Kitabı oku: «Komparsen-Blues», sayfa 2
„Dies ist das neue Trockenfutter, um das es geht. Damit gehen Sie auf Reise. Wie gesagt, rein in die Wohnung, Verkostung durchführen, Fragebogen ausfüllen und seien Sie immer schön nett und freundlich. Lesen sie vorher was über Hunde, es macht sich immer gut, wenn Sie ihre Kunden besser kennen und eine Dogge von einem Dackel unterscheiden können. Sie kriegen einen Ausweis, dann sind Sie offizieller Marktforscher im Feld, und los, Feuer frei!“
Danach bekam ich noch ein paar Erklärungen zum Produkt eingebläut, welche die ganze Angelegenheit aber nicht gerade einfacher machten. Das Trockenfutter war angeblich nicht für jeden Hund geeignet. Besser gesagt, die Marketingfritzen derer, die die Brocken herstellten, waren allen Ernstes der Meinung, dass nur mittelgroße Hunde ab fünfzehn Kilo Lebendgewicht auf das staubtrockene Zeugs abfahren würden. Für alle kleineren Rassen und zu kurz geratene Mischlinge sollte der Fraß angeblich einfach nichts sein. Es passe einfach nicht zu dieser Zielgruppe, erklärte mir der Typ ernsthaft. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass ein hungernder Rauhaardackel den Unterschied erkennen würde, ob irgendein Trockenfutter nicht für ihn speziell gemacht worden ist, sondern nur für seine deutlich größeren Artgenossen. Nein, das würde er nicht tun. Er würde sich genauso darauf stürzen, wie auf die Kartoffelschalen, die er unter dem Küchentisch finden würde. Eines war mir klar, bei mir wird jede noch so kleine Töle das Zeug testen, also fressen dürfen. Das Einzige, was aus Sicht meines neuen Bosses noch fehlte, war das Gebiet, welches ich beackern sollte. In seinem Büro hing an einer Wand ein übergroßer Stadtplan von Berlin. Ich schätzte die Karte auf ungefähr vier Meter in der Höhe und sechs Meter in der Breite. Ein wahrhaftiges Ungetüm, welches jede noch so kleine Straße der Stadt verschlang. Von Spandau bis tief nach Ostberlin rein war alles drauf. Der Osten war nur farblich grau unterlegt, wie üblich zur damaligen Zeit. Wir standen kaum eine Armlänge von der Karte entfernt stumm nebeneinander und mein Blick blieb auf dem Grunewald kleben. Ich zeigte wortlos genau dorthin, wie ein Kind, was sich von drei Lutschern genau einen aussuchen darf. An seinem Kopfschütteln erkannte ich, dass er das wohl anders sah. Er musterte mich kurz von Kopf bis Fuß und schloss seine Kurzanalyse meines Äußeren mit einem weiteren, heftigeren Kopfschütteln ab. Er war wohl der Meinung, dass ich für dieses Gebiet nicht ausreichend adrett wirkte. Na gut, wenn schon nicht dort, dann wenigstens in meinem Heimatbezirk, im Wedding. Dort kannte ich mich bestens aus. Die Leute dort hatten zwar wenig Geld, aber es gab tausende kleiner Recken. Mir war klar, dass Stadtteile wie Kreuzberg und auch mein geliebtes Schöneberg, in dem ich zwischen Yorkstraße und Mehringdamm so gut wie jede Kneipe kannte, schon deshalb nicht in Frage kamen, weil dort Typen, die mit einem Fragebogen in der Hand an fremden Türen klingeln, um unbekannterweise persönliche Fragen stellen zu wollen, einen derartigen Tritt in den Arsch bekommen, dass sie im Sturzflug durchs Treppenhaus fliegen würden. Noch überlegte mein Boss und ließ seinen Blick quer über die Stadt wandern. Oh Mann, wo will der Typ mich bloß hinschicken? Bitte, bloß nicht nach Spandau oder Tegel, da ist doch der Hund begraben, flehte ich in meinem Kopf. Ich musste ihm mit einem guten Vorschlag zuvorkommen und tippte meinen Finger auf den Wedding. Ich sang sodann ein Loblied auf diesen Stadtteil, dort, wo Frauchen und Herrchen noch ihr letztes Hemd für ihre Teckel geben würden. Dort wäre ich richtig aufgehoben, dort muss ich hin. „Glauben Sie mir, im Wedding gibt es genauso viele Hunde wie Menschen, und ich kenn jeden Baum, an dem sie ihr Bein heben,…also, die Hunde in der Regel.“ Er überlegte kurz und sagte: „Gut, der Wedding gehört Ihnen. Durchpflügen Sie ihn tief und gründlich! Seien Sie ein Fischer! Werfen Sie ihr Netz aus und kommen Sie mit reichlich Beute zurück!“ Ein interessanter Vergleich, dachte ich mir, ich bin also auch ein Fischer. Ein Hundefuttermann und ein Fischer. Die Sache war geritzt.
Ich gab ihm jedoch auch zu bedenken, Wochen würde ich möglicherweise brauchen, um den Wedding zu durchkämmen, und dass ich viele Packungen Hundefutter mitnehmen müsste, sehr viele. Er beruhigte mich, ich könne jederzeit genug Nachschub bekommen. Und was die Zeit angeht, zwei Wochen hätte ich Zeit, keinen Tag mehr. Mein Boss gab mir meine sechs Packungen Trockenfutter und eine Broschüre mit auf den Weg, in der all die famosen Vorteile des Futters zusammengefasst waren. „Durchlesen! Merken! Machen!“ waren seine letzten Worte, dann drückte er mich aus der Tür. Ich stapelte diese äußerst unhandlichen und sperrigen Pappkartons übereinander, schleppte sie das Treppenhaus hinunter, dann in die U-Bahn, dann wieder hoch auf die Straße, dann in meine Bude, um sie schließlich in meiner Küchenspüle fallenzulassen. Dort lagen sie dann und ich starrte sie minutenlang an. Was hatte ich mir denn da für einen unsinnigen Job eingebrockt? Ein Mann läuft zu Fuß, an beiden Armen Plastiktüten, vollgestopft mit Hundefutterpackungen, quer durch Berlin, um dann das Zeug an mittelgroße Hunde zu verfüttern und sie nach dem Geschmack zu fragen, ohne zu wissen, hinter welcher Tür sie überhaupt zu finden sind? Wie war ich denn drauf? Ich versuchte etwas runterzufahren, nahm mir eine Packung und schüttelte sie ein wenig. Das Rascheln der Brocken klang beruhigend und meine Gedanken kreisten wieder um all die Hundebesitzerinnen, auf die ich treffen werde. Dies war der einzige Antrieb, den ich für diesen wirklich merkwürdigen Job hatte. Zeit mit den alleinstehenden Frauen in ihre Wohnungen verbringen zu können. Für was auch immer. Wahrscheinlich werden sie von ihrer Liebe zu ihrem Hund erzählen und von ihrem ach so eintönigen Leben, was noch eintöniger wäre, wenn ihr bester Freund nicht bei ihnen wäre. Vielleicht würden wir auch nur zusammen ein wenig das Vormittagsprogramm im TV sehen und den Hund beim Fressen beobachten. Nun ja, auch nicht schlecht, hätte schlimmer kommen können. Ich musste mir nur irgendwie überlegen, wie ich am besten in die Wohnungen gelangen könnte. Die Zeit war reif für einen Plan. Ich verzog mich in meine Stammkneipe und bastelte mir etwas zurecht, was ich, ohne dass ich in überschwängliche Übertreibung verfiel, als fast schon genial betrachtete. Mein Plan sah wie folgt aus: Zuerst verschaffe ich mir mit einem unzweifelhaft miesen, jedoch wirkungsvollen Preisausschreibentrick Zutritt. Diese Masche bedeutet nichts anderes, als dass ich in einer kleinen Eröffnungsrede von großen Gewinnen in naher Zukunft und kleineren bereits heute reden werde. Im Anschluss an meine vollmundigen Ankündigungen folgt die Präsentation einer Packung Hundefutter mit einer anschließenden ausgiebigen Fressprobe für den Vierbeiner. Zu guter Letzt werde ich mit Frauchen oder Herrchen gemeinsam den Fragebogen in gemütlicher Atmosphäre bei einem Drink und etwas Knabbergebäck ausfüllen. Jeder, der mitmacht, nimmt an meinem Preisausschreiben teil. Fernreisen und kiloweise Trockenfutter winken. Abrunden werde ich die ganze Prozedur zum Abschied mit einem Handkuss, sofern es sich um die Dame des Hauses handeln sollte. Dazu festes und ehrlich gemeintes Daumendrücken für den bestimmt kommenden Hauptgewinn. Soweit zur Theorie.
Mir ging natürlich auch durch den Kopf, und was durchaus naheliegend war, sämtliche Fragebögen ganz einfach selbst auszufüllen und die Futterbrocken im Park an die Umherstreunenden zu verteilen. Sicher, das alles hätte ich machen können, doch dann hätte ich jedoch nie erfahren, was sich hinter den Türen im tiefsten Wedding so abspielte, und genau das wollte ich wissen. Der Moment kam, in dem sich der Hundefuttermann an eine große, wuselige Kreuzung mitten im Bezirk begab. Dieser Ort sollte sozusagen mein Startpunkt meines Ausschwärmens für die kommenden zwei Wochen werden. An meinen Armen hingen Plastiktüten, die vor lauter Hundefutter bis zum Reißen gespannt waren. Ich sah, wie an jeder Ecke Gassi gegangen wurde, auf den Gehwegen, in den Parks, in den U-Bahnschächten. Meine Kundschaft lief mir ständig über den Weg und oft auch fast in mich rein. Es war überhaupt nicht notwendig, irgendwo blind an irgendwelchen Türen zu klingeln, um zu sehen, ob ein Hund Familienmitglied ist oder nicht. Etwas, was ich mir auch sehr mühsam vorstellte. Das Einzige, was ich tun musste, war, mich an ihre Fersen zu heften und ihnen bis in ihre gemütlichen Wohnstuben zu folgen. Die Krux an der Sache war nur, ich hatte keinen Schimmer, ob Herrchen oder Frauchen im Begriff waren, ihre Tour zu beenden oder ob sie sich gerade erst am Anfang ihrer Route befanden. Lief ich einem Frauchen bereits erfolglos eine viertel Stunde, in ausreichendem und sehr wohl professionellen Abstand hinterher, und ich bemerkte ein zweites interessantes Duo, welches meinen Weg kreuzte, sah ich mich oft genug gezwungen – in der Hoffnung, endlich zum Ziel zu gelangen –, von einem Pärchen zum nächsten zu wechseln. An manchen Tagen musste ich mehrere Male diesen fast zwanghaften Wechsel meiner Zielpersonen über mich ergehen lassen. Lief es ganz schlecht, wirkte es, als hinge ich in einer Zeitschleife fest, die mich hin und wieder fast schon zermürbte. Aber nur fast, denn oft genug flutschte es gut und ich hatte das richtige Timing. Waren wir erst einmal am Zuhause angekommen, schob ich einfach nur, um ein Zufallen zu verhindern, meinen Fuß in die Eingangstür des Wohnblocks und folgte mit etwas Abstand unauffällig mit tief ins Gesicht gezogener Pudelmütze und gesenktem Haupt ins Treppenhaus. Dort wartete ich ein Stockwerk tiefer einige Minuten, lauschte meinem Herzschlag, zog dann meine Pudelmützentarnung vom Kopf, versuchte mein Haar zu glätten, klemmte meinen Marktforschungsausweis zwischen die Zähne, packte mit beiden Händen nach den randvoll mit Packungen gefüllten Tüten und schob mich die letzten Stufen bis zum alles entscheidenden Ort der Kontaktaufnahme empor. Das war die ganze Prozedur der Kontaktvorbereitung. Immer wieder. Ich empfand mich fast wie eine männliche AVON-Beraterin, ich klapperte wie eine Ein-Mann-Kolonne die Türen ab. Was ich hinter all den Türen antraf, lässt sich wohl am treffendsten mit einem Querschnitt derer beschreiben, die so gut wie nie auf der Sonnenseite des Lebens standen. Es erstaunte mich schon etwas, dass viele in einem Zustand hausten, der sogar noch weit unter dem lag, den ich tagtäglich pflegte. Nicht eine lasziv rekelnde Arztgattin traf ich an. Eine kleine Analyse meinerseits zeigte immerhin, dass ich in achtzig Prozent aller Fälle mit Frauen zusammen war. Es zeigte sich nämlich, auch wenn ich mich ausschließlich an Frau mit Hund heftete, ich keineswegs nur mit ihnen die Zeit verbrachte. In einigen Fällen wurde ich nach Einlass von der Frau an den Mann übergeben, was ich innerlich mit einem enttäuschten „Nun denn, wenn es denn sein muss“ kommentierte. Doch letztlich stimmte die Quote. Ein kleiner Teilerfolg, doch Quantität ist ja bekanntermaßen nicht alles. Einen wirklich bleibenden Eindruck hinterließ eine junge Jugoslawin, die in einem Nachtclub an der Bar arbeitete. Sie erzählte mir, dass sie zur Animation der Gäste eine sogenannte Baby-Doll-Nummer abzog. Da ich keine richtige Vorstellung von einer Baby-Doll-Nummer hatte, zog sie sich rasch um und kam in ihrem Kostüm zurück in die Stube. Jetzt verstand ich. Alles an ihr, außer ihrer Haut, war nun rosafarben. Sie trug auf ihrem Kopf eine plüschartige Bommel, eine weitere an ihrem Hintern, und war in ein rosa Korsett gestopft. Untenrum blickte ich auf einen sehr dezent angedeuteten Slip. Oder so etwas. Sie stand kaum einen Meter von mir entfernt, ich saß tief auf ihrer Couch, und sie tanzte und drehte sich mehrmals für mich im Kreis. Ich applaudierte der kleinen, gelungenen Vorstellung. Was mich nicht weniger beeindruckte, war ihr Körperbau. Ich meine nicht ihren Körper, vielmehr ihren Körperbau. Sie war eine ausgesprochen muskulöse und breite Person. Ich hatte vorher noch nie eine derart bepackte Frau bestaunen dürfen. Was sie tat, war nicht so etwas wie Fitness oder Gymnastik, sie machte Kraftsport. Und genauso sah sie auch aus. Enorme Schultern und Oberarme. „Fass mal an“, sagte sie zu mir und ich wusste in diesem Moment nicht richtig, wohin ich fassen sollte. Ich dachte instinktiv an ein bestimmtes Körperteil, doch konnte ich mir nicht vorstellen, dass auch sie dieses meinte. Sie spannte ihren Oberarm an und ich fühlte an ihm. „Ufff!“ Und wieder machte ich: „Ufff!“ Es war der härteste Muskel einer Frau, den ich je berühren durfte. Sie warf sich zu mir auf die Couch und wir sprachen über das, was sie in dem Nachtclub tat. Für mich war sie eindeutig keine Prostituierte, sie war eine Bardame mit Bommeln dran. Mehr nicht. Erst spät kramte ich meinen Fragebogen heraus und wir tranken, was sie hatte. Es gab Weinbrand zum Kaffee. Danach gab es braunen Rum zum Kaffee. Wir tranken und redeten und ich ließ den Fragebogen unangetastet dahindämmern. Sowieso war erst ihr Hund dran, ein ausgewachsener Schäferhund, der währenddessen die ganz Zeit in der Küche lag. Er blieb dort, weil sie es wollte. Und wolle sie etwas anderes von ihm, dann, so ihre Worte, würde er hart drauf gehen. Auf jeden. „Er ist auch so etwas wie meine Waffe….“, sagte sie mir mit einem belanglosen Schulterzucken. Ich war der Meinung, sie war ausreichend bewaffnet, sie hatte ihren Hund und sich selbst. Um diese Frau musste sich wirklich niemand sorgen. Nur machte ich mir ganz andere Sorgen, als wir in ihre Küche zur Fütterung gingen. Der Napf des Hundes war nicht nur mit Resten irgendwelchen Nassfutters besudelt, er war voller Kakerlaken. Lebender Kakerlaken. Und es gab sie nicht nur im Napf. Überall in der Küche schleppten sich Kakerlaken über den Linoleumboden. So viel Weinbrand und braunen Rum konnte ich gar nicht trinken, um diesen Anblick ohne Ekel zu überstehen. Sie hielt mir ein Einwegglas vor die Nase, normalerweise erwartet man darin Apfelkompott, doch war das Glas gefüllt mit toten Kakerlaken. Sie sammelte die Tiere und bewahrte sie in Einweggläsern auf. Und was sie nicht sammelte, fraß ihr Hund. Ich bekam einen anderen Blick auf ihre Baby-Doll-Nummer. Baby-Doll war nicht mehr so schön wie vorher. Baby-Doll hatte einen Makel bekommen. Als wir uns verabschiedeten, sagte sie mir, sie würde sich freuen, mich mal im Club zu sehen. „Ich mache viel Baby-Doll für dich, komm doch bitte!“ Während sie das sagte, drehte sie sich in der Türschwelle ein letztes Mal für mich und wackelte gekonnt mit ihrer Oberweite. Ich versprach ihr, sie zu besuchen, bekam einen Kuss und ging. Ich blendete die Kakerlaken aus und es war rundherum ein schöner Vormittag, auch wenn mein eigentlicher Auftrag überhaupt nicht in Erscheinung trat. Nun stand mein letzter Tag als Hundefuttermann bevor. Zwei Wochen waren rum und ich hatte kiloweise Futter in die Näpfe purzeln lassen und Fragebögen beschrieben was das Zeug hielt. Meine ausgeklügelte Preisausschreibenmasche entwickelte sich schnell als Rohrkrepierer, da die Leute von mir nicht nur vollmundige Ankündigungen hören, sondern schwarz auf weiß irgendetwas sehen wollten, wie „Jedem, der bei dem Fragebogen mitmacht, garantiere ich, Ronny Luschke höchstpersönlich, eine 99,9%ige Gewinnchance auf eine Fernreise zu den Pygmäen!“ Doch so etwas gab es natürlich nicht. Ich faselte nur erfolglos davon, und schon nach kurzer Zeit verschwand dieser angebliche Trick aus meinem Kopf. Ich beließ es dabei, oft nur an den Haustüren mit den Packungen zu rascheln wie der Weihnachtsmann. Ich schob mich schon am Morgen meines letzten Arbeitstages auf eine Parkbank, um Ausschau nach Frau-Hund-Pärchen zu halten. Mein Paket bestand aus noch fünfzig Fragebögen und vier Packungen Trockenfutter. Bei normaler Arbeitsweise zu viel für einen Tag. Viel zu viel für einen Tag. Wer jedoch auf einer Parkbank mit einigen Packungen neusten Trockenfutter sitzt, braucht nicht lange zu warten, bis er von den ersten Hunden umzingelt wird. Die Köter nahmen ganz einfach Witterung auf und zerrten an den Leinen, bis sich, samt Anhang, eine große Traube um mich herum bildete. Einer von ihnen hob sich aus der Masse deutlich hervor. Ich tippte auf Bulldogge. Gedrungene Gestalt, kurze Beine und vor Kraft nur so strotzend. Er riss förmlich wie ein Berserker an der Leine, sodass Frauchen ins Schwanken geriet, sich der Kraft ihres Rüden schließlich ergab und von ihm zu mir gezogen wurde. Der Kerl war vollkommen seinem Fresstrieb erlegen und er stopfte seinen Kopf tief in jede meiner Plastiktüten. Ich entschied mich spontan für diesen triebhaften Rüden als ersten Testfresser für den letzten Tag. Hin und wieder passierte es auch mal, dass der Hund und nicht die Frau den entscheidenden Impuls für eine Verfolgung gab. An der Leine des Hundes war eine Frau von dürrer Gestalt mit krummem Rücken. Sie sah viel älter aus, als sie wahrscheinlich war. Diese Frau wirkte auf mich wie eine Hexengestalt. Ihr Haar bestand aus dünnen, spröden, langen und schwarzen Fäden, die nicht vollständig ihren Kopf abdeckten. Irgendwo fehlte immer was, wodurch man an einigen Stellen ihre Kopfhaut sehen konnte. Ihr Kopfhaar erinnerte mich an ein Bündel Fäden, die man auf der Kirmes beim Fadenziehen in die Hand bekommt. Und an ihrer Seite war ein Hund, der wie ein zu kurz geratener Schwergewichtsboxer daherkam und einfach nicht zu ihr passte. Hätte ich in diesem Moment genau darüber mal näher nachgedacht, …nun, ich tat es nicht. Sie zog so lange mit ihrer fehlenden Kraft an dem Tier, bis er schließlich ein Erbarmen mit ihr hatte und beide davontrotteten. Ich erklärte der verbleibenden Menge an Menschen und Hunden, dass die Schnüffelstunde nun vorbei wäre und musste zusehen, dass ich den Anschluss zu dem triebhaften Rüden mit der Hexenfrau mit den Fäden am Kopf nicht verlor.
Am Türschild stand „Schmidtke“, schlecht leserlich mit einem Kuli draufgekritzelt. Ich brachte mich in Position, stellte mich gerade auf und läutete. Die Haustür ging auf, Frau Schmidtke schaute durch einen kleinen Spalt, fixierte mich für einen Moment grimmig mit zusammengekniffenen Augen und schlug die Tür wieder zu. Ich war mir sicher, dass sie mich erkannt hatte. Nur wenn sie sich doch an mich erinnern konnte, warum schlug sie dann ohne zu zögern die Tür so schnell wieder zu? Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass sie das tat, weil sie mich wiedererkannte. Ich stand vor einer verschlossenen Tür und machte keinerlei Anstalten wieder meines Weges zu gehen. Ich stand einfach da und schaute mich im Treppenhaus um. Es war ein merkwürdiges Gefühl, nicht zu verschwinden, obwohl Frau Schmidtke mir die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte. Ich war zum ersten Mal in einer solchen Situation. Normalerweise öffneten die Leute und wenn sie nicht interessiert waren, wurden die üblichen Dinge wie „Ich kaufe nichts und mein Hund auch nicht.“ gesagt. So in der Art halt. Auf dem Weg nach unten, drehte ich wieder um und ging zurück an die Tür von dieser Frau Schmidtke. Mir ging so etwas wie eine FBI-Masche durch den Kopf. So nannte ich es in diesem Moment. An meinem letzten Tag wollte ich irgendwie noch einen besonderen Moment, mir war nach einer kleinen gespielten Szene. In den Hauptrollen Frau Schmidkte und ich, beide Akteure lediglich getrennt durch ihre Wohnungstür. Ich wusste zwei Dinge: Frau Schmidtke war in ihrer Wohnung und ich als Hundefuttermann war mit meinem Ausweis in offizieller Mission unterwegs. FBI- Agenten geht es nicht anders. Auch sie wissen, dass die Zielperson hinter einer Tür steckt und auch sie haben einen klaren Auftrag, den sie erfüllen müssen. Ich wollte es drauf anlegen. Es war Mut. Ich wurde wieder von Mut erfasst und dachte an den Esel, den ich vertreiben wollte, wie einen bösen Geist, läutete ein zweites Mal, wartete einen kurzen Moment und begann, anfangs etwas verhalten, gegen die verschlossene Haustür zu reden.
„Frau Schmidtke, können Sie mich hören? Hören Sie mich? Wenn Sie mich hören, dann geben Sie mir bitte kurz ein Zeichen!“
Keine Reaktion von Frau Schmidtke.
„Frau Schmidtke, wir kennen uns doch aus dem Park. Ich saß mit den Tüten auf der Parkbank und ihr Hund war doch so verrückt nach mir, wegen dem Hundefutter was ich bei mir hatte und Sie zogen ihn dann doch weg. Frau Schmidtke? Hören Sie?“
Zu diesem Zeitpunkt gab es kein Zurück mehr für mich. Ich war mittendrin in dieser Nummer und stellte mir sogar vor, neben mir würde ein zweiter, imaginärer Agent stehen. Eine Vorstellung, die mir noch mehr Mut gab.
„Frau Schmidtke, ich kann Sie noch heute Morgen glücklich machen. Sie und Ihren Hund!“ Mir ging durch den Kopf, was ich gerade sagte. „Frau Schmidtke, nicht das Glücklich machen, was Sie jetzt vielleicht denken, sondern ein anderes. Das, was ich meine!“
Ich machte immer wieder auf professionelle Art Pausen, um ihr eine Chance auf Reaktion zu geben.
„Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, Frau Schmidtke. Ich will wirklich nichts von Ihnen. Ich verteile kostenlos Hundefutter hier im Viertel und habe einen kurzen Fragebogen dabei, um mehr geht es doch nicht. Alles was ich vorhabe, wird auch in Ihrem Sinne sein!“
Nichts. Dann kam der Moment, in dem ich es für notwendig hielt, der ganzen Angelegenheit einen offiziellen Anstrich zu geben. Ich zückte meinen Ausweis und hielt ihn gegen die verschlossene Tür.
„Hören Sie, Frau Schmidtke, was Sie jetzt nicht sehen können ist, dass ich gerade meinen offiziellen Ausweis an ihre Tür halte, der mich dazu berechtigt, mit Ihnen zu reden, Sie zu befragen und ihren Hund mit Fressproben zu versorgen. Frau Schmidtke, ich kann Ihnen nur empfehlen, zu kooperieren. Es wird Ihnen nichts passieren. Sie brauchen absolut keine Angst zu haben. Wir sind eine offizielle, international tätige und sehr friedfertige Organisation, die nur Gutes im Schilde führt. Uns liegt das Wohl unserer Kunden am Herzen. Frau Schmidtke, was Sie jetzt auch nicht sehen können, ich reiche Ihnen jetzt meine Hand. Greifen Sie zu! Nehmen Sie von mir ein Stück Glück! Nur darum geht es mir doch!“
Ich machte eine Pause und lauschte an der Tür. Mein Puls marschierte ordentlich und ich nahm einige tiefe Züge der kalten Treppenhausluft.
„Frau Schmidtke, das hat doch alles keinen Sinn! So kann es doch mit uns nicht weitergehen! Nun machen Sie schon auf! Ihr Hund wird mit einer halben Packung bestem Trockenfutter belohnt, soviel hab ich noch nie rausgerückt. Bedenken Sie das bitte! Ich appelliere ein letztes Mal an ihre Vernunft! Sollten Sie sich nach wie vor weigern mit mir zu reden, werde ich in meinem Fragebogen einen Vermerk machen. Mein Institut wird darüber nicht sehr erfreut sein. Strapazieren Sie bitte nicht die Friedfertigkeit unserer Organisation zu sehr. Wir können auch anders, Frau Schmidtke, jawohl, auch anders!“
Man sollte immer wissen, wann es genug ist. Ich wusste es nicht und bekam eine Quittung, die sich gewaschen hatte. Ich erinnerte mich noch dunkel, wie ein großer, stinkender, gewalttätiger Mann in Unterhose die Tür aufriss, mich am Schlafittchen packte, schüttelte und gegen die Treppenhauswand warf. Meine Hundefutterpackungen flogen nur so umher. Das übelriechende Monstrum eines Mannes schnappte sich drei meiner Packungen und verschwand brüllend in der Wohnung von Frau Schmidtke. Ich sammelte meine umherliegenden Packungen zusammen und tastete mich mit weichen, zitternden Knien aus dem Häuserblock. Es ging alles so wahnsinnig schnell vonstatten, dass ich noch nicht einmal genug Zeit hatte, mich zu entscheiden, ob Furcht oder Mut die richtige Reaktion gewesen wäre. Jetzt saß ich wieder auf meiner Parkbank und war wie von Angst gepackt. Angst vor großen, stinkenden Männern in Unterhosen. So konnte es nicht weitergehen, nicht einmal für die letzten paar Stunden, die ich noch vor mir hatte. Nur, es war mittlerweile mittags und keiner meiner restlichen fünfzig Fragebögen auch nur ansatzweise beschrieben. Ich begann, Namen und Adressen mir auszudenken und Kreuzchen zu machen. Am Abend werde ich mir meine Wunden lecken und trinken. Richtig trinken. Und ich werde diesen Straßenabschnitt meiden, nicht dass der stinkende Mann sich mein Gesicht gemerkt hatte. Und sprach der idiotische Student in der Mensa nicht von einem angenehmen Job? Ich werde ihn mir vorknöpfen. Ich werde ihm die Packungen und die Fragebögen an seine Hände festketten und ihn dann in die Mietskasernen peitschen. Vom Geruch des Futters angelockt, hatte sich längst wieder eine neue Traube an Hunden um mich herum versammelt. Das tierische Gewusel um mich herum störte mich in meiner Konzentration so sehr, dass mir nicht mal mehr die einfachsten Namen einfielen. Es war eindeutig der falsche Ort für hochkonzentriertes Arbeiten. Während ich meinen Kram zusammenpackte, schoss mir ein Gedanke durch den Kopf. Bei näherer Betrachtung war dieser angebliche Geistesblitz kein wirklicher Geistesblitz, sondern nur außerordentlich naheliegend. Vielleicht war der Gedanke auch einfach nur zu banal, um schon viel früher Zugang zu meinem Gehirn zu bekommen. Was war eigentlich in meinem Treppenhaus los? Wo ich wohnte. Ein Dutzend obskurer Menschen lebten dort, einige gemeinsam mit ihren vierbeinigen Freunden. Mit wenigen von ihnen konnte ich sogar, mit vielen nicht. Es kam jetzt nur darauf an, an die Richtigen heranzukommen, aber so kam es leider nicht. Außer Michalski war keiner anzutreffen und Michalski war ein Fall für sich. Wir wohnten im vierten Stock genau gegenüber. Michalski war um die vierzig, hatte immer langes, ungewaschenes, schon gräuliches Haar und er trug ein kleines, dünnes Brillengestell, wie es die Intellektuellen zu tragen pflegen. Er war wohl der Meinung, so könne man ihm sein verwahrlostes Junkiedasein nicht sofort ansehen. Obwohl er von großer Statur war, konnte man erkennen, dass bereits seine besten Jahre, wenn es die überhaupt gab, vorbei waren. Er war leider schon mitten im körperlichen Verfall angekommen. Er bewegte sich nur gebeugt, war oft äußerst nervös und rieb sich ständig mit umherwandernden Blicken die Hände. Es ging mit uns beiden anfangs gar nicht so schlecht los, wir verbrachten sogar einige Sonntage zusammen auf der Trabrennbahn, Michalski, sein Schäferhund und ich. Es waren schöne Tage voller Heiterkeit und viel Unsinn. Aber dann kam der Tag, an dem ich mich mal wieder aussperrte. Michalski bot mir zur Lösung des Problems prompt seine Hilfe an. Was jedoch dann passierte, konnte ich nur noch mit gelähmter Fassungslosigkeit beobachten. Der Mann zerspante mir mit schwerem Bohrgerät im Drogenwahn nicht nur das ganze Schloss, sondern auch die Tür drum herum. Er hinterließ ein Loch von zwanzig Zentimeter Durchmesser. Wir konnten uns mit Leichtigkeit die Hände durch diese Öffnung zur Begrüßung reichen. Der Vermieter betrachtete die ganze Angelegenheit mit weniger Leichtigkeit und ich musste für eine neue Wohnungstür aufkommen. Michalski hatte mit all dem nichts zu tun, wie er dem Vermieter versicherte. Seit diesem Vorkommnis hatte unsere Beziehung erhebliche Risse bekommen. Aber es gab eben auch die schönen Tage mit ihm auf der Trabrennbahn in Mariendorf. Mit Michalski und Hund sonntäglich Zeit auf der Rennbahn zu verbringen bedeutete erst einmal wirklich viel Zeit mitzubringen. Stand ich morgens um neun abmarschbereit bei ihm auf der Matte, machten wir uns keineswegs unverzüglich auf die Socken. Ich durfte mich erstmal auf sein abgewetztes Sofa setzen, und ihn dabei beobachten, wie er sich selbst versuchte zu sortieren. Er war sonntags anfangs immer angeschlagen und besonders durch den Wind. Das hatte jedoch nichts damit zu tun, dass er am Vorabend unterwegs war. Er war in den seltensten Fällen mit anderen unterwegs. Er war ein ziemlich einsamer Knochen, der mit seinem Hund und einem Wellensittich zusammenlebte. Wenn ein vierzig Jahre alter Mann mit einem Hund zusammenlebt ist das eine Geschichte, wenn ein vierzig Jahre alter Mann mit einem Hund und einem Wellensittich zusammenlebt, ist das ein klares Zeichen für fortschreitende Vereinsamung. Aber ich gewöhnte mich an den Anblick eines erwachsenen Mannes, der nichts Besseres zu tun hatte, als frisches Wasser in eine kleine Vogeltränke zu füllen. Auch dies gehörte zu seinen sonntäglichen Vormittagsritualen, bevor wir uns in Bewegung setzen konnten.
Gegen Mittag nahmen wir Platz auf einer der Tribünen. Rufus, so der Name seines Hundes, machte zwischen uns Sitz. Er sabberte nur allzu gern meine Hosen ein. Wir drei waren sofort wie angefixt von diesem Wetteifer der Pferderennen. Michalski war wie ausgetauscht. Die Trabrennbahn war sein Element. Er gestikulierte wild wie ein Verrückter, der er ja ohne Zweifel auch war, und erklärte mir dabei jedes Detail zu jedem Pferd und jedem dazugehörigen Jockey. Dann lief er los und besorgte uns Wettscheine und Bier, und zwar für uns drei, Rufus eingeschlossen, und er meinte das durchaus ernst. Rufus bekam eine Mischung aus Wasser und Bier in eine Trinkschale, die Michalski immer dabei hatte, wobei Michalskis Mischverhältnis selten zugunsten des Wassers ausfiel, was Rufus jedoch nicht weiter störte. Im Gegenteil, er stürzte sich förmlich auf seinen ersten Drink und schlabberte in schnellen Zügen seinen Napf leer. Er quittierte es mit zufriedenem, aber auch forderndem Bellen nach mehr. Auch für Rufus war der erste Napf nur der Beginn für einen feuchtfröhlichen Tag und er wurde von seinem Herrchen keineswegs außen vorgelassen. Rufus bekam regelmäßig, wie auch wir selbst, seine Portion. Michalskis Wettstrategie war, nur auf die hohen Favoriten zu setzen. Er war ein Schisser und mied das Risiko. Außenseiter gewinnen zu selten, brabbelte er ständig. Ich dagegen setzte nur auf Außenseiter und zwar die Form von Außenseiter, die nun wirklich keiner auf der Rechnung hatte. Auch die, denen Michalski totale Formschwäche attestierte. Michalski gewann oft und kassierte wenig, ich ganz selten, aber dafür bis zum Zehnfachen meines Einsatzes. Wir hatten immer einen Grund zu feiern. Rufus ließ es sich nicht nehmen, seine Kommentare in Form von freudigem Gebelle kundzutun. Er war genauso wild auf die Rennen wie wir und bellte die trabenden Pferde lautstark ins Ziel. Michalski übernahm das Ausfüllen von Rufus Wettscheinen, was aber nichts anderes bedeutete, als dass Rufus genauso risikolos wetten musste wie sein Herrchen. Ich war erstaunt, was der Hund vertrug, denn selbst nach vier, fünf leergeschleckten Trinkschalen bellte er keineswegs fahrig, launig oder überdreht. Er war die ganze Zeit wirklich gut bei der Sache. Ich dachte mir, wahrscheinlich wird er als Tier sehr wohl merken, das dort ebenfalls Tiere im Geläuf unterwegs sind, was vielleicht eine gewisse geistige Verbundenheit zwischen Hund und Pferd erzeugte. So konnte es gewesen sein. Sie gehören einer gemeinsamen Spezies an. Rufus und Michalski dagegen nicht und möglicherweise konnte Rufus das erkennen. Vielleicht kreisten in seinem Hundekopf auch Gedanken an eine zukünftige Neuordnung zwischen Tier und Mensch, das eben der Zeitpunkt komme würde, wo Hunde und Pferde sich den Menschen untertan machen und dressieren würden. Rufus war immerhin ein Hund, kein Idiot. Je mehr ich trank und darüber sinnierte, so realistischer erschien mir ein derartiges Bild der Zukunft. Noch nicht morgen, oder nächstes Jahr, aber irgendwann. Wir vertranken immer all unsere Wetteinahmen bis zum letzten Groschen und zogen dann von Glück besudelt, ein Hund und zwei Männer, zurück zur U-Bahn. Ja, es waren wunderbare Sonntage auf der Trabrennbahn.