Kitabı oku: «Einmal Steinzeit und zurück ...», sayfa 2

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5

Vanessa saß auf ihrem Lieblingshandtuch, das mit einem Sonnenuntergangsmotiv bedruckt war, und ließ den Blick in die Ferne schweifen. Sie versuchte, an nichts zu denken. Eine Illusion! Ihr Leben war aus dem Ruder gelaufen und in ihrem Kopf tobte ein Orkan.

Sie hätte es merken müssen. Toni hatte nie begehrend ihren Körper betrachtet oder sie zärtlich berührt. Hatte sie höchstens mal flüchtig auf die Wange geküsst.

Zwar verspürte sie nicht mehr das Bedürfnis, sich zu ertränken, was ihr sowieso nicht gelungen wäre, aber sie wollte sich auspowern. Sie erhob sich. Setzte sich zum Schutz gegen das Salzwasser eine Schwimmbrille auf. Machte Trockenübungen, trabte Richtung Meer und stürzte sich in die Fluten. Das Wasser war eisig. Vanessa schwamm zunächst gemächlich. Die Haut auf den Schenkeln prickelte. Oberarme und Ellbogen fühlten sich bereits nach kurzer Zeit taub an. Daher erhöhte sie das Tempo. Bald kraulte sie, als ob sie einen Wettbewerb gewinnen wollte. Der Restalkohol war längst abgebaut.

Nach einer guten Weile verließ sie das Meer wieder und sank zurück auf das Handtuch. Das Salzwasser lag in dicken Tropfen auf dem Körper und das Haar klebte an den Schultern. Das Glücksgefühl, das sie kurzzeitig verspürt hatte, kehrte sich schnell in eine innere Leere um. So hatte sie sich zuletzt am Tag der Auswanderung ihrer Eltern nach Australien vor drei Jahren gefühlt, dem bisher emotionalsten Moment ihres Lebens.

„Ihr könnt mich nicht alleine lassen“, hatte sie mit Tränen in den Augen gesagt, als sie von den Plänen erfahren hatte.

„Komm doch mit, Nessa!“, schlug die Mutter vor. „Wenigstens für ein paar Monate!“

So einfach verhielt es sich aber nicht. Vanessa hatte einen Beruf, eine Wohnung, Freunde und lebte gerne im Rheinland. „Vielleicht später!“, hatte sie geantwortet.

Später war sie Toni begegnet und alles hatte sich richtig angefühlt. Der anspruchsvolle Job, die Maisonette und das prominente Umfeld.

Aber nun musste sie quasi bei null anfangen.

„Ich schaffe das!“ Vanessa ballte die Faust.

Sie erhob sich, hüpfte auf und nieder und beschloss, einen Spaziergang zu machen. Die Bucht maß von einem Ende zum anderen vermutlich wenige Hundert Meter. Durch die eintretende Ebbe dehnte sich der Strand allerdings weiter aus.

Ein Pärchen lag eng umschlungen an einem großen Felsen, der aus dem Sand ragte. Eine portugiesische Familie packte laut diskutierend die Picknickutensilien zusammen. Holländisch sprechende Kinder spielten Fußball. Die Flut hatte unzählige Muscheln angeschwemmt. Vielleicht war ein schönes Exemplar für Evelyn dabei. Sie sammelte ausgefallene Muscheln. Vanessa lief noch einige Zeit hin und her, dann zückte sie ihr Smartphone. Keine neue Nachricht. Evelyn war bestimmt im Stress. Und Toni? Ob er schon zu Hause war? Er hatte sicher keine Kosten und Mühen gescheut, von hier wegzukommen. Ach, was kümmerte es sie? Sie würde den Kontakt zu ihm auf Sparflamme halten. In das gemeinsame Zuhause würde sie nur zurückkehren, um ihre Sachen zu holen. Aber wo wollte sie in Zukunft wohnen? Sie ging eine Reihe von Freunden, Bekannten und entfernten Verwandten durch, aber es war niemand dabei, der ihr spontan Unterschlupf gewähren konnte. In der Großstadt würde es schwierig werden, sofort ein Zimmer oder Appartement zu finden. Aber Evelyn wusste sicher Rat.

„Wenn du Hilfe brauchst, ich bin immer für dich da“, hatte Toni mehr als einmal gesagt.

Seine Hilfe brauchte sie am allerwenigsten. Sie würde es alleine schaffen. Musste jetzt einen Schritt nach dem anderen gehen.

Vanessa erblickte ein Paar, das einem Kleinkind warme Sachen anzog. Ob der Meisterkoch ein guter Vater gewesen wäre? Hätte er sich die Zeit genommen, mit dem Nachwuchs am Strand zu tollen oder auf einen Spielplatz zu gehen? Tonis Leben bestand überwiegend aus dem Zubereiten von Gerichten. Das konnte er allerdings hervorragend.

Schluss mit Toni-Gedanken! Fasziniert ließ sie den Blick durch die Bucht schweifen. Jeder Fels schien handgeformt an den für ihn vorgesehenen Platz gesetzt worden zu sein. Auf einem Gesteinsbrocken, der an eine gigantische Haifischflosse erinnerte, ließen Kormorane das Gefieder trocknen. Links auf einem Plateau hockte ein Angler. Er hatte einen ungepflegten Bart und das helle, filzige Haar, das im Kontrast zur dunklen Haut stand, reichte weit über die Schultern. Er erinnerte Vanessa an einen Steinzeitmenschen. Wenn sie sich ihr Essen selbst angeln müsste, würde es auf eine Nulldiät hinauslaufen.

Sie würde sich direkt nach ihrer Rückkehr um einen neuen Job kümmern, sonst konnte sie sich demnächst neben den Mann setzen und darauf warten, dass er ihr etwas abgab. Aber so weit war es ja noch nicht. Toni hatte sie gebeten, weiterhin als seine persönliche Assistentin tätig zu sein. Das kam für sie jedoch nicht infrage. Sie wollte die Zusammenarbeit sofort beenden. Schon wieder kreisten ihre Gedanken nur um Toni. Sie musste sich ablenken.

Sie drehte erneut eine Linkskurve, denn sie hatte die Mauer erreicht, die die Bucht vom angrenzenden Strand trennte. Rechts lag nun die gewaltige Felswand mit einer riesigen Höhle, die an eine Bühne erinnerte. Mittendrin saß eine Katze und starrte ins Leere. Weiter hinten erkannte Vanessa Gegenstände. Bestimmt lagerten Fischer hier ihre Utensilien.

Sie erinnerte sich daran, was sie am Vorabend irritiert hatte: ein Lichtschein. Nun sah sie den Schlafsack. In der Grotte wohnte jemand. War das nicht zu kalt nachts? Vanessa hatte trotz warmer Jacke gefroren, was wahrscheinlich auch der verfahrenen Situation geschuldet war. Plötzlich fiel es Vanessa wie Schuppen von den Augen. Der Angler mit der wilden Haarpracht lebte in dieser Höhle. Seiner Hautfarbe nach zu urteilen wahrscheinlich schon seit Monaten. Aus welchem Grund? Liebeskummer? Oder handelte es sich um einen Straftäter? Vielleicht hatte er einfach die Nase voll von der Überflussgesellschaft.

„Irgendwie verstehe ich ihn sogar. Gibt es einen schöneren Platz zum Leben?“, dachte Vanessa. „Wir könnten ja eine Selbsthilfegruppe gründen. Er hört sich meine Probleme an und ich kümmere mich um seine Themen.“ Sie schmunzelte beim Gedanken, wie sie beim Grillen über Gott und die Welt reden würden.

Die Sonnenstrahlen erreichten den Strand kaum noch und mit der schwindenden Wärme verzogen sich die Badegäste.

Nachdem Vanessa unzählige Male am Wasser hin- und hergelaufen war, sank sie zurück auf das Badetuch. Sie verspürte keine Lust auf das Hotelzimmer.

Vor ihr ragte eine riesige Felsformation aus dem Meer. Das Profil erinnerte sie an ein Frauengesicht. Obenauf ein Haarbüschel, darunter die Augenhöhlen, ein spitzes Näschen und die Mundpartie mit leicht geöffneten Lippen. Man musste der Fantasie nur freien Lauf lassen.

Allmählich wurde Vanessa ruhiger. Sie legte sich hin. Die Gedanken hörten auf zu kreisen und das Wellenplätschern sang sie in den Schlaf. Plötzlich spürte sie etwas Feuchtes am Hals. Sie zuckte zusammen und riss die Augen auf.

*

6

Leon konnte seinen Blick kaum von der Frau wenden. Das braune Haar umspielte ihr Gesicht. Rücken und Hals bildeten eine gerade Linie. Auch wenn er am Vorabend nur ihre Silhouette gesehen hatte, war er sich sicher, es war dieselbe, die mit ihrem Partner gestritten hatte. Offenbar erfreute sie sich bester Gesundheit.

Sie war auf einmal am Strand erschienen. Mit großen Schritten zielstrebig auf den Platz am Wasser zugelaufen. Hatte ihr Handtuch ausgebreitet und sich geschmeidig darauf niedergelassen. Dann war sie grazil und ausdauernd durch den Atlantik geschwommen. Später hatte sie eine Runde nach der anderen über den Strand gedreht. Seit einiger Zeit saß sie nun wieder am Meer, den Blick in die Ferne gerichtet. Sie wirkte entspannt. Aber wie sah es in ihrem Inneren aus?

Sie anzusprechen, kam für Leon nicht infrage. Auch ohne Spiegel konnte er sich vorstellen, wie sich sein Äußeres in den letzten Wochen verändert hatte. Das Haar war verfilzt und er trug einen ungepflegten Vollbart. Die Kleidung wusch er im Atlantik. Trotzdem hätte man auf die Idee kommen können, er wäre in die Obdachlosigkeit abgerutscht.

Die Frau lag nun auf dem Rücken. Vermutlich schlief sie.

Leon verspürte großen Durst. Es war immer noch sehr warm. Er musste unbedingt in die Höhle zu seinem Wasserkanister. Der Weg führte allerdings an der Urlauberin vorbei. Er würde sich lautlos fortbewegen, um sie nicht zu erschrecken.

Sparky hob den Kopf. Begriff, dass Leon den Angelplatz verlassen wollte. Für ihn ein Anlass, ein wenig durch den Sand zu tollen. Er sprang federleicht vom Felsen auf den Strand, erblickte die Schlafende und flitzte auf sie zu. Ach du liebe Güte! Leon wollte Sparky zurückpfeifen, aber es war zu spät. Der Hund hatte die Frau erreicht, betrachtete sie, beugte sich hinunter und leckte ihr über den Hals.

Sie schlug mit der Hand um sich. Schnellte in die Höhe. „Hey! Was soll das?“ Sparky winselte und machte Männchen.

Leon wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte.

Plötzlich entspannten sich die Gesichtszüge der Frau. Sie lächelte. „Du bist aber niedlich!“, sagte sie mit samtweicher Stimme und streichelte Sparkys Rücken. „Wie heißt du denn?“ Sie meinte offenbar den Hund, schaute jedoch Leon an, der ein paar Schritte auf sie zugemacht hatte. Ihre Augen leuchteten.

Sein Herz raste. Sollte er sich für Sparkys Verhalten entschuldigen? Seine Kehle fühlte sich wie zugeschnürt an. Er wandte den Blick ab und lief los. Außer Atem erreichte er die Felswand. Die Anspannung fiel erst von ihm ab, als er wieder im Unterschlupft hockte.

Es dauerte noch eine Weile, dann tauchte auch Sparky in der Höhle auf. Er legte den Kopf schief. Hatte wahrscheinlich nicht einmal ein schlechtes Gewissen.

*

7

Vanessa döste zusammengerollt auf dem Bett. Als das Handy vibrierte, schreckte sie hoch.

Bin zu Hause. Lass uns skypen!

23 Uhr 45.

Hellwach klappte sie den Laptop auf. Nach wenigen Klicks sah sie eine große Retrobrille und dahinter dunkle Augen. Dieses Gestell kannte Vanessa noch gar nicht. Evelyn strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und klimperte mit den langen Wimpern. „Nessa, was ist passiert?“

Vanessa fasste die Ereignisse der vergangenen Nacht zusammen. „Und dann ist er abgereist“, sagte sie abschließend.

„Das ist jetzt nicht wahr, oder? Der große Meister ist schwul?“ Evelyn hielt sich die Hand vor den Mund. „Wie konnte er dich so veräppeln? Ihr wohnt doch schon über ein Jahr zusammen. Hast du denn nichts gemerkt?“

„Toni war ja ständig unterwegs.“

„Okay, trotzdem hätte er dir von Anfang an reinen Wein einschenken müssen. Toni Schwing-den-Löffel ist schon 34. Und dann macht er das Coming-out ausgerechnet an seinem Geburtstag. Als wäre es ihm da erst aufgefallen, wie alt er schon ist. Unglaublich.“

„Für ihn als Promi war es nicht einfach, sich zu outen. Das kannst du dir doch bestimmt denken. Außerdem stammt er aus einer konservativen Familie. Für seine Eltern wäre es ein Unding gewesen, einen schwulen Sohn zu haben.“

„Die sind doch schon lange tot! Und wir leben im 21. Jahrhundert.“

„Vielleicht hat er sich etwas vorgemacht. Jedenfalls hat er stets gesagt, er wünscht sich Kinder.“ Vanessa seufzte bei dem Gedanken, dass ihr Wunsch vom baldigen Nachwuchs wie eine Seifenblase geplatzt war.

„Meine arme Nessa! Wie fühlst du dich?“ Evelyn klimperte wieder mit den Wimpern. „Du hast kostbare Zeit verplempert.“

„Ach, ich bereue die Monate mit Toni keinesfalls!“

„Klar, ein Leben in Enthaltsamkeit hat was. Ich lach mich schlapp!“

„Kommt es denn wirklich nur auf das eine an?“, fragte Vanessa.

„Für mich schon!“

Einen Moment herrschte Schweigen. Dann prusteten sie los.

„Und jetzt hat es zwischen ihm und diesem, wie hieß er gleich?“

„Manuel.“

„Also, es hat zwischen ihnen gefunkt und du schaust in die Röhre.“

„Toni hat gesagt, es sei noch nicht einmal etwas gelaufen. Er wollte erst reinen Tisch mit mir machen.“

„Hahaha! Das glaubst du doch selbst nicht!“

Vanessa wusste nicht mehr, was sie glauben sollte oder was nicht. Der Traum von einer Ehe mit Toni war ausgeträumt. „Linn, das bleibt bitte unter uns. Toni muss den ersten Schritt gehen und an die Öffentlichkeit treten.“

Evelyn hatte einen guten Draht zu den Medien. Für sie wäre es sicher ein gefundenes Fressen, wenn sie als Erste verkünden könnte, dass der Maître schwul sei.

„Versprochen!“, rief sie und hob die Hand zum Schwur. „Aber warum bist du nicht mit zurückgeflogen? Dann könnten wir jetzt auf dein Singledasein anstoßen und einen Zug durch die Gemeinde machen. Oder was hältst du davon …“ Evelyn zögerte. „… dass ich nach Lagos komme?“

Ein verlockender Vorschlag. Vanessa erinnerte sich mit Schmunzeln an ihr gemeinsames Paris-Wochenende vor einigen Jahren. Evelyn sprach gut Französisch, war aber oft mit dem Redefluss der Muttersprachler überfordert gewesen. Ein älterer Herr hatte sich unsterblich in sie verliebt. Sie hatte einmal zu oft Oui gesagt und war ihn nur mit Mühe wieder losgeworden. Lagos im März war allerdings nicht mit der Metropole an der Seine zu vergleichen.

„Linn, das ist echt lieb von dir, aber lass gut sein. Ich muss nachdenken.“ Ihre Stimme bebte und sie kämpfte mit den Tränen. „Wie kann er mir das antun?“

„Och, Nessa, setz dich ins Taxi, lass dich zum Flughafen bringen und komm zurück!“

Vanessa schluckte. „Kommt nicht infrage. Ich werde die Woche genießen und keine Gedanken mehr an Toni verschwenden! Wann hatte ich die letzten Jahre Gelegenheit, richtig auszuspannen?“ Sie strich ihr Haar hinters Ohr. „Eigentlich bin ich froh, dass er weg ist. Wie er sich hier aufgeführt hat! Stundenlang stand er am Büfett und hat die Speisen unter die Lupe genommen. Ich glaube, er hätte am liebsten alles abgeschmeckt. Das Personal ist sicher erleichtert, dass er weg ist.“

Evelyn gluckste.

„Weißt du, Linn, du kannst privat abschalten. Mit dir kann man auch mal beim Griechen um die Ecke essen gehen, ohne dass du dir Notizen machst. Toni hingegen spricht nur über die Arbeit.“

„Er ist nun mal ein Workaholic!“

„Ich will die nächsten Tage nichts vom Restaurant wissen. Werde oft an den Strand gehen, mich in die Sonne legen. Im Meer war ich auch schon. Ist zwar kühl, aber ich liebe das. Toni war gestern Abend zum ersten Mal am Strand, ist das nicht unglaublich? Dabei liegt unterhalb des Hotels eine malerische Bucht. Und die Stadt hat viele Sehenswürdigkeiten. Ich habe einen Reiseführer dabei. Den werde ich jetzt studieren.“

„Du machst mich neidisch! Ich könnte für zwei oder drei Tage runterkommen. Dann machen wir die Klubs unsicher. Warte, ich schaue mal nach, wann es passen könnte.“

„Linn, das ist nett von dir. Aber das Nachtleben in Lagos hält vermutlich noch Winterschlaf. Die Saison beginnt erst Ostern.“

„Ich will dir nicht zu nahe treten, doch ich wüsste zu gerne, ob ihr wirklich nie …?“

„Natürlich nicht!“, sagte Vanessa. „Ach, ich …“

„Nessa, das Leben geht weiter. Und eins steht fest: Ich bin immer für dich da.“

Die Worte umspülten sie wie eine warme Woge. Seit ihrer gemeinsamen Ausbildung in einem Kölner Hotelrestaurant vor knapp acht Jahren war sie mit Evelyn befreundet. Die hatte die Stelle nach der Abschlussprüfung für ein Studium aufgegeben, Vanessa hingegen hatte noch weiter in dem exklusiven Haus gearbeitet und auf der Abendschule den Fachwirt gemacht.

Nach ihrem Umzug in die Nachbarstadt trafen sie sich, wenn es die Zeit einmal zuließ, zu Kneipen- und Kinobesuchen.

Evelyn holte sie mit ihrer durchdringenden Stimme zurück in die Gegenwart. „Nessa, alles in Ordnung?“

„Natürlich.“

„Ich dachte gerade, die Leitung wäre unterbrochen. Also, sobald du wieder in Deutschland bist, ziehst du zu mir!“

Warum war sie nicht selbst darauf gekommen, Evelyn um Asyl zu bitten?

„Linn, ich weiß nicht.“

„Denk darüber nach. Meine Einliegerwohnung ist im Moment frei.“

Vanessa schmunzelte. Sie konnte sich nicht erinnern, dass Evelyn je einen Untermieter gehabt hätte. Sie war eine Nachteule, hörte Musik in unerträglicher Lautstärke, bekam oft Gäste. Vielleicht hatte sie sich ja geändert. Vanessa würde es bald herausfinden.

„Nessa, ich wünsche dir noch ein paar nette Tage. Vor allen Dingen“, Evelyn zog die Stirn kraus, „musst du dich mal locker machen. In dem Hotel gibt es doch bestimmt Alleinreisende.“

„Linn, pfui. So bin ich nicht. Und bei den wenigen Gästen, die hier zurzeit Urlaub machen, handelt es sich ausschließlich um Paare oder Familien.“

„Na, umso besser, dann hast du ja das Personal für dich.“

„Das ist ja das Unangenehme. Aber wenn ich so nachdenke … Einer aus dem Service ist wirklich schnuckelig!“ Vanessa erinnerte sich an das Abendessen. Ein Kellner hatte sie bevorzugt bedient. Er trug das dunkle Haar ziemlich kurz. Sein Gesicht zierte ein ausrasiertes Kinnbärtchen. Grübchen hatten sich in seinen Wangen abgezeichnet, als er sie angelächelt hatte. Sie hatte versucht, den Augenkontakt zu vermeiden.

Vanessa hätte sich ohrfeigen können, dass sie über den Mann gesprochen hatte, denn Evelyn grinste breit.

„Und sonst kann ich nur noch mit einem Aussteiger in einer Höhle aufwarten!“

„Einem was?“

Sie fasste ihre Beobachtungen zusammen und erzählte, wie der Hund ihr über den Hals geleckt hatte.

Evelyn kreischte vor Vergnügen. „Echt jetzt? Da hätte ich gerne Mäuschen gespielt. Und der Typ lebt tatsächlich in einer Höhle? Ist das so eine Art Robinson?“

„Robinson Crusoe war gestern. Da unten in der Bucht ist Steinzeit angesagt. Der Mann ist nicht auf einer einsamen Insel gestrandet. Der hat sich das anscheinend so ausgesucht. Was mich irritiert: Er hat lange Haare und einen Zottelbart, trägt aber Jeans und T-Shirt. Die Behausung ist aufgeräumt und er hat eine hochwertige Angel.“

„Vielleicht nimmt er sich eine Auszeit“, sagte Evelyn.

„Ich dachte erst, das wäre so ein Showprogramm für Touristen. Doch inzwischen glaube ich das nicht mehr.“

Evelyn lachte. Dann wurde sie wieder ernst. „So ungewöhnlich ist das gar nicht. Weißt du, auf Kreta habe ich vor Jahren Ähnliches gesehen. Da gab es eine Felswand mit zahlreichen Höhlen, die an Bienenwaben erinnerten. In fast jeder lebte ein Mensch. In Matera, in Italien, haben vor einiger Zeit ebenfalls Aussteiger ohne Strom und fließendes Wasser in Grotten gehaust. Sie wurden allerdings umgesiedelt und die Höhlen in Unterkünfte, Lokale und Galerien umgewandelt.“

„Mich wundert, dass keiner etwas sagt. Wild Campen ist in Portugal doch sicher verboten. Bald startet die Saison und die Strände füllen sich. Spätestens dann wird er wahrscheinlich fortgejagt.“

„Vielleicht hat er die Unterkunft auf einem Buchungsportal gefunden. Ach, ist das lustig! Das würde ich mir gerne anschauen.“

Vanessa dachte darüber nach, ein Foto von der Höhle zu machen. Sie verwarf den Gedanken aber schnell wieder. „Linn, wir sehen uns nächste Woche.“

„Okay, schreib mir, wann du landest. Ich hole dich ab. Dann starten wir in dein neues Leben.“

„Das hat bereits begonnen und ich schwöre dir, ich lasse mich nicht unterkriegen!“

„Liebelein, so will ich dich haben!“

Nachdem Vanessa den Laptop zugeklappt hatte, überkamen sie die ersten Zweifel. Eine Woche allein in Lagos? Würde sie sich nicht furchtbar langweilen? Toni würde sie jedenfalls nicht vermissen.

Im Zimmer war es stockdunkel und es herrschte eine gespenstische Ruhe. Evelyns glockenhelles Lachen, das noch im Raum lag, wurde immer leiser. Sollte Vanessa den Flug doch umbuchen? Sie öffnete die Terrassentür. Von der Bucht konnte sie nur eine Ecke sehen.

Das Mondlicht auf dem Atlantik sah aus wie der Schein einer riesigen Taschenlampe, der ihr den Weg in die Zukunft weisen wollte.