Kitabı oku: «Nordwestbrise», sayfa 2
Otpert hatte Angst um sein neues Zuhause und wusste sich nicht zu helfen. Waldbert würde ihm sagen können, was zu tun sei. Am nächsten Tag ritt er mit zwei Verwandten nach Romanshorn.
Diesmal wollten sie die breitere Strasse nehmen. Da nur wenig Schnee lag, hofften sie, ihr Ziel am gleichen Tag zu erreichen. Als sie versuchten, quer durch das Gehölz zur Strasse zu stossen, hörten sie nach einiger Zeit ein Wolfsrudel heulen. Otpert glaubte, es käme aus der Richtung der Siedlung, und spielte mit dem Gedanken, zurückzureiten, aber er wollte vor den anderen nicht ängstlich wirken. So sagte er, es sei unsinnig, auf der Suche nach der unbekannten Strasse weiter durch den Wald zu irren, und machte kehrt. Als sie kontrolliert hatten, dass keine Wölfe ihre Siedlung bedrohten, beschlossen sie, einen Umweg über St. Gallen zu machen, und fanden dort endlich die Strasse.
Waldbert nahm sich wie immer Zeit für seine Verwandten. Er fuhr sich mit den Händen durch das drahtige schwarze Haar und reckte sich, weil er mit seiner rundlichen Gestalt kleiner wirkte als Otpert; selbst seine imposante Nase glich das nur ungenügend aus. Das ganze Arboner Hinterland bis und mit St. Gallen habe er über eine lange Ahnenkette von Talto vererbt bekommen, dem Kämmerer König Dagoberts, beantwortete er Otperts Fragen. Deshalb habe Waldram, sein Vater, sich ja auch um St. Gallen gekümmert und Otmar beauftragt, aus der Galluszelle ein Kloster zu machen. Zeugen der Schenkung existierten keine mehr, das sei zwei oder drei Menschenleben her.
«Gibt es eine Urkunde?»
«Wenn etwas geschrieben wurde, dann ist es verbrannt. Du weisst ja, dass Karls Franken unser Haus geplündert und angezündet haben.»
Als Otpert zum Thing ritt, war er so entmutigt, dass er am liebsten umgekehrt wäre. Aber Waldbert hatte ihm eingeschärft, unbedingt hinzugehen, sonst schulde er dem Gericht zwölf Schillinge. Da dies der Preis für einen Deckhengst war und Otpert nur einen besass, befolgte er Waldberts Rat. Aber es gab gar keine Verhandlung. Titrich musste lediglich ein Pfand hinterlassen, seinen Anspruch auf das Land anmelden und geloben, mit Schwurhelfern zum nächsten Termin zu erscheinen. Otpert hatte dasselbe zu geloben, aber wenigstens verlangte ihm niemand ein Pfand ab.
Einen Mond später ritt Otpert mit Waldbert und all ihren vornehmen Verwandten zum Gerichtsplatz südlich von Arbon. Trotz der schlecht zum Frühling passenden Kälte war der Richterstuhl im Freien unter einer grossen, noch fast kahlen Linde aufgebaut worden. Der Richter trug einen Wollumhang, den eine kostbare Fibel zusammenhielt. Mit seinen eng zusammenliegenden Augen und der Habichtsnase gefiel er Otpert nicht. Ob der Greis überhaupt das Recht habe, Richter zu sein, und ob er etwa im Dienst des Hausmeiers stehe, fragte Otpert, als sie ihre Pferde vor dem Thing zurückgelassen hatten. Waldbert beruhigte ihn. Der Richter sei von ihrem Herzog Teudbald persönlich ernannt worden, und dass Teudbald der beste Alemanne überhaupt sei, brauche er nicht zu betonen.
Auch Titrich kam mit grossem Gefolge an. Weil das Königsland, auf das er Anspruch erhebe, den Wert von sechs Schillingen bestimmt übertreffe, habe er gleich fünf Schwurhelfer mitgebracht. Alles Männer, die Otpert noch nie gesehen hatte. Da er zwei ablehnen durfte, zeigte er auf die beiden, die ihn am finstersten anstarrten.
«Ich verlange das Land, auf dem der Freie Otpert eine Siedlung errichtet hat, als Königsland für den Hof zurück», sagte Titrich, als die Männer im Thing endlich verstummt waren, weil der Richter seine Haselrute gehoben hatte. Als der Richter ein Zeichen gab, legten Titrich und seine Schwurhelfer ihre Hände auf einen Schrein, in dem eine Reliquie lag, und Titrich wiederholte, dass sein Anspruch rechtmässig sei. Otpert warf einen Blick auf den Richter, und als der ihm hoheitsvoll zunickte, legte er seine Hand über die Hände der anderen. Sie zitterte, und weil seine Kehle trocken war, schluckte Otpert ein paarmal leer, ehe er mit fester Stimme sagte: «Ich schwöre, dass dieser Anspruch falsch ist und ich unschuldig bin, so wahr mir Gott helfe.»
«Hat die Siedlung überhaupt einen Namen?», fragte der Richter.
Otpert zögerte und kratzte sich an der Backe, was seine Sommersprossen noch mehr zum Leuchten brachte. Mit der Hand auf dem Schwertknauf sagte er stolz: «Utinishusen, weil das Land mir gehört.»
«Gibt es eine Urkunde?»
Otpert antwortete, was Waldbert ihm geraten hatte: «Schriftliches verlangt das Gesetz nur bei Landhändeln mit der Kirche. Diese Schenkung wurde meinem und Waldberts Vorfahren per Handschlag gemacht.»
Obwohl Waldbert und seine Zeugen bestätigten, das stimme, und jeder im Arbongau wisse, dass der Kämmerer Talto vom König das ganze Gebiet geschenkt bekommen habe und Waldbert das Recht habe, dieses Land an seinen Verwandten Otpert weiterzugeben, war der Richter weder von den Argumenten des Angeklagten noch von jenen des Anklägers überzeugt. Einerseits seien diese Besitzverhältnisse allen im Süden des Bregenzersees bekannt, anderseits gälten Zeugnisse vom Hörensagen nicht. Schliesslich entschied er, es gebe keine andere Lösung als eine Landbegehung mit Zweikampf, um festzulegen, ob Otperts Siedlung ihm gehöre.
Statt etwas zum Urteil zu sagen, warf Titrich ein, der angeklagte Otpert habe überdies den Arboner Kirchenknecht Gutan gestohlen.
Der Richter sperrte den Mund auf, um Titrich zurechtzuweisen, aber Otpert kam ihm zuvor. Mit einem Blick auf Titrich sagte er, der Zweikampf sei ihm recht, und den Hörigen Gutan habe er der Kirche abgekauft. Er nutze nun ebenfalls die Gelegenheit, um einen eigenen Anspruch vorzubringen.
«Alle hier wissen, dass Titrich der neue Befehlshaber von Arbon ist, weil seine Leute Waldram ermordet und seine Sippe vertrieben haben», holte er aus und sprach rasch weiter, weil er zwischen den Augen des Richters eine tiefe Falte sah. «Ich klage Titrich an, meine Tochter Utalind in den Norden des Sees verschleppt und als Magd verkauft zu haben. Bringt er sie mir zurück, gebe ich mich mit achtzig Schillingen zufrieden. Sonst verlange ich nach Gesetz das ganze Wergeld von vierhundert Schillingen.»
Ein Raunen ging durch den Thing, und Titrich wurde blass. Er fürchtete um sein Leben und seine Ehre, denn eine solche Entschädigung konnte niemand aufbringen.
Aber der Richter schlug seinen Stab auf den Tisch und fand endlich seine Stimme wieder, die vor lauter Verblüffung versagt hatte. Das seien zwei andere Fälle, schrie er. Otpert und Titrich müssten wegen der Tochter und des Knechts auf einen nächsten Thing hin klagen. Mit einem Blick auf Otpert fügte er hinzu, falls er nicht schwören könne, dass Titrich persönlich seine Tochter geraubt habe, lasse er es lieber gleich bleiben und wende sich an ein Gericht am anderen Seeufer.
Otpert fürchtete sich vor der Landbegehung, weil er noch nie bei einer dabei gewesen war. Überhaupt hatte er sich bisher mit Richtern und Grafen nicht ausgekannt, weil in Arbon immer Waldram alles geregelt hatte. Jetzt war er selbst verantwortlich für seine Siedlung und all die Verwandten, und das verunsicherte ihn.
An einem sonnigen, trockenen Tag im Mai kam auf richterlichen Befehl Titrich in die Siedlung, und von weither auch ein alemannischer Graf namens Petto, von dem Otpert meinte, er sei irgendwie mit ihm versippt. Otpert war erleichtert, dass Titrich den Grafen ohne weiteres akzeptierte, denn er wusste nicht viel von Gesetzen und hatte von diesem Tag die Entscheidung erwartet. Auf Pettos Geheiss mussten Otpert und Titrich aber nur die Stelle bezeichnen, an der ihrer Meinung nach die Grenze zwischen Otperts Siedlung und dem Königsland lag. Wie zu erwarten, ging Titrich nach Osten, bis zum Tobel, das zur Steinach hinunterführte, während Otpert sich so weit westlich aufpflanzte, dass neben der Siedlung auch der Wald mit den künftigen neuen Feldern zwischen ihm und dem Fluss lagen. Das strittige Gebiet dazwischen wurde mit Pflöcken eingegrenzt. Auf halbem Weg trafen sich die beiden, wie das Gesetz es verlangte, und hoben gemeinsam Erde aus, steckten Zweiglein hinein und übergaben sie dem Grafen. Petto wickelte die Scholle in ein Tuch, setzte vor allen sein Siegel darauf und sagte, er bewahre sie in Treuhand bis zum nächsten Gerichtstermin auf.
Otpert reiste mit seinem Gefolge schon einen Tag früher nach Arbon und übernachtete in jenem Pfostenhaus, in dem sie sich nach dem Überfall zusammengefunden hatten. Auch Waldbert kam, um ihm Mut zu machen, aber unglücklicherweise erzählte er Otpert, was er über den Gegner erfahren hatte. Titrich sei am Merowinger Königshof aufgewachsen und habe den dort üblichen Waffendrill mitgemacht. Otpert erschrak. Er war zwar eher jünger als Titrich und kräftiger gebaut, aber er hatte mit Schaufel und Egge mehr Erfahrung als mit dem Schwert. Ich bin im Recht, sagte er sich schliesslich. Gott weiss das und wird mir beistehen. Alles Zögern würde nichts helfen. Er hatte einen Eid geschworen und jetzt viel mehr Angst, sich dagegen zu versündigen, als im Zweikampf zu sterben.
Im Thing legten Graf Petto und der Richter die Erdscholle mit den Zweiglein auf den Boden, Titrich berührte sie mit seinem Schwert und rief: «Gott, unser Schöpfer, gibt dem den Sieg, der im Recht ist!» Als auch Otpert gesprochen hatte, standen sie sich mit gezogenen Schwertern gegenüber.
Otpert war bleich, noch nie hatte er sich so elend und ausgeliefert gefühlt. In einer Schlacht, stellte er sich vor, ist man einer von vielen, man kann losstürmen in die eigene Kraft. Aber hier, im Thing, stand er mit Titrich allein. Einem Titrich, den er in Gedanken zum gefährlichsten Schwertkämpfer des Reichs gemacht hatte. Otperts Unruhe wuchs, und als Titrich ihm mit erhobenem Schwert entgegenkam, ging Otpert vorwärts, zögerte, begann heftig zu schwitzen, machte wieder einen Schritt vorwärts und stolperte so unglücklich über eine Wurzel, dass er hinfiel und sich den Schwertarm brach.
Gott habe gesprochen, urteilte der Richter, der Zweikampf sei zu Ende. Das strittige Gelände gehöre dem königlichen Hof und nicht dem Angeklagten. Weil Otpert schon genug gestraft sei, erlasse er ihm aber die Busse von zwölf Schillingen.
Utina schlich sich aus der Siedlung; der Vater und die Brüder waren auf der Jagd, und sonst achtete niemand auf sie. Dem Rinnsal entlang ging sie zur Steinach und sah sich die Bäume über dem Tobel genau an. Da, neue Kratzspuren an der Rinde. Am Boden entdeckte sie auch einen grossen frischen Kothaufen. Sie legte sich auf die Lauer. Plötzlich sah sie ihn, weiter südlich, wo das Ufer weniger steil war. Der Bär stand im Wasser und versuchte tolpatschig, mit seiner Tatze zu fischen. Aber da keine Mutter da war, die ihm zeigte, wie es ging, gab er bald auf und machte sich über einen Brombeerstrauch her. Einmal richtete er sich auf, wackelte mit dem Kopf und drehte sich in Utinas Richtung. Sie wusste, dass Bären eine gute Nase haben, und freute sich.
Lange sah sie dem Bären zu. Sie hatte keine Lust, nach Hause zurückzukehren; so ging es allen in der Siedlung. Seit der Richter entschieden hatte, dass sie Utinishusen dem Königshof überlassen mussten, fühlte sich hier niemand mehr sicher, obwohl Otpert gegen alle entschieden hatte zu bleiben. Der Richter werde bestimmt nicht kommen, um sie zu vertreiben, und Titrich habe einfach recht haben wollen, aber die Siedlung sei ihm kaum die Mühe wert, nochmals in den Thing zu gehen. Keiner getraute sich, Otpert zu widersprechen, aber wohl und zu Hause fühlte sich niemand mehr.
Um nicht mit leeren Händen zurückzukehren, suchte Utina nach Beeren, aber sie fand nicht mehr viele. Der Sommer war fast zu Ende. Als sie von weitem die ersten Häuser sah, hörte sie Menschen schreien. Rauchsäulen stiegen zum Himmel auf. Sie sah überall Feuer und Männer, die mit Fackeln durch die Siedlung ritten oder liefen und Türen eintraten.
In Panik griff Utina an den Saum ihres Hemdes, erinnerte sich, dass sie für den Waldspaziergang alte Kleider angezogen hatte, und kehrte im Zickzackkurs heim, um niemandem zu begegnen. Während sie rannte, schlug der Zopf hart an ihren Nacken. Als sie das Haupthaus sah, fuhr sie zusammen. Die hintere Bohlenwand stand in Flammen, sie züngelten schon zum Strohdach. Utina stiess die Tür auf und stürzte zu ihrer Truhe. Mit einem Griff packte sie ihre gute blaue Tunika und das Gehänge mit Amelias Fibeln, ertastete das Amulett und rannte durch den brennenden Türrahmen ins Freie.
Utina schnappte nach Luft; sie fühlte sich verloren. Wo waren die anderen? Sie schlug den Weg zur Steinach ein und kam unbehelligt zum Dorfrand, wo die Häuser ebenfalls brannten. Um Glut und brennenden Holzstücken auszuweichen, folgte sie dem Bach, aber plötzlich stürzte ein Dachstück des letzten Hauses mit solcher Gewalt herunter, dass sie nicht schnell genug zur Seite springen konnte. Der Balken krachte in einem Funkenmeer gleich neben ihr auf den Boden, und ein brennendes Holzstück traf ihren Arm. Utina schrie und verlor vor Schmerz fast die Besinnung, weil das glühende Holz sich in ihrer Tunika verheddert hatte und sie es nicht wegschütteln konnte.
Als ein Mann sie packte und zum Bach schleppte, stach ihr der Geruch ihres eigenen versengten Fleisches in die Nase. Wie gebratenes Huhn, dachte sie, und alles wurde schwarz um sie. Vorsichtig tauchte der Mann ihren Arm ins Wasser, aber sie schreckte auf und wunderte sich, dass es nicht zischte. Der Schmerz liess nach. Erst als er sie im Arm hielt und den Stoff der Tunika sorgfältig von der verbrannten Haut löste, sah Utina, dass es nicht wie vermutet Gutan war, sondern ein Fremder mit schulterlangen dunklen Haaren und braunen Augen, ein Junge fast noch. Er trug keinen Mantel, weil es warm war, nur eine blaue Tunika mit kostbarer goldener Borte. Utina wollte etwas sagen, aber da kam ihre alte Magd herbeigelaufen, und plötzlich war der Fremde verschwunden.
Als der Vater mit den Brüdern von der Jagd zurückkam, brannte die Siedlung lichterloh. Überlebende waren dabei, Tiere zusammenzutreiben, die in den Wald gelaufen waren. Männer und Frauen mit versengten Haaren und rauchgeschwärzten Kleidern schleppten Habseligkeiten herbei, die sie aus ihren brennenden Häusern gerettet hatten. Otpert bemerkte, dass er neben einem Baum stand, den er mit Hühnerblut markiert hatte, weil hier das neue Feld hätte beginnen sollen. Er riss einem Bauern, der Werkzeug unter dem Arm trug, die Axt weg und hieb immer wieder auf den Baum ein, kam ins Schwitzen, fluchte und schrie, hieb weiter, brüllte, hieb, bis sein älterer Sohn ihn an den Schultern packte und schüttelte.
«Hör auf!», übertönte Wolfgang ihn. «Utina ist verletzt, es sieht bös aus. Komm mit, Vater!»
Sie umgingen die Siedlung in weitem Bogen und trafen auf Knechte und Mägde, die verstört herumsassen und nicht wussten, was zu tun war. Otpert rief allen zu, sich östlich von Utinishusen zu sammeln.
Utina lag in ihrer guten Tunika neben dem Gemüsebeet auf einem Karren. Die Magd stand neben ihr und war dabei, ihr klatschnasses Hemd an einem Haken zu befestigen. Das Mädchen sei eingeschlafen, aber das Schlimmste noch nicht überstanden, sagte sie.
«Wer hat denn die kluge Idee gehabt, den verbrannten Arm in den Bach zu tauchen?», fragte Otpert, als er die klaffende Wunde und die verbrannte Haut seiner Tochter sah.
Sie mache gleich Umschläge gegen das Fieber, murmelte die Magd und stahl sich davon, weil sie in ihrem langen Leben gelernt hatte, dass man als Hörige am besten fuhr, wenn man möglichst viel für sich behielt.
Utina hatte alles gehört. Ich müsste ihm vom Fremden erzählen, dem Vater ist man Treue und Gehorsam schuldig, dachte sie müde. Aber die Magd hatte geschwiegen, und er würde denken, sie selber sei bewusstlos gewesen und erinnere sich an nichts.
Weil es bald dunkel sein würde, beschloss Otpert, die Siedlung zu inspizieren. Sein jüngerer Sohn wollte ihn begleiten, und als sie allein waren, sagte Waldo, er habe einige Angreifer gesehen und Titrich erkannt. Otpert hatte das vermutet, war aber froh, es sicher zu wissen, und klopfte Waldo anerkennend auf die Schulter. Ein hochaufgeschossener Knabe sei bei Titrich gewesen, fuhr Waldo fort. Einer mit langem dunklem Haar. Wohl auch so ein vornehmer Franke. Seine Tunika habe golden geschimmert.
Utinishusen sah aus, wie Otpert sich während Besuchen in der Kirche die Hölle vorgestellt hatte. Drei freie Männer und zwei Knechte waren von den Angreifern erschlagen worden, einige hatten böse Brand- oder Schwertverletzungen. Die meisten Häuser waren dermassen beschädigt, dass keine Pfosten oder Holzbohlen gerettet werden konnten. Nun waren sie alle ärmer, viel ärmer als bei ihrer Abreise aus Arbon, weil die grossen Vorräte aufgebraucht waren und viel Hab und Gut und auch einige Tiere mit den Häusern verbrannt waren.
Am Abend setzten sich die Männer zusammen und berieten, was zu tun sei. «Wir gehen nach Osten», schlug einer vor. «Das Land jenseits der Steinach gehört uns.»
Aber Otpert winkte ab. «Der Richter hat nicht entschieden, dass das Hinterland von Arbon Waldbert gehört. Und selbst wenn er es ihm und mir zugesprochen hätte, wäre das nichts wert. Arbon gehörte auch nicht Titrich, und er hat uns trotzdem vertrieben. Wer die Macht hat, nimmt sich, was er will. Alemannisches Gesetz gilt heute nichts mehr.»
«Dann können wir nirgendwo hingehen. Der Arm des Hausmeiers wird immer länger», warf Wolfgang ein.
«Wir ziehen nach Westen und siedeln irgendwo im Urwald, weitab von jeder Strasse», entschied Otpert. «Da vermutet uns niemand, weil das immer Königsland war.» Er beschloss bei sich, Waldbert um Waffen zu bitten und seine Leute, auch die einfachen Bauern, im Kampf auszubilden. Und in der neuen Siedlung Tag und Nacht Wachen aufzustellen.
Einige Männer waren einverstanden, andere schüttelten den Kopf, einer zweifelte, ob man es noch vor dem Winter schaffen würde, eine neue Siedlung zu bauen, aber dann verebbte die Diskussion, weil Otpert die Sache als erledigt ansah und schlafen ging.
In der Nacht erwachte Utina; sie spürte, wie die Magd an ihrer Tunika herumhantierte. Bald fiel sie wieder in einen unruhigen Schlaf und wusste nicht, ob es Traum oder Wirklichkeit war, als sie die Magd in der Morgendämmerung tanzen sah. Die Alte sang leise und streckte etwas gegen den Himmel, es blitzte im ersten Sonnenlicht. Das nächste Mal erwachte Utina, weil sie Schlamm und Metall auf ihrer Wunde spürte, aber dann hörte sie ein rhythmisches Murmeln und schlief weiter.
Ohne sich ein einziges Mal umzudrehen, verliessen sie die Siedlung. Weil Pfade nur von Norden nach Süden führten, mussten sie sich quer durch den Forst zwängen und sich nach dem Sonnenstand richten. Um keine Spuren zu hinterlassen und besser zwischen Bäumen und Büschen durchzukommen, montierten sie den vom Feuer verschonten Wagen die Räder ab und trugen sie mit. Was an Hausrat und Werkzeug noch da war, banden sie sich auf den Rücken oder schleppten es hinter sich her. Utina bestand darauf, selber zu gehen, sie sei ja am Arm verletzt und nicht an den Beinen. Müde nickte der Vater, aber er führte seine Leute nicht an, wie sie es von ihm erwartet hatten. Stattdessen schickte er Verwandte mit Knechten voraus und hielt sich mit seinen Kindern in der Mitte des traurigen Zugs. Utina knickten immer wieder die Beine ein, sie hatte heiss und kalt und wieder heiss. Schliesslich knüpfte Wolfgang eine Trage aus Leder und schleppte die Schwester auf dem Rücken durch den Forst. Wenn er erschöpft war, löste ein Vetter ihn ab. Auch Waldo hätte Utina gern getragen, aber er war klein und schwach für sein Alter und hätte sie kaum halten können.
Ab dem späten Nachmittag schauten sie sich jede Waldlichtung, durch die der Zufall sie führte, genau an. Als sie auf eine stiessen, die etwas grösser war als die anderen und in deren Nähe ein Bach floss, meinte Otpert, es habe keinen Sinn, tagelang weiterzuziehen, sonst würden sie womöglich auf einen Pfad stossen, der weiter westlich nach St. Gallen führte. Weil es warm und trocken war, übernachteten sie auf dem Waldboden, und am Morgen schickte Otpert je zwei bewaffnete Männer in alle Richtungen aus, ausser nach Osten. Sie mussten sich bis zum Abend durch den Forst kämpfen und unterwegs Markierungen setzen, um wieder zurückzufinden. Als alle wieder da waren und niemand auf eine Strasse oder einen Pfad gestossen war, beschloss Otpert, hier zu siedeln.
Weil es Unglück gebracht hatte, dass er der alten Siedlung erst auf Geheiss des Richters einen Namen gegeben hatte, erteilte Otpert der Waldlichtung am zweiten Tag feierlich seinen Segen und nannte sie Otpertswil. Dann wurden die Toten begraben. In der Nacht waren wieder zwei Verletzte gestorben. Fast alle hatten in den letzten Tagen Angehörige verloren.
Otpertswil, das war Enttäuschung und Trauer. Nur in den Augen weniger junger Männer funkelten Hoffnung und Abenteuerlust. Otpert selber tröstete sich mit dem Gedanken, dass Gott im Thing gegen ihn entschieden und Titrich das Feuer gebracht hatte, weil eine Siedlung ohne Kirche kein gottgefälliger Ort war. Hier, in Otpertswil, würde er eine Kirche bauen, grösser als das Haupthaus. Aber Otpert wusste, dass die Lichtung klein war und sie vor dem Winter nur wenige Häuser erstellen konnten, in denen alle zusammengedrängt schlafen mussten. Jahrelang würden sie roden müssen, um ein Dorf mit Weiden und Feldern zu schaffen, und niemals und nirgends würden sie vor den Franken des Hausmeiers sicher sein.
An diesem und am nächsten Abend sagte die Magd, sie wache über den Schlaf seines kranken Kindes, aber weil Otpert misstrauisch war und das Fieber stieg und stieg, stand er in der zweiten Nacht selber auf, trocknete Utinas schweissnasses Haar und flösste ihr Wasser ein, ohne dass sie aus ihrem unruhigen Schlaf erwachte.
Im Morgengrauen blieb er im Schatten eines Baums stehen und schaute zu, wie die alte Frau den Verband von der Wunde nahm, Kräuter aus einem Beutel zog und sie mit etwas Schlamm vermischte. Dann zog sie ein rundes Metallstück hervor, tauchte es in die Mischung, streckte es singend dem Mond entgegen und drückte es auf die Wunde.
Otpert hatte die bösen Fleischränder und den Eiter in der klaffenden Wunde sehen können, aber erst Utinas Stöhnen riss ihn aus der Erstarrung. Wütend stürzte er vorwärts und überhörte die Magd, die beteuerte, das Amulett habe magische Kräfte, es sei in uralten Zeiten dem Gott Wotan geweiht worden.
«Du bist nicht bei Sinnen, unheilige Frau», zischte er und packte sie grob bei den Schultern. «Pack dich und verschwinde aus meiner Siedlung, du gehörst nicht mehr zu uns!» Wütend schleuderte er das Amulett zu Boden und nahm seine Tochter in die Arme, um sie zum Bach zu tragen und die Wunde auszuwaschen. Dann weckte er seine Söhne und sagte, jetzt gebe es nur noch einen, der Utina helfen könne, und das sei der Abt von St. Gallen.