Kitabı oku: «Einmal Steinzeit und zurück ...», sayfa 4

Yazı tipi:

*

13

Keckernd, miauend, klagend, gurrend und lachend begrüßten die Möwen die Sonne, die feuerrot aus dem Meer auftauchte. Der Wind war abgeflaut und der Atlantik kräuselte sich nur noch gelegentlich. Trotzdem fröstelte Leon. Seit dem Fortgang der Frau war jegliche Wärme aus der Bucht gewichen.

Er erinnerte sich an den Vorabend. In der hintersten Ecke der Höhle hatte er gegen düstere Gedanken angekämpft. Das Meer toste. Aus Angst, der Traum vom herannahenden Zug und die furchtbaren Schreie könnten wiederkehren, konnte er nicht einschlafen. Doch dann spürte er wieder diese Euphorie. Das Gefühl, alles würde gut werden.

Sparky sprang auf, lief zum Höhlenausgang und beobachtete offenbar den Strand. Leon konnte von seinem Platz aus nichts erkennen. War zu träge nachzuschauen, was den Hund beunruhigte. Irgendwann hatte Sparky sich wieder hingelegt und Leon war eingeschlafen.

An diesem Morgen war die unermessliche Trauer, die seinen Geist lähmte und wie ein heißer Lavastrom durch seinen Körper floss, zurück. Er zitterte trotz warmer Kleidung. Der Hund drückte sich an ihn und leckte ihm die Hand. Leon schluckte. „So kann es nicht weitergehen. Mir fehlt eine Perspektive.“ Er dachte an seine Familie, die Freunde, die Uni. Sein Studium war fast abgeschlossen. Sein Leben hätte glücklicher nicht sein können. Doch dann war etwas Furchtbares passiert und er war abgehauen. Keiner daheim wussten, wo er sich aufhielt. Sein Smartphone hatte Leon zu Hause in einer Schublade vergraben, nachdem er vorher die Speicherkarte und damit alle Daten vernichtet hatte. Zwischen Vergangenheit und Zukunft klaffte ein tiefer Graben. Um diesen zu überwinden, musste er Anlauf nehmen. Er hockte nun schon seit Wochen in dieser Grotte und klammerte sich an einen kleinen Hund. Wo war der ehrgeizige Leon geblieben? Der Kumpel? Der Familienmensch?

„Sparky, so kann es nicht weitergehen. Eins verspreche ich dir: Wenn ich nach Deutschland zurückreise, nehme ich dich mit.“ Er dachte an sein Elternhaus mit dem liebevoll gestalteten Garten. Konnte sich gut vorstellen, wie Sparky darin herumtobte.

Leon ballte die Faust. „Ich werde für unsere Zukunft kämpfen!“

*

14

Vanessa träumte wirres Zeug. Erst knutschte sie mit Isolino. Dann hielt sie die Hand des Höhlenbewohners. Als sie wach wurde, wusste sie nicht, wo sie sich befand. Allmählich dämmerte es ihr. Das Bett mit der hochwertigen Matratze, in dem sie sich rekelte, stand in Evelyns Einliegerwohnung.

„Hier werde ich erst einmal bleiben“, dachte sie zufrieden.

Am Vorabend hatte sie mit Evelyn die Vor- und Nachteile der Beziehung zu Toni gegeneinander aufgewogen. Wobei sich die Vorteile darauf beschränkten, dass Vanessa viel Geld verdient und wenig davon wieder ausgegeben hatte. Und nun in jeder Hinsicht reicher an Erfahrung war. Alles zusammen genommen machte es die Nachteile, mehr als ein Jahr an einen Workaholic vergeudet zu haben, der nicht auf Frauen stand, wieder wett.

Vermutlich düste Evelyn bereits Richtung Westen zu den Aufnahmestudios. Die Maske würde Höchstleistung erbringen müssen, um die Augenringe zu überschminken.

Evelyn war stets bemüht, ihr Geburtsjahr unter den Tisch zu kehren. Vanessa wusste aber, sie war ihr altersmäßig vier Jahre voraus.

Das Smartphone vibrierte. Eine SMS mit dem Text Wir müssen reden. Melde Dich! ging ein.

Das klang gar nicht nach Toni.

Nach einem arbeitsreichen Wochenende war ihm bestimmt bewusst geworden, dass seine engste Mitarbeiterin beharrlich schwieg.

Bin um 14 Uhr in der Wohnung, antwortete Vanessa. Da sie keinen Widerspruch erhielt, sah sie den Termin als bestätigt an.

Toni erkundigte sich nicht einmal, wie es ihr ging. Vanessas Entschluss stand fest. Sie wollte den sofortigen Ausstieg aus dem Arbeitsvertrag!

Gegen Mittag fuhr sie im Coupé nach Düsseldorf. Evelyn hatte ihr den Schlüssel am Vorabend feierlich überreicht. Das Wetter war erstaunlich stabil für einen Apriltag. Stabil schlecht! Die Wolken hingen tief und das Verdeck musste schon aufgrund der niedrigen Temperaturen geschlossen bleiben. Die Autobahn quoll vor LKW über und sie kam sich wie eine Sardine in der Büchse vor.

„Ich nehme nur das Nötigste mit. Das Cabrio bietet sowieso nicht viel Stauraum. Was nicht in zwei Umzugskartons und meine Tasche passt, bleibt da“, hatte sie Evelyn erklärt.

Als sie vor der Tür ihres ehemaligen Zuhauses stand, spürte sie einen Kloß im Hals. „Es kommt mir vor, als wäre ich Jahre nicht mehr hier gewesen“, dachte sie.

Ihr Schlüssel lag drinnen, da Toni und sie als Paar verreist waren und sie vermutet hatte, dass sie auch als Paar zurückkehren würden. Daher musste sie klingeln. Toni öffnete erst nach einer guten Weile. Er sah aus, als hätte sie ihn aus dem Mittagsschlaf gerissen. Die Begrüßung fiel, wie erwartet, kühl aus.

An der Stimmung änderte sich nichts, als sie sich im Wohnzimmer gegenübersaßen, in dem sie sich nur selten gemeinsam aufgehalten hatten. Die wenigen Designermöbel, mit denen der Raum ausgestattet war, wirkten kalt und ungemütlich. Warum war ihr das nie aufgefallen? Sie hatte beim Einzug nur ihr Schlafzimmer einrichten dürfen, mintgrüne Vorhänge aufgehängt, eine farblich abgestimmte Tagesdecke und knallbunte Läufer gekauft. Das Zimmer konnte er ja nun Manuel überlassen.

Toni wirkte angespannt. Nichts erinnerte sie an den lieben Mann, mit dem sie zusammengearbeitet und sich die Wohnung geteilt hatte.

Beim Vorstellungstermin vor knapp 18 Monaten waren ihr sein Lächeln und die gemütliche Art aufgefallen. Bereits nach wenigen Sätzen über das Lepelaars hatte sie erkannt, welch berühmter Koch da vor ihr saß. Toni Löffler hatte bereits auf allen Kontinenten als Küchenchef gearbeitet, einen Stern im Guide Michelin ergattert, diverse Fernsehauftritte wahrgenommen und seine anspruchsvollen Kurse waren stets ausgebucht. Zwischen den Zeilen las Vanessa jedoch, dass er unermüdlich arbeitete und das Wort Privatleben für ihn ein Fremdwort war. Nur wenige Tage später unterzeichnete sie den Arbeitsvertrag. Bevor er für drei Monate in die USA reiste, um an einem Wettbewerb der besten Köche der Welt teilzunehmen, bot er ihr an, zu ihm in diese Wohnung zu ziehen. Sie hatte es als Liebesbeweis gewertet. Nun war sie schlauer. Toni hatte zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Den Satz Du bist die Frau, auf die ich immer gewartet habe, die mir Halt und Geborgenheit gibt hatte Vanessa falsch interpretiert.

„Ich muss mein Krönchen richten und weiterlaufen“, dachte sie.

Sie räusperte sich. „Ich kann nicht mehr für dich arbeiten, das musst du verstehen. Du weißt, ich schere mich nicht um das Gerede der Angestellten, aber ich benötige Abstand. Das heißt im Klartext: Ich ziehe aus und suche mir eine neue Stelle.“ Sie bekam eine Gänsehaut bei dem Gedanken, dass das gesamte Küchenteam schon lange über ihre platonische Beziehung im Bilde sein könnte. „Ich naives Suppenhuhn habe nichts gemerkt“, dachte sie.

Toni schaute sie an. „Reisende soll man nicht aufhalten. Du bekommst natürlich ein sehr gutes Zeugnis. Ich hoffe für dich, dass du bald einen adäquaten Job findest. Aber wir müssen über den Austrittstermin reden.“ Er sprach mit ihr wie mit einer Angestellten, was sie ja auch bis jetzt noch war. „Ich muss mich um deine Nachfolge kümmern. Es stellt mich vor große Probleme, wenn du die Arbeit sofort niederlegst.“

Was kümmerte es sie?

„Nächste Woche haben wir ein großes Catering. Da kannst du mich nicht hängen lassen! Außerdem beginnen bald die neuen Kurse. Du hast die Teilnehmer koordiniert und kennst die Agenda wie kein anderer.“

Vanessa merkte, wie ihre Entschlossenheit, sofort auszusteigen, dahinschmolz. „Okay, die nächsten zwei Wochen stehe ich auf Abruf zur Verfügung. Das heißt, ich wohne bei Linn und werde von dort aus für dich arbeiten. Bei Bedarf komme ich nach Düsseldorf. Die Einarbeitung meiner Nachfolgerin oder meines Nachfolgers werde ich übernehmen. Das ist alles, was ich dir anbieten kann. Ich checke derzeit die Vakanzen in der Branche.“

„Würdest du denn bleiben, wenn ich dein Gehalt erhöhe?“ Tonis Stimme klang plötzlich freundlicher.

Die Frage kam vollkommen unerwartet, sie passte allerdings zu einem Mann, der nur ans Geschäft und nicht an Vanessas Gemütszustand dachte. Daher schüttelte sie den Kopf. „Keine Chance! Ich denke, für dich ist es auch nicht einfach, mich zu sehen“, sagte sie, obwohl sie das bezweifelte.

„Gut, dann muss ich das wohl oder übel akzeptieren.“ Er schluckte. „Was das Finanzielle angeht, mache ich dir einen Vorschlag.“ Er nannte eine konkrete Summe. Warum bot er ihr eine Abfindung an, obwohl sie sich im gegenseitigen Einvernehmen trennten? Wahrscheinlich sollte es ein Schweigegeld sein. Sie kannte nicht nur den Betrieb in- und auswendig, sondern hatte auch Einblicke in sein Privatleben erhalten. Prompt erläuterte er: „Mein Anwalt setzt eine Vereinbarung auf, die du bitte unterschreibst.“

„Kein Problem“, sagte sie. Die Höhe der Summe hatte sie überzeugt. Nach dem Gespräch verabschiedete sich Toni eilig, da er weitere Termine wahrnehmen musste.

Vanessa stopfte einen Teil ihrer Garderobe in die große Reisetasche. Dann packte sie mehrere Flaschen Parfüm, Handtücher, Schwimmpokale, ihre Schmuckkassette und einen Aktenordner mit den wichtigsten Papieren in die Kartons. Den Rest würde sie in den nächsten Tagen holen.

Als sie die Tür hinter sich ins Schloss zog, fühlte sich der Ort bereits nicht mehr wie ein Zuhause an. Der Regen hatte aufgehört und ein winziger Sonnenstrahl lugte durch die Wolken.

Auf der Rückfahrt plante Vanessa die nächsten Schritte. Sie hatte ein neues Dach über dem Kopf. Jetzt stand die Stellensuche auf der Agenda. Sie würde noch am gleichen Abend das Internet nach Vakanzen durchforsten. Musste sich um ihre berufliche Zukunft jedoch kaum Sorgen machen. Sie hatte das Abendstudium mit Bestnoten absolviert und verfügte über hervorragende Referenzen. Wenn Toni ihr nun noch ein entsprechendes Zeugnis ausstellte, würde sie nicht lange arbeitslos sein. Die Abfindung kam ihr in den Sinn. Ein hübsches Sümmchen. Sie hatte plötzlich eine Idee, was sie mit einem Teil des Geldes anfangen würde.

*

15

Leon sang zum Gitarrenspiel. Vor ein paar Stunden hatte er zum ersten Mal seit dem Moment, in dem alle Harmonien aus seinem Geist gewichen waren, endlich wieder Melodien wahrgenommen. Erst dachte er, in der Ferne laufe ein Radio, aber dann wurde die Musik immer lauter und schließlich stellte er fest: Sie spielte in seinem Kopf. Was für ein erhebendes Gefühl! So musste es sein, wenn man taub war und plötzlich hören konnte. Oder blind und sehen. Er war allerdings weder taub noch blind gewesen. Nur sehr, sehr traurig. Dabei hatte Leons Leben immer aus Tönen bestanden. Morgens, mittags, abends hatte er gesungen, getrommelt, gepfiffen, Gitarre gespielt oder der Musik anderer gelauscht.

Er legte das Instrument, ein Erbstück seines Vaters, beiseite und hielt einen Moment inne.

Über dem Meer lag bereits eine tiefe Dunkelheit. Nichts erinnerte mehr an den schwindenden Tag. Er rieb sich die Hände über dem Feuer. Worte wanderten durch seinen Kopf. Ein neuer Text setzte sich nach und nach zusammen. Im Seesack fand er Papier und Bleistift.

Vor Monaten hatte er eine Ballade komponiert. Dazu passten die Formulierungen, die traurig, aber zugleich voller Hoffnung waren. Er musste sie sofort niederschreiben.

Leon textete ausschließlich in Englisch. Nach dem Abitur hatte er ein Jahr in einem Musikverlag in London gejobbt. Hatte in der Zeit nicht nur die Sprache fließend sprechen gelernt, sondern sich auch ein breites Fachwissen angeeignet.

Er las die Zeilen über eine unerwiderte Liebe erneut und ihm wurde klar, dass ihn die Frau vom Strand dazu inspiriert hatte. Versonnen betrachtete er die Gitarre und hatte das Gefühl, das Instrument nicke ihm freundlich zu.

„Schön, dass wir beide uns noch immer so gut verstehen“, dachte Leon. Er hielt die Finger erneut über das Feuer, um seine Hände geschmeidig zu machen. Dann spielte er weiter. Sparky und Tschaikowski dösten auf dem Schlafsack. Plötzlich schreckte der Hund hoch und knurrte. Auch der Kater blickte in Richtung der großen Treppe. Seine Schnurrbarthaare zitterten. Nachtschwärmer, die sich ans dunkle Meer setzen wollten? Leon konzentrierte sich wieder auf den Song. Vom Strandabschnitt direkt unter der Höhle erklangen Stimmen. Ehe er sich’s versah, kletterten drei Männer die Felsstufen zu seiner Behausung hoch und bauten sich vor ihm auf.

Er hatte noch nie Besuch von Menschen in dieser Grotte bekommen. Für eine Person mit zwei Haustieren bot sie ausreichend Platz. Doch nun fühlte er sich in die Enge getrieben. Er sprang auf. Sparkys Knurren ging in aggressives Bellen über. Von Tschaikowski, dem Feigling, fehlte jede Spur. Leon schob das Instrument, das für ihn einen unschätzbaren Wert darstellte, in den Hintergrund.

„Nur über meine Leiche“, dachte er. Nie wäre er auf den Gedanken gekommen, dass er eines Tages hier überfallen werden könnte. Pass und EC-Karte lagen bei Bjarne im Safe. In einem Felsspalt hatte Leon ein wenig Bargeld versteckt. Sollten die Eindringlinge also Wertsachen fordern, würde er den Betrag opfern.

Die Männer steckten in dunklen Steppjacken, Jeans und ausgetretenen Turnschuhen. Einer von ihnen trug Vollbart und eine schwarze Wollmütze. Die anderen waren glattrasiert. Sparky stellte sich vor die Männer und hörte nicht mehr auf zu bellen.

Einer der Bartlosen deutete einen Fußtritt in seine Richtung an. „Shut up, bloody dog!“

Der Bärtige ignorierte Sparky, stattdessen funkelte er Leon an. „You have to leave this cave!“ Ihr Akzent ließ vermuten, dass es sich um Einheimische handelte. Also doch kein Überfall. Sie fühlten sich offenbar von seinem Aussehen provoziert. Leon sollte die Höhle räumen.

Ihm fiel absolut kein Argument ein, mit dem er den Eindringlingen seine Anwesenheit an diesem Platz hätte plausibel machen können. Er konnte ihnen schlecht seine traurige Geschichte erzählen. Andererseits störte er hier niemanden. Er hinterließ keinen Müll und machte keinen Lärm. Leon roch eine Alkoholfahne. Der Bartmann schwankte leicht. Er schnaubte wie ein Stier. Leon wollte beschwichtigen und zusichern, dass er seinen Unterschlupf schnellstens räumen werde. Der kräftige Mann sah jedoch nicht so aus, als könne man mit ihm diskutieren. Er drängte sich unsanft an Leon vorbei und trat gegen die Gitarre.

„Please, don’t!“, rief er. Der Typ drehte sich um und kam auf ihn zu. Er musste einen Schritt zur Seite machen, um nicht von seinem Widersacher niedergewalzt zu werden. Dabei stolperte Leon über Sparky, der ein Jaulen ausstieß, kippte nach hinten und knallte mit dem Kopf auf eine Felskante. Dann wurde es dunkel.

*

16

„Nicht dein Ernst, Nessa!“ Evelyns Augen traten fast aus den Höhlen.

„Ich habe Carlos bereits zugesagt.“

Vanessa verspürte keine Lust, ihre beruflichen Pläne mit Evelyn auszudiskutieren. Dummerweise hatte sie sich verplappert. Sie saßen auf dem Balkon und schauten ins Grüne.

„Aber das ist doch ein totaler Rückschritt! Mit dem Zeugnis vom Lepelaars stehen dir die Türen zu den besten Häusern offen. Du bist keine einfache Kellnerin, hast einen Fachwirt. Zuletzt hast du sozusagen ein Sternelokal geleitet. Du kannst dir die Rosinen rauspicken!“

„Linn, übertreib nicht. Ich habe Toni als Assistentin zur Seite gestanden. Ganz ehrlich? Ich habe die Nase voll vom Schickimicki. Und ich will auf keinen Fall bei einem von Tonis Konkurrenten arbeiten.“

„Muss es denn unbedingt ein Brauhaus sein? Du fällst ja von einem Extrem ins andere! Da hast du andere Optionen. Große Veranstalter! Caterer! Ich kann mich gerne auf dem Markt für dich umhören.“

„Weißt du, ich sehne mich nach dem Urtümlichen zurück und eigentlich habe ich mich im Dicke Pitter immer wohlgefühlt.“

„Hahaha. Du warst jung und brauchtest das Geld! Ich erinnere mich, wie du mir die Ohren vollgeheult hast, dass die Arbeit in einer Altstadtkneipe für eine Frau nicht einfach ist. Oder sehe ich das falsch?“

„So schlimm fand ich es gar nicht.“

„Dann blendest du die Vergangenheit aus, meine Liebe.“

„Linn. Es muss ja nicht auf Dauer sein. Mit Carlos bin ich stets prima klargekommen. Erinnerst du dich, wie wir früher mit ihm um die Häuser gezogen sind?“

„Das ist Jahre her!“, ereiferte sich Evelyn. „Wo wir gerade über Brauhäuser sprechen: Lass uns ein leckeres Kölsch trinken gehen!“ Sie sprang auf und verschwand in ihrer Wohnung.

Kurz darauf machten sie sich auf den Weg zu einer der ältesten Gaststätten in Köln-Rodenkirchen.

Biergarten geöffnet stand auf einer Schiefertafel. Die Außentemperaturen waren allerdings nicht unbedingt biergartentauglich. Die Gäste drängten sich um zwei Heizstrahler.

Evelyn ergatterte einen Stehtisch. Sie erteilte immer noch Ratschläge.„Geh doch wieder ins Hotelfach. Oder mach es wie ich und setz ein Studium drauf! Du hast Abitur und dir stehen alle Türen offen.“

Vanessa hatte auf dem Rückflug darüber nachgedacht, sich beruflich komplett neu zu orientieren. Sich an der Uni einzuschreiben, kam für sie jedoch nicht infrage. Vielleicht sollte sie mal ins Ausland gehen.

„Jetzt erzähl doch mal etwas über die Kochshow!“, sagte sie.

Evelyn war eine renommierte Fachfrau in der Gastrobranche. Durch ihre Internetpräsenz und ihre schrillen Outfits genoss sie Promistatus, kämpfte aber an einer anderen Front als Toni. Er war Koch – sie die Kritikerin.

„Die Shows sind schon sehr ausgeklügelt. Die Zuschauer sind ja übersättigt von den vielen Formaten. Daher müssen ständig neue Konzepte und Ideen her. In diesem Fall geht es um Chefs und ihre Mitarbeiter.“

Vanessa dachte an Toni. Mit ihm hätte sie gute Chancen auf den Sieg gehabt.

„Wir sprechen nicht von Abteilungsleitern, sondern von richtig hohen Tieren, also Managern, Geschäftsführern, Vorstandsvorsitzenden und deren Sekretärinnen, Assistentinnen, Vertrauten“, fuhr Evelyn fort. „Wobei manchmal auch die Frau der Boss ist und einen Mann als Assistenten mitbringt.“

Evelyn nahm einen kräftigen Schluck Kölsch. „Du hast doch im Moment nichts vor. Was hältst du davon, mich einen Tag ins Studio zu begleiten? Ich schummele dich ins Publikum. Dann bekommst du was zu lachen.“

„Das ist lieb gemeint, aber so viel Zeit habe ich gar nicht. Ich fange Ostern wieder an zu arbeiten. Carlos hat Ausfälle zu verzeichnen und er hat mich gebeten, über die Feiertage im Service auszuhelfen. Vorher muss ich noch im Lepelaars einige Aufgaben zu Ende bringen.“

„Du wirkst immer noch so angespannt, Liebelein! Am Wochenende machen wir Party und laden tolle Männer ein.“

„Linn, nach Party steht mir im Moment nicht der Kopf.“

„Spielverderberin!“ Der beleidigte Ton in Evelyns Stimme war nicht zu überhören.

„Was ich auf jeden Fall plane …“

„Sprich dich aus!“

„In zwei Wochen werde ich noch einmal nach Lagos reisen.“

Evelyn machte große Augen. „Schon wieder?“

„Ja, da ist es super! Ich habe mir letztens nur wenig von der Stadt angeschaut. Mich entweder im Hotel aufgehalten oder am Strand gelegen. Jetzt will ich Lagos und Umgebung ausgiebig erkunden. Wandern, Schwimmen, Sightseeing. Die Möglichkeiten sind fast unbegrenzt.“

Evelyn runzelte die Stirn. „Fliegst du alleine?“

„Klar.“

„Wie hieß der Kellner doch gleich?“

„Linn, ein Mann ist nicht der Grund für die Reise. Mit Isolino ist nichts gelaufen. Du sagst ja selbst, ich soll mich ablenken. Dazu brauche ich nicht unbedingt einen Kerl.“

„Aber noch mal alleine an die Algarve? Das gefällt mir gar nicht! Nachher kommst du auf dumme Gedanken!“

„In die Algarve!“

„Bitte?“

„Im Reiseführer steht in die Algarve reisen. Geht man davon aus, dass der Name den Landstrich bezeichnet und nicht das Meer, macht das Sinn. Und nebenbei bemerkt, es gibt in Lagos kaum Kriminalität.“

Evelyn scrollte offenbar in ihrem Kalender im Smartphone. „Zu der Zeit habe ich Aufnahmetermine für die Show. Schade. Dabei könnte ich einen Tapetenwechsel ebenfalls dringend brauchen! Sonne, Strand, Cocktails. Es wäre zu schön gewesen. Aber im Moment passt es nicht.“

Vanessa atmete auf. Sie würde sich in Lagos nicht langweilen, davon war sie überzeugt. Sie würde sich ein Zimmer oder ein Appartement suchen. In dem Hotel, in dem sie mit Toni gewohnt hatte, lief sie nur Gefahr, erneut von Isolino umgarnt zu werden.

„Weißt du, mir geht es oft so: Wenn ich einen Urlaubsort zum zweiten Mal besuche, fühle ich mich dort direkt heimisch.“

Evelyn schnippte mit den Fingern. „Ich hab’s! Hast du mir nicht etwas von einem Höhlenbewohner erzählt? Du willst sicher auch mal in die Steinzeit reisen, stimmt’s? Familie Feuerstein lässt grüßen! Vergiss nicht, das richtige Outfit einzupacken.“

Vanessa schnitt eine Grimasse. „Damit soll man keine Witze machen. Wenn ein Mensch wochen- oder monatelang abseits der Gesellschaft lebt, gibt es dafür sicher einen Grund“, sagte sie.

„Na, ihr Hübschen!“

Vanessa, die sich in Gedanken bereits an der Praia da Dona Ana befand und aufs Meer schaute, obwohl es sich in Wirklichkeit um den Rhein mit Frachtschiffen handelte, zuckte zusammen.

„Hi, Pierre!“, sagten Evelyn und Vanessa wie aus einem Munde.

Pierre quetschte sich zwischen sie. Er roch, als hätte er in einer Parfümerie sämtliche Männerdüfte ausprobiert. Obwohl es recht kühl war, trug er ein Poloshirt zur Jeans. Er ging stramm auf die vierzig zu und zahlreiche Lachfältchen zeichneten sich in seinem gebräunten Gesicht ab. Er überragte Evelyn, die ein bisschen größer als Vanessa war, um etliche Zentimeter. Seinen Blondschopf ließ er stets nach dem neuesten Trend stutzen. Aktuell waren die Seitenpartien rasiert und das Haupthaar stand in alle Richtungen ab. Der Bart bestand nur aus einem schmalen Streifen am Kinn.

Vanessa musste einen Moment überlegen, wie er wirklich hieß. Peter. Peter Carstens. Hier im Veedel nannten ihn jedoch alle Pierre. Vor einem Jahr war sie auf einer Modenschau für seinen Laden mitgelaufen. Es hatte ihr Spaß gemacht und sie hatte einige Kleidungsstücke behalten dürfen.

Sie bemerkte, wie sich Evelyns Körperhaltung veränderte. Brust raus. Bauch rein. Sie lächelte zuckersüß. Wie konnte ein Mann eine dermaßen selbstbewusste Frau so butterweich kochen?

Pierre und Evelyn hatten eine On-off-Beziehung, die im ungünstigsten Fall nur ein paar Nächte hielt. Im besten Fall aber auch mal einige Wochen.

Egal, Vanessa wollte schnellstens ihre Rückkehr in die Algarve planen. Flug buchen, Unterkunft suchen. Sie zahlte und verabschiedete sich. Die Turteltauben reagierten nicht, da sie heftig miteinander knutschten.

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.