke, wie dein Vater früher war.«

Er holte weit aus und verpasste Jacob eine schallende Ohrfeige, sodass er zu Boden ging. Der Mann packte ihn erneut und zog ihn wieder hoch.

»Was ist hier los?«, hörte Jacob unvermittelt hinter sich Herolds Stimme.

Einmal mehr kam sein Bruder im rechten Moment.

Claras Vater lockerte den Griff und sah zu Herold.

»Was geht dich das an?«, fragte er.

Herold nickte in Jacobs Richtung und kam näher.

»Ich bin sein Bruder, und wenn du ihn angreifst, geht mich das sehr viel an. Lass ihn los.«

Die beiden Jungen wichen ängstlich vor Herolds hünenhafter Gestalt zurück und der Vater ließ Jacob los. Es schien, als wollte er etwas zu Herold sagen, tat es dann aber doch nicht. Offenbar hielt er momentan alle Mühe für vergebens.

»Für heute lass ich es darauf beruhen. Aber so lange du nicht zu deinen Taten stehst, solltest du dich gut umsehen, wenn du alleine unterwegs bist«, sagte er zu Jacob.

Er winkte seinen Söhnen und sie gingen fort.

»Was sollte das bedeuten?«, fragte Herold.

Jacob bückte sich und suchte seine Schreibutensilien zusammen, die auf dem Boden verteilt waren.

»Keine Ahnung, die müssen mich verwechseln.«

Mit der Wahrheit nahm er es ja nie so genau, aber er fühlte sich nicht gerade wohl dabei, seinen Bruder anzulügen. Es war halt eine Notlüge.

Herold sah ihn scharf an.

»Fang nicht mit allen Leuten, die dir begegnen, Streit an. Als Müller haben wir es auch so schon nicht leicht. Da muss man sich nicht noch zusätzliche Feinde machen.« Er dreht sich um und ging zur Mühle zurück.

Jacob legte seine Sachen in seine Tasche und machte sich auf den Weg zur Stadt, in der Hoffnung, den Kerlen nicht nochmal zu begegnen.

Auf dem Markt herrschte ein reges Treiben. Viele Oldenburger Bürger waren unterwegs, um sich mit Lebensmitteln einzudecken. Die meisten sahen gut gelaunt aus, wozu das schöne Wetter sicherlich seinen Teil beitrug. Jacob ging an ein paar Kindern vorbei, die eine tote Maus an einen Faden gebunden hatten und nun versuchten, eine Katze zum Spielen zu bewegen. Die Katze, die offenbar wusste, dass kein Leben mehr in der Maus war, hatte daran nicht das geringste Interesse, sie sah den Anstrengungen der Kinder mit halb geschlossenen Lidern zu.

Am Gemüsestand reihte sich Jacob in die wartenden Kunden ein, meistenteils Frauen. Wie sein Bruder ihm eingebläut hatte, schloss er seine Hand um das gefüllte Geldsäckchen, um nicht im Gedränge bestohlen zu werden.

Das allgegenwärtige Gesprächsthema waren die Morde. Wohin man auch hörte, wurde darüber gesprochen. Und so sprachen die Frauen vor ihm in der Schlange ebenso darüber.

»Drei Tote sind es jetzt schon. Und wer weiß, wie viele noch dazu kommen«, sagte eine dünne Frau mit heruntergezogenen Mundwinkeln wichtigtuerisch.

»Ja, man traut sich abends ja schon gar nicht mehr auf die Straße«, meinte eine andere, die sich fortwährend die Nase in einem Tuch schnäuzte.

»Wahrscheinlich wird man nie herausfinden, wer die Leute umgebracht hat.« Die Dünne nickte bedeutungsvoll.

»Ach, was heißt hier ‚wer‘? Es müsste ‚was‘ heißen. Ein Fluch ist es, was die Leute umbringt, nichts anderes. Es ist genauso wie damals.«

»Ja, genauso wie damals«, echote die Dünne.

Jacob wurde hellhörig. Wie damals? Gab es so etwas denn schon mal in Oldenburg?

»Was heißt hier ‚wie damals‘?«, fragte er.

Die Dünne sah ihn über ihre Schulter hinweg an, als wollte sie ihn mit ihrem Blick für die Einmischung strafen.

»Na, eben wie damals, als schon mal die ganzen Toten im Stadtgraben gefunden wurden.«

Davon hörte Jacob zum ersten Mal.

»Wann war das?«

Die andere Frau schien ihm wohlgesonnener. Sie nahm das Tuch von der Nase und lächelte ihn an.

»Das war vor ungefähr zwanzig Jahren. Es geschah immer auf die gleiche Weise. Das liegt daran, dass ein Fluch auf dieser Stadt lastet. Ein Fluch, der alle zwanzig Jahre wiederkehrt.«

Sie schnäuzte sich weiter und drehte sich zum Gemüsestand um, weil sie an der Reihe war.

Hinter ihm gab es plötzlich lautes Gekreische. Die Kinder wollten die Untätigkeit der Katze wohl nicht so einfach hinnehmen. Sie hatten ihr die tote Maus an den Schwanz gebunden. Das arme Tier rannte wie geistesgestört herum und wälzte sich auf dem Boden, um den Fremdkörper wieder loszuwerden. Die Kinder gaben lautstark ihre Freude darüber zum Ausdruck.

»Du solltest dich doch beeilen«, sagte Herold, als Jacob wieder bei der Mühle eintraf.

»Das habe ich doch.«

Das hatte er wirklich, schon alleine, weil er nicht unbedingt dem Vater und den Brüdern der schwangeren Clara nochmal begegnen wollte.

Herold brummte unwillig zur Antwort. Er nagelte gerade zwei Bretter aufeinander.

»Sag‘ mal, wusstest du, dass es vor zwanzig Jahren schon einmal mehrere Tote gegeben hat?«

»Hmm«, Herold kniff die Augen zusammen. »Ja, stimmt. Damals war ich noch klein. Das muss zu der Zeit gewesen sein, als wir zu Bernhard gekommen sind. Oder vielleicht auch etwas früher.«

»Dann weißt du wahrscheinlich nicht viel darüber, oder?«

»Nein, das ist zu lange her.«

»Und was weißt du darüber, dass unser Vater ein Halunke war?«

Mit dieser Frage wollte er Herold überrumpeln, in der Hoffnung, dass er mit seinem Wissen nicht so wie sonst hinter dem Berg hielt. Seit Claras Vater das heute zu ihm gesagt hatte, ging es ihm nicht mehr aus dem Kopf.

Die Überrumpelungstaktik funktionierte leider nicht.

»Woher hast du das denn?«

»Claras ... ich meine, der Mann von heute Vormittag hat es gesagt.«

»Ich weiß nicht, was der meint. Für mich war unser Vater kein Halunke.«

Jacob sah seinem Bruder an, dass er ihm irgendetwas verschwieg. Aber er wusste, dass es keinen Zweck hatte: Wenn Herold etwas nicht erzählen wollte, dann war es äußerst schwierig, das aus ihm herauszubekommen.

Im nächsten Moment lenkte er auch gleich mit einem anderen Thema ab.

»Morgen will ich übrigens anfangen, nach Hilfsarbeitern zu suchen. Für den Anfang will ich zwei einstellen. Dann kommen wir schneller voran.«

Damit wandte er sich ab und kümmerte sich wieder um die Bretter. Für ihn gab es halt nur seine Mühle.

1768

»Haben Sie dieses Monstrum gesehen, als es zwischen den Sträuchern hervorpreschte und auf mich zukam? Das war der größte Keiler, der mir je untergekommen ist.«

Der Freiherr zu Gehrsbach, der extra für den Ball aus Münster angereist war, unterstützte seine Erzählung mit weiträumigen Gesten. Er steigerte sich derart in sein Jagdglück vom Vortag hinein, dass sein ohnehin schon rotes Gesicht - vom übermäßigen Weingenuss, erzählte man sich - aussah, als wäre es einen ganzen Tag lang der prallen Sommersonne ausgesetzt gewesen. Die weißgepuderte Perücke verstärkte diesen Eindruck noch mehr. Seine Zuhörer, unter ihnen Diether, saßen auf Sofas und auf Sesseln oder standen um ihn herum, die meisten mit einem gefüllten Stielglas in einer Hand, und amüsierten sich köstlich über ihn.

»Der war doch wahrlich gewaltig, habe ich recht? Wer war dabei? Herr von Riekhen, haben Sie jemals zuvor ein solch gewaltiges Tier gesehen?«

Diether war natürlich bei der Jagd dabei gewesen. So etwas ließ er sich nicht entgehen. Der Keiler, von dem die Rede war, hatte tatsächlich eine respekteinflößende Größe gehabt, doch es war ganz und gar nicht der größte, den Diether je gesehen hatte. Aber er wollte weder Herrn zu Gehrsbach noch den anderen Gästen den Spaß verderben.

»Nein, solch ein wildgewordenes Wildschwein habe ich vorher noch nie gesehen. Das war wirklich gewaltig«, antwortete er deshalb lachend.

Zu Gehrsbach nickte begeistert und fuhr mit dem Bericht fort. Diether dagegen war jetzt abgelenkt, denn in seinem Blickfeld tauchte eine Frau von atemberaubender Schönheit auf. Eingehakt in den Arm eines etwa 60-jährigen Greises schritt sie am Rande des Saales entlang. Sie mochte vielleicht Mitte zwanzig sein, war ziemlich groß für eine Frau und hatte blondes ins Rötliche gehende Haar, das zu einer kunstvollen Frisur hochgesteckt war. Ein leichtes Lächeln, das aufgesetzt wirkte, umspielte ihre geröteten Lippen. Das verstärkte sich in dem Augenblick als ihr Blick für einen Moment zufällig den Blick Diethers traf. Sein Herzschlag beschleunigte sich und hatte sich immer noch nicht beruhigt, als diese Frau bereits in den angrenzenden Saal entschwunden war. Versonnen sah er auf die Stelle, wo er sie zuletzt gesehen hatte.

Bis er plötzlich seinen Namen hörte.

»... Herr von Riekhen, meinen Sie nicht auch?«

Zu Gehrsbach sah ihn fragend an.

»Äh ... ja, ja, sicherlich«, stammelte Diether.

Scheinbar zufrieden mit Diethers Beipflichtung fuhr zu Gehrsbach damit fort, in allen Einzelheiten zu erzählen, wie er den Keiler erlegt hatte.

Unter den Zuhörern war auch Diethers guter Freund Utz von Elmendorff. Der kam nun auf ihn zu und nahm ihn zur Seite.

»Ich wollte dich noch wegen einer geschäftlichen Sache sprechen«, sagte er.

Oh, nein, nicht schon wieder. Ständig wollte Utz ihn an irgendwelchen Geschäften beteiligen, woran Diether nicht das geringste Interesse hatte. Er war kein Geschäftsmann, und er hatte genug Geld. Es war nicht nötig, dieses weiter zu vermehren.

Bei Utz sah das anders aus, da er nicht in eine reiche Familie geboren wurde. Ihr war das Adelsprädikat vor langer Zeit für außerordentliche Verdienste zugesprochen worden, damit hatten sie allerdings noch kein Geld gehabt. Mehr recht als schlecht hatten sie sich zunächst mit verschiedenen Aktivitäten und Diensten über Wasser gehalten und sich dadurch im Laufe der Zeit einen kleinen Wohlstand aufgebaut. Utz hatte es mit Investitionen in unterschiedliche Geschäfte, wie er es nannte, versucht. Die meisten davon waren gut gelaufen, manche auch schlecht, aber alles in allem hatte er das Familienvermögen anständig vermehrt. Einen guten Teil hatte Diether dazu beigetragen, indem er seine Beziehungen genutzt hatte. Seine Familie genoss ein exzellentes Ansehen, und er kannte viele Männer in einflussreichen Positionen. Nachdem er einige davon angesprochen und Utz dabei ins Gespräch gebracht hatte, hatten sich für seinen Freund mehrere äußerst lukrative Geschäfte ergeben. Seitdem wollte sich Utz erkenntlich zeigen, was aber aus Diethers Sicht überhaupt nicht nötig war.

»Wenn du möchtest«, fuhr Utz fort, »kannst du dich zum gleichen Teil wie ich an der Finanzierung einer ...«, doch Diether unterbrach ihn.

»Utz, wie oft soll ich es dir noch sagen: Ich bin an deinen Geschäften nicht interessiert.«

»Aber das ist eine sichere Sache. Wir könnten zusammen einen beträchtlichen Gewinn erzielen.«

Diether schüttelte den Kopf.

»Ich habe keine Ahnung davon, weil ich nun mal kein Geschäftsmann bin. Ob das Geschäft gut oder schlecht wäre, könnte ich gar nicht entscheiden.«

»Das kannst du getrost mir überlassen. Vertraue mir, ich habe es von allen Seiten geprüft.«

Diether schüttelte noch heftiger den Kopf und seufzte. Diese Diskussionen hatten sie schon stundenlang geführt, und er war es einfach leid. Hier half nur die Flucht und da kam es ihm gerade recht, dass er seine Frau erblickte, die ihren dicken Bauch vor sich herschob und sich nach einer Sitzgelegenheit umsah.

»Entschuldige mich bitte, meine Gattin benötigt meine Hilfe.«

Er eilte an Alheyts Seite und hatte ein schlechtes Gewissen, weil er dort nicht schon die ganze Zeit war. Als Ehemann wäre es eigentlich seine Pflicht gewesen, und er sorgte sich tatsächlich auch um sie, aber sie machte es ihm wirklich nicht leicht. Sie war ja bereits eine ganze Weile sehr abweisend zu ihm, seit dem einen Abend vor zwei Wochen war es jedoch wesentlich schlimmer geworden. Auch jetzt sah sie ihn wieder an, als könnte er sich ruhig zum Teufel scheren.

»Dort drüben habe ich einen freien Sessel gesehen«, sagte er und führte sie am untergefassten Arm mit sich.

Sie folgte ihm und lächelte den anderen Gästen des Balls artig zu, doch Diether hatte gespürt, wie sie sich bei seiner Berührung versteift hatte. Zu gerne würde er wissen, was er ihr getan hatte.

Er half ihr in den Sessel und stellte sich neben sie. Das Stehen hatte sie erschöpft. Er konnte erkennen, wie gut es ihr tat, endlich zu sitzen. Sie hatte sich heute ebenfalls eine hochgesteckte Frisur machen lassen, was ihr ganz ausgezeichnet stand. Diether war stolz darauf, dass eine der schönsten Frauen des Balls seine Ehefrau war.

Alheyt schien bemerkt zu haben, dass er sie fortwährend ansah, denn sie sah zu ihm hoch.

»Du brauchst nicht neben mir zu stehen«, sagte sie. »Ich weiß doch, wie gerne du tanzt. Geh ruhig und vergnüge dich.«

Die Worte klangen wohlwollend, aber Diether wurde das Gefühl nicht los, dass sie ihn nur loswerden wollte. Er glaubte allerdings, dass sie nur wieder mehr zusammensein mussten, damit alles wieder gut wurde.

»Ich stehe gerne neben dir«, antwortete er und meinte es auch so. »Hier gehöre ich als dein Mann schließlich hin.«

Für einen Moment erschien fast unmerklich ein spöttischer Gesichtsausdruck, bevor Alheyt wieder gelangweilt die Menschen ansah.

»Möchtest du etwas zu trinken haben?«, fragte Diether. Er sah sich um. Es war kein Bediensteter mit einem Tablett in der Nähe. »Ich besorge dir etwas.«

Er begab sich unter die Gäste und schaute sich suchend um, doch es war nirgendwo jemand mit Getränken zu sehen.

Dann plötzlich sah er sie wieder, die Schönheit. Sie war tatsächlich noch schöner als Alheyt und momentan ohne ihre männliche Begleitung in Richtung des Ballsaals unterwegs. Er konnte genauso gut dort die Suche nach Getränken fortsetzen. Also folgte er ihr. Dabei konnte er beobachten, wie galant sie sich bewegte. Und ihre Haut war nicht gepudert, aber trotzdem bezaubernd hell und klar. Beim Übergang zum Ballsaal gab es ein größeres Gedränge, in dem er sie kurz aus den Augen verlor. Er beeilte sich, hinterher zu kommen, und dann stand er plötzlich unmittelbar vor ihr.

Sie sahen sich direkt in die Augen und er stellte fest, dass die ihren von einem reinen Grün waren. Beide waren sie verlegen, sie fasste sich schneller und lächelte ihn an, als wollte sie ihm Mut machen.

Gerade wurde zu einem neuen Tanz aufgespielt und Diether konnte aus den Augenwinkeln erkennen, wie ein paar Männer in ihre Richtung drängten, um die schönste Frau des Abends zuerst aufzufordern. Nur einen Moment noch dachte er an Alheyt. Sie hatte ja gesagt, er sollte sich vergnügen und tanzen gehen.

»Darf ich bitten?«, sagte er zu ihr und bot ihr seinen Arm.

Sie neigte zustimmend den Kopf, hakte sich unter und ließ sich von ihm zum Tanzbereich führen. Die anderen Männer blieben kurz mit hängenden Schultern stehen und sahen sich dann nach anderen Tanzpartnerinnen um.

Diether machte mit der Schönheit zwei aufeinanderfolgende Tänze. Sie blickten sich fortwährend in die Augen, und wenn eine Drehung den Blickkontakt unterbrach, wurde er im Anschluss daran sofort wieder aufgenommen. Jedes Mal, wenn sie sich beim Tanz berührten, durchlief ein wohliger Schauer seinen Körper, und er war sich ziemlich sicher, dass es ihr ebenso erging. Wenn er zur Drehung um ihre Hüfte fasste, musste er sich zügeln, damit er nicht fester zupackte und sie zu sich heranzog. Als die Musik verklang und die Musikanten eine Pause machen wollten, bedauerte er es zutiefst.

Während des Tanzens hatten sie kein Wort gewechselt. Diether wollte noch unbedingt den Namen der Schönheit erfahren.

»Wir haben uns gar nicht vorgestellt, was ich gerne nachholen möchte«, sagte er. »Mein Name ist Freiherr Diether von Riekhen.«

Er deutete eine Verbeugung an.

»Sehr erfreut. Der meine ist Enngelin Henningsen«, erwiderte sie mit zarter Stimme.

»Ich habe Sie noch nie hier gesehen. Sind Sie und Ihr Gatte neu in Oldenburg?«

»Wir sind aus Flensburg. Momentan sind wir zu Gast in Oldenburg. Da mein Gatte ein entfernter Verwandter der Gastgeberin ist, wurden wir zu diesem Ball eingeladen.« Einen Moment unterbrach sie den Blickkontakt und sah zu etwas hinter ihm. »Wenn Sie mich nun entschuldigen würden. Mein Gatte erwartet mich dort drüben.«

Sie deutete einen Knicks an und schwebte davon. Diether schaute ihr bedauernd hinterher und sah, dass der ältere Mann, mit dem er sie vorher gesehen hatte, ihr lächelnd entgegensah.

Ein Diener ging mit einem Tablett voller Gläser an Diether vorbei. Er nahm zwei davon herunter und machte sich damit auf den Rückweg zu Alheyt, die immer noch so auf dem Sessel saß, wie er sie verlassen hatte.

»Es war gar nicht so einfach, das hier zu ergattern.«

Er reichte ihr eines der Gläser. Sie hatte wieder diesen Ausdruck, den man als spöttisch deuten könnte, sagte aber nichts.

Der Rest des Abends war langweilig. Diether wollte nicht von Alheyts Seite weichen. Ein Gespräch fand natürlich nicht statt.

Immer wieder sah er sich nach der Schönheit um, Enngelin Henningsen, doch scheinbar hatte sie den Ball verlassen, denn er erblickte sie leider nicht mehr.

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