Kitabı oku: «Juristische Methodenlehre», sayfa 8
[80]
Vgl. Beaucamp/Beaucamp, Methoden, Rn. 93; Muthorst, Grundlagen, § 13 Rn. 87; Schmalz, Methodenlehre, Rn. 111; Schwacke, Methodik, S. 40.
[81]
Hierzu siehe im Skript „Verwaltungsprozessrecht“, Rn. 209, 215 m.w.N. Dort auch zu weiteren für die Fristberechnung maßgeblichen Vorschriften (u.a. des BGB).
[82]
Schmalz, Methodenlehre, Rn. 120 ff. Vgl. auch Prümm, in: Vereinigung Deutscher Rechtslehrender, Rechtslehre, 2012, S. 21 (36): „Antwortnorm + Hilfsnorm + Gegennorm = Entscheidungsnorm“.
2. Teil Handhabung des Gesetzes › B. Gesetzesauslegung
B. Gesetzesauslegung
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Ist der vollständige Rechtssatz hiernach ermittelt, so ist nunmehr die Bedeutung seiner einzelnen Merkmale zu bestimmen (definieren), da ohne Klarheit hierüber nicht entschieden werden kann, ob der konkret-individuelle Sachverhalt (z.B. Geschäftsräume des A) den abstrakt-generellen Vorgaben des Gesetzes unterfällt (z.B. Art. 13 Abs. 1 GG: Schutz der „Wohnung“).[1] Dieses „[H]erausarbeiten, was etwas bedeutet“[2] – konkret: die Ermittlung des Inhalts der betreffenden Norm[3] – ist das Ziel (Ergebnis) der Auslegung als „Kerngeschäft der Jurisprudenz“[4] (Rn. 128 ff.), deren Gegenstand in der überwiegend kodifizierten bundesdeutschen Rechtsordnung das geschriebene Gesetzesrecht[5] bildet und die sich als Mittel der juristischen Auslegungskriterien bedient (Rn. 134 ff.).[6]
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Dass dieses Unterfangen mitunter Schwierigkeiten bereitet, liegt zum einen darin begründet, dass Normen typischerweise aus sprachlichen Sätzen bestehen (Rn. 6), sprachliche Verständigung aber ein vielschichtiger und nicht selten ungenauer Vorgang ist.[7] So kann – abhängig vom individuellen Vorverständnis („Vorstellungshorizont“) – der Autor eines Textes mit den darin verwendeten Wörtern (z.B. § 833 S. 2 BGB: „Haustier“) womöglich einen ganz anderen Vorstellungsinhalt verbinden (z.B. von Natur aus zahme Tiere wie etwa Rinder) als der Adressat (z.B. gezähmte Tiere wie etwa Rehe).[8] Insoweit geht es in der Rechtswissenschaft letztlich um die Lösung desselben Problems, vor dem auch die anderen Textwissenschaften stehen, nämlich die „Übersetzung“ der Zeichen (Wörter) aus der Sprachwelt des Autors in diejenige des Adressaten;[9] „Auslegung ist [nur] eine spezifische Form der Textinterpretation“.[10] Ebenso wie beispielsweise in der Literaturwissenschaft die Figur des „Eulenspiegel“ von einigen schlicht als fröhlicher Spaßvogel aufgefasst wird, andere in ihr hingegen einen sozialkritischen Aufwiegler sehen,[11] so sind auch die im Gesetz anzutreffenden Begriffe nicht selten i.d.S. mehrdeutig, dass sie einen gewissen „Bedeutungsspielraum“ aufweisen.[12] Dies trifft v.a. auf die vom Gesetzgeber aus Gründen der Flexibilität bewusst unbestimmt formulierten Rechtsbegriffe zu (z.B. § 826 BGB: „gute Sitten“).[13]
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Doch auch im Übrigen wird das Verständnis von Gesetzestexten zum anderen dadurch erschwert, dass diese häufig von einem recht hohen Abstraktionsniveau gekennzeichnet sind.[14] Um die schier unendliche Zahl vielgestaltiger Lebensvorgänge zu erfassen, müssen die „nur“ endlich vielen Rechtsvorschriften notgedrungen allgemein formuliert sein.[15] Würde sich der Gesetzgeber hingegen darauf beschränken, ausschließlich deskriptive Tatbestandsmerkmale zu verwenden, die unmittelbar in ihrer Bedeutung für jedermann erschließbar sind (Rn. 92; z.B. in § 242 Abs. 1 StGB statt „fremde bewegliche Sache“ eine Aufzählung aller Tatobjekte wie „Computer, Geldscheine, Telefone“ etc.), so bestünde die Gefahr, dass die Gesetze zu starr und kasuistisch – und damit letztlich impraktikabel und lückenhaft – würden sowie dem Wandel der Lebensverhältnisse oder den Besonderheiten des Einzelfalls nicht mehr gerecht werden könnten. Insbesondere die Verwendung wertausfüllungsbedürftiger Begriffe bis hin zu Generalklauseln (Rn. 93; z.B. § 242 BGB: Pflicht zur Leistungsbewirkung nach „Treu und Glauben“) wird daher weder durch das allgemeine, aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG folgende Bestimmtheitsgebot noch durch dessen besonders strikte Ausprägung im strafrechtlichen Bereich (Art. 103 Abs. 2 GG) verfassungsrechtlich von vornherein ausgeschlossen.[16] Vielmehr hat der Gesetzgeber Rechtsvorschriften (nur) so genau zu fassen, „wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist.“[17] Solange sich der genaue Inhalt einer Vorschrift mit Hilfe der anerkannten juristischen Auslegungsregeln (Rn. 136 ff.) ermitteln lässt, steht ihre Auslegungsbedürftigkeit nicht im Widerspruch zum verfassungsrechtlichen Bestimmtheitserfordernis.[18]
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Um auch derartige Vorschriften (z.B. § 138 Abs. 1 BGB: „Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig“) rechtspraktisch handhabbar zu machen, gilt es, ihren jeweiligen Leitgedanken herauszuarbeiten (z.B. Verhinderung von Rechtsgeschäften, die wegen ihrer Abweichung von den ethischen Grundlagen der Rechtsgemeinschaft für diese unerträglich sind) und anhand von Fallgruppen zu konkretisieren (u.a. wucherähnliche Rechtsgeschäfte).[19] In jeder von diesen werden Fälle zusammengefasst, die sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlich-wertender Hinsicht gleich liegen (z.B. objektiv auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung sowie subjektiv Handeln in verwerflicher Gesinnung).[20] Für die Bildung dieser Fallgruppen kann die Überlegung hilfreich sein, welchen „Regel-Anwendungsfall“ der Gesetzgeber bei der Normierung der betreffenden Vorschrift vor Augen hatte und ausgehend von diesem eine Skala von Fällen zu erstellen, die auf der einen Seite eindeutig von dieser Vorschrift erfasst werden (z.B. der vereinbarte Kreditzins übersteigt das marktübliche Zinsniveau um relativ 200%) und auf der anderen Seite zweifelsohne nicht mehr unter diese fallen (z.B. der vereinbarte Kreditzins übersteigt das marktübliche Zinsniveau um relativ 20%), sog. Fallvergleichung.[21] In Abhängigkeit davon, wie nah der konkrete Fall (z.B. der vereinbarte Kreditzins übersteigt das marktübliche Zinsniveau um relativ 100%) unter Berücksichtigung aller im Einzelnen bestehenden Umstände (z.B. Niedrigzinsphase, keine Zinsanpassungsklausel, lange Laufzeit) an welchem Ende der Skala einzuordnen ist, ist dieser (nicht) unter den jeweiligen Gesetzesbegriff zu subsumieren. In der praktischen Rechtsanwendung werden die unbestimmten Rechtsbegriffe und Generalklauseln durch die zu ihnen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung jeweils entwickelten Fallgruppen insofern überformt, als es maßgeblich darauf ankommt, ob der konkrete Sachverhalt einer von diesen zugeordnet werden kann.[22] Diese sollten daher zu den gängigsten „Formeln“ der juristischen Hauptfächer bekannt sein, tritt insoweit das „Falldenken“ doch zumindest neben „das Denken vom Gesetz her“.[23] Diese Vorgehensweise ist dem anglo-amerikanischen case law nicht unähnlich, bei dem der konkret zu entscheidende Fall den in der Vergangenheit bereits entschiedenen Fällen unter dem Aspekt gegenübergestellt wird, ob er mit diesen in den entscheidungsrelevanten Punkten vergleichbar ist.[24]
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Hinweis
Neben der vorstehend aufgezeigten Konkretisierung (Präzisierung) von Norminhalten[25] erfüllt die Rechtsprechung in methodischer Hinsicht noch folgende weitere Funktionen:
• | Aktualisierung des Normverständnisses (z.B.: Handelt es sich bei einem Softwaremangel um einen Sachmangel i.S.d. § 434 BGB?); |
• | Zusammenschau verschiedener Normen (z.B.: Schonender Ausgleich des von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Eigentumsrechts des Vermieters mit dem Grundrecht des Mieters auf Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, der eine Parabolantenne an der Außenfassade des Mietshauses anbringen möchte, im Rahmen von § 535 Abs. 1 S. 2 BGB: „vertragsgemäßer Gebrauch“) und |
• | Ausfüllung von planwidrigen Gesetzeslücken (Analogie; Rn. 246 ff.).[26] |
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Schließlich sind entgegen der auf das römische Recht zurückgehenden sog. Eindeutigkeitsregel[27] („In-claris-verbis“-/„Sens-Clair“-Regel bzw. „Plain-Meaning-Rule“) selbst scheinbar „eindeutige“ Vorschriften der Auslegung zugänglich – „bereits die Überlegung, ob Auslegungszweifel bestehen, bedeutet eine Ermittlung des Inhalts der Vorschrift und ist damit Auslegung“[28] –, wird das zutreffende Verständnis einer Vorschrift doch nicht nur durch ihren Wortlaut, sondern auch durch ihren systematischen und historischen Kontext sowie ferner ihren Sinn und Zweck bestimmt (so ist z.B. das Merkmal „unter freiem Himmel“ in Art. 8 Abs. 2 GG nicht etwa dahingehend auszulegen, dass es auf die fehlende Überdachung der Versammlung „nach oben“ ankäme; maßgeblich ist nach der Zielsetzung dieser Vorschrift vielmehr die fehlende räumliche Begrenzung der Versammlung „zu den Seiten hin“).[29] „Eine eindeutige Norm gibt es nicht.“[30] Lediglich der „Aufwand“, der bezüglich der Auslegung einer Norm betrieben werden muss, um zum Ergebnis zu gelangen, kann zwischen verschiedenen Vorschriften divergieren.[31]
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Zudem ist nicht ausgeschlossen, dass der augenscheinlich „klare Wortlaut“ deshalb zu „berichtigen“ ist, weil dieser auf einem Druckfehler oder Redaktionsversehen des Gesetzgebers beruht (z.B. verwies § 1511 Abs. 3 BGB a.F. auf § 1500 BGB, obwohl ersichtlich § 1501 BGB gemeint war; erst durch Gesetz vom 23.7.2002, BGBl. I S. 2850, wurde dieses „Zitierversehen“ bereinigt).[32] In einem solchen Fall offensichtlich fehlerhafter Formulierung bildet – im Gegensatz zu inhaltlichen Unstimmigkeiten[33] – die korrigierte Textfassung den Gegenstand der weiteren Auslegung (vgl. auch § 319 Abs. 1 ZPO, § 42 S. 1 VwVfG).[34]
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JURIQ-Klausurtipp
Dass abstrakt gesehen richtigerweise jeder Rechtsbegriff auslegungsfähig und -bedürftig ist (Rn. 125), bedeutet nicht, dass auch bei der konkreten Rechtsanwendung entsprechende Überlegungen stets anzustellen sind! Vielmehr bedarf es dann, wenn der zu begutachtende Sachverhalt (z.B. V ändert die Kaufpreisangabe in dem mit K geschlossenen, notariell beurkundeten Grundstückskaufvertrag nachträglich zu seinen Gunsten ab) evident dem Begriffskern (Rn. 152 f.) des jeweiligen gesetzlichen Merkmals zuzuordnen ist (z.B. § 267 Abs. 1 StGB: „Urkunde“), keiner vertiefenden Ausführungen – weder zur Gesetzesinterpretation noch zur Subsumtion. Angezeigt sind nähere Ausführungen insoweit vielmehr nur in nicht derart eindeutigen, d.h. in problematischen Fällen (z.B. wenn Z im „Cocktailbar-Fall“ [Rn. 2, 78] einen Bleistiftstrich auf dem Bierdeckel ausradieret).[35]
2. Teil Handhabung des Gesetzes › B. Gesetzesauslegung › I. Auslegungsziel
I. Auslegungsziel
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Bevor im Folgenden näher auf die einzelnen Auslegungskriterien eingegangen wird, ist zunächst das Auslegungsziel als „juristischer Kernstreit und Klassiker“[36] zu präzisieren, da dieses die Erstgenannten beeinflusst.[37] „Was soll der Interpret finden wollen, wenn er auslegt?“[38] Insoweit stehen sich bereits seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Ausgangspunkt zwei Meinungslager gegenüber:[39] „Während die ,subjektive‘ Theorie auf den historischen Willen des ,Gesetzgebers‘ = Gesetzesverfassers, auf dessen Motive in ihrem geschichtlichen Zusammenhang abstellt, ist nach der ,objektiven‘ Theorie […] Gegenstand der Auslegung das Gesetz selbst.“[40] Lassen sich auch auf dem Boden des Grundgesetzes Argumente zugunsten beider Ansätze zur Auflösung der zeitlichen Spannung zwischen dem Verfasser des Gesetzestextes und dessen Interpret finden – die Bindung der Rechtsprechung an das Gesetz (Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1 GG; Rn. 10 ff.) lässt sich sowohl auf den Gesetzestext als auch auf die hinter diesem stehenden Absichten des (damaligen) Gesetzgebers beziehen –,[41] so verwundert es daher nicht, dass das BVerfG eine vermittelnde Auffassung vertritt: „Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers“[42], sog. Andeutungs- bzw. Vereinigungstheorie.[43]
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Hinweis
Der Streit um die Frage, welche Auslegung – die subjektive oder die objektive – die „richtige“ ist, lässt sich auch als solcher namentlich um den Rang der historischen Auslegung begreifen.[44] Generell gilt: Die Antwort auf die Frage nach dem Ziel der Auslegung ist inzidenter bei deren Kriterien relevant.[45]
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Diese heute in Rechtsprechung und Lehre h.M.[46] überzeugt. Gegen die alleinige Anwendung der in ihrer Reinform in Deutschland nur früher[47], aktuell namentlich noch in den USA[48] verbreiteten subjektiven Theorie spricht, dass insoweit, als hiernach der Wille des historischen Gesetzgebers („Fiktion“[49]) – in zugespitzter Form: die persönlichen Vorstellungen der am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten (Rn. 189) – für die Auslegung verbindlich ist (entstehungszeitlich-subjektive Theorie; „ex tunc“), eine Versteinerung der Rechtsordnung droht, wenn sich nach dem Erlass des Gesetzes die gesellschaftlichen Verhältnisse wandeln (z.B. Erfindung des Internets; ist etwa ein über „Zoom“ abgegebenes Angebot ein solches unter Anwesenden i.S.v. § 147 Abs. 1 BGB?) oder die rechtlichen Wertungen ändern (ist z.B. gegenwärtig ein sog. Geliebtentestament gem. § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig?).[50] Doch auch insoweit, als die subjektive Theorie bei älteren Gesetzen auf die Wertungen des hypothetischen bzw. realen (str.) heutigen[51] Gesetzgebers abstellt (geltungszeitlich-subjektive Theorie; „ex nunc“), indem sie eine entsprechende Fortschreibung der im Gesetz verkörperten Wertungen fordert, sieht sie sich dem Einwand ausgesetzt, dass sie nicht stets zu einem Ergebnis führt.[52]
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Zentraler Kritikpunkt an der objektiven Theorie wiederum ist, dass diese mit dem gegenüber dem – im Wege der historischen Auslegung zuweilen eindeutig bestimmbaren (Rn. 190) – „Willen des Gesetzgebers“ verselbstständigten „Willen des Gesetzes“ vordergründig nach einem Phantom sucht („ein Text hat keinen eigenen Willen“[53]) und es der Sache nach der ihrerseits kaum nachvollziehbaren Bewertung des jeweiligen Interpreten überlässt, welche scheinbar objektiv vernünftige und zeitgemäße Aussage („das Gesetz kann klüger sein als die Väter des Gesetzes“[54]) er dem Gesetz entnimmt („,objektive‘ Auslegung ist subjektiv“[55]).[56] Damit aber gerät dieser Ansatz in Konflikt mit dem Gewaltenteilungsprinzip des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG, wonach Rechtsnormen von den an diese gebundenen Gerichten lediglich angewandt, nicht hingegen auch gesetzt werden, was vielmehr Aufgabe der Legislative ist (objektive Theorie als Deckmantel richterlicher Rechtsfortbildung).[57] Je selbstständiger aber der vermeintliche Wille des Gesetzes von der Judikative festlegt wird, umso eher macht diese sich anstatt zu dessen „Diener“ zu seinem „Herren“.[58] Um dies zu verhindern, sind die Regelungsabsichten und Wertvorstellungen des Gesetzgebers bei der Auslegung daher i.S.d. o.g. Andeutungs- bzw. Vereinigungstheorie mit einzubeziehen.[59]
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JURIQ-Klausurtipp
Während das Ziel der Auslegung grundsätzlich darin besteht, die Bedeutung des betreffenden gesetzlichen Merkmals allgemein (abstrakt) derart umfassend zu definieren, dass kein Sachverhalt mehr denkbar ist, bzgl. dessen Zweifel an seiner Subsumierbarkeit unter dieses Merkmal bestehen, so bedarf es im Rahmen der Fallbearbeitung einer Begriffsdefinition dagegen nur insoweit, als diese für die Beurteilung erforderlich ist, ob die im jeweiligen Aufgabentext mitgeteilten Tatsachen vom insofern in Betracht kommenden gesetzlichen Merkmal erfasst werden oder nicht.[60] Namentlich in der Klausur ist die Gesetzesauslegung folglich auf die Ermittlung des Sinngehalts der jeweiligen Vorschrift speziell in Bezug auf den konkret zu beurteilenden Fall beschränkt (z.B. überweist Käufer K den Kaufpreis i.H.v. 100 € aufgrund eines „Zahlendrehers“ nicht auf das Bankkonto des Verkäufers V, sondern eines fremden Dritten D), d.h. soweit die betreffende Rechtsfrage für dessen Entscheidung erheblich ist (z.B. ob K gegen D einen Anspruch auf Herausgabe der 100 € aus § 812 Abs. 1 S. 1 BGB hat. Ob es sich darüber hinaus beispielsweise auch bei der Befreiung von einer Verbindlichkeit um „etwas“ i.S.v. § 812 Abs. 1 S. 1 BGB handelt, ist eine Frage, auf deren Beantwortung es zur Lösung des konkreten Falls – Fehlüberweisung der 100 € durch K an D – nicht ankommt und im zugehörigen Gutachten daher auch nicht anzusprechen ist[61]). Aber Achtung: Trotz dieser ausschnitthaften sog. Fallbezogenheit der Auslegung (keine lehrbuchhaften bzw. kommentarmäßigen Ausführungen) muss diese stets allgemeingültig bleiben (Formulierungsbeispiel: „,Etwas‘ i.S.v. § 812 Abs. 1 S. 1 BGB ist jeder Vermögensvorteil. Ein solcher liegt jedenfalls bei einem positiven Vermögenszuwachs vor“).[62] Auch die bloße Aufzählung von Anwendungsfällen (sog. Kasuistik; Rn. 122) definiert einen Begriff nicht.[63]
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Beispiel[64]
B ist berechtigter Besitzer einer Baumaschine, an deren Nutzung er infolge einer zweitägigen Blockade durch den Demonstranten D gehindert wurde. Hat B gegen D einen Anspruch auf Ersatz der entgangenen Nutzung aus § 823 Abs. 1 BGB?
Ein auf § 823 Abs. 1 BGB gestützter Anspruch des B gegen D auf Nutzungsersatz wegen Blockade der Baumaschine kommt ersichtlich nur unter dem Gesichtspunkt der Verletzung eines „sonstigen Rechts“ in Betracht. Dieser Begriff ist allgemein zu definieren (also nicht nur in Bezug auf B und auch keine bloße Aufzählung wie: „,sonstige Rechte‘ i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB sind beschränkte dingliche Rechte, Anwartschaftsrechte, Immaterialgüterrechte etc.“) – allerdings nur insoweit, als dies zur Beantwortung der konkreten Fallfrage nötig ist (hier also bzgl. des berechtigten Besitzes an einer Sache; ob § 823 Abs. 1 BGB darüber hinaus etwa auch den unrechtmäßigen Besitzer schützt, ist im vorliegenden Fall irrelevant und daher nicht zu thematisieren). Die zu beantwortende Auslegungsfrage lautet somit: „Schützt § 823 Abs. 1 BGB mit dem Begriff ,sonstiges Recht‘ den berechtigten Besitz an einer Sache?“
2. Teil Handhabung des Gesetzes › B. Gesetzesauslegung › II. Auslegungsmittel
II. Auslegungsmittel
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Welcher Methode sich der Rechtsanwender zur Ermittlung des Bedeutungsinhalts des Gesetzes bzw. der darin enthaltenen Begriffe zu bedienen hat, ist gesetzlich nicht geregelt („fehlendes Methodengesetz“[65]);[66] namentlich die §§ 133, 157 BGB betreffen nur die Auslegung von Willenserklärungen bzw. Verträgen.[67] Auch das Grundgesetz schreibt eine bestimmte Auslegungsmethode nicht vor.[68] Dass die Auslegung gleichwohl nicht dem Gutdünken des jeweiligen Auslegers, d.h. dem willkürlichen Meinen bzw. subjektiven „Für-Richtig-Halten“ (Belieben; Dezisionismus) seitens des einzelnen Richters, Verwaltungsbeamten etc. überlassen ist – juristisches Denken hat vielmehr „leidenschaftslos, unparteilich, unbefangen und vorurteilsfrei“ zu sein[69] –, sondern dieser sich hierfür ergebnisoffen, d.h. neutral, bestimmter objektiver Kriterien zu bedienen hat („es gibt keine ,Freiheit der Methodenwahl‘“[70]), ist ein Gebot des verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzips, welches unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit nicht nur ein vorhersehbares, sondern auch ein rational nachvollziehbares und damit kontrollierbares Auslegungsergebnis fordert („Methodenfehler sind […] Rechtsfehler“[71], vgl. § 546 ZPO, § 337 Abs. 2 StPO);[72] zudem sind mit Blick auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG einheitliche methodische Entscheidungsregeln unverzichtbar („Das Recht ist nichts Beliebiges.“[73]).[74] (Auch) Insoweit handelt es sich bei der Jurisprudenz mithin um einen „nach Inhalt und Form […] ernsthafte[n] planmäßige[n] Versuch zur Ermittlung der Wahrheit“[75] – und damit um „Wissenschaft“.[76] Das Instrument hierzu, d.h. zur Erlangung „richtiger“ (i.S.v. juristisch vertretbarer, freilich nicht notwendig auch eindeutiger) Entscheidungen, ist die Methodenlehre.[77] Den danach anerkannten Auslegungskriterien („Regeln der Kunst“[78], leges artis der Rechtswissenschaft) kommt letztlich sogar Verfassungsrang zu, steht eine (Gerichts-)Entscheidung, die den methodisch vorgegebenen Korridor des rechtlich Vertretbaren verlässt, doch nicht mehr mit „Gesetz und Recht“ i.S.v. Art. 20 Abs. 3 GG (vgl. auch Art. 97 Abs. 1 GG, § 1 GVG) in Einklang.[79] „Gesetzesbindung bedeutet Regelbindung und Regelbindung bedeutet Methodenbindung.“[80] Im Ergebnis definiert die juristische Methodenlehre damit die Machtabgrenzung zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung („Richterstaat“) und ist damit letztlich auch eine politische „Machtwissenschaft“.[81]
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JURIQ-Klausurtipp
Wenngleich richtigerweise jeder Rechtssatz auslegungsbedürftig ist,[82] so wäre es im Rahmen der Fallbearbeitung dennoch verfehlt, sich die Bedeutung jedes einzelnen hierfür jeweils relevanten gesetzlichen Merkmals anhand der juristischen Auslegungsmethoden von Grund auf neu zu erschließen. Denn auch wenn für dieses keine Legaldefinition (Rn. 101 ff.) vorhanden sein sollte, so haben Rechtsprechung und Lehre doch zahlreiche „Standarddefinitionen“ entwickelt. Diese „Auslegungsvorschläge“ sind bei der Falllösung regelmäßig ohne Weiteres zugrunde zu legen (und demgemäß zuvor auswendig zu lernen).[83] Demgegenüber ist eine eigenständige Erarbeitung des Bedeutungsinhalts der vom Gesetzgeber verwendeten Begriffe unter Zugrundelegung der juristischen Auslegungskriterien (Rn. 136 ff.) namentlich dann angezeigt, wenn hierzu noch keine (gefestigte) Rechtsprechung und Lehrmeinung existiert (z.B. weil es sich um ein „neues“ Gesetz handelt) oder aber wenn es gilt, bestehende Interpretationen kritisch zu hinterfragen.[84] Zusammenfassend gilt also:[85]
1. | Ist in Bezug auf den jeweils in Frage stehenden Gesetzesbegriff (den zu definierenden Ausdruck, sog. definiendum; z.B. § 121 Abs. 1 S. 1 BGB: „unverzüglich“) eine Legaldefinition vorhanden (z.B. § 121 Abs. 1 S. 1 BGB: „ohne schuldhaftes Zögern“), so ist der Rechtsanwender an das durch diese festgelegte Begriffsverständnis (den definierenden Ausdruck, sog. definiens) zwingend gebunden. Eine hiervon abweichende Interpretation (z.B. „unverzüglich“ = „sofort“) wäre unzulässig („Auslegungsverbot“[86]).[87] Erweist sich die Legaldefinition allerdings ihrerseits als unklar, so ist sie selbst auszulegen (z.B. „ohne schuldhaftes Zögern“ = „wenn das Zuwarten […] durch die Umstände des Falles geboten ist“, was bei einem Abwarten von zwei Wochen grundsätzlich nicht mehr zu bejahen ist[88]).[89] |
2. | Hat, wie häufig der Fall, der Gesetzgeber den von ihm verwendeten Begriff nicht definiert, wird dieser aber von Rechtsprechung und Lehre ständig in einem bestimmten Sinn verstanden, so ist diese gefestigte Auslegung („Standarddefinition“) anzuwenden (danach z.B. ist ein Gewerbetreibender dann „unzuverlässig“ i.S.v. § 35 Abs. 1 S. 1 GewO, wenn er nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe zukünftig ordnungsgemäß betreibt; Rn. 106).[90] |
3. | Existiert weder eine Legaldefinition noch eine (überzeugende) gefestigte Auslegung (z.B. bei „neuen“ Gesetzen), so ist eine eigenständige Gesetzesauslegung durch den Fallbearbeiter anhand der nachfolgend dargestellten juristischen Auslegungskriterien erforderlich.[91] |
Achtung: Das „Autoritätsargument“, nämlich dass es sich bei einer bestimmten Gesetzesinterpretation um die in Rechtsprechung und Lehre „herrschende Meinung“ (h.M.)[92] handelt (s.o. „2.“), darf nicht mit den nachfolgend dargestellten juristischen Sachargumenten verwechselt werden.[93] „Sich auf Autoritäten zu berufen (‚argumentum ab auctoritate‘) ist kein eigentliches juristisches Argument“[94], die „herrschende Meinung […] formal nicht verbindlich“[95]. Vielmehr bemisst sich die Überzeugungskraft jeder zu einer Rechtsfrage vertretenen Auffassung umgekehrt gerade danach, inwiefern diese sich auf die anerkannten juristischen Auslegungskriterien zu stützen vermag.[96] Für die Praxis, aber auch die Klausur, wird gleichwohl empfohlen, pragmatisch zu verfahren und regelmäßig die h.M. zugrunde zu legen, d.h. die Auslegungskriterien – ergebnisorientiert – derart anzuwenden, dass sie zum betreffenden Auslegungsresultat (der h.M.) führen; denjenigen, der einer hiervon abweichenden (Minder-)Meinung (M.M.) folgt, treffe die weitergehende Argumentationslast.[97] Ist die Auslegung eines Begriffs in Rechtsprechung und Lehre umstritten, so kann in der juristischen Ausbildung jede „vertretbare“ Meinung (Rn. 223) zugrunde gelegt werden. In der Praxis hingegen wird der (höchstrichterlichen) Rechtsprechung gefolgt.[98]
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