Kitabı oku: «Medienkulturelle Manifestationen gegenwärtiger Familienpolitik», sayfa 4

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»Die Arbeit analysiert Inszenierungen von Mutterschaft und Familie in der zeitgenössischen Kultur. Künstlerische Diskurse wie Theater, Tanz, Performance und bildende Kunst begreift sie als Teil der kulturellen Praxis, die Gesellschaft begründet. Sie geht mithin von einem kulturwissenschaftlichen Ansatz aus, demzufolge Gesellschaft als ein plurales Ensemble von Diskursen gesehen wird, die als Texte zu lesen und analysieren sind. Künstlerische Praktiken oder theoretische Texte haben diesem Verständnis nach grundsätzlich denselben Stellenwert wie alltägliche oder massenmediale Praktiken; […] Kultur wird als ständiger, performativer Prozess verstanden« (S. 25).

Aufgrund der Betrachtung verschiedener Medien erfolgt in Dreysses Untersuchung das Gewahrwerden einer »Medienspezifik des Mutterbildes« (S. 17). Die Autorin verweist darauf, dass das Theater im 18. Jahrhundert einen Sonderstatus im Hinblick auf Mutterfiguren besitzt. Im Unterschied zur Präsenz idealer Mutterbilder in der bildenden Kunst, erscheint die Mutter in bürgerlichen Trauerspielen bestenfalls randständig (S. 16). Diese Diskrepanz hängt Dreysse zufolge möglicherweise mit einer Ineinssetzung von Mutter und Natur zusammen, »die sie aus der symbolischen Ordnung ausschließt, und die zwar mit den Mitteln der bildnerischen Gestaltung, nicht aber im Medium des handlungs- und sprachbasierten Sprechtheaters darstellbar ist« (S. 150). Als Gemeinsames zwischen diesen beiden Medien werden Darstellungskonventionen, die der ersichtlichen Repräsentation entgegenlaufen (S. 200), ausgemacht. Mit Blick auf die Gegenwart beobachtet die Autorin ein werbespezifisches Arrangement von Müttern und Vätern: »Während Mutterfiguren in der Werbung für Baby- und Kinderprodukte sowie Haushaltswaren inszeniert werden, kommen Vaterfiguren beispielsweise in der Kfz-Werbung vor, wenn ein Auto als Familienauto vermarktet werden soll« (S. 39). Sie zeigt anhand zahlreicher Beispiele die künstlerische Inszenierung pluraler und vielfältiger Familienformen.

Inwiefern stellt nun mein medienkulturwissenschaftlicher, mediensyntagmatischer Ansatz eine methodologische und heuristische Erweiterung dar? Geht doch schon Dreysse davon aus, dass »Medien […] für die Alltagspraxis eine zentrale Rolle [spielen], gerade auch solche medialen Bilder, die Teil der Alltagsrealität sind, aber nur beiläufig rezipiert werden, wie etwa die Werbung« (S. 17). Sie untersucht u.a. »visuelle Konstruktionen von Mutterschaft in der gegenwärtigen populären Kultur«, wobei »Beispiele aus der kommerziellen Werbung, der Ratgeberliteratur sowie der politischen Kommunikation« (S. 17) herangezogen werden. Besonders beeindruckend ist auch Dreysses Berücksichtigung der Geschichte eines geschlechtlich codierten Dingobjekts, nämlich des Puppenhauses (S. 249).

Dreysse macht zwar theoretisch keine Rangunterschiede zwischen unterschiedlichen Medien. Tatsächlich aber unterscheidet sie sehr wohl zwischen Kunst, die ihr zufolge dekonstruieren kann, und Manifestationen aus der Werbung, die beispielsweise Geschlechterrollenmuster bestätigen und verstärken: »So einseitig Bilder von Mütterlichkeit in der Werbung und der Ratgeberliteratur diese darstellen, so ambivalent und vielseitig wird Mutterschaft in den Arbeiten zeitgenössischer Künstlerinnen inszeniert.« (S. 116) Der hier präferierte Ansatz ermöglicht über die Annahme einer Medienkultur eine noch weitergehende Beobachtung von in gelebter Beiläufigkeit26 verschachtelten medienkulturellen familienpolitischen Manifestationen der Gegenwart, indem hier andere Medien (etwa Babywelt-Messe, Kalender, Schaufenster, Nachrichtensendung etc.) zusammengestellt und schlichtweg funktional betrachtet werden. Die einzige Vorverabredung, und zwar funktional, ist die Annahme, dass es sich bei den beobachteten Manifestationen um mediale handelt. Indem hier von Medienkultur gesprochen wird, kann der ›kulturelle Ruf‹ der jeweiligen Medien leichter storniert werden. Dreysse geht zwar expressis verbis davon aus, dass künstlerische Praktiken, theoretische Texte und alltägliche oder massenmediale Praktiken den gleichen Stellenwert haben (S. 25). ›Hinterrücks‹ werden doch aber die Medienangebote mit kulturellem Wert versehen, wenn rhetorisch differenziert wird in »künstlerische Praktiken« oder »massenmediale Praktiken«. Der hier vorgeschlagene funktionale Medienbegriff im Mediensyntagma unterläuft die Ordnung von Dreysse, in der ein Unterschied zwischen Alltagskultur und Kunst entgegen erklärten Absichten letztlich doch aufrechterhalten wird. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die rhetorische Einordnung in »künstlerische Praktiken« oder »massenmediale Praktiken« folgenreich ist. Ist es da nicht unvoreingenommener, ergebnisoffener, antipräskriptiver, von Medienkultur zu sprechen? Ich bevorzuge eine antipräskriptive(re) Erfassung von Medien in der Medienkultur (etwa eines Kalender als Medium, der Babywelt-Messe als Medium, von Werbung als Medium) in Abgrenzung zu doch institutionalisiert aufgefächerten Klassifikationen wie beispielsweise »populäre[r] Kultur«, bildende[r] Kunst« oder »Performance-Kunst« (S. 17).

Zwar gehe ich ebenso wie Dreysse von kulturellen Ambivalenzen (beispielsweise S. 10, S. 14), von familienbezogener Vielfalt und Stereotypen (S. 48), vom politischen Charakter von Fa­mi­lia­li­tät (S. 9), von Widersprüchlichkeit (S. 113), von der Herstellung im Sinne des »Doing Family« (S. 12), von Historizität (S. 14) und von Naturalisierungs- und Entnaturalisierungstendenzen (S. 9) aus, differenziere jedoch funktional nicht zwischen »stereotype[r] Darstellung oder aber dem offensichtlichen Spiel mit stereotypen Familienbildern« (S. 17). Vielmehr soll im Rückgriff auf neueste Medientheorien funktional von medialen Ostentationen (die bei Werbung und Theater strukturäquivalent sind) und im medienkulturwissenschaftlichen Rekurs auf Diskursanalyse von medienkulturellen Zeigbarkeiten (völlig unabhängig von Dekonstruktion und Reproduktion) die Rede sein. Damit sollen die Verdienste der Arbeit von Dreysse keineswegs in Abrede gestellt werden. Zugutezuhalten ist ihr, dass sie keine einseitige Verknüpfung von Theater und Dekonstruktion vornimmt27, aber gewahrt bleibt doch eine Vorrangstellung bestimmter institutionalisierter Medien, wenn kommuniziert wird:

»Der Raum des Theaters bietet die Möglichkeit, zwingende Wiederholungen von Identität zu verfehlen und aufs Spiel zu setzen und auf diese Weise naturalisierte Annahmen über Mutterschaft und Familie zu dekonstruieren.«28

Führen nicht auch andere, bisher in ihren ostentativen Funktionen weniger beachtete Medien (wie etwa eine Messe) »die historische, diskursive und immer auch heterogene Konstruktion von Familie vor Augen«29? Die Frage nach einer möglichen medialen Dekonstruktion und/oder Reproduktion von Stereotypen wird in meinem Ansatz nicht anhand des jeweiligen Mediums entschieden. Dieses macht (lediglich oder bzw. überhaupt erst) wahrnehmbar30. Die Frage nach Dekonstruktion oder Reproduktion wird schlichtweg an die Medienkultur delegiert. Damit geht einher, dass antipräskriptiv Qualifikationen vom Medium weg an die Medienkultur abgegeben werden. Diese Tage um den Jahreswechsel 2016/17 sind von Diskussionen um Fake News im Internet und der pauschalen Diffamierung der ›vierten Gewalt‹ als »Lügenpresse« geprägt. Innerhalb eines poststrukturalistischen Designs kann es zwar bestenfalls um ein mehr oder weniger wahr gehen, gleichfalls leugne ich nicht die Feststellbarkeit der Falschheit bestimmter Aussagen. Jede diesbezügliche Feststellbarkeit lässt sich aber erst im Nachgang verorten, im medienkulturellen Nachgang. Das Medium spricht nicht aus: »Ich bin eine Fake News«. Der zu diesem Zeitpunkt noch designierte US-Präsident Donald Trump klassifiziert schlichtweg in einer Pressekonferenz den Fernsehsender CNN als »Fake News«31. Hätte das Medium interne Mechanismen zur (Selbst)Klassifikation als Falschnachricht oder Wahrnachricht (gleichsam zur Dekonstruktion oder Reproduktion) würde eine solche Behauptung überflüssig. Dass sie dies nicht ist, zeigt eindrucksvoll das Beispiel der deutschen Politikerin Renate Künast, die sich auf dem Rechtsweg gegen eine Falschnachricht zur Wehr setzen muss. Das folgende Zitat ist eine Nachricht über die Falschnachricht und damit eine Klassifikation der Falschheit des vermeintlichen Statements im medienkulturellen Nachgang:

»Seit dem vorigen Wochenende hatten […] mehrere Facebook-Seiten ein Foto der Politikerin samt einem vermeintlichen Zitat gepostet, wonach Künast über den Mord an der Studentin Maria und die Festnahme eines Verdächtigen in Freiburg gesagt habe: ›Der traumatisierte junge Flüchtling hat zwar getötet, man muss ihm aber jetzt trotzdem helfen.‹«32

Künasts vermeintliche Stellungnahme (›Der traumatisierte junge Flüchtling hat zwar getötet, man muss ihm aber jetzt trotzdem helfen.‹) klassifiziert sich nicht selber als falsch.

Diese prekären Beispiele illustrieren, dass zunächst einmal die mediale Aushandlung etwas wahrnehmbar macht. Wie und vor allen auch wozu dies dann wahrgenommen wird (zur Dekonstruktion oder Reproduktion etwa), wird in der Medienkultur ausgehandelt.

Mein Augenmerk liegt auf der Beobachtung von medialen Manifestationen in der Medienkultur, die sich signifikant von der Beobachtung von Manifestationen in einem Film, in einem Theater oder »in den Medien« unterscheidet. Ich halte es nämlich für irreführend, einerseits eine umfassende Untersuchungsebene zu suggerieren und andererseits diese durch Fokussierung auf bestimmte Medien zurückzunehmen, wie dies indes in der Forschung immer wieder durchaus geschieht. So fokussiert der Titel des Aufsatzes von Sigrid Graumann Die Rolle der Medien in der öffentlichen Debatte zur Biomedizin33 zwar auf ein weites Untersuchungsfeld, widmet sich dann aber ausschließlich Zeitungen und Zeitschriften, was nichtsdestoweniger als »Medienanalyse« (S. 212) deklariert wird. Ich übe keine Kritik an einer ausschließlichen Untersuchung der Berichterstattung in Presseerzeugnissen, schon gar nicht an ihren Untersuchungsergebnissen. Ich halte jedoch den zugrunde liegenden Medienbegriff mit seinem synekdochischen Gestus für pro­ble­ma­tisch. Die im Titel angekündigte »Rolle der Medien« (S. 212), die »Medienanalyse«, die »Medienwirklichkeit« (S. 214), die »mediale […] Pro­ble­ma­tisierung« (S. 227) ist synekdochisch verengt auf eben Massenmedien, die neben anderen Medien freilich auch Medien sind. Wenn der Autorin zufolge Pluralismus von Werten und Normen in den untersuchten Beiträgen zur Geltung kommt, dann ist nicht klar, wie dieser in der Medienkultur zu verorten ist:

»Der Pluralismus von Werten und Normen kommt in journalistischen Beiträgen dadurch zur Geltung, dass in der Regel Pro- und Kontra-Positionen, dem Anspruch einer ausgewogenen Darstellung von Problemen gemäß, gegenübergestellt werden« (S. 241) 34.

Roses und Schmied-Knittels Aufsatz35 wird vorgestellt, weil er den wichtigen Terminus »hybride Verschleifungen« (S. 97) konturiert, der direkt auf Bergmanns Arbeit bezogen werden kann. Letzterer arbeitet die Gleichzeitigkeit scheinbar konträrer Momente assistierter Reproduktion heraus. Die Thesen von Lotte Rose und Ina Schmied-Knittel sind in mehrerlei Hinsicht für meine Überlegungen wichtig. Die Autorinnen arbeiten das ambivalente Zusammenspiel und Auseinanderspiel von zwei geburtlichen Konzepten heraus, und zwar einerseits die noch nicht abgeschlossene Medikalisierung, Hospitalisierung und Technisierung des Geburtsgeschehens sowie andererseits eine De-Medikalisierung und Re-Naturalisierung seit den 70er Jahren (S. 75). »Re-Traditionalisierungen und Ent-Traditionalisierungen greifen auf eine paradoxe Weise ineinander« (S. 86). Entscheidungssituationen expandieren (S. 89–90), wobei daraus ein Verlust an traditionellen Sicherheiten resultiert. Rose und Schmied-Knittel zufolge stellt das Natürlichkeits- und Traditionsdispositiv eine Entlastung von Entscheidungszwängen für das Individuum dar (S. 90).

Sven Bergmanns Arbeit Ausweichrouten der Reproduktion. Biomedizinische Mobilität und die Praxis der Eizellspende kann im Kontext von »hybriden Verschleifungen«36 als bahnbrechend bezeichnet werden. In dieser jüngst erschienenen Monografie nimmt der Autor hochgradig facettenreich verschiedene (vor allem profan-trivial alltägliche37) Praktiken und Akteur_innen im topografischen Umfeld assistierter Reproduktion unter die Lupe. Im Hinblick auf die vorliegende Arbeit sind vor allem die herausgearbeiteten Naturalisierungsstrategien von Unkonventionellem, von Ausweichrouten (etwa beim Transfer einer fremden Keimzelle38) interessant (beispielsweise S. 50). In seiner Arbeit spürt Bergmann über den performativen Begriff der »Choreografie«39 antiessentialistisch und praxisorientiert transnationalen, mobilen Aushandlungsprozessen, ›Aufführungen‹40 nach, in denen De- und Renaturalisierungen zu beobachten sind. Entsprechend formuliert er:

»Mein Augenmerk liegt dabei auf den verwobenen Choreografien von Naturen, Kulturen, Kultivierung (nurture), Körpern, Geschlecht, Raum und Zeitlichkeit, Symboli­ken von Blut und Genen und dem Sozialen, die alle in diesem Feld versammelt sind und – manchmal in unerwarteter Weise – miteinander in Kontakt treten« (S. 230–231).

Diese Beobachtung allgemeinen Verwobenseins exemplifiziert er an verschiedensten Situationen im Umfeld von Reproduktionsmedizin. Er zeigt beispielsweise, dass im Kontext assistierter Reproduktion Strategien wie die klinische Inszenierung des Embryonentransfers als Beginn des ›Wunders der Schwangerschaft‹ oder die Betonung des leiblichen Erlebens von Schwangerschaft41 in den Reproduktionsprozess integriert werden (besonders S. 231–240, S. 264). Unkonventionelles wird also naturalisiert. Mit Blick auf Bergmanns oben zitierte allgemeine Aussage interessiere ich mich vor allem für die unerwartete, paradoxe (S. 272) oder widersprüchliche (S. 266) Verwobenheit (beispielsweise Rationalität und Mystik (S. 235)). In seiner Arbeit, die auch auf die Aktor-Netzwerk-Theorie rekurriert, erweist sich gerade die Fokussierung auf Gleichzeitigkeit (S. 229, S. 240, S. 266, S. 272), ein Wechselspiel (S. 266, zum Wechseln und Pendeln siehe S. 238), einen Zwischenraum (S. 228) sowie auf Doppelseitigkeit (S. 278) als äußerst fruchtbar. Bergmann macht deutlich, dass im Kontext der Reproduktionsmedizin simultan zweierlei unterschiedliche (insofern ist dies mindestens paradox und unerwartet) Phänomene, und zwar substanzielle und prozessuale, gekoppelt werden (S. 240). Bergmann präpariert in seinem Panorama gegenwärtiger Reproduktionschoreografien demnach die gleichzeitige Kopplung verschiedener Phänomene heraus. Daneben charakterisiert er die »Schwellensituation des Labors« als »Zwischenraum«:

»An allen bisher resümierten Dynamiken zeigt sich die Schwellensituation des Labors, in vielen Fällen auch als ein Zwischenraum, in dem sich die zukünftige Laufbahn von Keimzellen entscheidet. Die Praxis der Fürsorge für die Zellen operiert an einer flexiblen Schwelle von Naturen/Kulturen, an der De- und Renaturalisierungen gut choreografiert werden sollen« (S. 228).

Ich werde in Kapitel 4 auf die von Bergmann skizzierte ›Gleichzeitigkeit‹ von Natur/Kultur zurückgreifen. Auf der Grundlage eines erkenntnisleitenden Medienbegriffs und eines medienkulturwissenschaftlichen Ansatzes kann jedoch in einer metapraktischen Erweiterung dazu gezeigt werden, dass sich die ›hybriden Verschleifungen‹ aus Natur und Kultur/Technik ostentativ in unserer Medienkultur manifestieren.

Ich konzentriere mich demnach nicht wie von Wülfingen in ihrer Analyse ausschließlich auf Expertendiskurse42 (1995–2003), nicht wie Graumanns43 (1995–2001) und Diekämpers44 (1995 und 2010) Medienanalysen ausschließlich auf Zeitungen und Zeitschriften, nicht wie Kailer auf populäre Spielfilme45, sondern fokussiere gerade auch auf (bisher noch nicht in einer Untersuchung zusammengedachte) verschiedene und unorthodoxe medienkulturelle Aushandlungen.

2. Methodologie: Medienkulturwissenschaft und diskursanalytische Werkzeuge

Die in der Einleitung (Kapitel 0) beispielorientiert profilierte mediensyntagmatische Herangehensweise wird in der vorliegenden Arbeit durch diskursanalytische Werkzeuge ergänzt. Foucault selbst charakterisiert seine Bücher als »Werkzeugkisten«, aus denen man Sätze, Ideen oder Analysen herausgreifen kann:

»Alle meine Bücher, sei es ›Wahnsinn und Gesellschaft‹ oder dieses da [Überwachen und Strafen, M.P.], sind, wenn Sie so wollen, kleine Werkzeugkisten. Wenn die Leute sie aufmachen wollen und diesen oder jenen Satz, diese oder jene Idee oder Analyse als Schraubenzieher verwenden, um die Machtsysteme kurzzuschließen, zu demontieren oder zu sprengen, einschließlich vielleicht derjenigen Machtsysteme, aus denen diese meine Bücher hervorgegangen sind – nun gut, umso besser.«1

In den Formulierungen »diese oder jene Idee« und »Analyse als Schraubenzieher« drückt sich die Vorstellung eines undogmatischen Umgangs mit diskursanalytischem Theoriedesign aus. In Anlehnung an diese Beschreibung von Foucault geht es in der vorliegenden Arbeit gerade auch um die Verwendung diskursanalytischer Sätze, Ideen und Analysen als Werkzeuge, also als ergänzende Hilfsmittel. Die Arbeit versteht sich unzweifelhaft als eine medienkulturwissenschaftliche, die erstens von einem weiten und erkenntnisleitenden Medienbegriff ausgeht, zweitens die Synchronizität von disparaten und unorthodoxen Medien und (familialer) Lebenspraxis betont und drittens nicht auf Aushandlungen in den Medien, sondern auf medienkulturelle Manifestationen fokussiert. Es geht darum herauszufinden, was medienkulturell manifest und daher zeigbar2 ist.

Die entscheidenden Interpenetrationsmomente von Diskursanalyse und Medienkulturwissenschaft liegen in ihrem Verständnis der Objektebene und ihren zentralen Annahmen begründet. Zu Letzteren gehören die uneinholbare Historizität und machtförmige Aushandelbarkeit von Ordnungsmustern und der kräftezentrierte Effektcharakter von Positionen. Die historischen, machtförmigen und kräfteorientierten Prozesse lassen sich besonders gut in der Kopplung von Diskursanalyse und Medienkulturwissenschaft begreifen, weil Medien, und zwar disparate, an diesen Prozessen signifikant partizipieren. Bezüglich der Objektebene kann festgehalten werden, dass es sowohl Diskursanalyse als auch Medienkulturwissenschaft um die »Entfaltung einer Streuung«3 mit dem Ziel geht, »eine Dezentralisierung vorzunehmen, die keinem Zentrum ein Privileg zugesteht«4.

Die mediensyntagmatische Herangehensweise ist ein Mittel par excellence zur Dezentralisierung. Diskursanalyse und Medienkulturwissenschaft begreifen Fa­mi­lia­li­tät als Familienpolitik und dispersiv.

Die Fokussierung auf Dispersionen bedeutet, dass der Gegenstand Fa­mi­lia­li­tät – eingebettet in medienkulturelle und diskursive Zusammenhänge – facettenreich als Oberflächenphänomen analytisch beobachtet wird, ohne eine Tiefendimension oder ontologische Dinglichkeit vorauszusetzen. Giesen hat bereits präfigurierende Media­lität mit Foucaults Dispositivbegriff in Verbindung gebracht5. Foucaults Verständnis des Dispositivs, wonach dieses als ›Netz‹ aus verschiedenen ›Elementen‹ (beispielsweise architektonischen Einrichtungen, reglementierenden Entscheidungen oder administrativen Maßnahmen6) konfiguriert wird, kann mit dem Begriffspaar ›Media­lität‹ und ›Medium‹ korreliert werden. Die Einzelbegriffe jeder Paarung (Netz-Element; Media­lität-Medium) sind laut Giesen wechselseitig und autokonstitutiv aufeinander bezogen7. Weiterhin kann die Heterogenität der Elemente des Dispositivs mit jener medialen Disparatheit – Giesen nennt seinen weiten Medienbegriff einen panmedialen – verbunden werden8. Die Entsprechung zwischen Media­lität und jenem netzartigen Dispositiv gilt auch für Media­lität und Diskursivität. Jene medial-diskursiven familialen Observanzen von Gewicht treten »an die Stelle des rätselhaften Schatzes der ›Dinge‹ von vor dem Diskurs«9. Letztlich werden »diese Gegenstände ohne Beziehung zum Grund der Dinge definier[t], indem man sie aber auf die Gesamtheit der Regeln bezieht [Hervorhebung M.P.], die es erlauben, sie als Gegenstände eines Diskurses zu bilden«10. Der Rückgriff auf Diskurs und Medienkultur suggeriert die autokonstitutive medial-diskursive Bezüglichkeit der Observanzen von Gewicht. Im Zusammenhang mit der autokonstitutiven Bezüglichkeit der Observanzen von Gewicht kann eine weitere produktive Passung zwischen Diskursanalyse und Medienkulturwissenschaft verdeutlicht werden. Medial-diskursive Observanzen von Gewicht sind signifikant existent, und zwar ohne einen (essentialistischen) »Grund der Dinge« anzunehmen. Ich verfolge hier keineswegs eine Medien-Vergötzung. Krämer ist zuzustimmen, wenn sie im Zusammenhang mit Performativität, Media­lität und Zeigen ein bedeutungsvolles Dahinterliegen ablehnt:

»Doch wenn alles, worauf es ankommt, sich zeigt, so heißt das auch: Was ›von Bedeutung ist‹, liegt nicht hinter der Erscheinung, ist keine unsichtbare Tiefenstruktur, welche jenseits der Oberfläche des Wahrnehmbaren [Hervorhebung M.P.] durch Verfahren der Interpretation zu erschließen wäre.«11

Das Augenmerk liegt also nicht auf einer zu erschließenden medialen Tiefendimension, sondern auf jener wahrnehmbar existenten Erscheinung an der Oberfläche. Was hier im Kontext von Media­lität spezifiziert wird, kann unmittelbar und produktiv auf Diskursivität bezogen werden. Foucault qualifiziert den diskursiven Gegenstand seiner Analyse nicht als ein Tiefenphänomen, das zu befreien wäre: »der Gegenstand wartet nicht in der Vorhölle auf die Ordnung, die ihn befreien und ihm gestatten wird, in einer sichtbaren und beredten Objektivität Gestalt anzunehmen; er ist sich selbst nicht präexistent«12. Gegenständlichkeit existiert nicht aus sich selbst heraus und bedingungslos. Die Verneinung selbstbedingender Existenz des diskursiven Gegenstandes bedeutet aber nicht, dass Letzterer nicht existiert. Gegenteiliges kann gerade angenommen werden: »Er existiert [Hervorhebung M.P.] unter den positiven Bedingungen eines komplexen Bündels von Beziehungen.«13 In Verbindung mit relationalen Bezüglichkeiten ist der Gegenstand existent, und zwar an der Oberfläche.

Zusammenfassend hinsichtlich einer Methodologie der Medienkulturwissenschaft, die diskursanalytische Werkzeuge integriert, kann demnach (im Rückgriff auf Krämer und Foucault) gesagt werden: Worauf es ankommt, zeigt sich, aber nicht als ontologische Innerlichkeit; das medial Bedeutsame zeigt sich wie das diskursiv Bedeutsame, bei dem es nicht um »innere Konstitution« geht, sondern um »das, was ihm gestattet, in Erscheinung zu treten«14.

Martin Zierold verweist im Kontext von Erinnerung und einer Arbeit, die dezidiert medienkulturwissenschaftlich perspektiviert ist, auf eine Doppelrolle der Medien:

»Sie [Medienangebote, M.P.] können selbst Resultate von Erinnerungsprozessen sein und formulieren oftmals, was gesellschaftlich als relevante Voraussetzungszusammenhänge angesehen werden soll [Hervorhebungen M.P.].«15

Die Doppelrolle von Medien besteht darin, dass sie eine Wirkung von Erinnerungen sind und selber gesellschaftliche Konstitutiva bewirken. Diese mediale Doppelrolle kann auf Diskurselemente bezogen werden. Das Diskurselement mütterliche Schuldgefühle etwa ist ein Resultat von Sedimenten in unserer Gesellschaft und gleichzeitig ein Voraussetzungszusammenhang für gesellschaftliche Prozesse.

Noch einmal zugespitzt: In der vorliegenden Arbeit wird ein Zugang gewählt, der sich an eine an Foucault und Butler orientierte Diskursanalyse anlehnt und in actu zwangsläufig spezifisch konkretisiert und formt. Die Zugriffsart bestimmt sich dann durch »reflektierte[…] Unfügsamkeit«16. Angenommen wird die von Foucault ausgesprochene »Einladung«17 besonders im Hinblick auf das Analysemittel Kritik. Der kritische Gestus ist als eine ethische Zugriffsart zu verstehen, die zweiflerischen Vorbehalt geradezu forciert und katalysiert, um Überschreitungen zu begünstigen:

»Die kritische Ontologie unserer selbst darf beileibe nicht als eine Theorie, eine Doktrin betrachtet werden, auch nicht als ständiger, akkumulierender [sic!] Korpus von Wissen; sie muß als eine Haltung vorgestellt werden, ein Ethos, ein philosophisches Leben, in dem die Kritik dessen, was wir sind, zugleich die historische Analyse der uns gegebenen Grenzen ist und ein Experiment der Möglichkeit ihrer Überschreitung.«18

Hier wird besonders die angesprochene Möglichkeit der Überschreitung von (familialen) Grenzen angestrebt. Durchgängig werden vielfältige Grenzen verschoben, was insofern wichtig ist, als »es für die meisten Eltern relativ enge Grenzen des Verhaltens gibt, innerhalb derer die optimale Versorgung des Kindes gewährleistet ist.«19 Die vorliegende Arbeit lässt sich daher keiner einzelnen universitären Disziplin zuordnen. Ich verzichte auch auf eine Aufzählung von Disziplinen, an denen die Arbeit partizipiert, nicht zuletzt, um entgrenzend zu wirken20. Ich vertrete eine poststrukturalistische21 Haltung sensu Butler und Foucault, um selbstverständliche Grenzen zu verschieben. Selbstverständlichkeiten basieren im Anschluss an Butler (und Foucault) auf einer Verleugnung ihrer Historizität. Es wird ein Preis gezahlt, um eindeutige Grenzen aufrechtzuerhalten. In einer Auseinandersetzung mit den Annahmen Foucaults schreibt Butler über den zu zahlenden Tribut:

»Damit scheint gesagt zu sein, dass die Formen der Rationalität, durch die wir uns verständlich machen, durch die wir uns selbst erkennen und uns anderen öffnen, historisch geprägt und nicht ohne einen Preis eingesetzt sind. Wenn sie natürlich, selbstverständlich werden, wenn sie Gründungsfunktion übernehmen und anscheinend unverzichtbar werden, dann stellen sie nicht nur die Bedingungen dar, unter denen wir leben und zu leben haben, dann hängt unser Leben selbst von der Verleugnung ihrer Geschichtlichkeit, von der Verleugnung des Preises ab, den wir für sie zahlen.«22

Wenn nun Grenzen, Bewertungen, Ontologien historisch gewachsen sind, dann sind sie veränderbar. Nun kann angenommen werden, dass Medien in der Medienkultur nicht nur durchspielen, was diskursiv sagbar ist, sondern geradezu zeigen, was diskursiv möglich/unmöglich ist23.

Als positive Grenzverwischung dienen beispielsweise die topografisch-bezeichnungspraktischen Verschiebungen der Komödie Almanya. Willkommen in Deutschland24 (Deutschland 2011, Regie: Yasemin Samdereli, Roxy Film Produktion in Koproduktion mit Infafilm, Concorde Home Entertainment; DVD). Der kleine Cenk, dessen Großvater in der Nachkriegszeit als Gastarbeiter nach Deutschland kam, wird von seiner Lehrerin, die Fähnchen auf einer Landkarte platziert, die die ursprünglichen Familienherkunftsorte markieren, gefragt, wohin »Cenks Fähnchen« gesetzt werden solle (A 00:04:44). Nachdem Cenks erste kindliche Antwort (»Deutschland« (A 00:04:48)) von der Lehrerin indirekt verneint wird (»Ja, ja, das stimmt schon. Aber wie heißt das schöne Land, wo dein Vater herkommt?« (A 00:04:49)), sagt er: »Anatolien« (A 00:04:54). Die Karte endet allerdings vor Anatolien. Cenks Fähnchen wird auf einem abgegrenzten, verworfenen, unbestimmt-leeren, nicht-intelligiblen Außen platziert (Abb. 1). Sein Herkunftsort wird als solcher unsichtbar und verleugnet. Der Preis für eine klare Grenzziehung, topografische Identität ist die Verleugnung der gemachten Grenzziehung und der Ausschluss des Anderen. Ein Klassenkamerad Cenks gibt – wie im Laufe des Films aufgedeckt wird – fälschlicherweise Istanbul (europäischer Teil) anstelle von Anatolien an und verhindert somit eine Exklusion, und in Folge dessen eine normative Diffamierung oder Verleugnung. Er erhält so einen sichtbaren »Körper von Gewicht« (Butler).


Abb. 1 (A 00:05:12) Platzierung von Cenks Fähnchen zur Kennzeichnung des Herkunftsortes im undefinierten Außenbereich im Unterschied zum definierten Innenbereich

Im Abspann des Films bittet nun Cenk seine Lehrerin, die Landkarte durch eine Karte, die Anatolien umfasst, zu ergänzen (Abb. 2). Nach dieser Ergänzung der historisch gemachten Grenzen befindet sich Cenks Fähnchen im inneren Bereich und nicht mehr im äußeren, abgegrenzten weißen »Nichts«, und auch Engin, der zunächst seine Heimat fälschlich angegeben hat, um einen Platz zu bekommen, kann seinen wahren Herkunftsort preisgeben, ohne der Schmach des Nicht-Teilnehmenden ausgesetzt zu sein.


Abb. 2 (A 01:33:31) Grenzverschiebung durch Erweiterung des definierten Innenraumes und sukzessive Sichtbarmachung und Inklusion der ehedem undefinierten Herkunftsorte

Identitäten – im konkreten Fall der vorliegenden Arbeit: familiale Identitäten, und damit Familienpolitiken – sind also grundsätzlich verschiebbar.

In Vertiefung zum diskursanalytischen Theoriedesign sensu Foucault richtet sich die medienkulturwissenschaftliche Perspektive auf medienkulturelle Zeigbarkeiten und nicht (nur) auf die Erfassung von diskursiven Aussagen respektive Sagbarkeiten, wie sie Diskursanalyse ausmacht. In diesem Sinne konstatiert Kammler: »Das Geschäft der Archäologie ist es, […] einzelne Aussagegruppierungen (›diskursive Formationen‹) zu beschreiben, die den Bereich des Sagbaren in konkreten Feldern des Wissens begrenzen [Hervorhebungen M.P.].«25 Eine medienkulturwissenschaftliche Vertiefung diskursanalytischen Theoriedesigns findet insbesondere dort statt, wo ganz explizit die Eigenschaften von Medien in Anlehnung an jüngere Medientheorien (Mann, Zierold, Krämer) angewendet werden.

Nun mag zugegebenermaßen die Annahme, Diskursanalyse sei ausschließlich beschreibend, etwas zu kurz greifen. Weiterhin lässt sich kritisch ins Feld führen, dass Foucault zwar nicht expressiv verbis einen vollends theoretisch ausgearbeiteten Medienbegriff konturiert, aber doch in hohem Maße mit Medien arbeitet. Jahraus hält fest: »Man kann das gesamte Foucaultsche Projekt einer Diskursanalyse als Proto-Medientheorie lesen«26.